L 18 AL 148/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 18 AL 260/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 148/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. November 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu er-statten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015 und die Erstattung eines hierauf gezahlten Vorschusses iHv 2.600,- EUR.

Der Kläger war bei der S Logistik und Transport GmbH (GmbH) als Kraftfahrer be-schäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Eigenkündigung des Klägers zum 31. Oktober 2015 (Vergleich beim Arbeitsgericht Potsdam vom 20. November 2015 – 5 Ca 1671/15 -). Der Betrieb war bereits zuvor durch Rechtsgeschäft auf den Geschäftsführer der GmbH als Einzelunternehmer, der den Geschäftsbetrieb fort-führte, mWv 1. September 2015 übergegangen; die GmbH stellte zu diesem Zeit-punkt den Geschäftsbetrieb ein (vgl Gutachten im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GmbH vom 15. April 2016, das mit Beschluss des Amtsge-richts Potsdam vom 18. April 2016 – 35 IN 35/16 – eröffnet wurde).

Die Beklagte gewährte dem Kläger auf dessen Antrag vom 26. Februar 2016, mit dem dieser ausgefallenes Arbeitsentgelt vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015 geltend machte, einen Insg-Vorschuss iHv 2.600,- EUR. Zugleich wies sie darauf hin, dass dieser Betrag zu erstatten sei, soweit ein Anspruch auf Insg nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt werde (Bescheid vom 14. April 2016). Später lehnte die Beklagte die Bewilligung von Insg ab und forderte Erstattung des Vorschusses (Bescheid vom 29. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2016). Insg sei für die Zeit vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015 nicht zu gewähren, da zum 1. September 2015 ein Betriebsübergang stattgefunden habe.

Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat die Klage unter Bezugnahme auf den ange-fochtenen Widerspruchsbescheid abgewiesen (Urteil vom 20. November 2019).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf die Berufungsbe-gründung vom 16. März 2020 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. November 2019 und den Be-scheid der Beklagten vom 29. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 22. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurtei-len, ihm Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die zulässige Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insg für den geltend gemachten Zeitraum vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015. Der in-soweit gezahlte Vorschuss ist zu erstatten.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Entscheidung der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 22. September 2016, mit dem die Beklagte den Insg-Antrag abgelehnt hat. Weiter hat sie mit diesem Bescheid die Erstattung des vorschussweise erbrach-ten Insg iHv 2.600,- EUR verlangt. Der Bescheid vom 29. Juni 2016 hat den Vorschuss-bescheid vom 14. April 2016 vollständig ersetzt (§ 168 Sozialgesetzbuch – Arbeits-förderung - SGB III -, § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X -). Das klägerische Begehren ist bei verständiger Würdigung (vgl § 103 SGG) so zu verstehen, dass dieser sich nicht – wie beantragt - (nur) gegen die verlautbarte Erstattungsentscheidung, sondern auch die Ableh-nung von Insg im Streitzeitraum wendet.

Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Insg ist § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl I 2854). Hiernach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt nach § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Nr 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenz-verfahrens mangels Masse (Nr 2) oder die vollständige Beendigung der Betriebstä-tigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ge-stellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 3).

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH ist ein Insolvenzereignis iSv § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 eingetreten, und zwar am 18. April 2016. Für die Zeit vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015 (Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Oktober 2015) bestanden noch Ansprüche des Klägers auf Arbeitsentgelt. Der Ausgleich von Ansprüchen auf rückständiges Arbeitsentgelt durch Insg iSv § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfolgt jedoch nur für solche arbeitsrecht-lichen Ansprüche, die in den Insg-Zeitraum fallen. Die Lage des Insg-Zeitraums be-stimmt sich neben dem Zeitpunkt des Insolvenzereignisses nach den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses mit dem jeweiligen insolventen Arbeitgeber vor Eintritt des Insolvenzereignisses. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III sichert also nicht jegli-ches ausgefallene Arbeitsentgelt im Zusammenhang mit einer Insolvenz, sondern nur arbeitsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers gegen einen konkreten Arbeit-geber, der wiederum von einem der in § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III bezeichneten In-solvenzereignisse betroffen sein muss. Im Falle eines Betriebsübergangs vor dem Insolvenzereignis endet der Insg-Zeitraum trotz fortbestehenden Arbeitsverhältnis-ses des Arbeitnehmers indes mit der Betriebsübernahme durch den neuen Er-werber. Wegen eines Insolvenzereignisses bei dem (bisherigen) Arbeitgeber steht dem Arbeitnehmer Insg dann nur bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu (vgl zum Ganzen Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Februar 2019 – B 11 AL 3/18 R – juris – Rn 15 ff mwN; vgl auch schon Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juni 2018 – L 18 AL 52/16 - juris).

Dies folgt aus § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Geht ein Betrieb oder Be-triebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Nach der Rspr des Bundes-arbeitsgerichts (BAG) enthält § 613a Abs. 1 BGB als Tatbestandsmerkmal kein auf die bestehenden Arbeitsverhältnisse bezogenes Rechtsgeschäft. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 613a Abs. 1 BGB, sondern die gesetzliche Rechtsfolge des Betriebsübergangs (vgl nur BAG vom 30.10.1986 - 2 AZR 101/85 - BAGE 53, 251). Mit dem Betriebsübergang ist der Be-triebserwerber der neue Arbeitgeber bei Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhält-nisses. Das Arbeitsverhältnis geht auf ihn über.

Zwar bestimmt § 613a Abs. 2 BGB, dass der bisherige Arbeitgeber neben dem neu-en Inhaber als Gesamtschuldner für Verpflichtungen nach § 613a Abs. 1 BGB haftet, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden. Für derartige Ansprü-che vor dem Betriebsübergang macht der Kläger jedoch kein Insg geltend. Eine Konstellation, in welcher die Arbeitsverhältnisse bei dem Betriebsveräußerer ver-bleiben, weil die betroffenen Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprechen, ist hier nicht gegeben. Eine (zeitgleiche) Einstandspflicht von Veräußerer und Be-triebsübernehmer für die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis besteht regelmäßig nur bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs, der hier am 1. September 2015 statt-fand.

Ein Betriebsübergang iSv § 613a Abs 1 Satz 1 BGB - wie auch im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebstei-len (ABl Nr L 82 S 16) – liegt vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürli-che oder juristische Person, die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Be-schäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach Übernahme durch den neuen Inhaber ihre Identität bewahrt (BAG, Urteil vom 25. August 2016 - 8 AZR 53/15 - AP Nr 466 zu § 613a BGB – Rn 2). Nach der danach vorzunehmenden Gesamtbewertung ist der Senat von einem Betriebsübergang von der GmbH auf ein Einzelunternehmen des frühe-ren Geschäftsführers am 1. September 2015 überzeugt. Materielle Betriebsmittel, die gesamte Belegschaft und der Kundenstamm sind auf den Erwerber, der den Ge-schäftsbetrieb der GmbH fortführte, an diesem Tag vollständig übergegangen. Dies folgt aus den vorliegenden Gutachten des Insolvenzverwalters und der Prüfmittei-lung der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 6. Oktober 2016.

Da der Insg-Zeitraum mit der Betriebsübernahme am 1. September 2015 endete, steht dem Kläger kein Anspruch auf Insg für die Zeit vom 1. September 2015 bis 30. Oktober 2015 zu. Der insoweit gezahlte Insg-Vorschuss iHv 2.600,- EUR ist daher zu erstatten (§ 168 Satz 4 Nr 1 SGB III), ohne dass sich der Kläger insoweit auf Ver-trauen berufen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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