L 7 SO 283/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 1355/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 283/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. November 2018 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 3. Mai 2018 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Kostenersatzanspruch des Beklagten für erbrachte Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August 2017 in Höhe von 802,60 Euro.

Die Klägerin ist examinierte Krankenschwester und seit Mitte der 90er Jahre als Berufsbetreuerin tätig. Auf Grundlage der Bestellungsurkunde des Notariats Balingen III – Betreuungsgericht – vom 20. Juni 2017 betreut sie die 1965 geborene V. C. (zukünftig nur noch C.) insbesondere in persönlichen Angelegenheiten und vermögensrechtlichen Angelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Renten-, Unterhalts- und Sozialhilfeansprüchen und sonstiger Versorgungsangelegenheiten. C. leidet ausweislich einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. M. vom 18. November 2017 für den Rentenversicherungsträger an einer chronischen psychischen Erkrankung im Sinne einer paranoiden Schizophrenie mit Rest- und Defektzustand sowie an Untergewicht bei verminderter Nahrungsaufnahme im Zusammenhang mit psychotischen Gedanken.

Am 10. Juli 2017 beantragte die Klägerin per E-Mail beim Beklagten für C. die Gewährung von "Leistungen nach den Bestimmungen des SGB XII". Aufgrund des eingeschränkten gesundheitlichen Zustandes der Betreuten und des derzeitigen stationären Aufenthaltes in R. habe sie sich noch keinen vollständigen abschließenden Überblick über die wirtschaftliche Situation der Betreuten verschaffen können. Nach derzeitigem Kenntnisstand liege völlige Mittellosigkeit vor. Nach einem Schreiben des Gerichtsvollziehers an die C. vom 29. Juni 2017 würden rückständige Beiträge für die freiwillige Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung der AOK in Höhe von 5575,94 Euro eingefordert. Insoweit werde rein vorsorglich auch die darlehensweise Übernahme der rückständigen Beiträge beantragt. Hilfsweise werde die Übernahme der anfallenden Krankenhauskosten für die derzeit laufende stationäre Behandlung beantragt. In dem der Klägerin vom Beklagten mit Schreiben vom 31. Juli 2017 zurückgesandten Antragsformular auf Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, das von der Klägerin mit Datum vom 10. Juli 2017 unterzeichnet wurde und am 3. August 2017 bei dem Beklagten wieder einging, verwies sie zur Begründung des Antrags auf eine völlige Antriebslosigkeit der C. und führte aus, dass diese aufgrund der seelischen Erkrankung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten könne und seit Jahren im Haushalt der Mutter von dieser versorgt worden sei. Zum Einkommen der C. gab die Klägerin an, dass diese über keinerlei Einkommen verfüge und bislang vom Einkommen der Mutter gelebt habe.

Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 4. September 2017 unter anderem mit, dass er ein Ersuchen nach § 45 SGB XII bei der Deutschen Rentenversicherung zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit stellen werde. Die in diesem Zusammenhang angeforderte Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht sowie weitere angeforderte Angaben und Unterlagen reichte die Klägerin am 11. September 2017 beim Beklagten ein.

Mit Schreiben vom 28. September 2017 bat der Beklagte bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg um Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII. Der Klägerin teilte er mit Schreiben desselben Tages mit, dass gemäß § 41 Abs. 1 SGB XII Personen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hätten, bei denen eine dauerhafte volle Erwerbsminderung festgestellt worden sei. Solange über das Ersuchen bei der Deutschen Rentenversicherung zur Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung noch nicht entschieden worden sei, könne über den Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII nicht abschließend entschieden werden. Da bisher davon ausgegangen werden müsse, dass C. erwerbsfähig sei, werde die Klägerin gebeten, umgehend einen Antrag auf Grundsicherung für Arbeitsuchende beim Jobcenter zu stellen.

Durch die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg wurde dem Beklagten das Bestehen einer Erwerbsminderung zumindest seit 15. Juli 2016 mitgeteilt (Schreiben vom 14. November 2017). Über den eingegangenen Rentenantrag wegen Erwerbsminderung sei noch nicht entschieden. Des Weiteren übersandte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg dem Beklagten einen Versicherungsverlauf vom 21. November 2017 für C.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2018 bewilligte der Beklagte der C. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 832,96 Euro monatlich ab dem 1. Juli 2017 bis 28. Februar 2018. Mit Änderungsbescheid vom 18. Januar 2018 setzte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 2018 auf 845,30 Euro neu fest.

Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg bewilligte der C. mit Bescheid vom 27. Februar 2018 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. September 2017 auf Dauer in Höhe von 401,30 Euro mit einem monatlichen Zahlbetrag von 356,76 Euro. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 15. Juli 2016 erfüllt. Die Rente werde ab dem Antragsmonat geleistet, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien.

Der Beklagte meldete daraufhin die von ihm erbrachten Leistungen für die Zeit vom 1. September 2017 bis 28. Februar 2018 bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg zur Erstattung an. Ferner beantragte der Beklagte eine Überprüfung des Zeitpunkts des Rentenbeginns, weil C. schon zum 1. Februar 2017 einen Rentenanspruch gehabt habe.

Auf die Frage des Beklagten nach den Gründen für eine verspätete Rentenantragstellung teilte die Klägerin mit Schreiben vom 12. März 2018 mit, im Sozialhilfeantrag vom 10. Juli 2017 sei angegeben worden, dass kein Rentenantrag gestellt worden sei. Dem Beklagten sei dieser Umstand bekannt gewesen und der Klägerin erst am 4. September 2017 mitgeteilt worden, dass der Beklagte ein Ersuchen nach § 45 SGB XII bei der Deutschen Rentenversicherung stellen werde. Den ihr übersandten Vordruck (Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht) habe sie für die Betreute unterschrieben und dem Beklagten am 8. September 2017 wieder übersandt. In diesem Zusammenhang sei dann der Rentenantrag gestellt worden, dem ab September 2017 entsprochen worden sei. Eines Widerspruchs bedürfe es insoweit nicht.

Mit Schreiben vom 14. März 2018 hörte der Beklagte die Klägerin zu einer Rückforderung entgangener Rentenansprüche vom 1. Juli bis 31. August 2017 in Höhe von jeweils 376,56 Euro an. Der Aufgabenkreis der Klägerin als Betreuerin von C. umfasse unter anderem die Geltendmachung von Rentenansprüchen. Insoweit sei es Aufgabe der Klägerin prüfen zu lassen, ob und in welcher Höhe ein Rentenanspruch bestehe. Insoweit sei die Klägerin auch zur rechtzeitigen Rentenantragstellung verpflichtet. Die Tatsache, dass sie im Sozialhilfeantrag angegeben habe, dass kein Rentenantrag gestellt worden sei, zeige eindeutig, dass vorrangige Sozialleistungen nicht beantragt worden seien.

Die Klägerin verwies auf ihr Schreiben vom 12. März 2018.

Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 16. April 2018 mit, dass die Rente rechtmäßig am 1. September 2017 beginne, weil eine formlose Rentenantragstellung nicht innerhalb der 3-Monats-Frist nach Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen erfolgt sei.

Mit Bescheid vom 20. April 2018 machte der Beklagte gegen die Klägerin gestützt auf § 103 SGB XII einen Ersatzanspruch in Höhe von 802,60 Euro geltend. Mit Bescheid vom 3. Januar 2018 seien der Betreuten der Klägerin Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für den Zeitraum 1. Juli 2017 bis 28. Februar 2018 bewilligt worden. Im Antrag habe die Klägerin angegeben gehabt, dass für die Betreute keine vorrangigen Sozialleistungen beantragt worden seien. Für den Beklagten sei bei der Entscheidung über den Grundsicherungsanspruch nicht erkennbar gewesen, dass C. bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt habe. Aufgrund der gemäß § 2 SGB XII vorrangig zur Bedarfsdeckung einzusetzenden Rente hätte C. jedoch ein deutlich geringerer Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zugestanden. Es ergebe sich eine Überzahlung an Grundsicherungsleistungen für die Monate Juli und August 2017 in Höhe von jeweils 401,30 Euro. Die Geltendmachung von vorrangigen Rentenansprüchen für die C. zähle zu den Aufgaben als gesetzliche Betreuerin der C., was aus der Bestellungsurkunde vom 20. Juni 2017 hervorgehe. Die Überzahlung der Sozialhilfeleistungen sei dadurch entstanden, dass nicht rechtzeitig ein Antrag auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die C. gestellt worden sei. Es sei Aufgabe der Klägerin zu prüfen, wann die Betreute einen Rentenanspruch habe und dieser verwirklicht werden könne. Sämtliche Unterlagen, die die Zeiten der Erwerbstätigkeit der Betreuten beträfen, müssten der Klägerin vorliegen. Insoweit hätte sie sich beim Rentenversicherungsträger erkundigen können, ab wann der C. ein solcher Rentenanspruch zustehe und einen entsprechenden Versicherungsverlauf beim Rentenversicherungsträger anfordern müssen. Es sei grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin gegeben. Sie habe den Rentenantrag erst am 18. September 2017 gestellt, so dass der C. erst ab dem 1. September 2017 Rente bewilligt worden sei. Es sei nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, etwaige Rentenansprüche des Hilfeempfängers zu erahnen. Sofern ein Betreuer eingesetzt sei, sei dieser verpflichtet, die vorrangigen Ansprüche auf andere Sozialleistungen seines Betreuten zu verwirklichen. Die Klägerin habe die Frage nach der Beantragung einer vorrangigen Sozialleistung wie der Rente im Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen verneint, obwohl ein vorrangiger Rentenanspruch bestanden habe. Die versäumte Rentenantragstellung sei daher von der Klägerin zu vertreten, da der Rentenantrag nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Dem Beklagten sei ein Vermögensschaden in Höhe der Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum von Juli bis August 2017 in Höhe von 802,60 Euro entstanden. Weder tatsächliche noch rechtliche Gründe hätten der Rentenantragstellung entgegengestanden.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 26. April 2018 Widerspruch ein. Der geltend gemachte Kostenersatz könne in Fällen von Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII wegen der vorrangigen Vorschrift des § 41 Abs. 4 SGB XII nicht gefordert werden. Im Übrigen seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 103 SGB XII nicht gegeben. Weder die C. noch sie, die Klägerin, als Betreuerin hätten die Grundsicherungsleistungen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt. Im Übrigen verwies sie erneut auf ihre Ausführungen im Schreiben vom 12. März 2018.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zum Kostenersatz nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sei verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt habe. Die Gewährung der Grundsicherungsleistungen sei vorliegend rechtmäßig gewesen, weswegen kein Fall von § 41 Abs. 4 SGB XII vorliege. § 103 SGB XII ermögliche die Rückabwicklung von Sozialhilfefällen, in denen es als unbillig erscheinen würde, wenn die Solidargemeinschaft endgültig für die Kosten der Sozialhilfeleistungen aufkommen müsste. Die Rückabwicklung erfolge im vorliegenden Fall für die Konstellation, dass die Leistungserbringung leistungsrechtlich rechtmäßig gewesen sei und daher eine Rückabwicklung über die §§ 45, 48, 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) von vornherein ausscheide. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII könne ersatzpflichtig auch sein, wer hilfebedürftig werde, weil er vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht genügend unternehme, um andere Geldleistungen, auf die er einen Anspruch habe und die er auch erhalten würde, zu erlangen. Dies sei vorliegend der Fall. Die Klägerin habe für ihre Betreute Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beantragt. Ihr sei in dieser Funktion bekannt, dass vorrangige Geldleistungen zu beantragen seien, worauf sie auch durch den Formantrag, wo dieses abgefragt werde, aufmerksam gemacht worden sei. Die Klägerin habe dies explizit mit "nein" gegeben, wobei ihr spätestens hätte klar sein müssen, dass ein Rentenantrag zu stellen sei. Es liege auch ein schuldhaftes Verhalten vor. Die Klägerin sei seit Jahren Berufsbetreuerin. Sie kenne also die Pflicht, alle vorrangigen Ansprüche gemäß § 2 SGB XII zu realisieren, weshalb zumindest grobe Fahrlässigkeit vorliege.

Am 4. Juni 2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben. Der Beschluss über die Bestellung zur gesetzlichen Betreuerin der C. sei ihr am 26. Juni 2017 zugegangen. Am 10. Juli 2017 habe sie formlos beim Beklagten für die betreute C. einen Antrag auf Leistungen gemäß SGB XII veranlasst. Das beklagtenseits am 31. Juli 2017 übersandte Formular zum Sozialhilfegrundantrag sei ausgefüllt und einschließlich Anlagen am 2. August 2017 an den Beklagten rückübermittelt worden. Darin sei der Hinweis erfolgt, dass der Rentenversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeit bislang nicht festgestellt habe und eine Rente bislang nicht beantragt worden sei. Nahezu zwei Monate nach erfolgter Antragstellung seien vom Beklagten mit Schreiben vom 4. September 2017 weitere Unterlagen angefordert worden. Mit Schreiben vom 28. September 2017 habe der Beklagte die Klägerin zur Stellung eines Antrags für die Betreute beim Jobcenter auf Gewährung von Leistungen gemäß SGB II aufgefordert. Somit sei der Beklagte selbst im Monat September 2017 vom Vorliegen einer Erwerbsfähigkeit bei der Betreuten ausgegangen. Zudem sei ausweislich einer ärztlichen Stellungnahme des Fachkrankenhauses R. vom 15. Mai 2017 – gerichtet an das Betreuungsgericht – bei der Betreuten davon auszugehen gewesen, dass bei adäquater und durchgehender psychiatrischer Behandlung mit fortlaufender und korrekter Medikamenteneinnahme bzw. -verabreichung durchaus eine Verbesserung der bestehenden Erkrankung der Betreuten erreicht werden könne. Sonach seien für die Klägerin zumindest im Zeitraum während des stationären Aufenthaltes der C. keinerlei Anhaltspunkte in tatsächlicher Hinsicht für das etwaige Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen für eine Erwerbsunfähigkeitsrente der Betreuten gegeben gewesen. Nachdem die Betreute am 11. September 2017 aus der stationären Behandlung entlassen worden sei, sei beim unmittelbar anschließenden Hausbesuch der Klägerin bei der C. für sie erstmals ersichtlich gewesen, dass es der Betreuten künftig kaum möglich sein dürfte, eine Arbeitsstelle anzutreten, um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Entsprechend sei klägerseits zeitnah am 13. September 2017 ein formloser Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg für die C. gestellt worden. Aufgrund des seit Beginn des Betreuungsverhältnisses bestehenden stationären Aufenthaltes der C. sei es ihr, der Klägerin, in tatsächlicher Hinsicht unmöglich gewesen, die notwendigen Voraussetzungen für eine etwaige Erwerbsunfähigkeit bei der Betreuten zu einem früheren Zeitpunkt festzustellen. Die Klägerin sei ihren Betreuerpflichten stets vollumfänglich nachgekommen. Ergänzend hat die Klägerin geltend gemacht, dass der Beklagte der gesetzlichen Beratungs- und Hinweispflicht nicht nachgekommen sei, insbesondere nicht darauf hingewiesen habe, dass im Fall der C. möglicherweise bereits die Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente vorlägen und eine entsprechende Antragstellung erfolgen sollte.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, aufgrund des Alters der C. seien lediglich Leistungen für den Fall der Erwerbsminderung infrage gekommen. Der Klägerin sei in ihrer Funktion als Berufsbetreuerin bekannt gewesen, dass vorrangige Geldleistungen zu beantragen seien, worauf diese auch durch den Formantrag aufmerksam gemacht worden sei. Spätestens zu dieser Zeit habe ihr klar sein müssen, dass ein Rentenantrag zu stellen sei. Das Vorbringen, dass allein der stationäre Aufenthalt Grund für die Antragstellung beim Sozialamt und nicht beim Jobcenter gewesen sei, greife nicht, da der Aufenthalt nach den Angaben der Klägerin lediglich drei Monate betragen habe. In diesem Fall wäre bei einer vorliegenden Erwerbsfähigkeit das Jobcenter zuständig gewesen. Die Antragstellung beim Sozialamt weise aber darauf hin, dass man gerade nicht von einer Erwerbsfähigkeit ausgegangen sei. Darüber hinaus hätte die Klägerin auch während des stationären Aufenthalts erkennen müssen, dass gerade keine Erwerbsfähigkeit vorliege.

Mit Urteil vom 20. November 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zum Zeitpunkt der Betreuerbestellung seien bereits über drei Monate seit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen auf Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt gewesen seien, verstrichen, weshalb nur noch eine Rentengewährung ab dem Monat der Rentenantragstellung in Betracht gekommen sei. Diese wäre aber ab Juni 2017 möglich gewesen. Durch die erst im September 2017 vorgenommene Rentenantragstellung habe die Klägerin mithin herbeigeführt, dass der Betreuten in Höhe von 802,60 Euro Grundsicherung habe bewilligt werden müssen. Die Klägerin habe hinsichtlich der Unterlassung der Rentenantragstellung im Juli 2017 grob fahrlässig gehandelt. Sie habe nicht beachtet, was auf der Hand gelegen habe. Ihr hätte sich alsbald nach ihrer Bestellung zur Betreuerin aufdrängen müssen, dass umgehend eine Rente wegen Erwerbsminderung zu beantragen gewesen sei. Ein Rentenantrag sei nicht erst angezeigt, wenn Gewissheit über das Vorliegen einer Erwerbsminderung bestehe. Es reiche aus, dass das Vorliegen der Erwerbsminderung wahrscheinlich sei. Berufsbetreuer seien regelmäßig gehalten, alle mit Wahrscheinlichkeit in Betracht kommenden Leistungen zu beantragen. Dass C. wahrscheinlich erwerbsgemindert sei, habe zum Zeitpunkt der Bestellung zur Betreuerin auf der Hand gelegen, wofür schon die Betreuerbestellung an sich gesprochen habe. Das erhebliche Ausmaß der psychischen Erkrankung der C. werde durch die Notwendigkeit der Bestellung einer Betreuerin klar belegt. Für eine schwerwiegende Erkrankung habe auch die zum Zeitpunkt der Betreuerbestellung schon mehrwöchige stationäre Behandlung mit damals noch unbekanntem Ende gesprochen. Weitere Gesichtspunkte seien der Umstand, dass C. schon über mehrere Jahre keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt habe und auch im Vorfeld der stationären Behandlung schon erheblich psychisch auffällig gewesen sei. Zudem ergebe sich aus dem Umstand, dass sich die Klägerin wegen Grundsicherungsleistungen an den für erwerbsgeminderte Hilfebedürftige zuständigen Beklagten und nicht an das für erwerbsfähige Hilfebedürftige zuständige Jobcenter gewandt habe, dass die Klägerin tatsächlich schon spätestens im Juli 2017 vom wahrscheinlichen Vorliegen einer Erwerbsminderung ausgegangen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht auf eine fehlerhafte Beratung des Beklagten oder einen vom Beklagten selbst nicht gestellten Antrag auf eine Rente berufen. Die Beantragung der Rente sei Aufgabe der Klägerin – auch und gerade deswegen sei sie zur Betreuerin bestellt worden. Da die Klägerin seit Jahren Berufsbetreuerin sei, habe auch keine Notwendigkeit zu einer weitergehenden Beratung bestanden. Im Übrigen habe der Beklagte nach Eingang des Formularantrags die Klägerin noch innerhalb der üblichen Bearbeitungsfristen ausdrücklich aufgefordert, einen Rentenantrag zu stellen. Zudem hätte die Klägerin die C. auch schon während des stationären Aufenthalts aufsuchen und sich ein Bild von ihr machen können. Falls sie das nicht getan habe, werte die Kammer auch dies als grob fahrlässiges Verhalten.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 22. Dezember 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Januar 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe die vorliegenden Tatsachen unzutreffend berücksichtigt. Sie habe zeitnah nach Erhalt der Bestallungsurkunde vom 26. Juni 2017 persönlichen Kontakt zur Betreuten und den behandelnden Ärzten im Fachkrankenhaus R. aufgenommen. Dort habe sie die Information erhalten, dass die C. am 6. Mai 2017 erstmalig auf der akutpsychiatrischen Station des Hospital aufgenommen worden sei. Weiter sei ihr seitens der behandelnden Ärzte vermittelt worden, dass für die C. eine Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeit in Form einer medikamentösen und gesprächszentrierten Therapie zur Verfügung gestanden habe unter der Bedingung, dass künftig die regelmäßige Einnahme von Medikamenten sichergestellt werden könne. Aufgrund der ärztlichen Angaben seien für die Klägerin zu Beginn der Betreuung in tatsächlicher Hinsicht keinerlei Anhaltspunkte für eine etwaige Ausnahme von dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" erkennbar gewesen. Im Gegenteil habe es auf der Hand gelegen, dass mittels einer medizinischen Rehabilitation zunächst eine Eingliederung in den Arbeitsprozess erfolgen sollte, bevor eine etwaige Rentenantragstellung oder -bezug erfolgen würde. Darüber hinaus übersehe das SG, dass Betreuungsbedürftigkeit keinesfalls mit Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen sei. Des Weiteren bedeute der vom Betreuungsgericht angeordnete Aufgabenkreis nicht zwangsläufig, dass ein Rentenantrag von der Klägerin zu stellen sei. Die exemplarische Aufzählung in der Bestellungsurkunde vom 20. Juni 2017 bedeute letztendlich nur die Einengung dieses Aufgabenkreises der vermögensrechtlichen Angelegenheiten auf die Geltendmachung von Renten- und/oder Sozialhilfeansprüchen. Nach Übernahme der Betreuung sei am 10. Juli 2017 die formlose Antragstellung beim Beklagten auf Bewilligung von SGB XII-Leistungen erfolgt, insbesondere vor dem Hintergrund eines bereits seit Mai 2017 vorliegenden stationären Aufenthalts der C. bei gleichzeitig nicht vorhandenem Krankenversicherungsschutz. Nach Ansicht der Klägerin könne eine Kostenübernahme eines Krankenhausaufenthaltes bei fehlender Krankenversicherung nicht durch SGB II, sondern ausschließlich durch SGB XII erreicht werden. Nur deshalb sei die Antragstellung beim Beklagten und nicht beim Jobcenter erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. November 2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass der Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" für die vorliegende Beurteilung völlig irrelevant sei. Richtig sei, dass ein dauerhafter Ausstieg aus dem Erwerbsleben zu verhindern sei, jedoch ändere dies nichts am tatsächlichen Vorliegen einer Erwerbsminderung, sei diese nunmehr dauerhaft oder auch nur befristet. Dies sei bei der Wahrnehmung der Aufgaben als Betreuerin zu berücksichtigen. Zudem weise die Aufgabenzuweisung "Rentenantragstellung" genau darauf hin, dass eine solche durch den Betreuer in Betracht zu ziehen sei. Da die Klägerin einen SGB XII-Antrag gestellt habe, sei für sie als Berufsbetreuerin klar gewesen, dass die Möglichkeit einer Erwerbsminderung bestehe, sonst hätte sie einen SGB II-Antrag gestellt. Der Vortrag, dass kein SGB II-Antrag gestellt worden sei, da eine stationäre Unterbringung vorgelegen habe und allein über SGB XII-Leistungen der Krankenversicherungsschutz gewährleistet würde, sei eine reine Schutzbehauptung und unrichtig, da bei einem SGB II-Leistungsbezug eine Pflichtversicherung bei der Kranken- und Pflegeversicherung ausgelöst werde. Anderenfalls wäre die Übernahme der freiwilligen Beiträge der Kranken- und Pflegeversicherung möglich gewesen. Dieses Wissen sei bei einer Berufsbetreuerin vorauszusetzen. Zudem spreche in diesem Einzelfall die Betreuerbestellung durchaus für die Möglichkeit des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit, vor allem vor dem Hintergrund, dass bereits seit etlichen Jahren psychische Probleme bestanden hätten. Dass dies nicht bekannt gewesen sei, spreche dafür, dass gerade keine zeitnahe persönliche Kontaktaufnahme mit der Betreuten und den entsprechenden Ärzten stattgefunden habe. Ein dringender Beratungsbedarf der Klägerin als Berufsbetreuerin sei offenkundig zu verneinen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Die Berufung ist auch begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der (Leistungs-)Bescheid des Beklagten vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018, mit dem der Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 802,60 Euro als Kostenersatz für die Betreute C. in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August 2017 erbrachter Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII geltend macht. Die dagegen von der Klägerin erhobene statthafte reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) hat das SG mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 SGG). Für die durch den Beklagten verfügte Heranziehung der Klägerin zum Kostenersatz greift eine Rechtsgrundlage nicht ein.

Als Rechtsgrundlage für den vom Beklagten geltend gemachten Kostenersatz kommt vorliegend ausschließlich § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Betracht.

Gemäß § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat. Nach Satz 2 der Vorschrift ist zum Kostenersatz auch verpflichtet, wer als leistungsberechtigte Person oder als deren Vertreter die Rechtswidrigkeit des der Leistung zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Von der Heranziehung zum Kostenersatz kann abgesehen werden, soweit sie eine Härte bedeuten würde (§ 103 Abs. 1 Satz 3 SGB XII).

Die Anwendung des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist nicht schon durch die Vorschrift des § 41 Abs. 4 SGB XII ausgeschlossen. Gemäß § 41 Abs. 4 SGB XII hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, wer in den letzten zehn Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Zwar wird in der Literatur vertreten, dass § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf die Grundsicherung nicht anwendbar sei und es sich bei § 41 Abs. 4 SGB XII um eine dem § 103 SGB XII vorgehende Spezialregelung handele (Kirchhoff in Hauck/Noftz, Stand: Juni 2016, § 41 SGB XII, Rdnr. 81). Dies kann jedoch allenfalls insoweit gelten, als es um ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges zur Bedürftigkeit führendes Verhalten der hilfebedürftigen Person selbst geht (in diesem Sinne: Decker in Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, Stand: Sept. 2019, § 103 SGB XII Rdnr. 8, der § 41 Abs. 4 SGB XII nur in seinem Anwendungsbereich als lex specialis zu § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sieht und einen Rückgriff auf § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII bei Herbeiführung der Leistungsvoraussetzungen durch einen Dritten für möglich erachtet). Denn der Kostenersatzanspruch des § 103 SGB XII setzt das Vorliegen der Voraussetzungen für Leistungen der Sozialhilfe, wozu auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehören, voraus, wohingegen § 41 Abs. 4 SGB XII den Leistungsanspruch ausschließt, so dass ein Kostenersatzanspruch in diesem Fall nicht zur Anwendung kommen kann. Der Leistungsausschluss greift jedoch nur für denjenigen selbst ein, der seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Werden die Leistungsvoraussetzungen dagegen durch das Verhalten eines Dritten herbeigeführt, werden die Voraussetzungen eines Anspruchsausschlusses nach § 41 Abs. 4 SGB XII nicht erfüllt (Conradis in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Auflage 2018, § 103 Rdnr. 3). Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum derjenige, der durch grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten die Leistungsvoraussetzungen für einen anderen herbeiführt, vor einem Kostenersatz geschützt sein sollte, nur weil Grundsicherungsleistungen im Alter oder bei Erwerbsminderung und nicht andere Sozialleistungen betroffen sind. Zudem ist auch die ratio legis des § 103 SGB XII eine andere als die des § 41 Abs. 4 SGB XII (Blüggel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 41 Rdnr. 167; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 41 Rdnr. 57; siehe auch Krauß in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage 2019, SGB XII § 41 Rdnr. 19). Bei § 103 SGB XII handelt sich um einen quasi-deliktischen Anspruch, der mit dem Ausschlusstatbestand des Vierten Abschnitts nichts gemein hat (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 41 Rdnr. 57).

Die Voraussetzungen des Kostenersatzanspruchs nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind vorliegend nicht gegeben. Nach der genannten Vorschrift ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat. Zwar kommt die Klägerin als auf Grundlage von § 1896 Abs. 1 BGB bestellte Betreuerin der C., die Leistungen der Sozialhilfe bezogen hat, grundsätzlich als Schuldnerin eines Ersatzanspruchs nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Betracht (vgl. Simon in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 103 Rdnr. 33). Die Klägerin hat aber zur Überzeugung des Senats weder durch vorsätzliches noch durch grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für Leistungen der Sozialhilfe an C. in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August 2017 herbeigeführt.

Voraussetzung für den Ersatzanspruch ist, dass die betreffende Person die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe durch ihr (vorsätzliches oder grob fahrlässiges) Verhalten herbeigeführt hat. Demzufolge müssen die leistungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungserbringung vorgelegen haben, die Leistungen also rechtmäßig erbracht worden sein (vgl. zur Vorgängervorschrift in § 92a Bundessozialhilfegesetz [BSHG]: Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 5. Mai 1983 – 5 C 112/81BVerwGE 67, 163-173). Dies war vorliegend der Fall. Die C. hat die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erfüllt. Sie war in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August 2017 leistungsberechtigt gemäß § 41 SGB XII. Sie hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, hatte das 18. Lebensjahr vollendet und war gemäß der Feststellung des Rentenversicherungsträgers dauerhaft voll erwerbsgemindert. Ihren Lebensunterhalt konnte sie nicht aus Einkommen und Vermögen bestreiten, insbesondere bezog sie keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die als Einkommen hätte eingesetzt werden können. Anhaltspunkte dafür, dass die C. die Voraussetzungen des Anspruchsausschlusses nach § 41 Abs. 4 SGB XII erfüllt haben könnte, liegen nicht vor.

Darüber hinaus verlangt § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nach seinem Wortlaut nur, dass die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe durch ein "Verhalten" herbeigeführt worden sind. Allerdings hat schon das BVerwG den "quasi-deliktischen" Charakter der Ersatzansprüche nach dem BSHG, die ein schuldhaftes Handeln voraussetzten, betont und deshalb verlangt, dass das Verhalten, das den Ersatzanspruch auslöst, zwar nicht rechtswidrig sein muss, aber einem "Unwerturteil" unterworfen werden können und sich so als "sozialwidrig" darstellen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1967 – V C 192.66BVerwGE 27, 319-325; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1976 – V C 41.74 –, BVerwGE 51, 61-66). Eine entsprechende Eingrenzung muss auch für § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gelten, nachdem der Gesetzgeber diesen angesichts der etablierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Nachfolgevorschrift zu § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG ohne wesentliche Änderungen des Wortlauts geschaffen hat (Hessisches LSG, Urteil vom 13. März 2019 – L 4 SO 193/17, juris Rdnr. 30; vgl. auch BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 39/12 R – SozR 4-4200 § 34 Nr. 1 Rdnr. 17). Nach dem Entwurf des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch sollte mit der Vorschrift des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (im Entwurf noch als § 98 Abs. 1 Satz 1) der frühere § 92a BSHG im Wesentlichen inhaltsgleich übertragen werden (BT-Drucks. 15/1514 S. 68). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die etablierte Begrenzung des Kostenersatzes durch die Notwendigkeit eines sozialwidrigen Verhaltens hätte ändern wollen, bestehen somit nicht (Hessisches LSG a.a.O.). Für die Parallelregelung in § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die ebenfalls in Anlehnung an das Sozialhilferecht geschaffen wurde (vgl. BT-Drucks. 15/1516 S. 62), geht das BSG unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Vorgängervorschrift zu § 103 SGB XII und § 34 SGB II in § 92a BSHG ebenso von einem sozialwidrigen Verhalten des Erstattungspflichtigen als notwendige Voraussetzung aus (BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 39/12 R – SozR 4-4200 § 34 Nr. 1, Rdnrn. 17 ff.). Eine entsprechende Auslegung von § 34 SGB II hat offenbar auch der Gesetzgeber vorausgesetzt, der mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I, 453) mit Wirkung zum 1. April 2011 die amtliche Überschrift des § 34 SGB II von "Ersatzansprüche" in "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" ohne weitere Begründung geändert hat. Letztendlich ist auch für ein unterschiedliches Verständnis der Ersatzansprüche in den unterschiedlichen Existenzsicherungssystemen des SGB II und des SGB XII kein Grund erkennbar.

Eine Sozialwidrigkeit des Handelns der Klägerin kommt allein dadurch in Betracht, dass diese es unterlassen hat, spätestens im Juli 2017 einen Rentenantrag zu stellen. Dass das sozialwidrige Verhalten auch in einem Unterlassen liegen kann, wurde schon vom BVerwG zu § 92a BSHG angenommen (BVerwG, Urteil vom 10. April 2003 – 5 C 4/02 –, BVerwGE 118, 109-113, juris Rdnr. 16) und ist ebenso für § 103 SGB XII anerkannt (Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 103 Rdnr. 11). Ein Unterlassen kann sich jedoch nur dann als sozialwidrig darstellen, wenn eine entsprechende Handlungspflicht besteht (Bieback a.a.O. unter Verweis auf LSG NRW, Urteil vom 24. Mai 2012 – L 9 SO 281/11 – ZfSH/SGB 2013, 51-55).

Im Rahmen von § 104 SGB XII, der für den Fall zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe eine Kostenersatzpflicht in entsprechender Anwendung des § 103 SGB XII normiert, wird ein sozialwidriges Unterlassen insbesondere durch die Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten nach §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in Betracht gezogen (vgl. Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 104 Rdnr. 7). Eine Mitwirkungspflicht hat die Klägerin als Vertreterin der C. nicht verletzt. Die Klägerin hat vielmehr richtige Angaben gemacht, insbesondere zutreffend angegeben, dass keine Rente bezogen wird und auch kein Rentenantrag gestellt wurde.

Eine allgemeine Pflicht, vor oder mit der Beantragung einer Sozialleistung alle anderen in Betracht kommenden vorrangigen Sozialleistungsansprüche, wie beispielsweise Erwerbsminderungsrente, zu verfolgen, ergibt sich insbesondere nicht aus dem Selbsthilfegrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII, da dieser nur ein Gebot der Sozialhilfe umschreibt, das insbesondere durch die Regelungen über den Einsatz von Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII) und Vermögen (§§ 90 f. SGB XII) oder sonstige leistungshindernde Normen konkretisiert wird und nur bzw. zumindest regelmäßig im Zusammenhang mit ihnen zu sehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 2008 – B 8/9b SO 16/07 R –). Dies wird für den Fall, dass vorrangige Sozialleistungen in Betracht kommen, auch dadurch deutlich, dass dem Sozialhilfeträger durch § 95 SGB XII eine Berechtigung eingeräumt wurde, die Feststellung einer (anderen, insbesondere vorrangigen) Sozialleistung, die ihm eine Erstattungsberechtigung verschafft, zu betreiben sowie Rechtsmittel einzulegen. Dieser Vorschrift bedürfte es nicht, wäre bereits aufgrund § 2 Abs. 1 SGB XII durch das Unterlassen der Verfolgung einer vorrangigen Sozialleistung die Gewährung von Sozialhilfe ausgeschlossen. Wird dem Sozialleistungsträger wie hier durch § 95 SGB XII eine eigene Handlungsbefugnis eingeräumt, statt der um Sozialhilfeleistungen nachsuchenden Person konkrete Pflichten aufzuerlegen, ist fraglich, ob ein bloßes Unterlassen der dem Sozialhilfeträger selbst möglichen Handlung durch den Anspruchsteller Sozialwidrigkeit zu begründen vermag, zumal wenn wie hier der Betroffene vom Sozialleistungsträger noch nicht einmal zur Vornahme der Handlung (hier die Beantragung der Rente) aufgefordert worden ist. Auch ist zu berücksichtigen, dass dann, wenn ein Verhalten durch andere Gesetze gefördert wird, diesem das Unwerturteil "sozialwidrig" nicht beigemessen werden kann (Conradis in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, SGB XII § 103 Rdnr. 6.). Das Verhalten der Klägerin ist vorliegend auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil nicht die C. selbst, sondern die Klägerin als Berufsbetreuerin gehandelt hat bzw. dies unterlassen hat. Auch wenn es auf eine Verschuldenszurechnung auf Grundlage von § 278 Satz 1 BGB nicht ankommt (so Simon in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 103 Rdnr. 33), ist die Sozialwidrigkeit des maßgeblichen Verhaltens oder Unterlassens objektiv zu bewerten.

Unabhängig von der Frage, unter welchen konkreten Voraussetzungen ein Verhalten bzw. Unterlassen eines Betreuers als sozialwidrig i.S.d. § 103 Abs. 1 SGB XII zu bewerten ist (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Juli 2019 – L 9 SO 544/17 – juris Rdnrn. 38 ff.; Hessisches LSG, Urteil vom 13. März 2019 – L 4 SO 193/17 – juris Rdnrn. 31 ff., Revision beim BSG anhängig; Kellner, NZS 2019, 609 ff.) ist vorliegend ein Ersatzanspruch nicht gegeben. Denn selbst dann, wenn ein sozialwidriges Verhalten durch die Nichtbeantragung der Erwerbsminderungsrente durch die Klägerin spätestens im Juli 2017 unterstellt wird, fehlt es an der erforderlichen Kausalität des Verhaltens für die Notwendigkeit, Grundsicherungsleistungen in den Monaten Juli und August 2017, wie erfolgt, ohne Einkommensanrechnung zu erbringen (zur Erforderlichkeit dieses Kriteriums vgl. z.B. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 103 Rdnr. 6). Ursächlich für die Gewährung der Grundsicherungsleistungen an die C. in den Monaten Juli und August 2017 ohne Anrechnung von Einkommen war schlicht das Fehlen anzurechnenden Einkommens. Dass die Klägerin für die C. nicht umgehend bei Übernahme der Betreuung einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente gestellt hat, hat allenfalls dazu geführt, dass der Beklagte als nachrangig verpflichteter Sozialleistungsträger keinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger nach § 104 SGB X verwirklichen kann. Das Bestehen eines Erstattungsanspruchs gegen einen anderen Sozialleistungsträger würde an der Leistungspflicht des Sozialleistungsträgers bzw. dessen Umfang nichts ändern, wenn und solange die andere vorrangige Sozialleistung dem Leistungsberechtigten nicht zufließt. Von einem Herbeiführen der Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe kann in diesem Fall keine Rede sein. Das Bestehen eines Kostenerstattungsanspruchs wird aus diesem Grund selbst dann zu verneinen sein, wenn der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt vorrangige Sozialleistungsansprüche, die zu einem Erstattungsanspruch des Trägers der Sozialhilfe nach §&8201;104 SGB&8201;X führen können, nicht hinreichend verfolgt und dadurch ein möglicher Erstattungsanspruch vereitelt wird, da sich das (sozialwidrige) Verhalten in einem solchen Fall lediglich auf die Möglichkeit der Erstattung bezieht, entscheidend für die Anwendung des §&8201;103 hingegen ist, ob das sozialwidrige Verhalten die Leistungsgewährung verursacht hat (Conradis in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 103 Rdnr. 20 unter Verweis auf Oberverwaltungsgericht [OVG] Hamburg, Beschluss vom 23. September 1993 – Bs IV 161/93 – juris). Vorliegend hätte auch die frühestmögliche Beantragung der Erwerbsminderungsrente durch die Klägerin nichts an der Höhe der vom Beklagten an die C. zu erbringenden Leistungen im fraglichen Leistungszeitraum geändert, da die Feststellung der Leistungsvoraussetzungen durch den Rentenversicherungsträger eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und die Zahlung einer Rente bereits im Juli und August 2017 bei Beantragung schon im Zeitpunkt der Übernahme der Betreuung völlig unwahrscheinlich gewesen wäre. Dies zeigt sich schon daran, dass der Rentenversicherungsträger den tatsächlich im September 2017 gestellten Antrag erst im Februar 2018 beschieden hat.

Dahingestellt bleiben kann deshalb auch, ob trotz der Beantragung der Rente erst im September 2018 nicht doch ein Rentenanspruch der C. für die Monate Juli und August 2017 bestanden haben könnte und damit die Rentenantragstellung im September 2017 nicht kausal war für die (endgültige) Leistungserbringung des Beklagten für die Monate Juli und August 2017. Denn sollte die C. bereits im Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit, den der Rentenversicherungsträger am 15. Juli 2016 angenommen hat, auch geschäftsunfähig gewesen sein, wofür die Betreuerbestellung spricht, könnte in Betracht kommen, dass die nach Bestellung eines Betreuers wirksam erfolgte Rentenantragstellung auf den Zeitpunkt der an sich sinnvollen zeitnahen Beantragung zurückwirkt. Denn der Ablauf der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist während der Geschäftsunfähigkeit in entsprechender Anwendung des § 210 BGB bis zu deren Wegfall oder der Bestellung eines Vertreters gehemmt (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1973 - 4 RJ 159/72 - BSGE 36, 267 = SozR Nr. 18 zu § 1290 RVO). Damit wird dem Schutz der geschäftsunfähigen Rentenberechtigten Rechnung getragen. Die Rente wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn ihre Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, der Versicherte jedoch wegen fehlender Geschäftsfähigkeit und mangelnder gesetzlicher Vertretung den Rentenantrag nicht innerhalb der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI stellen konnte. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn die Betreuung dem Betreuer bekannt gegeben wurde. Dann kann eine Rente noch innerhalb von drei Monaten ab Beendigung des Vertretungsmangels beantragt werden (BSG, Urteil vom 27. Januar 2010 - B 12 KR 20/08 R - juris Rdnr. 19; Hessisches LSG, Urteil vom 28. März 2008 – L 5 R 22/06 KN – juris Rdnr. 21; Schmidt/Kador in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013 (Stand 8. April 2020), § 99 Rdnr. 27.3).

Schließlich fehlt es, sofern ein sozialwidriges Unterlassen der Klägerin und die Kausalität dieses Unterlassens für die Leistungsgewährung unterstellt werden, an einem Verschulden der Klägerin. Der Anspruch auf Kostenersatz setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass die Voraussetzungen für die Leistung der Sozialhilfe durch ein schuldhaftes Verhalten, das heißt vorsätzlich oder grob fahrlässig, herbeigeführt worden sind (Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 103 Rdnr. 27). Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten der Klägerin bestehen nicht. Auch eine Bewertung des Unterlassens der Rentenantragstellung unmittelbar nach Übernahme der Betreuung bzw. spätestens im Juli 2017 als grob fahrlässig ist nicht gerechtfertigt. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Maßes, d.h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10 S. 33). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere an der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2; SozR 3-1300 § 45 Nr. 45; SozR 4-4300 § 122 Nr. 5). Eine derartige besonders schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung, die schlechthin unentschuldbar wäre (BSG, Urteil vom 28. November 1978 - 4 RJ 130/77 - juris Rdnr. 11 m.w.N.), liegt vorliegend zur Überzeugung des Senats allerdings nicht vor. Damit das Bestehen eines Anspruchs auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit derart nahegelegen hätte, dass deren Beantragung spätestens im Juli 2017 hätte einleuchten müssen, hätte sowohl das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als auch der medizinischen Voraussetzungen offenkundig sein müssen. Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Die Klägerin hat am 20. Juni 2017 die Betreuung übernommen. Schon die Tatsache, dass einem Betreuer zunächst ein gewisser Zeitraum zuzugestehen ist, in dem er sich mit der persönlichen und finanziellen Situation des Betreuten vertraut machen kann, spricht gegen die Annahme einer unentschuldbaren Pflichtverletzung. Hinzu kommt, dass sich die C. zu diesem Zeitpunkt in stationärer psychiatrischer Behandlung befand, was eine Beurteilung jedenfalls der gesundheitlichen Situation, insbesondere im Hinblick auf eine zu erwartende zukünftige Entwicklung, wie sie für die Frage des Bestehens eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung maßgeblich ist, zusätzlich erschwert. Dies gilt vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass die Klägerin nicht über eine psychiatrische oder psychologische Ausbildung verfügt, so dass von ihr die gerade bei psychiatrischen Erkrankungen schwierige Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens nicht ohne Weiteres verlangt werden kann. Auch kommt weder einer Betreuerbestellung noch einer stationären psychiatrischen Behandlung ein für das Vorliegen einer Erwerbsminderung maßgeblicher Aussagegehalt zu. Dass eine betreute Person nicht in der Lage ist, sich um ihre persönlichen und gesundheitlichen Angelegenheiten zu kümmern und für sie aus diesem Grund ein Betreuer bestellt wird, bedeutet nicht eine voraussichtlich länger als sechs Monate andauernde Unfähigkeit, mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Dass die C. bereits langjährig unter psychischen Problemen gelitten hat, besagt über die Schwere und Dauerhaftigkeit der Erkrankung ebenfalls nichts aus. Auch eine akutpsychiatrische stationäre Behandlung legt nicht die Annahme nahe, dass die Leistungsfähigkeit nicht in absehbarer Zeit wiederhergestellt werden kann. Schließlich begründet auch eine etwaige Kenntnis der Klägerin von dem Inhalt des vom Betreuungsgericht veranlassten Gutachtens des Dr. D. vom 5. Mai 2017 nicht den Vorwurf einer schlechthin unentschuldbaren Sorgfaltspflichtverletzung der Klägerin. Zwar lassen die Ausführungen in dem Gutachten auf das Bestehen einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung schließen. Allerdings lässt sich dem Gutachten auch die Aussicht entnehmen, dass bei adäquater und durchgehender psychiatrischer Behandlung mit fortlaufender und korrekter Medikamenteneinnahme bzw. –verabreichung durchaus eine Verbesserung der psychischen Erkrankung erzielt werden kann, wenn auch aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht und Therapiemotivation von einer auf Dauer bestehenden Betreuungsbedürftigkeit ausgegangen wurde. Da zur Beurteilung des Bestehens einer Erwerbsminderung aufgrund einer psychischen Erkrankung häufig gerade auch auf das Bestehen von Therapieoptionen abgestellt wird, ist aus dem dargestellten, den Zustand im Zeitpunkt der Begutachtung beschreibenden Krankheitsbild nicht zwingend auf das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu schließen, zumal sich das zur Beurteilung des Betreuungsbedarfs erstattete Gutachten zur Erwerbsfähigkeit der V. nicht verhält. Hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lag auch deren Vorliegen schon angesichts der Tatsache, dass die C. seit Jahren keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und freiwillig krankenversichert war, keineswegs auf der Hand. Keinerlei Bedeutung für ein mögliches Verschulden der Klägerin hat der in der Bestellungsurkunde dargestellte Aufgabenkreis der Klägerin als Betreuerin, zu dem hinsichtlich der vermögensrechtlichen Angelegenheiten die Geltendmachung unter anderem von Rentenansprüchen aufgeführt ist. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um eine beispielhafte Auflistung der Befugnisse, die bei der Besorgung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten erforderlich werden können. Mit der Bestellung eines Betreuers entscheidet das zuständige Betreuungsgericht lediglich über die Aufgabenkreise, für die eine Betreuung erforderlich ist, trifft jedoch keine Entscheidung über die im Einzelnen für den Betreuten zu veranlassenden Handlungen. Schließlich besagt die Beantragung von Sozialhilfeleistungen beim Beklagten nichts über eine etwaige Kenntnis der Klägerin von der Erwerbsminderung der C. Insbesondere hat die Klägerin bei der Antragstellung am 10. Juli 2017 auf die Problematik der Beitragsrückstände zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung verwiesen und um Übernahme der Versicherungsbeiträge bzw. der Krankenhauskosten nach den Bestimmungen des SGB XII gebeten, woraus ersichtlich wird, dass sie den Beklagten als Sozialhilfeträger in erster Linie nicht wegen der laufenden Leistungen bei einer angenommenen Erwerbsminderung, sondern wegen der Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes bzw. Übernahme der Krankenhauskosten in Anspruch nehmen wollte. Dass auch bei Vorliegen von Erwerbsfähigkeit und der Gewährung laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherungsschutz erlangt werden kann, der dann möglicherweise die Übernahme rückständiger Beiträge oder der Krankenhauskosten erübrigt, erfordert rechtliche Erwägungen, die auch ein Berufsbetreuer nicht ohne Weiteres überblicken muss. Welche Leistungen beim Beklagten als Sozialhilfeträger konkret beantragt werden sollten, hat der Beklagte erst mit der Übersendung des Antragsformulars Ende Juli 2017 abgefragt, so dass der Klägerin nicht unterstellt werden kann, bereits bei der Beantragung der Leistungen am 10. Juli 2017 vom wahrscheinlichen Vorliegen einer Erwerbsminderung ausgegangen zu sein, und der Vortrag der Klägerin, sich in der Annahme einer Zuständigkeit des Beklagten für eine Kostenübernahme des Krankenhausaufenthaltes bei fehlender Krankenversicherung an diesen gewandt zu haben, nicht als Schutzbehauptung abgetan werden kann.

Danach sind die Voraussetzungen eines Kostenersatzanspruchs nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht erfüllt, weshalb der Bescheid des Beklagten vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2018 rechtswidrig ist und aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 HS 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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