L 7 BA 1666/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 BA 505/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 BA 1666/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 28. April 2020 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird endgültig auf 30.314,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Gegenstand des am 18. März 2020 beim Sozialgericht Konstanz (SG) angebrachten einstweiligen Rechtsschutzgesuchs ist das Begehren des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs (Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. März 2020) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. März 2020, nachdem die Antragsgegnerin - nach Durchführung einer Anhörung (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin vom 31. Oktober 2019, Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 11. Februar 2020) nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Dezember 2018 Beitragsnachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 121.255,10 EUR festgesetzt hatte, weil A. G. in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 2. Februar 2018, D. G. in der Zeit vom 9. Januar 2017 bis zum 30. August 2018, F. E. C. in der Zeit vom 1. Juni 2017 bis zum 1. August 2018 und D.-I. C. in der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 4. Oktober 2018 jeweils als Fahrer bei dem Antragsteller als Auftraggeber versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und aus den erzielten Entgelten keine Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden seien. Mit seinem einstweiligen Rechtsschutzbegehren ist der Antragsteller vor dem SG erfolglos geblieben (Beschluss vom 28. April 2020). Dagegen wendet er sich mit seiner Beschwerde, die ohne Begründung geblieben ist.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 4 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

3. Vorliegend kommt allein die - auch vom Antragsteller ausdrücklich begehrte - Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines gleichzeitig mit dem einstweiligen Rechtsschutzgesuch angebrachten Widerspruchs (Schreiben seines Bevollmächtigten 18. März 2020) betreffend den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. März 2020 in Betracht. Zwar haben gem. § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, jedoch entfällt nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Der Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin vom 6. März 2020 nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV stellt eine Entscheidung über Versicherungs- und Beitragspflichten sowie die Anforderung von Beiträgen nebst Nebenforderungen dar, sodass aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG dem Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 6. März 2020 von vornherein keine aufschiebende Wirkung zukommt. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Regelung des § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB IV, wonach Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt, keine aufschiebende Wirkung haben (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Mai 2010 - L 11 KR 1125/10 ER-B - juris Rdnr. 17; Bayerisches LSG, Beschluss vom 16. März 2010 - L 5 R 21/10 B ER - juris Rdnrn. 12 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - L 9 KR 192/15 B ER - juris Rdnrn. 24 f.; LSG Hamburg, Beschluss vom 16. April 2012 - L 3 R 19/12 B ER - juris Rdnr. 3; Hessisches LSG, Beschluss vom 22. August 2013 - L 1 KR 228/13 B ER - juris Rdnrn. 23 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. November 2018 - L 2 BA 68/18 B ER - juris Rdnr. 18; Beschluss vom 20. Juni 2016 - L 2 R 276/16 B ER - juris Rdnrn. 14 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Oktober 2015 - L 8 R 442/15 B ER - juris Rdnr. 37; Sächsisches LSG, Beschluss vom 30. August 2013 - L 1 KR 129/13 B ER - juris Rdnrn. 28 ff.; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 7. September 2015 - L 5 KR 147/15 B ER - juris Rdnrn. 15 ff.; Berchtold in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 7a Rdnr. 12; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 86a Rdnr. 13b; Pietrek in jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016 (Stand 18. Juni 2020), § 7a Rdnr. 145; Rittweger in BeckOK Sozialrecht, Stand 1. März 2020, § 7a SGB IV Rdnr. 34; Wahrendorf in Ross/Wahrendorf, SGG, 2014, § 86a Rdnr. 43; a.A. z.B. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. Januar 2014 - L 2 R 409/13 B ER - juris Rdnr. 22; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - L 3 R 126/16 B ER - juris Rdnr. 20; Thüringer LSG, Beschluss vom 3. Juni 2015 - L 12 R 539/15 B ER - juris Rdnr. 17). Denn die Anwendbarkeit der Regelung des § 7a Abs. 7 SGB IV ist auf das Antragsverfahren nach § 7a Abs. 1 SGB IV beschränkt, innerhalb dessen die Deutsche Rentenversicherung Bund auf Antrag der an einem Auftragsverhältnis beteiligten Personen oder der zuständigen Einzugsstelle eine "Statusentscheidung" trifft.

4. Da § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG selbst keinen Maßstab vorgibt, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, ist diese Lücke durch eine entsprechende Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - juris Rdnr. 4). Erforderlich ist mithin eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - juris Rdnr. 4; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER - juris Rdnr. 14). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs; dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon Bundesozialgericht (BSG) in BSGE 4, 151, 155). Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGG, in denen - wie hier - der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist die Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten; die Anordnung muss deshalb eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 86b Rdnr. 12c). Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers sind mithin regelmäßig nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (arg. § 86a Abs. 2 Satz 2 SGG; vgl. Senatsbeschluss vom 16. April 2008 a.a.O.). Allerdings scheidet die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in anderen Fällen nicht stets aus. Namentlich dann, wenn der Verfahrensausgang als offen, d.h. ein Obsiegen nur als möglich zu bezeichnen ist, ist bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, sodass ggf. eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. April 2006 und 16. April 2008 a.a.O.); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.

5. Bei Abwägung der Interessen beider Beteiligten überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin am Vollzug des Bescheides vom 6. März 2020 das Suspensivinteresse des Antragstellers. Die Entscheidungen der Antragsgegnerin im Rahmen der Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV sind aller Voraussicht nach rechtmäßig. Das SG hat in dem angefochtenen Beschluss im Einzelnen die entscheidungserheblichen Rechtsvorschriften sowie die dazu ergangene Rechtsprechung dargestellt und ausführlich dargelegt, warum die Antragsgegnerin die Versicherungspflicht der unter Ziff. 1 Genannten zu Recht festgestellt und entsprechende Beiträge festgesetzt haben dürfte. Der Senat nimmt Bezug auf die Begründung des SG in dem angefochtenen Beschluss und weist die Beschwerde des Antragstellers aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG), zumal die Beschwerde des Antragstellers vom 26. Mai 2020 trotz Ankündigung einer gesonderten Begründung und trotz Aufforderung und Fristsetzung durch den Senat durch Verfügung vom 29. Mai 2020 bis zum heutigen Tag unbegründet geblieben ist.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung, da weder der Antragsteller noch die Antragsgegnerin zum privilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Dabei hat der Senat im Hinblick auf das hiesige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Viertel der streitigen Beitragsforderung berücksichtigt (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 29. August 2011 - B 6 KA 18/11 R - juris Rdnr. 21 zur Höhe des Streitwertes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren; BSG, Beschluss vom 1. Juni 2006 - B 12 KR 34/05 B - juris Rdnr. 10 und Urteil vom 20. März 2013 - B 12 KR 7/11 R - juris Rdnr. 49 zur Höhe des Streitwertes bei einer Beitragsforderung; ferner BSG, Beschluss vom 10. Juni 2010 - B 2 U 4/10 B - juris Rdnrn. 14 ff. zur Berücksichtigung von Säumniszuschlägen bei der Wertberechnung).

7. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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