L 7 R 4187/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 22/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 4187/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1961 geborene Klägerin war mit Unterbrechungen als Flugbegleiterin, Übersetzerin und Sekretärin bzw. Assistentin berufstätig. Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 9. April 2019 (Bl. 63/65 der Senatsakten) liegen zuletzt in der Zeit vom 15. Oktober 1997 bis zum 30. Juni 2009 Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung, vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, vom 1. Januar 2010 bis zum 3. Januar 2011 Pflichtbeitragszeiten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld bzw. Krankengeld, vom 1. Februar 2011 bis zum 11. Februar 2013 Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, vom 1. September 2015 bis zum 14. Oktober 2016 sowie vom 1. Januar 2017 bis zum 30. April 2017 Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II sowie vom 15. November 2017 bis zum 28. Februar 2018 Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung vor.

Am 7. August 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der Hausarzt Dr. M. berichtete unter dem 10. November 2008 von einer psychischen und physischen Erschöpfung mit Konzentrationsstörung und Schlaflosigkeit, wobei die Klägerin eine medikamentöse Therapie ablehne. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. diagnostizierte in seinem für die Beklagte erstatteten Gutachten vom 7. Januar 2009 eine Migräne ohne Aura und äußerte den Verdacht auf eine wahnhafte Störung. Er sah die Klägerin in der Lage, ihren seinerzeitigen Beruf als Chefsekretärin und leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr ohne qualitative Leistungseinschränkungen zu verrichten. Er empfahl die Durchführung einer medizinischen Rehabilitation. Die von der Beklagten angebotenen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Schreiben vom 3. Februar 2009) lehnte die Klägerin ab. Die Beklagte lehnte den klägerischen Rentenantrag durch Bescheid vom 3. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 ab.

Am 28. Januar 2011 stellte die Klägerin einen weiteren Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Unter dem 27. April 2011 berichtete die Fachärztin für Allgemeinmedizin G. von Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule, einer Schwindelproblematik sowie Schlafstörungen. Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht. Die Beklagte veranlasste eine erneute nervenärztliche Begutachtung. Die Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. B. gelangte in ihrem Gutachten vom 22. Juli 2011 - unter Berücksichtigung der Diagnose Erschöpfungssyndrom - zu der Einschätzung, dass die Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr verrichten könne. Hinweise für das Vorliegen einer zyklisch verlaufenden depressiven Störung oder einer Angsterkrankung lägen nicht vor. Der neurologische Befund habe keine richtungsweisenden Hinweise auf das Vorliegen einer zentralen Genese der geklagten Beschwerden gegeben. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 12. August 2011 ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens teilte Fachärztin für Allgemeinmedizin G. unter dem 17. Februar 2012 mit, dass die Klägerin seit 2009 nicht mehr im Arbeitsverhältnis stehe und arbeitsunfähig sei. Nach ihren Angaben könne die Klägerin nicht mehr volle acht Stunden konzentriert arbeiten. Einen von der Norm abweichenden klinischen Untersuchungsbefund habe sie nicht erhoben. Der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. diagnostizierte unter dem 13. Juli 2011 eine Zervikocephalgie und Spannungskopfschmerzen. Der Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. W. berichtete unter dem 1. Dezember 2011 über einen regelrechten Befund. Auf Anfrage der Beklagten empfahl Dr. D. im Befundbericht vom 17. Februar 2012 eine medizinische Rehabilitation und berichtete über eine weitere Abklärung des von der Klägerin geltend gemachten Schwindels. Prof. Dr. L., Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie H., berichtete von einer rezidivierenden Gangunsicherheit, derzeit ohne fassbare nachweisbare vestibuläre Störung. Auch die Möglichkeit eines somatoformen Schwindels sei eher unwahrscheinlich. Der Beratungsarzt der Beklagten H. sah unter dem 3. September 2012 keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte und empfahl die Durchführung einer medizinischen Rehabilitation. Das Angebot von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Beklagte (Schreiben vom 8. Oktober 2012) nahm die Klägerin nicht an. Die Beklagte wies den klägerischen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18. März 2013 zurück.

Am 16. Februar 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte von den behandelnden Ärzten Befundberichte ein. Die Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. B. teilte unter dem 27. April 2015 einen neurologisch unauffälligen Befund mit und berichtete, dass die Klägerin subjektiv unter Erschöpfung und Leistungsminderung leide. Eine Angst- oder Depressionssymptomatik liege nicht vor. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin G. teilte unter dem 12. Mai 2015 keine von der Norm abweichenden klinischen Untersuchungsbefunde mit. In ihrem ärztlichen Bericht zum Antrag auf Leistungen zur Teilhabe vom 26. Mai 2015 führte sie aus, dass Arbeitsunfähigkeit nicht bestehe, bei der Klägerin Schlafstörungen, Müdigkeit und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule bestünden und eine nachhaltige Besserung der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch eine Reha-Maßnahme zu erwarten sei. Zu einem Rentenantrag habe sie nicht geraten. Eine ausreichende Belastbarkeit für eine Rehabilitationsmaßnahme bestehe. Ebenso liege Reisefähigkeit vor.

Die Beklagte veranlasste eine weitere nervenärztliche Begutachtung der Klägerin. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin und physikalische Therapie Dr. H. äußerte in seinem Gutachten vom 10. August 2015 den Verdacht auf Neurasthenie vor dem Hintergrund histrionischer Persönlichkeitszüge. Er sah die Klägerin in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen in Früh- und Spätschicht sechs Stunden und mehr zu verrichten. Unverändert zu den Vorgutachten fänden sich keine quantitativen oder wesentlichen qualitativen Beeinträchtigungen des beruflichen Leistungsvermögens. Die Klägerin trage ihre Beschwerden über Jahre hinweg relativ stereotyp, wenig detailgenau oder dynamisch und differenziert vor.

Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. August 2015 den Rentenantrag ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte einen weiteren Befundbericht ein. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. B. teilte unter dem 9. November 2015 mit, dass bei der Klägerin ein chronisches Zervikalsyndrom sowie ein chronisches Lendenwirbelsäulen-Syndrom bestünden. Die Klägerin wünsche ausdrücklich keine Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen. Der Frauenarzt T. teilte unter dem 15. Februar 2016 mit, dass die Klägerin psychisch sowie körperlich nicht belastbar sei. Von der Norm abweichende klinische Untersuchungsbefunde benannte er nicht. Weiterhin veranlasste der Beklagte eine orthopädische Begutachtung der Klägerin. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. W. gelangte in seinem Gutachten vom 26. September 2016 - unter Berücksichtigung der Diagnosen chronisches Cervikalsyndrom, Spondylose der Halswirbelsäule, Osteochondrose C5/C6 und C6/C7, chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom bei Spondylolithesis L4/5, Knick-Senk-Spreizfuß beidseits, Hallux Valgus beidseits - zu der Einschätzung, dass die Klägerin leichte bis mittelschwere Arbeiten, zeitweise im Stehen, Gehen oder Sitzen, in Früh- und Spätschicht ohne Überkopfarbeiten und Tätigkeiten mit dauerhaften Zwangshaltungen sechs Stunden und mehr verrichten könne. Es habe eine Diskrepanz zwischen den erhobenen Befunden und der Befindlichkeit der Klägerin bestanden. Die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule sowie der Lendenwirbelsäule sei eingeschränkt.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15. November 2016 als unbegründet zurück.

Am 7. Dezember 2016 hat die Klägerin bei der Beklagten "Widerspruch" eingelegt. Auf den Hinweis der Beklagten vom 9. Dezember 2016 hat die Klägerin am 23. Dezember 2016 klarstellend mitgeteilt, dass sie Klage einreichen wolle. Die Schreiben der Klägerin vom 4. Dezember 2018 und 20. Dezember 2018 hat die Beklagte dem Sozialgericht Heilbronn (SG) mit Schreiben vom 29. Dezember 2016 vorgelegt (Eingang beim SG am 2. Januar 2017).

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen einvernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Stellungnahmen des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. O. vom 2. Juli 2018 (Bl. 147 der SG-Akten) sowie der Fachärztin für Allgemeinmedizin G. vom 5. Juli 2018 (Bl. 148 der SG-Akten) Bezug genommen.

Das SG hat - nach Anhörung der Beteiligten - die Klage durch Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2018 abgewiesen und sich dabei auf die Rentengutachten des Dr. H. und des Dr. W. sowie die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte Dr. O. und der Hausärztin G. gestützt.

Gegen den ihren Bevollmächtigten am 23. Oktober 2018 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 23. November 2018 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie - die Klägerin - sei teilweise erwerbsgemindert und außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das SG habe seine Beurteilung auf überholte Gutachten und Atteste gestützt. Sie hat u.a. einen Befundbericht über eine Vorstellung in der Hormonsprechstunde der Frauenklinik des Universitätsklinikums H. vom 20. Februar 2017 vorgelegt, wonach bei der Klägerin eine Hypothyreose bei Hashimotothyreoiditis, ein Uterus myomatosus, azyklisch kolikartige Unterbauchschmerzen unklarer Ursache sowie chronische Müdigkeit und Schlafstörungen vorlägen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Oktober 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2016 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Februar 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt ihre angefochtene Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid. Unter Vorlage des Versicherungsverlaufs vom 9. April 2019 hat die Beklagte ausgeführt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente letztmalig bei einem Versicherungsfall am 30. März 2015 erfüllt gewesen seien.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 22. August 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 22. August 2019 (Bl. 103/104 der Senatsakten) Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (zwei Bände) sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Sie wurde gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

2. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 24. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2016 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Februar 2015 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG), die im Übrigen auch fristgerecht bei der Beklagten erhoben wurde (vgl. §§ 87 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 91 Abs. 1 SGG), und begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht die Klägerin - zu Recht - nicht geltend, weil sie am 16. Februar 1961 geboren wurde und damit von vorneherein nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten der Übergangsvorschrift des § 240 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - zählt.

3. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das SG hat einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zutreffend verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 24. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2016 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

a. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI (in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554]) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen, a) Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet, b) Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den c) Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b) (z.B. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris Rdnr. 13).

b. Die Klägerin hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - unter Zugrundelegung der im Versicherungsverlauf vom 9. April 2019, gegen den die Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben hat, dokumentierten rentenrechtlichen Zeiten - im Zeitpunkt der Rentenantragstellung und dann letztmalig bei einem Leistungsfall am 30. März 2015 erfüllt. Der aktuelle Versicherungsverlauf der Klägerin vom 9. April 2019 weist vor Rentenantragstellung zuletzt eine versicherungspflichtige Beitragszeit im Juni 2009 auf. In der Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 und vom 1. Februar 2011 bis zum 11. Februar 2013 lag Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vor; in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 3. Januar 2011 bezog die Klägerin Kranken- bzw. Arbeitslosengeld (jeweils Anrechnungszeiten i.S.d. § 58 SGB VI). In der Zeit vom 1. September 2015 bis zum 14. Oktober 2016 sowie vom 1. Januar 2017 bis zum 30. April 2017 stand die Klägerin lediglich im Bezug von Arbeitslosengeld II, der gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung (Gesetz vom 9. Dezember 2010, BGBl. I 1885) Anrechnungszeiten, jedoch keine Pflichtbeitragszeiten begründet. Die bis zum 31. Dezember 2010 bestehende Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II (§ 3 Satz 1 Nr. 3a SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) wurde aufgehoben. Anschließend weist der Versicherungsverlauf lediglich vom 15. November 2017 bis zum 28. Februar 2018 (vier Monate) eine Pflichtbeitragszeit für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit auf. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte zutreffend zugrunde gelegt, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig am 30. März 2015 vorlagen. Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 6 SGB VI sowie der Übergangsvorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI liegen ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 9. April 2019 nicht vor.

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Klägerin am 30. März 2015 erwerbsgemindert war. Bei der Beurteilung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund ihre Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet. Diese sind jedoch nicht von einer solchen Schwere, dass sie das Leistungsvermögen der Klägerin in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt haben. Vielmehr genügten qualitative Einschränkungen, um ihren Leiden gerecht zu werden. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf die Rentengutachten von Dr. H. und Dr. W. sowie die vom SG bei Dr. O. und der Hausärztin G. eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen.

Die bei der Klägerin vorliegenden somatischen Erkrankungen begründen keine Leistungseinschränkungen in quantitativer Hinsicht. Dies entnimmt der Senat den Rentengutachten des Dr. H. und des Dr. W ... Dr. W. hat in seinem ausführlichen Gutachten vom 26. September 2016 in Einklang mit den klinischen und radiologischen Untersuchungsbefunden sowie den aktenkundigen Vorbefunden eine eingeschränkte Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule und eine Fußfehlstatik bei Knick-Senk-Spreizfuß sowie Hallux valgus festgestellt. Dr. W. hat im Rahmen seiner ausführlichen Untersuchung der Klägerin u.a. ein gut ausgeprägtes Muskelprofil, einen altersgemäßen Allgemeineindruck, ein gepflegtes Aussehen, keine Atemnot beim An- und Auskleiden, einen unauffälligen Gang, ein unauffälliges Hinsitzen und Wiederaufstehen, ein problemloses Aus- und Ankleiden, eine weitgehend unauffällige Statik, Mobilität, einen unauffälligen Muskel- und Weichteilstatus, einen normgerechten neurologischen Befund, kein selbständiges Bewegungsdefizit, leichte Bewegungseinschränkungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, eine freie Beweglichkeit der Schulter-, Ellenbogen-, Hand-, Finger-, Hüft-, Knie- und Fußgelenke, eine Fußfehlstatik bei Knick-Senk-Spreizfuß, einen ausgeführten Einbein-, Zehen- und Fersenstand sowie ein Gehen auf den Fersen sowie ein nicht ausgeführtes monopedales Hüpfen festgestellt und dokumentiert. Dr. W. hat das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin schlüssig und nachvollziehbar dahingehend beurteilt, dass diese jedenfalls leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ohne Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit Zwangshaltungen sowie unter Beanspruchung der Gang- und Standsicherheit (z.B. auf Leitern und Gerüsten) sechs Stunden und mehr verrichten kann. Eine Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht resultiert daraus nicht. Dieser Leistungseinschätzung hat sich der behandelnde Orthopäde Dr. O. mit Schreiben vom 2. Juli 2018 ausdrücklich angeschlossen. Auch der durch Dr. H. im Rahmen seiner Untersuchungen am 5. August 2015 erhobene körperlich-neurologische Untersuchungsbefund stellte sich weitgehend unauffällig dar, sodass auch er zutreffend von einem beruflichen Leistungsvermögen für zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes von sechs Stunden und mehr ausgegangen war.

Auch haben die von der Klägerin vor dem 30. März 2015 veranlassten Untersuchungen keine pathologischen Befunde ergeben, die eine Einschränkung ihres beruflichen Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht rechtfertigen könnten (vgl. z.B. Befundbericht des Radiologen Prof. Dr. T. vom 22. November 2011, des Arztes für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. W. vom 1. Dezember 2011, des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. vom 13. Juli 2011, des Prof. Dr. L. vom 25. Juli 2012).

Schließlich rechtfertigen auch Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin in zeitlicher Hinsicht. Der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Sozialmedizin Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 10. August 2015 auf Grundlage einer ausführlichen Untersuchung und einer sorgfältigen Anamnese unter Würdigung der Vorbefunde eine belangvolle neurologische und psychiatrische Erkrankung ausgeschlossen und lediglich den Verdacht auf eine Neurasthenie vor dem Hintergrund histrionischer Persönlichkeitszüge geäußert. Er hat die Klägerin als wach, zu allen Qualitäten orientiert, mit zusammenhängendem und flüssigem formalen Gedankengang, ohne inhaltliche Denkstörungen, ohne Halluzinationen, Beeinflussungserlebnisse, inhaltliche Denkstörungen oder Hinweise für Wahrnehmungen, lebensfroh, zeitweise reaktiv etwa gedämpft, mit ungestörtem Antrieb und Interesse, lebhaft, flüssig, mit einer regulären affektiven Modulation und Resonanz sowie ohne Beeinträchtigungen kognitiver Basisfunktion beschrieben. Dr. H. hat - wie die Vorgutachter auf seinem Fachgebiet Dr. W. und Dr. B. - eine belangvolle psychiatrische Erkrankung ausgeschlossen und lediglich qualitative Leistungseinschränkungen für Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen stellen, angenommen (Nachtschicht).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin in der hier maßgeblichen Zeit noch in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen mit Ausnahme von Tätigkeiten mit Wirbelsäulenzwangshaltungen, auf Leitern oder Gerüsten sowie mit Nachtschicht zu verrichten. Der Senat folgt dabei den überzeugenden Leistungseinschätzungen aller mit der Begutachtung der Klägerin befassten Ärzte (Dr. W., Dr. B., Dr. H., Dr. W.) sowie der behandelnden Ärzte Dr. O. und G., nach denen die Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen ausüben kann.

Steht das krankheits- bzw. behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 17 ff. m.w.N.) Diese Frage ist hier zu verneinen. "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind. Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - und dem Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen.

Die Klägerin kann - wie dargelegt - an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr (Nacht-)Schichtarbeiten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Dabei ist der Senat der Auffassung, dass die Klägerin über die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen kognitiven Grundfähigkeiten verfügt. Nach der Rechtsprechung des BSG werden unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" verstanden, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, mithin ausschließlich kognitive Grundfähigkeiten (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - juris Rdnr. 29). Wie dargelegt, liegt bei der Klägerin kein Leiden vor, das leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt. Die angesprochenen kognitiven Grundfähigkeiten sind nicht betroffen.

Die gesundheitlichen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 24 ff.). Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, körperlich leichte und geistige einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189; Urteil vom 11. Dezember 2019 - B 13 R 7/18 R - juris). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin es dieser erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass bei der Klägerin die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - BSGE 110, 1).

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen war die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum weder teilweise noch voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI. Somit hat ihre Berufung keinen Erfolg.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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