L 1 KR 276/20 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 549/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 276/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der bei der Antragsgegnerin freiwillig gesetzlich krankenversicherte Antragssteller leidet an Epilepsie. Aufgrund von Beitragsrückständen, Säumniszuschlägen und Mahngebühren, die sich nach den Angaben der Antragsgegnerin mittlerweile auf rund 65.000 EUR belaufen, erließ diese am 8. August 2016 einen sogenannten Ruhensbescheid nach § 16 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Wann dieser bekanntgegeben wurde, ist zwischen den Beteiligten streitig, ebenso wie die genaue Höhe der Beitragsrückstände. Am 27. März 2020 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin (SG) beantragt, ihm im Wege einstweiliger Anordnung vollumfänglichen Versicherungsschutz zu gewähren und eine gültige Gesundheitskarte auszuhändigen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die ihn behandelnden Fachärzte verweigerten ihm die Behandlung ohne gültigen Behandlungsausweis.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 19. Mai 2020 abgelehnt. Dieser sei unzulässig, weil der Antragsteller trotz umfangreicher Hinweise keine ladungsfähige Anschrift mitgeteilt habe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 17. Juni 2020: Das SG habe das rechtliche Gehör missachtet. In der Sache werde sein Begehren immer dringlicher. Seine behandelnden Fachärzte weigerten sich, die für ihn lebensnotwendigen Behandlung vorzunehmen –insbesondere EEG-Messungen, welche für die richtige Einstellung der Epilepsie-Medikamentation notwendig sei, obwohl die Antragsgegnerin ihm einen "Nachweis der Anspruchsberechtigung bei Ruhen gemäß § 16 Absatz 3a SGB V" ausgestellt habe. Ihm gingen bald die Tabletten aus. Zwar habe diese mittlerweile auch einen solchen Nachweis für das dritte Quartal 2020 erstellt, mahne ihn jedoch zeitgleich weiterhin an. Er habe zwischenzeitlich auf eigene Kosten ein Privatrezept beschafft. Der eigentliche Beitragsbescheid sei ihm nie zugestellt worden. Mit Bescheid vom 2. Juli 2020 hat die Antragsgegnerin im Wege der Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch entschieden, eine Abänderung des genannten Ruhensbescheides abgelehnt.

II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2020 ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird (sog. Sicherungsanordnung). Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung sind das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Entscheidungen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind, desto eher ist es einem Antragsteller nicht zuzumuten, auf die Entscheidung in der Hauptsache verwiesen zu werden (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Beschluss vom 23. Oktober 2008 - L 1 B 346/08 KR ER; Beschluss vom 23. Dezember 2010 - L 1 KR 368/10 B ER -, juris Rdnr. 10, Beschluss vom 4. September 2019 - L 1 KR 238/19 B ER).

Nach diesen Grundsätzen konnte die von dem Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen werden.

Es fehlt an einem Anordnungsanspruch. Dahingestellt kann deshalb die Frage bleiben, ob die in der Sache begehrte Verpflichtung, im Wege einstweiliger Anordnung vollumfänglichen Versicherungsschutz zu gewähren und eine (normale) gültige Gesundheitskarte auszuhändigen, als den Versichertenstatus selbst betreffende Entscheidung in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergehen kann. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft geworden. Dass die Antragsgegnerin das Ruhen zu Unrecht verfügt hat ist nicht ersichtlich. Bei einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung ruhen die Ansprüche nach Maßgabe des § 16 Abs. 3a S. 2 SGB V, wenn - angemahnte - Beitragsrückstände bestehen. Bereits unter dem 8. August 2016 hat die Antragsgegnerin bestimmt, dass die Mitgliedschaft ruht. Dieser Bescheid ist nach Aktenlage bestandskräftig. Dass der Antragsteller Beitragsrückstände hat, war und ist ihm bekannt. Bereits 2013 hat die Mutter des Antragstellers angeboten, auf die Schulden monatlich 50 EUR zu zahlen. (vgl. VV Bl. 17). Es ist auch nicht davon auszugehen, dass das Ruhen mittlerweile beendet ist. Zwar tritt ein Ruhen nach § 16 Abs. 3a S. 4 SGB V nicht ein, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches sind oder dies werden. Der Nichteintritt des Ruhens bzw. dessen Beendigung ist nach dem eindeutigen Wortlaut von Satz 4 die unmittelbare gesetzliche Folge des Bestehens von Hilfebedürftigkeit (vgl. Beschluss des Senats vom 18. April 2016 –L 1 KR 561/15 B ER- unter Bezugnahme auf Noftz in: Hauck/Noftz, SGB, 12/15, § 16 SGB V, Rdnr. 65h). Der Antragsteller hat jedoch bislang keinen entsprechenden Antrag beim Grundsicherungsträger oder bei einem Jobcenter gestellt. Er äußert sich bislang auch nur unzureichend und pauschal zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen.

Unabhängig hiervon ist auch ein Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es bedeutet für den Antragsteller keine unzumutbare Härte, bis zur Klärung im (etwaigen) Hauptsacheverfahren auf die Ausstattung mit einer normalen Gesundheitskarte verzichten zu müssen. Denn der Antragsteller steht nicht ohne jeden Versicherungsschutz. Der Anspruch auf Behandlung nach § 16 Abs. 3a SGB V ist nach dem Wortlaut und Sinn und Zweck nicht auf die Behandlung im Notfall beschränkt, sondern gilt für alle akute Erkrankungen und Schmerzzustände. Akut ist auch eine chronische Behandlung, welche einer unverzüglichen Behandlung bedarf. Für die an der Versorgung gesetzlich Versicherter zugelassene Ärzte (Vertragsärzte) sind die Vorgaben des Bundesmantelvertrages Ärzte (BMV-Ä) verbindlich, welche in § 19 Abs. 3 BMV-Ä den Behandlungsanspruch (nur) entsprechend einschränken. Dass für eine solche Behandlung fachärztliche Diagnosen weiterhin möglich sind, ergibt sich aus § 19 Abs. 3 S. 6 BMV-Ä, wonach u. a. bei erforderlicher Veranlassung diagnostischer Maßnahmen der eingeschränkte Leistungsanspruch auf dem Überweisungsschein zu kennzeichnen ist. Aus demselben Grund führte auch eine reine Folgenabwägung zu keinem anderen Ergebnis.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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