S 9 VG 1103/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VG 1103/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Liegt kein offensichtlich haltloses Klagebegehren vor, kann nicht von der Bestellung eines besonderen Vertreters abgesehen werden.
2. Die Erklärung zur Übernahme der besonderen Vertretung durch den Ausgewählten bedarf ausweislich des Wortlauts des § 1898 Abs. 2 BGB keiner Schriftform.
3. Ist der Kläger wirtschaftlich nicht dazu in der Lage, die Kosten der besonderen Vertretung aufzubringen, sind analog §§ 114, 121 ZPO die Kosten des bestellten besonderen Vertreters von der Staatskasse zu übernehmen.
Dem Kläger wird gemäß § 72 Abs. 1 SGG Frau Rechtsanwältin H.-K. bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren – S 9 VG 1103/18 – als besonderer Vertreter beigeordnet. Die Kosten des besonderen Vertreters werden gemäß §§ 114, 121 ZPO (analog) von der Staatskasse übernommen.

Gründe:

I.

Mit Schreiben vom xx.x.xxxx, eingegangen beim Gericht am xx.x.xxxx, hat der Kläger unter Vorlage des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S. – Landesversorgungsamt – vom xx.x.xxxx mitgeteilt, dass er "( )gemäß Bescheid Klage erheben ( )" wolle. Ferner hat er u. a. die Beiordnung eines Anwalts beantragt. Er begründet seine Klage und seinen Antrag auf Beiordnung eines Anwalts u. a. damit, dass er "Opfer von Schwerstraft und Amtsmissbrauch, welches wahrgenommen ist, ohne Rechte wahrnehmen zu können, ohne Verhältnisse in denen es wahrgenommen wurde Opferentschädigungsgesetz ( )" sei. Zudem bestünde gegen ihn "( ) als Straftat unlauterer Einfluß erweitert mit (Fehlbezeichnung zu Verschleiherung) Inoffiziell von staatlichem Kontrahenten und nicht staatlichen Kontrahenten und Justiz." Weiter stünde er "( ) in Folter durch 24 Stunden Intimbruch und Extrovertierung und darauf konzipierten Folgetaten." Auch sei ihm "( ) durch Hacktivismus und Anwaltswillkür und Organisation Verbrechen als solches mit Anteil manipulativ ideologisch und vereinnahmend intervenierender Zeugenbeeinflußung in Prozeßverschleiherung, Verschleppung und Vertuschung mit wirtschaftlicher Vorteilsfolge; - Telefon, Briefpost, Computer, Internet, und Privatsphäre in Geheimnis gebrochen."

Seitens des Gerichts wurde unter dem xx.x.xxxx Prof. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Gutachtensauftrag ist mit Schreiben vom xx.x.xxxx dahingehend modifiziert worden, dass zu den Beweisfragen nach Aktenlage Stellung genommen werden soll, wenn eine Begutachtung des Klägers nicht möglich ist. Mit Schreiben vom xx.x.xxxx hat die Vorsitzende den Kläger darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für einen wirksamen Prozesskostenhilfeantrag die Prozessfähigkeit des Antragstellers sein dürfte. Bestünden Zweifel an der Prozessfähigkeit dürfen Ermittlungen auf Grundlage des § 118 Abs. 2 ZPO, der wegen des Verweises in § 73a Abs. 1 S. 1 SGG zur Anwendung kommt, vorgenommen werden, wozu auch die Begutachtung durch einen Sachverständigen zählt, weswegen das Gericht daher nicht vor Eingang des Gutachtens des Herrn Prof. Dr. S. über den Antrag auf Prozesskostenhilfe entscheiden würde.

Unter dem xx.x.xxxx hat Prof. S. in dem nach Aktenlage angefertigten Gutachten, da der Kläger nicht zur Begutachtung gekommen ist, bei dem Kläger ausgeprägte formale Denkstörungen, Wortneubildungen (Neologismen), paralogisches und alogisches Denken, Verlust des Realitätsbezugs und Verfolgungswahn festgestellt. Dies erlaube die eindeutige Zuordnung zur Diagnose einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20.0). Der Kläger sei gegenwärtig sicher nicht als geschäftsfähig anzusehen. Die Erkrankung durchdringe das gesamte Willensgefüge und die Urteilsfähigkeit. Gerade bezüglich des hier betriebenen Verfahrens liege auch keine Geschäftsfähigkeit vor. Die beschriebene Durchdringung des Willens und der Urteilsfähigkeit mit der krankhaften Störung werde gerade in diesem Bereich deutlich.

Das Gericht hat den Kläger hinsichtlich der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 Abs. 1 SGG im Erörterungstermin am xx.x.xxxx persönlich angehört. Er hat dort im Wesentlichen angegeben, dass sich durch die Bestellung eines besonderen Vertreters seine Rechtslage falsch darstelle. Er begehre mit seiner Klage, dass die Polizei gegen sich selbst ermittele. Er wolle erreichen, dass die Opferentschädigungsstelle eine Zusammenarbeit mit dem Land gewährleiste, die unparteilich ist. Er sei Opfer von "Hacktivismus" geworden. Der W. R. habe sich nicht mehr zurück geäußert. Er sei wohl nicht bei Schwierigkeiten mit "Hacktivismus" versiert. Er werde dabei so sabotiert, Kontakt zu einem Anwalt aufzunehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 Abs. 1 SGG liegen vor. Der Kläger ist im Erörterungstermin am xx.x.xxxx persönlich angehört worden (siehe zum Erfordernis der persönlichen Anhörung des Klägers vor der Bestellung eines besonderen Vertreters: BSG, Urt. v. 5.5.1993 – 9/9a RVg 5/92 (Rn. 15 f.) – juris).

Aus § 72 Abs. 1 SGG folgt, dass der Vorsitzende für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen kann, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

Der Kläger ist nicht prozessfähig und steht zur Zeit nicht unter Betreuung. Prozessunfähig ist eine Person, die nicht dazu in der Lage ist, sich durch Verträge verpflichten zu können, vgl. § 71 Abs. 1 SGG. Hierzu zählt u. a. eine Person, die nicht geschäftsfähig i. S. v. § 104 BGB ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr. 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (ausführlich hierzu u. a. BSG, Urt. v. 28.8.2018 – B 8 SO 13/18 B (Rn. 4) – juris m. w. N.). Ausweislich des Gutachtens des Prof. S., dem das Gericht folgt, ist der Kläger geschäftsunfähig. Wenngleich der Gutachter den Kläger nicht persönlich untersuchen konnte, da dieser nicht zur Begutachtung erschienen ist, hat er aber nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass sich aus den Akten ergebe, dass der Kläger an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20.0) leidet. Die zahlreichen Schreiben des Klägers würden sich dadurch auszeichnen, dass sie inhaltlich unzusammenhängend sind, keine nachvollziehbaren Gedankengänge verfolgen lassen und dass Behauptungen aufgestellt und Entschädigungsforderungen formuliert werden, denen ein Realitätsbezug fehlt. Relativ häufig fänden sich dabei Wortneubildungen, wie bspw. "Hacktivismus", die der deutschen Sprache nicht bekannt sind. Auch die Syntax der zum Teil langen Sätze sei häufig gestört und nur schwer nachvollziehbar. Außer mangelndem Realitätsbezug lasse sich inhaltlich feststellen, dass der Kläger sich wohl in sehr abstrakter Weise vom Staat oder ähnlichen Instanzen gefoltert fühlt, ohne dabei jemals Sachverhalte zu präzisieren. Das Gutachten schließt mit der Schlussfolgerung, dass der Kläger geschäftsunfähig sei. Die Erkrankung durchdringe das gesamte Willensgefüge und die Urteilsfähigkeit, was sich gerade an dem vorliegend betriebenen Verfahren zeige. Insofern kann hier unter Berücksichtigung des Gutachtens sowie der schriftlichen Vortragsweise und der mündlichen Äußerungen des Klägers im Rahmen der Anhörung davon ausgegangen werden, dass er sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger in einer psychiatrischen Behandlung befindet, die ihm aus seinem krankhaften Zustand in die Realität zurückführen und weswegen von nur einem vorübergehenden Zustand ausgegangen werden könnte, liegen dem Gericht nicht vor. Da der Kläger somit nicht geschäftsfähig i. S. v. § 104 BGB ist, kann hier das Vorliegen einer Prozessunfähigkeit i. S. v. § 71 SGG festgestellt werden.

Vorliegend kann auch nicht von der Bestellung eines besonderen Vertreters abgesehen werden, da kein offensichtlich haltloses Klagebegehren vorliegt (ausführlich hierzu: BSG, Urt. v. 28.8.2018 – B 8 SO 13/18 B (Rn. 4) – juris; jurisPK-SGG/Roller, § 72 Rn. 23 f. – jeweils m. w. N.). Insbesondere lässt sich hier ein Streitgegenstand erkennen. Der Kläger hat der Klage den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums S. – Landesversorgungsamt – vom xx.x.xxxx, mit dem der von ihm eingelegte Widerspruch gegen den Bescheid des Landratsamts K. – Amt für Gesundheit und Versorgung vom xx.x.xxxx zurückgewiesen wurde, beigefügt und mitgeteilt, dass er "( )gemäß Bescheid Klage erheben ( )" will.

Nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens, erscheint es sachgerecht Frau Rechtsanwältin H.-K. als besondere Vertreterin zu bestellen, da sie ausweislich ihres Titels – Fachanwältin für Sozialrecht – und nach gerichtlicher Kenntnis in sozialgerichtlichen Verfahren erhebliche Erfahrung aufweist. Die Bestellung entspricht daher dem erkennbaren Interesse des nicht prozessfähigen Klägers. Frau Rechtsanwältin H.-K. hat sich auch zur Bestellung als besondere Vertreterin am xx.x.xxxx positiv bereit erklärt. Für das Verwaltungsverfahren regelt § 15 Abs. 4 SGB X, dass bei einer Bestellung eines Vertreters § 1898 BGB entsprechend gilt. Aus § 1898 Abs. 2 BGB folgt, dass der Ausgewählte erst dann zum Betreuer bestellt werden darf, wenn er sich zur Übernahme der Betreuung bereit erklärt hat. Ein Schriftformerfordernis ist dem Wortlaut der Norm dabei nicht zu entnehmen. Aufgrund der vergleichbaren Ausgangslage, ist auch für die Bestellung des besonderen Vertreters nach § 71 SGG zu fordern, dass eine Bereitschaftserklärung vorliegt, die – wie hier – auch fernmündliche abgegeben werden kann (siehe in Bezug auf § 1898 BGB jedoch ohne nähere Begründung, BeckOGK/Schmidt-Recla, Stand: 1.7.2019, § 1898 BGB Rn. 16 m. w. N.; a.A.: jurisPK-SGG/Roller, § 72 Rn. 31, nach dessen Ansicht eine schriftliche Einverständniserklärung vorliegen muss).

Der Kläger steht hier im SGB II-Bezug, sodass er wirtschaftlich nicht dazu in der Lage ist, die Kosten der besonderen Vertretung aufzubringen, sodass analog §§ 114, 121 ZPO die Kosten des bestellten besonderen Vertreters von der Staatskasse zu übernehmen sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.2.2009 – L 20 B 167/08 SO; SG Magdeburg, Beschl. v. 17.5.2010 – S 11 AS 610/09 ER (Rn. 67) – jeweils zitiert nach juris).
Rechtskraft
Aus
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