L 7 R 76/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1181/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 76/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. November 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1965 geborene Klägerin hat den Beruf der Näherin erlernt. Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1993 arbeitete sie zunächst als Arbeiterin in einer Gartenmöbelfabrik und sodann als Endkontrolleurin in einem Textilunternehmen in einem noch bestehenden Arbeitsverhältnis. Vom 25. Februar 2012 bis zum 3. Juni 2013 bezog sie Krankengeld und sodann vom 4. Juni 2013 bis 3. Juni 2014 Arbeitslosengeld. Die Zeit vom 4. Juni 2014 bis zum 30. Juni 2018 ist nicht mit rentenrechtlichen Zeiten belegt. Ab Juli 2018 bezog sie Arbeitslosengeld II. Bei der Klägerin ist seit dem 5. Februar 2016 ein Grad der Behinderung von 70 anerkannt.

Vom 24. Juli 2012 bis 28. August 2012 absolvierte die Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der K.-Klinik S. B., aus der sie mit den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, LWS-Syndrom, Adipositas und arterielle Hypertonie als vollschichtig leistungsfähig für ihre letzte Tätigkeit als Kontrolleurin sowie für leichte und mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, jedoch "arbeitsunfähig wegen der noch erheblichen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule" entlassen wurde (Entlassungsbericht des Dr. F. vom 4. September 2012).

Vom 6. Juni 2013 bis zum 5. August 2013 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung der S.-Kliniken R ... Im Entlassbrief vom 5. August 2013 nannte Chefarzt Dr. M. u.a. die Diagnosen undifferenzierte Somatisierungsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome. Insgesamt habe die Klägerin vom stationären Aufenthalt profitiert. Inwieweit sich eine weitere Stabilisierung im häuslichen Umfeld realisieren lasse, um dann in einem nächsten Schritt perspektivisch auch eine erneute berufliche Wiedereingliederung zu planen, müsse zum jetzigen Zeitpunkt offenbleiben.

Am 3. Juni 2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nachdem die Klägerin hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, veranlasste die Beklagte die gutachterliche Untersuchung der Klägerin. Im Gutachten vom 12. Februar 2014 stellte die Fachärztin für Allgemeinmedizin V.-K. die Diagnosen einer undifferenzierten Somatisierungsstörung mit Somatisierungen in allen körperlichen Ebenen mit begleitender Dysthymie, leichtgradiger Verschleißerscheinungen der Kniegelenke und Kniescheibenrückflächen beidseits ohne Bewegungseinschränkung sowie tablettenbehandelter Bluthochdruck bei Übergewicht. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zeitdruck, häufiges Knien, Wirbelsäulenzwangshaltungen, Nässe-, Kälte- und Allergenexpositionen noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten. Auch die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit als Endkontrolleurin sei weiterhin vollschichtig durchführbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 12. Mai 2014 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen gehört. Der Lungenfacharzt Dr. Z. hat unter dem 16. Dezember 2014 mitgeteilt, er habe die Klägerin wegen eines Asthma bronchiale behandelt. Unter initial intensiver antiasthmatischer Kombinationstherapie sei eine Besserung der Symptomatik eingetreten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit unspezifischen Atemwegsreizen (Staub, Gerüchen, Temperaturwechsel etc.) sowie mit schweren körperlichen Belastungen. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könne die Klägerin sechs Stunden täglich arbeiten. Die Ärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde MUDr. (Univ. K.) K. hat mit Schreiben vom Januar 2015 die Diagnosen einer geringgradigen pancochleären basocochleär betonten Innenohrschwerhörigkeit links, eines chronischen Tinnitus aurium, einer geringgradigen pancochleären Innenohrschwerhörigkeit rechts sowie eines rezidivierenden benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels genannt. Es bestehe keine Indikation für eine Hörgeräteversorgung. Unter dem 26. Januar 2015 hat der Orthopäde S. mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe auf seinem Fachgebiet ein chronisches Gesamtwirbelsäulensyndrom ohne sensomotorische Defizite sowie eine Gon- und Retropatellararthrose links stärker als rechts. Auf Grund der orthopädischen Erkrankungen bestünde keine Einschränkung bezüglich einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes halb- bis unter vollschichtig täglich. Eingeschränkt möglich seien Arbeiten in statisch ungünstigen Haltungen (gebückt, gebeugt). Ein Arbeitsplatz im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen wäre anzustreben. Der behandelnde Facharzt für Neurologie, Psychiatrie Dr. P. hat die von ihm erstellten Arztbriefe vorgelegt. Im letzten Arztbrief vom 12. Januar 2015 hat er die Diagnosen einer schweren depressiven Störung, Angst- und depressive Störung gemischt, Insomnie, Arthropathia humeroscapularis links, Epicondylitis humeri links sowie Karpaltunnelsydrom genannt. Die Klägerin habe von Bewegungs- und Gefühlsstörungen in der linken Außenhand berichtet, die inzwischen weitgehend rückläufig seien. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. R. hat unter dem 30. April 2015 mitgeteilt, das für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin maßgebliche Leiden liege auf psychiatrischem Gebiet. Zu Beginn der Behandlung im Jahr 2010 sei er davon überzeugt gewesen, dass die Klägerin ihrer beruflichen Tätigkeit wieder nachkommen könne. In den letzten zwei Jahren habe die Überzeugung diesbezüglich bei ihm erheblich abgenommen. Die Klägerin sei weinerlich, jammere über Schmerzen und andere Beschwerden am ganzen Körper und berichte über Schlafstörungen, Essstörungen, Angst- und Panikattacken. Er glaube nicht, dass die Klägerin sechs Stunden oder mehr täglich arbeiten könne.

Das SG hat die Klägerin sodann durch den Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie, Innere Medizin Dr. G. gutachterlich untersuchen lassen. Im fachpsychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 22. September 2015 hat Dr. G. folgende Befunde und Diagnosen mitgeteilt: Auf internistisch/allgemeinmedizinischem Gebiet: 1. Adipositas gigantea - durch Reduktionsmaßnahmen besserungsfähig. 2. Arterielle Hypertonie und Zustand nach (Z.n.) hypertoner Krise - unbefriedigende medikamentöse Einstellung, optimierte antihypertensive Therapie möglich. 3. Asthma bronchiale vom Mischtyp (Pollen, Nahrungsmittel, Medikamente) - zum Untersuchungszeitpunkt keine asthmatische Beschwerdekonstellation, auskulkatorisch keine Obstruktion erkennbar. 4. Verdacht auf (V.a.) venöse Insuffizienz - klinisch Hinweise für leichte venöse Stauungszeichen. 5. Tinnitus aurium - keine vordergründige Beschwerdensymptomatik. 6. Innenohrschwerhörigkeit beidseits - im Rahmen der gutachterlichen Exploration keine Einschränkung erkennbar. 7. Z. n. Hysterektomie. 8. Z.n. Cholecystektomie. 9. Mitgeteilter erhöhter Augeninnendruck. 10. Hinweise für Spannungskopfschmerzen. Auf orthopädischem Gebiet: 1. Mitgeteilte Arthropathia humeroscapularis links. 2. Mitgeteilte Epicondylitis humeri links. 3. Bandscheibenvorfall HWK 5/6. Bandscheibenvorfall HWK 4/5 (MRT gesichert). 4. Mitgeteilte Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits. 5. Mitgeteilte Coxarthrose beidseits. 6. Cervico-Cephalgien - Spannungskopfschmerzen. 7. Lendenwirbelsäulen-Syndrom - geringe Funktionseinschränkungen. 8. Brustwirbelsäulen-Syndrom bei leichter Rundrückenbildung - keine gewichtige Funktionsstörung erkennbar. 9. Verdacht auf Dupuytren-Kontraktur linke Handfläche - keine wesentliche Funktionseinschränkung erkennbar. Auf fachpsychiatrisch-neurologischem Gebiet: 1. Depressives Syndrom leichter bis mäßiger Ausprägung. 2. Undifferenzierte Somatisierungsstörung. 3. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung. 4. Migräne, eher niederfrequent – medikamentös behandelbar. 5. V.a. beginnende periphere sensible Polyneuropathie (am ehesten diabetogen) 6. V.a. cervikales sensibles Wurzelreiz-Syndrom C7/C8 links – kein Hinweis für motorische Ausfälle.

Wegen der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und der Somatisierungsstörung seien mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten zu vermeiden. Wegen des depressiven Geschehens seien Arbeiten am Fließband, Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht sowie Arbeiten unter Lärmbeeinträchtigung auszuschließen. Wegen der Einnahme von Schmerzmitteln und Antidepressiva seien Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie mit Absturzgefahr auszuschließen. Wegen der psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere der Depressionsneigung, seien Tätigkeiten im Akkord, am Fließband sowie unter Stresseinwirkungen auszuschließen. Das vermutete cervikale sensible Wurzelreizsyndrom und die damit verbundenen Sensibilitätsstörungen stehe Feinarbeiten mit den Händen entgegen. Schließlich seien wegen der Depressionsneigung und reduzierter psychischer Belastbarkeit Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung und Arbeiten unter besonderer Verantwortung nicht mehr zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei die Klägerin noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich pro Arbeitstag in einer Fünftagewoche auszuüben. Hierfür spreche, dass die Klägerin durchaus in der Lage sei, sämtliche Belastungen des Alltagslebens zu absolvieren wie z.B. die Erledigung von Haushaltsarbeiten wie Kochen, Wäschewaschen, Einkäufe tätigen. Sie könne auch ihren Freizeitbelangen nachgehen wie etwa Spaziergänge tätigen und Schwimmbäder besuchen. Sie sei auch befähigt, soziale Kontakte zu pflegen wie z.B. Unternehmungen mit Freundinnen und Besuche bei den Kindern. Gravierende psychosoziale Rückzugstendenzen seien nicht zu erkennen. Auch die Wegefähigkeit sei gegeben; die Klägerin habe hierzu angegeben, noch einstündige Spaziergänge absolvieren zu können. Zudem könne die Klägerin noch ein Fahrzeug führen. Soweit der Orthopäde S. die Auffassung vertreten habe, aus rein orthopädischer Sicht könne die Klägerin halb- bis unter vollschichtig tätig sein, sei diese Leistungseinschätzung aus neuro-psychiatrischer Sicht nicht nachvollziehbar. Der Orthopäde habe selbst beschrieben, dass die klinische Untersuchung nicht mit der erheblichen Klagesymptomatik in Einklang zu bringen sei. Die dort erwähnte Diagnose einer schweren depressiven Störung und Insomnie sei bei der gutachterlichen Untersuchung in diesem Schweregrad nicht nachweisbar.

Mit Urteil vom 8. November 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 14. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Januar 2017 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, bei ihr liege eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die zusätzlich die Fähigkeit, zumindest körperlich leichte Arbeiten zu verrichten, in erheblichem Umfang einschränkten. Zuletzt hat sie mit Schreiben vom 9. März 2020 vorgetragen, sie sei seit dem 16. Dezember 2011 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeit habe jährlich mehr als 26 Wochen vorgelegen, weshalb von einer Erwerbsunfähigkeit wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen sei. Die Klägerin hat Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 17. September 2018 bis 4. Januar 2019 und vom 4. Februar 2019 bis zum 31. Januar 2020 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. November 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2014 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe ab dem 1. Juni 2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zudem seien ab dem 1. August 2016 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr erfüllt.

Vom 13. Februar 2017 bis 16. Februar 2017 hat sich die Klägerin in der Steinlachklinik befunden, wo am 13. Februar 2017 eine ventrale Disektomie HWK 5/6 mit Implantation eines PEEK-Cache durchgeführt wurde. Während des Berufungsverfahrens hat die Klägervertreterin u.a. Arztberichte des Lungenfacharztes Dr. Z., des Facharztes für Neurologie und Verkehrsmedizin Dr. D., der Fachärztin für Neurologie Dr. P., des Orthopäden Dr. R., des Facharztes für Gefäß-, Herz- und Thoraxchirurgie, Phlebologe Dr. C., des Radiologen Dr. V., des Augenarztes Dr. R., des Radiologen Dr. N., der Internistin Dr. E., des Radiologen Dr. L., des Orthopäden Dr. C., der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialmedizin Dr. E., des Ärztlichen Direktors der BG Unfallklinik Prof. Dr. S., der Kardiologin Dr. Pfeilsticker, des Chirurgen Dr. P. und des Facharztes für Neurochirurgie Dr. Mose über Behandlungen der Klägerin ab dem Jahr 2017 vorgelegt. Hierzu hat die Beklagte Stellungnahmen der Beratungsärztin Dr. H. vom 4. Oktober 2017, 5. Dezember 2017, 12. Juni 2018 und 25. April 2019 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Vom 7. November 2017 bis 5. Januar 2018 hat sich die Klägerin in stationärer Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Rottenmünster, Rottweil, befunden. Im Entlassbericht vom 10. Januar 2018 hat Chefarzt Dr. H. ausgeführt, die Klägerin sei auf Grund zunehmender Verschlechterung der depressiven Symptomatik in Form von Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, innerer Unruhe und Anspannung sowie Überreizung und Überforderung bei ebenfalls verstärkter Schmerzsymptomatik aufgenommen worden.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Verkehrsmedizin, Umweltmedizin Dr. L. mit der Erstattung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 5. März 2019 hat Dr. L. die Diagnosen eines schmerzhaften Wirbelsäulensyndroms mit ausstrahlenden Beschwerden mit vertebragenen Kopfschmerzen sowie Cervikobrachialgien und Lumbalgien genannt. Anamnestisch bestehe eine Migräne. Bekannt seien eine Hypakusis und ein Tinnitus. Es liege eine seit vielen Jahren bestehende rezidivierende depressive Störung und Angst sowie ein Carpaltunnelsyndrom beidseits, rechtsbetont vor. Mit Blick auf die Leistungsfähigkeit stehe die rezidivierende depressive Störung und Angst im Vordergrund. Hier bestehe ein schwankender, phasenweiser Verlauf. Aktuell bestehe eine leichte bis maximal mittelschwere depressive Störung, die nicht adäquat behandelt werde. Obwohl die Klägerin im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung angegeben habe, sowohl am Untersuchungstag als auch am Vortag die Medikamente Pregabalin, Novaminsulvon, Ibuprofen und Duloxetin eingenommen zu haben, habe die Medikamentenspiegelbestimmung ergeben, dass das Medikament Pregabalin nicht eingenommen werde, das Medikament Novaminsulvon nicht nachvollziehbar eingenommen werde, das Medikament Ibuprofen nicht eingenommen werde und der Spiegel für das Medikament Duloxetin nicht im Normbereich liege, was auf eine nicht anhaltend konsequente Medikamenteneinnahme schließen lasse. Die Klägerin könne Tätigkeiten ohne Heben und Tragen von schweren Lasten, Arbeiten in Nässe und Kälte, Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltung, ohne Arbeiten im Kundenverkehr, in lauter Umgebung, mit besonderer Beanspruchung an das Hörvermögen, unter Zeitdruck, unter hoher Verantwortung und mit besonderer Anforderung an das Auffassungs- und Umstellungsvermögen sowie ohne feinmotorische Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden täglich an fünf Arbeitstagen pro Woche ausüben. Besondere Anforderungen an Arbeitspausen bestünden nicht. Auch die Wegefähigkeit sei noch gegeben. Zwar sei die Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit im Zuge mehrfach dokumentierter schwerer depressiver Episoden zumindest zeitweilig eingeschränkt gewesen, jedoch in der Regel nicht länger als einige Monate. Die depressive Störung stelle insbesondere keine Einschränkung von Dauercharakter dar.

Die Beklagte hat einen Versicherungsverlauf der Klägerin vom 28. Juni 2019 vorgelegt, zu dem die Klägerin vorgetragen hat, der Versicherungsverlauf sei richtig dargestellt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist auch gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 4. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG), mit der sie die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise einer Rente wegen teilweise Erwerbsminderung geltend macht.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin hat zwar die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, wonach der Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung voraussetzt, dass Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wäre jedoch nur dann erfüllt, wenn die Erwerbsminderung spätestens am 31. Juli 2016 eingetreten wäre. In dem dann maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 31. Juli 2011 bis zum 30. Juli 2016 liegen 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten (Juli 2011 bis Juni 2014). Bei Eintritt des Leistungsfalls am 1. August 2016 oder zu einem späteren Zeitpunkt wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Denn im dann maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 1. August 2011 bis zum 31. Juli 2016 liegen lediglich 35 Monate mit Pflichtbeitragszeiten (August 2011 bis Juni 2014). Die Folgezeit ab Juli 2014 ist ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 28. Juni 2019, dessen Richtigkeit die Klägerin ausdrücklich bestätigt hat, auch nicht mit rentenrechtlichen Zeiten belegt, welche den Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 4 SGB VI verlängern könnten.

Die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei Eintritt eines Leistungsfalls nach dem 31. Juli 2016 ist auch nicht nach § 241 Abs. 2 SGB VI möglich. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist, wobei für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich ist. Denn die Klägerin hat ausweislich ihres Versicherungsverlaufs vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt; hier ist lediglich die Zeit vom 25. November 1982 bis zum 30. Juni 1983 mit Zeiten der Schulausbildung belegt.

Die Klägerin war bis zum 31. Juli 2016 noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben und war damit nicht erwerbsgemindert.

Im Vordergrund haben bei der Klägerin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet gestanden. Hier bestand ein depressives Syndrom mit im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. G. am 19. September 2015 leichter bis mäßiger Ausprägung. In der Vergangenheit lagen zwar vorübergehende schwere depressive Episoden vor, die auch zu stationären Aufenthalten geführt haben wie z.B. in der Zeit vom 6. Juni 2013 bis zum 28. August 2013 in den S.-Kliniken R ... Nach stationärer Behandlung war es jedoch jeweils zu einer Besserung gekommen. Weiter bestehen eine undifferenzierte Somatisierungsstörung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine medikamentös behandelbare niederfrequente Migräne. Im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. G. hat weiter der Verdacht auf eine beginnende periphere sensible Polyneuropathie und der Verdacht auf ein cervikales sensibles Wurzelreiz-Syndrom C7/C8 links ohne Hinweise auf motorische Ausfälle bestanden. Darüber hinaus haben auf orthopädischem Fachgebiet ein Bandscheibenvorfall HWK 5/6, ein Bandscheibenvorfall HWK 4/5, Gonarthrosen und Retropatellararthrosen sowie Coxarthrosen beidseits sowie ein Lendenwirbelsäulen- und Brustwirbelsäulensyndrom mit geringen Funktionseinschränkungen vorgelegen sowie schließlich der Verdacht auf Dupuytren-Kontraktur der linken Handfläche ohne erkennbare wesentliche Funktionseinschränkung. Schließlich haben auf allgemeinmedizinisch-internistischem Gebiet eine Adipositas gigantea, eine arterielle Hypertonie, ein Asthma bronchiale vom Mischtyp (Pollen, Nahrungsmittel, Medikamente) ohne Obstruktion, eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits ohne Notwendigkeit zur Hörgeräteversorgung, ein Tinnitus aurium ohne vordergründige Beschwerdesymptomatik sowie der Verdacht auf eine venöse Insuffizienz bei klinischen Hinweisen auf leichte venöse Stauungszeichen sowie Hinweise auf Spannungskopfschmerz vorgelegen.

Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zwischen der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. G. am 19. September 2015 und dem Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen am 31. Juli 2016 ist nicht dokumentiert. Für diese Zeit liegt lediglich die ärztliche Bescheinigung des Orthopäden S. vom 26. Februar 2016 vor, wonach die Klägerin seit Januar 2012 in seiner Behandlung gestanden und über mannigfaltige Beschwerden im gesamten Bewegungsapparat mit degenerativen Veränderungen geklagt hat. Soweit der Orthopäde S. weiter angegeben hat, ferner bekannt sei eine schwere depressive Störung sowie ein anhaltendes somatoformes Schmerzsyndrom, handelt es sich um fachfremde Befunde. Die Klägerin hat sich danach erstmals wieder am 1. Februar 2017 in lungenfachärztlicher Behandlung bei Dr. M. befunden, der hierbei ein Asthma bronchiale vom Mischtyp mit polivalenter Sensibilisierung auf Baumpollen mit oralem Allergiesyndrom und Hausstaubmilbenallergie diagnostiziert hat. Am 13. Februar 2017 ist sodann in der Steinlachklinik - wegen der bereits von Dr. G. befundeten Bandscheibenvorfälle in den Segmenten HWK 5/6 und HWK 4/5 - eine ventrale Diskektomie HWK 5/6 mit Entfernung des Bandscheibenvorfalles linksbetont und Entfernung der Retrospondylose HWK 5/6 mit Implantation eines PEEK-Cache durchgeführt worden. Neurologische Ausfallerscheinungen sind präoperativ, wie Dr. H. in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 17. Mai 2017 ausgeführt hat, nicht dokumentiert.

Wegen der somatoformen Schmerzstörung und Somatisierungsstörung sowie der Erkrankung der Wirbelsäule kann die Klägerin mittelschwere und schwer körperliche Tätigkeiten nicht mehr ausüben. Wegen der depressiven Erkrankung sind darüber hinaus Arbeiten am Fließband, in Nacht- und Wechselschicht sowie Arbeiten unter Lärmbeeinträchtigung nicht mehr möglich. Gleichfalls auszuschließen sind Tätigkeiten unter Akkord und unter Stresseinwirkung. Gleiches gilt für Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten mit Absturzgefahr. Auch Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung sowie mit besonderer Verantwortung sind der Klägerin nicht mehr zumutbar. Schließlich sind wegen eines cervikalen sensiblen Wurzelreizsyndroms und den damit verbundenen Sensibilitätsstörungen Feinarbeiten mit den Händen möglichst zu vermeiden. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Einschränkungen ist die Klägerin zumindest bis zum 31. Juli 2016 noch in der Lage gewesen, leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung in Tagesschicht sechs Stunden täglich auszuüben. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. G. erstattete Gutachten. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. G. sind psycho-motorische Hemmungen oder Blockaden in keiner Weise aufgefallen, die Klägerin war sehr patent, aufmerksam und konnte sofort intervenieren, wenn der Sachverständige etwa einen Sachverhalt nicht entsprechend genau wiedergegeben hatte. Bei der Begutachtung haben sich keine Hinweise auf eine Konzentrationsminderung ergeben. Auch der von Dr. G. erhobene Tagesablauf der Klägerin enthält keine Indizien für schwerwiegendere Beeinträchtigungen. Die Klägerin hat Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Einkaufen und Wäschebesorgen noch ausgeführt. In ihrer Freizeit hat die Klägerin Hallenbäder aufsuchen und Spaziergänge mit Familienangehörigen durchführen können. Auch hat keine Beeinträchtigung sozialer Kontakte bestanden. Während der etwa anderthalbstündigen Exploration hat die Klägerin ihre Sitzposition nicht häufiger verändern müssen, sie hat spontane Kopfdrehungen und flüssige Greifbewegungen der Hände gezeigt, auch das Ankleiden ist in angemessener Zeit erfolgt. Während der Exploration hat auch kein sonderlicher Konzentrationsabfall bestanden. Dr. G. hat hierzu ausgeführt, die Klägerin stehe unter wirtschaftlichem Druck bei vorhandener Wohnungsverschuldung und eingeschränkter körperlicher wie auch psychischer Belastbarkeit, wobei offenbar auch Schuldgefühle diesbezüglich gegenüber dem seinerzeit erwerbstätigen Ehemann bestünden. Es sei sicherlich zutreffend, dass somatische und psychische Einschränkungen bestünden, jedoch lägen zumindest keine schweren Krankheitszustände vor, die einer leichten Erwerbstätigkeit entgegenstünden. Diese Leistungsbeurteilung steht in Übereinstimmung mit der Beurteilung durch die Ärztin V.-K. im Gutachten vom 12. Februar 2014, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird.

Soweit der behandelnde Orthopäde S. nur noch ein halb- bis unter vollschichtiges Leistungsvermögen für zumutbar erachtet hat, steht dem, wie Dr. G. zutreffend ausgeführt hat, entgegen, dass die von dem Arzt S. genannten Befunde eine solche Leistungseinschränkung nicht rechtfertigen, zumal dieser selbst ausgeführt hat, die klinische Untersuchung sei nicht mit der erheblichen Klagesymptomatik in Einklang zu bringen. Der Senat folgt auch nicht der Leistungsbeurteilung des Internisten Dr. R. in dessen sachverständiger Zeugenaussage vom 30. Mai 2015. Dr. R. hat diese im Wesentlichen fachfremd auf die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet gestützt, die jedoch in zutreffender Weise durch Dr. G. befundet worden sind.

Die Klägerin ist auch noch in der Lage, viermal täglich eine Wegstecke von 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurückzulegen und damit einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Zudem verfügt sie über ein Kraftfahrzeug, das sie auch noch führen kann.

Unbeachtlich für das vorliegende Verfahren ist, ob nach dem 31. Juli 2016 eine wesentliche Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten ist, wofür bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte vorliegen. Vielmehr ist Dr. L. in dem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten vom 5. März 2019 zu der Beurteilung gelangt, die Klägerin könne noch sechs Stunden täglich arbeiten. Hierbei ist hervorzuheben, dass die Bestimmung des Medikamentenspiegels durch Dr. L. ergeben hat, dass das Medikament Pregabalin von der Klägerin nicht eingenommen worden ist, das Medikament Novaminsulfon nicht nachvollziehbar eingenommen worden ist, das Medikament Ibuprofen nicht eingenommen worden ist und der Spiegel für das Medikament Dulocetin im Serum nicht im Normbereich gelegen hat, was auf eine nicht anhaltend konsequente Medikamenteneinnahme schließen lässt, obwohl die Klägerin angegeben hatte, die Medikamente am Untersuchungstag und am Vortag eingenommen zu haben. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die angegebene Schmerzmedikation wie auch die antidepressive Medikation offensichtlich nicht konsequent eingenommen wird.

Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht voll erwerbsgemindert. Eine Ausnahme, die - trotz mindestens sechsstündiger Leistungsfähigkeit - eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtfertigen kann, ist allerdings dann gegeben, wenn qualitative Leistungsbeschränkungen vorliegen, die eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstellen (vgl. etwa BSG SozR 3-2600 § 43 Nrn. 17 und 21; SozR a.a.O. § 44 Nr. 12), oder der Arbeitsmarkt sonst praktisch verschlossen ist, etwa weil der Versicherte nicht in der Lage ist, noch unter betriebsüblichen Bedingungen Tätigkeiten zu verrichten oder seine Fähigkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen, aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 137 und 139). Die letztgenannten beiden Gründe, die zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen können, liegen nach dem Beweisergebnis - wie oben ausgeführt - nicht vor. Ebenso wenig stellt das bei der Klägerin zu beachtende positive und negative Leistungsbild eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen entscheidend von deren Anzahl, Art und Schwere ab, wobei die Frage der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zweckmäßigerweise in zwei Schritten zu klären ist. Zunächst ist in einem ersten Prüfungsschritt festzustellen, ob das Restleistungsvermögen der Versicherten körperliche Verrichtungen erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.; vgl. BSGE 80, 24, 32); erst wenn insoweit Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen, folgt eine weitere Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, die alsdann zur Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit führt (vgl. BSG SozR 3-2600 § 43 Nrn. 17 und 21; SozR a.a.O. § 44 Nr. 12; BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 16; SozR a.a.O. § 43 Nrn. 18 und 19).

Die bei der Klägerin zu beachtenden qualitativen Einschränkungen führen indes nicht zu Zweifeln an ihrer betrieblichen Einsetzbarkeit. Die im Rahmen einer leidensgerechten Tätigkeit zu berücksichtigenden Einschränkungen (keine Arbeiten im Schichtdienst und am Fließband, mit vermehrten Anforderungen an die geistige und psychische Belastbarkeit, mit besonderer geistiger Beanspruchung oder Verantwortung, auf Leitern und Gerüsten bzw. mit Absturzgefahr, mit vermehrter Lärmexposition und dem Erfordernis einer Feinarbeit mit den Händen) führen nicht zu einer Einengung der beruflichen Einsetzbarkeit der Klägerin im oben genannten Sinn (vgl. hierzu BSGE 80, 24, 32; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - B 5 RJ 48/03 R - (juris Rdnr. 19); BSG SozR 4-2600 § 43 Nrn. 18 und 19). Selbst körperlich leichte Arbeiten werden im Übrigen nicht typischerweise unter diesen Bedingungen ausgeübt.

Auch häufigere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bewirken für sich allein noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 9, 192, 194; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 12 S. 23). Zwar können nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Beschluss vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 107/12 B - juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 31. März 1993 - SozR 3-2200 § 1247 Nr. 14 - juris Rdnr.) auch häufige, zeitlich nicht genau festliegende (nicht "einplanbare"), mit einer vollständigen Leistungsunfähigkeit verbundene Arbeitsunfähigkeitszeiten den "unüblichen Arbeitsbedingungen" zuzuordnen sein und Gesundheitsstörungen mit entsprechenden Arbeitsunfähigkeitszeiten schwere spezifische Leistungseinschränkungen darstellen. Solche häufigen, nicht einplanbaren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit haben jedoch bei der Klägerin - jedenfalls bis zum 31. Juli 2016 - nicht vorgelegen. Zum einen sind Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nicht seit dem 16. November 2011 - wie von der Klägerin vorgetragen - durchgängig nachgewiesen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind vielmehr nur für die Zeit vom 17. September 2018 bis zum 4. Januar 2019 und ab dem 4. Februar 2019 vorgelegt worden. Auch die zuletzt vorgelegte Mitglieds- und Vorerkrankungsbescheinigung der AOK Baden-Württemberg vom 21. April 2020 enthält nur Vorerkrankungen bis zum 30. April 2014. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit allein auf die ausgeübte Tätigkeit bezieht, nicht jedoch auf die Fähigkeit, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. So hat Dr. F. im Entlassbericht vom 4. September 2012 zwar einerseits ausgeführt, die Klägerin werde arbeitsunfähig entlassen wegen der noch erheblichen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule. Gleichzeitig hat er aber ein vollschichtiges Leistungsvermögen sowohl für die letzte berufliche Tätigkeit als Kontrolleurin wie auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bescheinigt. Der Entlassbrief der S-Kliniken vom 5. August 2013 enthält keine Aussage zu einer Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Soweit Dr. M. darin ausgeführt hat, inwieweit sich eine weitere Stabilisierung im häuslichen Umfeld realisieren lasse, um dann in einem nächsten Schritt perspektivisch auch eine erneute berufliche Wiedereingliederung zu planen, müsse zum jetzigen Zeitpunkt offenbleiben, bezieht sich auch diese Aussage allein auf den zum damaligen Zeitpunkt innegehabten Arbeitsplatz als Endkontrolleurin im Schichtbetrieb. Nachdem das Arbeitsverhältnis der Klägerin zumindest im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. G. am 19. September 2015 nach ihren Angaben noch bestanden hat, war Bezugspunkt für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit diese Tätigkeit, nicht jedoch sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist die Klägerin bis zum 31. Juli 2016 weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI gewesen. Somit hat die Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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