L 7 AY 4273/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 4705/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 4273/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Dezember 2019 aufgehoben, soweit darin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Oktober 2019 angeordnet worden ist. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2019 wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs streitig.

Mit Bescheid vom 1. März 2019 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin und ihrem 2015 geborenen Kind V. ab dem 1. Januar 2019 bis auf Weiteres Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Hierbei legte sie bei der Antragstellerin einen Regelsatz von 424,00 EUR zugrunde. Mit Änderungsbescheid vom 4. Oktober 2019 änderte der Antragsgegner die Leistungsbewilligung ab dem 1. Oktober 2019 ab und bewilligte hinsichtlich des Regelbedarfs der Antragstellerin nur noch Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 (382,00 EUR monatlich). Hiergegen erhob die Antragstellerin am 31. Oktober 2019 Widerspruch mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 lägen bei ihr nicht vor, da sie zwar ihre Wohnung mit einer weiteren (zufälligen) Bewohnerin teilen müsse, sich hieraus jedoch keine Haushaltsgemeinschaft ergebe und auch keine finanziellen Einsparungen. Die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG sei verfassungswidrig. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2019 half der Antragsgegner dem Widerspruch insoweit ab, als für die Zeit vom 1. bis 31. Oktober 2019 Leistungen in Höhe von 1.216,42 EUR unter Zugrundelegung eines Regelbedarfs der Antragstellerin von 424,00 EUR gewährt wurden. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin nach den Angaben ihres Bevollmächtigten am 21. Januar 2020 Klage zum Sozialgericht Freiburg (S 9 AY 241/20) erhoben. Am 27. September 2019 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 29. Oktober 2019 gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2019 anzuordnen. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2019 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Oktober 2019 angeordnet. Es spreche viel dafür, dass der Bescheid vom 4. Oktober 2019 bereits wegen Verstoßes gegen die Übergangsvorschrift in § 15 AsylbLG rechtswidrig sei. Zudem bestünden gegen § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG gewisse verfassungsrechtliche Bedenken.

Gegen den am 10. Dezember 2019 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 20. Dezember 2019 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist auch im Übrigen zulässig. Ihr steht insbesondere nicht § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entgegen, wonach die Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Denn betroffen sind laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, nachdem die Bewilligung laufender Leistungen im Bescheid vom 4. Oktober 2019 nicht zeitlich begrenzt worden ist und deshalb in der Hauptsache die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig wäre.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet.

Der Senat lässt offen, ob die Beschwerde bereits deshalb begründet ist, weil die gegen den Widerspruchsbescheid vom 25. November 2019 erhobene Klage verfristet und der Widerspruchsbescheid deshalb bestandskräftig geworden sein könnte. Der Widerspruchsbescheid ist ausweislich des Einlieferungsbelegs am 25. November 2019 mit Einschreiben zur Post gegeben worden, allerdings adressiert an die Antragstellerin selbst und nicht an ihren Bevollmächtigten. Nach § 37 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden. Danach setzt die Zustellung an den Betroffenen grundsätzlich den Lauf der Klagefrist in Gang. Dem Bevollmächtigten der Antragstellerin - wie im Übrigen auch dem SG bei Erlass der angefochtenen Entscheidung - war zudem bekannt, dass der Widerspruchsbescheid bereits erlassen worden war. Denn der Antragsgegner hat mit am 4. Dezember 2019 beim SG eingegangenen Schreiben mitgeteilt, dass mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2019 (S. 411 der Verwaltungsakten) über den Widerspruch entschieden worden sei.

Unbeachtlich ist weiter, dass zwischenzeitlich Klage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. November 2019 erhoben worden ist. Denn die Wirkung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht dauert bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung an, also auch während des Rechtsmittelverfahrens, solange die Anordnung nicht aufgehoben ist (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 19; Burkiczak in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, Stand 3. Februar 2020, § 86b Rdnr. 93). Es ist deshalb - wie vorliegend - möglich, dass das SG noch über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs entschieden hat, während im Beschwerdeverfahren dann über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu entscheiden ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - L 3 KA 83/16 B ER - juris Rdnrn. 6 ff.).

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Vorliegend kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Betracht. Denn das Begehren der Antragstellerin ist in der Sache darauf gerichtet, die durch den Bescheid vom 1. März 2019 ohne zeitliche Einschränkung und auf Dauer (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juli 2019 – L 7 AY 1783/19 ER-B – juris Rdnr. 2 m.w.N.) unter Berücksichtigung des Regelbedarfs nach Regelbedarfsstufe 1 bewilligte Leistungen von monatlich 424,00 EUR zu erhalten. Dem Widerspruch kommt vorliegend keine aufschiebende Wirkung im Sinne des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG zu. Vielmehr bedarf es wegen des durch bundesgesetzliche Regelung vorgeschriebenen Entfallens der aufschiebenden Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG) einer gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung.

Da § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG selbst keinen Maßstab vorgibt, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, ist diese Lücke durch eine entsprechende Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - juris Rdnr. 4). Erforderlich ist mithin eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschluss vom 12. April 2006 L 7 AS 1196/06 ER-B - juris Rdnr. 4). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs; dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon BSGE 4, 151, 155; vgl. ferner Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 30. Oktober 2009 - 1 BvR 2395/09 - juris Rdnr. 7). Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGG, in denen - wie hier - der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist die Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten; die Anordnung muss deshalb eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller, a.a.O., § 86b Rdnr. 12c; Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 86b Rdnr. 104). Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers sind mithin regelmäßig nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (arg. § 86a Abs. 2 Satz 2 SGG; vgl. Senatsbeschluss vom 16. April 2008 a.a.O.).

Bei Abwägung der Interessen beider Beteiligten überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse des Antragsgegners am Vollzug des Bescheids vom 4. Oktober 2019 das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Der Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 4. Oktober 2019.

Zunächst begründet der Umstand, dass der Antragsgegner entgegen seiner Verpflichtung nach § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) die Antragstellerin vor Erlass des Bescheids vom 11. Oktober 2019 nicht angehört hat, keine durchgreifenden Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Die fehlende Anhörung ist bisher nicht nach § 41 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 VwVfG nachgeholt worden (vgl. zum Verfahren der Nachholung BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 - juris Rdnr. 19; BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - juris Rdnr. 14; Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 144/10 R - juris Rdnr. 21; Urteil vom 20. Dezember 2012 - B 10 LW 2/11 R - juris Rdnr. 39; Urteil vom 6. April 2006 - B 7a AL 64/05 R - juris Rdnr. 15). Damit liegt zwar eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift vor. Jedoch ist die Regelung des § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG über die Heilung von Verfahrensfehlern zu beachten, nach der die erforderliche Anhörung der Antragstellerin bis zur letzten Tatsacheninstanz des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Solange eine solche Heilung noch möglich ist, liegt keine endgültige Rechtsverletzung und damit auch keine hinreichende Erfolgsaussicht in der Hauptsache vor. Im einstweiligen Rechtsschutz würde ansonsten eine Position eingeräumt, die sich im Laufe des weiteren Hauptsacheverfahrens ohne Einfluss auf die materielle Rechtsposition beseitigen ließe. Jedenfalls ist der Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs nicht überwiegend wahrscheinlich, sodass im Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG bei der vorliegend bestehenden Heilungsmöglichkeit keine aufschiebende Wirkung anzuordnen ist (bspw. Bayerisches LSG, Beschluss vom 31. Juli 2015 - L 7 R 506/15 B ER - juris Rdnr. 28 ff.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 12. März 2002 - L 1 B 27/01 KR-ER - juris Rdnr. 26.; Binder in Hk-SGG, 5. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 19; Keller, a.a.O., § 86b Rdnr. 12f).

Der Antragsgegner dürfte gem. § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X berechtigt gewesen sein, die Leistungen für die Zeit ab dem 1. November 2019 abweichend von den durch Bescheid vom 1. März 2019 bewilligten Leistungen neu festzusetzen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die erforderliche wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen ist dadurch eingetreten, dass der Gesetzgeber durch Gesetz vom 13. August 2019 (BGBl. I, S. 1290) mit Wirkung zum 1. September 2019 u.a. § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG eingeführt hat. Danach findet § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) i.V.m. dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) und den §§ 28a, 40 SGB XII auf Analog-Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XII mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass 1. bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Abs. 1 AsylG für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird. Dementsprechend hat die in einer Gemeinschaftsunterkunft i.S.d. § 53 Abs. 1 AsylG untergebrachte Antragstellerin in der hier streitigen Zeit einen gesetzlichen Anspruch auf Analog-Leistungen nur unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs nach Regelbedarfsstufe 2 und nicht mehr - wie nach der bis zum 31. August 2019 maßgeblichen Rechtslage - nach Regelbedarfsstufe 1. Insofern findet die durch das Gesetz vom 21. August 2019 (BGBl. I, S. 1294) mit Wirkung zum 21. August 2019 eingeführte Übergangsvorschrift des § 15 AsylbLG keine Anwendung (so auch SG Landshut, Beschluss vom 24. Oktober 2019 - S 11 AY 64/19 ER - juris Rdnr. 50; Korff in BeckOK Sozialrecht, Stand 1. Dezember 2019, § 15 AsylbLG Rdnr. 1; Oppermann in jurisPK-SGB XII, Stand 1. Februar 2020, § 15 Rdnrn. 1, 7, 12 ff.). Danach ist für Leistungsberechtigte des AsylbLG, auf die bis zum 21. August 2019 gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG das SGB XII entsprechend anzuwenden war, § 2 des AsylbLG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2541; 2019 I, S. 162) geändert worden ist, weiter anzuwenden. Diese Übergangsvorschrift wurde durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht eingefügt und wollte im Hinblick auf die dort mit Wirkung zum 21. August 2019 erfolgte Verlängerung der Vorbezugszeit von 15 auf 18 Monate die bisherigen Analog-Leistungsberechtigten mit der Vorbezugszeit von 15 Monaten privilegieren. Dagegen wurde § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 13. August 2019 (BGBl. I, S. 1290) erst mit Wirkung zum 1. September 2019 eingeführt. Insofern hat der Gesetzgeber keine Übergangsvorschrift vorgesehen, sodass diese Gesetzesänderung mit ihrem Inkrafttreten auch Wirkung für bereits im Leistungsbezug stehende Analog-Leistungsberechtigte entfaltet. Somit hat der Antragsgegner in der hier streitigen Zeit bei der Leistungsberechnung einen Regelbedarf nach Regelbedarfsstufe 2 (382,00 EUR anstatt 424,00 EUR bzw. ab 1. Januar 2020 389,00 EUR anstatt 432,00 EUR) zu berücksichtigen, was er auch so umgesetzt hat.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Dies gilt schon deswegen, weil die Fachgerichte auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht befugt sind, sich durch die Kreierung eines vom Gesetzgeber nicht geschaffenen Anspruchs aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 7. November 2005 - 1 BvR 1178/05 - BVerfGK 6, 323 - juris Rdnr. 11). Sie sind vielmehr, wenn sie von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt sind, auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2005 - 1 BvR 1178/05 - BVerfGK 6, 323 - juris Rdnr. 11). Den Gerichten ist es insbesondere nicht gestattet, den zuständigen Träger allein auf der Grundlage von Verfassungsrecht, hier also des "Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums" (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175; BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134) zur Leistungsgewährung zu verpflichten (BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2010 - 1 BvR 2037/10 - (n.v.); Beschluss des Senats vom 27. Oktober 2011 - L 7 AY 3998/11 ER-B - juris Rdnr. 7; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 - L 7 SO 4027/18 ER-B - juris Rdnr. 38).

Zudem ist der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit des mit Wirkung zum 1. September 2019 eingefügten § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG überzeugt. Der Gesetzgeber hat unter Berufung auf den ihm grundsätzlich eingeräumten Gestaltungsspielraum § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG als Folgeänderung zu den Neuregelungen in § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Nr. 3a sowie in Abs. 2 Nr. 2b und Nr. 3a AsylbLG eingeführt (dazu und zum Folgenden BT-Drs. 19/10052, S. 19 f.). Darin wird eine besondere Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte eingeführt, die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder vergleichbaren sonstigen Unterkünften (Sammelunterkünfte) untergebracht sind. § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG überträgt die spezielle Bedarfsstufe für Erwachsene in Sammelunterkünften auf Bezieher von Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Die Änderung sah der Gesetzgeber als erforderlich an, da für die Bezieher von Analog-Leistungen über § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 28, 28a und 40 SGB XII die Regelbedarfsstufen des RBEG entsprechend gelten. Das RBEG kennt keine spezielle Regelbedarfsstufe für Personen in Sammelunterkünften. Die mit der Unterbringung in Sammelunterkünften verbundenen Einspareffekte, die in den ersten 15 Monaten die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 rechtfertigen, bestehen nach Auffassung des Gesetzgebers auch nach Ablauf der Wartefrist von nunmehr 18 Monaten fort. Für die Leistungsberechtigten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, die in dieser Wohnform leben, hat der Gesetzgeber deshalb - abweichend vom SGB XII und vom RBEG - eine "Sonderbedarfsstufe" auf dem Niveau der Regelbedarfsstufe 2 (90 % der Regelbedarfsstufe 1) geschaffen. Diese Einschätzung ist jedenfalls nicht evident verfassungswidrig und vermag von Verfassungs wegen keinen höheren Leistungsanspruch zu begründen, zumal die Antragstellerin keinerlei in ihrer Person liegende Gründe vorgebracht hat, aus denen die ihr gewährten Leistungen nicht zur Sicherung ihres Existenzminimums genügen sollen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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