L 7 SO 3427/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 3506/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3427/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. September 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung einer Wohnung nach Haftentlassung als Leistung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) und von der Beigeladenen die Einweisung in sein bis 2011 bewohntes Zimmer in der P.Str. in E.

Der 1975 geborene Kläger befand sich in der Zeit vom 13. September 2011 bis zum 28. Januar 2020 mit Unterbrechungen in verschiedenen Justizvollzugsanstalten (JVA) in Haft. Zuletzt war er in der JVA F. inhaftiert, aus der er am 28. Januar 2020 ohne festen Wohnsitz ausgetreten ist.

Am 26. April 2017 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung von Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII. Mit Schreiben vom 11. September 2017 hörte der Beklagte den Kläger an und wies darauf hin, dass er örtlich nicht zuständig sei. Zudem bestehe auch kein gegenwärtiger Bedarf auf die beantragte Hilfe.

Mit Schreiben vom 6. November 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er nach Prüfung der örtlichen Zuständigkeit zu dem Ergebnis gekommen sei, dass während der Zeit der Inhaftierung in der JVA O. örtlich zuständiger Sozialhilfeträger der O. sei. Aufgrund seiner Flucht vom 24. Oktober 2014 bis Anfang Dezember 2014 habe er zum einen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in E. aufgegeben, zum anderen sei die Einrichtungskette unterbrochen worden. Der Beklagte habe daher den Antrag vom 26. April 2017 an den O. weitergeleitet. Dort ist der weitergeleitete Antrag am 8. November 2017 eingegangen.

Am 13. November 2017 erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage gegen den Beklagten sowie gegen den O. (S 6 SO 4244/17), mit welcher er u.a. die Feststellung begehrte, dass der Beklagte sowie der O. für Anträge im Sinne des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) und SGB XII örtlich zuständig seien und diese sachlich bescheiden müssten. Ferner beantragte er, den Beklagten und den O. zu verurteilen, ihm die mit Antrag vom 26. April 2017 beantragten Leistungen zu gewähren. Mit Gerichtsbescheid vom 25. April 2018 wies das SG die Klage ab. Hiergegen erhob der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Das LSG trennte mit Beschluss vom 6. September 2018 die Klage gegen den O. ab und wies die Berufung im Übrigen zurück (Senatsurteil vom 2. Oktober 2018 – L 7 SO 1726/18). Im Hinblick auf die Klage gegen den O. änderte das LSG den Gerichtsbescheid des SG ab und verurteilte den O., über den Antrag des Klägers vom 26. April 2017 zu entscheiden (Senatsurteil vom 2. Oktober 2018 – L 7 SO 3196/18). Mit Beschlüssen vom 16. Oktober 2019 lehnte das Bundessozialgericht (BSG) die Anträge des Klägers, ihm für die Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des LSG Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ab (Beschlüsse vom 16. Oktober 2019 – B 8 SO 18/18 BH und B 8 SO 18/18 BH).

Bereits am 15. September 2017 hatte der Kläger Klage bei dem SG Freiburg erhoben und zugleich das Schreiben des Beklagten vom 11. September 2017 übersandt. Die Klage sei als kombinierte Untätigkeits-, Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft. Das Schreiben des Beklagten sei unbeachtlich, sein Antrag wirksam und die behauptete örtliche Unzuständigkeit unbeachtlich. Der Beklagte müsse vorläufig Leistungen erbringen. Es bestehe ein gültiger Mietvertrag für sein Zimmer in der P.Str. X in E ... Da er obdachlos sei, müsse ihn der Beklagte nach dem Polizeigesetz in die Mietsache einweisen.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Da der Kläger voraussichtlich bis zum 7. November 2018 inhaftiert sein werde, sei es schon aus rein praktischen Gründen nicht möglich, so weit im Voraus einen Platz in einem stationären oder ambulant betreuten Angebot nach § 67 SGB XII bereit zu stellen. Die Sozialhilfe diene zudem grundsätzlich der Deckung einer gegenwärtigen Notlage. Die Einweisung des Klägers in sein früheres Zimmer könne schon deshalb nicht von dem Beklagten verlangt werden, weil es sich nicht um eine Leistung nach dem SGB XII handele. Hierfür sei vielmehr die Gemeinde E. als Ortspolizeibehörde zuständig.

Mit am 24. Oktober 2017 beim SG eingegangenen Schreiben hat der Kläger daraufhin seine Klage auch gegen die Gemeinde E. gerichtet, welche das SG auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 8. Mai 2018 gemäß § 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen hat.

Bereits am 6. November 2017 hatte der Kläger u.a. gegen die Beigeladene Klage bei dem Verwaltungsgericht (VG) Köln erhoben mit dem Begehren, ihm nach dem Polizeigesetz Baden-Württemberg eine Wohnung zuzuweisen. Das VG Köln hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das VG Karlsruhe verwiesen (dortiges Aktenzeichen 9 K 16480/17). Die am 13. November 2017 mit dem gleichen Begehren bei dem SG Freiburg gegen die Beigeladene erhobene Klage hat das SG Freiburg ebenfalls an das VG Karlsruhe verwiesen (dortiges Aktenzeichen 9 K 24437/18).

Die Beigeladene hat mitgeteilt, hinsichtlich der Zuweisung in eine Wohnung sei kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden. Es gebe lediglich einen melderechtlichen Vorgang.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. September 2018 abgewiesen. Nach den Konkretisierungen des Klägers im Laufe des Klageverfahrens handele es sich um eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG. Zwar habe der Kläger zunächst auch eine Anfechtungs- und Untätigkeitsklage erwähnt, diese aber im weiteren Schriftverkehr nicht weiterverfolgt, sondern deutlich gemacht, dass er unmittelbar einen Anspruch auf die begehrte Leistung als begründet ansehe. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten richte, sei sie unzulässig, denn es fehle an einer Klagebefugnis. Soweit sich die Klage gegen die Beigeladene richte und auf eine Einweisung in eine Wohnung nach Polizeirecht stütze, sei sie unzulässig, weil es an einer vorangegangenen Antragstellung und Bescheidung durch die Beigeladene fehle. Die Klage sei insoweit aber auch unbegründet. Der Kläger befinde sich noch in Strafhaft und es sei unklar, ob er sich überhaupt in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen begebe. Es sei ebenfalls noch offen, ob ihm überhaupt Obdachlosigkeit drohe.

Gegen den ihm am 10. September 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. September 2018 Berufung eingelegt. Er beantrage die Zurückverweisung an das SG, weil die zwingende Trennung und Verweisung fehle. Der Beklagte stelle seine Leistungspflicht generell streitig, so dass kein Antrag an diesen zu richten gewesen sei. Klagen im Sinne von § 88 SGG und § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) seien statthaft und auf Leistung zu richten. Dies gelte erst recht für die Beigeladene. Auf Nachfrage hat der Kläger mitgeteilt, er halte an seinem Antrag fest. Maßgebend sei der Sach- und Streitstand bei Schluss der mündlichen Verhandlung. Nach der Entlassung sei die Situation dieselbe. Es sei klar geregelt, dass der zuerst angegangene Leistungsträger Schuldner sei.

Der Kläger beantragt – teilweise sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. September 2018 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht Freiburg zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen,

hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Freiburg vom 7. September 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Wohnung als Leistung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII zu gewähren,

hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, ihn in sein ehemaliges Zimmer in der P. Str. X in E. einzuweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene haben keine Anträge gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da der Kläger in der ihm am 23. März 2020 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft, da sie nicht der Zulassung bedarf (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG).

Ein besonderer Vertreter gemäß § 72 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war nicht zu bestellen, da der Kläger prozessfähig ist (zuletzt BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – B 8 SO 19/18 BH – juris Rdnr. 11).

Gegenstand des Verfahrens sind die oben sachgerecht formulierten Anträge des Klägers. Der Senat hat sich dabei von den vom Kläger in seiner Klageschrift vom 13. September 2017 ausdrücklich gestellten Anträgen sowie seinem Vorbringen im Schreiben vom 25. April 2018 leiten lassen, Entsprechendes hat auch das SG seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger ausdrücklich nur die Zurückverweisung an das SG beantragt, weitere Anträge hat der Kläger nicht gestellt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

a.) Eine Zurückverweisung an das SG gemäß § 159 Abs. 1 SGG kommt nicht in Betracht. Nach § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, oder 2. das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Die Zurückverweisung ist dabei als Ausnahme zu sehen, bei Entscheidungsreife ist hiervon Abstand zu nehmen (Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 159 Rdnr. 15). Zudem ist das Berufungsgericht selbst in den Fällen des § 159 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt, die Sache an das SG zurückzuverweisen (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rdnr. 10). Dabei ist im Zweifel die Entscheidung des Berufungsgerichts, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden, im Interesse einer zügigen Erledigung des Verfahrens vorzugswürdig (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 1/02 R - juris Rdnr. 18). Der Senat sieht schon aus diesem Grund von einer Zurückverweisung ab. Soweit der Kläger einen Verfahrensfehler in der fehlenden Trennung und Verweisung sehen will, greift zudem die Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), wonach das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

b.) Soweit der Kläger von dem Beklagten die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII begehrt, ist die Klage unzulässig, weil der Beklagte über diesen Antrag keine Entscheidung getroffen hat, es also schon an der für eine Leistungsklage notwendigen vorherigen Behördenentscheidung mangelt (vgl. insoweit schon Senatsurteil vom 2. Oktober 2018 – L 7 SO 1726/18 – n.v.), und nach Weiterleitung des Antrags vom 26. April 2017 an den O., welchem nach dem Urteil des Senats vom 2. Oktober 2018 – L 7 SO 3196/18 die abschließende Entscheidung über dem Antrag obliegt, auch keine Entscheidung mehr zu treffen hatte. Insoweit ist auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für ein weiteres Verfahren nicht ersichtlich (vgl. insoweit auch BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – B 8 SO 18/18 BH – juris Rdnr. 10).

c.) Soweit der Kläger von der Beigeladenen die Einweisung in sein (ehemaliges) Zimmer in der P. Str. X in E. begehrt, ist die Klage unzulässig, weil es auch insoweit an einer notwendigen vorherigen Behördenentscheidung mangelt.

Die Klage wäre zudem auch unbegründet, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat. Gemäß §§ 1 und 3 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolGBW) hat die zuständige Polizeibehörde die Aufgabe, von dem einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht werden, und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dementsprechend ist die zuständige Ortspolizeibehörde verpflichtet, die unfreiwillige Obdachlosigkeit als Störung der öffentlichen Ordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen, wobei sie diese Aufgabe unter Berücksichtigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfüllen hat (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH), Beschluss vom 16. Januar 1996 – 1 S 3042/95 – juris Rdnr. 5). Aus dieser Verpflichtung der Ortspolizeibehörde ergibt sich grundsätzlich ein Anspruch des Obdachlosen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Unterbringung durch die örtlich zuständige Ortspolizeibehörde. Dies ist die Polizeibehörde, in deren Bezirk die polizeiliche Aufgabe wahrzunehmen ist (§ 68 Abs. 1 PolG). Die polizeiliche Aufgabe der Obdachlosenunterbringung ist von der sachlich zuständigen Ortspolizeibehörde (§§ 66 Abs. 2, 62 Abs. 4 PolG) wahrzunehmen, in deren Zuständigkeitsbereich sich der Obdachlose tatsächlich aufhält und die Unterbringung begehrt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 1996 – 1 S 3042/95 – juris Rdnr. 5.). Darauf, wo wegen des Verlustes der bisherigen Wohnung die Obdachlosigkeit eingetreten ist bzw. der Obdachlose seinen letzten Wohnsitz hatte, kommt es nicht an, wenn der von der Obdachlosigkeit Betroffene sich im Bezirk der dortigen Ortspolizei tatsächlich nicht mehr aufhält.

In Anwendung dieser Grundsätze lagen die Voraussetzungen für die Einweisung des Klägers in sein ehemaliges Zimmer zu keinem Zeitpunkt vor bzw. ist das Vorliegen der Voraussetzungen nicht nachgewiesen. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung befand sich der Kläger in Strafhaft, so dass eine Obdachlosigkeit zu diesem Zeitpunkt weder bestand noch unmittelbar drohte. Aktuell agiert der Kläger unter der Anschrift S. X, F. hat damit jedenfalls seinen tatsächlichen Aufenthalt nicht im Bezirk der Beigeladenen.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 7. September 2018 ist daher zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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