S 11 KR 40/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 11 KR 40/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 687/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten in Höhe von rund 35.600,00 EUR für selbstbeschaffte intravenös applizierte Immunglobuline sowie die künftige Übernahme der Kosten für diese Behandlung. Der 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. 1994 wurde er wegen eines Seminoms im Wege einer Semikastration und anschließender Bestrahlung therapiert. Im Verlauf des Jahres 2009 machten sich bei dem Kläger zunehmende multimodale Sensibilitätsstörungen der unteren Extremitäten bemerkbar, die sich im Verlauf der folgenden Jahre verstärkten. Die Taubheitsgefühle begannen schleichend im Bereich der rechten Fußsohle und reichten 2014 bis zur Leiste. Es bestanden Missempfindungen im Sinne eines Spannungs- und Druckgefühls sowie Kribbelparästhesien. Ende des Jahres 2013 bemerkte der Kläger erste Anzeichen der Symptomatik auch im Bereich der linken Fußsohle. Insgesamt breiteten sich die Beschwerden in der Folgezeit so weit aus, dass der Kläger im Alltags- und Berufsleben erheblich eingeschränkt war. Er entwickelte eine ausgeprägte Gangstörung und war auf eine Schiene am rechten Sprunggelenk angewiesen, um nicht umzuknicken. Aufgrund des Krankheitsbildes bestand zeitweise Arbeitsunfähigkeit. Im weiteren Verlauf trat eine Blasenstörung hinzu. Zur Abklärung der progredienten Sensibilitätsstörung unterzog sich der Kläger im März 2014 einer stationären Behandlung im Universitätsklinikum Würzburg - Neurologische Klinik und Poliklinik (im Folgenden Klinikum Würzburg genannt).

Die dort veranlasste laborchemische Untersuchung ergab Hinweise auf einen autoimmunentzündlichen Prozess, nicht aber auf eine Sarkoidose, Kupferstoffwechselerkrankung, einen Vitaminmangel oder eine Paraporteinämie. Liquordiagnostisch zeigte sich eine leichte Schrankenfunktionsstörung mit erhöhtem Gesamteiweiß. Bildgebende Untersuchungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und im Bereich des Plexus lumbosacralis blieben ohne Befund. Hautbiopsien des rechten Oberschenkels und Zeigefingers zeigten eine generalisierte Reduktion der Hautinnervation ohne Hinweis auf eine wesentliche Entzündung. Die Gesamtschau der Befunde ergab im Bericht vom 22.04.2014 das Krankheitsbild einer Ganglionitis unklarer Genese. Zum Ausschluss des Sjögren-Syndroms wurden ein Schirmer-Test und eine Biopsie der Unterlippe empfohlen; die Untersuchungen hierzu blieben ergebnislos. Die zur Behandlung der Erkrankung durchgeführte Steroidpulstherapie blieb erfolglos, der Kläger entwickelte hierunter zudem Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, eine Tachykardie sowie eine Minderung des Allgemeinzustands. Aufgrund des Krankheits- und Behandlungsverlaufs sah das Klinikum Würzburg die Behandlung mittels Immunglobulinen indiziert - bei einer initialen Dosis von 2g/kg Körpergewicht. Ab dem zweiten Zyklus sollte dann 1g/kg Körpergewicht verabreicht werden. Es war ein Behandlungsintervall von drei bis vier Wochen mit einer Verlaufskontrolle nach sechs Monaten beabsichtigt. Als Diagnose war "DD Ganglionitis" angegeben (vorläufiger Arztbrief vom 29.09.2014, Bl. 3 ff. der Verwaltungsakte). Am 29.09.2014 beantragte der Kläger per E-Mail die Übernahme der Kosten für diese Therapie und legte im Verlauf des Verwaltungsverfahrens weitere Befundberichte des Klinikums Würzburg sowie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) vor, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Zur Beurteilung des medizinischen Sachverhalts erbat die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Hessen. Über die Einschaltung des MDK unterrichtete die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 02.10.2014. In der Stellungnahme vom 09.10.2014 teilte der MDK mit, dass intravenös applizierbare Immunglobulin (IVIG)-Präparate zur Behandlung bei "V.a. eine Ganglionitis" nicht zugelassen seien. Es stünden aber Präparate zur Verfügung, die beispielsweise zur Behandlung einer chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) eingesetzt würden. Es läge weder eine regelmäßig tödliche Erkrankung noch eine wertungsmäßig gleichgestellte Krankheit vor. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use seien nicht erfüllt. Im Ergebnis könne die beantragte Übernahme der Kosten nicht befürwortet werden. Am 14.10.2014 informierte die Beklagte den Kläger zunächst fernmündlich über das Ergebnis der MDK-Beurteilung und erklärte, dass eine Kostenübernahmeerklärung nicht abgegeben werden könne.

Am 20.10.2014 erfolgte eine weitere Beurteilung durch den MDK, in der er an der zuvor getroffenen Beurteilung festhielt: Die Voraussetzung, dass bei einem "V.a. eine Ganglionitis" keine andere Therapie verfügbar sei, sei nicht nachvollziehbar vollständig erfüllt. Weiterhin sei der Einsatz von Immunglobulinen bei der Diagnose nicht entsprechend evidenzbasiert zu begründen. Konkrete Behandlungsalternativen könnten in dieser Konstellation nicht aufgezeigt werden.

Mit Bescheid vom 22.10.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers schließlich ab. Zur Begründung bezog sie sich auf die Bewertungen des MDK; die vom Bundessozialgericht für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung außerhalb der zugelassenen Indikationen seien kumulativ nicht erfüllt. Ein Anspruch nach den Grundsätzen einer notstandsähnlichen Situation bestünde ebenfalls nicht. Am 25.10.2014 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein. In einem zur Vorlage an die Beklagte gerichteten Schreiben des Klinikums Würzburg vom 21.10.2014 hieß es, dass von einer Ganglionitis - einer entzündlichen Erkrankung der sensiblen Neurone in den Spinalganglien - ausgegangen werde. Sie gehe mit einer progredienten und schweren Sensibilitätsstörung einher. Von ärztlicher Seite seien die dadurch bedingten Einschränkungen sehr gravierend. Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen habe bei Patienten bislang in wissenschaftlichen Studien nicht nachgewiesen werden können, da es sich um eine sehr seltene Erkrankung handele. Sehr gut bekannt sei aber die sehr gute Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen bei immunvermittelten Neuropathien. Es gäbe zahlreiche wissenschaftliche Berichte in der Literatur, die die erfolgreiche Therapie von Patienten mit Ganglionitiden mittels intravenös applizierter Immunglobuline beschreiben würden. In der Folgezeit legte der Kläger etliche weitere ärztliche Unterlagen vor. Der MDK nahm wiederholt Stellung, und zwar am 03.11.2014, 04.12.2014, 19.12.2014 und schließlich am 06.01.2015. Dabei hielt er an den zuvor getroffenen Feststellungen fest und erklärte, dass fehlende Alternativbehandlungen nach der Rechtsprechung keinen Off-Label-Use rechtfertigen würden.

Noch während des laufenden Widerspruchsverfahrens stellte der Kläger am 15.01.2015 beim Sozialgericht Fulda einen ersten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes. Das Verfahren wurde unter dem Az. S 11 KR 5/15 ER geführt. Mit Beschluss vom 15.05.2015 verpflichtete das Sozialgericht Fulda die Beklagte nach den bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Ermittlungen zur vorläufigen Kostenübernahme für den ersten Behandlungszyklus. Es begründete seine Entscheidung damit, dass nach den bis zum Zeitpunkt der Entscheidung durchgeführten Ermittlungen der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen und ein Abwarten dem Kläger nicht zuzumuten sei. Auf Beschwerde der Antragsgegnerin hin hob das Hessische Landessozialgericht den Beschluss des Sozialgerichts Fulda am 02.06.2015 auf und lehnte den Antrag auf Erlass wegen eines fehlenden Anordnungsanspruches ab (Az. L 8 KR 155/15 B ER). Während des Zeitraums Mai 2015 bis einschließlich März 2016 wurden dem Kläger insgesamt sechs Behandlungszyklen verabreicht; fünf der Zyklen beschaffte sich der Kläger ab Juli 2015 selbst. Die Kosten hierfür beliefen sich auf insgesamt 35.610,99 EUR (Zahlungserinnerung Klinikum Würzburg vom 12.07.2016, Bl. 338 der Gerichtsakte).

Den Widerspruch des Klägers hatte die Beklagte bereits mit Bescheid vom 02.03.2015 zurückgewiesen, Klage war am 09.03.2015 beim Sozialgericht Fulda erhoben worden. Zur Begründung der Klage verweist der Kläger auf den progredienten Krankheitsverlauf und die Schwere der Erkrankung. Der Kläger meint, dass die Voraussetzungen des Off-Label-Use erfüllt seien.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die selbstbeschafften intravenös applizierten Immunglobuline in Höhe von insgesamt 35.610,99 EUR zu erstatten sowie zukünftig die Kosten für eine Immunglobulin-Therapie zu übernehmen, soweit und solange sie ärztlich verordnet wird.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass sich aus der Klageschrift keine neuen Gesichtspunkte ergeben würden, die nicht bereits im einstweiligen Rechtschutzverfahren berücksichtigt und geprüft worden seien. Zur Klärung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht ärztliche Unterlagen angefordert und ein neurologisches Sachverständigengutachten nach körperlicher Untersuchung des Klägers eingeholt, die am 23.11.2015 stattgefunden hat. Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat im Sachverständigengutachten vom Dezember 2015 erklärt, dass der Kläger mit höchster Wahrscheinlichkeit an einer Autoimmun-Ganglionitis leide, welche auch als chronisch-progressive sensorisch-aktaktische Neuropathie (CAPD) bezeichnet würde. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens und seine ergänzende Stellungnahme vom 17.03.2016 wird Bezug genommen.

Am 19.07.2016 hat der Kläger beim Sozialgericht erneut ein einstweiliges Rechtschutzverfahren angestrengt. Diesen Antrag hat das Sozialgericht Fulda mit Beschluss vom 08.09.2016 abgelehnt und sich zur Begründung der Entscheidung auf die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. bezogen. (Az. S 11 KR 176/16 ER); die Beschwerde hiergegen hat das Hessische Landessozialgericht mit Beschluss vom 13.10.2016 zurückgewiesen (Az. L 8 KR 439/16 B ER).

Im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens sind von Klägerseite zahlreiche weitere Befundberichte des Universitätsklinikums Würzburg zum Krankheits- und Behandlungsverlauf vorgelegt worden. Nachdem sich der Gesundheitszustand infolge der verabreichten Zyklen zunächst stabilisiert und erheblich verbessert hatte, ist es im Herbst 2016 nach einer Therapiepause zu einer Verschlechterung der Gehfähigkeit gekommen, so dass der Kläger im Oktober 2016 im Klinikum Würzburg stationär behandelt worden ist. Die bei dieser stationären Behandlung durchgeführten Untersuchungen haben eine entzündliche Hinterstrang/Hinterwurzelaffektion ergeben. Seit Herbst 2016 ist die streitgegenständliche Behandlung im stationären Setting im Klinikum Würzburg durchgeführt worden.

In einer aktuellen Stellungnahme (30.06.2018) hat Prof. Dr. C. erklärt, dass die Strukturen im Bereich des Spinalganglions und der Hinterwurzel funktionell so eng zusammen hängen würden, dass eine Trennung oder gar eine neu zu benennende Krankheit nicht zur Diskussion stehen könne. Die diskutierte Hinterstrangschädigung sei eine Folge der Schädigung des Spinalganglions und der Hinterwurzel (S. 3 der Stellungnahme, Bl. 376 der Gerichtsakte).

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens angehört sowie Arzt Prof. Dr. D. (Klinikum Würzburg), der den Kläger seit Oktober 2016 behandelt, als sachverständigen Zeugen vernommen. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift einschließlich des von Klägerseite überlassenen Datenträgers mit Filmsequenzen betreffend die Gehfähigkeit des Klägers im Herbst 2016, die sich das Gericht und die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung angesehen haben, sowie den weiteren Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte und der Akten zu den Verfahren S 11 KR 5/15 ER (L 8 KR 155/15 B ER) und S 11 KR 176/16 ER (L 8 KR 439/16 B ER), die das Gericht herbeigezogen hat, wird umfassend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich im Hinblick auf den Antrag, die Beklagte (auch) zur Übernahme der Kosten für künftige Behandlungen zu verurteilen, um eine Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handelt, nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 14.05.2018 noch erklärt hat, dass die ihm entstandenen Kosten für die Behandlung mit der Klage verfolgt würden. Sie wäre jedenfalls deswegen zulässig, weil die Beklagte eingewilligt hat. Sie hat sich auf die abgeänderte Klage eingelassen, ohne zu widersprechen (§ 99 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Erstattung der bereits entstandenen Kosten für die Therapie mittels Immunglobulinen noch auf die zukünftige Übernahme der Kosten für diese Behandlung.

Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten beziehungsweise Versorgung zu Lasten der Beklagten gemäß § 13 Abs. 3a S. 6 f. Sozialgesetzbuch (SGB) V aufgrund einer so genannten Genehmigungsfiktion scheitert an einem fehlenden Fristversäumnis. Gemäß § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistung zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wird die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme für erforderlich gehalten, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a S. 2 SGB V). Der Kläger hat am 29.09.2014 den Antrag auf Bewilligung der streitgegenständlichen Behandlung(en) gestellt (Bl. 7 der Verwaltungsakte). Da die Beklagte den Kläger schon am 02.10.2014 über die Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme unterrichtet hat (Bl. 20 der Verwaltungsakte), ist im vorliegenden Verfahren die Fünfwochenfrist maßgeblich.

Diese Frist hat am Montag, 03.11.2014, geendet (Fristbeginn Dienstag, 30.09.2014), so dass die Entscheidung der Beklagten vom 22.10.2014 selbst unter Einbeziehung der Regelung zur Bekanntgabefiktion von schriftlichen Verwaltungsakten nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X rechtzeitig gewesen ist.

Der Kläger kann Kostenerstattung und Versorgung im Wege der Naturalleistung auch nicht aus anderen Gründen beanspruchen.

Soweit der Kläger Kostenerstattung geltend macht, kommen ausschließlich die Kostenerstattungsansprüche des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V in Betracht. Danach besteht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten dann, wenn die Krankenkasse entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt. 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt. 2) und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Im vorliegenden Verfahren ist ausschließlich § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB V einschlägig, weil sich der Kläger die Leistungen erst ab Juli 2015 und damit nach der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 22.10.2014 auf eigene Kosten beschafft hat. Damit liegt zwar der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Ablehnung einerseits und Selbstbeschaffung andererseits vor; allerdings hat die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Grundvoraussetzung ist nämlich auch im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens ein Primäranspruch in Form eines Sach- oder Dienstleistungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse, an dessen Stelle nunmehr der Kostenerstattungsanspruch getreten ist. Sie beruht darauf, dass der Kostenerstattungsanspruch die Grenzen des Leistungssystems nicht erweitert, sondern einen entsprechenden Leistungsanspruch voraussetzt. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern der Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (Kasseler-Kommentar-Schifferdecker, SGB V, 100. EL 2018, § 13, Rn. 64).

Im vorliegenden Verfahren ist das der Zeitraum Juli 2015 bis März 2016. Der Kläger hat während dieses Zeitraums aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Primäranspruch gegen die Beklagte auf eine Therapie mittels Immunglobulinen gehabt und kann die Leistung auch künftig nicht zu Lasten der Beklagten beanspruchen. Das steht aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fest.

Gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zur Krankenbehandlung gehört auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V). Daraus folgt aber kein unbedingter Versorgungsanspruch des Klägers. Denn nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich nur Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind. Verordnungsfähigkeit wiederum ist gegeben, wenn das Arzneimittel über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet verfügt in dem es angewendet werden soll. Damit besteht grundsätzlich eine Bindung an die Anwendungsgebiete der arzneimittelrechtlichen Zulassung (Kasseler-Kommentar-Nolte, SGB V, 100. EL Juni 2018, § 31, Rn. 18).

Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Nach den glaubhaften Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. C. sind Immunglobuline ausschließlich für schwere primäre und sekundäre Immun-Mangelkrankheiten, die idiopathische thrombozytopenische Purpura mit hohen Blutungsrisika, das Guillain-Barré-Syndrom und das Kawasaki-Syndrom bei allogener Knochenmarkstransplantation zugelassen. Daneben besteht eine Zulassung für die Behandlung der chronisch-inflammatorischen demyelisierenden Polyneuropathie (CIPD) (S. 43 des Gutachtens, Bl. 159 der Gerichtsakte). Ob es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine Ganglionitis handelt oder um eine entzündliche Hinterstrang/Hinterwurzelaffektion kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Fest steht jedenfalls, dass Immunglobuline zur Behandlung des bei dem Kläger bestehenden Krankheitsbildes zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung(en) nicht zugelassen gewesen sind und sie zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht über die erforderliche Zulassung für diese Indikation verfügen. Dieser Umstand ist letztendlich zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Fehlt es wie im vorliegenden Verfahren an der für die Verordnungsfähigkeit erforderlichen Zulassung, ist eine indikationsfremde Verwendung von Arzneimitteln zwar möglich, aber nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (Entscheidung des BSG vom 30.09.1999, Az. B 8 KN 9/98 KR R, Rn. 79, zitiert nach juris).

Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn entweder die Voraussetzungen des Off-Label-Use erfüllt sind (1.), ein so genannter Seltenheitsfall gegeben ist (2.) oder die von dem Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 06.12.2005 (Az. 1 BvR 347/98) formulierten Bedingungen vorliegen, dessen Geltungsumfang nunmehr in § 2 Abs. 1a SGB V klargestellt ist (so jurisPK-Plagemann, SGB V, Stand: 01.01.2016, § 2, Rn. 53) (3.).

1.
Die Voraussetzungen des Off-Label-Use liegen nicht vor. Eine Beschaffungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung kommt danach nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, für die keine andere Therapie verfügbar ist, und darüber hinaus aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (Urteil des BSG vom 03.07.2012, Az. B 1 KR 25/11 R, Rn. 15, zitiert nach juris). Eine aufgrund der Datenlage begründete Erfolgsaussicht kann nur dann angenommen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Davon wiederum ist nur auszugehen, wenn entweder Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht sind und sie einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Urteil des BSG vom 30.06.2009, Az. B 1 KR 5/09 R, Rn. 31 ff., zitiert nach juris).

Eine entsprechende Datenlage kann im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt werden. Prof. Dr. C. hat in seinem Sachverständigengutachten hierzu ausgeführt:

"Aufgrund der Datenlage - nämlich Einzelfallberichte - gibt es deutliche Hinweise dafür, dass eine Therapie mit Immunglobulinen insofern wirksam ist, als dass die Progredienz des Leidens gestoppt werden kann (Taguchi et al. 2004, Takahashi et al. 2003, Rogers et al. 2004 und Kizawa et al. 2006). In dem Standardwerk zur peripheren Neurologie von Dick & Thomas wird diese Therapie bei der Ganglionitis ebenfalls als optional angegeben (Smith BE et al. 2005) [ ]

Es gibt aufgrund der Seltenheit der Erkrankung keine kontrollierten Studien, schon gar keine randomisierten verblindeten Studien mit hohem Evidenzniveau [ ]"
(S. 41, 45 des Gutachtens, Bl. 157, 161 der Gerichtsakte)

Die Datenlage ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unverändert. Das hat der Sachverständige deutlich gemacht:

"Im Hinblick auf die Studien wird man in den nächsten Jahren nicht davon ausgehen können, dass bezüglich der Erkrankung, die der Kläger hat, Phase II- oder gar Phase III-Studien durchgeführt werden können [ ]"
(Bl. 402 der Gerichtsakte)

Fehlen entsprechende Forschungsergebnisse oder Erkenntnisse zur Qualität des begehrten Arzneimittels für die relevante Indikation, kann die gesetzliche Krankenversicherung, das heißt im vorliegenden Verfahren die Beklagte, nicht im Wege des Off-Label-Use verpflichtet werden. Das gilt selbst dann, wenn wie hier die Leistung offensichtlich wirksam und zudem alternativlos ist. Die Beurteilungen des MDK sind danach nicht zu beanstanden, sondern rechtlich zutreffend.

2.
Trotz der geringen Datenlage hat der Kläger gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Erstattung und künftige Übernahme der Kosten nach den Grundsätzen eines Seltenheitsfalles. Bedingung hierfür ist, dass das Mittel der Behandlung einer einzigartigen Krankheit in einer außergewöhnlichen medizinischen Situation dient. Das festgestellte Krankheitsbild muss gewissermaßen aufgrund seiner Einzigartigkeit medizinisch nicht erforschbar sein (Ureil des BSG vom 03.07.2012, a.a.O., Rn. 19, zitiert nach juris). Das Krankheitsbild ist aber nicht singular im vorgenannten Sinne, und zwar ungeachtet dessen, ob es sich deskriptiv um eine Ganglionitis oder um eine so genannte Hinterwurzel-/Hinterstrangaffektion handelt, die erstmals im Befundbericht des Klinikums Würzburg vom Herbst 2016 nach einer liquordiagnostischen Untersuchung beschrieben worden ist (Bl. 273 der Gerichtsakte). Prof. Dr. C. hat in seiner Stellungnahme vom 30.06.2018 deutlich gemacht, dass sich bis auf eine Verschlechterung des Schädigungsbereiches keine Veränderung eingestellt habe. Beide Strukturen würden funktionell so eng zusammenhängen, dass eine Trennung oder gar eine neu zu benennende Krankheit gar nicht zur Diskussion stehen könne. Die diskutierte Hinterstrangschädigung sei eine Folge der vorangegangenen Schädigung (S. 3 der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 376 der Gerichtsakte). Seine Angaben stimmen vollumfänglich überein mit den Angaben des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. D., der in einer an den Kläger gerichteten E-Mail im Januar 2017 davon berichtet, dass der genaue Läsionsort für die Ausfallerscheinungen unerheblich sei (Bl. 285 der Gerichtsakte).

Die von ihm in der mündlichen Verhandlung als "Exotensyndrom" bezeichnete Erkrankung (Bl. 403 der Gerichtsakte) begründet per se keinen so genannten Seltenheitsfall, auch wenn die von Prof. Dr. C. geschätzten Inzidenzzahlen weit unter 1: 1.000.000 liegen (S. 46 des Gutachtens, Bl. 162 der Gerichtsakte). Allein auf die Häufigkeit einer Erkrankung abzustellen, ist für die Seltenheitsfälle aber ausgeschlossen (Urteil des BSG vom 03.07.2012, Az. B 1 KR 25/11 Rn. 20, zitiert nach juris). Erforderlich ist vielmehr, dass generelle wissenschaftliche Aussagen zur Therapie der Krankheit gerade infolge der geringen Zahlen wirklich so gut wie ausgeschlossen sind (Urteil des BSG vom 19.10.2004, Az. B 1 KR 27/02 R, Rn. 31, zitiert nach juris). Das ist bei geringen Zahlen schon dann nicht mehr der Fall, wenn eine wissenschaftliche Erforschung aufgrund der Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen möglich ist und gilt erst recht, wenn trotz des seltenen Auftretens der Krankheit die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind und deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann (Urteil des BSG vom 03.07.2012, Az. B 1 KR 25/11, Rn. 19 f., zitiert nach juris).

Von diesem Verständnis ausgehend, handelt es sich bei der Erkrankung des Klägers nicht um einen Seltenheitsfall. Prof. Dr. C. hat im Gutachten ausführlich beschrieben, dass sowohl die chronisch inflammatorische demyelisierende Polyneuropathie (CIPD) als auch das Guillan-Barré-Syndrom (GBS) häufiger auftreten und sie mit dem Krankheitsbild des Klägers wegen des ähnlichen Pathomechanismus vergleichbar seien (S. 46 des Gutachtens, Bl. 162 der Gerichtsakte). Auf die Ähnlichkeit beziehungsweise Vergleichbarkeit zwischen CIPD und dem Krankheitsbild des Klägers hat er außerdem auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.03.2016 hingewiesen:

"Die Ganglionitis ist ihrer Pathogenese und ihrer Lokalisation nach sehr wohl vergleichbar mit der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP). Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass bei der CIDP vorzugsweise die Vorderwurzeln, also die motorischen Anteile der spinalen Nerven und bei der Ganglionitis die Hinterwurzeln betroffen sind [ ]"
(S. 9 f. der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 216 f. der Gerichtsakte)

Seine Einschätzung deckt sich mit den Angaben der behandelnden Ärzte des Klinikums Würzburg, die mit Schreiben vom 21.10.2014 erklärt haben, dass die sehr gute Wirkung von intravenösen Immunglobulinen bei immunvermittelten Neuropathien bekannt sei (Bl. 45 der Verwaltungsakte).

In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige seine Ausführungen zwar dahingehend modifiziert, dass eine Übertragung bekannter Krankheitsbilder auf die bestehende Erkrankung wegen der unterschiedlichen gestörten Funktionen nicht ohne weiteres möglich sei; damit wird aber nicht die wissenschaftliche Klärungsfähigkeit des bei dem Kläger bestehenden Krankheitsbildes insgesamt in Frage gestellt, zumal Prof. Dr. C. in seiner Stellungnahme vom 17.03.2016 deutlich gemacht hat, dass die Krankheit hinsichtlich der histopathologischen und immunhistologischen Grundlagen erforscht und die autoptischen Befunde beschrieben und veröffentlicht worden seien (S. 5 der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 212 der Gerichtsakte). Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung zur Übertragbarkeit beziehen sich hier (nur) auf die Messbarkeit von sensiblen Störungen (im Vergleich zu motorischen Störungen) und die grundsätzliche Problematik, Therapieeffekte in diesem Bereich überhaupt objektivieren zu können, für die man dann eine sehr große Klientel braucht, die bei dem Krankheitsbild des Klägers aber eben nicht zur Verfügung steht:

"Aus diesem Grund kann man auch nicht Allgemeintherapien für alle Autoimmunerkrankungen durchführen. Die Messbarkeit der Effekte ist unterschiedlich. Bei der CIPD sind es motorische Störungen, bei der CAPD sind es sensible. Motorische lassen sich viel besser darstellen. Therapieeffekte sind besser zu objektivieren. Ist die Messbarkeit schwierig so wie bei der CAPD, brauchen Sie für eine Studie eine sehr große Klientel an Patienten, um die statistische Power zu gewährleisten. Man braucht selbst für eine Schlaganfallstudie schon etwa 200 Patienten für jede Studiengruppe."
(Bl. 402 der Gerichtsakte)

3.
Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V sind letztendlich ebenfalls nicht erfüllt. Das gilt sowohl im Hinblick auf den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch als auch in Bezug auf die Übernahme der Kosten für zukünftige Behandlungen. Gemäß § 3 Abs. 1a S. 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Erkrankung, die dem Sachverständigen Prof. Dr. C. zu Folge auch als chronisch-progressive sensorisch-ataktische Neuropathie (CAPD) bezeichnet wird (S. 2 des Gutachtens, Bl. 118 der Gerichtsakte), ist trotz ihrer Progression weder lebensbedrohlich noch regelmäßig tödlich. Lebensbedrohend ist eine Krankheit, wenn der Tod durch diese nach allgemeiner Erkenntnis oder Beurteilung im konkreten Einzelfall innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verursacht wird. Eine Krankheit ist regelmäßig tödlich, wenn durch diese die Todesgefahr nach generellen, statistisch hinreichend gesicherten medizinischen Erfahrungen zwar nicht in allen Fällen, aber annähernd ausnahmslos besteht (Hauck/Noftz-Noftz, SGB V, 07/18, § 2, Rn. 76c). Von diesem restriktiven Maßstab ausgehend, hat weder zum Beschaffungszeitpunkt noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine lebensbedrohliche Situation bestanden. Dr. E. (Klinikum Würzburg) hat auf Anfrage des Gerichts im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens (S 11 KR 5/15 ER (L8 KR 155/15 B ER)) mitgeteilt, dass die Ganglionitis keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung sei (Bl. 109 der Gerichtsakte zum vorgenannten Verfahren). Das hat der Sachverständige Prof. Dr. C. bestätigt, zugleich aber betont, dass die Erkrankung lebensbedrohlich verlaufen könne, wenn nicht nur die Nervenzellen der Spinalganglien, sondern auch zelluläre Strukturen des autonomen Nervensystems mitbetroffen seien (S. 42 f. des Gutachtens, Bl. 158 f. der Gerichtsakte). Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger im Frühjahr 2015 in einer entsprechend akuten Lage befunden hat, ergeben sich aus den Befundberichten nicht. Die ärztlichen Unterlagen des Klinikums Würzburg ab November 2012 bis Mai 2015 dokumentieren zwar eine kontinuierliche Zunahme der Sensibilitätsstörungen (Bl. 5, 12, 14, 18, 45, 125 der Verwaltungsakte, Bl. 108, 160 der Gerichtsakte zum Verfahren S 11 KR 5/15 ER), eine medizinische notstandsähnliche Situation beschreiben sie – trotz der zeitweise hinzugetretenen Blasenstörung – aber nicht. Das gilt auch im Hinblick auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.

Ein Anspruch des Klägers lässt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der wertungsmäßigen vergleichbaren Erkrankung begründen, Für die dogmatische Erfassung dieses Tatbestandsmerkmals orientieren sich Gesetzgeber und Rechtsprechung an der "extremen" beziehungsweise "notstandsähnlichen" Situation der krankheitsbedingten Lebensgefahr, weil der mit der Notstandshandlung verbundene Zeitdruck auch für die zur Lebenserhaltung bestehende akute Behandlungsbedürftigkeit typisch ist (Hauck/Noftz-Noftz, a.a.O., Rn. 76e). Nach der Gesetzesbegründung kann dies der Fall sein, wenn sich der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder einer herausgehobenen Köperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird (BT-Drucks. 17/6906 B, S. 52). Die Erkrankung des Klägers geht einher mit Sensibilitätsstörungen, die sich wiederum auf die Geh- und Stehfähigkeit des Klägers auswirken. Dass es sich bei diesen Fähigkeiten um wesentliche Körperfunktionen handelt, folgt nach Auffassung des Gerichts daraus, dass es sich hierbei um elementare Grundbedürfnisse des täglichen Lebens handelt (jurisPK-Beck/Pitz, SGB V, Stand: 13.08.2018, § 33, Rn. 29). Ein irreversibler Verlust dieser Funktionen ist aber nach den durchgeführten Ermittlungen zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffungen nicht absehbar gewesen. Die ärztlichen Unterlagen dokumentieren zwar eine kontinuierliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, die die Lebensqualität des Klägers in allen Bereichen nachhaltig beeinträchtigt (hat) – es ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für eine zum damaligen Zeitpunkt unmittelbar bevorstehende irreversible Schädigung. Der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Datenträger, auf dem das Gangbild des Klägers im Herbst 2016 festgehalten ist, führt zu keiner anderen Einschätzung. Denn er spiegelt nicht den Status des Klägers zum Zeitpunkt der ersten Intervallbehandlung im Frühjahr 2015 wider.

Einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die künftige Behandlung kann der Kläger aus der vorgenannten Regelung ebenfalls nicht herleiten, obgleich der Sachverständige Prof. Dr. C. in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Funktionsausfälle ohne Therapie fortschreiten wird, und er davon überzeugt ist, dass die Aktivität der Erkrankung nach Unterbrechung der Behandlung [März 2016 bis Oktober 2016] zugenommen hat (Bl. 403 der Gerichtsakte). Eine Verschlechterung der Symptomatik ohne die Behandlung ist aber nicht ausreichend, um unbefristete Leistungen aufgrund einer "notstandsähnlichen" Situation quasi im Wege einer Dauertherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu beanspruchen. Die abstrakte Gefahr einer irreversiblen Funktionseinbuße genügt den Anforderungen an die Ausnahmeregelung nicht. Hierzu bedarf es nach Auffassung des Gerichts einer konkreten (zeitlichen) Prognose zum drohenden (irreversiblen) Funktionsverlust; er muss sich gewissermaßen abzeichnen und damit in greifbare Nähe gerückt sein. Diese strenge Betrachtungsweise ist dem Umstand geschuldet, dass die in § 2 Abs. 1a SGB V genannte Alternative der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit der Spezifizierung der notstandsähnlichen Situation dient, nicht aber der tatbestandlichen Erweiterung. Die "spezifische Funktion" des alternativen Merkmals würde vor dem Hintergrund, dass jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zum Tode führen kann, verlustig gehen (Hauck/Noftz-Hoftz, SGB V, 07/18, § 2, Rn. 76e, mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Eine entsprechende Prognose zum weiteren Krankheitsverlauf ist hier aber gar nicht möglich. Prof. Dr. D. hat in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass der Verlauf der Krankheit individuell gar nicht abgeschätzt werden könne und er nicht wisse, wie es mit der Behandlung bzw. dem Krankheitsverlauf weitergehe (Bl. 403 der Gerichtsakte). Vor diesem Hintergrund besteht kein Anspruch auf die unbefristete Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Immunglobulinen gemäß § 2 Abs. 1a SGB V. Die Entscheidung schließt eine künftige Pflicht der Beklagten, den Kläger bei einem so genannten "Schub" mit akuter Gefährdung der Geh- und Stehfähigkeit mit Immunglobulinen zu versorgen, nicht aus.

Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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