L 6 R 749/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 R 4112/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 749/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
- Zu den Voraussetzungen einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI.
- Die Erstreckungsvorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI kann weder unmittelbar noch entsprechend auf Fallgruppen angewendet werden, in welchen die ursprüngliche Befreiung nicht im Hinblick auf Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung, sondern im Hinblick auf Versicherungspflicht aufgrund eines
- zwischenzeitlich beendeten - Sondertatbestandes (hier: Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 3 und § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI in der bis 31.03.2012 geltenden Fassung) erteilt worden war.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21. September 2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2015 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung der Klägerin bei der Stadt W. im Wege der Erstreckung aufgrund ihrer selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin.

Die am 04.06.1977 geborene Klägerin ist seit 02.08.2005 Pflichtmitglied in der Versorgungseinrichtung "Bayerische Rechtsanwalt- und Steuerberaterversorgung" und der Berufskammer.

Mit Bescheid vom 05.12.2005 wurde sie für die Zeit ab 02.08.2005 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung als Rechtsanwältin bei zurzeit bestehender Arbeitslosigkeit befreit. Mit weiterem Bescheid vom 13.12.2005 befreite die Beklagte die Klägerin wegen des Bezuges eines Existenzgründerzuschusses bei Versicherungspflicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 10 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.09.2005.

Mit Bescheid vom 06.02.2006 wurde die Klägerin hinsichtlich einer Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Agentur für Arbeit Nürnberg gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI befreit. Die Befreiung galt für die zeitlich befristete Beschäftigung vom 12.10.2005 bis 11.10.2007. Mit Bescheid vom 01.02.2008 erfolgte die Befreiung hinsichtlich der Tätigkeit bei der Agentur für Arbeit bis 31.12.2007. Insoweit wurde der Bescheid vom 06.02.2006 abgeändert.

Hinsichtlich eines darauffolgenden Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma P. GmbH wurde die Klägerin mit Bescheid vom 29.07.2008 gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI für die Zeit vom 01.03.2008 bis 31.08.2008 aufgrund zeitlich befristeter Beschäftigung befreit. Eine weitere Befreiung erfolgte mit Bescheid vom 04.12.2008, ebenfalls hinsichtlich einer Tätigkeit bei der P. GmbH.

Aufgrund einer erneuten befristeten Beschäftigung als Sachbearbeiterin beim Landratsamt N. erfolgte für die zeitlich befristete Beschäftigung dort vom 14.12.2009 bis 31.12.2010 mit Bescheid vom 03.03.2010 eine Befreiung. Auch diese Befreiung erfolgte gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI. Mit weiterem Bescheid vom 05.07.2011 erfolgte ebenfalls eine Befreiung für die Tätigkeit als Sachbearbeiterin beim Landkreis N. vom 01.01.2011 bis 13.12.2011.

Mit Bescheid vom 09.02.2012 wurde die Klägerin hinsichtlich einer erneuten zeitlich befristeten Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. vom 01.02.2012 bis 31.01.2013 gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB IV befreit.

Mit Antrag vom 14.01.2013 machte die Klägerin eine weitere Befreiung von der Versicherungspflicht für die Dauer ihres zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnisses vom 01.02.2013 bis 31.01.2014 als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. geltend.

Mit Bescheid vom 20.08.2013 lehnte die Beklagte eine Befreiung ab. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts habe am 31.10.2012 (B 12 R 3/11 und B 12 R 5/10 R) entschieden, dass eine Erstreckung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nur möglich sei, wenn und solange die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorlägen. Es liege keine aktuell wirksame Befreiung für eine versicherungspflichtige Beschäftigung für den Kammerberuf als Rechtsanwältin vor. Aus diesem Grund scheide eine Erstreckung einer Befreiung aus.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2015 als unbegründet zurück. Ein Vertrauensschutz bestehe nicht. Dieser sei nur hinsichtlich aktuell geltender (rechtswidriger) Befreiungsbescheide für die derzeit ausgeübte Beschäftigung gegeben. Das BSG habe klargestellt, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht im Wege der Erstreckung keinen eigenständigen Befreiungstatbestand darstelle, sondern eine bereits nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erteilte ursprüngliche Befreiung voraussetze und unmittelbar an diese anknüpfe. Die Tatsache, dass die Klägerin mit Bescheid vom 09.02.2012 für eine befristete Beschäftigung vom 01.02.2012 bis 31.01.2013 bei demselben Arbeitgeber befreit worden sei, ergebe keine andere Beurteilung. Es gebe keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung und Weiterführung unrichtigen Verwaltungshandelns.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2015 dazu zu verurteilen, die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis zum 31.01.2014 zu erteilen. Die Klägerin sei mittlerweile unbefristet bei der Stadt W. beschäftigt und insofern in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Es handele sich dabei nicht um eine Tätigkeit als Syndikus-Anwältin, so dass keine Veranlassung bestanden habe, aufgrund der Gesetzesänderung eine Befreiung insoweit zu beantragen. Die Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwältin bei der P. GmbH habe zwar am 30.09.2009 geendet. Die Klägerin sei ab 01.10.2009 arbeitssuchend gemeldet gewesen, aber weiterhin zugelassene Rechtsanwältin. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1. Satz 1 Nr. 1 SGB VI hätten daher weiterhin und durchgehend vorgelegen, so dass eine Erstreckung der Befreiung auf die berufsfremde Beschäftigung möglich sei.

Mit Urteil vom 21.09.2017 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.02.2013 bis 31.01.2014 die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu erteilen. Die Klägerin sei für den streitgegenständlichen Zeitraum wegen berufsfremder, befristeter Beschäftigung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu befreien. Sie sei wegen ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin von der Beklagten ab 01.09.2005 bis zur Aufnahme der verschiedenen befristeten Beschäftigungen von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit gewesen. Ihre Tätigkeiten bei der Bundesagentur für Arbeit und für den Landkreis N. seien in jeweils befristeten Beschäftigungsverhältnissen erfolgt. Es sei in dieser Situation kaum eine andere Möglichkeit gewesen, als sich den Rückweg in die freiberufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt weiter offen zu halten. Auch bei den mehrfach verlängerten Befristungsverträgen der Klägerin liege weiterhin eine "berufsfremde Beschäftigung" i.S.d. § 6 Abs. 5 SGB VI vor. Eine Abwendung vom Beruf des Rechtsanwaltes habe die Klägerin während der Phase der kurzzeitig befristeten Arbeitsverträge nicht vollziehen wollen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 24.11.2017 Berufung eingelegt. Eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI sei für den streitigen Zeitraum vom 01.02.2013 bis 31.01.2014 nicht möglich. Die Klägerin sei hinsichtlich ihrer befristeten Beschäftigung bei der Stadt W. versicherungspflichtig. Zwar sei die Klägerin aufgrund ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der Rechtsanwaltskammer Nürnberg sowie Pflichtmitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung als berufsständische Versorgungseinrichtung. Es liege jedoch kein Befreiungstatbestand nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vor, welcher sich auf die Tätigkeiten der Klägerin erstrecken könnte. Die Klägerin sei hinsichtlich ihrer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin von vornherein nicht der Versicherungspflicht unterlegen. Insoweit sei auch kein Befreiungsbescheid erteilt worden und könne ihr auch nicht erteilt werden. Die Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI setze jedoch eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI voraus, welche sodann auf eine andere versicherungspflichtige und zeitlich begrenzte Tätigkeit "erstreckt" werden könne. Wenn eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde, die gar nicht zur Versicherungspflicht dem Grunde nach führe, sei auch keine Erstreckung möglich (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.07.2015, L 20 R 630/12; LSG Berlin - Brandenburg, Urteil vom 01.12.2016, L 27 R 165/16 u.a.). Zwar habe bezüglich der bereits erfolgten Befreiungen der Klägerin im Wege der Erstreckung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI die Beklagte noch die Rechtsauffassung vertreten, dass befristete Befreiungen auch dann zulässig seien, wenn keine tatsächliche Grundbefreiung (mehr) vorliege. Dies sei jedoch aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des BSG vom 31.12.2012 (B 12 R 3/11 R) nicht mehr möglich. Diese (rechtswidrige) Verwaltungspraxis der Beklagten in der Vergangenheit könne keinen Anspruch der Klägerin auf eine weitere Befreiung im streitigen Zeitraum begründen. Eine Selbstbindung der Verwaltung durch eine rechtswidrige Verwaltungspraxis könne es nicht geben. Auch ein darauf resultierendes Vertrauen sei nicht geschützt.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins macht die Klägerin darüber hinaus geltend, die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI verstoße bei dieser Auslegung gegen das Grundgesetz (GG). Eine Befreiungsmöglichkeit bestehe dann lediglich für grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegende, aber von dieser befreite beschäftigte Rechtsanwälte, nicht jedoch auch für von vornherein nicht der Versicherungspflicht unterliegende Selbständige. Insoweit liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG vor. Es liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von einerseits grundsätzlich versicherungspflichtigen Rechtsanwälten vor, die auf Antrag gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 SGB VI auch in ihrer Nebenbeschäftigung von der Rentenversicherungspflicht unter den dort näher genannten Voraussetzungen befreit werden könnten und andererseits von selbständigen Rechtsanwälten, die keinerlei Rentenversicherungspflicht unterworfen seien und die sich nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI in ihrer Nebenbeschäftigung nicht von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen könnten und insoweit in jedem Fall versicherungspflichtig seien.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, es sei im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Stellung beider Gruppen keine Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte gegeben. Das gesamte Sozialversicherungsrecht sei davon geprägt, dass beide Gruppen unterschiedlichen Regelungen unterlägen und voneinander abzugrenzen seien. Es liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, an den Lebenssachverhalt einer selbständig ausgeübten Tätigkeit gänzlich andere Rechtsfolgen zu knüpfen, als an den Lebenssachverhalt eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.07.2001, L 3 RA 73/00 Rn. 20 ff juris). Außerdem solle durch die Regelung des § 6 Abs. 5 SGB VI nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-DR11/4124) sichergestellt werden, dass die kurzfristige und vorübergehende Ausübung einer anderen, berufsfremden Beschäftigung den Betroffenen nicht zu einem Wechsel seines Alterssicherungssystems zwinge. Hieraus ergebe sich, dass sich die Befreiung von der Versicherungspflicht nur dann auf eine infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzte andere, berufsfremde Beschäftigung erstrecke, wenn diese die Beschäftigung, für die der Beschäftigte von der Versicherungspflicht befreit wurde, unterbreche. Denn ausschließlich in solchen Fällen könne es zu einem Wechsel in den Alterssicherungssystemen kommen. Ein "Wechsel" liege nur vor, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen werde und der Eintritt in ein anderes Alterssicherungssystem erfolge. Dies sei nicht der Fall, wenn in zwei unterschiedlichen Alterssicherungssystemen zugehörige Beschäftigungen nebeneinander ausgeübt würden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.07.2015, L 3 R 442/12). Die Klägerin verbleibe hinsichtlich ihrer Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin im Versorgungswerk, ein Wechsel trete nicht ein.

Die Beklagte hat zudem auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.02.2018, Aktenzeichen L 13 R 4156/16 hingewiesen. Dort werde ebenfalls ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber nicht untersagt gewesen sei, zwischen den Fällen zu differenzieren, in denen eine Befreiung erfolgreich beantragt worden sei und denen, in denen ein solcher Antrag ausgeschlossen sei, weil von vornherein keine Versicherungspflicht für die Haupttätigkeit bestehe. Ein Selbständiger habe deutlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten seines Tätigkeitsfeldes als ein abhängig Beschäftigter, dem ausnahmsweise die Beitragszahlung in einem berufsständischen Versorgungswerk ermöglicht worden sei. Insofern bestünden hinsichtlich der Vergleichsgruppen unterschiedliche Lebenssachverhalte, die unterschiedlich vom Gesetzgeber behandelt werden könnten. Die abschließende und nicht analogiefähige Erstreckungsvorschrift sei somit in diesen Fallkonstellationen nicht anwendbar. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege nicht vor, eine verfassungskonforme Auslegung im Lichte des Art. 3 GG sei nicht geboten. Auch das Bayerische Landessozialgericht habe mit Urteil vom 25.06.2018, L 14 R 508/17 darauf hingewiesen, dass weder Vertrauensgesichtspunkte vorlägen noch ein enteignungsgleicher Eingriff gegeben sei.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.09.2017 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2015 abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.09.2017 als unbegründet zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.09.2017 ist zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2015 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht hinsichtlich ihrer befristeten Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. in der Zeit vom 01.02.2013 bis 31.01.2014. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI liegen nicht vor.

Die Klägerin war zwar ab 01.07.2005 als Rechtsanwältin tätig und Pflichtmitglied in der Berufskammer und in der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung. Ihr wurde aufgrund ihres Antrages vom 13.09.2005 mit Bescheiden vom 05.12.2005 und 13.12.2005 eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bei Arbeitslosigkeit erteilt. Als Bezieherin eines Existenzgründerzuschusses wurde sie von der Versicherungspflicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit. In der Folgezeit übte die Klägerin verschiedene befristete Beschäftigungen aus, hinsichtlich derer sie von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI befreit worden ist. Auch bezüglich ihrer Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. erfolgte zunächst mit Bescheid vom 09.02.2012 eine Befreiung von der Versicherungspflicht. Hinsichtlich der Verlängerung der Beschäftigung dort vom 01.02.2013 bis 31.01.2014, die zunächst befristet war und seit 01.02.2014 unbefristet erfolgt, hat die Beklagte zu Recht die Befreiung abgelehnt. Die Klägerin ist daher für die versicherungspflichtige Tätigkeit bei der Stadt W. nicht von der Rentenversicherungspflicht zu befreien.

Unstreitig handelt es sich bei der Tätigkeit bei der Stadt W. nicht um einen Bestandteil der selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. liegen nicht vor. Hiernach werden von der Versicherungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen befreit: Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen derer sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständigen Kammer sind. Die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. kann nur dann den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfüllen, wenn diese als berufsspezifisch zu einer Anwaltstätigkeit bezeichnet werden kann (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 8/10 R). Die Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. wird jedoch unstreitig als berufsfremd zur Tätigkeit eines Rechtsanwalts angesehen. Diese Tätigkeit würde für sich allein auch keine Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer nach sich ziehen.

Auch eine Befreiung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI kann für die streitgegenständliche Tätigkeit nicht erfolgen. Danach erstreckt sich die Befreiung in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese in Folge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

Bereits aus dem Wortlaut ergibt sich, dass diese Regelung vorliegend nicht anwendbar ist, weil für den Zeitraum der streitigen Tätigkeit eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 SGB VI nicht erteilt worden ist. Die Klägerin übt ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin selbständig aus. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Rechtsanwältin hat zu keiner Zeit vorgelegen. Die ursprünglich nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erteilten Befreiungen erfolgten insoweit nicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung als Rechtsanwältin, sondern im Hinblick auf die vorübergehend Versicherungspflicht begründenden Sondertatbestände des § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI und des § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI in der bis 31.03.2012 geltenden Fassung.

Die Erstreckungsvorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI ist auch nicht analog auf die vorliegende Konstellation anzuwenden. Sie stellt keinen eigenständigen Befreiungstatbestand dar, sondern ist auf die Fälle beschränkt, in denen zum Zeitpunkt der Aufnahme der anderen Beschäftigung eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI fortwirkt. Nach dem Wortsinn kann nach den Ausführungen des BSG (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 8/10 R, juris Rn. 26) nur ein fortbestehender Befreiungsstatus auf eine andere Tätigkeit erstreckt werden. Die systematische Stellung der Vorschrift im Anschluss an die gesetzliche Definition des auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkten Bezugspunkts der Befreiung von der Versicherungspflicht in § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI verdeutlicht im Zusammenhang mit der in ihr genannten Tatbestandsvoraussetzung einer zeitlich begrenzten anderen Tätigkeit, dass die Vorschrift lediglich eine Regelung enthält, die sich auf eine andere vorübergehende selbständige Tätigkeit bzw. Beschäftigung bezieht und daher keinen von den grundliegenden Voraussetzungen in § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI losgelösten eigenständigen Befreiungstatbestand darstellt. Nach den Gesetzesmaterialien (vgl. BSG a.a.O., juris Rn. 28) sollte dadurch sichergestellt werden, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit - insbesondere die Zeit des Wehrdienstes - nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Diese Begründung knüpft ebenfalls allein an den vorübergehenden Tätigkeitswechsel an. Eine Befreiung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist daher nicht möglich.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind keine Grundrechte der Klägerin verletzt, insbesondere nicht der Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Es liegen unterschiedliche Lebenssachverhalte hinsichtlich eines angestellten und eines selbstständigen Rechtsanwaltes vor. Im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Stellung der Gruppen der grundsätzlich versicherungspflichtigen beschäftigten Rechtsanwälte und der selbständigen Rechtsanwälte fehlt die erforderliche Vergleichbarkeit. Das gesamte Sozialversicherungsrecht ist davon geprägt, dass beide Gruppen unterschiedlichen Regelungen unterliegen und voneinander abzugrenzen sind. Es liegt im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, an den Lebenssachverhalt einer selbständig ausgeübten Tätigkeit andere Rechtsfolgen zu knüpfen als an den Lebenssachverhalt eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.02.2018, L 13 R 4156/16; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22.07.2015, L 20 R 630/13).

Auch das BSG hat darauf hingewiesen, dass von Verfassungs wegen kein Wahlrecht besteht, das es ermöglichen würde, im Laufe eines Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen oder an ihr festzuhalten und die Anwendung aller anderen Versicherungspflichttatbestände auszuschließen (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 8/10 R, juris Rn. 30 m.w.N.).

Die Klägerin kann sich auch nicht auf ein Vertrauen auf den uneingeschränkten Fortbestand einer bereits erteilten Befreiung von der Versicherungspflicht berufen. Die bisher erfolgten Befreiungen sind jeweils für einen befristeten Zeitraum ausgesprochen worden. Ein Anspruch auf eine rechtswidrig erteilte Befreiung aufgrund vorangegangenen rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten besteht nicht (vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R, Rn. 58 m.w.N.).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Beschäftigung der Klägerin als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. weiterhin gegeben ist. Eine Befreiung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI erstreckt sich indessen nur dann auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gem. § 160 Abs. 1, Abs. 2 SGG zuzulassen, liege nicht vor. Die Auslegung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI ist durch die bestehende Rechtsprechung des BSG ausreichend geklärt.
Rechtskraft
Aus
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