Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AL 336/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AL 109/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.07.2020 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes um die Aufhebung eines Anerkennungsbescheides betreffend die Gewährung von Kurzarbeitergeld (Kug).
Die Antragstellerin ist eine Fluggesellschaft mit Unternehmenssitz in N. Sie gehört zur S-Gruppe; seit dem 01.01.2020 wird der Flugbetrieb der Gruppe in Deutschland ausschließlich durch die Antragstellerin abgedeckt. Die in Deutschland stationierten Piloten und Mitarbeiter (insgesamt 931) sind seit diesem Datum bei der N Limited angestellt. Sie sind nach Angaben der Antragstellerin in Deutschland steuer- und sozialversicherungspflichtig. Alle Mitarbeiter sind einer sog. Homebase an einem von der Antragstellerin bedienten deutschen Flughafen zugewiesen.
Mit Schreiben vom 11.03.2020 zeigte die Antragstellerin, vertreten durch ihre Bevollmächtigten, bei der Agentur für Arbeit L die mögliche Einführung von Kurzarbeit in Folge der Ausbreitung von COVID-19 und der damit verbundenen Auswirkungen für die Luftfahrtbranche an den deutschen Stationierungsorten (Basen) an. Mit weiterem Schreiben vom 31.03.2020 zeigte sie die Einführung von Kurzarbeit in der Zeit vom 19.03.2020 bis zum 23.03.2020 im Umfang von 50 % sowie in der Zeit vom 24.03.2020 bis zum 31.05.2020 im Umfang von 100 % an. Den entsprechend mit der Gewerkschaft Ver.di geschlossenen Tarifvertrag zur Einführung von Kurzarbeit vom 31.03.2020 legte sie bei. Der Tarifvertrag sowie die Anzeige über Arbeitsausfall wurden von der Antragstellerin jeweils auf N unterzeichnet. Als Betriebsanschrift wurde in der Anzeige über Arbeitsausfall allerdings "I-str. 00" in L angegeben. Hierbei handelt es sich augenscheinlich um die Anschrift der Lohnabrechnungsstelle "T GmbH".
Mit Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 bewilligte die Antragsgegnerin den vom Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Antragstellerin, sofern diese die persönlichen Voraussetzungen erfüllen, ab 01.03.2020 längstens bis zum 31.05.2020 Kug. Auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen liege ein erheblicher Arbeitsausfall vor und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug seien erfüllt.
Nachdem bei der Beklagten Hinweise auf eine möglicherweise missbräuchliche Beantragung von Kug durch die Antragstellerin eingegangen waren, hob diese mit Bescheid vom 29.05.2020 die Entscheidung über die Gewährung von Kug vom 01.04.2020 ab 01.03.2020 gemäß § 48 SGB X auf. Die Antragstellerin habe keinen Betrieb in Deutschland. Dieser Umstand sei aus den eingereichten Unterlagen nicht hervorgegangen.
Am 16.06.2020 legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Es liege jedenfalls eine Betriebsabteilung im Sinne des § 97 SGB III vor. Den Stationierungsorten seien mit insgesamt 37 Flugzeugen an acht Standorten deutschlandweit Betriebsmittel zum Zwecke der Durchführung von internationalen Flugaktivitäten zugeordnet. An den jeweiligen Standorten stünden der Antragstellerin auch Räume zur Verfügung, in denen sich die Piloten und Flugbegleiter vor und nach den Flügen zur Abstimmung einfänden und in denen sie sich zu ihren jeweiligen Einsätzen an- und abmeldeten. Es gebe dort Computerarbeitsplätze mit Druckern. Für die einzelnen Arbeitnehmer gebe es Fächer, über die sie Memos der Unternehmensleitung erhielten. Der für den jeweiligen Stationierungsort zuständige Base Captain und der Base Supervisor hätten dort zudem feste Arbeitsplätze für Verwaltungstätigkeiten. Der Base Captain habe i.d.R. einmal pro Woche, mindestens jedoch alle 15 Tage einen Bürotag, an dem er den Piloten in den Räumlichkeiten als Ansprechpartner zur Verfügung stehe. Die Räume dienten auch dem Aufenthalt der Mitarbeiter sowie zur Durchführung von Schulungen und Trainingsmaßnahmen. Die einzelnen Stationierungs-orte verfügten auch über eigene Organisationsstrukturen. Alle Mitarbeiter seien einer festen Homebase zugewiesen, von denen aus sie ihre Arbeitstage begännen und beendeten. Der jeweilige Base Captain / Base Supervisor sei für alle Mitarbeiter Erstansprechpartner und repräsentiere den Chefpiloten, der in N stationiert und für die Aufsicht und das Management aller Piloten und Flugbegleiter verantwortlich sei. Der Base Captain sei mit umfangreichen Aufgaben betraut. Zudem erfolge die Lohnabrechnung für alle in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleiter zentral in L durch das Unternehmen T GmbH. Die Selbstständigkeit der einzelnen Standorte werde auch durch den Umstand belegt, dass sie jeweils eigenständigen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Widerspruchsschrift Bezug genommen.
Am 16.06.2020 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Köln um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und ggf. einer späteren Anfechtungsklage gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.05.2020 anzuordnen;
2. hilfsweise festzustellen, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung hat;
3. festzustellen, dass die Antragsgegnerin auf Grund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und ggf. einer späteren Anfechtungsklage verpflichtet ist, der Entscheidung über die Erteilung von Leistungsbescheiden über Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmer der Antragstellerin den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 zu Grunde zu legen;
4. anzuordnen, dass die Antragsgegnerin eine vorläufige Einstellung der Zahlung des Kurzarbeitergeldes auf Grund der auf Basis des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 zu erteilenden Leistungsbescheide auf Grund des angeblichen Fehlens der betrieblichen Voraussetzungen zu unterlassen hat;
5. hilfsweise festzustellen, dass auf Grund der von der Antragstellerin in den Anzeigen über Arbeitsausfall vom 31.03.2020 und im Rahmen des eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.05.2020 vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen in der Zeit vom 01.04.2020 bis zum 31.05.2020 ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Ein Anspruch auf Kug bestehe nach derzeitiger Aktenlage nicht. Der Betriebssitz der Antragstellerin befinde sich auf N. Die in Deutschland befindlichen Bases verfügten nicht über eine eigenständige Leitung mit personalrechtlichen Befugnissen im Rahmen der Arbeitgeberfunktion. Die "Base Captains" erfüllten lediglich die Funktion eines Bindegliedes zwischen dem Management in N und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Da die Bewilligung von Kug in einem zweistufigen Verfahren erfolge, könne die Antragstellerin derzeit noch nicht damit rechnen, Kug in dem von ihr kalkulierten Umfang zu erhalten.
Mit Schreiben vom 22.06.2020 hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin nachträglich zur Rücknahme des Anerkennungsbescheides - jetzt gestützt auf § 45 SGB X - vom 01.04.2020 angehört.
Mit Beschluss vom 06.07.2020 hat das Sozialgericht Köln festgestellt, dass der Widerspruch vom 16.06.2020 gegen den Bescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung habe und die Antragsgegnerin verpflichtet sei, bei der Erteilung der Leistungsbescheide über Kug den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 zu Grunde zu legen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Dem Widerspruch und einer eventuell erforderlichen Anfechtungsklage komme aufschiebende Wirkung zu. Darüber hinaus bestehe ein Interesse der Antragstellerin an der Feststellung, dass die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2020 durch den Bescheid vom 29.05.2020 zu Unrecht erfolgt sei. Dies sei der Fall, weil die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt seien. Die Antragstellerin habe bei Antragstellung alle Angaben wahrheitsgemäß gemacht.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin am 06.08.2020 Beschwerde eingelegt. Der Widerspruch der Antragstellerin habe schon keine aufschiebende Wirkung. Darüber hinaus sei die Korrektur der Bewilligungsentscheidung zu Recht erfolgt. Es fehle bei der Antragstellerin bereits an einem Betrieb i.S.d. § 97 SGB III, der seinen Sitz im Geltungsbereich des SGB III habe. Weder die Gesamtheit der in Deutschland stationierten Mitarbeiter und Flugzeuge noch die einzelnen Bases stellten einen Betrieb oder eine Betriebsabteilung dar. Für den Betriebsbegriff i.S. des SGB III sei es erforderlich, dass eine eigene institutionelle Leitung vorhanden sei, die die Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke steuere und dabei den Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich wahrnehme. Maßgeblich sei des Weiteren, wer die Entscheidungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten wahrnehme. Es sei darauf abzustellen, wo eine im Zusammenhang mit dem arbeitsorganisatorischen Zweck zu sehende Personalleitung ansässig sei, welche in der Lage sei, durch geeignete Maßnahmen den Arbeitsausfall zu vermeiden oder zu reduzieren. In diesem Sinne befinde sich die Leitung ausschließlich auf N. Die Antragstellerin habe zudem im Sinne des § 45 SGB X keine vollständigen Angaben gemacht. Sie habe im Antrag explizit auf einen Betriebssitz im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin hingewiesen. Als Anschrift des Betriebes sei "I-str. 00" in L angegeben worden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.07.2020 abzuändern und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Insbesondere liege eine Betriebsabteilung im Sinne des § 97 SGB III vor. Die an den jeweiligen Stationierungsorten in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer stellten jeweils eine geschlossene Personengruppe dar, die einen zusätzlichen Betriebszweck verfolge, der das Hauptgeschäft der Antragstellerin - die Durchführung internationaler Flugaktivitäten - unterstütze.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die nach §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (dazu unter 1.) sowie die Verpflichtung der Antragsgegnerin festgestellt, den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 bei der Erteilung von Leistungsbescheiden über Kug zu Grunde zu legen (dazu unter 2.). Über die weiteren, erstinstanzlich durch die Antragstellerin gestellten Anträge muss der Senat nicht entscheiden, weil das Sozialgericht diese zurückgewiesen und die Antragstellerin dagegen keine Beschwerde eingelegt hat.
1. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist zweifelhaft, ob eine aufschiebende Wirkung eingetreten ist, so kann das Gericht auf Antrag durch deklaratorischen Beschluss aussprechen, dass der Widerspruch und eine ggf. noch zu erhebende Klage aufschiebende Wirkung haben. Eine Interessenabwägung erfolgt - anders als im Fall der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung - nicht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 15).
Vorliegend kommt dem Widerspruch der Antragstellerin vom 16.06.2020 gegen den Bescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung zu. Gemäß § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dies gilt gemäß Satz 2 auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten. Die aufschiebende Wirkung entfällt lediglich in den in § 86a Abs. 2 SGG aufgezählten Fällen. Keine der dort aufgelisteten Varianten ist indes vorliegend erfüllt.
Insbesondere liegt kein Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen. Der Bescheid vom 29.05.2020 hebt vorliegend den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 auf. Dieser gewährte allerdings keine laufende Leistung. Denn er enthält gemäß § 99 Abs. 3 SGB III lediglich eine Feststellung über das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und die Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen sowie eine Zusicherung, bei Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen und ordnungsgemäßer Antragstellung Kug für die Dauer des Arbeitsausfalls bzw. die Höchstdauer zu zahlen (so zur Vorgängerregelung des § 173 Abs. 3 SGB III BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09 R Rn. 16). Auf Grund dieser Zusicherung erfolgt aber gerade noch keine Leistungsgewährung, sondern lediglich die Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt - ggf. bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - später zu erlassen (vgl. § 34 SGB X).
Auch eine sonstige bundesgesetzliche Regelung i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG, die die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsgegnerin entfallen lassen würde, ist für den vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zutreffend hat das Sozialgericht insofern darauf hingewiesen, dass die Fallgruppen des § 336a SGB III, der das Entfallen der aufschiebenden Wirkung für Fälle, die die Antragsgegnerin betreffen, spezialgesetzlich regelt, vorliegend nicht einschlägig sind.
2. Soweit sich die Antragsgegnerin gegen die Feststellung ihrer Verpflichtung wendet, bei der Erteilung von Leistungsbescheiden über Kug den Anerkennungsbescheid zu Grunde zu legen, so wendet sie sich gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG, die auch in Form einer vorläufigen Feststellung möglich ist (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 26, 30).
a) Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn. 24 f.). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG a.a.O. Rn. 26).
b) Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht. Der Anordnungsanspruch betreffend die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 bei etwaigen Leistungsbewilligungen zu Grunde zu legen, ergibt sich dabei bereits aus dem Wesen der aufschiebenden Wirkung. Diese bewirkt, dass der angegriffene Verwaltungsakt nicht vollzogen werden darf. Es tritt vielmehr ein Schwebezustand ein, währenddessen vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden dürfen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Auflage 2020, § 86a Rn. 4). Kann mithin die Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 29.05.2020 nicht vollzogen werden, ist der Inhalt des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 weiterhin bei etwaigen Leistungsentscheidungen zu Grunde zu legen.
Zwar stehen Anerkennungsbescheide nach § 99 Abs. 3 SGB III unter der konkludent auflösenden Bedingung, dass sich nachträglich die Unrichtigkeit der glaubhaft gemachten Tatsachen in einem Umfang herausstellt, der die Voraussetzungen des § 96 und / oder des § 97 SGB III - also auch die betrieblichen Voraussetzungen - entfallen lässt (vgl. Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 99 Rn. 92, Stand: 10/2013, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09). Insofern ist ein Anerkennungsbescheid ein materiell nur teilweise endgültiger Bescheid. Grundsätzlich kann sich die Antragsgegnerin daher darauf berufen, dass die von der Antragstellerin gemachten Tatsachenbehauptungen nicht zutreffend seien und deswegen die Grundlage des Anerkennungsbescheides "automatisch" entfiele (vgl. Estelmann a.a.O, Rn. 93). Vorliegend ist die Antragsgegnerin jedoch gehindert, sich auf das mögliche Fehlen der betrieblichen Voraussetzungen i.S.d. § 97 SGB III zu berufen. Denn die Antragstellerin hat entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Anzeige über Arbeitsausfall keinen unzutreffenden Sachverhalt geschildert. Insofern kann nicht allein auf die Angaben im Feld "Bezeichnung und Anschrift des Betriebes" im Antragsformular abgestellt werden. Dort hat die Antragstellerin zwar "Einheitlicher Betrieb der N Limited in Deutschland für alle Standorte, Betriebsanschrift: I-str. 00, L" angegeben. Die Anzeige wurde jedoch in N unterzeichnet. Zudem wurde eine Kopie des Tarifvertrages zur Einführung von Kurzarbeit vom 31.03.2020 beigelegt, die ebenfalls in N durch Herrn T1 D, Head of HR, unterzeichnet wurde. Im Anschreiben wurde überdies darauf hingewiesen, dass Antragstellerin die N Limited, ein Unternehmen der S-Gruppe, sei. Bereits der Name der Antragstellerin deutete auf einen Auslandsbezug hin, der zu einer vertieften Prüfung Anlass gegeben hätte.
Ist mithin die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Erstprüfung allenfalls möglicherweise einem Rechtsirrtum dergestalt unterlegen, dass sie das Vorliegen eines Betriebes im Inland i.S.d. § 97 SGB III für schlüssig vorgetragen hielt, weil sie entgegenstehende Indizien bei ihrer Subsumtion nicht hinreichend beachtet hat, so kann sie den Anerkennungsbescheid nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X (i.V.m. § 330 SGB III) aufheben (vgl. Estelmann a.a.O.; BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09 R Rn. 20). Eine Unbeachtlichkeit des Anerkennungsbescheides allein auf Grund des Eintritts einer auflösenden Bedingung kommt hingegen nicht in Betracht. Diesen Umstand bestreitet auch die Antragsgegnerin nicht, weil sie ersichtlich von der Notwendigkeit einer Aufhebungsentscheidung ausgegangen ist, wie der Aufhebungsbescheid vom 29.05.2020 belegt.
c) Für die Feststellung der Verpflichtung, den Anerkennungsbescheid bei der Entscheidung über die Bewilligung von Kug zu Grunde zu legen, besteht auch ein Anordnungsgrund. Denn die Antragstellerin hat im Vertrauen auf den Bestand des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 an ihre Beschäftigten in Deutschland Kurzarbeitergeld ausgezahlt, ohne dass die Antragsgegnerin bislang entsprechende Bewilligungsbescheide erlassen hätte. Sie hat gleichfalls in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, dass durch eine Verzögerung der Bewilligung und Auszahlung von Kurzarbeitergeld ihre Liquidität konkret gefährdet wäre.
d) Ohne dass es vorliegend entscheidungserheblich wäre, weist der Senat - wie bereits im Beschluss vom 28.08.2020 - L 20 SF 228/20 ER angedeutet - darauf hin, dass - selbst wenn man davon ausginge, dass ein Betrieb oder eine Betriebsabteilung i.S.d. § 97 SGB III nicht vorläge - eine Rücknahme nach § 45 SGB X am schutzwürdigen Vertrauen der Antragstellerin auf den Bestand des Anerkennungsbescheides scheitern dürfte. Denn es erscheint im Rahmen der im einstweiligen Rechtschutz anzuwendenden Prüfungsdichte nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 auf Angaben beruht, die die Antragstellerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig i.S.d. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X gemacht hätte (sofern es nicht ohnehin allein auf eine Bösgläubigkeit der Arbeitnehmer der Antragstellerinn ankommen sollte; vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.09.2019 - B 7 AL 21/09 R Rn. 23). Die Angaben in der Anzeige über Arbeitsausfall vom 31.03.2020 hätten auf Seiten der Beklagten vielmehr Anlass gegeben, konkret weiter nachzuforschen und so das Vorliegen eines Betriebes bzw. einer Betriebsabteilung im Inland zu verifizieren.
e) Der Senat lässt schließlich ausdrücklich offen, ob im Fall der Antragstellerin tatsächlich vom Vorliegen eines Betriebes bzw. einer Betriebsabteilung i.S.d. § 97 SGB III im Geltungsbereich des SGB III auszugehen wäre. Hierfür bedürfte es umfangreicher weiterer Ermittlungen, die - sollte sich diese Frage auch für die hier nicht streitgegenständliche Folgezeit ab dem 01.06.2020 weiterhin stellen - einem etwaigen Folgeverfahren vorbehalten bleiben müssen. Insbesondere käme eine nähere Ermittlung der sachlichen und personellen Ausstattung der einzelnen Bases in Betracht, darüber hinaus eine Prüfung der arbeitsvertraglichen Regelungen der in Deutschland Beschäftigten, die auch eine Überprüfung ihrer vertraglichen / tatsächlichen Bindung an den jeweiligen Standort erforderlich machen könnte.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
5.) Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes um die Aufhebung eines Anerkennungsbescheides betreffend die Gewährung von Kurzarbeitergeld (Kug).
Die Antragstellerin ist eine Fluggesellschaft mit Unternehmenssitz in N. Sie gehört zur S-Gruppe; seit dem 01.01.2020 wird der Flugbetrieb der Gruppe in Deutschland ausschließlich durch die Antragstellerin abgedeckt. Die in Deutschland stationierten Piloten und Mitarbeiter (insgesamt 931) sind seit diesem Datum bei der N Limited angestellt. Sie sind nach Angaben der Antragstellerin in Deutschland steuer- und sozialversicherungspflichtig. Alle Mitarbeiter sind einer sog. Homebase an einem von der Antragstellerin bedienten deutschen Flughafen zugewiesen.
Mit Schreiben vom 11.03.2020 zeigte die Antragstellerin, vertreten durch ihre Bevollmächtigten, bei der Agentur für Arbeit L die mögliche Einführung von Kurzarbeit in Folge der Ausbreitung von COVID-19 und der damit verbundenen Auswirkungen für die Luftfahrtbranche an den deutschen Stationierungsorten (Basen) an. Mit weiterem Schreiben vom 31.03.2020 zeigte sie die Einführung von Kurzarbeit in der Zeit vom 19.03.2020 bis zum 23.03.2020 im Umfang von 50 % sowie in der Zeit vom 24.03.2020 bis zum 31.05.2020 im Umfang von 100 % an. Den entsprechend mit der Gewerkschaft Ver.di geschlossenen Tarifvertrag zur Einführung von Kurzarbeit vom 31.03.2020 legte sie bei. Der Tarifvertrag sowie die Anzeige über Arbeitsausfall wurden von der Antragstellerin jeweils auf N unterzeichnet. Als Betriebsanschrift wurde in der Anzeige über Arbeitsausfall allerdings "I-str. 00" in L angegeben. Hierbei handelt es sich augenscheinlich um die Anschrift der Lohnabrechnungsstelle "T GmbH".
Mit Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 bewilligte die Antragsgegnerin den vom Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Antragstellerin, sofern diese die persönlichen Voraussetzungen erfüllen, ab 01.03.2020 längstens bis zum 31.05.2020 Kug. Auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen liege ein erheblicher Arbeitsausfall vor und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug seien erfüllt.
Nachdem bei der Beklagten Hinweise auf eine möglicherweise missbräuchliche Beantragung von Kug durch die Antragstellerin eingegangen waren, hob diese mit Bescheid vom 29.05.2020 die Entscheidung über die Gewährung von Kug vom 01.04.2020 ab 01.03.2020 gemäß § 48 SGB X auf. Die Antragstellerin habe keinen Betrieb in Deutschland. Dieser Umstand sei aus den eingereichten Unterlagen nicht hervorgegangen.
Am 16.06.2020 legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Es liege jedenfalls eine Betriebsabteilung im Sinne des § 97 SGB III vor. Den Stationierungsorten seien mit insgesamt 37 Flugzeugen an acht Standorten deutschlandweit Betriebsmittel zum Zwecke der Durchführung von internationalen Flugaktivitäten zugeordnet. An den jeweiligen Standorten stünden der Antragstellerin auch Räume zur Verfügung, in denen sich die Piloten und Flugbegleiter vor und nach den Flügen zur Abstimmung einfänden und in denen sie sich zu ihren jeweiligen Einsätzen an- und abmeldeten. Es gebe dort Computerarbeitsplätze mit Druckern. Für die einzelnen Arbeitnehmer gebe es Fächer, über die sie Memos der Unternehmensleitung erhielten. Der für den jeweiligen Stationierungsort zuständige Base Captain und der Base Supervisor hätten dort zudem feste Arbeitsplätze für Verwaltungstätigkeiten. Der Base Captain habe i.d.R. einmal pro Woche, mindestens jedoch alle 15 Tage einen Bürotag, an dem er den Piloten in den Räumlichkeiten als Ansprechpartner zur Verfügung stehe. Die Räume dienten auch dem Aufenthalt der Mitarbeiter sowie zur Durchführung von Schulungen und Trainingsmaßnahmen. Die einzelnen Stationierungs-orte verfügten auch über eigene Organisationsstrukturen. Alle Mitarbeiter seien einer festen Homebase zugewiesen, von denen aus sie ihre Arbeitstage begännen und beendeten. Der jeweilige Base Captain / Base Supervisor sei für alle Mitarbeiter Erstansprechpartner und repräsentiere den Chefpiloten, der in N stationiert und für die Aufsicht und das Management aller Piloten und Flugbegleiter verantwortlich sei. Der Base Captain sei mit umfangreichen Aufgaben betraut. Zudem erfolge die Lohnabrechnung für alle in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleiter zentral in L durch das Unternehmen T GmbH. Die Selbstständigkeit der einzelnen Standorte werde auch durch den Umstand belegt, dass sie jeweils eigenständigen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Widerspruchsschrift Bezug genommen.
Am 16.06.2020 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Köln um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und ggf. einer späteren Anfechtungsklage gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.05.2020 anzuordnen;
2. hilfsweise festzustellen, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung hat;
3. festzustellen, dass die Antragsgegnerin auf Grund der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und ggf. einer späteren Anfechtungsklage verpflichtet ist, der Entscheidung über die Erteilung von Leistungsbescheiden über Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmer der Antragstellerin den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 zu Grunde zu legen;
4. anzuordnen, dass die Antragsgegnerin eine vorläufige Einstellung der Zahlung des Kurzarbeitergeldes auf Grund der auf Basis des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 zu erteilenden Leistungsbescheide auf Grund des angeblichen Fehlens der betrieblichen Voraussetzungen zu unterlassen hat;
5. hilfsweise festzustellen, dass auf Grund der von der Antragstellerin in den Anzeigen über Arbeitsausfall vom 31.03.2020 und im Rahmen des eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.05.2020 vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen in der Zeit vom 01.04.2020 bis zum 31.05.2020 ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Ein Anspruch auf Kug bestehe nach derzeitiger Aktenlage nicht. Der Betriebssitz der Antragstellerin befinde sich auf N. Die in Deutschland befindlichen Bases verfügten nicht über eine eigenständige Leitung mit personalrechtlichen Befugnissen im Rahmen der Arbeitgeberfunktion. Die "Base Captains" erfüllten lediglich die Funktion eines Bindegliedes zwischen dem Management in N und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Da die Bewilligung von Kug in einem zweistufigen Verfahren erfolge, könne die Antragstellerin derzeit noch nicht damit rechnen, Kug in dem von ihr kalkulierten Umfang zu erhalten.
Mit Schreiben vom 22.06.2020 hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin nachträglich zur Rücknahme des Anerkennungsbescheides - jetzt gestützt auf § 45 SGB X - vom 01.04.2020 angehört.
Mit Beschluss vom 06.07.2020 hat das Sozialgericht Köln festgestellt, dass der Widerspruch vom 16.06.2020 gegen den Bescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung habe und die Antragsgegnerin verpflichtet sei, bei der Erteilung der Leistungsbescheide über Kug den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 zu Grunde zu legen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Dem Widerspruch und einer eventuell erforderlichen Anfechtungsklage komme aufschiebende Wirkung zu. Darüber hinaus bestehe ein Interesse der Antragstellerin an der Feststellung, dass die Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2020 durch den Bescheid vom 29.05.2020 zu Unrecht erfolgt sei. Dies sei der Fall, weil die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt seien. Die Antragstellerin habe bei Antragstellung alle Angaben wahrheitsgemäß gemacht.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin am 06.08.2020 Beschwerde eingelegt. Der Widerspruch der Antragstellerin habe schon keine aufschiebende Wirkung. Darüber hinaus sei die Korrektur der Bewilligungsentscheidung zu Recht erfolgt. Es fehle bei der Antragstellerin bereits an einem Betrieb i.S.d. § 97 SGB III, der seinen Sitz im Geltungsbereich des SGB III habe. Weder die Gesamtheit der in Deutschland stationierten Mitarbeiter und Flugzeuge noch die einzelnen Bases stellten einen Betrieb oder eine Betriebsabteilung dar. Für den Betriebsbegriff i.S. des SGB III sei es erforderlich, dass eine eigene institutionelle Leitung vorhanden sei, die die Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke steuere und dabei den Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich wahrnehme. Maßgeblich sei des Weiteren, wer die Entscheidungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten wahrnehme. Es sei darauf abzustellen, wo eine im Zusammenhang mit dem arbeitsorganisatorischen Zweck zu sehende Personalleitung ansässig sei, welche in der Lage sei, durch geeignete Maßnahmen den Arbeitsausfall zu vermeiden oder zu reduzieren. In diesem Sinne befinde sich die Leitung ausschließlich auf N. Die Antragstellerin habe zudem im Sinne des § 45 SGB X keine vollständigen Angaben gemacht. Sie habe im Antrag explizit auf einen Betriebssitz im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin hingewiesen. Als Anschrift des Betriebes sei "I-str. 00" in L angegeben worden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.07.2020 abzuändern und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Insbesondere liege eine Betriebsabteilung im Sinne des § 97 SGB III vor. Die an den jeweiligen Stationierungsorten in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer stellten jeweils eine geschlossene Personengruppe dar, die einen zusätzlichen Betriebszweck verfolge, der das Hauptgeschäft der Antragstellerin - die Durchführung internationaler Flugaktivitäten - unterstütze.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die nach §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (dazu unter 1.) sowie die Verpflichtung der Antragsgegnerin festgestellt, den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 bei der Erteilung von Leistungsbescheiden über Kug zu Grunde zu legen (dazu unter 2.). Über die weiteren, erstinstanzlich durch die Antragstellerin gestellten Anträge muss der Senat nicht entscheiden, weil das Sozialgericht diese zurückgewiesen und die Antragstellerin dagegen keine Beschwerde eingelegt hat.
1. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist zweifelhaft, ob eine aufschiebende Wirkung eingetreten ist, so kann das Gericht auf Antrag durch deklaratorischen Beschluss aussprechen, dass der Widerspruch und eine ggf. noch zu erhebende Klage aufschiebende Wirkung haben. Eine Interessenabwägung erfolgt - anders als im Fall der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung - nicht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 15).
Vorliegend kommt dem Widerspruch der Antragstellerin vom 16.06.2020 gegen den Bescheid vom 29.05.2020 aufschiebende Wirkung zu. Gemäß § 86a Abs. 1 S. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dies gilt gemäß Satz 2 auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten. Die aufschiebende Wirkung entfällt lediglich in den in § 86a Abs. 2 SGG aufgezählten Fällen. Keine der dort aufgelisteten Varianten ist indes vorliegend erfüllt.
Insbesondere liegt kein Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen. Der Bescheid vom 29.05.2020 hebt vorliegend den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 auf. Dieser gewährte allerdings keine laufende Leistung. Denn er enthält gemäß § 99 Abs. 3 SGB III lediglich eine Feststellung über das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und die Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen sowie eine Zusicherung, bei Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen und ordnungsgemäßer Antragstellung Kug für die Dauer des Arbeitsausfalls bzw. die Höchstdauer zu zahlen (so zur Vorgängerregelung des § 173 Abs. 3 SGB III BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09 R Rn. 16). Auf Grund dieser Zusicherung erfolgt aber gerade noch keine Leistungsgewährung, sondern lediglich die Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt - ggf. bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - später zu erlassen (vgl. § 34 SGB X).
Auch eine sonstige bundesgesetzliche Regelung i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG, die die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsgegnerin entfallen lassen würde, ist für den vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zutreffend hat das Sozialgericht insofern darauf hingewiesen, dass die Fallgruppen des § 336a SGB III, der das Entfallen der aufschiebenden Wirkung für Fälle, die die Antragsgegnerin betreffen, spezialgesetzlich regelt, vorliegend nicht einschlägig sind.
2. Soweit sich die Antragsgegnerin gegen die Feststellung ihrer Verpflichtung wendet, bei der Erteilung von Leistungsbescheiden über Kug den Anerkennungsbescheid zu Grunde zu legen, so wendet sie sich gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG, die auch in Form einer vorläufigen Feststellung möglich ist (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 26, 30).
a) Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn. 24 f.). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG a.a.O. Rn. 26).
b) Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht. Der Anordnungsanspruch betreffend die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 bei etwaigen Leistungsbewilligungen zu Grunde zu legen, ergibt sich dabei bereits aus dem Wesen der aufschiebenden Wirkung. Diese bewirkt, dass der angegriffene Verwaltungsakt nicht vollzogen werden darf. Es tritt vielmehr ein Schwebezustand ein, währenddessen vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden dürfen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., 13. Auflage 2020, § 86a Rn. 4). Kann mithin die Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 29.05.2020 nicht vollzogen werden, ist der Inhalt des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 weiterhin bei etwaigen Leistungsentscheidungen zu Grunde zu legen.
Zwar stehen Anerkennungsbescheide nach § 99 Abs. 3 SGB III unter der konkludent auflösenden Bedingung, dass sich nachträglich die Unrichtigkeit der glaubhaft gemachten Tatsachen in einem Umfang herausstellt, der die Voraussetzungen des § 96 und / oder des § 97 SGB III - also auch die betrieblichen Voraussetzungen - entfallen lässt (vgl. Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 99 Rn. 92, Stand: 10/2013, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09). Insofern ist ein Anerkennungsbescheid ein materiell nur teilweise endgültiger Bescheid. Grundsätzlich kann sich die Antragsgegnerin daher darauf berufen, dass die von der Antragstellerin gemachten Tatsachenbehauptungen nicht zutreffend seien und deswegen die Grundlage des Anerkennungsbescheides "automatisch" entfiele (vgl. Estelmann a.a.O, Rn. 93). Vorliegend ist die Antragsgegnerin jedoch gehindert, sich auf das mögliche Fehlen der betrieblichen Voraussetzungen i.S.d. § 97 SGB III zu berufen. Denn die Antragstellerin hat entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Anzeige über Arbeitsausfall keinen unzutreffenden Sachverhalt geschildert. Insofern kann nicht allein auf die Angaben im Feld "Bezeichnung und Anschrift des Betriebes" im Antragsformular abgestellt werden. Dort hat die Antragstellerin zwar "Einheitlicher Betrieb der N Limited in Deutschland für alle Standorte, Betriebsanschrift: I-str. 00, L" angegeben. Die Anzeige wurde jedoch in N unterzeichnet. Zudem wurde eine Kopie des Tarifvertrages zur Einführung von Kurzarbeit vom 31.03.2020 beigelegt, die ebenfalls in N durch Herrn T1 D, Head of HR, unterzeichnet wurde. Im Anschreiben wurde überdies darauf hingewiesen, dass Antragstellerin die N Limited, ein Unternehmen der S-Gruppe, sei. Bereits der Name der Antragstellerin deutete auf einen Auslandsbezug hin, der zu einer vertieften Prüfung Anlass gegeben hätte.
Ist mithin die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Erstprüfung allenfalls möglicherweise einem Rechtsirrtum dergestalt unterlegen, dass sie das Vorliegen eines Betriebes im Inland i.S.d. § 97 SGB III für schlüssig vorgetragen hielt, weil sie entgegenstehende Indizien bei ihrer Subsumtion nicht hinreichend beachtet hat, so kann sie den Anerkennungsbescheid nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X (i.V.m. § 330 SGB III) aufheben (vgl. Estelmann a.a.O.; BSG, Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09 R Rn. 20). Eine Unbeachtlichkeit des Anerkennungsbescheides allein auf Grund des Eintritts einer auflösenden Bedingung kommt hingegen nicht in Betracht. Diesen Umstand bestreitet auch die Antragsgegnerin nicht, weil sie ersichtlich von der Notwendigkeit einer Aufhebungsentscheidung ausgegangen ist, wie der Aufhebungsbescheid vom 29.05.2020 belegt.
c) Für die Feststellung der Verpflichtung, den Anerkennungsbescheid bei der Entscheidung über die Bewilligung von Kug zu Grunde zu legen, besteht auch ein Anordnungsgrund. Denn die Antragstellerin hat im Vertrauen auf den Bestand des Anerkennungsbescheides vom 01.04.2020 an ihre Beschäftigten in Deutschland Kurzarbeitergeld ausgezahlt, ohne dass die Antragsgegnerin bislang entsprechende Bewilligungsbescheide erlassen hätte. Sie hat gleichfalls in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, dass durch eine Verzögerung der Bewilligung und Auszahlung von Kurzarbeitergeld ihre Liquidität konkret gefährdet wäre.
d) Ohne dass es vorliegend entscheidungserheblich wäre, weist der Senat - wie bereits im Beschluss vom 28.08.2020 - L 20 SF 228/20 ER angedeutet - darauf hin, dass - selbst wenn man davon ausginge, dass ein Betrieb oder eine Betriebsabteilung i.S.d. § 97 SGB III nicht vorläge - eine Rücknahme nach § 45 SGB X am schutzwürdigen Vertrauen der Antragstellerin auf den Bestand des Anerkennungsbescheides scheitern dürfte. Denn es erscheint im Rahmen der im einstweiligen Rechtschutz anzuwendenden Prüfungsdichte nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Anerkennungsbescheid vom 01.04.2020 auf Angaben beruht, die die Antragstellerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig i.S.d. § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X gemacht hätte (sofern es nicht ohnehin allein auf eine Bösgläubigkeit der Arbeitnehmer der Antragstellerinn ankommen sollte; vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.09.2019 - B 7 AL 21/09 R Rn. 23). Die Angaben in der Anzeige über Arbeitsausfall vom 31.03.2020 hätten auf Seiten der Beklagten vielmehr Anlass gegeben, konkret weiter nachzuforschen und so das Vorliegen eines Betriebes bzw. einer Betriebsabteilung im Inland zu verifizieren.
e) Der Senat lässt schließlich ausdrücklich offen, ob im Fall der Antragstellerin tatsächlich vom Vorliegen eines Betriebes bzw. einer Betriebsabteilung i.S.d. § 97 SGB III im Geltungsbereich des SGB III auszugehen wäre. Hierfür bedürfte es umfangreicher weiterer Ermittlungen, die - sollte sich diese Frage auch für die hier nicht streitgegenständliche Folgezeit ab dem 01.06.2020 weiterhin stellen - einem etwaigen Folgeverfahren vorbehalten bleiben müssen. Insbesondere käme eine nähere Ermittlung der sachlichen und personellen Ausstattung der einzelnen Bases in Betracht, darüber hinaus eine Prüfung der arbeitsvertraglichen Regelungen der in Deutschland Beschäftigten, die auch eine Überprüfung ihrer vertraglichen / tatsächlichen Bindung an den jeweiligen Standort erforderlich machen könnte.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
5.) Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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