L 7 AS 3750/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 223/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3750/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. September 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Kläger wendet sich gegen eine Aufforderung des Beklagten nach § 60 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (SGB I) zur Vorlage von Kontoauszügen.

Der am 16. Februar 1967 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Am 5. Oktober 2018 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten des Umgangs mit seinen Kindern. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 5. Oktober 2018 dem Kläger eine Beihilfe nach § 21 Abs. 6 SGB II für die Zeit vom 13. Oktober 2018 bis zum 22. Oktober 2018 zum Zweck der Wahrnehmung des Umgangsrechts in Höhe von 248,00 EUR. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 forderte der Beklagte den Kläger zur Ergänzung seines Weitergewährungsantrages vom 5. Oktober 2018 zur Vorlage der Kontoauszüge seines Kontos Nr. 2289008 für die Zeit vom 10. September bis zum 5. Oktober 2018 auf und wies auf die Folgen einer unzureichenden Mitwirkung hin.

Am 22. Oktober 2018 wandte sich der Kläger an den Beklagten und führte aus, dass die Schreiben vom 5. Oktober 2018 "zusammengeklammert" seien (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. März 2020 im Verfahren L 7 AS 3749/19). Außerdem legte er Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2018 ein, ohne die bewilligten Leistungen zu beanstanden. Weiterhin reichte der Kläger am 22. Oktober 2018 die mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 angeforderten Kontoauszüge ein. Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2018 dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2018 bis zum 31. Oktober 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers gegen das Schreiben vom 5. Oktober 2018 wegen Anforderung von Unterlagen aufgrund des Antrages auf Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II durch Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2018 als unzulässig zurück. Das Schreiben vom 5. Oktober 2018 beinhalte keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Demnach sei der Widerspruch des Klägers unzulässig.

Der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2018 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) (S 12 AS 223/19) erhoben. Jedes Schreiben der "bekannten Lügner- und Sozialleistungsverweigererbande ... und Menschenentwürdigern ... muss auf Rechtmäßigkeit überprüfbar sein, nachdem sie selbst in ihrer unberechtigten Herrlichkeit davon ausgehen, dass diese völlig richtig und rechtmäßig sind, ansonsten ein solches Schreiben keinerlei rechtlichen Wert hat und beachtet werden muss". Das Schreiben vom 5. Oktober 2018 sei deswegen aufzuheben.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat mit den Beteiligten am 9. September 2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Weiterhin hat das SG durch Urteil vom 9. September 2019 die Klage abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Statthafte Klageart zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes sei die Anfechtungsklage. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werden. Gegenstand der Anfechtungsklage sei nach § 95 SGG der angefochtene Verwaltungsakt in Gestalt des Widerspruchsbescheids. Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage eröffne, liege auch dann vor, wenn der ursprüngliche Akt zwar kein Verwaltungsakt gewesen sei, der Widerspruchsbescheid aus einem schlichten Verwaltungshandeln aber einen Verwaltungsakt mache. Umgekehrt liege ein Verwaltungsakt nicht vor, wenn die Behörde im Widerspruchsbescheid zu erkennen gebe, dass eine hoheitliche Regelung mit Bindungswirkung nicht getroffen werden solle, indem sie den Widerspruch wegen fehlender Regelung im Ausgangsbescheid als unzulässig zurückweise. In dem Fall, in dem kein Ausgangsverwaltungsakt vorliege, sei die Anfechtungsklage als unzulässig abzuweisen (unter Hinweis auf Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2018 - L 10 R 1361/18 - juris Rdnr. 29 f.). Ausgehend hiervon sei die Anfechtungsklage gegen das Schreiben vom 5. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2018 unzulässig, weil es sich bei dem Schreiben vom 5. Oktober 2018 nicht um einen Verwaltungsakt handle und der Beklagte den Widerspruch wegen fehlender Regelung im Ausgangsbescheid als unzulässig zurückgewiesen habe. Ein Verwaltungsakt setze nach § 31 SGB X eine Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme voraus, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts treffe und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sei. Eine Regelung liege vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt habe. Eine Regelung ziele allgemein darauf ab, rechtliche Verpflichtungen, entweder zu Lasten der Behörde oder zu Lasten des Bürgers, zu begründen. Dies sei der Fall, wenn Rechte begründet, abgelehnt, aufgehoben, festgestellt oder geändert würden oder wenn dies abgelehnt werde. Bei der Auslegung von Verwaltungsakten sei in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze vom objektiven Sinngehalt ihrer Erklärung auszugehen, wie sie Empfänger und gegebenenfalls Drittbetroffene bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen müssten und dürften. Maßgeblich sei demnach der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, wobei alle Zusammenhänge zu berücksichtigen seien, die die Behörde erkennbar in ihrer Entscheidung einbezogen habe. Bei dem Schreiben vom 5. Oktober 2018 handle es sich unter Zugrundelegung des maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts nicht um einen Verwaltungsakt. Das Schreiben enthalte keine Regelung. Der Beklagte habe zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert und darauf hingewiesen, dass diese zur Bearbeitung des Antrages benötigt würden. Hieraus werde auch für einen objektiven Empfänger deutlich, dass es nicht um die Setzung einer potentiell verbindlichen Rechtsfolge, sondern um die Vorbereitung zur späteren Setzung einer verbindlichen Rechtsfolge, die Entscheidung über den Leistungsanspruch, durch Einholung weiterer Informationen gehe. Das Schreiben erwecke auch nicht den Anschein eines Verwaltungsaktes. Es enthalte insbesondere nicht - wie für Verwaltungsakte typisch - eine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Beklagte habe den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen. Die Anfechtungsklage sei mithin unzulässig.

Gegen den ihm am 7. Oktober 2019 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 6. November 2019 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Das Schreiben des Beklagten vom 5. Oktober 2018 sei eindeutig ein befehlender Verwaltungsakt. Es enthalte eine Regelung, bestimmte Unterlagen innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen, die angeblich zur Bearbeitung und Bescheidung notwendig seien. Auch sei die Anforderung der Unterlagen mit der Drohung verbunden gewesen, die Leistungen ganz oder teilweise zu versagen. Diese Forderungen müssten auf Gesetz- und Rechtmäßigkeit überprüft werden können.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. September 2019 sowie das Schreiben des Beklagten vom 5. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2018 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass der Kläger nicht verpflichtet war, die im Schreiben vom 5. Oktober 2018 angeforderten Kontoauszüge vorzulegen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil.

Der Senat hat mit Verfügung vom 15. Januar 2020 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung durch Beschluss zurückweisen könne, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte (§ 153 Abs. 4 SGG), und derzeit beabsichtigt sei, entsprechend zu verfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Einverständnis des Klägers ist für eine Entscheidung des Senats durch Beschluss nicht erforderlich. Der Senat hat bei der Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. September 2019 hinreichend Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt darzulegen.

2. Die gem. § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Berufung des Klägers keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft.

3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

a. Soweit der Kläger mit seiner isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) die Aufhebung des Schreibens vom 5. Oktober 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2018 begehrt, hat das SG die Klage mangels anfechtbarer Verwaltungsentscheidung zutreffend als unzulässig abgewiesen (so auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 10/08 R - juris Rdnr. 10). Der Senat nimmt Bezug auf die ausführliche Begründung des SG in dem angefochtenen Urteil und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

b. Soweit das Begehren des Klägers dahingehend ausgelegt wird, festzustellen, dass er nicht verpflichtet war, die im Schreiben vom 5. Oktober 2018 angeforderten Kontoauszüge dem Beklagten vorzulegen, hat er damit keinen Erfolg. Zwar kommt in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich eine Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) in Betracht (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 10/08 R - juris Rdnr. 10). Jedoch hat der Kläger bereits kein hinreichendes Feststellungsinteresse dargetan. Er hat sich mit der Mitwirkungsaufforderung des Beklagten vom 5. Oktober 2018 nicht inhaltlich auseinandergesetzt, sondern ist dieser ohne Beanstandung nachgekommen. Vielmehr scheint sich der Kläger primär daran zu stören, dass diese Mitwirkungsaufforderung - rechtskonform - nicht in Gestalt eines Verwaltungsaktes erfolgt ist (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 10/08 R - juris Rdnr. 10), den der Kläger zum Gegenstand eines weiteren gerichtlichen Verfahren machen könnte. Im Übrigen ist die Anforderung des Beklagten zur Vorlage der noch fehlenden Kontoauszüge zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Klägers für den am 1. November 2018 beginnenden Bewilligungsabschnitt zu Recht erfolgt; der Beklagte hat in dem Mitwirkungsschreiben vom 5. Oktober 2018 auch auf die Grenzen der Auskunftsobliegenheit hingewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 10/08 R - juris Rdnr. 12 ff.; Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 - juris Rdnr. 13 ff.). Der Kläger ist der Aufforderung des Beklagten nachgekommen und hat die noch fehlenden Kontoauszüge vorgelegt. Der Beklagte hat anschließend die Hilfebedürftigkeit des Klägers geprüft und ihm Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. November 2018 bis zum 31. Oktober 2019 bewilligt. Sachliche Einwendungen betreffend die Vorlage der konkret benannten Kontoauszüge hat der Kläger nicht geltend gemacht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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