L 12 SO 50/19 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SO 131/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 50/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 03.01.2019 geändert. Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin G aus N beigeordnet. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht (SG) hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit den §§ 114,115 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Das Sozialgericht hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs verneint.

Die Klägerin ist nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen. Das Ausgangsverfahren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung dürfen nicht überspannt werden. Es genügt, wenn nach den gesamten Umständen des Falles eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges besteht.

Gemäß § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe mit Asylbewerberleistungsgesetz (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Als Leistungen der Eingliederungshilfe werden nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 42 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX im Rahmen der medizinischen Rehabilitation Hilfsmittel erbracht. Nach § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII entsprechen die Leistungen der medizinischen Rehabilitation den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Sachleistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Versorgung ihrer Versicherten mit Hilfsmitteln bestimmt sich nach § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Grundsätzlich fallen Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung nur ausnahmsweise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG Urteil vom 07.10.2010, B 3 KR 5/10 R) gehören zur Krankenbehandlung im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 SGB V regelmäßig nur Maßnahmen mit Behandlungs- und Therapiecharakter, die einen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen. Bloß allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit genügen diesen Anforderungen nach der Rechtsprechung des BSG nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung durchgeführt werden (BSG a.a.O., mit weiteren Nachweisen).

Dennoch können bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation - wie hier das Therapiedreirad - in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" im Sinne von § 33 Abs. 1 S. 1, 1. Alt SGB V sein. Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG Urteil vom 07.10.2010, B 3 KR 5/10 R), soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Eine unmittelbare Bedienung des Hilfsmittels durch den Arzt selbst ist dabei nicht zwingend erforderlich, so dass ein Hilfsmittel nicht schon deshalb nach § 33 Abs. 1 SGB V ausgeschlossen ist, weil die praktische Anwendung durch den Versicherten selbst erfolgt (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2001, B 3 KR 6/00 R - Therapie-Dreirad). Jedoch ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als "spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung" anzusehen. Keinen ausreichend engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen nach den dargelegten Maßstäben diejenigen gesundheitsförderlichen Maßnahmen auf, die lediglich allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen (vgl. BSG Urteil vom 07.10.2010, B 3 KR 5/10 R).

Ein weitergehender spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung - wie hier mit dem Therapiedreirad - dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten als wirtschaftlich darstellt (BSG a.a.O.).

Im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war es daher nach § 103 SGG geboten, eigene Ermittlungen durchzuführen. Es würde der Rechtsschutzgleichheit widersprechen, sofern Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht des Klagebegehrens versagt würde, obwohl noch Amtsermittlungen durchgeführt werden müssen.

Das SG hat ohne weitere Ermittlungen angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten eines Tandem-Dreirades mit Elektromotor habe. Das SG hätte sich veranlasst sehen müssen, bei den behandelnden Ärzten Befundberichte zu der Frage einzuholen, ob das beantragte Tandem-Dreirad zur Erhaltung der Körperkraft oder der restlichen Eigenmobilität der Klägerin medizinisch erforderlich ist. Aus den von der Klägerin vorgelegten Attesten ergibt sich, dass das Tandem-Dreirad dem Erhalt der Körperkraft und der Mobilität dienen soll. In jedem Fall wären hierzu weitere Ermittlungen geboten gewesen (Befundberichte und ggfls. Einholung von Sachverständigengutachten).

Kosten sind im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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