L 17 U 735/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 120/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 735/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.10.2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 04.03.2010 gewährten Verletztengeldes.

Der am 00.00.1968 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur und war zuletzt bei der Firma P Antriebstechnik als Projektleiter im Bereich Konstruktion und Entwicklung tätig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Arbeitsplatzbeschreibungen vom 20.04.2012 und 21.09.2012 (Bl. 1004 und 1192 ff. der Verwaltungsakte) Bezug genommen. Er erlitt am 04.03.2010 einen von der Beklagten anerkannten Impfschaden in Form eines Guillain-Barre-Syndroms (GBS) durch eine betrieblich erforderliche Impfung. Nach einem auch stationären Heilverfahren ließ die Beklagte den Kläger durch Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. I, Uniklinik X (Gutachten vom 16.06.2010), und durch Dr. I1, Praxis für Impfstoffsicherheit, X1 (Gutachten vom 06.10.2010), begutachten. Beide Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass das GBS durch die Impfungen entstanden sei. Prof. Dr. Dr. I nahm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. an.

Mit Schreiben vom 19.10.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie von einem Zusammenhang zwischen den Impfungen und dem GBS ausgehe, ihre Zuständigkeit grundsätzlich anerkennende, entsprechende Kosten übernehme und die Krankenversicherung angewiesen habe, Verletztengeld zu leisten. Die Feststellung einer Verletztenrente könne allerdings erst nach Wegfall des Verletztengeldes vorgenommen werden.

Ab August 2010 erfolgte eine Arbeits- und Belastungserprobung, anfangs mit einer täglich zweistündigen Belastung, die schrittweise bis Juli 2011 auf fünf Stunden erhöht wurde. Ab November 2011 wurde die Belastung auf vier Stunden täglich gesenkt. Dieser Prozess wurde von dem behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. Q begleitet. In den Wiedereingliederungsplänen gab Dr. Q jeweils an, der Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit sei z. Zt. nicht absehbar. Ab dem 17.05.2013 wurde der Kläger von Dr. Q wegen des GBS als vollständig arbeitsunfähig angesehen. Die Arbeits- und Belastungserprobung wurde ausgesetzt. Wegen des Behandlungsverlaufs bei Dr. Q wird auf den Arztbericht vom 21.06.2013 (Bl. 1655 der Verwaltungsakte) Bezug genommen.

Die Beklagte ließ den Kläger in der neurologischen Klinik und Poliklinik C von Professor Dr. U am 19.7.2011 untersuchen und gewährte ihm eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der T Klinik, I2, ab dem 31.08.2011. Am 21.09.2011 brach der Kläger die Maßnahme ab. Gegenüber dem zuständigen Berufshelfer der Beklagten gab der Kläger an, dass es im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme zu einer Verschlechterung des Leidens gekommen sei und er deshalb die Maßnahme abgebrochen habe. Zudem teilte der Kläger mit, dass die Arbeits- und Belastungserprobung bis zu 4 Stunden überwiegend gut verlaufen sei. Ab 5 Stunden sei die Belastung grenzwertig (Berufshelferbericht vom 13.10.2011).

Mit Bescheid vom 17.10.2011 gewährte die Beklagte dem Kläger weiterhin Verletztengeld, wobei sie ausführte, dass nach aktueller Einschätzung die medizinische Rehabilitation nach weiteren Behandlungsmaßnahmen in Form von Arbeitstherapie und Belastungserprobung voraussichtlich mit Arbeitsfähigkeit abgeschlossen werden könne.

Am 26.06.2012 stellte sich der Kläger erneut bei Prof. Dr. U vor, welcher eine stationäre Aufnahme zur Abklärung des weiteren Heilverfahrens und Klärung der Arbeitsfähigkeit empfahl, zu der es aber wegen Vorbehalten des Klägers nicht kam.

Die Beklagte ließ den Kläger durch die von diesem benannten Ärzte Dr. B und Prof. Dr. H untersuchen und begutachten. Der Unfallchirurg und Sozialmediziner Dr. B kam in seinem Gutachten vom 21.11.2012 zu dem Ergebnis, dass mit einer Besserung des Leistungsvermögens zu rechnen sei. Die Frage nach einer konkreten beruflichen Rehabilitation ließ er offen. In seinem Gutachten vom 12.02.2013 gelangte Prof. Dr. H, Neurologische Klinik in C, nach einer stationären Aufnahme des Klägers vom 21.01. bis 23.01.2013 zu dem Ergebnis, dass derzeit nicht einzuschätzen sei, wann der Kläger seine bisherige Tätigkeit wieder voll aufnehmen könne. Das Fatigue-Syndrom könne auch über 10 Jahre nach einem durchlittenen GBS persistieren. Über eine berufliche Rehabilitation solle nach der medizinischen Rehabilitation entschieden werden. Derzeit sei keine berufliche Rehabilitation angezeigt. Es wurde allerdings eine medizinische Rehabilitation in der T Klinik in L empfohlen. Auf eine Rückfrage der Beklagten beim Gutachter, ob in absehbarer Zeit von dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit auszugehen sei, antwortete dieser lediglich mit "ja" (Eingang der Stellungnahme bei der Beklagten am 30.04.2013). Am Ende der Stellungnahme teilte der Gutachter mit, dass eine erneute Begutachtung in 18 Monaten vorgeschlagen werde, da sich im Längsschnitt besser die prognostische Abschätzung treffen lasse, ob eine volle Arbeitsfähigkeit in nachfolgenden Jahren zu erwarten sei.

Die vom Sachverständigen vorgeschlagene medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der T Klinik L erfolgte aufgrund von Vorbehalten des Klägers nicht.

Mit Schreiben vom 28.06.2013 beantragte der Kläger, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) festgesetzt und die Rente nachgezahlt werden solle. Zudem teilte er mit, dass er sich selbst nach einer geeigneten Reha-Klinik umschauen werde.

Mit Schriftsatz vom 21.08.2013 beantragte der Kläger abermals die Feststellung der Verletztenrente. Es sei von der von Dr. I vorgeschlagenen MdE i.H.v. 100 v.H. auszugehen. Zudem wies der Kläger darauf hin, dass er aufgrund seiner schwerwiegenden Erkrankungen keineswegs in der Lage sei, am gesamten Wirtschaftsleben teilzunehmen. Vielmehr gelinge es ihm mit großer Anstrengung, lediglich vier Stunden täglich zu arbeiten, wobei von einem normalen Arbeitstag aufgrund der damit verbundenen Schmerzen nicht die Rede sein könne. Derzeit sei er wieder über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt. Daher sei die vom Gutachter vorgeschlagene MdE i.H.v. 100 v.H. auch nachvollziehbar.

Nach Anhörung erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid vom 01.10.2013, mit dem sie die Einstellung des Verletztengeldes mit Ablauf des 10.10.2013 mitteilte. Zur Begründung führte sie aus, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht mehr zu rechnen sei und keine innerbetriebliche Umsetzungsmöglichkeit bestünde. Zu dieser Auffassung sei sie unter Auswertung der Angaben des Klägers, der behandelnde Ärzte und des eingeschalteten Gutachters gelangt. Es bestünden auch keine Fördermöglichkeiten im Rahmen einer beruflichen Reha, da der Kläger nur maximal fünf Stunden arbeitsfähig sei.

Den gegen den Bescheid ohne Begründung eingelegten Widerspruch vom 04.11.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 unter Vertiefung der bisherigen Begründung zurück.

Am 17.02.2014 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Zahlung des Verletztengeldes habe nicht eingestellt werden dürfen.

Der Kläger hat beantragt,

das Gutachten nach § 109 SGG von Herrn Dr. K noch einzuholen, hilfsweise den Bescheid vom 01.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf die Begründungen in den angefochtenen Entscheidungen berufen.

Mit Urteil vom 22.10.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die isolierte Anfechtungsklage sei zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte habe zu Recht das Verletztengeld mit Ablauf des 10.10.2013 entzogen. Das SG hat unter Darlegung der gesetzlichen Voraussetzungen ausgeführt, unproblematisch seien der Ablauf der 78. Woche der Arbeitsunfähigkeit und das Ende der stationären Behandlung zum Einstellungszeitpunkt erfüllt. Bei dem Kläger sei auch die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung am 01.10.2013 nicht abzusehen gewesen. Selbst wenn man mit einigen Obergerichten von einer vollständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit der von der Beklagten getroffenen Prognoseentscheidung ausgehe, sei diese rechtmäßig erfolgt. Auch wenn man sich der Auffassung, dass der Ablauf der 78. Woche der Arbeitsunfähigkeit bereits ein Indiz dafür darstelle, dass mit einem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht mehr zeitnah zu rechnen sei, nicht anschließe, so sei doch vorliegend bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Jahren von einem solchen Indiz auszugehen, zumal in den drei Jahren Arbeitsunfähigkeit fast drei Jahre eine Arbeits- und Belastungserprobung durchgeführt worden sei, die zu keiner auch nur vorübergehenden Arbeitsfähigkeit geführt habe. Für die Prognoseentscheidung der Beklagten spreche auch, dass der Kläger selbst durch seinen Bevollmächtigten angegeben habe, dass er lediglich vier Stunden täglich habe arbeiten können, wobei das Tätigwerden einem normalen Arbeitsalltag nicht entsprochen habe. Allerdings komme es nicht allein auf die Sichtweise des Versicherten an. Doch auch nach den weiteren Umständen sei ein Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht abzusehen gewesen. So habe Prof. Dr. H ausgeführt, dass zum Begutachtungszeitpunkt im Januar 2013 nicht konkret habe gesagt werden können, wann mit der Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit in vollem Umfang zu rechnen sei. Das Fatigue-Syndrom könne auch über zehn Jahre nach einem durchlittenen GBS persistieren. Zwar habe Prof. Dr. H in der anschließenden Stellungnahme auch angegeben, dass von einem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit wieder auszugehen sei. Allerdings habe er diese Aussage nicht begründet und sie am Ende der Stellungnahme durch den Hinweis relativiert, dass eine weitere Begutachtung nach 18 Monaten erfolgen solle, weil sich im Längsschnitt besser die prognostische Abschätzung treffen lasse, ob eine volle Arbeitsfähigkeit in den nachfolgenden Jahren zu erwarten sei. Bei dieser Aussage sei schon der vorgeschlagene lange Zeitablauf von 18 Monaten (= 78 Wochen) bis zu einer erneuten Begutachtung problematisch. Letztlich habe er zudem ausgesagt, dass die Arbeitsfähigkeit auch noch nach Jahren gänzlich ausbleiben könne. Eine relevante Prognose zu Gunsten der Arbeitsfähigkeit lasse sich damit nicht begründen. Letztlich sprächen aber auch die Einschätzungen der behandelnden Ärzte gegen eine absehbare Arbeitsfähigkeit. Denn die Ärzte, die die Arbeits- und Belastungserprobung über einen sehr langen Zeitraum begleitet hätten, hätten eine Belastbarkeit von über fünf Stunden nicht bescheinigen können. Vielmehr habe die Belastung von fünf Stunden sogar wieder auf vier Stunden abgesenkt und zuletzt für eine längere Zeit eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden müssen. Es seien zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung auch keine Teilhabeleistungen zu erbringen gewesen. Solche Teilhabeleistungen müssten zum Entscheidungszeitpunkt hinreichend konkret sein und nach überwiegender Auffassung in der Literatur einen Übergangsgeldanspruch im Sinne des § 49 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) begründen. Nicht alle Teilhabeleistungen lösten diesen Übergangsgeldanspruch aus. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung und auf nicht konkret absehbare Zeit rehabilitationsunfähig für solche Leistungen, die einen Übergangsgeldanspruch im Sinne des § 49 SGB VII auslösten, gewesen. Denn er sei über fünf Stunden täglich nicht belastbar gewesen. Konkrete Teilhabeleistungen hätten, unabhängig von der Frage nach der Leistung von Übergangsgeld, nicht im Raum gestanden. In der Verwaltungsentscheidung sei die Prognoseentscheidung auch ausreichend begründet worden. Die Beklagte habe die Grundlagen ihrer Entscheidung hinreichend ausgedrückt. Sie habe auf die Angaben des Klägers selbst, die behandelnden Ärzte und den von ihr hinzugezogenen Gutachter verwiesen. Bei der Eindeutigkeit der Sachlage und den umfangreichen Ausführungen des Klägers selbst seien ausführlichere Ausführungen von ihr nicht notwendigerweise zu erbringen, da dies lediglich einen Formalismus dargestellt hätte. Weitere Ermittlungen nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien wegen Verzögerung des Rechtsstreits und des Vorliegens grober Nachlässigkeit abzulehnen.

Gegen das ihm am 06.11.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.12.2015 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.10.2015 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 01.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Der Kläger halte sich selbst aufgrund der noch festzustellenden Unfallfolgen nicht mehr für arbeitsfähig und rehabilitationsfähig, wie seinen Schreiben zu entnehmen sei.

Die Beklagte hat ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. L1 vom 31.08.2016, erstellt im Verfahren betreffend die Gewährung einer Verletztenrente, übersandt sowie einen Bescheid vom 27.09.2016, mit welchen sie die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls abgelehnt hat. Unfallbedingte Funktionseinschränkungen könnten nach dem Ergebnis der Begutachtung des Dr. L1 nicht festgestellt werden.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten von der Neurologin und Psychiaterin Dr. L2 aus T1 eingeholt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 14.03.2017, erstellt nach neurologisch-psychiatrischer Untersuchung des Klägers am 11.03.2017, ausgeführt, der Kläger leide Unfallbedingt an einem GBS, einem chronischen Fatique-Syndrom und chronifiziertem Schmerz. Eine unfallbedingt richtunggebende Verschlimmerung habe sich bei dem Krankheitsbild Migränekopfschmerz ergeben. Eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers in seinem Beruf als Diplom-Ingenieur bestehe seit dem Zeitpunkt des Unfalls vom 04.03.2010. Aufgrund der bereits von den Voruntersuchern (Prof. H) erfassten kognitiven Einbußen sei der Kläger den hohen Anforderungen einer Tätigkeit als Dipl.-Ing nicht mehr gewachsen. Bei fortlaufender Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen sei die Prognose im Hinblick auf den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit in seinem bisherigen Beruf als Dipl.-Ing mit hoher Verantwortung und Kreativität, Präzision, ggf. auch mit Auslandsaufenthalten, am 01.10.2013 ungewiss.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 01.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2014 nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Beklagte hat die Verletztengeldzahlung zu Recht mit Ablauf des 10.10.2013 eingestellt. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verletztengeld bestand nach diesem Zeitpunkt nicht.

Verletztengeld wird insbesondere erbracht, wenn ein Versicherter infolge eines Versicherungsfalles arbeitsunfähig ist, unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitseinkommen hatte (§ 45 Abs. 1 SGB VII) und kein Beendigungstatbestand iS des § 46 Abs. 3 SGB VII vorliegt. Außerdem besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf sog. Übergangs-Verletztengeld, wenn Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sind (§ 45 Abs. 2 SGB VII).

Die Anspruchsvoraussetzungen lagen nach dem 10.10.2013 nicht vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat zu diesem Komplex zunächst auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten der Dr. L2 ergibt sich nichts anderes.

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Entzugs des Verletztengeldes arbeitsunfähig. Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 31/06 R -, SozR 4-2700 § 46 Nr 3, Rn. 12). Dies ergibt sich für den Kläger bereits aus den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seines behandelnden Arztes und wird im Gutachten von Dr. L2 bestätigt.

Ein Beendigungstatbestand i.S.v. § 46 Abs. 3 S. 2 SGB VII liegt vor. Das Verletztengeld endet nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und berufsfördernde Leistungen bzw. seit dem 1. Juli 2001 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind,

1. mit dem Tag, an dem die Heilbehandlung soweit abgeschlossen ist, dass der Versicherte eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen kann,

2. mit Beginn der in § 50 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) genannten Leistungen (zB Renten wegen voller Erwerbsminderung, Vollrente wegen Alters), es sei denn, dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehen,

3. im Übrigen mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung.

Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII sind auch nach dem Ergebnis der Begutachtung der Dr. L2 gegeben. Mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit war zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014) nicht zu rechnen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben waren, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht zu erbringen. Die 78. Woche ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit war bereits überschritten, die stationäre Behandlung beendet.

Mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 46 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 SGB VII ist nicht zu rechnen, wenn der Versicherte infolge seiner Gesundheitsstörung aller Voraussicht nach für 78 Wochen (vgl. Urteil des BSG vom 13.09.2005, Az. B 2 U 4/04 R, Rn. 41 - zitiert nach juris; LSG BW, Urteil vom 18.01.2016, L 1 U 4104/14, Rn. 55 ff. - zitiert nach juris) seine bisherige oder eine ihm verweisbare Tätigkeit nicht mehr aufnehmen kann. Lässt sich die Arbeitsfähigkeit nicht wiederherstellen, kommt es ferner darauf an, dass der Versicherte auch mittels Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht in das Erwerbsleben eingegliedert werden kann (§ 46 Abs. 3 Satz 2, 2. Alt. SGB VII). Diese beiden Faktoren bedingen eine Prognose des Unfallversicherungsträgers, d.h. anhand sämtlicher Umstände ist vorausschauend zu beurteilen, ob der Versicherte weder medizinisch noch beruflich rehabilitiert werden kann. Die zukunftsorientierte Einschätzung des Unfallversicherungsträgers kann nicht vom Gericht ersetzt werden (BSG, aaO). Sie unterliegt aber insoweit einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, als zu prüfen ist, ob sich aufgrund der Sach- und Rechtslage zur Zeit des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens die Prognose als richtig darstellt und ob der festgestellte Sachverhalt den Schluss auf die hypothetische Tatsache erlaubt (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. § 128 Rn. 9f).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben kann auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren nicht festgestellt werden, dass die Prognoseentscheidung der Beklagten fehlerhaft erfolgt ist. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, erscheint die Prognose der Beklagten aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von Dr. H, der Rückmeldungen des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. Q sowie des Schreibens des Klägerbevollmächtigten vom 21.08.2013 vielmehr als zutreffend. Der Kläger hat fast drei Jahre an einer Wiedereingliederung teilgenommen, ohne jemals volle Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen, ab Mai 2013 war er vollständig arbeitsunfähig. Der Kläger hat zudem mehrfach, insbesondere im Schreiben vom 21.08.2013 deutlich gemacht, sich auf unabsehbare Zeit für arbeitsunfähig zu halten. Diese Einschätzung hat die Sachverständige Dr. L2 in ihrem Gutachten bestätigt, indem sie ausführt, die Prognose im Hinblick auf den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit in dem bisherigen Beruf als Diplom-Ingenieur mit hoher Verantwortung und Kreativität, Präzision, ggf. auch mit Auslandsaufenthalten am 1.10.2013 sei ungewiss. Diese Einschätzung ist anhand der von der Sachverständigen festgestellten bis dato nicht reversiblen Schädigung des peripheren und zentralen Nervensystems mit motorischen Ausfallerscheinungen im Rahmen der Grunderkrankung des postvakzinalen GBS sowie Ausbildung eines chronischen Schmerzsyndroms mit Dysästhesien im Versorgungsbereich sensibler Äste der peripheren Nervensystems und Entstehen eines chronischen Fatigue-Syndroms mit deutlicher Reduktion des vitalen Niveaus, Einschränkung von Belastbarkeit und Leistungsbreite sowie erheblichen kognitiven Einbußen auch nachvollziehbar.

Selbst wenn man den Ausführungen der Dr. L2 im Hinblick auf das von der Beklagten vorgelegte Gutachten des Dr. L1 nicht folgt, vermag dies einen Anspruch des Klägers nicht zu begründen. Soweit Dr. L1 meint, es lägen auf neurologischem Fachgebiet keine funktionell relevanten Unfallfolgen mehr vor, wäre unter Zugrundelegung dieser Feststellungen der Anspruch des Klägers wegen Wegfalls der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit entfallen (Beendigungstatbestand des § 46 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VII). Im Übrigen verhält sich das Gutachten des Dr. L1 zu der Situation im Zeitpunkt der hier streitigen Prognoseentscheidung nicht, so dass es für eine Begründung des klägerischen Anspruchs nicht herangezogen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Anlass zur Revisionszulassung besteht nicht, da die gemäß § 160 Abs. 2 SGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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