S 24 AL 510/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AL 510/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2018 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 14.07.2018 bis 30.09.2018 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 14.07.2018 bis 30.09.2018.

Die im Jahre 1994 geborene Klägerin absolvierte vom 24.08.2015 bis 13.07.2018 eine praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin bei dem Katholischen Kirchengemeindeverband H. Sie verdiente im Juni und Juli 2017 914,63 EUR, danach 967,03 EUR. Die Beiträge zur Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung wurden entrichtet. Daneben besuchte die Klägerin die Fachschule für Sozialpädagogik, ein Berufskolleg, in T.

Am 23.05.2018 beantragte die Klägerin mit Wirkung zum 14.07.2018 Arbeitslosengeld. Sie stellte sich dem Arbeitsmarkt 25 Stunden wöchentlich zur Verfügung.

Mit Bescheid vom 19.06.2018 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Sie habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da sie in den letzten zwei Jahren vor dem 14.07.2018 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei und damit die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Mit ihrem gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch verwies die Klägerin darauf, dass sie in den letzten drei Jahren versicherungspflichtig in einem Kindergarten beschäftigt gewesen sei und auch Arbeitslosenversicherungsbeiträge gezahlt habe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2018 zurückgewiesen. Die Beklagte verwies darauf, dass in der praxisintegrierten (einphasigen) Ausbildung ein regelmäßiger Wechsel von fachtheoretischer schulischer Ausbildung und fachpraktischer Ausbildung in Praxiseinrichtungen über die gesamte Ausbildungsdauer mit überwiegendem fachtheoretischem Ausbildungsanteil stattfinde. Ein betriebliches Praktikum, das während einer nicht betrieblichen Ausbildung absolviert werde, sei grundsätzlich als Beschäftigung anzusehen. Ein betriebliches Praktikum stelle dagegen ausnahmsweise dann keine Beschäftigung dar, wenn es aufgrund landesrechtlicher Vorschriften in die Schulausbildung eingegliedert und deshalb als Teil der schulischen Ausbildung anzusehen sei. In der einphasigen praxisintegrierten Ausbildung zum Erzieher erfülle diese als schulische Ausbildung mit integrierten berufspraktischen Ausbildungsabschnitten nicht den Tatbestand einer Beschäftigung. Die berufspraktische Ausbildung stelle sich in diesen Fällen im Wesentlichen als nichtbetrieblich dar, weil sie derart eng mit der durch die Fachschule geregelten fachtheoretischen Ausbildung verzahnt sei, dass sie als integraler Bestandteil des Besuchs der Fachschule zu werten und damit nicht versicherungspflichtig sei.

Am 08.08.2018 hat die Klägerin Klage erhoben und vorgetragen wird, die praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin zeichne sich durch regelmäßige Wechsel von fachtheoretischer Ausbildung an der Fachschule und fachpraktischer Ausbildung in Praxiseinrichtungen über die gesamte Ausbildungsdauer mit einer einheitlichen Abschlussprüfung nach drei Jahren aus. Das Bundessozialgericht habe schon hinsichtlich der Absolventen der einstufigen Juristenausbildung, die im Rahmen dieser Ausbildung zu absolvierenden Rechtspraktika als Beschäftigung zur Berufsausbildung im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB IV angesehen und die Versicherungspflicht angenommen. Das BSG habe diesbezüglich darauf abgestellt, dass die in der einstufigen Juristenausbildung zur absolvierenden Rechtspraktika nicht Bestandteil des Studiums gewesen seien. Bei der praxisorientierten Ausbildung zur Erzieherin stehe eindeutig der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen im Sinne des Berufsbildungsgesetzes im Vordergrund. Es handele sich um eine anerkannte Ausbildung zur Erzieherin, die der klassischen zweiphasigen Ausbildung gleichstehe. Im April 2018 hätten sich Arbeitgeber des Bundes und der Kommunen mit den Gewerkschaften auf einen Tarifabschluss für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst geeinigt. In den Geltungsbereich seien nun auch die Erzieher in praxisintegrierten Ausbildungsgängen einbezogen. Zwar habe das Institut der pädagogischen Diagnostik die Ausbildung in der Einrichtung überwacht, und zwar in Form von regelmäßigen Treffen zwischen der fachlichen Anleitung der Kindertagesstätte und der Praxisdozentin seitens der Schule, bei denen der Stand der beruflichen Entwicklung und die Aufgaben der Klägerin unter Aufsicht der genannten Personen bewertet worden seien. Die Klägerin sei für den Kindergarten 24 Stunden wöchentlich tätig gewesen und sei gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV vollumfänglich in den Betrieb des Kindergartens integriert gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2018 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 14.07.2018 bis 30.09.2018 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Es sei zwischen der klassischen zweiphasigen Ausbildung und der praxisintegrierten einphasigen Ausbildung zur Erzieherin zu differenzieren. Verwiesen wird auf die Arbeitshilfe der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 21.11.2013 zur versicherungsrechtlichen Beurteilung der Praktika von Erzieherinnen und Erziehern.

Frau Dr. K und Frau C sind als Zeuginnen vernommen worden. Wegen des Inhalts ihrer Aussagen wird auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung vom 17.12.2019 Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 19.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2018 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, die Beklagte hat zu Unrecht die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen Nichterfüllens der Anwartschaftszeit abgelehnt.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 137 Abs. 1 SGB III). Nach § 142 SGB III hat der die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist von zwei Jahren mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Klägerin hat in der bis zum 13.07.2018 laufenden Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.

Nach § 25 Abs. 1 SGB III sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige Beschäftigung) sind. Auszubildende, die im Rahmen eines Berufsausbildungsvertrages nach dem Berufsbildungsgesetz in einer außerbetrieblichen Einrichtung ausgebildet werden, und Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dualen Studiengängen stehen den Beschäftigten zur Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 gleich. Mit Wirkung ab dem 01.07.2020 ist § 25 Abs. 1 SGB III in der Weise geändert worden, dass Teilnehmer an Ausbildungen mit Abschnitten des schulischen Unterrichts und der praktischen Ausbildung, für die ein Ausbildungsvertrag und Anspruch auf Ausbildungsvergütung besteht (praxisintegrierte Ausbildungen) Beschäftigten zur Berufsausbildung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III gleichstehen. Damit hat der Gesetzgeber für die Zeit ab 01.07.2020 klargestellt, dass Absolventen von praxisintegrierten Ausbildungen versicherungspflichtig sind, wenn wie im Falle der Klägerin, ein Ausbildungsvertrag geschlossen wurde und eine Ausbildungsvergütung gezahlt wurde.

Die Klägerin war schon nach den zuvor bestehenden Regelungen in der vom 24.08.2015 bis 13.07.2018 absolvierten Ausbildung versicherungspflichtig beschäftigt. Zwar erfolgte die Begleitung und die Kontrolle der Ausbildung durch die Schule. Die Schule hat und hatte die Verantwortung, dass die vorgegebenen Lehrinhalte berücksichtigt wurden. Eine derartige Abstimmung und Kontrolle findet jedoch auch während des Praktikums statt, wenn ein zweijähriger Schulbesuch und ein einjähriges Praktikum erfolgt. Bei der Erzieherinnenausbildung in jeder Form hat die Schule die Ausbildungshoheit und -pflicht, wie die Zeugin Dr. K anschaulich erläuterte.

Es ist seitens der Beklagten anerkannt, dass die Absolventen der nicht praxisintegrierten Ausbildung während des einjährigen Praktikums versicherungspflichtig sind, da es als abtrennbarer Teil der Gesamtausbildung anzusehen sei. Dementsprechend ist das Praktikum nach der Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung und der Bundesagentur vom 23.11.2016 als eine Beschäftigung im Rahmen der betrieblichen Berufsausbildung im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB IV anzusehen.

Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist eine Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Derartige Merkmale waren bei der Tätigkeit der Klägerin beim Katholischen Kirchengemeindeverband gegeben. Die Klägerin war dort 24 Stunden in der Woche tätig. Nach der Aussage der Zeugin C war die Klägerin an einen Dienstplan gebunden, die Arbeitszeitverteilung wurde durch den Arbeitgeber vorgegeben, nachdem erstmalig die Arbeitszeiten abgesprochen wurden. Die Klägerin hatte wie jede angestellte Kindergärtnerin eine feste Aufgabe. Sie war in ein Team integriert und konnte ihre Arbeitszeit und Aufgaben nicht frei wählen. Bei Krankheit musste sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, morgens anrufen, wenn sie krank war. Urlaube mussten abgesprochen werden. Arbeitsort,- Zeit und Art der Arbeit wurden vom Arbeitgeber vorgegeben.

Nach Aussage der Zeugin erfolgte der Einsatz genau wie bei Berufspraktikanten. Auch bei diesen gebe die Schule einen Schulungsplan vor. Die Eingliederung in den Betrieb sei bei Praktikanten wie der Klägerin stärker als bei Berufspraktikanten. Die Klägerin hatte einen Fachpraktikumsvertrag, in dem Kündigungsfristen, Regelungen bezüglich des Urlaubs und Entgeltregelungen enthalten waren. Der Kirchenverband selber hat die Klägerin als versicherungspflichtig eingestuft, sah sie also wie jeden anderen Arbeitnehmer.

Angesichts all dieser Umstände sieht die Kammer die Tätigkeit der Klägerin als versicherungspflichtig an, dass Ergebnis der Besprechung der Spitzenverbände entsprach insoweit nicht den tatsächlichen Gegebenheiten der praxisintegrierten Erzieherausbildung, die sich im Laufe der Zeit geändert hatte. Dem hat der Gesetzgeber seit dem 01.07.2020, wie bereits ausgeführt, durch eine Klarstellung Rechnung getragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved