Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 2598/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 117/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Gesamtbelastungsdosis von 1 MNh unterschreitet sowohl den hälftigen Orientierungswert nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell für Frauen von 8,5 MNh als auch den nach den Ergebnissen der "Deutschen Wirbelsäulenstudie-Richtwerteableitung (DWS II)" vorgeschlagenen Schwellenwert von 3 MNh so deutlich, dass das für die BK 2108 erforderliche Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird; medizinischer Ermittlungen zum Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Einwirkungsbelastung und den Bandscheibenerkrankungen bedarf es in diesem Fall nicht.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 03.12.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin als Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.
Die im Jahr 1957 geborene Klägerin war von Februar 1981 bis März 2013 als Arbeiterin in einer Metallfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Seit März 2013 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. Zu ihrer beruflichen Tätigkeit gehörte ausweislich des von der Klägerin am 07.11.2016 ausgefüllten Fragebogens das Stanzen, Elektroschweißen, Montieren und Gewindeschneiden von Metallteilen sowie die Bedienung von Pressmaschinen. Sie gab an, diese Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und Stehen ausgeführt zu haben. Sie habe hierbei von Hand Gegenstände mit einem Gewicht von bis zu 10 kg heben müssen. Diese Gegenstände habe sie nicht über eine größere Entfernung von mehr als 5 m tragen müssen. Sie habe Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (90° oder mehr) verrichten müssen. Ganzkörperschwingungen hätten nicht vorgelegen.
Am 22.09.2016 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten das Vorliegen einer Berufskrankheit geltend. Sie führte aus, an Hüftschmerzen, ausstrahlend bis zur rechten Ferse, mit Taubheitsgefühlen zu leiden. Sie habe einen Bandscheibenvorfall erlitten. Im Jahr 2006 sei eine operative Versorgung mittels einer dorsolateralen Spondylodese L5/S1 erfolgt. Danach habe sie starke Schmerzen gehabt. Im Fragebogen zu Wirbelsäulenerkrankungen gab sie am 07.11.2016 weiter an, die Beschwerden bestünden in allen Wirbelsäulenabschnitten. Sie führe sie auf ihre sehr schwere Arbeitstätigkeit zurück.
Die Beklagte zog verschiedene Behandlungsunterlagen bei.
Aus dem Entlassungsbericht über eine im Jahr 2013 im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ergaben sich folgende Diagnosen: "Chronifiziertes multifokales Schmerzsyndrom mit somatischen und somatoformen Anteilen; belastungsabhängige Rückenschmerzen mit Beineinstrahlung links und Hinweisen für eine sensible Wurzelreizung L5 links; Spondylodese L5/S1 (2006), Anschlussdekompensation LWK4/5 bei NPP, multisegement. deg. LWS-Veränderungen; Angststörung; Fußbelastungsbeschwerden links mit neuropathischer Komponente (DD Tarsaltunnelsyndrom li.)".
Nach dem Bericht des Klinikums K. vom 02.11.2016 litt die Klägerin an einer linksischialgieformen Schmerzsymptomatik mit Hypästhesien und Kribbelparästhesien des linken Fußes. Die Klägerin habe in den letzten Jahren eine zunehmende Rückenschmerzsymptomatik beschrieben. Wegen einer diagnostizierten Anschlussdekompensation L4/5 wurde im Oktober 2016 eine dorsolaterale Spondylodese L4/S1 durchgeführt.
Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. G. ein. Dr. G. gab in seiner Stellungnahme vom 16.12.2016 an, Hinweise für ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BVK) bestünden nicht. Nach Auffassung des Beratungsarztes handele es sich um einen schicksalhaften Verlauf bei einem angeborenen Wirbelgleiten L5/S1 und gleichzeitig bestehender Hyperlordose der Lendenwirbelsäule. Anhaltspunkte für ein vom typischen Lebensalter deutlich abweichendes Krankheitsbild, welches für eine berufliche (Mit-)Verursachung im Sinne einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (Erkrankung der Halswirbelsäule) sprechen könnte, lägen nicht vor.
Durch Bescheid vom 06.02.2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) oder Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule) der Anlage 1 zur BKV ab. Ein für die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV erforderliches belastungskonformes Schadensbild bestehe nicht. Die Klägerin leide im Bewegungssegment L5/S1 unter einem angeborenen Wirbelgleiten. Für die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV fehlten die arbeitstechnischen Voraussetzungen. Nach den Angaben der Klägerin hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass sie während ihres bisherigen Berufslebens regelmäßig schwere Lasten von mindestens 50 kg einseitig auf der Schulter getragen habe.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, ihre Wirbelsäulenerkrankung sei beruflich verursacht. Zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses im Jahr 1981 sei sie gesund gewesen. Beschwerden seien erst im Jahr 1990 aufgetreten. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit habe sie relativ schwere Lasten tragen müssen. Sie habe Metallplatten aus einem Container nehmen, diese in die Stanzmaschine einlegen und nach dem Stanzvorgang in einen anderen Container legen müssen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 28.07.2017 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren, die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit weiterverfolgt. Zur Klagebegründung hat sie unter Vertiefung ihrer Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren vorgebracht, die von ihr zur Bearbeitung aus Gitterboxen herauszunehmenden Metallteile hätten ein Gewicht von 5 bis 6 kg gehabt. Zur Herausnahme der Teile und dem Hineinlegen der Teile nach deren Bearbeitung in eine andere Gitterbox habe sie ihren Rumpf stark beugen müssen. Diese Tätigkeit habe für die Wirbelsäule eine erhebliche Belastung bedeutet. Die Ansicht der Beklagten, dass bei ihr im Segment L5/S1 ein angeborenes Wirbelgleiten vorliege, sei unzutreffend. Denn vor ihrer beruflichen Tätigkeit sei sie völlig beschwerdefrei gewesen. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Wirbelsäulenerkrankung und dem Ausüben der beruflichen Tätigkeit sei nicht ausreichend. Gegen eine berufliche Verursachung spreche im Weiteren das Bestehen von Wirbelsäulenbeschwerden in allen Wirbelsäulenabschnitten.
Das SG hat den behandelnden Orthopäden Dr. W., die behandelnde Internistin Dr. Y. und die behandelnde Neurologin und Psychiaterin Dr. N. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen und im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 14.09.2018 die Klägerin persönlich angehört. Die Klägerin hat in diesem Termin angegeben, im Zeitraum von 1981 bis 2013 durchgängig in der Stanzerei beschäftigt gewesen zu sein. Ihre Aufgabe sei gewesen, Werkstücke mit einem Gewicht von 2 bis 3 kg von rechts aus einer Gitterbox zu nehmen und diese in die Stanzmaschine einzulegen. Danach habe sie die Werkstücke in eine andere Gitterbox gelegt. Eine weitere von ihr ausgeübte Tätigkeit sei die Vornahme von Schweißarbeiten gewesen. Auch hierbei habe sie die Werkstücke aus einer Gitterbox genommen und nach der Bearbeitung in eine andere Gitterbox gelegt. Diese Werkstücke seien mindestens 1 kg, vielleicht auch 2 bis 3 kg schwer gewesen. An die geschweißten Werkstücke habe sie, nachdem diese lackiert worden seien, Gummiteile montiert. Zur Herausnahme der Werkteile aus den Gitterboxen habe sie sich bücken müssen. Pro Arbeitstag habe sie etwa 450 Metallteile bearbeitet. Die Tätigkeit sei von ihr bis zum Beginn der Beschwerden an der Wirbelsäule im Stehen ausgeübt worden. Danach habe sie die Schweißarbeiten halb im Sitzen, die Stanzarbeiten im Sitzen und die Montagearbeiten im Stehen vorgenommen. Die zu bearbeitenden Werkteile habe sie nicht selbst durch die Arbeitshalle tragen müssen. Manchmal habe sie jedoch die Gitterkisten selbst heben müssen, wenn kein Arbeitskollege geholfen habe. Diese Kisten seien dann über 20 kg schwer gewesen. Im Erörterungstermin hat das SG darauf hingewiesen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV wohl nicht vorlägen, da es am langjährigen Heben "schwerer Lasten" im Sinne der gesetzlichen Vorgaben gefehlt haben dürfte. Im Nachgang zum Erörterungstermin hat die Klägerin erklärt, aufgrund der Häufigkeit des Hebens der Metallteile pro Arbeitstag und der hierbei einzunehmenden ungünstigen Körperhaltung sei ihre Erkrankung der Lendenwirbelsäule trotz des geringen Gewichts der Metallteile durch ihre berufliche Tätigkeit verursacht worden.
Durch Gerichtsbescheid vom 03.12.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV lägen nicht vor, weil die Klägerin keine schweren Lasten auf der Schulter getragen habe. Auch die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV seien nicht gegeben, da die Klägerin bei ihrer beruflichen Tätigkeit keine "schweren Lasten" gehoben oder getragen habe. Nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV werde für Frauen für beidhändiges Heben ein Lastengewicht von 10 kg, für einhändiges Heben ein Lastengewicht von 5 kg genannt. Die Klägerin habe im Termin zur Erörterung des Sachverhalts entgegen der Klagebegründung, die als Gewicht der zu bearbeitenden Metallteile 5 bis 6 kg genannt habe, ausgeführt, die Metallteile hätten mindestens 1 kg, vielleicht auch 2 bis 3 kg gewogen. Die Gitterboxen, in denen sich die Metallteile befunden hätten, seien von der Klägerin nur höchst ausnahmsweise bewegt worden. Auch die Voraussetzung einer "Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" sei nicht erfüllt, da hierfür ein regelmäßiges Bücken und Wiederaufrichten nicht ausreichend sei. Es müsse zusätzlich nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur ein zeitliches Moment, eine Haltung in extremer Rumpfbeuge für mindestens 2 bis 3 Minuten, vorliegen.
Gegen den ihr am 10.12.2018 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 09.01.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben.
Zur Berufungsbegründung trägt die Klägerin vor, pro Arbeitstag 450 Metallteile von erheblichem Gewicht aus einer Gitterbox entnommen und wieder in eine Gitterbox gelegt zu haben. Damit habe sie sich im Verlauf eines Arbeitstages 900mal bücken und wieder aufrichten müssen. Das Zusammenspiel von Heben und Tragen schwerer Lasten und die infolge des Bückens ständig ungünstige Körperhaltung in langjähriger Tätigkeit erfüllten die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.
Die Klägerin beantragt wörtlich,
"in Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Karlsruhe vom 03.12.2018 – Aktenzeichen S 15 U 2598/17 wird der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin als Folge einer Berufskrankheit anzuerkennen."
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren Bescheid, ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 seien nicht erfüllt. Im Weiteren seien auch die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht gegeben.
Auf Verfügung des Berichterstatters vom 19.05.2020 hat die Beklagte den Präventionsdienst mit der Ermittlung des Gewichts der von der Klägerin arbeitstäglich zu hebenden Teile beauftragt. Ausweislich des Berichts des Präventionsdienstes vom 03.08.2020 lag das Einzelgewicht der typischen von der Klägerin zu bearbeitenden Werkstücke bei ca. 100g. Schwere Werkstücke wogen 2 kg. Eine gefüllte Gitterbox hat der Präventionsdienst mit einem Gewicht von 25 kg angesetzt. In der angestellten Dosisberechnung nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) ist der Präventionsdienst davon ausgegangen, dass die Klägerin an 50 Schichten im Jahr eine 25 kg schwere Box fünfmal alleine heben musste. Auf dieser Basis hat er eine Gesamtdosis von 1 x 106 Nh (1 MNh) errechnet. Dies entspreche einem prozentualen Anteil von 6 % des Orientierungswertes von 17 x 106 Nh, weshalb der hälftige Orientierungswert von 8,5 x 106 Nh unterschritten sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das SG hat die auf Anerkennung der Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV gerichtete, als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 3 SGG zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV, weshalb der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 rechtmäßig ist.
1. Streitgegenstand sind die Berufskrankheiten sowohl Nr. 2108 als auch Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV. Denn der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Bescheid vom 06.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 enthält in Bezug auf beide Berufskrankheiten eine ablehnende Entscheidung. Die Klägerin hat allein dadurch, dass sich ihr Berufungsvortrag ausschließlich auf die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bezieht, eine Beschränkung ihres Klagebegehrens auf diese Berufskrankheit nicht vorgenommen. Ihr weit formulierter Antrag, der auf Anerkennung "einer Berufskrankheit" wegen ihrer Wirbelsäulenerkrankung gerichtet ist, erfasst beide Berufskrankheiten. Angesichts des Bezugs zu dem Ablehnungsbescheid ist der Inhalt des Antrags durch Auslegung ermittelbar und noch hinreichend bestimmt.
2. Rechtsgrundlage für die Feststellung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Nach dieser Vorschrift sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
a) Die Anlage 1 zur BKV bezeichnet in Nr. 2108 als Berufskrankheit bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
b) In Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV werden als Berufskrankheit bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter bezeichnet, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
c) Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R – juris, Rn. 12 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 25/10 R – juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 22/10 R – juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 30/07 R – juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 9/08 R – juris).
3. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
a) Zwar gehört die Klägerin zu dem versicherten Personenkreis. Sie war in der Zeit vom 01.02.1981 bis zum 31.03.2013 als Produktionsmitarbeiterin eines metallverarbeitenden Unternehmens beschäftigt. Sie ist damit Versicherte im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.
b) Allerdings liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen weder in Bezug auf die Berufskrankheit Nr. 2108 (dazu aa) noch in Bezug auf die Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (dazu bb) vor.
aa) Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV liegen nicht vor. Teilweise waren die Lasten nicht "schwer" im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV (dazu 1). Im Übrigen beruhen die bei der Klägerin bestehenden Lendenwirbelsäulenerkrankungen nicht ursächlich auf dem langjährigen Heben und Tragen von Lasten (dazu (2).
(1) Die Klägerin war in ihrer versicherten Tätigkeit langjährig, nämlich 32 Jahre, folgenden Lasten ausgesetzt: Ausweislich des Ermittlungsergebnisses des Präventionsdienstes der Beklagten hatten die kleineren Werkteile überwiegend ein Gewicht von 100 g, einige wogen maximal 2 kg. Diese Teile hat die Klägerin in einer Arbeitsschicht 900mal gehoben. Die gefüllten Gitterboxen hatten ein Gewicht von 25 kg. Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin und der Angaben ihres früheren Arbeitgebers ist der Präventionsdienst davon ausgegangen, dass sie die 25 kg schweren Kisten in jährlich 50 Schichten und je Schicht fünfmal gehoben hat. Anhaltspunkte, dass diese Annahmen unzutreffend sein könnten, bestehen nicht. Insbesondere hat auch die Klägerin hiergegen keine Einwände erhoben.
Diese Lasten sind nur in Bezug auf die 25 kg schweren Gitterboxen "schwer" im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Die kleineren Werkteile mit einem Gewicht von maximal 2 kg sind nicht "schwer" in diesem Sinne. Zur Beantwortung der Frage, wann Lasten "schwer" sind und demnach mit einem erhöhten Risiko für die Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen einhergehen, enthält das Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Berufskrankheit Nr. 2108 vom 01.09.2006 (Bundesarbeitsblatt 10-2006, S. 30 ff.), das jedenfalls als Interpretationshilfe herangezogen werden kann (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R – juris Rn. 15), folgende Richtwerte: Für Frauen liegt der Wert für beidhändiges Tragen bei 10 kg, für einhändiges Tragen bei 5 kg. Hiernach sind nur die gefüllten Gitterboxen "schwer", die Werkteile – selbst die mit einem Gewicht von 2 kg – unterschreiten diese Werte sogar bei einhändigem Tragen deutlich.
(2) Das durch die versicherte Tätigkeit veranlasste Heben und Tragen der schweren Lasten ist nicht ursächlich für die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen der Lendenwirbelsäule.
(a) Die Klägerin leidet an folgenden Lendenwirbelsäulenerkrankungen: Zustand nach Wirbelsäulenversteifung LWK 3 – SWK 1 (2016), Zustand nach Spondylodese L5/S1 (2006), Anschlussdekompensation LWK 4/5 bei Bandscheibenvorfall und multisegmentalen degenerativen Veränderungen der LWS. Dies entnimmt der Senat den sachverständigen Zeugenauskünften von Dr. W., Dr. Y. und Dr. N. sowie dem Entlassungsbericht der Fachklinik W. vom 26.01.2017, dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik K. vom 12.08.2013 und den Befundberichten des Klinikums K. vom 02.11.2016, 21.07.2016 sowie 15.06.2016. Hierbei handelt es sich nach der überzeugenden Einschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. W. um einen altersuntypischen Befund.
(b) Diese Bandscheibenerkrankungen beruhen nicht ursächlich auf der beruflichen Einwirkungsbelastung durch die schweren Lasten.
(aa) Die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV verlangt, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht sein muss. Die Bestimmung der für die Verursachung der Erkrankung erforderlichen Belastungsdosis kann anhand des Mainz-Dortmunder Dosismodells (MDD) erfolgen. Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich hierbei um eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen zu konkretisieren (st. Rspr. zuletzt BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R – juris Rn. 19, jeweils m.w.N.). Allerdings legt das MDD selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder - so der Titel der Veröffentlichung in ASUMed 1999, S. 101 ff. - ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, werden von seinen Verfassern nicht als Grenz-, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge bezeichnet (ASUMed 1999, S. 101, 109). Auch das aktuelle Merkblatt des BMAS zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist, geht von bloßen Orientierungswerten aus (BArbBl 2006, Heft 10, S. 30 ff). Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit Nr. 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden; umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus. Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das durch sie beschriebene Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R –, juris Rn. 18 f.). In diesem Sinne hat der für das Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG in seiner Rechtsprechung seit 2007 als unteren Grenzwert bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis zugrunde gelegt (grundlegend BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R –, juris Rn. 25; siehe zudem BSG Urteil vom 23.4.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R –, juris Rn. 27; BSG, Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R – juris Rn. 31; BSG, Urteil vom 23.4.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R –, juris Rn. 20). Für Frauen legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis 17 MNh fest (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17). Der hälftige Orientierungswert beläuft sich damit auf 8,5 MNh.
(bb) Ob eine weitere Absenkung dieser Schwellenwerte im Hinblick auf die Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie ("Erweiterte Auswertung der Deutschen Richtwerteableitung mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte – DWS-Richtwerteableitung (DWS II); veröffentlicht unter: https://www.dguv.de/ifa/for¬schung/pro¬jektverzeichnis/ff-fb 0155a.jsp) angezeigt ist, hat das BSG bislang offengelassen (siehe BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R –, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17). Nach dieser Studie liege für Frauen die Verdopplungsdosis des Bandscheiben-Erkrankungsrisikos bei etwa 3 MNh.
(cc) Im Ergebnis kann es im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der herkömmliche hälftige Orientierungswert von 8,5 MNh oder der abgesenkte Wert von 3 MNh zugrunde zu legen ist. Denn nach den in sich stimmigen Berechnungen des Präventionsdienstes unterlag die Klägerin einer Gesamtbelastungsdosis von 1 MNh. Diese Gesamtbelastungsdosis unterschreitet beide Werte deutlich und ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht geeignet, bandscheibenbedingte Erkrankungen auszulösen. Vor diesem Hintergrund bedurfte es keiner weiteren medizinischen Sachverhaltsermittlungen.
(3) Der Tatbestand der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der "langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" verwirklicht. Die Klägerin hat ihre berufliche Tätigkeit als Arbeiterin in einer Metallfabrik nicht in "extremer Rumpfbeugehaltung" ausgeübt.
(a) Unter Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung sind Arbeiten in Bodenhöhe oder unter der Standfläche zu verstehen, bei denen es zu einer Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Körperhaltung um ca. 90° oder mehr kommt. Ferner zählen Arbeiten in Arbeitsräumen dazu, die niedriger als ca. 100 cm sind und somit andauernde Zwangshaltungen mit Arbeiten im Knien, Hocken, im Fersensitz oder gebeugter beziehungsweiser verdrehter Köperhaltung bedingen (vgl. Merkblatt des BMAS zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV). Die hier fokussierten Tätigkeiten sind typisch bei Stahlbetonarbeitern und Verbundsteinlegern, die ohne wirksame Unterbrechung über mehrere Minuten (mindestens 2 bis 3 Minuten) eine so starke Rumpfneigung einnehmen. Dagegen werden die zuvor genannten Voraussetzungen weder bei Tätigkeiten in vorgebeugter Haltung im Sitzen noch bei der Tätigkeit von Friseuren noch bei der zahnärztlichen Tätigkeit erfüllt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 523).
(b) Die Klägerin hat sich nach ihren Ausführungen im erstinstanzlichen Termin zur Erörterung des Sachverhalts, die sich auch mit dem Ermittlungsergebnis des Präventionsdienstes der Beklagten decken, im Verlauf eines Arbeitstages zwar häufig, ca. 900mal, bücken müssen, um die von ihr zu bearbeitenden Metallteile aus den Gitterboxen zu nehmen und wieder hineinzulegen. Die von ihr hierbei eingenommene Rumpfbeugehaltung hat jedoch nicht ohne wirksame Unterbrechung mindestens 2 bis 3 Minuten angedauert. Sie hat die Rumpfbeugehaltung jeweils nur sehr kurzfristig zum Heben und Zurücklegen eingenommen. Eine andauernde Zwangshaltung hat sie nicht eingenommen.
bb) Auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV liegen nicht vor. Diese Listen-Berufskrankheit verlangt Halswirbelsäulenerkrankungen durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin derartige Arbeiten – das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter – im Rahmen ihrer seit 1981 ausgeübten beruflichen Tätigkeit nicht ausgeführt hat. Dies entnimmt der Senat dem Bericht des Präventionsdienstes, der nach einer Besichtigung des früheren Arbeitsplatzes der Klägerin angegeben hat, dass die Klägerin keine schweren Lasten auf der Schulter tragen musste. Dem entspricht es, dass auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin keine derartigen Tätigkeiten ersichtlich sind.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin als Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.
Die im Jahr 1957 geborene Klägerin war von Februar 1981 bis März 2013 als Arbeiterin in einer Metallfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Seit März 2013 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. Zu ihrer beruflichen Tätigkeit gehörte ausweislich des von der Klägerin am 07.11.2016 ausgefüllten Fragebogens das Stanzen, Elektroschweißen, Montieren und Gewindeschneiden von Metallteilen sowie die Bedienung von Pressmaschinen. Sie gab an, diese Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und Stehen ausgeführt zu haben. Sie habe hierbei von Hand Gegenstände mit einem Gewicht von bis zu 10 kg heben müssen. Diese Gegenstände habe sie nicht über eine größere Entfernung von mehr als 5 m tragen müssen. Sie habe Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (90° oder mehr) verrichten müssen. Ganzkörperschwingungen hätten nicht vorgelegen.
Am 22.09.2016 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten das Vorliegen einer Berufskrankheit geltend. Sie führte aus, an Hüftschmerzen, ausstrahlend bis zur rechten Ferse, mit Taubheitsgefühlen zu leiden. Sie habe einen Bandscheibenvorfall erlitten. Im Jahr 2006 sei eine operative Versorgung mittels einer dorsolateralen Spondylodese L5/S1 erfolgt. Danach habe sie starke Schmerzen gehabt. Im Fragebogen zu Wirbelsäulenerkrankungen gab sie am 07.11.2016 weiter an, die Beschwerden bestünden in allen Wirbelsäulenabschnitten. Sie führe sie auf ihre sehr schwere Arbeitstätigkeit zurück.
Die Beklagte zog verschiedene Behandlungsunterlagen bei.
Aus dem Entlassungsbericht über eine im Jahr 2013 im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ergaben sich folgende Diagnosen: "Chronifiziertes multifokales Schmerzsyndrom mit somatischen und somatoformen Anteilen; belastungsabhängige Rückenschmerzen mit Beineinstrahlung links und Hinweisen für eine sensible Wurzelreizung L5 links; Spondylodese L5/S1 (2006), Anschlussdekompensation LWK4/5 bei NPP, multisegement. deg. LWS-Veränderungen; Angststörung; Fußbelastungsbeschwerden links mit neuropathischer Komponente (DD Tarsaltunnelsyndrom li.)".
Nach dem Bericht des Klinikums K. vom 02.11.2016 litt die Klägerin an einer linksischialgieformen Schmerzsymptomatik mit Hypästhesien und Kribbelparästhesien des linken Fußes. Die Klägerin habe in den letzten Jahren eine zunehmende Rückenschmerzsymptomatik beschrieben. Wegen einer diagnostizierten Anschlussdekompensation L4/5 wurde im Oktober 2016 eine dorsolaterale Spondylodese L4/S1 durchgeführt.
Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. G. ein. Dr. G. gab in seiner Stellungnahme vom 16.12.2016 an, Hinweise für ein belastungskonformes Schadensbild im Sinne der Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BVK) bestünden nicht. Nach Auffassung des Beratungsarztes handele es sich um einen schicksalhaften Verlauf bei einem angeborenen Wirbelgleiten L5/S1 und gleichzeitig bestehender Hyperlordose der Lendenwirbelsäule. Anhaltspunkte für ein vom typischen Lebensalter deutlich abweichendes Krankheitsbild, welches für eine berufliche (Mit-)Verursachung im Sinne einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (Erkrankung der Halswirbelsäule) sprechen könnte, lägen nicht vor.
Durch Bescheid vom 06.02.2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) oder Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule) der Anlage 1 zur BKV ab. Ein für die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV erforderliches belastungskonformes Schadensbild bestehe nicht. Die Klägerin leide im Bewegungssegment L5/S1 unter einem angeborenen Wirbelgleiten. Für die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV fehlten die arbeitstechnischen Voraussetzungen. Nach den Angaben der Klägerin hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass sie während ihres bisherigen Berufslebens regelmäßig schwere Lasten von mindestens 50 kg einseitig auf der Schulter getragen habe.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, ihre Wirbelsäulenerkrankung sei beruflich verursacht. Zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses im Jahr 1981 sei sie gesund gewesen. Beschwerden seien erst im Jahr 1990 aufgetreten. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit habe sie relativ schwere Lasten tragen müssen. Sie habe Metallplatten aus einem Container nehmen, diese in die Stanzmaschine einlegen und nach dem Stanzvorgang in einen anderen Container legen müssen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 28.07.2017 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren, die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit weiterverfolgt. Zur Klagebegründung hat sie unter Vertiefung ihrer Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren vorgebracht, die von ihr zur Bearbeitung aus Gitterboxen herauszunehmenden Metallteile hätten ein Gewicht von 5 bis 6 kg gehabt. Zur Herausnahme der Teile und dem Hineinlegen der Teile nach deren Bearbeitung in eine andere Gitterbox habe sie ihren Rumpf stark beugen müssen. Diese Tätigkeit habe für die Wirbelsäule eine erhebliche Belastung bedeutet. Die Ansicht der Beklagten, dass bei ihr im Segment L5/S1 ein angeborenes Wirbelgleiten vorliege, sei unzutreffend. Denn vor ihrer beruflichen Tätigkeit sei sie völlig beschwerdefrei gewesen. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Wirbelsäulenerkrankung und dem Ausüben der beruflichen Tätigkeit sei nicht ausreichend. Gegen eine berufliche Verursachung spreche im Weiteren das Bestehen von Wirbelsäulenbeschwerden in allen Wirbelsäulenabschnitten.
Das SG hat den behandelnden Orthopäden Dr. W., die behandelnde Internistin Dr. Y. und die behandelnde Neurologin und Psychiaterin Dr. N. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen und im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 14.09.2018 die Klägerin persönlich angehört. Die Klägerin hat in diesem Termin angegeben, im Zeitraum von 1981 bis 2013 durchgängig in der Stanzerei beschäftigt gewesen zu sein. Ihre Aufgabe sei gewesen, Werkstücke mit einem Gewicht von 2 bis 3 kg von rechts aus einer Gitterbox zu nehmen und diese in die Stanzmaschine einzulegen. Danach habe sie die Werkstücke in eine andere Gitterbox gelegt. Eine weitere von ihr ausgeübte Tätigkeit sei die Vornahme von Schweißarbeiten gewesen. Auch hierbei habe sie die Werkstücke aus einer Gitterbox genommen und nach der Bearbeitung in eine andere Gitterbox gelegt. Diese Werkstücke seien mindestens 1 kg, vielleicht auch 2 bis 3 kg schwer gewesen. An die geschweißten Werkstücke habe sie, nachdem diese lackiert worden seien, Gummiteile montiert. Zur Herausnahme der Werkteile aus den Gitterboxen habe sie sich bücken müssen. Pro Arbeitstag habe sie etwa 450 Metallteile bearbeitet. Die Tätigkeit sei von ihr bis zum Beginn der Beschwerden an der Wirbelsäule im Stehen ausgeübt worden. Danach habe sie die Schweißarbeiten halb im Sitzen, die Stanzarbeiten im Sitzen und die Montagearbeiten im Stehen vorgenommen. Die zu bearbeitenden Werkteile habe sie nicht selbst durch die Arbeitshalle tragen müssen. Manchmal habe sie jedoch die Gitterkisten selbst heben müssen, wenn kein Arbeitskollege geholfen habe. Diese Kisten seien dann über 20 kg schwer gewesen. Im Erörterungstermin hat das SG darauf hingewiesen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV wohl nicht vorlägen, da es am langjährigen Heben "schwerer Lasten" im Sinne der gesetzlichen Vorgaben gefehlt haben dürfte. Im Nachgang zum Erörterungstermin hat die Klägerin erklärt, aufgrund der Häufigkeit des Hebens der Metallteile pro Arbeitstag und der hierbei einzunehmenden ungünstigen Körperhaltung sei ihre Erkrankung der Lendenwirbelsäule trotz des geringen Gewichts der Metallteile durch ihre berufliche Tätigkeit verursacht worden.
Durch Gerichtsbescheid vom 03.12.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV lägen nicht vor, weil die Klägerin keine schweren Lasten auf der Schulter getragen habe. Auch die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV seien nicht gegeben, da die Klägerin bei ihrer beruflichen Tätigkeit keine "schweren Lasten" gehoben oder getragen habe. Nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV werde für Frauen für beidhändiges Heben ein Lastengewicht von 10 kg, für einhändiges Heben ein Lastengewicht von 5 kg genannt. Die Klägerin habe im Termin zur Erörterung des Sachverhalts entgegen der Klagebegründung, die als Gewicht der zu bearbeitenden Metallteile 5 bis 6 kg genannt habe, ausgeführt, die Metallteile hätten mindestens 1 kg, vielleicht auch 2 bis 3 kg gewogen. Die Gitterboxen, in denen sich die Metallteile befunden hätten, seien von der Klägerin nur höchst ausnahmsweise bewegt worden. Auch die Voraussetzung einer "Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" sei nicht erfüllt, da hierfür ein regelmäßiges Bücken und Wiederaufrichten nicht ausreichend sei. Es müsse zusätzlich nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur ein zeitliches Moment, eine Haltung in extremer Rumpfbeuge für mindestens 2 bis 3 Minuten, vorliegen.
Gegen den ihr am 10.12.2018 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 09.01.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben.
Zur Berufungsbegründung trägt die Klägerin vor, pro Arbeitstag 450 Metallteile von erheblichem Gewicht aus einer Gitterbox entnommen und wieder in eine Gitterbox gelegt zu haben. Damit habe sie sich im Verlauf eines Arbeitstages 900mal bücken und wieder aufrichten müssen. Das Zusammenspiel von Heben und Tragen schwerer Lasten und die infolge des Bückens ständig ungünstige Körperhaltung in langjähriger Tätigkeit erfüllten die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.
Die Klägerin beantragt wörtlich,
"in Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Karlsruhe vom 03.12.2018 – Aktenzeichen S 15 U 2598/17 wird der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin als Folge einer Berufskrankheit anzuerkennen."
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren Bescheid, ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 seien nicht erfüllt. Im Weiteren seien auch die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht gegeben.
Auf Verfügung des Berichterstatters vom 19.05.2020 hat die Beklagte den Präventionsdienst mit der Ermittlung des Gewichts der von der Klägerin arbeitstäglich zu hebenden Teile beauftragt. Ausweislich des Berichts des Präventionsdienstes vom 03.08.2020 lag das Einzelgewicht der typischen von der Klägerin zu bearbeitenden Werkstücke bei ca. 100g. Schwere Werkstücke wogen 2 kg. Eine gefüllte Gitterbox hat der Präventionsdienst mit einem Gewicht von 25 kg angesetzt. In der angestellten Dosisberechnung nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) ist der Präventionsdienst davon ausgegangen, dass die Klägerin an 50 Schichten im Jahr eine 25 kg schwere Box fünfmal alleine heben musste. Auf dieser Basis hat er eine Gesamtdosis von 1 x 106 Nh (1 MNh) errechnet. Dies entspreche einem prozentualen Anteil von 6 % des Orientierungswertes von 17 x 106 Nh, weshalb der hälftige Orientierungswert von 8,5 x 106 Nh unterschritten sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das SG hat die auf Anerkennung der Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV gerichtete, als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 3 SGG zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheiten Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV, weshalb der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 rechtmäßig ist.
1. Streitgegenstand sind die Berufskrankheiten sowohl Nr. 2108 als auch Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV. Denn der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Bescheid vom 06.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 enthält in Bezug auf beide Berufskrankheiten eine ablehnende Entscheidung. Die Klägerin hat allein dadurch, dass sich ihr Berufungsvortrag ausschließlich auf die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bezieht, eine Beschränkung ihres Klagebegehrens auf diese Berufskrankheit nicht vorgenommen. Ihr weit formulierter Antrag, der auf Anerkennung "einer Berufskrankheit" wegen ihrer Wirbelsäulenerkrankung gerichtet ist, erfasst beide Berufskrankheiten. Angesichts des Bezugs zu dem Ablehnungsbescheid ist der Inhalt des Antrags durch Auslegung ermittelbar und noch hinreichend bestimmt.
2. Rechtsgrundlage für die Feststellung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Nach dieser Vorschrift sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
a) Die Anlage 1 zur BKV bezeichnet in Nr. 2108 als Berufskrankheit bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
b) In Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV werden als Berufskrankheit bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter bezeichnet, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
c) Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R – juris, Rn. 12 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 25/10 R – juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 – B 2 U 22/10 R – juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 30/07 R – juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 9/08 R – juris).
3. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
a) Zwar gehört die Klägerin zu dem versicherten Personenkreis. Sie war in der Zeit vom 01.02.1981 bis zum 31.03.2013 als Produktionsmitarbeiterin eines metallverarbeitenden Unternehmens beschäftigt. Sie ist damit Versicherte im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.
b) Allerdings liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen weder in Bezug auf die Berufskrankheit Nr. 2108 (dazu aa) noch in Bezug auf die Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (dazu bb) vor.
aa) Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV liegen nicht vor. Teilweise waren die Lasten nicht "schwer" im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV (dazu 1). Im Übrigen beruhen die bei der Klägerin bestehenden Lendenwirbelsäulenerkrankungen nicht ursächlich auf dem langjährigen Heben und Tragen von Lasten (dazu (2).
(1) Die Klägerin war in ihrer versicherten Tätigkeit langjährig, nämlich 32 Jahre, folgenden Lasten ausgesetzt: Ausweislich des Ermittlungsergebnisses des Präventionsdienstes der Beklagten hatten die kleineren Werkteile überwiegend ein Gewicht von 100 g, einige wogen maximal 2 kg. Diese Teile hat die Klägerin in einer Arbeitsschicht 900mal gehoben. Die gefüllten Gitterboxen hatten ein Gewicht von 25 kg. Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin und der Angaben ihres früheren Arbeitgebers ist der Präventionsdienst davon ausgegangen, dass sie die 25 kg schweren Kisten in jährlich 50 Schichten und je Schicht fünfmal gehoben hat. Anhaltspunkte, dass diese Annahmen unzutreffend sein könnten, bestehen nicht. Insbesondere hat auch die Klägerin hiergegen keine Einwände erhoben.
Diese Lasten sind nur in Bezug auf die 25 kg schweren Gitterboxen "schwer" im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Die kleineren Werkteile mit einem Gewicht von maximal 2 kg sind nicht "schwer" in diesem Sinne. Zur Beantwortung der Frage, wann Lasten "schwer" sind und demnach mit einem erhöhten Risiko für die Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen einhergehen, enthält das Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Berufskrankheit Nr. 2108 vom 01.09.2006 (Bundesarbeitsblatt 10-2006, S. 30 ff.), das jedenfalls als Interpretationshilfe herangezogen werden kann (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R – juris Rn. 15), folgende Richtwerte: Für Frauen liegt der Wert für beidhändiges Tragen bei 10 kg, für einhändiges Tragen bei 5 kg. Hiernach sind nur die gefüllten Gitterboxen "schwer", die Werkteile – selbst die mit einem Gewicht von 2 kg – unterschreiten diese Werte sogar bei einhändigem Tragen deutlich.
(2) Das durch die versicherte Tätigkeit veranlasste Heben und Tragen der schweren Lasten ist nicht ursächlich für die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen der Lendenwirbelsäule.
(a) Die Klägerin leidet an folgenden Lendenwirbelsäulenerkrankungen: Zustand nach Wirbelsäulenversteifung LWK 3 – SWK 1 (2016), Zustand nach Spondylodese L5/S1 (2006), Anschlussdekompensation LWK 4/5 bei Bandscheibenvorfall und multisegmentalen degenerativen Veränderungen der LWS. Dies entnimmt der Senat den sachverständigen Zeugenauskünften von Dr. W., Dr. Y. und Dr. N. sowie dem Entlassungsbericht der Fachklinik W. vom 26.01.2017, dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik K. vom 12.08.2013 und den Befundberichten des Klinikums K. vom 02.11.2016, 21.07.2016 sowie 15.06.2016. Hierbei handelt es sich nach der überzeugenden Einschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. W. um einen altersuntypischen Befund.
(b) Diese Bandscheibenerkrankungen beruhen nicht ursächlich auf der beruflichen Einwirkungsbelastung durch die schweren Lasten.
(aa) Die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV verlangt, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht sein muss. Die Bestimmung der für die Verursachung der Erkrankung erforderlichen Belastungsdosis kann anhand des Mainz-Dortmunder Dosismodells (MDD) erfolgen. Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich hierbei um eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen zu konkretisieren (st. Rspr. zuletzt BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R – juris Rn. 19, jeweils m.w.N.). Allerdings legt das MDD selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder - so der Titel der Veröffentlichung in ASUMed 1999, S. 101 ff. - ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, werden von seinen Verfassern nicht als Grenz-, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge bezeichnet (ASUMed 1999, S. 101, 109). Auch das aktuelle Merkblatt des BMAS zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist, geht von bloßen Orientierungswerten aus (BArbBl 2006, Heft 10, S. 30 ff). Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Berufskrankheit Nr. 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden; umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus. Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das durch sie beschriebene Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R –, juris Rn. 18 f.). In diesem Sinne hat der für das Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG in seiner Rechtsprechung seit 2007 als unteren Grenzwert bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis zugrunde gelegt (grundlegend BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R –, juris Rn. 25; siehe zudem BSG Urteil vom 23.4.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R –, juris Rn. 27; BSG, Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R – juris Rn. 31; BSG, Urteil vom 23.4.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R –, juris Rn. 20). Für Frauen legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis 17 MNh fest (BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17). Der hälftige Orientierungswert beläuft sich damit auf 8,5 MNh.
(bb) Ob eine weitere Absenkung dieser Schwellenwerte im Hinblick auf die Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie ("Erweiterte Auswertung der Deutschen Richtwerteableitung mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte – DWS-Richtwerteableitung (DWS II); veröffentlicht unter: https://www.dguv.de/ifa/for¬schung/pro¬jektverzeichnis/ff-fb 0155a.jsp) angezeigt ist, hat das BSG bislang offengelassen (siehe BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 10/17 R –, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R –, juris Rn. 17). Nach dieser Studie liege für Frauen die Verdopplungsdosis des Bandscheiben-Erkrankungsrisikos bei etwa 3 MNh.
(cc) Im Ergebnis kann es im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der herkömmliche hälftige Orientierungswert von 8,5 MNh oder der abgesenkte Wert von 3 MNh zugrunde zu legen ist. Denn nach den in sich stimmigen Berechnungen des Präventionsdienstes unterlag die Klägerin einer Gesamtbelastungsdosis von 1 MNh. Diese Gesamtbelastungsdosis unterschreitet beide Werte deutlich und ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht geeignet, bandscheibenbedingte Erkrankungen auszulösen. Vor diesem Hintergrund bedurfte es keiner weiteren medizinischen Sachverhaltsermittlungen.
(3) Der Tatbestand der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der "langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" verwirklicht. Die Klägerin hat ihre berufliche Tätigkeit als Arbeiterin in einer Metallfabrik nicht in "extremer Rumpfbeugehaltung" ausgeübt.
(a) Unter Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung sind Arbeiten in Bodenhöhe oder unter der Standfläche zu verstehen, bei denen es zu einer Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Körperhaltung um ca. 90° oder mehr kommt. Ferner zählen Arbeiten in Arbeitsräumen dazu, die niedriger als ca. 100 cm sind und somit andauernde Zwangshaltungen mit Arbeiten im Knien, Hocken, im Fersensitz oder gebeugter beziehungsweiser verdrehter Köperhaltung bedingen (vgl. Merkblatt des BMAS zur Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV). Die hier fokussierten Tätigkeiten sind typisch bei Stahlbetonarbeitern und Verbundsteinlegern, die ohne wirksame Unterbrechung über mehrere Minuten (mindestens 2 bis 3 Minuten) eine so starke Rumpfneigung einnehmen. Dagegen werden die zuvor genannten Voraussetzungen weder bei Tätigkeiten in vorgebeugter Haltung im Sitzen noch bei der Tätigkeit von Friseuren noch bei der zahnärztlichen Tätigkeit erfüllt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 523).
(b) Die Klägerin hat sich nach ihren Ausführungen im erstinstanzlichen Termin zur Erörterung des Sachverhalts, die sich auch mit dem Ermittlungsergebnis des Präventionsdienstes der Beklagten decken, im Verlauf eines Arbeitstages zwar häufig, ca. 900mal, bücken müssen, um die von ihr zu bearbeitenden Metallteile aus den Gitterboxen zu nehmen und wieder hineinzulegen. Die von ihr hierbei eingenommene Rumpfbeugehaltung hat jedoch nicht ohne wirksame Unterbrechung mindestens 2 bis 3 Minuten angedauert. Sie hat die Rumpfbeugehaltung jeweils nur sehr kurzfristig zum Heben und Zurücklegen eingenommen. Eine andauernde Zwangshaltung hat sie nicht eingenommen.
bb) Auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV liegen nicht vor. Diese Listen-Berufskrankheit verlangt Halswirbelsäulenerkrankungen durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin derartige Arbeiten – das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter – im Rahmen ihrer seit 1981 ausgeübten beruflichen Tätigkeit nicht ausgeführt hat. Dies entnimmt der Senat dem Bericht des Präventionsdienstes, der nach einer Besichtigung des früheren Arbeitsplatzes der Klägerin angegeben hat, dass die Klägerin keine schweren Lasten auf der Schulter tragen musste. Dem entspricht es, dass auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin keine derartigen Tätigkeiten ersichtlich sind.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Rechtskraft
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