L 12 AS 1863/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 3182/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1863/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 381/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.12.2016 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger machte ursprünglich eine Untätigkeit seitens des Beklagten geltend und begehrt nun, den Beklagten zu verpflichten, an ihn Rechtsmittelkosten i.H.v. 31,80 EUR zu zahlen.

Der im Jahre 1966 geborene Kläger bezieht seit dem Jahre 2005 von dem Beklagten fortlaufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Der Kläger hat am 19.08.2016 Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben mit dem Begehren, den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch vom 07.01.2016 gegen den Bescheid vom 22.12.2015 zu entscheiden. Die begehrte Entscheidung traf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2016 und erkannte seine Pflicht zur Tragung der notwendigen außergerichtlichen Kosten grundsätzlich an. Der Kläger wurde in der Folgezeit vom Gericht mehrfach gebeten, das Anerkenntnis anzunehmen und die Hauptsache für erledigt zu erklären, weil er gegen den Widerspruchsbescheid bereits anderweitig Klage erhoben habe (Sozialgericht Düsseldorf S 23 AS 3553/16). Hierauf reagierte der Kläger nicht. Mit Schreiben vom 13.12.2016 hat das Sozialgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass das Gericht die weitere Rechtsverfolgung als mutwillig ansehen werde und beabsichtigt sei, ihm Gerichtskosten aufzuerlegen, wenn der Kläger bis zum 22.12.2016 keine Erledigungserklärung abgeben werde. Die Entscheidung würde dann per Gerichtsbescheid erfolgen. Dieses Schreiben ist dem Kläger am 14.12.2016 zugestellt worden. Eine Erledigungserklärung erfolgte nicht. Der Kläger trug im Wesentlichen vor, dass seine Rechtsmittelaufwendungen nicht erstattet worden seien und eine Kostenfestsetzung nicht erfolgt sei. Aus diesem Grund sei er beschwert. Das Verfahren könne er erst für erledigt erklären, wenn er von dem Beklagten so gestellt werde, als ob die widerrechtliche Verletzung nicht erfolgt sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.12.2016 abgewiesen und dem Kläger Gerichtskosten in Höhe von 150 EUR auferlegt. Die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers hat es dem Beklagten aufgelegt. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig, da keine Untätigkeit des Beklagten (mehr) vorliege. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Auf die Einzelheiten der Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 30.12.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.01.2017 Berufung eingelegt, welche zunächst unter dem Aktenzeichen L 12 AS 180/17 geführt wurde.

Mit Schreiben vom 13.03.2017 hat die Berichterstatterin die Beteiligten dazu angehört, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 153 Abs. 5 SGG auf sie zu übertragen. Ein Übertragungsbeschluss ist in der Folge nicht ergangen.

Am 19.07.2017 hat - ebenso wie in 11 weiteren Streitsachen des Klägers - eine mündliche Verhandlung stattgefunden, bei der der Senat mit der Berichterstatterin als Vorsitzende sowie zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt war. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung das Verfahren L 12 AS 180/17 für erledigt erklärt und eine Kostenentscheidung seitens des Gerichts beantragt.

Mit Telefax vom 20.07.2017 hat der Kläger "sofortige Beschwerde" eingelegt und erklärt, dass er dieses Verfahren für erledigt erklärt habe, weil die Vorsitzende Richterin ihm mehrfach gedroht habe, Gerichtskosten i.H.v. 150 EUR aufzuerlegen, wenn er die Untätigkeitsverfahren nach der Bescheidung durch den Beklagten nicht für erledigt erkläre. Daraufhin habe er u.a. dieses Untätigkeitsverfahren für erledigt erklärt und Kostenfestsetzung durch das Gericht beantragt. Das Verfahren sei aber nicht erledigt, er beantrage, so gestellt zu werden, als sei die Untätigkeit nicht eingetreten. Ihm seien seine Rechtsmittelkosten (Reisekosten zur Rechtsantragsstelle, Kopierkosten 0,15 EUR je Seite, Porto, Faxgebühren) zu erstatten. Die Berichterstatterin hat mit Beschluss vom 30.08.2017, dem Kläger zugestellt am 07.09.2017, entschieden, dass die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten haben. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 10.09.2017, u.a. das Verfahren L 12 AS 180/17 fortzusetzen. Das Verfahren ist am 04.10.2017 wiederaufgenommen worden (neues Aktenzeichen: L 12 AS 1863/17).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 09.10.2019 hat der Kläger folgende Erklärung abgegeben: "Ich sehe auch hier in dem Verfahren die Untätigkeit als erledigt an, mache aber Rechtsmittelkosten als Erstattungsanspruch gegen den Beklagten geltend in Höhe von 31,80 EUR. Ich sehe die Voraussetzungen für die Verschuldenskosten vom Sozialgericht nicht als gerechtfertigt an, denn ich habe erstinstanzlich schon darauf geantwortet, dass ich die Untätigkeit grundsätzlich für erledigt erklären könne, wenn ich so gestellt würde, als wäre die Untätigkeit nicht eingetreten und meine Kosten eben erstattet würden. Aus meiner Sicht ist das Verhalten des Richters rechtswidrig bzw. läge eher eine Mutwilligkeit seitens des Sozialgerichts vor."

Der Kläger beantragt sodann,

den Beklagten zu verpflichten, ihm Rechtsmittelkosten in Höhe von 31,80 EUR zu erstatten, und ferner die Entscheidung über die Verhängung der Verschuldenskosten seitens des Sozialgerichts Düsseldorf aufzuheben. Sofern diese nicht aufgehoben werde, beantragt er, dass die Verschuldenskosten dem Beklagten auferlegt werden. Er weist ferner darauf hin, dass er ggf. je nach Ausgang auch Schadensersatzansprüche geltend machen werde.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, § 158 S. 1 SGG.

Zwar war das ursprüngliche Verfahren auf den Antrag des Klägers fortzusetzen, auch wenn er dieses im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017 für erledigt erklärt hatte. Die Erledigungserklärung des Klägers war als Berufungsrücknahme im Sinne von § 156 Abs. 1 SGG zu werten (vgl. zur einseitigen Erledigungserklärung im sozialgerichtlichen Verfahren Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 102 Rn. 3). Der Kläger kann jedoch nach Auffassung des Senats in entsprechender Anwendung von § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 579 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht zulässig an der Prozesserklärung der Berufungsrücknahme festgehalten werden. In Rechtsprechung und Literatur besteht im Wesentlichen Einigkeit darin, dass Prozesshandlungen wie die Berufungs- oder Klagerücknahme grundsätzlich nicht nach Maßgabe der §§ 119ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechtbar sind, insofern also Irrtümer im Zusammenhang mit der Prozesserklärung ebenso unbeachtlich sind wie die von dem Kläger vermeintlich wahrgenommene "Drohung" (vgl. § 123 BGB) hinsichtlich der Verhängung von Verschuldenskosten (vgl. BSG Urteil vom 06.04.1960, 11/9 RV 214/57 juris Rn. 9; BSG Urteil vom 24.04.2003, B 11 AL 33/03 B juris Rn. 3; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 156 Rn. 2a; Fock in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 156 Rn. 5; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 102 SGG Rn. 39 m.w.N.). Eine Ausnahme wird nur dann angenommen, wenn die Voraussetzungen der §§ 179, 180 SGG i.V.m. §§ 579f ZPO in entsprechender Anwendung vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 08.05.1970, 7 RU 12/70 juris Rn. 6; BSG Urteil vom 14.06.1978, 9/10 RV 31/77 juris Rn. 12ff). Das ist hier der Fall, weil der Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts erfüllt ist. Der Senat war in der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2017 in der Zusammensetzung mit der Berichterstatterin als Vorsitzende und zwei ehrenamtlichen Richtern nicht vorschriftsmäßig besetzt, da es an dem für eine Übertragung nach § 153 Abs. 5 SGG erforderlichen Beschluss fehlt (vgl. hierzu auch BSG Beschlüsse vom 21.03.2019, B 14 AS 171/17 B bis B 14 AS 176/18 B, zu den in der mündlichen Verhandlung am 19.07.2017 in dieser Spruchkörperbesetzung entschiedenen Streitverfahren des Klägers). Vor diesem Hintergrund ist das ursprüngliche Berufungsverfahren nach Auffassung des Senats grundsätzlich fortzusetzen.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unzulässig, weil sie nach § 144 Abs. 4 SGG ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt, wobei mit "Verfahren" der laufende Rechtsstreit, d.h. das Gerichtsverfahren, gemeint ist (vgl. BSG Urteil vom 29.01.1998, B 12 KR 18/97 R juris Rn. 14 m.w.N.; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn. 48). Zu den Kosten des Verfahrens, über deren Erstattung das Gericht nach § 193 Abs. 1 SGG zu befinden hat, gehören die gesamten (außergerichtlichen) Kosten des Rechtsstreits (vgl. BSG Urteil vom 24.08.1976, 12/1 RA 105/75 juris Rn. 7 ff.; Urteil vom 20.10.2010, B 13 R 15/10 R juris Rn. 21 m.w.N.). Der Ausschluss nach Abs. 4 umfasst nicht nur die (allgemeine) Kostenentscheidung, sondern auch die spezielle Kostenvorschrift des § 192 SGG: Das heißt, die im Urteil enthaltene Entscheidung zur Auflegung von Kosten nach § 192 SGG in Höhe von 150 EUR kann ebenfalls nicht mit der Berufung angefochten werden (vgl. mit weiteren Nachweise hierzu: Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 144 Rn. 48).

Das im Berufungsverfahren verfolgte Begehren des Klägers betrifft vorliegend die Kosten des Verfahrens in diesem Sinne, nämlich die Erstattung seiner von ihm errechneten (außergerichtlichen) Rechtsmittelkosten i.H.v. 31,80 EUR, die Aufhebung der Verhängung der Verschuldenskosten seitens des Sozialgerichts Düsseldorf. Sofern diese nicht aufgehoben würden, begehrt der Kläger, dass diese dem Beklagten auferlegt werden. Der von dem Kläger errechnete Betrag setzt sich nach seinem eigenen Vortrag aus den Reisekosten zur Rechtsantragsstelle, den Kopierkosten für die Erstellung der Schriftsätze sowie Porto- und Faxkosten zusammen. Der Betrag steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem geführten Rechtsstreit. Die Erstattung seiner ihm durch die Untätigkeit des Beklagten entstandenen Kosten hat der Kläger im Berufungsverfahren letztlich von Anfang an verfolgt. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eindeutig erklärt, dass auch seiner Ansicht nach die Untätigkeit beseitigt und sein eigentliches Anliegen die Erstattung seiner Rechtsmittelkosten sei. Dies habe er nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung auch schon erstinstanzlich erklärt. Die von dem Kläger begehrte Erstattung zielt folglich darauf ab, dass seine außergerichtlich entstandenen Kosten i.H.v. 31,80 EUR von dem Beklagten übernommen werden. Dies ergibt sich daraus, wie bereits oben geschildert, dass der Kläger fortlaufend die Auffassung vertritt, ohne die Untätigkeit des Beklagten seien seine Kosten in genannter Höhe nicht entstanden. Des Weiteren wehrt er sich gegen die Verhängung der seitens des Sozialgerichts verhängten Mutwillenskosten. Die Vorschrift des § 144 Abs. 4 SGG dient jedoch auch der Prozessökonomie und soll "stets" das Rechtsmittel ausschließen, wenn es sich "nur" um die Kosten des Verfahrens - wie hier die außergerichtlichen Kosten und die Mutwillenskosten - handelt. Die Regelung soll außerdem verhindern, dass das Rechtsmittelgericht, die nicht angefochtene Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil davon letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt (BSG Beschluss vom 13.07.2004, B 2 U 84/04 B juris Rn. 13; LSG NRW Urteil vom 26.04.2012, L 9 SO 505/11 Rn. 26 m.w.N.).

Im Übrigen mangelt es für das Begehren der Feststellung von außergerichtlichen Kosten in einer bestimmten Höhe hier auch an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Diese Prozessvoraussetzung hat das Gericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und zu beachten (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage 2017, Vor § 51 Rn. 20). Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 27.12.2016 bereits entschieden, dass der Beklagte dem Grunde nach die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat. Insofern stellt ein Kostenfestsetzungsantrag nach § 197 Abs. 1 SGG den einfacheren, aber auch einzig möglichen Weg für die Festsetzung der Höhe der dem Kläger zu erstattenden Kosten dar. Für das Kostenfestsetzungsverfahren ist allein das Sozialgericht zuständig; zunächst der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und sodann, im Falle des § 197 Abs. 2 SGG, das Sozialgericht, das endgültig entscheidet. Für eine Überprüfung der festzusetzenden Kosten durch den Senat ist daher kein Raum.

Nur der Form halber weist der Senat darauf hin, dass er über (mögliche) Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten vorliegend nicht zu befinden hat, da der Kläger sich diese ausdrücklich vorbehalten und gerade nicht zur Entscheidung des Senates gestellt hat. Abgesehen davon, sieht es der Senat aber auch als zweifelhaft an, dass mit der Verfolgung der Rechtsmittelkosten in der Gestalt eines Schadensersatzanspruchs die gesetzliche Regelung des § 144 Abs. 4 SGG zu umgehen wäre. Denn Kern des Anliegens bleibt die begehrte Festsetzung von Rechtsmittelkosten i.H.v. 31,80 EUR gegen den Beklagten, d.h. die Erstattung der Kosten, die dem Kläger nach seinen Angaben als außergerichtliche Kosten im Sinne von § 193 Abs. 2 SGG entstanden sind. Entscheidend für die Anwendung des § 144 Abs. 4 SGG ist insofern aber allein, ob ausschließlich die Kosten des Verfahrens Gegenstand des Berufungsverfahrens sind (vgl. LSG NRW Urteil vom 26.04.2012, L 9 SO 505/11 Rn. 26 m.w.N.).

Der unter der Bedingung gestellte Antrag des Klägers, dem Beklagten die ihm verhängten Mutwillenskosten aufzuerlegen, wenn sie ihm gegenüber nicht aufgehoben würden, ist vom Senat ebenfalls nicht zu prüfen. Dem steht bereits die unzulässige Berufung entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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