S 35 KR 304/18 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 35 KR 304/18 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 624/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Es wird vorläufig – längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache – festgestellt, dass der Antragsteller zu 1. mit seiner Erklärung vom 19.4.2018 gegenüber dem Antragsgegner zu 1. dem Arzneiversorgungsvertrag, gültig ab 1.4.2016, bezogen auf die in der Erklärung benannten Mitgliedsunternehmen und begrenzt auf die Abgabe bilanzierter Diäten zur enteralen Ernährung gegenüber der Antragstellerin zu 2., wirksam beigetreten ist.

Der Antragsgegner zu 1. trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 330.000,- EUR.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung eines wirksamen Vertragsbeitritts bzw. (hilfsweise) einer Berechtigung, auch ohne Abschluss eines Rahmenvertrages, Versicherte der Antragsgegnerin zu 2. mit Trinknahrung nach § 31 Absatz 5 SGB V zu versorgen.

Der Antragsteller zu 1. ist ein Verband (in Form des eingetragenen Vereins), dessen Zweck die Förderung der Interessen seiner Mitglieder ist in Bezug auf Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Versorgung von Patienten mit Produkten und Leistungen, über die Verträge nach (oder in entsprechender Anwendung des) § 127 Absatz 2 und 2a SGB V geschlossen werden können. Der Verband führt für seine Mitglieder Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen und schließt Verträge im Sinne des § 127 Absatz 2, 2a SGB V ab, § 2 Nr. 2 Verbandssatzung; Sitz des Verbandes ist gem. § 1 der Satzung F-Stadt (Bl. 80 ff Gerichtsakte). Die Antragsteller zu 2. sind (einzelne) Mitgliedsunternehmen des Antragstellers zu 1. und Leistungserbringer im Sinne des § 126 SGB V bzw. Zusammenschlüsse weiterer Leistungserbringer (Q. Gesundheitsservice GmbH, Sanitätshaus D. und E.), die ua im Bereich der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen mit enteraler Ernährung iS des § 31 Absatz 5 SGB V (Trink- und Sondennahrung) tätig sind.

Nach eigenen Angaben versorgten die Mitgliedsunternehmen des Antragstellers zu 1. seit je her auch die Versicherten der Mitgliedskassen des Antragsgegners zu 1. (Verband der Ersatzkassen: Techniker Krankenkasse, BARMER GEK, DAK-Gesundheit (Antragsgegnerin zu 2.), Kaufmännische Krankenkasse, Hanseatische Krankenkasse und Handelskrankenkasse) mit Produkten zur enteralen Ernährung.

Die Antragsteller zu 2. hatten mit der Antragsgegnerin zu 2. bisher für die Versorgung im Bereich der Trinknahrung entweder keine vertraglichen Vereinbarungen abgeschlossen – dann erfolgte eine Abrechnung in Anlehnung an den jeweils gültigen Arzneiversorgungsvertrag (AEP + 3% + MwSt.) - oder eine Protokollnotiz zu Verträgen zur Sondennahrung nach § 127 Absatz 2 SGB V abgeschlossen, in der auch die Vergütungshöhe vereinbart war.

Der Antragsgegner zu 1. hatte zuletzt mit dem Deutschen Apothekerverband am 1.4.2016 einen Arzneiversorgungsvertrag abgeschlossen, in dessen Anlage 2 Teil 2 auch die Abrechnung von Elementardiäten geregelt ist. Danach bemisst sich die Vergütung für "Elementardiäten/Sondennahrung" nach dem AEP (Apothekeneinkaufspreis) plus 3% plus 6,38 EUR (Bl. 94 ff Gerichtsakte).

Im September 2017 gab die Antragsgegnerin zu 2. gegenüber den sonstigen Leistungserbringern ihre Absicht zum Abschluss eines Vertrages nach § 127 Absatz 2 SGB V für die Versorgung der Versicherten mit Trinknahrung bekannt und schloss am 25.9.2017 dazu einen Rahmenvertrag mit der Firma AA. Care Service GmbH ab (sog. "Beitrittsvertrag"). Dieser Vertrag sieht (unter anderem) eine Vergütung für Trinknahrung in Höhe des Apothekeneinkaufspreises minus 28% vor. Die Antragsgegnerin zu 2. verwies in Folge alle im Bereich der Trinknahrung tätigen Leistungserbringer darauf, dass eine Zusammenarbeit zukünftig nur noch auf der Basis dieses Vertrages möglich sei. Im Januar 2018 kündigte die Antragsgegnerin zu 2. alle bisherigen Vereinbarungen mit den Antragstellern zu 2. zur Versorgung Versicherter mit Trinknahrung zum 31.3.2018.

Unter dem 19.4.2018 erklärte der Antragsteller zu 1. für einzelne Mitgliedsunternehmen (A. Deutschland GmbH, B. Dienstleistungs-GmbH, C. GmbH, Sanitätshaus D. AG, E. GmbH, F. Deutschland GmbH, Ambulante Patientenversorgung G. OHG, H. HomeCareService GmbH, I. Medicare GmbH, J. GmbH, K. GmbH, Sanitätshaus L. GmbH, M. GmbH, N. GmbH, O. Homecare, P. Homecare GmbH, Q. Gesundheitsservice GmbH, Deutsches Zentrum für R. GmbH, T. GmbH, U. GmbH, Sanitätshaus V. GmbH, W. Gesundheitsteam GmbH Bayern, X. GmbH) den Teilbeitritt gegenüber dem Antragsgegner zu 1. – begrenzt auf die Antragsgegnerin zu 2. – und direkt gegenüber der Antragsgegnerin zu 2. zum Arzneiversorgungsvertrag vom 1.4.2016 hinsichtlich der Abrechnungsbestimmung zu Elementardiäten/Sondennahrung" gemäß Anlage 2 Teil 2. Die Antragsgegner lehnten den Teilbeitritt ab (Schreiben vom 25.4. und 27.4.2018). Der Arzneiversorgungsvertrag gelte ausschließlich für Apotheken und daher sei ein Beitritt des Antragstellers zu 1. bzw. seiner Mitgliedsunternehmen nicht möglich.

Mit bei Gericht am 7.6.2018 eingegangenem Schriftsatz haben die Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie tragen im Wesentlichen vor, der Antragsteller zu 1. sei mit der Erklärung vom 19.4.2018 wirksam dem Arzneiversorgungsvertrag vom 1.4.2016 – Anlage 2 Teil 2 - beigetreten. Die Mitgliedsunternehmen seien daher berechtigt, die Versicherten der Antragsgegnerin zu 2. mit Elementardiäten/Trinknahrung nach den Konditionen des Vertrages auch zu versorgen. Die Antragsteller seien aktivlegitimiert: der Antragsteller zu 1. habe zulässig als Verband im Sinne des § 127 Absatz 2a Satz 2 SGB V den Teilbeitritt zum Arzneiversorgungsvertrag (ebenfalls ein Verbandsvertrag) erklärt; dazu sei er nach § 5 Ziffer 2a der Satzung berechtigt. Bei den verschiedenen Mitgliedsunternehmen, Antragsteller zu 2., handele es sich um einzelne Leistungserbringer und um Zusammenschlüsse von Leistungserbringern, denen nach Maßgabe des § 127 Absatz 2a SGB V ein Beitrittsrecht zukomme.

Die Antragsteller zu 2. erfüllten alle die Eignungsvoraussetzungen nach § 126 Absatz 1 Satz 2 SGB II.

Nach der Rechtsprechung (unter Verweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 15.4.2011, L 16 KR 7/11 B ER, und 10.5.2012, L 5 KR 101/12 B ER; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31.3.2014, S 41 KR 106/14 B ER) könnten sonstige Leistungserbringer einem mit einem Apothekenverband abgeschlossenen Vertrag gem. § 127 Absatz 2 SGB V (teil)beitreten. Der Arzneiversorgungsvertrag vom 1.4.2016 bestehe zum einen aus einem Arzneiliefervertrag nach § 129 Absatz 5 SGB V und zum anderen aus einem Vertrag nach § 31 Absatz 5 SGB V iVm § 127 Absatz 2 SGB V, denn die Anlage 2 Teil 2 regele die Abrechnung für Elementardiäten im Sinne des § 31 Absatz 5 SGB V, für die die §§ 126, 127 SGB V gelten würden. Es liege damit für diesen "Vertragsbestandteil" ein beitrittsfähiger Vertrag vor. Dass die Antragsteller zu 2. keine Apotheken seien, widerspreche dem nicht. Vielmehr stelle eine Ungleichbehandlung mit den Apotheken einen Verstoß gegen Art. 3 Absatz 1 und Art. 12 Absatz 1 GG dar.

Auch sei ein Teilbeitritt möglich, denn es handele sich hier um einen klar abgegrenzten Versorgungsbereich (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.3.2012, L 1 KR 18/12 B ER).

Es liege für den Eilantrag der erforderliche Anordnungsgrund vor. Die Antragsteller zu 2. könnten nur auf der Grundlage von Verträgen nach §§ 126, 127 Absatz 1 – 3 SGB V Trinknahrung abgeben. Es drohe ihnen nun ein unmittelbarer Verlust ihrer Kunden – den Versicherten der Antragsgegnerin zu 2. Durch den verweigerten Vertragsbeitritt würden die Antragsteller ohne sachlichen Grund benachteiligt und litten unter einer Wettbewerbsverzerrung, die sie nicht hinnehmen müssten. Der Beitritt zum Vertrag vom 25.9.2017 sei nicht zumutbar. Unzählige Klauseln des Vertrages seien für die Leistungserbringer nicht akzeptabel. Auch müsse bezweifelt werden, dass die Firma AA. Care Service GmbH in der Lage sei, die vertraglichen Anforderungen zu erfüllen. Möglicherweise wäre der Vertrag ein Scheingeschäft und damit nichtig, §§ 117 Absatz 1 BGB iVm 61 SGB X. Es bestünde dann kein betrittsfähiger Vertrag mehr.

Im Übrigen stehe den Antragstellern ein Wahlrecht unter bestehenden Verträgen zu.

Die Antragsteller beantragen (zuletzt durch Schriftsatz vom 30.7.2018),
1. festzustellen, dass der Antragsteller zu 1. mit Erklärung vom 19.4.2018 gegenüber dem Antragsgegner zu 1. dem Arzneiversorgungsvertrag zwischen dem Antragsgegner zu 1. und dem Deutschen Apothekerverband e.V., gültig ab dem 1.4.2016, beigetreten ist.
hilfsweise 2. festzustellen, dass die Antragsteller zu 2. als "sonstiger Zusammenschluss der Leistungserbringer" mit Erklärung des Antragstellers zu 1. vom 19.4.2018 gegenüber dem Antragsgegner zu 1. dem Arzneiversorgungsvertrag zwischen dem Antragsgegner zu 1. und dem Deutschen Apothekerverband e.V., gültig ab dem 1.4.2016, beigetreten sind und die Antragsteller zu 2. berechtigt sind, Versicherte der Mitgliedskasse DAK des Antragsgegners zu 1. mit Trinknahrung zu den Konditionen des Arzneiversorgungsvertrages gemäß Anlage 2 Teil 2 des Vertrages zu versorgen.
weiter hilfsweise 3. festzustellen, dass die Antragsteller zu 2. als "sonstiger Zusammenschluss der Leistungserbringer" mit Erklärung des Antragstellers zu 1. vom 19.4.2018 gegenüber der Antragsgegnerin zu 2. dem Arzneiversorgungsvertrag zwischen dem Antragsgegner zu 1. und dem Deutschen Apothekerverband e.V., gültig ab dem 1.4.2016, beigetreten sind und die Antragsteller zu 2. berechtigt sind, Versicherte der Mitgliedskasse DAK des Antragsgegners zu 1. mit Trinknahrung zu den Konditionen des Arzneiversorgungsvertrages gemäß Anlage 2 Teil 2 des Vertrages zu versorgen.
äußerst hilfsweise 4. festzustellen, dass die Antragsteller zu 2. auch ohne den Abschluss eines Rahmenvertrages seit dem 1.4.2018 berechtigt sind, auf der bisher geltenden Vergütungsbasis Versicherte der Antragsgegnerin zu 2. mit Trinknahrung i.S.d. § 31 Absatz 5 SGB V zu versorgen.

Die Antragsgegner zu 1. und 2. beantragen,
die Anträge abzulehnen.

Der Antragsgegner zu 1. trägt vor, er sei für einen Vertragsabschluss nach § 127 SGB V von den Ersatzkassen nicht bevollmächtigt worden und daher nicht passivlegitimiert. Der Arzneiversorgungsvertrag vom 1.4.2016 regele ausschließlich die Abgabe von Arzneimitteln und weiteren apothekenüblichen Waren gem. § 31 SGB V iVm § 1 Absatz 1 Ziffer 2 des Vertrages. Die Beitrittsvoraussetzungen könnten die Antragsteller nicht erfüllen. Es liege hier aus sozialrechtlicher Sicht auch kein "typengemischter" Vertrag vor. Die Anlage 2 Teil 2 zur Vergütungshöhe der Trinknahrung gelte neben den anderen Regelungen des Vertrages und könne nicht separat Vertragsbestandteil sein. Es sei bislang auch kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Das Ausmaß von Umsatzeinbußen sei nicht dargelegt.

Die Antragsgegnerin zu 2. erklärt, der vorliegende Arzneiversorgungsvertrag nach § 129 SGB V sehe ausdrücklich kein Beitrittsrecht für sonstige Leistungserbringer vor. Es sei damit auch lediglich eine rechtliche Bindung gewollt, im Hinblick auf die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheken und ihre Vergütung. Es sei den Besonderheiten und der Historie der Gesetzgebung geschuldet, dass die enterale Ernährung auf Grund ihrer Doppelstellung – Arzneimittel aber in der Abgabe als Hilfsmittel zu behandeln – trotz der gesetzlichen Klarstellung in § 31 SGB V in dem Vertrag nach § 129 Absatz 5 SGB V enthalten sei. Es fehle der Anordnungsgrund, denn die Antragsteller begehrten allein den Zugang zu einem – aus ihrer Sicht – wirtschaftlicheren Vertragskonstrukt. Die Gefahr einer Wettbewerbsbeschränkung sowie drohender wirtschaftlicher Nachteile zu ihren Lasten seien nicht glaubhaft gemacht. Ein Recht auf Beitritt zu einem wirtschaftlicheren Vertrag ergebe sich weder aus dem Sozialrecht, noch aus Artikel 12 oder Artikel 14 GG. Es handele sich bei dem "Beitrittsvertrag" auch nicht um ein Scheingeschäft. Dies werde durch die hohe Anzahl der bisher beigetretenen Vertragspartner deutlich. Den Antragstellern – wie auch anderen Unternehmen – stehe jederzeit der Beitritt zu bestehenden Verträgen oder der Abschluss eines eigenen Vertrages nach § 127 Absatz 2 SGB V offen. Einen Anspruch auf einen ihr genehmen Vertrag haben sie jedoch nicht. Die Prozessführungsbefugnis für den Antragsteller zu 1. und für (zu Teilen) der Antragsteller zu 2. werde bestritten. Es liege außerdem kein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit, Artikel 12 GG, vor, denn diese beinhalte gerade keinen Anspruch auf die Versorgung der Versicherten zu den gewünschten Bedingungen, sondern lediglich die "Möglichkeit" zur Beteiligung an der Versorgung und damit der Berücksichtigung im Rahmen eines wettbewerblichen Verfahrens (BSG, Urteil vom 25.11.2015, B 3 KR 16/15 R neben anderen). Es sei außerdem auch nicht der Schutzbereich des Artikels 14 GG betroffen, da bereits keine eigentumsrechtlich relevanten Rechtspositionen der Antragsteller tangiert seien. Im Übrigen sei in der Vergangenheit stets eine Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin zu 2. mit Elementardiäten durch die Antragsteller zu 2. – bis auf wenige Ausnahmen – ohne einen gesonderten Vertrag erfolgt, weshalb ein nunmehr begehrter Vertragsbeitritt und damit eine vertragliche Beziehung zwischen den Antragstellern zu 2. und der Antragsgegnerin zu 2. auch nicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erwirkt werden könne.

Mit Schriftsatz vom 8.8.2018 tragen die Antragsteller ergänzend vor, der drohende Umsatzverlust (bezogen auf 1 Jahr) belaufe sich für die Mitgliedsbetriebe des Antragstellers zu 1. auf insgesamt rund 3,3 Millionen Euro – die von der Antragsgegnerin zu 2. erzwungene Preisreduzierung (28%) würde mit mehr als 1.000.000,- EUR zu Buche schlagen.

Mit bei Gericht am 12.7.2018 eingegangenem Schriftsatz haben die Antragsteller auch Klage in der Hauptsache erhoben (erkennendes Gericht, Az S 35 KR 379/18).

Zur Ergänzung des Sach –und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, Band I und II.

II.

Das Sozialgericht Frankfurt ist für das Eilverfahren örtlich zuständig nach § 57 Absatz 1 Satz 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz). Der Antragsteller zu 1. hat seinen Sitz laut Verbandssatzung in F-Stadt, damit im Gerichtsbezirk des Sozialgerichtes Frankfurt.

Die besondere örtliche Zuständigkeit in der Krankenversicherung nach § 57a Absatz 4 SGG findet keine Anwendung. § 57a Absatz 4 SGG betrifft nur solche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der Gesetzlichen Krankenversicherung, die sich ausschließlich auf die Ebene der Entscheidung oder des Vertrags auf Bundesebene beziehen, also Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene insoweit "betreffen", als diese selbst und unmittelbar in Streit stehen (BSG, Beschluss vom 05. Januar 2012, B 12 SF 4/11 S). Vorliegend geht es nicht unmittelbar um die Wirksamkeit bzw. Reichweite eines Vertrages auf Bundesebene (Arzneiversorgungsvertrag vom 1.4.2016), sondern um einen dazu erklärten Beitritt der Antragsteller. Die (eng auszulegende) Sonderzuweisung nach § 57a Absatz 4 SGG findet daher keine Anwendung.

1. Der Hauptantrag – gerichtet auf die Feststellung, dass ein wirksamer Vertrags(teil) beitritt durch den Antragsteller zu 1. gegenüber dem Antragsgegner zu 1. erklärt wurde – ist zulässig.

Der Antragsteller zu 1. ist als Verband antragsbefugt, soweit er aus eigenem Recht geltend macht, der verweigerte Vertragsbeitritt verletze ihn in seiner Vertragsabschlusskompetenz aus § 127 Absatz 2 iVm Absatz 2a SGB V (so verstanden LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2011, L 9 KR 530/07 und HLSG, Urteil vom 26. Februar 2004, L 1 KR 618/02 zur Beschwer eines Verbandes, wenn es um die Berücksichtigung seiner eigenen Position als Vertragspartner der Krankenkassen gemäß § 127 SGB V geht).

Es liegt auch ein Rechtsschutzbedürfnis vor. Dieses wäre nur dann zu bezweifeln, wenn die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe nicht notwendig ist, weil etwa das begehrte Antragsziel auf einfachere und näherliegende Weise erreicht werden kann. Es ist für das Gericht nicht erkennbar, dass der Antragsteller zu 1. sein Begehren derzeit außerprozessual erreichen kann. Soweit die Antragsgegnerin zu 2. vorträgt, bislang sei eine Versorgung durch die Mitgliedsunternehmen des Antragstellers zu 1. (mit Ausnahmen) auch ohne vertragliche Grundlage erfolgt (unklar bleibt, ob daraus folgen kann, dass auch zukünftig ohne vertragliche Grundlage die Abgabe der Trinknahrungsprodukte möglich ist) und es stünde ihnen jederzeit der Abschluss eines eigenen Vertrages offen, widerspricht dies offensichtlich den tatsächlichen Gegebenheiten. Unstreitig waren seit Januar 2018 bisherige Vereinbarungen mit den Mitgliedsunternehmen des Antragstellers zu 1. gekündigt worden – verbunden mit dem allgemeinen Hinweis, die zukünftige Zusammenarbeit sei nur noch auf der Basis des "Beitrittsvertrages" möglich. Ein Rechtsschutzbedürfnis an der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung war somit gegeben.

2. Der Hauptantrag ist im tenorierten Umfang begründet.

Gemäß § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen nötig erscheint. Die Regelungsanordnung kann auch in Form einer vorläufigen Feststellung erfolgen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Juni 2008, L 11 KR 2438/08 ER-B).

Vorliegend kommt der Erlass einer Regelungsanordnung in Betracht, weil in der Hauptsache eine - auf die Feststellung eines durch den wirksamen Beitritt zustande gekommenen Vertrages gerichtete - Feststellungsklage erhoben wurde.

Eine Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also des materiellen Anspruchs, der grundsätzlich die summarische Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache verlangt, und eines Anordnungsgrundes, der Erforderlichkeit im Sinne einer besonderen Dringlichkeit, voraus. Die Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen.

a) Der Antragsteller zu 1. hat einen Anordnungsanspruch nach summarischer Prüfung glaubhaft gemacht.

Durch die Erklärung vom 19.4.2018 (vertretend seine dort aufgeführten Mitgliedsunternehmen) ist er dem Vertrag zwischen dem Antragsgegner zu 1. und dem Deutschen Apothekerverband, gültig ab 1.4.2016, die Produktgruppe "Elementardiäten/Sondennahrung" betreffend und begrenzt auf die Antragsgegnerin zu 2., wirksam beigetreten.

Grundlage des Vertragsbeitritts ist die entsprechende Anwendung der §§ 126, 127 Absatz 2 und 2a SGB V iVm § 31 Absatz 5 SGB V.

§ 31 SGB V "Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung" regelt in Absatz 5 – eingefügt zum 1.1.2009 durch das GKV-OrgWG: "Versicherte haben Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden können und veröffentlicht im Bundesanzeiger eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Produkte. § 34 Abs. 6 gilt entsprechend. In die Zusammenstellung sollen nur Produkte aufgenommen werden, die die Anforderungen der Richtlinie erfüllen. Für die Zuzahlung gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Für die Abgabe von bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung gelten die §§ 126 und 127 entsprechend. Bei Vereinbarungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sind Leistungen nach Satz 1 zu berücksichtigen."

Die Vorschrift ermächtigt und verpflichtet den Gemeinsamen Bundesausschuss dazu, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung (hier Elementardiäten/ Trink- und Sondennahrung) vom Vertragsarzt verordnet und ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung mit einbezogen werden können. Gegenstand der Regelung sind Nahrungs- bzw. diätetische Lebensmittel (solche sind eigentlich von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen) und keine Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (§ 2 Absatz 3 Nr. 1 AMG). Bilanzierte Diäten dienen in erster Linie der Ernährung - nicht aber gezielt oder auch nur überwiegend der Erkennung, Heilung, Besserung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten. Gleichwohl werden die von § 31 Absatz 5 SGB V erfassten Nahrungsmittel in die Arzneimittelversorgung der Versicherten zulasten der GKV einbezogen, wenn und weil sie wie Arzneimittel im Rahmen der Behandlung einer Krankheit eingesetzt werden müssen (Flint in Hauck/ Noftz, SGB V Komm, 07/12, § 31 SGB V, Rn. 72 – juris).

Die Einbeziehung bilanzierter Diäten in besonders eingegrenzten Fällen in die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenkassen auf der Grundlage des § 31 SGB V ("Arzneimittel ") beruht also auf ihrer sachlichen Nähe zu Arzneimitteln (grundlegend zu dieser Abgrenzung BSG, Urteil vom 08. November 2011, B 1 KR 20/10 R).

Darüber hinaus stellt der Gesetzgeber klar, dass für die Abgabe dieser Diäten die §§ 126 und 127 entsprechend gelten. Verträge, die Krankenkassen oder ihre Verbände (wie vorliegend der Antragsgegner zu 1.) mit Leistungserbringern zur Produktgruppe der "bilanzierten Diäten" abschließen, sind also an den Vorschriften im Sechsten Abschnitt "Beziehungen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln"§ 126 SGB V "Versorgung durch Vertragspartner" und § 127 SGB V "Verträge" zu messen.

Deutlich wird daran, dass die Versorgung der Versicherten mit der hier streitigen "Trinknahrung" durch Leistungserbringer und die darüber abzuschließenden vertraglichen Vereinbarungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen (nach § 126 Absatz 1 Satz 1 SGB V dürfen die Produkte nur auf einer bestehenden vertraglichen Grundlage abgegeben werden) weder unmittelbar unter §§ 126/127 SGB V – es handelt sich ja nicht um Hilfsmittel nach § 33 SGB V, noch unter § 129 SGB V fallen – es handelt sich auch nicht um Arzneimittel im eigentlich Sinn. Vereinbarungen zur Abgabe dieser Produkte stellen auf der Grundlage des § 31 Absatz 5 Satz 6 SGB V und einer "entsprechenden" Anwendung der §§ 126 und 127 SGB V einen eigenen Vertragstypus dar (so auch Schriftsatz vom 21.6.2018 des Antragsgegners zu 1.).

Dass Vereinbarungen zu dieser Produktgruppe insofern einheitlich (also nicht differenziert nach Leistungserbringer) dem Regelungskonzept des § 127 SGB V unterfallen, wird aus dem Willen des Gesetzgebers deutlich (Bundestags Drucksache 16/10609, Seite 51, zu § 31 Absatz 5 SGB V): "Die vorliegende gesetzliche Regelung behält die bereits geltenden Regelungen für Abrechnung, Zuzahlung und Wirtschaftlichkeitsprüfungen bezüglich der Verordnung von enteraler Ernährung bei. Für Verträge der Krankenkassen mit Apotheken bzw. anderen Leistungserbringern über Produkte zur enteralen Ernährung gelten wie bisher die §§ 126 und 127. ( )" (Hervorhebung durch das Gericht)

Leistungserbringer (oder auch Leistungsanbieter) nach § 69 SGB V für enterale Ernährung können sowohl Apotheken wie auch sonstige Leistungserbringer (hier die Mitgliedsunternehmen des Antragstellers zu 1.) sein.

Gemessen an diesen Maßstäben liegen für die hier Beteiligten zwei vertragliche Vereinbarungen (geltend für die Antragsgegnerin zu 2.) mit unterschiedlichen Leistungserbringern vor, die inhaltlich die Abgabe der Produktgruppe "bilanzierter Diäten zur enteralen Ernährung" betreffen und regeln: der Arzneiversorgungsvertrag 2016 und der "Beitrittsvertrag" 2017.

Dem Antragsteller zu 1. steht ein Beitrittsrecht nach § 127 Absatz 2a SGB V zu. Danach können Leistungserbringer den Verträgen nach Absatz 2 Satz 1 zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten, soweit sie nicht auf Grund bestehender Verträge bereits zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (Satz 1). Bei Bestehen mehrerer Verträge mit gleichem Vertragsgegenstand kann der Beitretende den ihm günstigsten Vertrag frei auswählen (so Luthe in Hauck/Noftz, SGB V Komm, 05/16, § 127 SGB V, Rn. 36 – juris, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.4.2011, L 16 KR 7/11 B ER).

Dass die Mitgliedsunternehmen des Antragstellers zu 1. die besonderen Voraussetzungen nach § 126 Absatz 1 Satz 2 SGB V erfüllen ("Vertragspartner der Krankenkassen können nur Leistungserbringer sein, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen" – sog. "Präqualifikation") wurde glaubhaft vorgetragen. Im Übrigen hatten bis 2017 die Unternehmen die Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin zu 2. tatsächlich auch übernommen.

Der Beitritt konnte auf die streitgegenständliche Produktgruppe – konkret geregelt in Anlage 2 Teil 2 des Arzneiversorgungsvertrages – begrenzt werden, denn es liegt darin ein klar abgrenzbarer Versorgungsbereich (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.4.2011, aaO). Dass eine solche Begrenzung möglich und praktikabel ist, ergibt sich für das Gericht ebenfalls aus der bisher (teilweise) vorgenommenen Abrechnung gegenüber der Antragsgegnerin zu 2. auf der Grundlage des Arzneiversorgungsvertrages.

Der Beitritt wurde zulässigerweise auch gegenüber dem Antragsgegner zu 1. – vertretend die Antragsgegnerin zu 2. – erklärt. Der Antragsgegner zu 1. ist passivlegitimiert. Nach eigenem Vortrag war er von seinen Mitgliedskassen bevollmächtigt, einen Vertrag zur Versorgung der Versicherten abzuschließen, der inhaltlich auch die Abgabe von "bilanzierten Diäten" regelt. Die streitige rechtliche Einordnung dieser Vertragsinhalte berührt nicht die Vertragsabschlusskompetenz des Antragsgegners zu 1. zu dieser Produktgruppe.

Schließlich hat der Antragsteller zu 1. auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Eilbedürftigkeit der Entscheidung ergibt sich aus der Abwendung wesentlicher finanzieller Nachteile für die vertretenen Mitgliedsunternehmen. Derzeit ist es den Unternehmen infolge eines fehlenden Vertrages mit der Antragsgegnerin zu 2. verwehrt, die Versicherten mit den entsprechenden Produkten zu versorgen (§ 126 Absatz 1 Satz 1 SGB V). Insofern droht ein Verlust der Versicherten der Antragsgegnerin zu 2. Nach Schätzungen des Antragsstellers zu 1. ergibt sich ein finanzieller Nachteil (bezogen auf den Jahresumsatz) von etwa 3,3 Mio. Euro bei einem vollständigen Versorgungsausschluss – bezogen auf die vertraglichen Neuregelungen (Reduzierung der bisherigen Vergütung um rund 30%) von 1.000.000,- EUR. Diese prognostizierten Einbußen sind aufgrund ihres Umfanges nicht mehr nur noch unwesentlich.

Wegen Erfolges des Hauptantrages war über die Hilfsanträge nicht mehr zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Absatz 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG iVm §§ 63 Absatz 2 Satz 1, 53 Absatz 2 Nr. 4 und 52 Absatz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der vom Antragsteller zu 1. angegebene jährliche Umsatzverlust aufgrund der neuen Vergütungsregeln des "Beitrittsvertrages" wurden auf 1.000.000,- EUR beziffert. Dieser Betrag ist zur Grundlage der Streitwertfestsetzung zu machen und im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Eilentscheidung angemessen zu reduzieren, wobei in der Rechtsprechung zwischen ¼ und ½ angesetzt werden. Vorliegend wurde mit 330.000,- EUR ein Streitwert von rund einem Drittel angesetzt (vgl. hierzu Hessisches LSG, Beschluss vom 25. Juni 2008 – L 4 KA 48/08 B ER –, juris).

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Berichtigungsbeschluss

hat die 35. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt am Main am 21.10.2018 durch die Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht Schubert, beschlossen:

Der Tenor des Beschlusses vom 9.9.2018 – erster Absatz - wird wie folgt berichtigt:

Es wird vorläufig – längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache – festgestellt, dass der Antragsteller zu 1. mit seiner Erklärung vom 19.4.2018 gegenüber dem Antragsgegner zu 1. dem Arzneiversorgungsvertrag, gültig ab 1.4.2016, bezogen auf die in der Erklärung benannten Mitgliedsunternehmen und begrenzt auf die Abgabe bilanzierter Diäten zur enteralen Ernährung gegenüber der Antragsgegnerin zu 2., wirksam beigetreten ist.
 
Gründe:

Das Gericht hat einen Berichtigungsbeschluss nach § 138 SGG erlassen, denn im Beschlusstenor der Entscheidung vom 9.9.2018 wird fälschlich einen Vertragsbeitritt, ( ) begrenzt auf die Abgabe bilanzierter Diäten zur enteralen Ernährung gegenüber der Antragstellerin zu 2. festgestellt. Dabei handelt es sich – ausgehend vom Antragsbegehren und unter Berücksichtigung der Beschlussgründe - um einen Schreibfehler und eine offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des Gesetzes.
Rechtskraft
Aus
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