L 1 KR 146/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 KR 172/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 146/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherte im ambulant betreuten Wohnen haben keinen Anspruch auf Leistungen der (einfachen) Behandlungspflege, wenn diese bereits Gegenstand bewilligter Eingliederungshilfe sind.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. März 2018 geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Freistellung von Kosten der häuslichen Krankenpflege in der Form der Medikamentengabe.

Die 1980 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie leidet an Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen sowie an Bluthochdruck und hat eine (Berufs-)Betreuerin. Bis zum 15. Juli 2016 war sie in einer stationären Einrichtung der Beigeladenen zu 2) untergebracht. Seit dem 16. Juli 2016 lebte sie in einer Wohnung, die ihr zunächst von der Beigeladenen zu 2) untervermietet worden war und die sie dann ab dem 1. Oktober 2016 als Hauptmieterin übernahm. Der Beigeladene zu 1) gewährte ihr durch Bescheid vom 5. September 2016 Leistungen der Eingliederungshilfe für den Zeitraum vom 16. Juli 2016 bis 30. Juni 2017 im Umfang von 18 Fachleistungsstunden monatlich gemäß gültiger Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zwischen dem örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Leistungserbringer. Leistungserbringer der Eingliederungshilfe für die Klägerin war die Beigeladene zu 2).

Der behandelnde Arzt Dr. Z hatte der Klägerin am 19. Juli 2016 als Leistung der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 19. Juli 2016 bis zum 15. August 2016 1mal in der Woche die Herrichtung einer Medikamentenbox verordnet; als Leistungserbringer meldete sich die Beigeladene zu 2) bei der Beklagten. Die von Dr. Z ausgestellte Folgeverordnung vom 16. August 2016 betraf die Herrichtung der Medikamente in der Wochenbox für die Zeit vom 16. August 2016 bis 30. September 2016.

Die Beklagte lehnte durch Bescheide vom 31. August 2016 die Übernahme der Kosten für die häusliche Krankenpflege ab. Die Klägerin erhalte Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Einfachste behandlungspflegerische Maßnahmen gehörten zu den Aufgaben der Eingliederungshilfe. Da der Pflegedienst der Beigeladenen zu 2) die Leistung aber erbracht habe, würden die Kosten bis zum 4. September 2016 übernommen.

Für die Klägerin legte ihre Betreuerin Widerspruch ein und verwies darauf, dass am 15. Juli 2016 ein Wechsel aus dem teilstationären in den ambulanten Bereich stattgefunden habe. Es sei unverantwortlich, die Behandlungspflege nicht weiter durch medizinisches Personal zu erbringen.

Der behandelnde Arzt Dr. Z verordnete am 5. September 2016 erneut häusliche Krankenpflege im bisherigen Umfang für die Zeit vom 5. September 2016 bis zum 30. September 2016, Leistungserbringer sollte wieder die Beigeladene zu 2) sein. Durch Bescheid vom 20. September 2016 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten mit Hinweis auf die von der Beigeladenen zu 1) gewährte Eingliederungshilfe ab. Auch dagegen erhob die Klägerin Widerspruch.

Durch Widerspruchsbescheid vom 26. April 2017 wies die Beklagte die Widersprüche gegen ihre Bescheide vom 31. August 2016 und 20. September 2016 zurück. Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urt. v. 25. Februar 2015) hätten Versicherte, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, keinen Anspruch auf Leistungen der "einfachsten" Behandlungspflege. Da der Vermieter der Wohnung identisch mit dem Leistungserbringer der Eingliederungshilfe sei, werde unterstellt, dass die Klägerin in einer mit einer stationären Einrichtung gleichzusetzenden Wohnform gelebt habe. Das Richten der Medikamente stehe einer allgemeinen Betreuungsleistung gleich und erfordere keine besonderen medizinischen Kenntnisse. Eine Hilfestellung beim Richten der Medikamente gehöre zu den Aufgaben der Eingliederungshilfe.

Am 26. September 2016 hatte der behandelnde Arzt weitere häusliche Krankenpflege im bisherigen Umfang für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Dezember 2016 und am 13. Dezember 2016 für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 30. Juni 2017 verordnet. Als Leistungserbringer hatte sich wieder die Beigeladene zu 2) bei der Beklagten gemeldet. Durch Bescheide vom 6. Oktober 2016 und 23. Dezember 2016 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten aus denselben Gründen wie in den Bescheiden vom 31. August 2016 ab.

Die Betreuerin der Klägerin erhob gegen beide Bescheide Widerspruch, die von der Beklagten mit (weiterem) Widerspruchsbescheid vom 26. April 2017 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wiederholte die Beklagte im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem ersten Widerspruchsbescheid vom 26. April 2017. Der Untermietvertrag mit der Beigeladenen zu 2) sei beendet worden und die Klägerin habe einen Mietvertrag direkt mit der Wohnungsbaugesellschaft geschlossen, ohne dass sich die Verhältnisse sonst geändert hätten. Deswegen werde weiter davon ausgegangen, dass es sich um eine betreute Wohnform handele.

Gegen beide Widerspruchsbescheide vom 26. April 2017 richtet sich die am 19. Mai 2017 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangene Klage, mit der zunächst die Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme begehrt worden ist. Die Klägerin hat im Klageverfahren Rechnungen der Beigeladenen zu 2) vom 6. November 2017 für Behandlungspflegeleistungen im Zeitraum vom 1. September 2016 bis zum 30. Juni 2017 über monatlich jeweils 33,60 EUR bzw. 42,00 EUR (Mai 2017) vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Beklagte am 14. März 2018 unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Klägerin von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 1. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017 freizustellen. Die Klägerin wohne an einem geeigneten Ort für die Erbringung von Behandlungspflege. Für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 30. Juni 2017 habe die Beklagte zu Unrecht eine Leistung abgelehnt. Die Unterstützung bei der Einnahme ärztlich verordneter Medikamente sei ein typisches Beispiel für die Behandlungssicherungspflege. Das Bundessozialgericht habe sich bei seinen Entscheidungen vom 15. Februar 2015 auf Einrichtungen der Eingliederungshilfe bezogen, nicht auf einen eigenen Haushalt. Die Klägerin lebe seit dem 1. Oktober 2016 in einer eigenen Wohnung. Ihr Vermieter sei eine Wohnungsbaugesellschaft; in dem Mietvertrag seien keine Betreuungsleistungen oder ähnliches geregelt. Die von der Beigeladenen zu 1) gewährte Eingliederungshilfe habe als Betreuungsziele Kontrolle und Hilfe bei der Wäschepflege, Einkaufsplanung und Essenszubereitung, Begleitung auf unbekannten Wegstrecken und Bewältigung von Konflikten. Ergänzend verweise der Bewilligungsbescheid auf die zwischen den Beigeladenen zu 1) und 2) geschlossene Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII. Weder aus dem Bescheid noch aus der Vereinbarung würde sich ergeben, dass Behandlungspflegeleistungen umfasst seien, auch wenn sie lediglich das Richten von Medikamenten beinhalten würden. Es werde davon ausgegangen, dass der Klägerin für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien. Soweit ein Versicherter eine Vergütung für in Anspruch genommene Leistungen noch nicht gezahlt habe, habe er statt des Kostenerstattungsanspruchs einen Kostenfreistellungsanspruch. Vorliegend seien Rechnungen noch nicht bezahlt worden und die Beigeladene zu 2) habe den ausstehenden Betrag gestundet. Grundlage der Zahlungsverpflichtung der Klägerin sei eine mündliche Vereinbarung zwischen ihrer Betreuerin und der Beigeladenen zu 2) gewesen. Die Betreuerin der Klägerin sei eine Berufsbetreuerin, die in vielen Fällen mit der Beigeladenen zu 2) zusammenarbeite. Deswegen sei das Vorbringen zum Abschluss einer mündlichen Vereinbarung glaubhaft, wonach eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin auch für den Fall bestehen sollte, dass die Beklagte nicht leistungspflichtig wäre. Für die Zeit vor dem 1. Oktober 2016 sei die Kostenübernahme dagegen nicht zu Unrecht abgelehnt worden.

Gegen das ihr am 4. April 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Mai 2018 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene vom Sozialgericht ausdrücklich zugelassene Berufung der Beklagten. Die Zulässigkeit der Klage sei zweifelhaft, weil eine Beschwer der Klägerin nicht bewiesen sei. Die nachträgliche Rechnungslegung sowie der Vortrag zum mündlichen Abschluss eines Pflegevertrags überzeugten nicht. Der Erklärung der Beigeladenen zu 2) im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht zu einer Abrede des Inhalts, dass die Pflegeleistung auch nach der ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse weiter erbracht, ihre Bezahlung jedoch gestundet werde, sei in Bezug auf die beteiligten Parteien nicht eindeutig. Die Betreuerin der Klägerin habe angegeben, dass sie den Pflegedienst mit der Leistung beauftragt habe, die Beigeladene zu 2) habe dagegen vorgetragen, dass sie beauftragt worden sei. Das Sozialgericht habe versäumt, zwischen dem Betreuungsdienst als Leistungserbringer der Eingliederungshilfe und dem Pflegedienst als Leistungserbringer der häuslichen Krankenpflege zu differenzieren. Die Klage sei zudem unbegründet, da der Beigeladene zu 1) vorrangig leistungspflichtig im Rahmen der Eingliederungshilfe sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urt. v. 25. Februar 2015 und 22. April 2015 - B 3 KR 11/14 R, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 16/14 R) seien betreute Wohnformen nur dann geeignete Orte für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege, wenn der Versicherte nicht bereits einen entsprechenden Anspruch gegen seine Einrichtung habe. Einfachste medizinische Maßnahmen, insbesondere die Medikamentengabe, gehörten regelmäßig zu den Aufgaben der stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Das gelte nach dem BSG auch für ambulant betreute Wohnformen, in denen vergleichbare Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht werden. Entscheidend sei insoweit, ob die Behandlungspflege nach Art und Umfang zu den im betreuten Wohnen zu erbringenden Leistungen gehöre. Für einen engen Bezug des Herrichtens von Medikamenten zur Eingliederungshilfe spreche hier, dass die Leistungen einer allgemeinen Betreuungsleistung gleichstehen würden und keine besonderen medizinischen Kenntnisse verlangten. Die Beigeladene zu 2) habe sich gegenüber den Trägern der Sozialhilfe verpflichtet, qualifiziertes und geeignetes Personal vorzuhalten, insbesondere Erzieher, Heilpädagogen, Heilerziehungspfleger und Sozialarbeiter/Sozialpädagogen zu beschäftigen. Es sei nicht erkennbar, dass diese Mitarbeiter nicht in der Lage sein sollten, einmal in der Woche zwei Medikamente in einer Medikamentenbox zu richten. Bei der Einrichtung handele es sich um einen Dienst, der auf die speziellen Bedürfnisse behinderter Menschen zugeschnitten sei. Das ergebe sich sowohl aus dem Internetauftritt der Beigeladenen zu 2) als auch aus den vertraglichen Vereinbarungen. Die zu erbringenden Leistungen erfassten auch die Befähigung des behinderten Menschen zur Mitwirkung im therapeutisch-medizinischen Behandlungsprozess, was auch Unterstützungsleistungen im Bereich der Medikamenteneinnahme umfasse. Das Herrichten der Wochenbox sei untrennbarer Bestandteil der Eingliederungshilfe. Hinzu komme, dass das nur einmal wöchentliche Stellen der Medikamente innerhalb von wenigen Minuten zu erledigen sei und nur einen geringen Teil der bewilligten Eingliederungshilfe im Umfang von 18 Stunden monatlich beanspruche.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. März 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts vollumfänglich für zutreffend.

Der Beigeladene zu 1) meint, dass es sich bei dem Richten der Medikamente nicht um einfache pflegerische Maßnahmen handele, die von Laien ohne medizinische Vorkenntnisse erbracht werden könnten. Die Klägerin habe auch nach dem 1. Oktober 2016 in einen eigenen Haushalt gelebt. Die bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe würden Maßnahmen der Behandlungspflege nicht umfassen. Ziel der Eingliederungshilfe sei der Erhalt der Selbständigkeit bei der Haushaltsführung und den Alltagsaufgaben, die Einkaufsplanung und die Erschließung des Wohnumfeldes sowie eine emotionale Entlastung bei Konflikten, Krisen, Alltags- und Partnerschaftsproblemen. Das Personal der Beigeladenen zu 2), das diese Dienstleistungen erbringe, sei kein medizinisches Personal. Es sei weder berechtigt noch verpflichtet, die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege zu erledigen.

Auf Nachfrage des Senats haben die Klägerin und die Beigeladene zu 2) erklärt, dass die Stundung des Honorars für erbrachte Behandlungspflege zwischen der gesetzlichen Betreuerin und der Pflegedienstleitung erstmals unmittelbar nach Kenntnis der Ablehnung durch die Beklagte abgesprochen worden sei. Diese Absprache sei im gegenseitigen Einverständnis auch für die Folgezeiträume beibehalten und in Telefonaten und Gesprächen regelmäßig neu bestätigt worden.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die vom Sozialgericht ausdrücklich zugelassene Berufung der Beklagten gegen das Urteil vom 14. März 2018 ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 1. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017 freizustellen.

Als Anspruchsgrundlage für die Freistellung der Klägerin kommt nur § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Eine Rehabilitationsleistung, für die sich die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V nach § 18 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bestimmt, ist nicht im Streit, weil Ziel der verordneten Krankenpflege die Unterstützung der ärztlichen Behandlung war. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt dann voraus, dass die Beklagte eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Ein Fall der Unaufschiebbarkeit liegt nicht vor. Die Beklagte hatte die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch Bescheide vom 31. August 2016 bereits abgelehnt, eher der hier streitgegenständliche Zeitraum begann. Die Beklagte lehnte die beantragte Krankenpflege auch nicht zu Unrecht ab. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege in dem verordneten Umfang. Demnach kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der Klägerin durch die ablehnende Entscheidung der Beklagten Kosten entstanden sind.

Eine Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege kann sich nur aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ergeben. Nach dieser Vorschrift erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohen Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen, als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Entsprechend der Arzneimittelverordnungen des behandelnden Arztes ist davon auszugehen, dass die regelmäßige Einnahme der verordneten Arzneimittel für die Sicherung des Erfolgs der Behandlung der Klägerin medizinisch erforderlich war. Weiter ist auf der Grundlage der ärztlichen Verordnungen von Behandlungspflege davon auszugehen, dass die Klägerin Hilfe benötigte, um die Einnahme der Medikamente sicherzustellen. Diese Hilfe war in der Form des wöchentlichen Stellens der Medikamente in einer Medikamentenbox erforderlich. Die Notwendigkeit fremder Hilfe beim Stellen der Medikamente wird dadurch belegt, dass die Klägerin unter Betreuung steht, sie damit nur eingeschränkt in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln. Nr. 26 des als Anlage zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie erlassenen Leistungsverzeichnisses, die nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 6 und Absatz 7 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschusses beschlossen worden ist (hier anwendbar idF v. 17. Dezember 2015) bestätigt zudem, dass das Füllen einer Medikamentenbox möglicher Gegenstand der nach § 37 SGB V zu leistenden Behandlungspflege sein kann. Danach steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass die Klägerin für die Sicherstellung der Einnahme ihrer Medikamente Hilfeleistungen in der Gestalt des wöchentlichen Füllens einer Medikamentenbox benötigte.

Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts lebte die Klägerin ab dem 1. Oktober 2016 nicht in einem eigenen Haushalt im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, sondern in einer Erscheinungsform des betreuten Wohnens. Ein eigener Haushalt setzt voraus, dass der Versicherte zur eigenständigen Lebensführung in der Lage ist (BSG v. 24. April 2016 - B 3 KR 17/15 R - juris Rn 20). Es kommt dagegen nicht darauf an, ob ein Versicherter Hauptmieter der Wohnung ist, in der er lebt. Der in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V verwandte Begriff des eigenen Haushalts ist abzugrenzen von dem des betreuten Wohnens. Letzterer Begriff ist in § 37 Abs. 2 SGB V nicht näher definiert und deswegen in dem Sinne zu verstehen, in dem er allgemein im Sozialgesetzbuch verwandt wird, insbesondere also unter Rückgriff auf die §§ 54 Abs. 1 SGB XII, 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX (in der damals geltenden Fassung vor dem 1. Januar 2018). Danach kommt es nicht darauf an, ob Betreuung und Wohnen institutionell miteinander verknüpft sind (BSG v. 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn 15). Ein betreutes Wohnen ist möglich in einer eigenen (als Alleinmieter angemieteten) Wohnung, in Wohngruppen und in Wohngemeinschaften (BSG v. 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn 16). Entscheidend ist allein, ob dem Betroffenen Leistungen zur Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich zur Verfügung gestellt werden. Hauptzielrichtung dieser Leitungen muss die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein, nicht eine medizinische oder pflegerische Betreuung (BSG v. 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn 15).

Der Klägerin waren von der Beigeladenen zu 1) für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum auf der Grundlage des Bescheides vom 5. September 2016 Leistungen des ambulant betreuten Einzelwohnens bewilligt worden. Der Inhalt der Bewilligung änderte sich nicht nach dem 1. Oktober 2016, als die Klägerin die Wohnung als Hauptmieterin übernommen hatte. Aus der in dem Bewilligungsbescheid in Bezug genommenen Vereinbarung zwischen den Beigeladenen zu 1) und 2) ergibt sich, dass Ziel der Leistungen war, dem Empfänger ein selbstbestimmtes Leben in seiner Wohnung oder Wohngemeinschaft zu ermöglichen. Die Bewilligung dieser Leistungen durch die Beigeladene zu 1) zeigt, dass die Klägerin alleine nicht zur selbständigen Lebensführung in der Lage war. Das wäre aber Voraussetzung dafür, das Führen eines eigenen Haushalts anzuerkennen. Demnach lebte die Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums nicht in einem eigenen Haushalt, sondern in einer betreuten Wohnform.

§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V zählt betreute Wohnformen indessen - ebenso wie einen eigenen Haushalt - grundsätzlich gerade zu den für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege "geeigneten Orten". Indessen ist nach der Rechtsprechung des BSG das in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannte Tatbestandsmerkmal des geeigneten Orts in Anlehnung an die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassene Richtlinie über Häusliche Krankenpflege (HKP-RL) zu konkretisieren (BSG v. 7. Mai 2020 - B 3 KR 4/19 R - juris Rn 19). Unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 6 HKP-RL hat das BSG Einschränkungen des Leistungsanspruchs von Versicherten wegen ihres Aufenthaltsorts für die Zeit einer Unterbringung in Einrichtungen dann für gegeben gehalten, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (BSG, a.a.0.). Für betreute Wohnformen hat das BSG ergänzend ausgeführt, dass von den Landesheimgesetzen neben stationären Einrichtungen regelmäßig auch andere Formen des betreuten Wohnens erfasst würden. Die eindeutige Einordnung einer Einrichtung als Heim oder als ambulantes Angebot mit Betreuungshilfen sei schwierig. Auch in betreuten Wohnformen hätten Versicherte keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege, wenn sie bereits Anspruch auf die Maßnahme durch die Einrichtung oder den Betreuungsdienst hätten, weil häusliche Krankenpflege dann nicht erforderlich sei (BSG v. 22. April 2015 - B 3 KR 16/14 R - juris Rn 23; BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - juris Rn 28).

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung können sich Einschränkungen der Leistungspflicht der Beklagten (auch) für die Zeit ab dem 1. Oktober 2016 daraus ergeben, dass die Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe bezieht. Während des Aufenthalts eines Versicherten im ambulanten betreuten Wohnen, das zwar grundsätzlich als geeigneter Ort im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen ist, besteht gleichwohl kein Anspruch auf häusliche Krankenpflege, wenn die zu erbringenden Behandlungspflegeleistungen bereits Teil der vom Sozialhilfeträger gewährten Eingliederungshilfe sind. Der Senat hält diesen in der Rechtsprechung des BSG bereits vorgezeichneten Rechtssatz nach eigener Prüfung für zutreffend. Zwar ist die Eingliederungshilfe als Form der Sozialhilfe grundsätzlich eine subsidiäre Leistung. Für die häusliche Krankenpflege als Versicherungsleistung lässt § 37 Abs. 3 SGB V aber erkennen, dass dieser Anspruch im Gegensatz zu anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur bestehen soll, wenn für die Erbringung der Pflege nicht bereits jemand anderes zur Verfügung steht. Daraus ist der Rechtssatz abzuleiten, dass als besondere Ausprägung des in § 12 SGB V verankerten Wirtschaftlichkeitsgebots in betreuten Wohnformen kein Anspruch auf Behandlungspflege besteht, wenn die Leistungen bereits Gegenstand der gewährten Eingliederungshilfe sind Das zeigt sich daran, ob sie im Rahmen der als Eingliederungshilfe bewilligten Leistungen ohne weiteres erbracht werden können.

Ein Anspruch auf Bewilligung von Behandlungspflege besteht hier nicht, weil die als Krankenpflege verordneten Leistungen nach Gegenstand und Umfang bereits von der bewilligten Eingliederungshilfe umfasst waren. Ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 5. September 2016 hatte die Klägerin Anspruch auf 18 Fachleistungsstunden monatlich. Betreuungsziele waren Kontrolle und Hilfe bei der Wäschepflege, Einkaufsplanung und Essenszubereitung, Begleitung bei unbekannten Wegstreckung und Konfliktbewältigung. Dieser Bescheid hob den am 25. August 2016 für denselben Zeitraum erteilten Bewilligungsbescheid auf, der als Betreuungsziele statt Begleitung bei unbekannten Wegstrecken auch die Sicherung der Medikamenteneinnahme vorgesehen hatte. Dieses Betreuungsziel war in dem Bescheid vom 5. September 2016 formal entfallen, ohne dass aber der zeitliche Umfang der bewilligten Leistungen geändert wurde. Der Bescheid vom 5. September 2016 nahm aber weiter Bezug auf die nach § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen dem örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Leistungserbringer geschlossene Vereinbarung. Nach § 2 Abs. 1 der zwischen den Beigeladenen zu 1) und 2) im Dezember 2016 geschlossenen Vereinbarung gehörte zu den Zielen der Eingliederungshilfe die Befähigung zur aktiven Mitwirkung im medizinisch-therapeutischen Behandlungsprozess, um die Folgen der Erkrankung zu lindern, eine Verschlechterung zu vermeiden und eine Verbesserung der psychischen und körperlichen Gesundheit zu erreichen. Damit sollte die Eingliederungshilfe die Klägerin in die Lage versetzen, im Behandlungsprozess mitzuwirken. Mit der Eingliederungshilfe sollte die Klägerin Handlungen vornehmen können, zu denen Menschen ohne Behinderung alleine in der Lage sind. Zur Eingliederungshilfe gehören also auch Vorbereitungshandlungen, um die tägliche Einnahme von Medikamenten sicherzustellen, insbesondere das Stellen von Medikamenten in einer Wochenbox. Damit überschneidet sich die der Klägerin verordnete Behandlungspflege ihrem Inhalt nach mit der ihr von der Beigeladenen zu 1) gewährten Eingliederungshilfe.

Das Herrichten der Wochenbox konnte auch nach Art und Umfang von der Beigeladenen zu 2) im Rahmen der bewilligten Eingliederungshilfeleistungen erbracht werden. Das Befüllen einer Wochenbox mit ärztlich verordneten Medikamenten nach ärztlicher Weisung ist eine Maßnahme der einfachsten Behandlungspflege, für die keinerlei medizinische Vorkenntnisse erforderlich sind (Bayerisches LSG v. 20. August 2019 - L 5 KR 403/19 - juris Rn 86, BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - juris Rn 28). Soweit die Betreuerin der Klägerin im Verfahren vor dem Sozialgericht vorgetragen hat, dass medizinische Fachkunde erforderlich sei, vermag der Senat das nicht nachzuvollziehen. Er weist darauf hin, dass Menschen ohne Behinderung ihre Medikamente regelmäßig selbständig ohne fremde Hilfe einnehmen. Die Klägerin braucht Hilfe, um die bei ihr gegenüber den Fähigkeiten gesunder Menschen bestehenden Einschränkungen auszugleichen, aber keine besondere medizinische Fachkunde, um die Einnahme der Medikamente nach ärztlicher Verordnung sicherzustellen. Der zeitliche Aufwand für das wöchentliche Füllen einer Medikamentenbox entspricht wenigen Minuten. Er konnte damit von der Beigeladenen zu 2) im Rahmen der von der Beigeladenen zu 1) bewilligten Leistungen ohne weiteres als Nebenleistung bewältigt werden. Unter diesen Voraussetzungen wäre es unwirtschaftlich, für das Stellen der Medikamente Mitarbeiter eines Pflegedienstes gesondert zu beauftragen, für deren Leistungen zusätzliche Kosten einschließlich einer Anfahrtspauschale anfallen. Dem Anspruch der Klägerin auf Behandlungspflege standen demnach die bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe entgegen.

Nach alledem hat die Beklagte mit Recht die Bewilligung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege abgelehnt und das Sozialgericht demnach zu Unrecht zur Kostenerstattung verurteilt. Entsprechend war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die bisherige Rechtsprechung des BSG zu den Grenzen der Leistungszuständigkeit der Krankenkassen bei Behandlungspflege betrifft Versicherte in Einrichtungen, nicht solche, die in eigenen Wohnungen ambulant Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.
Rechtskraft
Aus
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