L 11 KR 181/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 52/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 181/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 17. Februar 2020 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 20. Januar 2020 abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Streitig ist die Versorgung der Antragstellerin mit einer extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie.

Die am 00.00.1972 geborene und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin erlitt am 27. Mai 2018 einen Myokardinfarkt mit prähospitaler Reanimation, in dessen Folge am 27./30. Mai 2018 vier Stents und ein automatischer Kardioverter-Defibrillator (AICD) implantiert wurden. Laut vorläufigem Entlassungsbericht des I-Hospitals X vom 13. März 2020 leidet die Antragstellerin gegenwärtig an einer gemischten Hyperlipidämie und einer koronaren 3-Gefäßkrankheit (deutliche Vasospasmusneigung, mittelgradig reduzierte LV-Funktion, EF 40-45%).

In der Zeit vom 26. Juni bis 17. Juli 2018 nahm die Antragstellerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teil, in der ihr "bei regelrechter Rekonvaleszenz" eine körperliche Belastbarkeit für sogar mittelschwere Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von mehr als sechs Stunden täglich bescheinigt wurde (Entlassungsbericht der N-Fachklinik vom 3. August 2018). Eine Kontroll-Koronarangiographie in 9 Monaten nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme wurde empfohlen.

Eine Koronarangiographie wurde am 9. November 2018 im Joseph-Hospital Warendorf durchgeführt (Diagnose: u.a. "keine Progression der koronaren 3-Gefäßerkrankung").

Am 8. März 2019 beantragte der die Antragstellerin behandelnde Facharzt für Innere Medizin Dr. S bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) die Genehmigung einer wöchentlichen Lipid-Apherese-Therapie auf dem Boden einer Erhöhung des Lipoprotein(a) )im Folgenden: Lp(a)( bei fehlendem Risikofaktor LDL-Cholesterin. Es liege eine seltene Konstellation eines primären - Lp(a) bedingten - Risikofaktors der koronaren Herzerkrankung bei zusätzlich familiärer Belastung vor.

Mit Schreiben vom 4. Juli 2019, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 9. Juli 2019, teilte die KVWL mit, dass die Sachverständigen-Kommission Apherese am 27. Juni 2019 die Indikationsstellung zur Apherese für den Patienten mit dem Zeichen "MEKU F 892" beraten habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Lipid-Apherese-Therapie nicht befürwortet werden könne. Es liege kein Befund vor, der erkläre, dass es nach LDL-C-Senkung in den Normbereich unter 100 mg klinisch und bildgebend zu einem Progress der Erkrankung gekommen sei, der ausschließlich dann nur noch durch Lp(a) begründet sei. Ein Bericht über den Gefäßstatus der Koronarien aus April 2019 liege dem Antrag nicht bei. Insofern könne auch nicht bildgebend entschieden werden. Am 16. Juli 2019 erhielt die Antragsgegnerin Kenntnis davon, dass es sich bei der betroffenen Patientin um die Antragstellerin handelte.

Die Antragsgegnerin teilte diese Entscheidung dem behandelnden Arzt Dr. S und - mit Bescheid vom 30. Juli 2019 - der Klägerin mit. Entsprechend der Empfehlung der Beratungskommission der KVWL wurde eine Leistungszusage abgelehnt: Die Antragstellerin erfülle nicht die Vorgaben der Anlage I der Richtlinie "Methoden vertragsärztliche Versorgung", Stand: 7. November 2018, des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - im Folgenden: MVV-RL) in der Fassung vom 17. Januar 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz) 2006 Nr. 48 (S. 1523), in Kraft getreten am 1. April 2006 (zuletzt geändert am 20. Mai 2020, BAnz AT 22.05.2020 B2, in Kraft getreten am 23. Mai 2020).

Die Antragstellerin legte hiergegen am 8. August 2019 Widerspruch ein und reichte ein Gutachten der Lipidambulanz der Charité PD Dr. C vom 31. Juli 2019 zur Akte. PD Dr. C verwies darauf, dass bei der Antragstellerin unter Berücksichtigung des Gesamtrisikoprofils und des sehr jungen Alters als ultima ratio dringend die Indikation zur Lipid-Apherese-Therapie als Heilversuch geprüft werden solle: "Nur mit dieser Therapie könne der einzig verbleibende Risikofaktor Fettstoffwechselstörung effektiv therapiert werden. Ich empfehle dringend die Durchführung einer wöchentlichen Lipidapherese. Es ist davon auszugehen, dass durch die regelmäßige Lipidapherese eine Progredienz der Systemerkrankung Arteriosklerose und die Ausweitung der Manifestation an den Beingefäßen verzögert bzw. vermieden werden kann. So kann der Invalidisierung bzw. dem vorzeitigen Tod der Patientin entgegenwirkt werden. Die Beurteilung des Gefäßstatus (Ergometrie, Duplexsonographie der Carotiden und der Beingefäße) sollte komplettiert werden und ab nun engmaschig, nach Möglichkeit alle 3 Monate, erfolgen."

Unter dem 29. September 2019 übersandte die Antragsgegnerin dieses Gutachten unter Hinweis auf den eingelegten Widerspruch an die KVWL mit der Bitte um Vorlage bei der Sachverständigenkommission zur Überprüfung der Entscheidung. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2019, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 16. Dezember 2019, teilte die KVWL mit, dass die Lipid-Apherese-Therapie in Ermangelung des Nachweises eines Progresses nicht befürwortet werden könne. Die Befundmitteilung zu einer erneuten Koronarangiographie, um einen Progress sicher beurteilen zu können, stehe weiterhin aus.

Eine Entscheidung der Antragsgegnerin über den Widerspruch liegt - soweit ersichtlich - noch nicht vor.

Am 20. Januar 2020 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (SG) Münster gestellt und begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie mit einer regelmäßigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie zu versorgen: die Voraussetzungen für die Versorgung mit der Lipid-Apherese lägen vor, da sie an einem rasch progredienten Krankheitsverlauf leide und ihr Lp(a)-Wert derzeit bei 105 mg/dl und damit weit erhöht über den gesetzlichen Vorgaben der MVV-RL liege. Die Hyperlipoproteinämie könne unter Verweis auf das lipidologische Gutachten der Charité vom 31. Juli 2019 (PD Dr. C) nicht medikamentös behandelt werden. Die besondere Dringlichkeit der Behandlung ergebe sich daraus, dass sie sich ohne die begehrte Therapie in einem lebensbedrohlichen Zustand befinde. Andere therapeutische Ansätze stünden nicht zur Verfügung. Die Apherese-Kommision gehe fälschlicherweise davon aus, dass eine LDL-Zielsenkung erforderlich sei (in den Normbereich unter 100 mg), um eine Kausalität zwischen dem Progress der Erkrankung und Lp(a) zu begründen. Diese Annahme greife nicht, da sich das LDL-Cholesterin im Zeitpunkt des akuten Myokardinfarktes im Mai 2018 im Normbereich befunden habe. Das LDL könne demzufolge nicht verantwortlich sein für den Progress. Eines weiteren Progresses des koronaren Krankheitsbildes bedürfe es nicht. Der im Mai 2018 erlittene Herzinfarkt sei Beleg für den nach der MVV-RL geforderten progredienten Krankheitsverlauf. Es sei unvertretbar, bei Patienten, die bereits ein kardiales Ereignis erlitten haben und eine deutliche Lp(a)-Erhöhung aufwiesen, eine weitere Progredienz zu fordern. Unabhängig von den Vorgaben der MVV-RL sei ihr Begehren nach § 13 Abs 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) begründet. Die Antragsgegnerin habe es unterlassen, zeitnah ihren Antrag vom 8. März 2019 zu bescheiden.

Ergänzend hat sie eine Stellungnahme von Dr. S vom 13. Dezember 2019 zur Akte gereicht, wonach sie das Risikoprofil der MVV-RL erfülle: Sie weise eine positive Familienanamnese für Atherosklerose auf, die bei ihr weit fortgeschritten sei. Zur Senkung des kardiovaskulären Risikofaktors Lp(a) und um ein erneutes lebensbedrohliches Ereignis (Myokardinfarkt 2018) zu vermeiden, bedürfe sie einer wöchentlichen Lipid-Apherese-Therapie.

Weiter hat sie sich auf gutachterliche Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H vom 14. Dezember 2018/ 25. Mai 2019 gestützt, die es für fragwürdig erachtete, auf einer bildgebenden Dokumentation der Progredienz der kardiovaskulären Erkrankung zu beharren und der Antragstellerin mit dieser Begründung bis zum nächsten vaskulären Ereignis die einzig effiziente Therapie ihrer Fettstoffwechselstörung vorzuenthalten.

Die Antragsgegnerin hat unter Bezug auf den Bescheid vom 30. Juli 2019 die Voraussetzungen der MVV-RL für nicht gegeben erachtet und ergänzend vorgetragen, dass weder Anordnungsanspruch noch -grund glaubhaft gemacht worden seien. Den vorgelegten Unterlagen könne nicht entnommen werden, dass keine Alternativbehandlung zur Verfügung stehe. Die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V sei darüber hinaus nicht anwendbar, weil die Antragsgegnerin auf das Prüfverfahren der KVWL - insbesondere die Arbeitsabläufe der Apherese-Kommission - keine Einflussmöglichkeit habe.

Mit Beschluss vom 17. Februar 2020 hat das SG dem Antrag stattgegeben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 8. März 2019, längstens bis zum 30. Juli 2020 mit einer wöchentlichen extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie zu versorgen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt seien. Zwar habe die Antragstellerin das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Insbesondere bestehe kein Anspruch aus § 13 Abs. 3a SGB V, da die Antragsgegnerin erst am 16. Juli 2019 Kenntnis von der Antragstellung erhalten und über diese binnen drei Wochen entschieden habe. Die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotene Folgenabwägung falle jedoch zu Gunsten der Antragstellerin aus; Erfolgsaussichten einer Hauptsache seien der Antragstellerin nach derzeitiger Sachlage nicht abzusprechen. Die Antragstellerin habe nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB V Anspruch auf die begehrte ärztliche Behandlung als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. der MVV-RL, in deren Anlage I die Voraussetzungen zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung geregelt sind. Nach § 3 Abs. 2 Anlage I zur MVV-RL könnten Lipid-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen). Diese Voraussetzungen seien bisher nicht hinreichend glaubhaft gemacht; ihr Vorliegen könne indes auch nicht mit der dazu erforderlichen Sicherheit verneint werden. Insbesondere die Frage nach dem Vorliegen einer durch klinische und bildgebende Verfahren dokumentierten progredienten kardiovaskulären Erkrankung sei nach derzeitiger Sachlage nicht sicher zu beantworten. Zwar ergebe sich aus dem Herzkatheterbericht vom 9. November 2018, dass keine Progression der koronaren 3-Gefäßerkrankung vorliege. Die Ärzte der Charité gingen jedoch im Gutachten vom 31. Juli 2019 von einer Progredienz der Arteriosklerose aus.

Darüber hinaus sei auch nicht auszuschließen, dass sich ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V ergebe, denn ausweislich des Gutachtens von Dr. S vom 13. Dezember 2019 sowie des lipidologischen Gutachtens vom 14. Dezember 2018 könne mithilfe der Lipid-Apherese-Therapie die vorliegende Fettstoffwechselstörung effektiv therapiert und ein erneutes lebensbedrohliches Ereignis vermieden werden, ohne dass eine alternative Therapie zur Verfügung stünde.

Die damit grundsätzlich erforderlichen weiteren medizinischen Ermittlungen seien im Eilverfahren nicht geboten. Die Kammer habe nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob im konkreten Eilverfahren der Eilbedürftigkeit oder der Amtsermittlung Vorrang einzuräumen sei. Da einem Hauptsacheverfahren nicht jegliche Erfolgsaussicht abgesprochen werden könne, sei anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, die zu Gunsten der Antragstellerin einen Anspruch auf sofortige Bewilligung der von ihr begehrten Lipid-Apherese-Behandlungen begründe. Danach könne ihr nicht zugemutet werden, bis zu einer Entscheidung im Verwaltungs- bzw. ggf. Hauptsacheverfahren auf die Behandlungen zu verzichten. Ohne diese Behandlungen könne nicht ausgeschlossen werden, dass es erneut zu einem schweren, möglicherweise sogar tödlichen kardiovaskulären Ereignis komme. Dementsprechend hätten sowohl Dr. S als auch PD Dr. C und Dr. H die Behandlung für medizinisch geboten erachtet, um eine Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin abzuwehren. Das gegenläufige finanzielle Risiko für die Antragsgegnerin sei derzeit hinnehmbar. Unter Berücksichtigung der Regelung des § 8 Abs. 1 MVV-RL, wonach die Genehmigung zur Durchführung der Lipid-Apherese-Therapie nach § 3 Abs. 2 MVV-RL im Einzelfall auf ein Jahr zu befristen sei, sowie des beim Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Gericht auszuübenden Ermessens (§ 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) erscheine die Befristung bis längstens zum 30. Juli 2020 angemessen. Bei Fortbestehen der Behandlungsindikation könne sodann zugleich mit einer erneuten, ergänzenden ärztlichen Beurteilung eine erneute Beratung bei der Kommission der KVWL eingeleitet werden.

Gegen den am 18. Februar 2020 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 16. März 2020 Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen auf die Einschätzung der Apherese-Kommission vom 27. Juni 2019 Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 17. Februar 2020 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen führt sie - unter Bezug auf ein Schreiben des Dr. S vom 16. April 2020 - aus, dass die erste Lipid-Apherese-Behandlung am 27. Februar 2020 erfolgt sei und seitdem wöchentlich durchgeführt werde. Bislang seien Kosten in Höhe von 5.000 EUR entstanden, die seitens des behandelnden Arztes gegenüber dem Leistungsträger abgerechnet worden seien. Sie, die Antragstellerin, sei nicht in der Lage, die Kosten für die begehrte Therapie selbst zu finanzieren. Eine erneute Koronarangiographie sei bislang nicht durchgeführt worden. Der Abbruch der Behandlung sei ihr nicht zumutbar. Um die Apherese bei bestehenden schlechten Venenverhältnissen durchführen zu können, sei sie zwischenzeitlich mit einem Vorhofdialysekatheter (am 25. Februar 2020) und einem PTFE-Shunt im linken Unterarm (am 10. März 2020) versorgt worden. Ihr Anspruch gründe auf der MVV-RL, alternativ auf § 2 Abs. 1a SGB V.

Der Senat hat einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. S vom 5. Mai 2020 beigezogen, der auf dem Boden eines normalen LDL-Cholesterins eine Lp(a)-Erhöhung beschreibt. Es liege eine genetisch angeborene Stoffwechselerkrankung bzgl. des Lp(a) als Risikofaktor einer koronaren Herzerkrankung, aber auch anderer Gefäßprovinzen, wie Hirn- und Beingefäße, vor. Die Lipid-Apherese-Therapie sei alternativlos und müsse lebenslang durchgeführt werden. Mit Absetzen der Lipid-Apherese-Therapie steige die Wahrscheinlichkeit eines letalen Krankheitsverlaufs. Die Auswertung des Deutschen-Lipid-Registers ergebe eine deutliche Reduktion der koronaren Ereignisse von bis zu 90 % und eine fast ebenso hohe Reduktion der Sterblichkeit.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

1. Die am 16. März 2020 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den ihr am 18. Februar 2020 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Münster vom 17. Februar 2020 ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG) eingelegt worden.

2. Die Beschwerde ist begründet. Die begehrte einstweilige Anordnung war nicht zu erlassen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 2019 - L 11 KR 442/18 B ER - KrV 2019, 126 m.w.N.). Der geltend gemachte (Anordnungs-) Anspruch und der Anordnungsgrund, mithin die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).

Die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs zu stellenden Anforderungen korrespondieren dabei mit den glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteilen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren verfolgten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -; Senat, Beschluss vom 26. Juli 2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 12. August 2013 - L 11 KA 92/12 B ER -), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -). Die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht eingedenk der aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) folgenden Anforderungen an den Eilrechtsschutz dennoch nur ausnahmsweise (hierzu BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 BvR 2366/12 -). So müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen (Senat, Beschluss vom 26. Juli 2016 - L 11 KR 465/16 B ER -). Die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin sind hierzu umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18 -; hierzu auch Senat, Beschluss vom 28. Juni 2013 - L 11 SF 74/13 ER -; Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 KR 473/12 B ER -).

Grundsätzlich ist die Sach- und Rechtslage desto eingehender zu prüfen, je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Findet eine - gemessen am Gewicht der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen - genügend intensive Durchdringung der Sach- und Rechtslage statt, kann es unschädlich sein, wenn das Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens gleichwohl als offen einschätzt und die von ihm vorgenommene Prüfung selbst als summarisch bezeichnet, ohne deswegen allein auf eine Folgenabwägung abzustellen, sofern nur deutlich wird, dass das Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens für weitgehend zuverlässig prognostizierbar hält (so BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18 -). Ist hiernach eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, zu welchen Konsequenzen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde (Senat, Beschluss vom 26. Juli 2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 14. Januar 2015 - L 11 KA 44/14 B ER -). Die einstweilige Anordnung darf allerdings grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Anordnungsanspruch - also das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf eine wöchentliche extrakorporale Lipid-Apherese-Therapie - gegenwärtig nicht glaubhaft gemacht [vgl. nachfolgend a)]; der Gesundheitszustand der Antragstellerin lässt es darüber hinaus auch nicht zu, ihr die begehrte Leistung nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen einer Folgenabwägung zuzusprechen [vgl. nachfolgend b)].

a) Ein Anspruch der Antragstellerin folgt weder aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 5 SGB V, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 3 Abs. 2 der Anlage I MVV-RL [nachfolgend aa)] noch aus § 2 Abs. 1a SGB V [nachfolgend bb)]. Nicht entscheidungserheblich ist, ob die streitige Behandlung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gilt [nachfolgend cc)].

aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 SGB V wird Krankenbehandlung in Form ärztlicher Behandlung durch einen Vertragsarzt oder Krankenhausbehandlung erbracht. Dieser Anspruch unterliegt jedoch den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Eine Krankenbehandlung ist in diesem Sinne notwendig, wenn durch sie ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können. Dabei sind Krankenkassen (und damit hier die Antragsgegnerin) nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie im konkreten Fall nach Einschätzung des Versicherten oder seiner behandelnden Ärzte positiv verläuft bzw. wenn einzelne Ärzte die Therapie befürworten (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R). Die betreffende Therapie ist, wenn es - wie hier unstreitig - um eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (vgl. § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V) geht, nur dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr legen diese Richtlinien auch den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich fest (vgl. BSG a.a.O.).

Vorliegend hat der G-BA in der MVV-RL die ambulante Durchführung der Lipid-Apheresen als anerkannte Behandlungsmethode aufgenommen. Hiernach sollen Apheresen nach § 1 Abs. 2 der Anlage I MVV-RL nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden. Nach § 3 Abs. 2 der Anlage I MVV-RL können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).

Diese Voraussetzungen sind bei der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Es liegt zwar eine isolierte Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich vor [nachfolgend (1)]. Ein klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter Verlauf einer kardiovaskulärer Erkrankung ist jedoch nicht glaubhaft gemacht [nachfolgend (2.)].

(1) Nach den vorliegenden Befundunterlagen, insbesondere dem Bericht von Dr. S vom 5. Mai 2020, kann von einer isolierten Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich ausgegangen werden. Er beschreibt, dass die Antragstellerin auf dem Boden eines normalen LDL-Cholesterins einen Lp(a)-Wert von 105mg/dl (30. November 2018), 124 mg/dl (21. Januar 2019) und 99 mg/dl (18. Februar 2019) aufgewiesen hat. Dies wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt.

(2) Demgegenüber ist das gleichzeitige Vorliegen einer (klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierten) progredienten kardiovaskulären Erkrankung derzeit nicht glaubhaft gemacht.

Dabei ist der Begriff "progredient" ausgehend von seinem Wortsinn (sich in einem bestimmten Verhältnis allmählich steigernd) und seiner grammatischen Herleitung (Partizip Präsenz von progredi) im Sinne von fortschreitend (und nicht etwa von fortgeschritten) zu verstehen (so zutreffend m.w.N. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. Dezember 2018 - L 5 KR 677/18 B ER). Es muss also über einen gewissen Zeitraum (klinisch oder durch bildgebende Verfahren) eine Verschlechterung der kardiovaskulären Erkrankung festgestellt sein. Daran fehlt es.

Der am 27. Mai 2018 bei der Antragstellerin stattgehabte Myokardinfarkt und die in diesem Zusammenhang erhobenen Befunde sowie die fortbestehende isolierte Lp(a)-Erhöhung bei koronarer Dreigefäßerkrankung und Arteriosklerose lässt zwar vermuten, dass ein fortschreitender kardiovaskulärer Krankheitsprozess bestand (und ggf. auch weiter besteht). Dies ist zur Erfüllung der noch offenen Voraussetzung des § 3 Abs. 2 MVV-RL jedoch nicht hinreichend. Es fehlt an der nach dem Wortlaut der Richtlinie ausdrücklich geforderten Dokumentation einer Progredienz des Krankheitsbildes (hier: der koronaren 3-Gefäßerkrankung/Arteriosklerose) klinisch und durch bildgebende Verfahren. Seit dem stationären Aufenthalt der Antragstellerin im Josephs-Hospital Warendorf im November 2018, bei dem kein Progress der koronaren 3-Gefäßerkrankung bestätigt werden konnte (vgl. Herzkathederbericht des Josephs-Hospital Warendorf vom 9. November 2018), hat keine Kontroll-Koronarangiographie mehr stattgefunden. Die im Entlassungsbericht der N-Fachklinik vom 3. August 2018 empfohlene Kontroll-Koronarangiographie 9 Monate nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme (d.h. Mai 2019) wurde nicht durchgeführt. Auch liegen dem Senat keine Unterlagen über die engmaschige Kontrolle des Gefäßstatus (alle 3 Monate) vor, die von Dr. H empfohlen wurde (Gutachten vom 14. Dezember 2018; ebenso Gutachten PD Dr. C vom 31. Juli 2019). Gleiches gilt für den Verlauf der Arteriosklerose im Bereich der Beingefäße. Die (singuläre) Untersuchung der Beingefäße am 18. Februar 2019 (vgl. Schreiben Dr. S vom 16. April 2020) ist nicht geeignet, dem Senat den Krankheitsverlauf im (zeitlichen) Längsschnitt zu verdeutlichen. Soweit behandelnde Ärzte der Antragstellerin die Behauptung aufstellen, dass ein Progress vorliege (Gutachten PD Dr. C vom 31. Juli 2019; Stellungnahme Dr. H vom 14. Dezember 2018), fehlt es an einer hinreichenden Befunddokumentation, um das für die Glaubhaftmachung erforderliche Maß an Gewissheit für den Senat begründen zu können.

Angemerkt sei, dass die Ergebnisse der von Dr. S in seinem Schreiben vom 16. April 2020 angekündigten regelmäßigen Kontrollen der Gefäßprovinzen und "weiteren kardiologischen Untersuchungen" im Rahmen eines Folgeantrages durch die Apherese-Kommission eingehend zu würdigen sein werden und zu Gunsten der Antragstellerin einen abweichenden Rechtsstandpunkt rechtfertigen könnten.

bb) Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) zum Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation, die der Gesetzgeber inzwischen in § 2 Abs. 1a SGB V normiert hat, kann die Antragstellerin einen Anspruch auf Versorgung mit einer ambulant zu erbringenden Lipid-Apherese-Therapie nicht herleiten. Hiernach ist es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Entscheidend ist danach, ob eine lebensbedrohliche Notsituation für die Antragstellerin besteht (BVerfG, a. a. O.; Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 -; Beschluss vom 6. Februar 2007, 1 BvR 3101/06). Das Bundessozialgericht (BSG) hat diese Anspruchsvoraussetzung in verschiedenen Fallgestaltungen präzisiert (vgl. BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 und § 27 Nr. 10). Sie ist nur dann gegeben, wenn ein Versicherter an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden bzw. einer wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung leidet, sofern die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer und nicht erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit droht (BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 - B 1 KR 3/19 R -; Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R; jeweils m.w.N.). Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles schon jetzt drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 70/12 R). Eine "nur" schwerwiegende Erkrankung zählt auch dann nicht dazu, wenn sie die körperliche Unversehrtheit und die Lebensqualität schwerwiegend beeinträchtigt (vgl. BSG a.a.O.). Nicht mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auf einer Stufe steht dabei selbst ein Krankheitsbild, das ("nur") zu allgemeiner Leistungsminderung und eingeschränkter Lebenserwartung führt (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - Kardiomyopathie).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil (jedenfalls derzeit) keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung bei der Antragstellerin vorliegt. Kardiovaskuläre Erkrankungen können zwar durchaus den Charakter einer lebensbedrohlichen Erkrankung haben (so etwa ausdrücklich die tragenden Gründe zu dem Beschluss des G-BA vom 19. Juni 2008 - a.a.O. unter 2.3 sowie BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06). Hier ist aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Erkrankung einen solchen Schweregrad erreicht, dass von (unmittelbarer) Lebensbedrohlichkeit gesprochen werden könnte. Denn diagnostisch liegt nach dem Myokardinfarkt im Mai 2018 und nachfolgender 4-fach-Stentimplantation und AICD-Implantation am 27./30. Mai 2018 zwar immer noch eine koronare Dreigefäßerkrankung/ Arteriosklerose vor, die - wie vorstehend ausgeführt - allerdings nach den derzeit vorliegenden Befundunterlagen nicht progredient verläuft. Nicht unberücksichtigt kann ferner bleiben, dass der Antragstellerin im Anschluss an ihre stationäre Rehabilitationsmaßnahme (vom 26. Juni bis 17. Juli 2018) von den dortigen Ärzten bei regelrechter Rekonvaleszenz eine körperliche Belastbarkeit für sogar mittelschwere Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von mehr als sechs Stunden täglich bescheinigt wurde (Entlassungsbericht der N-Fachklinik vom 3. August 2018).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit wesentlich von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BVerfG (a.a.O.) zugrunde lag. Dort waren zwei Koronararterien vollständig und die dritte (trotz Stent-Versorgung) zu 30% verschlossen. Zusätzlich bestanden - anders als hier (vgl. Schreiben Dr. S vom 16. April 2020) - noch zunehmende Angina-pectoris-Beschwerden schon bei leichter Belastung sowie eine beide Beine betreffende periphere arterielle Verschlusskrankheit.

cc) Ein (Anordnungs-)Anspruch auf Bewilligung der streitigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V kommt nicht in Betracht.

Dafür kann offenbleiben, ob die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V bereits mit Eingang des Antrages bei der KVWL (am 8. März 2019), zum Entscheidungszeitpunkt der Sachverständigen-Kommission Apherese (am 27. Juni 2019), mit Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses der Sachverständigen-Kommission Apherese durch die KVWL gegenüber der Antragsgegnerin (am 9. Juli 2019) oder (erst) mit Offenlegung der Patientendaten durch die KVWL gegenüber der Antragsgegnerin (am 16. Juli 2019) beginnt (vgl. hierzu SG Hannover, Urteil vom 18. September 2019 - S 86 KR 2589/18 [Entscheidungszeitpunkt der Sachverständigen-Kommission Apherese]; SG Bremen, Beschluss vom 9. Mai 2019 - S 8 KR 129/19 ER [Antragseingang bei der KV - spätestens mit Offenlegung der Patientendaten durch die KV gegenüber der Krankenkasse]; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 7. November 2016 - S 43 KR 1087/16 ER [unklar; wohl Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses der Sachverständigen-Kommission Apherese nebst der Patientendaten durch die KV gegenüber der Krankenkasse]).

Denn jedenfalls begründet eine gesetzlich fingierte Genehmigung nicht den - hier jedoch geltend gemachten - Anspruch auf Versorgung mit einer Sachleistung, sondern nur die vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt und ggf. im Nachhinein zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreistellung führt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R - BSG-Terminbericht 19/20; Urteile vom 18. Juni 2020 - B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R - BSG-Terminbericht 21/20).

b) Der Senat vermag den Anordnungsanspruch auch nicht (bei unterstelltem offenen Verfahrensausgang) aus den Grundsätzen der Folgenabwägung herzuleiten. Überwiegende Interessen der Antragstellerin, die im Rahmen einer Folgenabwägung geböten, die Antragsgegnerin zur vorläufigen Übernahme der Kosten der Apherese-Behandlung zu verpflichten, sind nicht hinreichend glaubhaft gemacht: Der Senat verkennt nicht, dass sich die Antragstellerin im Vertrauen auf den Beschluss des SG Münster vom 17.2.2020 mit der Anlage eines PTFE-Shunts und der Implantation eines Vorhofdialysekatheters bereits erheblichen körperlichen Eingriffen unterzogen hat. Dies gebietet indessen nicht, ihre Interessen zu Lasten der Antragsgegnerin höher zu gewichten. Denn sie handelte dabei in der Kenntnis, dass der vorgenannte Beschluss nicht rechtskräftig und damit revisibel ist. Zu Lasten der Antragstellerin wirkt es sich aus, dass bislang keine hinreichende - engmaschige - Befunddokumentation vorgenommen worden ist, die es dem Senat erlauben würde, sich ein genaues Bild vom aktuellen Ausmaß und Verlauf der kardio-vaskulären Erkrankung zu verschaffen. Dieser fehlende Nachweis wirkt sich zu Ungunsten der Antragstellerin aus, die gehalten ist, zeitnah die in der Vergangenheit wiederholt von fachärztlicher Seite empfohlenen (zumutbaren) diagnostischen Maßnahmen durchzuführen. Die unzureichende Befundlage, die dem Verantwortungsbereich der Antragstellerin zuzurechnen ist, kann eine - auch für Folgezeiträume präjudizielle - Entscheidung des Senats nicht rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als eine Leistungsgewährung abhängig vom Inhalt der von Dr. S angekündigten Untersuchungsergebnisse zeitnah denkbar ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

4. Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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