L 2 AS 627/19 B ER und L 2 AS 628/19 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 1982/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 627/19 B ER und L 2 AS 628/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. November 2019 über die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 18. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. November 2019 über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe wird aufgehoben und der Antragstellerin für das erstinstanzliche einstweilige Rechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Born bewilligt.

Kosten für das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darüber, ob die Antragstellerin Anspruch auf vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) hat.

Die am ... 1985 geborene Antragstellerin ist k Staatsangehörige. Sie reiste nach ihren Angaben zusammen mit ihrem am ... 1984 geborenen Lebensgefährten M. Z. (k Staatsangehöriger) und den gemeinsamen Kindern R. (geb ...), V. (geb ...) und A. (geb ...) im März 2016 nach Deutschland ein. Zunächst lebten sie in N ... Dort gingen der Sohn R. und die Tochter V. auch zur Schule. Ausweislich des Zeugnisses der Mittelschule N. vom 17. Februar 2017 besuchte der Sohn Romano die Übergangsklasse der Jahrgangsstufe 8. Auch für die Tochter wurde am 10. Februar 2017 der Besuch der Mittelschule N. in der 5. Jahrgangsstufe für das Schuljahr 2016/2017 bestätigt. Die Antragstellerin war vom 1. Oktober 2016 bis zum 28. Februar 2017 in N. als Hotelfachkraft/Zimmermädchen im Hotel H. beschäftigt.

Am 16. Juli 2017 zog die Familie nach H. an der Saale um, auch die Kinder wurden umgeschult. Für die Mietwohnung sind derzeit 500,68 EUR Miete aufzuwenden.

In der Folgezeit erhielten alle fünf Familienmitglieder bis März 2019 Leistungen nach dem SGB II. Herr Z. war vom 12. September bis zum 30. November 2018 mit 10 Stunden wöchentlich (8,84 EUR pro Stunde) bei dem Eiscafé P. und vom 7. Februar bis zum 5. April 2019 bei der Firma C. G. G. W. GmbH als Reinigungskraft (6,18 Wochenstunden bei 10,05 EUR Stundenlohn) beschäftigt.

Für den Bewilligungsabschnitt vom 1. April bis 30. September 2019 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Juni 2019 nur noch den anderen vier Familienmitgliedern, aber nicht der Antragstellerin Leistungen.

Die Antragstellerin nahm am 16. Juni 2019 eine Beschäftigung bei der Firma 3. Dienstleistung L. GmbH (28 Stunden wöchentlich, 10,05 EUR Stundenlohn) auf. Diese endete durch fristlose Arbeitgeberkündigung zum 26. Juni 2019. Dies begründete die Arbeitgeberin damit, dass die Antragstellerin am 20. Juni 2019 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen sei. Im Juni 2019 erzielte die Antragstellerin ein Bruttoentgelt in Höhe von 147,43 EUR.

Am 13. September 2019 stellte Herr Z. einen Weiterbewilligungsantrag. Der Antragsgegner forderte ihn auf, Bescheinigungen für die unfreiwillige Arbeitslosigkeit beizubringen. Am 7. Oktober 2019 nahm dieser eine bis zum 20. Dezember 2019 befristete Beschäftigung bei der Firma A. Personaldienstleistungen als Hilfskraft auf (Stundenlohn 9,66 EUR, 120 Stunden pro Monat).

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 bewilligte der Antragsgegner Herrn Z. und den drei Kindern vorläufig Leistungen vom 7. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Hiergegen legte die Antragstellerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 16. Oktober 2019 Widerspruch ein. Das Freizügigkeitsrecht und damit einhergehend ein Leistungsanspruch leite sich aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ab. Die Kinder seien auch während des Arbeitsverhältnisses der Mutter zur Schule gegangen.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2019 hat die Arbeitgeberin Herrn Z. das bestehende Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt, ersatzweise zum nächsten Termin.

Am 18. Oktober 2019 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Halle (SG) beantragt. Es bestehe ein Aufenthaltsrecht aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. Denn ihre Kinder R. und V. würden sowohl im Zeitraum des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses als auch bis heute die Schule besuchen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c SGB II sei europarechtswidrig. Zum Beleg hat sie Schulbescheinigungen der Sekundarschule "J. C. R." vom 21. Juni 2019 beigefügt, wonach der Sohn R. die Klasse 9a besucht und bis voraussichtlich 31. Juli 2019 Schüler der Schule sein wird, und die Tochter V. die Klasse 6b besucht. In einer Schulbescheinigung vom 15. Oktober 2019 hat die Schule der Tochter den Besuch der Klasse 7b bescheinigt. Der Sohn A. besucht ausweislich der Schulbescheinigung der Grundschule H. vom 13. September 2019 aktuell die Klasse 1b.

Der Antragsgegner hat darauf verwiesen, dass ein Anspruch von der Vorlage einer Unfreiwilligkeitsbescheinigung der Agentur für Arbeit für das bis zum 26. Juni 2019 ausgeübte Arbeitsverhältnis abhänge. Mit Änderungsbescheiden vom 7. November 2019 hat er die Zahlung der Leistungen an die übrigen Familienmitglieder ab dem 1. Dezember 2019 vorläufig bis zur Vorlage einer Unfreiwilligkeitsbescheinigung eingestellt und ihnen höhere Leistungen (ohne Einkommen aus Erwerbstätigkeit) für November 2019 bewilligt. In der Verwaltungsakte des Antragsgegners finden sich unter dem Datum 7. November 2019 sowohl eine Bescheinigung der Bundesagentur für Arbeit, bei der die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die Beschäftigung vom 16. Juni bis 26. Juni 2019 bestätigt wird (Bl. 59 VA EA 10/19 -03/20) als auch eine solche Bescheinigung, in der die die Unfreiwilligkeit abgelehnt wird (Bl. 69 GA). Beide Bescheinigungen sind nicht unterschrieben. Der Antragsgegner hat im Gerichtsverfahren als maßgebliche Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit die Bescheinigung vorgelegt, in der die Unfreiwilligkeit verneint wird.

Die Antragstellerin hat einen Vergleich im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens von Herrn Z. vorgelegt. Danach hat das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit mit Ablauf des 15. Oktober 2019 geendet. Die Firma A. hat danach nicht an den Gründen der außerordentlichen Kündigung vom 10. Oktober 2019 festgehalten und der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 26. November 2019 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt: Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Sie halte sich ab dem 27. Juni 2019 nur noch zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ein nachwirkendes Freizügigkeitsrecht bestehe nicht, weil eine Unfreiwilligkeit des Ausscheidens ausdrücklich von der Bundesagentur verneint worden sei. Die Antragstellerin könne weder von ihrem Lebensgefährten noch von ihren Kindern ein Freizügigkeitsrecht ableiten. Dies bestehe auch nicht aufgrund der Personensorge für die Kinder. Denn diese seien ebenfalls von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Ein Freizügigkeitsrecht aufgrund des Schulbesuches bestehe nicht. Dies sei gesetzlich ausgeschlossen, was auch europarechtskonform sei. Auch aus §§ 28, 29 Aufenthaltsgesetz folge kein Aufenthaltsrecht. Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) schieden aus. Mit gesondertem Beschluss ebenfalls vom 26. November 2019 hat das SG auch den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Die Antragstellerin hat gegen die ihrem Prozessbevollmächtigten am 27. November 2019 zugestellten Beschlüsse am 7. November 2019 jeweils Beschwerde eingelegt und zur Begründung auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz verwiesen.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

1. den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. November 2019 abzuändern und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

2. den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. November 2019 aufzuheben und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche einstweilige Rechtsschutzverfahren zu bewilligen.

3. der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Born als Rechtsanwalt beizuordnen.

Der Antragsgegner hat den Widerspruch der Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2019 zurückgewiesen. Da die Arbeitslosigkeit nach Beendigung der Beschäftigung zum 26. Juni 2019 nicht unfreiwillig war, könne die Antragstellerin keinen Arbeitnehmerstatus für die kommenden sechs Monate bis zum 26. Dezember 2019 hieraus ableiten. Auch von ihrem unverheiratetem Partner oder ihren Kindern könne sie kein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU ableiten.

Der Antragsgegner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht weiter geäußert, sondern kommentarlos die Verwaltungsakten übersandt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsvorgänge verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bzw. diejenige gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2b SGG ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750 EUR übersteigt, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Antragstellerin begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 18. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020. Aktuell ist kein Erwerbseinkommen in der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen. Allein ihr Anspruch auf Regelleistung in Höhe von 382 EUR bzw. ab 1. Januar 2020 in Höhe von 389 EUR monatlich überschreitet 750 EUR.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung des SG vom 26. November 2019 über die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg (dazu unter A.). Das Beschwerdeverfahren gegen die ablehnende PKH-Entscheidung des SG vom 26. November 2019 hat ebenfalls Erfolg (dazu unter B.). Der Antragstellerin ist für das Beschwerdeverfahren keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen (dazu unter C.).

A. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

1. Verfahrensrechtliche Grundlage für eine Verpflichtung des Antragsgegners in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, in denen es – wie hier – nicht um die Geltendmachung einer bereits gewährten, zwischenzeitlich aber aberkannten Rechtsposition geht, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs (der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) und eines Anordnungsgrunds (der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile).

Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn eine Vorausbeurteilung der Hauptsache nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen eines Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) stellt aber besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Umso gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat insofern die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Folgenabwägung getroffen wird (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 14. März 2019 - 1 BvR 169/19 - juris, Rn. 15, 16 m.w.N).

2. Vorliegend ist ein Leistungsanspruch der Antragsteller nach dem SGB II für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zumindest nicht unwahrscheinlich und im Rahmen einer Folgenabwägung zu gewähren. Das Hauptsacheverfahren ist noch nicht entschieden, es läuft noch die Klagefrist gegen den Widerspruchsbescheid vom 28. November 2019.

a) Die Antragstellerin erfüllt die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Auch ist sie in der Lage, in dem in § 8 Abs. 1 SGB II beschriebenen Umfang erwerbstätig zu sein. Zudem hat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 18) in der Bundesrepublik Deutschland begründet.

b) Es kann offen bleiben, ob die Antragstellerin über ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügigkeitsG/EU aufgrund von nachwirkendem Arbeitnehmerstatus bis zum 28. Dezember 2019 verfügt. Dies bedürfte weiterer Aufklärung. So liegen zwei gegensätzliche Bescheinigungen der Bundesagentur für Arbeit vom 7. November 2019 über die Unfreiwilligkeit bzw. fehlende Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit in Bezug auf das vom 16. bis zum 26. Juni 2019 dauernde Arbeitsverhältnis der Antragstellerin vor. Hierauf kommt es nicht an, denn jedenfalls hat die Antragstellerin durchgehend vom 18. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO/EU 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Union vom 5. April 2011 sowie den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen, die zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen, deren Aufenthaltsrecht sich aber allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordert die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes beziehungsweise der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts/einer Freizügigkeitsberechtigung aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 23; Urteil vom 25. Januar 2012 - B 14 AS 138/11 R - juris, Rn. 20; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. November 2013 - L 2 AS 841/13 B ER - juris, Rn. 29).

aa) Wie schon in den Beschlüssen des Senats vom 6. September 2017 (L 2 AS 567/17 B ER, juris), vom 2. November 2017 (L 2 AS 622/17 B ER) und vom 13. März 2019 (L 2 AS 8/19 B ER) entschieden, ergibt sich dieses aus Art. 10 VO/EU 492/2011. Diese Regelung bestimmt, dass die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen können. Art. 10 VO/EU 492/2011 verleiht den Kindern von Arbeitnehmern ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule und damit ein autonomes, d.h. nicht vom Aufenthaltsrecht seiner Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht gilt für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO/EU 492/2011 verlangt nur, dass das Kind mit seinen Eltern bzw. einem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte.

Diese Voraussetzungen wird jedenfalls durch die Tochter Vanessa, die während der nicht nur unwesentlichen Beschäftigungszeiten der Antragstellerin vom 1. Oktober 2016 bis zum 28. Februar 2017 sowie der Arbeitszeiten ihres Vaters vom 12. September bis 30. November 2018 und vom 11. Februar bis 5. April 2019 die allgemeinbildende Schule besucht hat, erfüllt. Die Tochter geht durchgehend seit längerer Zeit und insbesondere auch während der Beschäftigungszeiten ihrer Mutter und ihres Vaters in zunächst in N. und dann in H. zur Schule, was durch eine Vielzahl von Schulbescheinigungen belegt wird. Sie ist in das deutsche Schulsystem über viele Jahre integriert. Ob darüber hinaus auch der Sohn Romano noch über den 31. Juli 2019 zur Schule geht, ist nicht nachgewiesen, aber auch nicht erheblich. Hinzu kommt, dass auch der Sohn Aleksandro seit dem Schuljahr 2019/2020 die Klasse 1 besucht, also auch während der Arbeitstätigkeit seines Vaters vom 7. bis 10. Oktober 2019.

Aus dem Aufenthaltsrecht des sich in der Ausbildung befindlichen Kindes folgt nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich das BSG angeschlossen hat, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht für dessen Eltern, sofern sie die elterliche Sorge für das Kind tatsächlich wahrnehmen. Denn die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihres Kindes im Aufnahmestaat zu bleiben, kann geeignet sein, dem Kind das unionsrechtlich zuerkannte Recht faktisch zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R - juris, Rn. 31 ff.). Die Antragstellerin hat gemeinsam mit Herrn Z. das Sorgerecht für ihre Kinder inne. Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, dass sie dieses Recht auch tatsächlich ausübt.

bb) Die durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (BGBl. 2016, S. 3155) mit Wirkung vom 29. Dezember 2016 aufgenommene neue Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c SGB II ist nach Rechtsauffassung des Senats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit europarechtswidrig (im Einzelnen: Beschlüsse des Senats vom 13. März 2019, L 2 AS 8/19 B ER und vom 6. September 2017 – L 2 AS 567/17 B ER – juris, ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 17. Februar 2017 - L 6 AS 11/17 B ER - juris, Rn. 23 ff. sowie LSG NRW, Beschluss vom 12. Juli 2017, L 12 AS 596/17 B ER). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann, wenn eine gewisse Verfestigung des Aufenthaltsrechts während der Dauer des Schulbesuchs eingetreten ist, weil zu diesem Zeitpunkt durch die Eltern oder ein Elternteil des Kindes eine nicht nur völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit im Sinne der ständigen Rechtsprechung des EuGH ausgeübt worden ist (siehe unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 - Rs. 66/85 - Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Rn. 17; Urteil vom 26. Februar 1992 - Rs. C-3/90 - Bernini, Slg. 1992, I 1071, Rn. 14; Urteil v. 26. Februar 1992 - Rs. C-357/89 - Raulin, Slg. 1992, I-1027, Rn. 10; Urteil vom 18. Juli 2007 - Rs. C-213/05 – Geven, Slg. 2007, I-6347, Rn. 27; Urteil vom 4. Februar 2010 - Rs. C-14/09 – Genc -, juris Rn. 26 f.; siehe dazu auch Dienelt in: Bergmann u.a., Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, § 2 FreizügG/EU Rn. 38 ff. m.w.N.). Das LSG NRW hat mit Entscheidung vom 14. Februar 2019 (Az. L 19 AS 1104/18) zwischenzeitlich dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der Leistungsausschluss von Unionsbürgern, die über ein Aufenthaltsrecht aus Art.10 VO/EU 492/2011 verfügen, im deutschen Recht gegen das unionsrechtliche Gleichbehandlungsgebot verstößt und damit wegen des Anwendungsvorranges europäischer Vorschriften keine Wirkung entfaltet, zur Vorabentscheidung vorgelegt (vgl. zur in diesem Rahmen erforderlich gewordenen Ausübung von Entschließungsermessen § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II).

Aus dem allgemeinen Grundsatz, nach dem dem Unionsrecht im Verhältnis zum nationalen Recht ein Anwendungsvorrang zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 - 6/64 - [Costa/ENEL], juris), folgt bei einer Unvereinbarkeit der neuen Ausschlussklausel mit Unionsrecht deren Nichtanwendbarkeit. Die Feststellung der Unionsrechtwidrigkeit einer nationalen Regelung ist dem EuGH vorbehalten. Weil aber im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine (weitere) Vorlage an den EuGH untunlich ist und die bereits vorgelegte Vorlage noch nicht entschieden ist, trifft der Senat im Rahmen einer Folgenabwägung seine Entscheidung (so schon im Senatsbeschluss vom 6. September 2017 - L 2 AS 567/17 B ER, ebenso das Schleswig-Holsteinische LSG, Beschluss vom 17. Februar 2017 - L 6 AS 11/17 B ER - juris, Rn. 23 ff.). Bekäme die Antragstellerin keine vorläufigen Leistungen zugesprochen, ist zu befürchten, dass sie mit ihrer Familie gezwungen wäre, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch den Schulbesuch der Kinder zu beenden. Eine spätere stattgebende Hauptsacheentscheidung könnte diese Nachteile nicht mehr ausgleichen.

3. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie verfügt über kein Einkommen oder Vermögen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die besondere Eilbedürftigkeit besteht bereits wegen der existenzsichernden Funktion der SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

4. Die Antragstellerin kann im Rahmen der vorläufigen Leistungsgewährung Leistungen für den Zeitraum vom 18. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 zugesprochen bekommen.

Weil erst mit der Stellung eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz eine Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht wird, beginnt der Regelungszeitraum auch erst mit der Stellung dieses Antrags (hier am 18. Oktober 2019), soweit nicht explizit auch die Nachholung der Leistung begehrt wird und ein entsprechendes Nachholbedürfnis glaubhaft gemacht wird. Die Antragstellerin hat keinen gegenteiligen Antrag gestellt, so dass ihr Begehren so auszulegen ist, dass sie ab dem 18. Oktober 2019 Leistungen begehrt. Die vorläufigen Leistungen werden hier bis zum 31. März 2020 gewährt. Gerichtliche Entscheidungen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestalten den Bewilligungszeitraum für Leistungen nach dem SGB II nicht abweichend von den gesetzlichen Vorgaben im Bereich des SGB II. Werden höhere Leistungen als bislang bewilligt begehrt, ist auf diesen Zeitraum abzustellen, der - auf der Grundlage der Entscheidung der Gemeinsamen Einrichtung - im Regelfall zwölf, unter bestimmten Voraussetzungen aber nur sechs Monate beträgt. Die Bindung an einen Bewilligungszeitraum bedeutet gleichwohl nicht, dass Regelungszeiträume für Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung identisch sein müssen mit denjenigen in einer Hauptsache. Jedenfalls wenn auch die Behörde bei rechtzeitiger Bewilligung der Leistungen vorläufig entsprechend §§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II nur für sechs Monate über die Leistungsgewährung entscheiden soll, geht der Senat davon aus, dass insofern für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch ein solcher zeitlicher Rahmen von sechs Monaten angebracht ist. Hier endet der reguläre Bewilligungszeitraum für die Bedarfsgemeinschaft am 31. März 2020. Damit wird das streitige Rechtsverhältnis nicht zu lange vorweg genommen und es erfolgt ein Gleichlauf mit den Bewilligungen für die übrigen Familienmitglieder.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

B. Die Beschwerde gegen die ablehnende Prozesskostenhilfeentscheidung des Sozialgerichts Halle ist ebenfalls begründet.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und sie nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die von den Antragstellern beabsichtigte Rechtsverfolgung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hatte hinreichende Erfolgsaussicht, wie oben dargestellt. Die Antragstellerin verfügt auch nicht über Einkommen oder Vermögen um die Prozesskosten zu bestreiten. Aktuell verfügt auch ihr Partner über kein Erwerbseinkommen oder zu berücksichtigende Vermögenswerte.

C. Der Antragstellerin ist für das Beschwerdeverfahren keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Dieser Antrag ist nicht begründet, da insoweit die gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO notwendige Prozessarmut nicht gegeben ist. Die mit dem vorliegenden unanfechtbaren Beschluss festgestellte Kostenerstattungspflicht des Antragsgegners stellt einzusetzendes Vermögen dar, so dass die Antragstellerin in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens über einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner geltend zu machen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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