L 1 KR 14/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 KR 1663/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 14/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1972 geborene Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) in der gesetzlichen Renten- und Kranken- sowie der sozialen Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2017.

Die Klägerin ist seit 2002 selbstständig publizistisch als Autorin für Print und TV sowie als Journalistin für TV tätig. Sie war aufgrund dessen seither mehrere Jahre nach dem KSVG versicherungspflichtig, zuletzt bis zum 31. Dezember 2016 jedoch nicht, weil sie die Tätigkeit nur noch nebenberuflich neben einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausübte.

Am 20. Dezember 2016 teilte die Klägerin der Beklagten per E-Mail mit, dass sie ab dem 1. Januar 2017 wieder selbstständig als Publizistin arbeiten werde und daher ihre "Wiederaufnahme bei der KSK" – der beklagten Künstlersozialkasse – ab diesem Zeitpunkt beantrage. Dabei gab sie als voraussichtliches Jahreseinkommen einen Betrag in Höhe von 3900,00 Euro an und wies darauf hin, dass sie bereits in der Vergangenheit und über Jahre als Versicherte gemeldet gewesen sei. Am Folgetag reichte sie den ausgefüllten mehrseitigen "Fragebogen zur Prüfung der Versicherungspflicht nach dem KSVG" sowie das Formular "Meldung des voraussichtlichen Jahreseinkommens 2017" – jeweils mit der Angabe eines Betrags von 3900,00 Euro – ein. Beigefügt waren u.a. die Kopie einer DVD-/CD-ROM-Hülle eines von der M. gGmbh produzierten Films, aus dem die Autorenschaft der Klägerin hervorging, sowie die handschriftlichen Angaben, dass weitere Projekte als freie Autorin u.a. für die E. GmbH in Planung sowie ein Roman mit dem Arbeitstitel "P." in Bearbeitung seien.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass das angegebene Jahreseinkommen die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteige, so dass nach §§ 1 und 3 KSVG keine Versicherungspflicht festgestellt werden könne (Bescheid vom 27. Januar 2017).

Hiergegen legte die Klägerin am 9. Februar 2017 zunächst per E-Mail und am Folgetag schriftlich Widerspruch ein, in dem sie mitteilte, dass sie ihre Angaben zu ihrem "voraussichtlichen Mindesteinkommen für das Jahr 2017" korrigiere wolle: Sie werde voraussichtlich 3901,00 Euro "einnehmen". Sie arbeite als freie TV-Autorin u.a. für die Filmproduktion E. und sei als künstlerische Beratung und als Autorin, Redakteurin u.a. für die M. gGmbh tätig. Beigefügt war eine Bestätigung der E. GmbH, wonach die Klägerin für diese als freiberufliche Journalistin tätig sei, zu deren Hauptaufgaben die Autorenschaft der R.-Sendung " " gehöre.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2017 zurück. Im Rahmen der Prüfung gemäß § 3 Abs. 1 KSVG sei nicht auf die Einnahmen, sondern auf das Arbeitseinkommen, d.h. auf Betriebseinnahmen minus Betriebsausgaben vor Steuerabzug abzustellen. Nur dann, wenn eine Gewinnerwartung aus selbstständiger künstlerischer bzw. publizistischer Tätigkeit von mehr als 3900,00 Euro realistisch erschiene, käme eine erneute Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG in Betracht. Dies sei nach Würdigung der vorgelegten Angaben und Unterlagen nicht der Fall.

Am 11. September 2017 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und vorgetragen, sie habe ihr Arbeitseinkommen auf 3900,00 Euro, korrigiert auf 3901,00 Euro, geschätzt, weil sie ihren Gewinn noch nicht habe beziffern können. Sie habe zunächst einen niedrigen Betrag genannt, damit sie nicht mit hohen Kosten belastet sei, sollte sich ihr Einkommen schlecht entwickeln. In der Vergangenheit sei sie von der Beklagten einmal an einer zu hoch angesetzten Schätzung festgehalten worden. Die konservative Schätzung habe sich auf ihren Gewinn bezogen. Ausgangspunkt der Schätzung seien der Gewinn aus 2016 in Höhe von 2965,41 Euro sowie die Projekte gewesen, die mit ihren Auftraggebern in Planung gewesen seien. Die Klägerin hat weitere Tätigkeitsnachweise vorgelegt sowie Rechnungen der M. gGmbH vom 12. Januar (Nr. 0117) und 1. Juni 2017 (Nr. 1917) sowie der E. GmbH vom 24. Januar (14117) und 2. März 2017 (0317) in Höhe von insgesamt gut 5000,00 Euro, einen Kontoauszug vom 3. April 2017 mit einer Buchung vom 14. März 2017, aus dem Zahlungen der genannten Unternehmen in Höhe von insgesamt fast 12.000,00 Euro (Nrn. 0717, 0917, 1017,061, 0517, 0317) hervorgehen, des Weiteren den Jahresabschluss 2016 sowie eine vorläufige Gewinnermittlung, die für 2017 einen Gewinn in Höhe von 50.218,11 Euro ausweist.

Die Beklagte hat unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 2. April 2014 – B 3 KS 4/13 R) gemeint, dass Tätigkeits- und Einnahmenachweise, die erst im Klageverfahren eingereicht würden, für die Rechtmäßigkeit der Einkommensprognose nicht zu berücksichtigen seien. Die Klägerin habe im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren keine Nachweise über ihr Einkommen vorgelegt, obwohl solche schon mit dem Fragebogen angefordert worden seien. Die Prognose sei daher rechtmäßig gewesen.

Die Beteiligten haben sich nach Vertagung der am 25. Oktober 2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Das SG hat der Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2018 stattgegeben, den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2017 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Journalistin bei der Beklagten gemäß den Vorschriften der Künstlersozialversicherung seit dem 1. Januar 2017 in der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sei. Im streitigen Zeitraum bestehe für die Klägerin keine Versicherungsfreiheit nach § 3 KSVG. Die Prognose der Beklagten, dass das Arbeitseinkommen der Klägerin unter der maßgeblichen Grenze des § 3 Abs. 1 KSVG liege, sei unrichtig gewesen. Ausgangspunkt der nach § 3 Abs. 1 S. 1 KSVG anzustellenden Prognose für das voraussichtlich zu erzielende Arbeitseinkommen seien zunächst die Angaben des Versicherten nach § 12 Abs. 1 S. 1 KSVG. Erst wenn seine Meldung mit den ihr zugrundeliegenden Verhältnissen unvereinbar sei, nehme die Künstlersozialkasse selbst die für die weiteren Entscheidungen maßgebliche Einschätzung des voraussichtlichen Arbeitseinkommens vor (§ 12 Abs. 1 S. 2 KSVG). Sachgerechte Prognosen beruhten in der Regel auf erhobenen Daten und Fakten und damit auf Erkenntnissen der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen werde (Hinweis auf BSG, Urteil vom 2. April 2014 – B 3 KS 4/13 R, SozR 4-5425 § 3 Nr. 3). Die Prognoseentscheidung der Beklagten bezüglich des voraussichtlichen Arbeitseinkommens sei gerichtlich voll überprüfbar. Ihr stehe dabei kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu. Die Gerichte hätten insbesondere zu prüfen, ob die Grundlagen für die Prognose richtig festgestellt und alle in Betracht kommenden Umstände hinreichend und sachgerecht gewürdigt worden seien (Hinweis auf BSG, a.a.O.). Grundlage der Prognose seien nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids erkennbare Umstände. Maßgebend sei der aufgrund der Angaben des Antragstellers bzw. Versicherten verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Verwaltung (Hinweis auf BSG, a.a.O.). Vorliegend habe die Beklagte zu Unrecht unterstellt, dass die Klägerin mit der Angabe im Widerspruchsverfahren, sie werde in jenem Jahr voraussichtlich 3901,00 Euro einnehmen, nicht auf das in § 15 des Sozialgesetzbuchs Viertes Buch (SGB IV) definierte Arbeitseinkommen, sondern auf die Betriebseinnahmen ohne Berücksichtigung der Betriebsausgaben abgestellt habe. Diese Auslegung ergebe sich aus der von der Klägerin gewählten Formulierung nicht. Denn der umgangssprachliche Begriff "einnehmen" sei nicht gleichzusetzen mit dem steuerrechtlichen Begriff der Betriebseinnahme. Zudem habe die Beklagte gegen ihre Amtsermittlungspflicht aus § 20 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) verstoßen, indem sie es unterlassen habe, bei der Klägerin weitere Nachweise über die Höhe des Einkommens anzufordern, das sie aus ihrer Tätigkeit für die E. GmbH erzielt habe. Denn mit dem Hinweis der Klägerin, untermauert durch ein Bestätigungsschreiben der Gesellschaft, hätten ausreichend Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Entgeltgrenze vorgelegen, die vermocht hätten, den Untersuchungsgrundsatz auszulösen. Diese Auffassung der Kammer stehe auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom 28. November 2013 – B 3 KS 2/12 R, SozR 4-5425 § 3 Nr. 2). In jenem Fall habe das BSG die Klage an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen, weil die Beklagte einem Hinweis der dortigen Klägerin im Widerspruchsverfahren auf ein Stipendium, welches zu einem Einkommenszufluss hätte führen können, nicht nachgegangen sei. Bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens durch Widerspruchsbescheid vom 10. August 2017 habe die hiesige Klägerin mithin Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 SGB IV über 3900,00 Euro nachweisen können. Am 14. März 2017 seien bereits 11.883,50 Euro auf deren Konto aufgrund von Rechnungen aus freiberuflicher publizistischer Tätigkeit aus dem Jahr 2017 gutgeschrieben gewesen.

Gegen dieses ihr am 14. Januar 2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 31. Januar 2019 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist nach wie vor der Auffassung, dass sie unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids rechtsfehlerfrei die Versicherungsfreiheit gemäß § 3 KSVG habe feststellen dürfen. Der Hinweis des SG auf die im Widerspruchsverfahren vorgelegte Bestätigung der E. GmbH und der dadurch "ausgelöste" Untersuchungsgrundsatz gehe fehl. Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren diese Tätigkeit angegeben und trotzdem nicht ein ausreichendes voraussichtliches Jahresarbeitseinkommen genannt gehabt habe. Im Gegenteil habe sie dreimal bestätigt, kein ausreichendes voraussichtliches Jahresarbeitseinkommen zu erwarten. Ergänzend nimmt die Beklagte Bezug auf eine Entscheidung des Bayerischen LSG (Urteil vom 27. Februar 2020 – L 20 KR 538/18, juris), wonach im Widerspruchsverfahren nachgereichte Unterlagen allenfalls zu einer Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG mit Wirkung für die Zukunft führen könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ihre Angaben im Antrags- und Widerspruchsverfahren zu einem voraussichtlichen Jahreseinkommen von 3900,00 Euro bzw. 3901,00 Euro hätten nur so verstanden werden können, dass sie das Überschreiten der Mindesteinkommensgrenze prognostiziert habe. Wenn daran Zweifel bestanden hätten, hätte die Beklagte Sachaufklärung betreiben müssen und dann ermittelt, dass schon vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens Einnahmen von fast 12.000,00 Euro erzielt worden seien und damit ein Jahresgewinn von mehr als 3900,00 Euro ohne weiteres schlüssig gewesen sei. Hinzu komme, dass sie – die Klägerin – sich im laufenden Verfahren am 28. Juni 2017 telefonisch an die Beklagte gewandt und gefragt habe, ob nähere Angaben und Erläuterungen gewünscht oder sachdienlich seien; sie habe angeboten, Angaben und Belege nachzuliefern. Die Sachbearbeiterin der Beklagten habe geantwortet, dass keine Fragen seitens der Beklagten mehr bestünden, die Sache beim Widerspruchsausschuss liege und weitere Angaben/Ergänzungen jetzt keinen Sinn mehr machten. Der diesbezügliche Telefonvermerk auf Blatt 334 der Verwaltungsakte der Beklagten sei unvollständig. Die Klägerin hat unter Vorlage von Einkommensnachweisen (Einkommensteuerbescheide für 2017 (Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit: 49.883,00 Euro) und 2018 (37.526,00 Euro), vorläufige Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2019 (54.202,88 Euro)) erklärt, ihre selbstständige publizistische Tätigkeit seit 2017 durchgehend bis heute ausgeübt und dabei Einkommen weit über der Mindesteinkommensgrenze erzielt zu haben, woran sich auch im laufenden Jahr 2020 nichts Wesentliches ändern werde.

Am 26. August 2020 hat der Senat über die Berufung mündlich verhandelt. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschrift und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten und Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat der zulässigen Anfechtungs- und Feststellungsklage zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung stattgegeben. Die Klägerin unterliegt seit dem 1. Januar 2017 der Versicherungspflicht nach dem KSVG in der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung

Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass zu einer hiervon abweichenden rechtlichen Bewertung. Insbesondere hat die Klägerin auch glaubhaft vorgetragen, bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiterhin über Einkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 SGB IV oberhalb der Mindestgrenze des § 3 Abs. 1 KSVG erzielt zu haben und auch für 2020 erzielen zu können.

Ausgehend von der vom SG zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 28. November 2013 – B 3 KS 2/12 R, SozR 4-5425 § 3 Nr. 2, sowie vom 2. April 2014 – B 3 KS 4/13 R, SozR 4-5425 § 3 Nr. 3), der sich der erkennende Senat nach eigener Überzeugungsbildung anschließt, hat ein Verwaltungsakt über die Feststellung der Versicherungsfreiheit eines Künstlers in der Künstlersozialversicherung wegen Unterschreitung der Mindesteinkommensgrenze keine Dauerwirkung, sondern nur die Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Erlasses zum Gegenstand; er ergeht auf Grundlage einer Prognose, deren Grundlage nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erkennbare Umstände sind. Maßgebend ist also der aufgrund der Angaben des Antragstellers bzw. Versicherten verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Verwaltung.

Vorliegend hätte der Beklagten mit der Antragstellung der Klägerin jedenfalls bekannt sein müssen, dass diese davon ausging, im Jahr 2017 ein Einkommen über der Mindesteinkommensgrenze zu erzielen. Dem steht nicht entgegen, dass sie – die Bedeutung der Grenze offenbar fehlverstehend – zunächst ein Einkommen von genau 3900,00 Euro in ihrer E-Mail vom 20. Dezember 2016 und den entsprechenden Formularen angegeben hatte. Die Beklagte wusste, dass die Klägerin, die früher bereits nach dem KSVG versicherungspflichtig gewesen war, die zur Versicherungspflicht führende Tätigkeit vorübergehend aufgegeben und im Jahr 2016 zunächst nebenberuflich neben einer abhängigen Beschäftigung und die Mindesteinkommensgrenze unterschreitend wieder aufgenommen hatte, sich nunmehr – nach Beendigung ihrer abhängigen Beschäftigung – gerade deshalb gemeldet hatte, weil sie nun ihre selbstständige Tätigkeit wieder ausweiten wollte und dabei von einem Umfang ausging, der – ihren Lebensunterhalt sichernd – wieder die Versicherungspflicht nach dem KSVG begründen würde. In diesem Kontext konnte die Meldung eines voraussichtlichen Jahreseinkommens für 2017 von 3900,00 Euro nur so verstanden werden, dass die Klägerin davon ausging, die Mindesteinkommensgrenze zu überschreiten. Dementsprechend korrigierte sie nach Bekanntwerden ihres Fehlverständnisses durch den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27. Januar 2017 mit dem Widerspruch ihre eigene Prognose auf 3901,00 Euro. Dass sie dabei von Einnahmen statt von Arbeitseinkommen sprach, ist, wie das SG zu Recht ausführt, angesichts des offensichtlich umgangssprachlichen Gebrauchs nicht so auszulegen, dass sie damit den Umsatz meinte und damit zwingend ein Arbeitseinkommen von nicht mehr als 3900,00 Euro.

Da die Klägerin hinreichend deutlich gemacht hatte, dass sie ihre selbstständige künstlerische Tätigkeit stark ausweiten wollte und dies angesichts der Beendigung der abhängigen Beschäftigung auch konnte bzw. – soweit es ihre Mitteilungen im Widerspruchsschreiben vom 9. Februar 2017 und in der E-Mail vom 11. Mai 2017 betrifft – ihre selbstständige künstlerische Tätigkeit ausgeweitet hatte, und die Prognose des Überschreitens der Mindesteinkommensgrenze nicht mit den angegebenen und zum Teil durch Belege glaubhaft gemachten Verhältnissen (Tätigkeit als freie TV-Autorin u.a. für die Filmproduktion E. GmbH vor allem mit Autorenschaft der R.-Sendung " ", Tätigkeit als künstlerische Beraterin, Autorin, Redakteurin u.a. für M. gGmbH, Roman in Bearbeitung mit dem Arbeitstitel "P.") unvereinbar im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 KSVG war, fehlte es an der Berechtigung der Beklagten zur Schätzung eines Arbeitseinkommens 2017 von voraussichtlich nicht mehr als 3900,00 Euro.

Jedenfalls wäre die Beklagte im Rahmen der Amtsermittlung gehalten gewesen, bei der Klägerin nachzufragen, in welchen relativen Ausmaßen sich ihre selbstständige künstlerische Tätigkeit gegenüber derjenigen im Vorjahr ausweiten würde bzw. ausgeweitet habe. Dass eine Ausweitung in nicht unerheblichem Umfang beabsichtigt und teils auch schon eingetreten war, ergab sich aus den von der Klägerin gemachten Angaben und schon dem Umstand der Antragstellung selbst.

Dass die Klägerin nicht bereits im Widerspruchsverfahren die im Klageverfahren vorgelegten Nachweise über Zahlungseingänge in den Monaten März und April vorlegte, die erst recht geeignet waren, ihre Prognose des Überschreitens der Mindesteinkommensgrenze im Jahr 2017 zu belegen, kann der Klägerin nicht vorgehalten werden. Im von ihr im Dezember 2016 eingereichten Fragebogen zur Prüfung der Versicherungspflicht wurden zwar auch unter anderem Vergütungsabrechnungen in Abschnitt 2.1 angefordert, dies jedoch im Zusammenhang mit der Beurteilung der Tätigkeit als solcher, nicht im Zusammenhang mit der Prognose des folgenden Jahresarbeitseinkommens in Abschnitt 7 bis 7 b oder auch im Zusammenhang mit dem Formular zur Meldung des voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommens. Im Übrigen lagen die fraglichen Nachweise zum Zeitpunkt der Ausfüllung dieser Formulare naturgemäß und auch zum Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs noch nicht vor.

Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens zeigte die Beklagte keinerlei Ermittlungsaktivitäten, beschränkte sich auf einen sich in formalistischen Fragestellungen erschöpfenden Vermerk vom 2. März 2017 sowie die telefonische Beantwortung einer Sachstandsanfrage und schließlich den Erlass des Widerspruchsbescheids.

Dies ist angesichts der auch grundrechtsrelevanten besonderen Bedeutung der Versicherungspflicht der nach den Vorstellungen des Gesetzgebers besonders schutzbedürftigen Künstler und des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahren (§ 20 SGB X) verfahrensfehlerhaft, sodass nicht nur auf die – nach Überzeugung des Senats für eine positive Prognose ausreichenden – von der Klägerin vor Erlass des Widerspruchsbescheids mitgeteilten Umstände abzustellen ist, sondern auch auf die im Klageverfahren vorgelegten Nachweise mit nicht unerheblichen Einnahmen von allein fast 12.000 Euro im März 2017, die auf ein – dann auch tatsächlich eingetretenes – deutliches Überschreiten der Mindesteinkommensgrenze im Jahr 2017 hinwiesen.

Bei alledem kann dahingestellt bleiben, ob der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen LSG zu folgen ist, wonach erstmals im Widerspruchsverfahren gemachte Angaben nur zu einer Feststellung der Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft führen können. (Unter Zugrundelegung dessen wäre im Übrigen von der Beklagten eine Teilabhilfe zu erwarten gewesen.) Denn nach den obigen Ausführungen ist der Senat davon überzeugt, dass schon die bei Antragstellung gemachten Angaben der Klägerin keinen Anlass boten, die – nach Auslegung von ihr vorgenommene – Prognose des Überschreitens der Mindesteinkommensgrenze abzulehnen und eine eigene Einkommensschätzung im Sinne einer voraussichtlichen Unterschreitung vorzunehmen.

Aber selbst wenn man die Angaben der Klägerin bei Antragstellung für unvollständig oder unklar hielte, erwüchsen ihr daraus keine Nachteile. Denn bei unvollständigen oder unklaren Angaben ist die Behörde verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu ermitteln, und wenn sie dies nicht tut, legt sie ihrer Prognoseentscheidung keinen verfahrensfehlerfrei ermittelten Kenntnisstand zugrunde (BSG, Urteil vom 30. August 2007 – B 10 EG 6/06 R, NJW 2008, 1903, m.w.N.). So läge der Fall dann hier.

Die nach alledem vom SG zu Recht festgestellte Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG seit dem 1. Januar 2017 besteht bis heute. Umstände, die die Versicherungspflicht wieder entfallen ließen (§ 3 Abs. 3 KSVG, § 8 Abs. 2 KSVG) sind seither nicht eingetreten. Insbesondere hat die Klägerin durch Vorlage der Einkommensteuerbescheide für 2017 und 2018 sowie der Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2019 nachgewiesen, durchgehend die Mindesteinkommensgrenze deutlich überschritten zu haben, und sie hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft prognostiziert, dass dies auch im laufenden Jahr 2020 der Fall sein werde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved