S 13 KR 524/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 524/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Im elektronischen Rechtsverkehr gilt, dass der tatsächliche Zugang bewirkt ist, wenn das zuzustellende elektronische Dokument in die seinen Machtbereich darstellende Empfangseinrichtung des Adressaten gelangt ist. Hierbei handelt es sich letztlich um das für seinen faktischen Zugriff bereitstehende, nicht unbedingt von ihm technisch kontrollierte oder in seinem physischen Zugriffsbereich liegende, elektronische Postfach des Empfängers.

2. Die Zugangseröffnung gem. § 36a Abs. 1 SGB I setzt sich zusammen aus der technischen Bereitstellung des Zugangs als Vorbereitungsakt und der Widmung dieses Zugangs für die Nutzung im (rechtsverbindlichen) elektronischen Rechtsverkehr.

3. Die konkludente Eröffnung eines Zugangs ist dann anzunehmen, wenn die Behörde nach außen die Empfangsbereitschaft für einen tatsächlich eingerichteten technischen Zugang jedenfalls schlüssig signalisiert. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Behörde selbst vorbehaltlos den elektronischen Kommunikationskanal gegenüber dem Bürger nutzt.

4. Die Mitteilung eines hinreichenden Grundes gem. § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V kann per E-Mail erfolgen. Die E-Mail ist dann aber qualifiziert elektronisch zu signieren.

5. Voraussetzung um eine Genehmigungsfiktion bei nicht fristgerechter Entscheidung über beantragte Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung auszulösen ist, dass die beantragte Leistung subjektiv erforderlich sein muss. Das ist bereits dann gegeben, wenn die Leistungen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen liegen und im konkreten Einzelfall subjektiv zweckmäßig sind.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 9.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.8.2016 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.620,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus 4.248,30 EUR seit 2.6.2016 und aus 4.371,78 EUR seit 29.6.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für das Medikament Keytruda als Therapie im Wege des Off-Label-Use.

Der Kläger ist der Gesamtrechtsnachfolger seiner 1983 geborenen, am xx. xx 2015 verstorbenen, Ehefrau C. A. Frau C. A. war bis zu ihrem Tod Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten. Sie litt an einem metastasierenden muzinösen Ovarialkarzinom, das im November 2012 diagnostiziert wurde und an dessen Folgen sie schließlich verstarb.

Von Januar 2014 bis März 2014 wurde C. A. mittels Chemotherapie behandelt, die bösartige Neubildungen im Juni 2014 nicht verhindern konnte. Trotz anschließender mehrfacher operativer und intensivierter chemotherapeutischer Behandlung kam es im Juni 2015 zu bösartigen sekundären Neubildungen.

Im Laufe der Erkrankung hatten Frau C. A. und der Kläger regelmäßig – auch mittels E Mail Kontakt mit dem Mitarbeiter der Beklagten, Herrn D. D., dem Vater einer Freundin der verstorbenen Versicherten.

Unter dem 24. September 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Behandlung mit dem Medikament Keytruda im Wege des Off-Label-Use. Der Antrag ist in der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (Bl. 1-15) enthalten, trägt allerdings keinen Eingangsvermerk.

Die Beklagte holte mehrere Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, die im Ergebnis die beantragte Therapie nicht als zweckmäßig bewerteten. Eine belastbare medizinische Grundlage zur Anwendung von Pembrolizumab (Keytruda) existiere bisher nicht und es seien zugelassene, in der Therapie des vorbehandelten, platin-resistenten Ovarialkarzinoms etablierte Alternativen verfügbar: u.a. Topotecan, Caelyx, Doxorubicin, Treosulfan und Etoposid. Auf dem Gutachten des MDK vom 5. November 2015 ist vermerkt: "Fristablauf 28.10.2015".

Am 8. Oktober 2015 (Bl. 35 der Verwaltungsakte) teilt der Mitarbeiter der Beklagten unter dem Postfach D.D.@xx.aok.de dem Kläger unter seinem Postfach A.A.@gmx.de per Mail mit: "Hallo A., beigefügt schicke ich Dir wie soeben tel. besprochen das Gutachten des MDK in Hessen vom 7. Oktober 2015 im pdf-Format, das uns heute zugegangen ist, zur Information und weiteren Verwendung. Die Aussagen zu den vertraglichen Alternativen stehen auf den Seiten 3 (unten) und 4 (oben). Bei Fragen kannst Du Dich jederzeit bei mir melden."

Am 30. Oktober 2015 begann Frau C. A. die Therapie mit dem Medikament Keytruda. Hierfür wendete sie insgesamt 8.620,08 EUR auf (Rechnung des DRK-Manniske-Krankenhauses Bad Frankenhausen vom 2. Dezember 2015 i.H.v. 4.248,30 EUR und Rechnung des Klinikums Darmstadt vom 29. Dezember 2015 i.H.v. 4.371,78 EUR).

Mit Bescheid vom 9. November 2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das Medikament Keytruda ab. Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf die eingeholten Gutachten des MDK. Es seien zugelassene Therapiealternativen vorhanden. Zudem sei die Aussicht eines Behandlungserfolgs mit Keytruda unzureichend belegt.

Hiergegen legte die Versicherte am 23. November 2015 anwaltlich vertreten Widerspruch ein und legte zur Begründung weitere medizinische Unterlagen zum Nachweis der Wirksamkeit des Medikaments Keytruda vor.

Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK ein, das im Ergebnis die Vorgutachten bestätigte.

Am xx. xxx 2015 verstarb C. A. Ausweislich des Erbscheins vom 13. April 2016 des Amtsgerichts Darmstadt ist der Kläger der Alleinerbe der Versicherten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Versicherten zurück. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) seien nicht gegeben. Die Beklagte habe die beantragte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Es habe kein ausreichender Grund vorgelegen, der eine Therapie mit Keytruda im Off-Label-Use habe rechtfertigen können. Eine Behandlung hätte auch im Rahmen einer vertragsärztlichen Versorgung mit anderen zugelassenen Arzneimitteln durchgeführt werden können. Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V hätten nicht vorgelegen. Der Mitarbeiter der Beklagten D. D. habe die Versicherte mittels dienstlicher E-Mail vom 8. Oktober 2015 gem. § 13 Abs. 3a SGB V hinreichend darauf hingewiesen, dass die Bearbeitungsfrist nicht eingehalten werden könne. Hilfsweise sei die E-Mail vom 8. Oktober 2015 als ablehnender Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung anzusehen.

Am 1. September 2016 hat der Kläger hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Der Kläger behauptet, der Antrag sei der Beklagten am 24. September 2015 per E-Mail vom E-Mail-Postfach A.A.@gmx.de an das E-Mail-Postfach des Mitarbeiters der Beklagten D. D. D.D.@xx.aok.de übersandt worden. Er meint, der Beginn der Therapie liege deshalb nach dem Datum des Eintritts der Genehmigungsfiktion gem. § 13 Abs. 3a SGB V. Er habe auch mittels E-Mail mit der Beklagten korrespondieren dürfen; so habe der Mitarbeiter der Beklagten D. D. mit E-Mail vom 13. Juli 2015 von seinem Postfach D.D.@xx.aok.de an das E-Mail-Postfach der Versicherten E.@gmx.de ein MDK-Gutachten übersandt und angeboten "Für Rückfragen stehe ich Dir jederzeit gerne zur Verfügung". Die Voraussetzung für eine Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3a SGB V seien daher erfüllt.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.8.2016 aufzuheben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten für die von der Versicherten durchgeführten Therapie mit Keytruda in Höhe von 8.620,08 EUR nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe zu erstatten.

Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagtenvertreterin teilt telefonisch im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit, die in der Verwaltungsakte nicht abgelegten E-Mails seien ihr nicht bekannt.

Der Kläger hat einen Ausdruck der E-Mail vom 13. Juli 2015 und der E-Mail vom 24. September 2015 in der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Der Inhalt der E-Mails ist der Beklagtenvertreterin während der mündlichen Verhandlung telefonisch zur Kenntnis gegeben worden.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 09. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2016 war aufzuheben. Die Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hatte einen Anspruch auf Kostenerstattung für die von der Versicherten durchgeführte Therapie mit Keytruda in Höhe von 8.620,08 EUR. Dieser Betrag war in Höhe von 4 Prozent aus 4.248,30 EUR seit 2.6.2016 und aus 4.371,78 EUR seit 29.6.2016 zu verzinsen. Die Beklagte war daher entsprechend zu verurteilen.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 8.620,08 EUR gem. § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Danach haben Leistungsberechtigten einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihnen für eine Selbstbeschaffung nach Ablauf der Frist gem. § 13 Abs. 3a S. 1-6 SGB V entstanden sind gegen ihre Krankenkasse.

Die Frist gem. § 13 Abs. 3a S. 1-6 SGB V war im vorliegenden Fall abgelaufen.

Es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Versicherte die Kostenübernahme für eine Behandlung mit dem Arzneimittel Keytruda am 24. September 2015 beantragt hat. Der Antrag erfolgt mittels E-Mail an das Postfach der Beklagten D.D.@xx.aok.de.

Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass die Versicherte diese E-Mail am 24. September 2015 versandt hat und der Beklagten diese E-Mail am selben Tat zugegangen ist. Gem. § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 371 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) konnte die Kammer sich durch Inaugenscheinnahme des Ausdrucks der E-Mail von deren Existenz überzeugen. Die E-Mail ist ein elektronisches Dokument im Sinne des § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Der Kläger hat die E-Mail in Form ihres Ausdrucks als Augenscheinsurrogat vorgelegt. Der Ausdruck einer elektronischen Datei auf Papier ist kein elektronisches Dokument und grundsätzlich auch keine Urkunde (Feskorn, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Vorbemerkungen zu §§ 415-444, Rn. 5; a.A. Sander, CR 2014, 292, 294), sondern ein Augenscheinobjekt i.S.d. § 371 Abs. 1 Satz 1 ZPO, das in Form eines Augenscheinsurrogats als Beweismittel dienen kann (OLG Thüringen v. 28.11.2018 – 2 U 524/17). Die Urkundseigenschaft ist deshalb nicht gegeben, weil der Ausdruck regelmäßig nicht selbst dazu dient, die in dem elektronischen Dokument verkörperte Gedankenerklärung in den Rechtsverkehr zu bringen, sondern nur eine Information über die elektronische Gedankenerklärung zu erlangen (MüKoZPO/Schreiber, 5. Aufl. 2016, ZPO § 415 Rn. 9). Zweifel daran, dass der Ausdruck den Inhalt der E-Mail vollständig und unverfälscht wiedergibt, hat die Kammer nicht. Die Anlagen zu dieser E Mail findet sich in ausgedruckter Form – allerdings ohne Angaben zum Eingangsdatum inhaltlich passend zu den Anlagenbezeichnungen in dem vorgelegten Ausdruck auf Bl. 1 - 15 der beigezogenen Verwaltungsakte.

Die Kammer ist ferner überzeugt davon, dass die E-Mail vom 24. September 2015 der Beklagten spätestens am 25. September 2015 zugegangen ist. Im elektronischen Rechtsverkehr gilt, dass der tatsächliche Zugang bewirkt ist, wenn das zuzustellende elektronische Dokument in die seinen Machtbereich darstellende Empfangseinrichtung des Adressaten gelangt ist. Hierbei handelt es sich letztlich um das für seinen faktischen Zugriff bereitstehende, nicht unbedingt von ihm technisch kontrollierte oder in seinem physischen Zugriffsbereich liegende, elektronische Postfach des Empfängers (Müller, eJustice-Praxishandbuch, 5. Aufl. 2020, S. 220). Mangels Eingangsdatum in der Verwaltungsakte der Beklagten ist der tatsächliche Eingang der E-Mail bei der Beklagten nicht ohne Weiteres feststellbar. Ohnehin ist aber insoweit unter Beachtung der Nachweissphären fraglich, ob sich die Beklagte auf ein späteres Eingangsdatum berufen kann, wenn sie selbst versäumt hat, den Eingang zu dokumentieren. Es besteht aber unter Beachtung der allgemeinen Lebenserfahrung wohl ohnehin der Beweis des ersten Anscheins, dass eine am 24. September 2015 um 20:22 Uhr versandte E-Mail die Beklagte noch am selben Tag erreichen musste. Ferner ist als Indiz, dass die Beklagte selbst von diesem Zugangsdatum ausging, heranzuziehen, dass im Gutachten des MDK vom 5. November 2015 (Bl. 51 der Verwaltungsakte) als Datum des Fristablaufs der 28. Oktober 2015 genannt war das Datum des Fristablaufs der 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 2. Hs. SGB V der 29. Oktober 2015, §§ 26, 62 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. §§ 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die Versicherte konnte ihren Antrag auch mittels E-Mail an die Beklagte richten. Gem. § 36a Abs. 1 – Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger (hier: die Beklagte) hierfür einen Zugang eröffnet hat. Die Zugangseröffnung setzt sich zusammen aus der technischen Bereitstellung des Zugangs als Vorbereitungsakt und der Widmung dieses Zugangs für die Nutzung im (rechtsverbindlichen) elektronischen Rechtsverkehr (Müller, eJustice-Praxishandbuch, 5. Aufl. 2020, S. 203).

Die technische Bereitstellung des Zugangs ist ausschließlich im Hinblick auf dessen Außenwirkung zu bewerten. Tatsächlich bereitgestellt ist der Zugang, wenn ein elektronisches Postfach oder ein digitales Portal/Formular durch eine andere Person erreichbar oder adressierbar ist. Ob dessen Funktionalität im Übrigen gegeben ist, spielt dagegen keine Rolle, weil dies für den Absender nicht erkennbar ist.

Die Eröffnung dieses Zugangs erfolgt durch Widmung. Die Widmung wiederum ist die Signalisierung der Bereitschaft und Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation gegenüber dem (potentiellen) Kommunikationspartner – ausdrücklich oder konkludent. Ausdrücklich wird der Zugang dadurch eröffnet, dass die Behörde explizit auf die Möglichkeit der rechtsverbindlichen Nutzung eines Kommunikationswegs verweist. Die konkludente Eröffnung eines Zugangs ist dann anzunehmen, wenn die Behörde nach außen die Empfangsbereitschaft für einen tatsächlich eingerichteten technischen Zugang jedenfalls schlüssig signalisiert. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Behörde selbst vorbehaltlos den elektronischen Kommunikationskanal gegenüber dem Bürger nutzt.

So liegt vorliegend der Fall: Die Behörde hat E-Mail-Postfächer für ihre Mitarbeiter mit der Möglichkeit der Kommunikation mit und durch den Bürger technisch bereitgestellt. Hierzu wird die Domäne @xx.aok.de genutzt. Durch die vorbehaltlose Kommunikation des Mitarbeiters der Beklagten D. D. hat die Beklagte diesen Zugang ausdrücklich gewidmet. Die Widmung erfolgte spätestens durch E-Mail des Mitarbeiters D. D. vom 13. Juli 2015, die der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat. Auch insoweit hat die Kammer keine Zweifel daran, dass die E-Mail so wie sie im Ausdruck wiedergegeben wurde, tatsächlich elektronisch versandt worden ist (siehe oben), weshalb sich die Kammer insoweit nicht zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt sah. Die Beklagte hat die Existenz der E-Mail nicht bestritten, vielmehr den Kontakt der Versicherten mit ihrem Mitarbeiter D. D. bestätigt. Einen Vorbehalt, nicht (weiter) und insbesondere rechtsverbindlich mittels E-Mail zu kommunizieren wurde durch die Beklagte nicht ersichtlich erklärt. Im Gegenteil teilte der Mitarbeiter der Beklagten in der vorbezeichneten E-Mail mit "Für Rückfragen stehe ich Dir jederzeit gerne zur Verfügung." Spätestens an dieser Stelle hätte die Beklagte unter Fürsorgegesichtspunkten mitteilen müssen, wenn dies nicht hätte per E-Mail erfolgen sollen.

Im Gegensatz zum elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz ist die E-Mail im elektronischen Rechtsverkehr im Verwaltungsverfahren ein möglicher elektronischer Kommunikationsweg. Im Gegensatz zu § 65a SGG enthält § 36a SGB I keine Aufzählung möglicher Kommunikationswege. Die Eröffnung eines Kommunikationswegs und seine Beschränkung stehen daher im freien Ermessen der Behörde.

Die "einfache" E-Mail war ferner geeignet wirksam als Erstantrag zu dienen. Erstanträge an Behörden unterliegen im Gegensatz zur Erhebung des Widerspruchs nicht der Schriftform, weshalb die Versicherte bei ihrer Antragstellung nicht die zusätzlichen Formanforderungen des § 36a Abs. 2 SGB I einhalten musste.

Datum der Antragstellung war mithin der 24. September 2015. Die 5-Wochen-Frist gem. § 13 Abs. 3a S. 1 2. Hs. SGB V war daher am 29. Oktober 2015 abgelaufen.

Anwendbar war die 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 2. Hs. SGB V. Die 3-Wochen-Frist nach dem 1. Hs. war nicht anwendbar, weil eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt wurde.

Die Frist war auch nicht durch Mitteilung eines hinreichenden Grundes gem. § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V verlängert. Die Mitteilung muss nach dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V schriftlich erfolgen. Die E-Mail des Mitarbeiters D. D. an die Versicherte vom 8. Oktober 2015 (Bl. 35 der Verwaltungsakte) kam daher bereits aus formellen Gründen nicht als Mitteilung gem. § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V in Betracht. Die E-Mail wahrt nicht die gesetzlich angeordnete Schriftform (KassKomm/Schifferdecker, 109. EL Mai 2020, SGB V § 13 Rn. 127). Der bloße E-Mail-Text wahrt nur die sog. Textform. Die Schriftformwahrung setzt dagegen die Einhaltung der zusätzlichen Voraussetzungen des § 36a Abs. 2 SGB I voraus; hier wäre insbesondere zu verlangen gewesen, dass die E Mail qualifiziert elektronisch signiert ist, § 36a Abs. 2 S. 2 SGB I.

Die Beklagte hat den Antrag der Versicherten vom 24. September 2015 auch nicht rechtzeitig beschieden. Insbesondere stellt die E-Mail vom 8. Oktober 2015 keinen Verwaltungsakt dar. Es fehlt ihr an der für einen Verwaltungsakt erforderlichen Regelungscharakter, § 31 S. 1 SGB X. Das Vorhandensein des Regelungswillens bemisst sich danach, wie der Adressat die Maßnahme bei verständiger Würdigung auffassen musste (BeckOK SozR/Heße, 57. Ed. 1.6.2020 Rn. 9, SGB X § 31 Rn. 9). Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, dh, durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat (Schütze/Engelmann, 9. Aufl. 2020, SGB X § 31 Rn. 40 m.w.N.). Ein solcher Erklärungsinhalt ist dieser E-Mail nicht zu entnehmen. Sie diente der Übersendung eines für die Versicherte negativem MDK-Gutachtens "zur Information und zur weiteren Verwendung". Bereits der Wortlaut deutet darauf hin, dass mit der E-Mail keine rechtsverbindliche Ablehnung eines Antrags ausgesprochen wird, sondern die E-Mail eher als unverbindliche Information, ggf. als informell formulierte Anhörung, zu verstehen ist. Für das Verständnis als Anhörung spricht, dass die Beklagte hierzu gem. § 24 Abs. 1 SGB X ohnehin verpflichtet gewesen wäre. Es ist anzunehmen, dass sich die Beklagte ihre Verfahrensweisen darauf ausgerichtet hat, sich rechtmäßig zu verhalten und deshalb grundsätzlich eine Anhörung vor dem Erlass eines ablehnenden Verwaltungsakts vorsieht. Unabhängig davon spricht aber dafür, dass die E-Mail kein Verwaltungsakt war auch, dass selbst die Beklagte nicht hiervon ausging, denn sie hat den Antrag durch Bescheid vom 9. November 2015 schriftlich und förmlich entschieden. Ferner war der Mitarbeiter D. D. nach Auskunft der Beklagten für die Bescheidung des Antrags innerorganisatorisch unzuständig und fungierte nur zur Kommunikation mit der ihm bekannten Versicherten; dieser Umstand war sowohl der Beklagten als auch der Versicherten bekannt, weshalb nach dem Empfängerhorizont der Versicherten eine Bescheidung ihres Antrags durch den Mitarbeiter D. D. nicht zu erwarten war.

Die inhaltlichen Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V sind ferner gegeben.

Gem. Abs. 3a Satz 6 gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt, wenn keine Mitteilung nach Satz 5 erfolgt ist oder hinreichende Gründe nicht vorlagen. Da auch die Leistungserbringer an das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V gebunden sind, ist trotz der Genehmigungsfiktion (grundsätzlich) ausgeschlossen, dass die Krankenkasse eine medizinisch nicht erforderliche Behandlung bezahlen muss. Voraussetzung um eine Genehmigungsfiktion bei nicht fristgerechter Entscheidung über beantragte Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung auszulösen ist deshalb, dass die beantragte Leistung subjektiv erforderlich sein muss (Müller, Basiswissen Gesetzliche Krankenversicherung, S. 78 f.). Das ist bereits dann gegeben, wenn die Leistungen nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen liegen und im konkreten Einzelfall subjektiv zweckmäßig sind. Erbringt ein Leistungserbringer aber die Leistung, kann die Krankenkasse dem Versicherten gegenüber nicht einwenden, die Leistung sei nicht erforderlich oder wirtschaftlich im engeren Sinne gewesen. Damit soll die Regelung es einerseits dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen.

Im vorliegenden Fall ist die Leistung – die Therapie mittels Keytruda im Off-Label-Use - durch einen ärztlichen Leistungserbringer erbracht worden. Die Leistung befand sich nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung, was bereits daraus ersichtlich ist, dass die Beklagte es als erforderlich angesehen hat, mehrere Gutachten des MDK zur Frage der Zweckmäßigkeit einzuholen. Im konkreten Fall der Klägerin war jedenfalls von einer subjektiven Zweckmäßigkeit der Leistung auszugehen, ohne dass die Kammer sich gedrängt sehen musste, zur objektiven Zweckmäßigkeit Beweis zu erheben, weil die behandelnden Ärzte den aus ihrer Sicht bestehenden potentiellen Nutzen im Rahmen der Behandlung der Versicherten ausführlich dargelegt haben.

Die Versicherte hat sich die Leistung ferner erst nach Ablauf der 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a SGB V selbst beschafft. Die 5-Wochen-Frist ist wie oben dargelegt am 29. Oktober 2015 abgelaufen. Die Selbstbeschaffung der Leistung erfolgte am 30. Oktober 2020.

Dem Kläger als Rechtsnachfolger der Versicherten sind gem. § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V die durch die Selbstbeschaffung entstanden Kosten zu erstatten. Die Versicherte hat insgesamt 8.620,08 EUR für die Selbstbeschaffung aufgewendet (Rechnung des DRK-Manniske-Krankenhauses Bad Frankenhausen vom 2. Dezember 2015 i.H.v. 4.248,30 EUR und Rechnung des Klinikums Darmstadt vom 29. Dezember 2015 i.H.v. 4.371,78 EUR).

Der Kostenerstattungsanspruch war gem. § 44 SGB I zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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