L 3 R 89/19

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 R 738/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 89/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte anstelle der von der Beklagten bewilligten Altersrente für Frauen hat.

Die am ... 1951 geborene Klägerin arbeitete seit 1991 bei der Kreishandwerkerschaft S ... Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte diese das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 30. Juni 2012. Hintergrund war ein Personalabbau aufgrund der Zusammenlegung der Kreishandwerkerschaften Sa. und S. zum 1. Januar 2012.

Nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses war die Klägerin vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 arbeitslos. Für diese Zeit sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund von durch die Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Zeiten gespeichert. Mit Bescheid vom 9. Juli 2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 30. April 2014 Altersrente für Frauen mit einem Rentenbeginn am 1. Juli 2014 und einem Auszahlungsbetrag von 941,51 EUR. Den Antrag auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte lehnte die Beklagte mit Bescheid ebenfalls vom 9. Juli 2014 ab. Zur Begründung führte sie aus, das Versicherungskonto der Klägerin enthalte bis zum 30. Juni 2014 statt der erforderlichen 540 nur 525 Wartezeitmonate. Auf die erforderliche Wartezeit könnten Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht angerechnet werden, es sei denn, der Leistungsbezug sei durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein: Die gesetzliche Regelung, wonach Zeiten der Arbeitslosigkeit, die zwei Jahre vor Rentenbeginn lägen, bei der Wartezeit nicht berücksichtigt würden, verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es sei nicht mit dem Gleichheitssatz vereinbar, dass diese Zeiten unberücksichtigt blieben, die anderen Zeiten der Arbeitslosigkeit im Berufsleben der Versicherten (noch dazu unabhängig von ihrer Dauer) angerechnet würden. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz liege auch insoweit vor, als die Arbeitslosigkeit zwei Jahre vor Rentenbeginn dann anerkannt werde, wenn eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers Ursache gewesen sei, jedoch nicht bei einer betriebsbedingten Kündigung schlechthin. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Arbeitnehmer, der wegen vollständiger Betriebsaufgabe entlassen worden sei, anders behandelt werde, als z.B. ein Arbeitnehmer, der nur aufgrund der Auflösung einer Betriebsabteilung, einer Umstrukturierung seines Betriebes oder einer Fusion seines Betriebes mit einem anderen Betrieb seinen Arbeitsplatz verliere. In beiden Fällen habe der Arbeitnehmer keinen Einfluss auf das Entstehen der Kündigungsgründe. Die Folge der Arbeitslosigkeit sei aber in beiden Fällen für den Arbeitnehmer gleich. Die Fusion der Kreishandwerkerschaften S. und Sa. zur Kreishandwerkerschaft A. beinhalte in gewisser Weise auch die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers, denn nach der Fusion habe es den bisherigen Arbeitgeber nicht mehr gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Gemäß § 50 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) sei die Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren (540 Monate) Voraussetzung für einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Diese Wartezeit habe die Klägerin mit 525 Wartezeitmonaten nicht erfüllt. Dabei sei maßgeblich, dass Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nur berücksichtigt würden, wenn der Bezug durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe bedingt sei (§ 51 Abs. 3a SGB VI). Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung seien durch eine Insolvenz bedingt, sofern das Beschäftigungsverhältnis nach einem Insolvenzantrag durch eine Kündigung von Seiten des Arbeitgebers bzw. Insolvenzverwalters gelöst werde. Das sei eindeutig nicht der Fall gewesen. Der Begriff der vollständigen Geschäftsaufgabe im Gesetz sei eng auszulegen. Von einer vollständigen Geschäftsaufgabe sei nur dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine gesamte Betriebstätigkeit auf Dauer eingestellt habe. Eine Einstellung der Tätigkeit eines einzelnen Betriebsteils, einer Filiale, eines Standorts sowie eine Zusammenlegung von Betrieben oder eine Teilstilllegung sei nicht ausreichend, um den Tatbestand der vollständigen Geschäftsaufgabe zu begründen, sofern der Arbeitgeber weitere Betriebsteile oder andere einzelne Betriebe weiterführe. Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich eindeutig, dass eine Zusammenlegung der Kreishandwerkerschaften vorgenommen worden sei. Damit sei die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren anzurechnen. Soweit die Klägerin vortrage, dass diese Regelung gegen Artikel 3 Abs. 1 GG verstoße, sei darauf hinzuweisen, dass sie - die Beklagte - bei ihrem Handeln an Recht und Gesetz gebunden sei. Dies schreibe das Grundgesetz in Artikel 20 Abs. 3 GG vor. Sie dürfe nicht prüfen, ob ein Gesetz verfassungsgemäß sei. Diese Prüfung erfolge nur durch das Bundesverfassungsgericht.

Dagegen hat die Klägerin am 11. November 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und im Wesentlichen die Widerspruchsbegründung wiederholt. Ergänzend hat sie ausgeführt, die von ihr kritisierte Ungleichbehandlung empfinde sie in ihrem Fall als besonders schwerwiegend, weil sie in ihrem gesamten Versicherungsverlauf nur in der Zeit ab dem 1. Juli 2012 arbeitslos gewesen sei.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe die gesetzlichen Regelungen rechtsfehlerfrei umgesetzt. Der Beklagten sei zuzustimmen, dass die Zusammenlegung der Kreishandwerkerschaften S. und Sa. zur Kreishandwerkerschaft A. weder eine Insolvenz noch eine vollständige Geschäftsaufgabe darstellten. Die gesetzlichen Regelungen verstießen auch nicht gegen das Grundgesetz. Das Sozialgericht hat zudem auf die Bundestagsdrucksache 18/1489, S. 26 verwiesen, nach der durch die Ergänzung in § 51 Abs. 3a Nr. 3 SGB VI Fehlanreize vermieden werden sollten, die sich aus der Anrechnung von Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die Wartezeit von 45 Jahren bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ergeben könnten.

Gegen das ihr am 19. Juli 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. August 2017 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts beinhalte die Fusion der Kreishandwerkerschaften S. und Sa. die Geschäftsaufgabe der Kreishandwerkerschaften. Die Fusion sei ein Sonderfall der Auflösung einer Kreishandwerkerschaft gemäß §§ 76 Nr. 3, 89 Abs. 1 Nr. 5 Handwerksordnung (HwO), geschuldet der Verringerung der Zahl der Innungsbetriebe, die die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der einzelnen Kreishandwerkerschaft gefährdet erscheinen lassen habe. Mit der Fusion habe eine Auflösung der jeweiligen Kreishandwerkerschaft aus diesen Gründen vermieden werden sollen. Durch sie hätten die ehemaligen Kreishandwerkerschaften S. und Sa. aufgehört zu existieren. Diese Situation sei mit einer vollständigen Geschäftsaufgabe gleichzusetzen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei trotz des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers eine Ungleichbehandlung der Versicherten in einem Maße gegeben, dass Artikel 3 GG als verletzt anzusehen sei. Mit keinem Wort werde in der vom Sozialgericht zitierten Bundestagsdrucksache erwähnt, ob denn überhaupt Feststellungen zum Verhalten der Versicherten bei Beantragung der Altersrente getroffen würden, die den Schluss zuließen, es würden derartige Fehlanreize bestehen. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber könne doch nur dann von Fehlanreizen sprechen, wenn er festgestellt hätte, dass Versicherte vor dem Bezug der Altersrente verstärkt eine Arbeitslosigkeit anstelle von Beschäftigung "anstreben" würden, wenn ihre Wartezeit noch nicht erfüllt sei. Eine derartige Feststellung könne wohl schwerlich getroffen werden, denn ein Versicherter werde Beschäftigungszeiten Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld immer "vorziehen", da die Beschäftigungszeit zu höheren Rentenpunkten führe als der Bezug von Arbeitslosengeld. Der Bezug von Arbeitslosengeld sei die Folge einer Entscheidung des Arbeitgebers, der das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer beendet habe. Die Gründe hierfür könnten sehr verschieden seien und bekanntlich in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder betriebsbedingt sein. Würde ein Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit herbeiführen, würde gegen ihn eine Sperrfrist verhängt werden. Nur in diesem Falle könne man ihm vorwerfen, die Arbeitslosigkeit "angestrebt" zu haben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Juni 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juli 2014 Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. März 2019 (B 13 R 5/17 R) bestätige ihre Auffassung. Der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin habe in der Kreishandwerkerschaft A. weiterbestanden. Eine Geschäftsaufgabe habe somit nicht vorgelegen. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Die Geschäfte der Kreishandwerkerschaft S. seien im Rahmen der vorgenommenen Fusionierung weitergeführt worden.

Das Verfahren ruhte von September 2017 bis März 2019, um den Ausgang des Verfahrens B 13 R 5/17 R beim BSG abzuwarten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Beklagten vom 11. März 2020 sowie Schriftsatz der Klägerin vom 18. März 2020).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat durfte den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 SGG).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1. Juli 2014. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die er sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Vorbringen im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin noch vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 bei der bereits fusionierten Kreishandwerkerschaft A. beschäftigt war. Ihr letzter Arbeitgeber erfüllt die Rückausnahmen der Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe also offenkundig nicht. Denn als ihr Beschäftigungsverhältnis endete, war die Fusion bereits seit sechs Monaten umgesetzt worden. Soweit die Klägerin vorträgt, die Fusion sei ein Sonderfall der Auflösung einer Kreishandwerkerschaft gemäß §§ 76 Nr. 3, 89 Abs. 1 Nr. 5 HwO, kann der Senat dem nicht folgen. Dies ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Die Kreishandwerkerschaft S., bei der die Klägerin seit 1991 arbeitete, lebt vielmehr in deren Rechtsnachfolgerin - der Kreishandwerkerschaft A. - fort.

Die gesetzliche Regelung ist auch nicht als verfassungswidrig anzusehen. Der Gesetzgeber hat bewusst ausschließlich die Tatbestände der Insolvenz und der vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers als Rückausnahme vorgesehen. Die Beschränkung auf diese Ausnahmen ist keinesfalls als willkürlich anzusehen. Denn diese Rückausnahmen können durch die Verwaltung einfach festgestellt und umgesetzt werden. Alle anderen Lebenssachverhalte, die in ähnlicher Weise unverschuldet die Arbeitslosigkeit herbeigeführt haben, hätten einen gegebenenfalls großen Ermittlungs- und Verwaltungsaufwand bedeutet und die Möglichkeit des Missbrauchs nicht ausschließen können. Diese Beurteilung hat auch das BSG in seinen Urteilen vom 17. August 2017 (B 5 R 8/16 R und B 5 R 16/16 R, juris) und vom 12. März 2019 (B 13 R 5/17 R und B 13 R 19/17 R, juris) sowie in seinem Beschluss vom 16. Oktober 2019 (B 13 R 175/18 B, juris) vorgenommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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