S 11 RJ 11/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 RJ 11/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung.

Der Kläger betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei, bei der die Beigeladenen zu 1. bis 6. während des streitgegenständlichen Zeitraums beschäftigt waren.

Der Kläger schloss am 26.03.1997 eine "Vereinbarung zur anwaltlichen Beratungstätigkeit für S" mit der S Rechtsschutz-Versicherungs-AG in L, wonach seine Kanzlei die telefonische Rechtsberatung der Versicherungsnehmer übernahm und zu diesem Zweck die telefonische Erreichbarkeit geeigneter Anwälte sicherzustellen hatte. Das Versicherungsunternehmen verpflichtete sich zur Zahlung eines bestimmten Betrages für jeden Beratungsfall an den Kläger. Am 03.05.1999 schloss der Kläger eine "Dienstleistungsvereinbarung über anwaltliche Rechtsberatung" mit der T Rechtsschutzversicherungs-AG in X, wonach seine Kanzlei die telefonische Erstberatung der Versicherungsnehmer übernahm und hierfür eine telefonische Erreichbarkeit von 8 bis 21 Uhr an Werktagen sicherstellte. Für jeden Beratungsfall wurde eine feste Vergütung, zu zahlen an "das Anwaltsbüro", vereinbart.

Nachdem die Beklagte die klägerische Kanzlei am 19. und 20.09.2000 hinsichtlich des Zeitraums vom 01.02.1996 bis 30.06.2000 geprüft und dem Kläger mit Schreiben vom 31.05.2001 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, forderte sie mit Bescheid vom 26.09.2001 Beiträge in Höhe von 28.632,78 DM (entspricht 14.639,71 Euro) nach. Sie führte aus, auch aus den Einkünften der Beigeladenen zu 1., 5. und 6. aus telefonischer Rechtsberatung von Versicherungskunden seien Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu zahlen.

Seinen Widerspruch vom 09.10.2001 begründete der Kläger damit, die telefonischen Rechtsberatung sei eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1., 5. und 6., da sie insofern nicht weisungsgebunden seien, diese Tätigkeit außerhalb der Bürozeiten verrichteten und selbst für die Kosten der erforderlichen Mobiltelefone aufkämen.

Nachdem die Beklagten auch den Beigeladenen 1. bis 6. mit Schreiben vom 09.09.2002 Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hatte, wies sie den Widerspruch mit Bescheid vom 17.12.2002 zurück. Sie führte aus, allein der Kläger habe die Verträge mit den Versicherungsunternehmen abgeschlossen, biete die Rechtsberatung in eigenem Namen und auf eigene Rechnung an und trage somit allein das unternehmerisches Risiko. Die beratenden Rechtsanwälte seien hingegen an einen Bereitschaftsplan gebunden und auf diese Weise in die Betriebsorganisation des Klägers eingegliedert.

Hiergegen richtet sich die am 16.01.2003 erhobene Klage. Hinsichtlich der ebenfalls von den angefochtenen Entscheidungen umfassten Beitragsnachforderungen aufgrund der Beschäftigung der Beigeladenen zu 2., 3. und 4. (denen andersgeartete Lebenssachverhalte zugrunde gelegen hatten) hat der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung zurück genommen.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen unter Verweis auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Rechtsanwalts Q. Er führt aus, die telefonische Rechtsberatung finde nicht notwendigerweise in den Räumen und während der Bürozeiten seiner Kanzlei statt. Die Rechtsanwälte übten diese Tätigkeit freiwillig und weisungsfrei aus und erhielten die ungeminderte Vergütung für die von ihnen erbrachten Beratungsleistungen. Einzelne Verträge mit den Beigeladenen zu 1., 5. und 6. hätten die Versicherungsunternehmen nur deswegen nicht abgeschlossen, um die eigene Abrechnung zu erleichtern.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 26.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung und weist darauf hin, die Beigeladenen zu 1., 5. und 6. hätten die Beratung nur aufgrund ihrer Beschäftigung in der klägerischen Kanzlei ausüben können.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte hat die von ihr geltend gemachten Beiträge zu Recht nachgefordert.

Die Befugnis der Beklagten zur Betriebsprüfung und zur Geltendmachung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ergibt sich aus den §§ 28 p Abs. 1 Satz 1, 28 e Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Ein Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28 d SGB IV) liegt auch vor, wenn nicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung Beitragspflicht besteht oder wenn nur Arbeitgeberanteile geltend gemacht werden (Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 28 d SGB IV, Rn. 2). Für die Bemessung der von der Beklagten geltend gemachten Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ist das Arbeitsentgelt der Versicherten maßgeblich. Dies ergibt sich für die Arbeitsförderung aus den §§ 341 Abs. 1 und 3, 342 1.Alt Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III), für die Krankenversicherung aus § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) und für die Pflegeversicherung aus § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V. Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Unbeachtlich ist hierbei auch, ob der Beschäftigte die Einnahmen nicht vom Arbeitgeber, sondern von einem Dritten erhält (Seewald, a.a.O., § 14 SGB IV, Rn. 8). Kein Arbeitsentgelt ist demgegenüber das Arbeitseinkommen aus einer selbständigen Tätigkeit, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV.

Es kann offenbleiben, ob die telefonische Beratung der Versicherungskunden eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne (§ 7 SGB IV) darstellt oder aber als selbständige Tätigkeit zu werten ist. Selbst wenn sie als selbständige Tätigkeit angesehen werden müsste, stellte der Gewinn (i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) hieraus Arbeitsentgelt i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV dar, da es sich bei der Angestelltentätigkeit der Beigeladenen zu 1., 5. und 6. in der klägerischen Kanzlei und der telefonischen Beratungstätigkeit um ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis handelt.

Eine selbständige Tätigkeit ist mit einer Beschäftigung (§ 7 SGB IV) zu einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis verbunden, wenn sie nur aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird, in diese zeitlich, örtlich, organisatorisch und inhaltlich eingebunden sowie im Verhältnis zur Beschäftigung nebensächlich ist und daher insgesamt wie ein Teil der abhängigen Beschäftigung erscheint (BSG, Urteil vom 03.02.1994 - 12 RK 18/93 = SozR 3 -2400 § 14 Nr. 8; BSG SozR 3 - 2400 § 14 Nr. 15; Seewald, a.a.O., Rn. 8 a; Klattenhoff, in: Hauck/Haines, SGB IV, § 14, Rn. 11; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3.Aufl., § 14 SGB IV, Rn. 11). Demgegenüber liegt eine gemischte Tätigkeit vor, wenn die selbständige Tätigkeit im wesentlichen neben der Beschäftigung und unabhängig von ihr ausgeübt wird. Für die Abgrenzung kommt es in erster Linie auf die tatsächlichen Verhältnisse an (zu alledem BSG,Urteil vom 03.02.1994, a.a.O.).

Unter Heranziehung dieser Kriterien ist die telefonischen Beratungstätigkeit Teil des einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Kläger und den Beigeladenen zu 1., 5. und 6.

Die telefonische Beratungstätigkeit wurde nur aufgrund der Beschäftigung beim Kläger ausgeübt. Schon angesichts der vertraglichen Gestaltung ist die Gelegenheit zu telefonischer Beratung der Versicherungskunden an die Beschäftigung in der klägerischen Kanzlei geknüpft, denn die Verträge bestehen zwischen dem Kläger und den Versicherungsunternehmen; die Beigeladenen zu 1., 5. und 6. sind nicht Vertragsparteien. Eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses (der "Austritt" aus der Kanzlei) hätte zwingend den Verlust der Möglichkeit zur Telefonberatung (und zu einem entsprechenden Verdienst) zur Folge gehabt, solange der betreffende Rechtsanwalt nicht selbst einen Vertrag mit einem der Versicherungsunternehmen geschlossen hätte.

Die telefonische Beratungstätigkeit war auch in die abhängige Beschäftigung eingebunden. Inhaltlich handelte es sich hier wie dort um Rechtsberatung, organisatorisch war sie - wie dargelegt - strikt an den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses geknüpft. Die Verteilung der Beratungstätigkeit und die hiermit verbundenen Absprachen über telefonische Erreichbarkeit erfolgten allein unter den beim Kläger tätigen Anwälten, wobei die Kanzlei des Klägers die Rolle einer "Leitstelle" übernahm und insbesondere die Abrechnung mit den Versicherungsunternehmen vorzunehmen hatte. Dass der Vertrag zwischen dem Kläger und den Beigeladenen zu 1., 5. und 6. keine Verpflichtung zur telefonischen Beratungstätigkeit vorsah, ändert hieran nichts, denn einen Zwang zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist nicht erforderlich.

Die Kammer verkennt nicht, dass die Intensität der örtlichen und zeitlichen Einbindung demgegenüber weniger stark ausgeprägt ist. So ist die telefonische Beratungstätigkeit - nach Angaben der Beigeladenen zu 1. - jedenfalls teilweise außerhalb der vertraglich mit dem Kläger vereinbarten Arbeitszeiten und auch von den Wohnungen der Beigeladenen zu 1., 5. und 6. aus erfolgt. Dies stünde jedoch der Annahme eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses selbst dann nicht entgegen, wenn diese Angaben der Beigeladenen zu 1. Gültigkeit für die gesamte Beratungstätigkeit durch die Beigeladenen zu 1., 5. und 6. hätten. Es entspricht der Natur anwaltlicher Beratungstätigkeit, dass ihre Ausübung weder an bestimmte Tageszeiten noch an bestimmte örtliche Gegebenheiten gebunden ist. Im Übrigen erscheint die Einbindung in inhaltlicher und organisatorischer Hinsicht derart stark ausgeprägt, dass die eher lockere Einbindung in zeitlich-örtlicher Hinsicht bei einer wertenden Gesamtbetrachtung dahinter zurücktritt.

Im Verhältnis zur Beschäftigung nebensächlich war die telefonische Beratungstätigkeit schon deswegen, weil sie offensichtlich weder den Großteil der täglichen Arbeitszeit der Beigeladenen zu 1., 5. und 6. in Anspruch nahm, noch deren Haupteinnahmequelle darstellte.

Auch der Gesamteindruck spricht schließlich für ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis. Einem unvereingenommenen Betrachter musste die Beratungstätigkeit der Beigeladenen zu 1., 5. und 6. im Rahmen ihrer "gewöhnlichen" Arbeit in der klägerischen Kanzlei und im Rahmen der Telefonberatung gleich vorkommen; letztere musste wie ein Teil oder eine Fortsetzung der Beschäftigung erscheinen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG. Da weder der Kläger noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören, werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben, § 197 a Satz 1 SGG: Die §§ 184 bis 195 SGG finden keine Anwendung, statt dessen sind die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend anzuwenden. Nach § 154 Abs. 1 VwGO trägt der unterlegene Teil die Kosten des Verfahrens. Dies sind im vorliegenden Fall die Gerichtskosten und die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten.
Rechtskraft
Aus
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