Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 BL 3/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 6/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz (Fortführung der st. Rspr. des Senats).
2. Maßnahmen des psychischen Beistands und zur Bekämpfung von Einsamkeitsangst im weiteren Sinne stellen im Falle schwerer zerebraler Schäden regelmäßig keinen blindheitsbedingten Mehraufwand dar.
2. Maßnahmen des psychischen Beistands und zur Bekämpfung von Einsamkeitsangst im weiteren Sinne stellen im Falle schwerer zerebraler Schäden regelmäßig keinen blindheitsbedingten Mehraufwand dar.
I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Die 1977 geborene Klägerin war entsprechend den medizinischen Unterlagen eine "gesunde Frau ohne Vorerkrankungen." Sie nahm am 05.05.2016 ein Schinkenbrot zu sich und verschluckte sich dabei. Die 13 Minuten später eintreffenden Rettungsassistenten entfernten einen Bolus und führten für ca. 30 Minuten eine Herz-Lungen-Wiederbelebung primär erfolgreich durch. Seitdem leidet die Klägerin an einer massiven hypoxischen Hirnschädigung neben weiteren Gesundheitsstörungen.
Am 01.07.2016 beantragte die Klägerin über ihren Ehmann (Betreuer) beim Beklagten Blindengeld. Der Beklagte wertete daraufhin medizinischen Unterlagen aus, wie den Entlassungsbericht der H.-Klinik K-Stadt vom 29.06.2016, aus dem die Diagnose einer hypoxischen Hirnschädigung bei Zustand nach Cardio-pulmoraler Reanimation wegen Bolusgeschehen, Fremdkörperaspiration, akute respiratorische Insuffizienz, Versorgung Thracheostoma, entgleiste diabetische Stoffwechsellage, Pneumonie durch Staphylococcus aureus und symptomatische Epilepsie hervorgehen - die Klägerin sei komatös, nicht kontaktierbar -, und den Bericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 06.10.2016. Der konsiliarisch dazu gebetene Augenarzt Dr. S. könne, so dieser Bericht, den Visus der Klägerin nicht beurteilen, ebenso sei aufgrund der bestehenden Diagnosen das Gesichtsfeld der Klägerin nicht prüfbar. Aufgrund der Schwere der Erkrankung sei insgesamt von einer kortikalen Blindheit auszugehen.
Nach Hinzuziehung des Neuroradiologen Dr. B. ging Dr. L. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 08.02.2017 davon aus, dass wegen der schweren generellen zerebralen hypoxischen Schädigung ein klinischer Blindheitsnachweis nicht möglich sei. Im Augenbereich sei morphologisch keine schwerwiegende Schädigung nachzuweisen. Mit Blick auf das Bild eines diffusen Hirnödems zeige sich keine irreversible schwere Schädigung der Sehstrukturen, womit der einmalig negative Nachweis der VEP noch nicht als sicherer Nachweis einer Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung gewertet werden könne.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 02.03.2017 den Blindengeldantrag ab. Ein Blindheitsnachweis sei nicht möglich gewesen. Der Beklagte wies auf dem Grundsatz der objektiven Beweislast hin.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihren Ehemann mit Schreiben vom 14.03.2017 Widerspruch, der damit begründet wurde, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Betroffene im Zustand des Wachkomas eindeutig blind seien. U.a. sei nicht entscheidend, was die Ursache der Sehstörung sei. Auch zerebrale Schäden seien zu berücksichtigen.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte den ärztlichen Aufnahme- und Abschlussbericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 13.07.2016/17.10.2016 bei. Nach internationalen Diagnosekriterien befinde sich die Klägerin im Wachkoma. Sie sei nicht kontaktfähig. Auf Lärm sei eine ca. zweiminutige Weckreaktion reproduzierbar. Eine seitengerechte Flucht auf Aversion sei im Gesicht reproduzierbar, darüber hinaus gebe es aber keine instruierbaren Verhaltensanteile. Die Bewusstseinslage entspreche am ehesten einem Syndrom reaktionsloser Wachheit. Die Orientierung sei nicht beurteilbar. Es bestünden spontane horizontale Bulbusbewegungen ohne aktive visuelle Explorationsfähigkeit. Eine visuelle Schreckreaktion bestehe eben so wenig wie eine aktive Fixation oder ein Spiegeltracking. Auf ein lautes Geräusch sei eine Schreckreaktion auslösbar. Die Reaktion auf taktile Reize sei unspezifisch. Eine Ausrichtung der Aufmerksamkeit gelinge nicht. Im Rahmen eines durchgeführten Motor Imagery habe die Klägerin keine Aufgaben befolgen können, welche ein höheres Bewusstseinsniveau erfordern würden.
Im Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 10.11.2016 wurde Pflegestufe 2 festgestellt. Mit Bescheid vom 03.03.2017 wurden wegen Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, zerebralbedingter Lähmung, Schluckstörungen, Luftröhrendauerkanüle, unwillkürlichen Harnabgangs, Funktionsverlusts des Afterschließmuskels ein Einzel-GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, B, H und RF vom Beklagten festgestellt.
Mit Widerspruchbescheid vom 19.04.2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Sehen seien die optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im visuellen Bewusstsein des Menschen zu verstehen. Das BSG habe die Notwendigkeit des Blindheitsnachweises bekräftigt und Beweiserleichterungen ausdrücklich verneint. Eine mitwirkungsabhängige Prüfung der Sehschärfe könne bei der Klägerin nicht erfolgen. Auch der Nachweis, dass bei der Klägerin die zentralen Sehstrukturen im Rahmen der schweren generellen Hirnschädigung schwerst geschädigt oder zerstört seien, sei nicht gegeben. Blindheit oder eine andere Blindheit gleichzuachtende Sehstörung sei nicht festgestellt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.05.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten darauf hingewiesen, im Zustand eines Wachkomas mit zerebraler Schädigung zu sein. Diesseits werde das Urteil des BSG vom 11.08.2015 anders gelesen als vom Beklagten. Das BSG weiche gerade vom Vorliegen eines notwendigen Vollbeweises in vergleichbaren Fällen wie dem der Klägerin ab. Dass die Diagnostik spezifischer Sehstörungen insbesondere bei zerebral Geschädigten beschränkt sei, gehe nach Auffassung des BSG gerade nicht zu deren Lasten. Ein hinreichend sachlicher Grund für das Erfordernis einer genauen Lokalisierung der Sehstörung werde vom BSG nicht gefordert. Entscheidend sei vielmehr, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung Sehen fehle. Die Definition des Sehens im Widerspruchsbescheid greife nach den Feststellungen des BSG im vorliegenden Fall nicht. Demnach reiche nach Verständnis der Klägerseite die Feststellung aus, dass eine zerebrale Schädigung vorliege, aus der die Blindheit abzuleiten sei.
Im Schriftsatz vom 20.07.2017 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die fehlende Mitwirkungsmöglichkeit des Betroffenen zu dessen Lasten gehe. Wenn wie bei der Klägerin das Sehvermögen klinisch nicht untersucht werden könne und eine schwere Schädigung oder Zerstörung peripherer und/oder zerebraler Sehstrukturen nicht nachgewiesen sei, könne die Frage der Blindheit nicht beantwortet werden. Es gebe bei der Klägerin keinen Anhaltspunkt dafür, dass die optische Reizaufnahme gestört sei.
Das SG hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. H. vom 26.02.2018 eingeholt. Darin ist festgestellt worden, dass die Klägerin die Beschwerden nicht äußern könne, da sie unter dem Syndrom der reaktionslosen Wachheit leide und nicht gezielt auf Ansprache reagiere. U.a. ist in dem mitübersandten ärztlichen Abschlussbericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 03.08.2017 geschildert, dass die Klägerin bei Aufnahme und Entlassung wach gewesen sei. Es hätten spontane Bulbusbewegungen ohne erkennbare aktive visuelle Explorationsfähigkeit bestanden. Eine erkennbare Blickfixation oder Blickfolgereaktion seien nicht auslösbar gewesen. Eine Schreckreaktion auf auditive Reize sei auslösbar, eine Orientierungsreaktion nicht beobachtbar. Die Reaktion auf taktile Reize sei unspezifisch. Willkürmotorik sei nicht beobachtet bzw. lediglich vereinzelt leichte Bewegungen des rechten Arms, jedoch nicht auf Aufforderung reproduzierbar und nicht funktionell einsetzbar. In dem Bericht des Therapiezentrum B-Stadt vom 06.12.2016 ist festgehalten worden, dass sich keine Hinweise für ein wiedererlangtes Minimalbewusstsein ergeben hätten, auch wenn sich geringfügige Verbesserungen gegenüber der Voruntersuchung ergeben hätten.
Im Schriftsatz vom 23.01.2019 ist der Beklagte im Hinblick auf die Ausführungen im Urteil des BSG vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) vom Vorliegen einer Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung bei der Klägerin ausgegangen. Allerdings sei in den ärztlichen Befunden das Syndrom einer reaktionslosen Wachheit nach hypoxischer Hirnschädigung beschrieben. Bei diesem Krankheitsbild sei es nicht vorstellbar, so der Beklagte, dass der Mangel an Sehvermögen durch bestimmte Maßnahmen (Assistenzleistungen wie z.B. Vorlesen bzw. Verfassen von Post, Hilfsmittel wie Lesegeräte, spezielle EDV, Blindenlangstock etc. Blindenführhund u.s.w.) ausgeglichen bzw. gemindert werden könne. Es werde daher Seitens des Beklagten der anspruchsvernichtende Einwand der Zweckverfehlung geltend gemacht.
Im Schriftsatz vom 05.04.2019 ist der Bevollmächtigte letzterer Auffassung entgegengetreten und hat diesbezüglich auf die Stellungnahmen des Therapiezentrums B-Stadt vom 24.09.2018 bzw. der logopädischen Praxis F. vom 18.03.2019 verwiesen. Es sei davon auszugehen, dass Menschen im Wachkoma bei vollem Bewusstsein sein könnten.
Zudem hat der Bevollmächtigte eine Stellungnahme des Ehemanns der Klägerin vom 20.03.2019 übersandt, in dem dieser darauf hingewiesen hat, dass das Verständnis des Beklagten nicht den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft und auch nicht seinen persönlichen Erfahrungen entspreche. Der Ehemann hat als spezielle durch die Blindheit entstandenen Mehraufwendungen das Vorlesen von Post, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie das Führen von Telefonaten, um bekannte Stimmen von Verwandten und Freunden hören zu können, und die Unterstützung beim Besuch von kulturellen Veranstaltungen genannt.
Im zur Verfügung gestellten Bericht des Therapiezentrum B-Stadt vom 24.09.2018 ist erneut das Syndrom der reaktionslosen Wachheit diagnostiziert worden. Trotz intensiver neurorehabilitativer Therapie habe sich der neurologische Zustand der Klägerin zwar stabilisiert, sichere Hinweise auf eine Kontaktfähigkeit hätten sich im Jahr 2016 aber nicht ergeben. Im HD-EGG habe sich im Vergleich zur Voruntersuchung 2016 nun erstmals ein positives Motor-Imagery als Hinweis darauf ergeben, dass die Klägerin möglicherweise verbale Aufforderungen verstehen und umsetzen könne. Basierend auf dem EEG-Befund wäre es vorstellbar, wenn auch hiermit nicht bewiesen, so der Bericht, dass die Klägerin nicht mehr im Syndrom reaktionsloser Wachheit, sondern im Syndrom des minimalen Bewusstseins sei.
In dem Bericht der Logopädin F. vom 18.03.2019 ist bestätigt worden, dass Kommunikation bei der Klägerin trotz des schweren Leid- und Störungsbildes über Gestik, Augenbewegung und Mimik, aber auch bei Ansprache möglich sei. Die Klägerin reagiere eindeutig auf ihre, der Logopädin, Stimme und könne Anweisungen nach einigen Sekunden gut umsetzen. Die Klägerin habe im Verlauf der Therapie immer mehr Reaktion auf Ansprache gezeigt. Eine Kontaktfähigkeit sei demnach gegeben. Sie zeige mit ihrem Gesichtsausdruck, ob es ihr gut gehe, oder mit Weinen oder Zusammenziehen der Gesichtsmuskulatur, ob sie Schmerzen habe. Dies alles seien eindeutige Anzeichen für ein Bewusstsein und Hörverstehen.
Am 28.05.2019 hat der Beklagte die Auffassung vertreten, dass aus den vom Bevollmächtigten übersandten Unterlagen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen entnommen werden könnten, mit denen speziell der Mangel an Sehvermögen ausgeglichen werden könne.
Mit Schreiben vom 24.07.2019 hat der Bevollmächtigte u.a. darauf hingewiesen, dass das Blindengeld mit vielen anderen Sozialleistungen verrechnet werde. Der nicht verrechenbare Bereich sei gerade der Anteil, der dem blindheitsbedingten Mehraufwand der betreffenden Person entsprechen solle.
Nach einem positiven EEG-Befund vom September 2018 habe der Ehemann der Klägerin die Kostenübernahme für ein Kommunikationsgerät mit Augensteuerung beantragt; mit dem Gerät und einer speziellen Software sei es möglich, mittels Kontrolle und Fixieren der Pupillen am Bildschirm in spielerischer Form Reaktionen auszulösen. Ziel sei es, im Verlauf der Therapie über einfache Symbole eine Interaktion mit der Umwelt zu ermöglichen. Allerdings sei festzustellen, dass der Klägerin ein gezieltes bzw. sicheres Fixieren nur äußerst schwer möglich sei. Im Rahmen der Testung habe lediglich festgestellt werden können, dass die Klägerin - mehr oder weniger kontrolliert, möglicherweise aber auch zufällig - den Bildschirm fixieren könne. Die Anwendung und die tägliche Übung erforderten einen erheblichen Zeitaufwand und eine Assistenz, was auch den blindheitsbedingten Mehraufwand ausmache.
In dem ebenfalls beigefügten Attest des Pflegedienstes der Klägerin zum Thema Kontakt- Wahrnehmungsfähigkeit von der Pflegeleitung Frau E. vom 25.07.2019 (Eingang beim SG) ist die Überzeugung betont worden, dass die Klägerin über ihr Gehör sehr gut wahrnehme und verbale Äußerungen verstehe. Eine verwertbare Kontaktfähigkeit sei mittels Lidschluss sowie über die ausgeprägte Gesichtsmimik der Klägerin gegeben. So gebe sie beispielsweise eindeutige Ja-Nein-Antworten auf Fragestellungen im pflegerischen Alltag oder sie lächele, wenn jemand etwas Lustiges sage. Wenn der Klägerin etwas nicht gefalle oder wenn sie Schmerzen habe, kommuniziere die Klägerin dies ebenso. Weiter sei sie in der Lage, einfache verbale Aufforderungen zu befolgen wie z.B. das Öffnen des Mundes zur Mundpflege. Da die Verarbeitung visueller Reize nicht möglich sei, müsse dieser Nachteil vom Pflegedienst im pflegerischen Alltag über eine extrem langsame und sehr zeitaufwendige Kommunikation ausgeglichen werden. Um es der Klägerin zu ermöglich, sich trotz mangelnder Verarbeitung der Seheindrücke mit der Umgebung vertraut zu machen, Kontakt mit ihrer Umwelt, Freunden, Verwandten und Angehörigen zu pflegen, sowie am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzunehmen sei aus Sicht des Pflegedienstes eine spezielle Assistenz unbedingt notwendig, die der Pflegedienst jedoch nicht leisten könne. Eine solche auf Menschen mit Hirnschädigung spezialisierte Assistenz könne die Nachteile durch den Mangel an Sehvermögen bei der sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe ausgleichen. Momentan werde diese Aufgabe durch den Ehemann der Klägerin übernommen.
Mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 30.07.2019 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 02.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2017 verpflichtet, der Klägerin Blindengeld ab 01.09.2018 zu gewähren.
In den Urteilsgründen hat das SG dargelegt, dass die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG sei. Entscheidend sei allein, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehle, was hier der Fall sei. Dass Blindheit vorliege, sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Ein Anspruch der Klägerin sei erst ab September 2018 gegeben, da für die Zeit zuvor der Beklagte zu Recht den Einwand der Zweckverfehlung geltend gemacht habe. Bei der Klägerin bestehe durch das Wachkoma ein sehr komplexes Krankheitsbild. Ein nachgewiesener Zustand dauerhafter Bewusstlosigkeit sei aber nur bis September 2018 anzunehmen. U.a. hat das SG hervorgehoben, dass die Klägerin 2016 und 2017 im Rahmen der Untersuchung im Therapiezentrum B-Stadt nicht auf die Aufforderungen der Bewegungsvorstellung reagiert habe, vielmehr habe unzweifelhaft ein Syndrom reaktionsloser Wachheit bestanden. Bei der Untersuchung im September 2018 habe sich das Bild dann aber anderes dargestellt. Aufgaben zur Bewegungsvorstellung habe die Klägerin mit einer Trefferquote von 70% befolgen können, sodass sich im Vergleich zu sämtlichen Voruntersuchungen nunmehr erstmal ein positives Motor-Imagery gezeigt habe (siehe oben). Zusammenfassend verbleibe es zwar bei der klinischen Einschätzung einer reaktionslosen Wachheit, möglicherweise bestehe jedoch ein minimales Bewusstsein. Nachdem der Beklagte für den Einwand der Zweckverfehlung beweispflichtig sei, so das SG, seien nach der Ansicht der erkennenden Kammer diese Zweifel am weiteren Vorliegen eines gänzlich apallischen Syndrom maßgeblich, sodass der Einwand nicht mehr überzeugend geführt werden könne. Ergänzt werde dies um den logopädischen Bericht vom 28.03.2019 (Frau F.). Gerade mit der logopädischen Behandlung zeige sich, dass bei der Klägerin kein Zustand mehr vorliege, der einer gänzlichen Bewusstlosigkeit gleichkomme. Vielmehr sei die Klägerin förderungsfähig, sodass der Zweck der Gewährung von Blindengeld nicht verfehlt werde. Diese Förderungsfähigkeit werden auch gerade auch durch die klägerischen Angaben im Hinblick auf das angeschaffte Kommunikationsgerät, logopädische Behandlungen und Telefonate mit Freunden und Verwandten gestützt. Diese Aufwendungen seien, so dass SG, nicht rein dem Wachkoma geschuldet, sondern auch der fehlenden Sehfähigkeit, weshalb sie beachtlich seien.
Eine frühere Gewährung komme jedoch nicht in Betracht. Dass tatsächlich blindheitsbedingte Mehraufwendungen anfallen würden, könne vorliegend erst ab der Untersuchung im September 2018 nachvollzogen werden, da es zuvor keine ärztlich befundete Reaktion der Klägerin auf Reize gegeben habe.
Am 05.08.2019 hat der Beklagte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt, die zunächst damit begründet worden ist, dass unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 14.06.2018 ab September 2018 bereits keine der Blindheit nach dem BayBlindG entsprechende gleichschwere Störung des Sehvermögens angenommen werden könne. Anders als bei dem im Urteil des BSG berücksichtigten Sachverhalt sei vorliegend bei der Klägerin gerade nicht nachgewiesen, dass diese seit September 2018 Sinneseindrücke kognitiv überhaupt nicht mehr verarbeiten könne. Aus dem Bericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 24.09.2018 (s.o.) ergebe sich, dass bei der Klägerin nunmehr erstmals Hinweise für eine bewusste Verarbeitung vorliegen würden. Dies ergebe sich auch aus dem Bericht der Logopädin F. und daraus, dass ein durch die Krankenkasse bezahltes Kommunikationsgerät mit Augensteuerung angeschafft worden sei. Ein Fixieren von Gegenständen setze, so der Beklagte, gewisse visuelle und geistige Fähigkeiten, also eine kognitive Verarbeitung voraus. Dass vom Verlust einer solchen nicht ohne weiteres ausgegangen werde könne, ergebe sich auch aus dem Bericht der Pflegeleitung. Eine Beweislastumkehr habe das BSG mit der Entscheidung gerade nicht ausgesprochen.
Zudem hat der Beklagte erneut den Einwand der Zweckverfehlung erhoben. Soweit das SG das Kommunikationsgerät mit Augensteuerung als speziell blindheitsbedingten Mehraufwand betrachte, sei darauf hinzuweisen, dass einerseits schon kein Mehraufwand erfolge, da es bereits durch die Krankenkasse finanziert werde und andererseits, dass dieses Hilfsmittel bereits gegen das Vorliegen von Blindheit spreche. Auch das vom SG genannte Führen von Telefonaten und die Behandlung durch eine Logopädin stelle nach der Rechtsauffassung der Beklagten keinen spezifisch blindheitsbedingen Mehraufwand dar. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit ein Mangel an Sehvermögen durch das Führen von Telefonaten und die Behandlung bei der Logopädin ausgeglichen werden könne, um eine selbstbestimmte Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu erreichen.
Am 13.08.2019 hat auch die Klägerin gegen das Urteil Berufung eingelegt und beantragt, dieses dahingehend abzuändern, dass der Klägerin Blindengeld in gesetzlicher Höhe bereits seit Antragstellung zu gewähren sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten weiche das BSG gerade von dem Vorliegen eines notwendigen Vollbeweises in vergleichbaren Fällen wie hier ab. Das BSG habe festgestellt, dass die Diagnostik spezifischer Sehstörungen insbesondere bei zerebral geschädigten Personen beschränkt sei. Dies gehe nach Auffassung des BSG gerade nicht zu deren Lasten. Auch die alte Rechtsprechung, dass die Einschränkung sonstiger Sinnesorgane einem entsprechenden Blindengeldanspruch entgegenstehe, sei ausdrücklich aufgegeben wurde. Schließlich hat der Bevollmächtigte auch auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz hingewiesen. Wenn im Urteil des SG auf die HD-EEG-Untersuchungen vom September 2018 als Entscheidungskriterium abgestellt werde, sei festzustellen, dass diese Untersuchungen im Umkehrschluss nicht beweisen würden, dass zu vorherigen Zeitpunkten Bewusstsein und Reaktionen nicht vorhanden gewesen seien. Solche EEG-Untersuchungen seien lediglich Momentaufnahmen, die mehr oder weniger zufällig die Situation dokumentierten, wie sie sich im Zeitfenster von ca. einer halben Stunde während des EEG darstellen würden. Im Übrigen sei festzustellen, dass die intensiven Zuwendungen zur Klägerin im Zeitraum Juni 2016 bis September 2018 zu einer signifikanten Verbesserung ihres Zustands geführt hätten. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen hat der Bevollmächtigte auf einen Bericht verwiesen, der von ca. 40% Fehldiagnosen bei Wachkomapatienten spreche.
Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 30.09.2019 die Auffassung vertreten, dass mit Blick auf die Berichte des Therapiezentrums B-Stadt (vom 24.09.2018), der Logopädin und der Pflegeleitung gerade nicht nachgewiesen sei, dass die Klägerin seit September 2018 Sinneseindrücke kognitiv überhaupt nicht mehr verarbeiten könne.
Mit Schreiben vom 05.12.2019 hat der Bevollmächtigte einen aktuellen Befundbericht von Prof. Dr. B., Therapiezentrum B-Stadt, vorgelegt, aus dem Blindheit im Sinne des BayBlindG eindeutig und zweifelsfrei hervorgehe. In dem Bericht bzgl. der HD-EEG-Untersuchung/Bewusstseinsdiagnostik ist u.a. festgehalten worden, dass es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, konsistent auf die Aufforderungen zu reagieren. Im EEG sei also kein Anzeichen für das Befolgen von Aufforderungen zu entdecken. Es habe aber, so Prof. Dr. B. und der Psychologe R., gezeigt werden können, dass die Klägerin ihr Umfeld auditiv wahrnehmen könne. Die Analyse des neuronalen Netzwerks ordne die Klägerin am ehesten den Patienten zu, die ein Minimalbewusstsein hätten. In der klinischen Verhaltensbeobachtung zeige sich die Klägerin allerdings im Syndrom reaktionsloser Wachheit.
Aus dem ärztlichen Bericht vom 04.12.2019 gehen die Angaben des Ehemannes der Klägerin hervor, dass der Zustand der Klägerin im vergangenen Jahr im Wesentlichen stabil geblieben sei. Immer wieder komme es zu situationsadäquater Veränderung der Mimik. Der neurologische Untersuchungsbefund habe eine wache, aber nicht fixierende Patientin gezeigt. Es bestünden horizontal schwimmende Bulbusbewegungen. Ein Optokinetischer Nystagmus (OKN) sei nicht feststellbar. Es bestehe eine spastischen Tetraplegie und es zeigten sich unerschöpfliche Kloni im Bereich aller Extremitäten. Das EEG reflektiere weiterhin eine schwere diffuse Gehirnschädigung in Folge der Hypoxie, diesmal erneut ohne Nachweis epileptischer Aktivität. Aufgrund des HD-EEG sei davon auszugehen, dass die Klägerin zumindest bei minimalem Bewusstsein sei. Hinsichtlich der Ableitung visuell evozierter Potentiale (VEP) mittels Blitzlichtbrille ist in dem Bericht festgestellt worden, dass beidseits keine reproduzierbaren kortikalen Reizantworten ableitbar seien. Der Befund spreche für eine schwere Beeinträchtigung der Sehbahn und in der Zusammenschau mit Anamnese und klinischem Befund für eine vollständige beidseitige kortikale Blindheit.
Im Schriftsatz vom 16.12.2019 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass es immer noch fraglich sei, ob die Klägerin seit September 2018 Sinneseindrücke kognitiv verarbeiten könne oder nicht. Aus den Berichten des Therapiezentrums B-Stadt vom 04.12.2019 ergebe sich nunmehr, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin wohl wieder deutlich schlechter darstelle. Der Beklagte halte jedenfalls seinen Zweckverfehlungseinwand aufrecht.
Im Erörterungstermin vom 24.01.2020 sind Sachverhalt und Rechtslage ausführlich besprochen worden.
Im Nachgang hierzu hat der Bevollmächtigte einen beispielhaften Tagesablauf der Klägerin zum Nachweis ihrer blindheitsbedingten Mehraufwendungen übersandt. Die Aufstellung kommt zu einer durchschnittlichen Summe pro Tag blindheitsbedingten Mehraufwands von 180 Minuten, was einem monatlichen Aufwand von 1.350,00 Euro entspreche (Stundensatz von 15,00 Euro).
Im Auftrag des Gerichts hat sodann Prof. Dr. D. am 23.03.2020 ein neurologisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage erstellt. Angesichts des von Prof. Dr. B. erstellten Berichts, der die Klägerin über mehrere Jahre hinweg in ihrem Gesundheitszustand verfolgen habe könne, sodass damit eine Längsschnittbeobachtung vorliege, und angesichts der aktuellen Risikokonstellation aufgrund der Covid-19-Pandemie erscheine eine eigene klinische Untersuchung entbehrlich bzw. nicht sinnvoll.
Im dem Gutachten hat Prof. Dr. D. darauf hingewiesen, dass sich aus den Schilderungen des Ehemannes der Klägerin, es komme immer wieder zur situationsadäquaten Veränderungen der Mimik etc., nicht ergebe, ob diese Kommunikationsversuche zu irgendeiner gezielten Reaktion oder sogar Mitarbeit bei den Dingen des täglichen Lebens wie Waschen, Ankleiden und Transfer vom Bett in den Rollstuhl führen würden. Hierzu sei, so der Gutachter, zu bemerken, dass jedem in die Behandlung schwerst hirngeschädigter Menschen involvierten Arzt das Phänomen bestens bekannt sei, wonach von den Angehörigen - häufig auch von langzeitig einbezogenen Therapeuten - gezielte Reaktionen und aktive Verhaltensweisen der Betroffenen beschrieben würden, die ärztlicherseits und von den in den Kliniken tätigen Therapeuten nicht gesehen würden. Es bleibe in diesen Fällen dann letztlich unklar, ob es in der dauerhaften Beschäftigung mit den Betroffenen tatsächlich gelinge, bei diesen auf niedrigem Niveau Bewusstseinsinhalte zu aktivieren oder ob es sich hierbei um ein nur allzu verständliches Wunschdenken handle. Im Falle der Klägerin könne kein Zweifel bestehen, dass es sich um eine schwerst hirngeschädigte Patientin handle. Dies schließe es nicht aus, dass inselintakte Hirnzellen vorliegen würden, bedingt durch die etwas unterschiedliche Vulnerabilität der Hirnstruktur gegen ein Aussetzen der Sauerstoffversorgung. Im Folgenden hat der Sachverständige erläutert, dass die Differenzierung bzgl. der heute so bezeichneten reaktionslosen Wachheit (UWS) bzw. - bei Nachweis einer bewussten Hirnaktivität - des Syndroms des minimalen Bewusstseins (MCS) primär anhand klinischer Kriterien erfolge, wobei üblicherweise die revidierte Coma Recovery Scale (CRS-R) Anwendung finde. Die klinische Beurteilung der Klägerin mit Hilfe der CRS-R über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren hinweg und zuletzt auch dreieinhalb Jahre nach dem Schädigungsereignis habe letztlich unveränderte Werte ergeben, die damit als gesichert lediglich die Diagnose eines persistierenden Syndroms reaktionsloser Wachheit zulassen würden, wie sich das auch in den jeweiligen Befunden des Therapiezentrums B-Stadt ausdrücke. Weiter ist der Sachverständige ergänzend auf die zwei elektrophysiologischen Untersuchungen eingegangen.
Nachdem augenärztlicherseits ein intakter Sehapparat beschrieben worden sei und nachdem gemäß allen klinischen Erfahrungen die Augen gegenüber hypoxischen Zuständen wesentlich unempfindlicher seien als das Gehirn, habe er, Prof. Dr. D., angesichts der nicht ableitbaren VEP und des fehlenden OKN keinen vernünftigen Zweifel daran, dass bei der Klägerin aufgrund der bestehenden Hirnschädigung sowohl die Weiterleitung der vom Sehapparat aufgenommen optischen Reize als auch die Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein der Klägerin weitgehend aufgehoben seien. Aufgrund des Herz-Kreislauf-Stillstandes handle es sich - im Gegensatz zu lokalen Schäden z.B. im Rahmen einer Hirnblutung - um eine diffuse Schädigung aller Hirnstrukturen, sodass im vorliegendem Fall davon auszugehen sei, dass sowohl die Leitungsbahn im Gehirn von den Augen über die verschiedenen Strukturen hinweg bis zur okzipital gelegenen Sehrinde als auch die im Okzipitallappen gelegene Sehrinde selbst, die der Verarbeitung der visuellen Information diene, irreversibel geschädigt seien.
Soweit den Unterlagen zu entnehmen, bestehe letztlich seit Abschluss der Akutversorgung nach den klinischen Kriterien der hierfür maßgeblichen CRS-S ein unveränderter Befund im Sinne eines Syndroms reaktionsloser Wachheit. In der ersten Zeit sei noch eine Schreckreaktion auf laute akustische Reize beschrieben, die zuletzt nicht mehr dokumentiert sei. Allerdings habe sich zumindest bei der jüngsten Ableitung ereigniskorrelierter auditiver Potentiale ein gewisser Hinweis darauf ergeben, dass auditive Signale in gewissem Umfang verarbeitet würden, was dann für ein subklinisch erhaltenes Bewusstsein im Sinne eines minimalen Bewusstseins (MCS) sprechen könne. Prof. Dr. D. hat anhand der vorliegenden ärztlichen Befunddokumentationen folgendes Bild bei der Klägerin festgestellt:
- Geruchssinn/Geschmack: nicht prüfbar
- Auditive Funktionen: Schreckreaktion inkonstant erhalten
- Visuelle Funktion: ausgefallen
- Motorische Funktion: keine reproduzierbaren Willkürbewegungen dokumentiert, lediglich motorische Phänomene im Rahmen der Tetraspastik auf spinalem Niveau
- Sensible Funktion: keine Reaktion auf Schmerzreize
- Kommunikation: ärztlicherseits keine Kontaktaufnahme möglich
Was die Frage nach den verbliebenen Fähigkeiten angehe, bestünden, so der Sachverständige, Unterschiede zwischen der ärztlichen Einschätzung und der Schilderung des Ehemannes bzw. der betreuenden Logopädin. Demnach seien ärztlicherseits - mit Ausnahme inkonstanter Hinweise auf funktionell allerdings nicht bedeutsame minimale Hirnfunktionen - keine verbliebenen Fähigkeiten dokumentiert. Ob die vom Ehemann beschriebene Kommunikation mit der Klägerin eine ausschließlich einseitige darstelle, bleibe unklar, und die von der Logopädin beschriebene motorische Reaktion auf Aufforderungen habe bei den Untersuchungen im Therapiezentrum B-Stadt nicht reproduziert werden können. Soweit es sich hierbei um Mundbewegungen handle, bleibe unklar, inwieweit es sich um ein bewusstes Öffnen des Mundes oder um orale Reflexe handle, die nicht über das Großhirn getriggert würden, sog. primitive Reflexe.
Das Vorliegen einer reaktionslosen Wachheit stehe nach den klinischen Kriterien fest, das Vorliegen eines minimalen Bewusstseins von funktioneller Relevanz sei nach den vorliegenden Befunden möglich, jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender und auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen.
Für eine Begutachtung auf einem anderen Fachgebiet sehe er, der Sachverständige, keine Begründung, das vorliegende Behinderungsbild betreffe das neurologische Fachgebiet.
Im Schriftsatz vom 14.04.2020 hat der Beklagte dargelegt, dass aufgrund des Sachverständigengutachtens nun feststehe, dass die Klägerin seit 2016 durchgehend keinerlei Sinneseindrücke kognitiv verarbeitet haben könne. Damit liege ein mit dem BSG-Urteil vom 14.06.2018 vergleichbarer Sachverhalt vor. Der Beklagte halte damit seinen Einwand der Zweckverfehlung aufrecht, da sich die gesundheitliche Situation der Klägerin nunmehr durchgehend so darstelle, wie sie auch das SG für den Zeitraum bis August 2018 seiner Entscheidung zugrunde gelegt und den Einwand der Zweckverfehlung als begründet angesehen habe. Die vom Bevollmächtigen im Schreiben vom 07.02.2020 beschriebenen Tätigkeiten stellten allesamt keinen blindheitsbedingten Mehraufwand dar. Entsprechend der Rechtsprechung des erkennenden Senats stellten Aufwendungen für allgemeine pflegerische Betreuung keine blindheitsbedingte Mehraufwendungen dar. Das schwierige Krankheitsbild der Klägerin schließe es aus, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (auch nur teilweise) ausgeglichen werden könne.
Mit Schriftsatz vom 27.05.2020 hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass es einen Beweis dafür, dass die Klägerin als Mensch mit der Diagnose Syndrom reaktionsloser Wachheit keinerlei Sinneseindrücke verarbeiten könne, nicht gebe. Es sei unbestritten, dass komatöse und nach außen vollkommen reaktionslose Menschen sehr wohl auch Sinneseindrücke wahrnehmen und verarbeiten könnten. Deshalb habe das BSG festgelegt, dass es auf entsprechende Reaktionen gerade nicht ankomme. Kein Neurologe - auch nicht der Gutachter - könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestätigen, dass die Klägerin dauerhaft über keinerlei Bewusstsein verfüge und dauerhaft zu keinerlei Reaktionen fähig sei und auch dauerhaft keinerlei Sinneseindrücke verarbeiten könne. In der neurologischen Rehabilitation gelte seit Jahrzehnten grundsätzlich die Annahme, dass jeder Mensch im Koma über Bewusstsein verfüge und zu Reaktionen fähig sei, weil das Gegenteil regelmäßig nicht beweisbar sei. Auch der Arztbrief von Prof. Dr. B. gehe davon aus, dass aus einem negativen EEG nicht auf fehlendes Bewusstsein geschlossen werden könne.
Im Übrigen seien mehrere Zeugen dafür benannt worden, dass die Klägerin Reaktionen zeigen sowie Sinneseindrücke wahrnehmen und verarbeiten könne. Der Bevollmächtigte hat auch eine Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes Dr. L. vom 08.05.2020 beigefügt, in dem dieser u.a. bestätigt hat, festgestellt zu haben, mit der Klägerin sogar kommunizieren zu können. Auf seine Erklärungen hin sei die Mundöffnung größer geworden. Er, der Zahnarzt, sei davon überzeugt, dass die Klägerin seine verbale Ansprache höre und deren Inhalte verstehe und dass sie über nonverbale Signale wie Mimik, Speichel, Herzfrequenz, Atmung etc. reagiere und damit auch kommuniziere. Zusammenfassend sei zu bestätigen, dass die Klägerin über ihr Gehör auditiv gut wahrnehmen könne. Sie könne sich mittels nonverbaler Kommunikation äußern und auf verbal kommunizierte Anweisungen reagieren. Es stehe zweifelsfrei fest, dass die Klägerin Sinneseindrücke wahrnehmen und kognitiv verarbeiten könne.
Schließlich sei die Behauptung des Beklagten, so der Bevollmächtigte, dass die dargestellten Mehraufwendungen allgemeine pflegerische Betreuung darstellen würden, falsch, weil die geschilderten Assistenzleistungen pflegerisch gerade nicht notwendig seien und vom Pflegepersonal auch nicht erbracht und abgerechnet würden.
Am 28.05.2020 hat der Bevollmächtigte eine sehr ausführliche Stellungnahme des Ehemanns der Klägerin übermittelt. Darin hat dieser zunächst darauf hingewiesen, dass Prof. Dr. D. die Blindheit der Klägerin bestätigt habe. Hingegen liefere das Gutachten keinen Beweis, der den Einwand der Zweckverfehlung rechtfertigen würde. Im Folgenden ist der Ehemann der Klägerin auf einzelne Aussagen im Gutachten eingegangen. Dabei hat er u.a. hervorgehoben, dass es sich bei der Klägerin nicht um Kommunikationsversuche, sondern um echte Kommunikation handle, weil der Mensch nämlich nicht nicht kommunizieren könne. Eine verbale Ansprache bzw. Information der Klägerin seien jedenfalls sinnvoll und keinesfalls zweckverfehlend. Die Erfassung der Reaktionen der Klägerin darauf erfolge mittels empathischer und sehr aufmerksamer Wahrnehmung der von ihr nonverbal gesendeten Kommunikationssignale. Der Ehemann der Klägerin hat im Folgenden zahlreiche Kommunikationssignale, die die Klägerin verwende, beschrieben; bei dieser Kommunikation gehe es zunächst darum, dem im Bewusstsein veränderten blinden Menschen Informationen und Orientierung zu geben. Mit den Kommunikationssignalen könne die Klägerin z.B. erklären, wenn das aktuell gebotene "Unterhaltungsprogramm" für sie passe. Eine konkrete Mitarbeit der Klägerin erfolge auch im Pflegealltag und während der Therapie. So helfe die Klägerin z.B. über die gezielte Veränderung ihres Muskeltonus bei den Übungen mit etc. Weiter hat der Ehemann auf die Sichtweise der Schulmedizin aufmerksam gemacht, die es für Ärzte schwer mache, bei den betroffenen Patienten Reaktionen zu erkennen, Bewusstseinsinhalte zu aktivieren und Kommunikation aufzubauen. Auch im Koma werde im Übrigen nonverbal und unbewusst kommuniziert.
Schließlich hat der Ehemann hervorgehoben, dass es sich nicht um Wunschdenken handle, wenn von unterschiedlichen und emotional unbeteiligten Personen ähnliche Wahrnehmungen geschildert würden. Im Fall der Klägerin seien es mindestens 15 Fachpflegekräfte, drei Therapeuten, die Alltagsbetreuung, ein Zahnarzt, Verwandte sowie diverse Freunde und Bekannte - insgesamt über 30 Personen.
Anders als Prof. Dr. D. annehme, seien die Schreckreaktionen, die auditive Funktion, nicht nur inkonstant, sondern seit der Frührehabilitation bis heute reproduzierbar vorhanden. Bereits im Bericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 05.12.2016 sei die entsprechende Messung im HD-EEG positiv gewesen (p 300-Antwort).
Der Ehemann hat schließlich auch auf die erfolgte Verschreibung eines antidepressiv wirksamen Medikaments für die Klägerin hingewiesen.
Die Aussage des Sachverständigen, dass keine Reaktion auf Schmerzreize feststellbar sei, sei unzutreffend. Es bestehe eine eindeutige Schmerzsymptomatik.
Wenn Prof. Dr. D. beschreibe, dass die von der Logopädin beschriebene motorische Reaktion ärztlicherseits nicht reproduziert habe werden können, sei dies damit zu erklären, dass die Reaktion auf die Aufforderung zum Öffnen des Mundes bei der Klägerin nur von Personen ausgelöst werden könne, zu der die Klägerin über einen langen Zeitraum ein großes Vertrauensverhältnis (wie langjährig tätige Pflegekräfte) aufgebaut habe.
Die im vorgelegten Tagesablauf beschriebene Kommunikation sei nicht "nur einseitig", da die Klägerin über diverse Signale nonverbal kommuniziere. Zu beachten sei, dass Ärzte Diagnosen auf Basis von Momentaufnahmen stellen würden und nicht die Zeit für die erforderliche Vertrautheit hätten. Die heutige Wissenschaft stoße bei der Diagnose und Behandlung von Menschen mit veränderten Bewusstseinszuständen "offensichtlich an ihre Grenzen - Ärzte müssen zugeben, dass sie vieles leider (noch) nicht wissen."
Auf die vorangegangene Anfrage des Gerichts hat der Ehemann mitgeteilt, dass Konzert- und Theaterbesuche mit der Klägerin mehrmals im Monat stattfinden würden. Was die konkrete Anfrage betreffe, sei seine Antwort ganz klar: Er gehe selbstverständlich davon aus, dass die Klägerin die Inhalte auditiv wahrnehmen und zumindest phasenweise auch verstehen und somit erfassen könne. Zudem würden verschiedene Ausflüge mit der Klägerin stattfinden wie Rollstuhlwanderungen, Schifffahrten, Besuche von Parks, Weihnachtsmärkten etc. und Ausflüge in die Berge. Gleiches gelte für Urlaube. Abschließend hat der Ehemann der Klägerin noch zahlreiche Fotos beigefügt hinsichtlich der erfolgten Unternehmungen
Mit Schriftsatz vom 01.10.2020 hat der Bevollmächtigte weitere Bescheinigungen von Behandlern der Klägerin vorgelegt, aus denen abzuleiten sei, so der Bevollmächtigte, dass der Zweckverfehlungseinwand vorliegend mehr als verfehlt sei. Es würde durchgehend bestätigt, dass die Klägerin auf verschiedenste Reize reagiere und auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten in der Lage sei, ihren Willen bzw. Unwillen zur Kenntnis zu bringen. Sinnesleistungen könnten nach den Bescheinigungen wahrgenommen und sowohl aktiv als auch passiv durch die Klägerin genutzt werden. In der beigefügten Bescheinigung ("Zeugenaussage") des Physiotherapeuten A. vom 23.09.2020 ist u.a. bestätigt worden, dass die Klägerin durch Speichelfluss, Mimik, Spannungszustände, Herzfrequenz und Atmung auf Ansprache reagiere. Wenn die Klägerin Bewegungsaufträge erhalte, könne sie die Bewegung nicht selbst ausführen, sie könne die Bewegung jedoch locker zulassen oder durch erhöhte Spannung gegenarbeiten. Die Klägerin zeige auch eine deutlich unterschiedliche Tagesverfassung. U.a. sei auf Erzählungen, die Stimmlage und Lautstärke eine entsprechende Reaktion der Klägerin festzustellen. Diese könne über ihr Gehör auditiv gut wahrnehmen sowie verbal kommunizierte Inhalte erfassen und verstehen. Sie könne sich mittels neuer verbaler Kommunikationssignale äußern und auf verbal kommunizierte Anweisungen reagieren. Es stehe aus seiner, des Physiotherapeuten, Sicht zweifelsfrei fest, dass die Klägerin Sinneseindrücke wahrnehmen und kognitiv verarbeiten könne. Keinesfalls befinde sie sich in einem Zustand des dauerhaften Komas oder einer dauerhaften Bewusst- und Reaktionslosigkeit. Eine Assistenz bezüglich verbaler Erläuterungen und der Beschreibung ihrer Umgebung sei für sie extrem wichtig.
Die behandelnde Ergotherapeutin S. hat in ihrer Stellungnahme ("Zeugenaussage"), eingegangen beim Senat am 02.10.2020, u.a. bestätigt, dass für die Klägerin mittlerweile das Abspielen einer bestimmten Musik nicht mehr notwendig sei, um die Therapeutin wiederzuerkennen. Wenn die Klägerin körperliche Schmerzen habe, signalisiere sie dies durch Verkrampfen der Arme, vermehrten Speichelfluss oder durch veränderte Gesichtsmimik. Fordere man die Klägerin auf, Bewegungen zu wiederholen, könne es sein, dass sie diese ausführen könne; leider sei solch eine Situation nicht konstant abrufbar. Die Klägerin nehme sie, die Therapeutin, wahrscheinlich wahr und eine Art Wiedererkennung sei möglich. Über welchen Sinneskanal dies geschehe, sei leider nicht zu sagen.
Die Alltagsbetreuerin S. hat am 05.06.2020 die alltagsbegleitenden Angebote für die Klägerin beschrieben und dabei bestätigt, dass zwar kein Blickkontakt erkennbar, jedoch nonverbale Kommunikation möglich sei. Die Klägerin antworte auf Ja-Nein-Fragen mit Augenzwinkern oder einem tiefen Atemzug. Sie lehne Angebote z.B. durch Speichelfluss und Tränen ab und könne Wohlwollen z.B. durch einen zufriedenen Gesichtsausdruck signalisieren. Die Klägerin könne sich längere Zeit konzentrieren und scheine bewusst und aufmerksam das Geschehen rundum wahrzunehmen.
In der Stellungnahme vom 30.09.2020 haben die Pflegedienstleitung und die Leitung der Wohngemeinschaft der Einrichtung der Klägerin diese Schilderungen ergänzt. Da die Klägerin visuell nicht oder nur sehr eingeschränkt wahrnehme, sei verbale Ansprache für sie das allerwichtigste. Der Klägerin würden daher Geschichten und Anekdoten erzählt, es würden aus Büchern und Zeitschriften vorgelesen, Fotos und gebastelte Blumencollagen erläutert und gemeinsam mit ihr Musik und Geräusche gehört. Es erfolge eine Teilhabe in der Gemeinschaft der Bewohner. Ganz wichtig für die Klägerin seien auch Aktivitäten außerhalb der Wohngemeinschaft wie Spaziergänge, Ausflüge und Konzertbesuche. Dass die geschilderten Aufwendungen ihren Zweck nicht verfehlen würden, sei insbesondere während der Beschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie gespürt worden. Während dieser Zeit sei die Klägerin extrem angespannt gewesen etc. Die Pflegekräfte seien davon überzeugt, dass die Klägerin über ihr Gehör auditiv gut wahrnehmen sowie verbal kommunizierte Inhalte erfassen und verstehen könne. Eine Assistenz bezüglich verbaler Erläuterungen und der Beschreibung ihrer Umgebung sei für sie extrem wichtig.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2019 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2017 zu verurteilen, der Klägerin ab 01.07.2016 Blindengeld zu gewähren,
und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen
sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Hingegen bleibt die Berufung der Klägerin ohne Erfolg; sie ist zwar zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind oder hochgradig sehbehindert im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (bereits) ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht.
Das SG hat einen Anspruch der Klägerin ab 01.09.2018 zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
A. Die zulässige (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 02.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14 - und vom 20.12.2018 - L 15 BL 6/17) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.).
Dies gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat und was auch durch sonstige Argumentationslinien, wie sie etwa in den Schriftsätzen des Bevollmächtigten enthalten sind, vorliegend nicht änderbar ist, weil sich der Senat an die Rechtsprechung des BSG gebunden fühlt.
Eine andere Situation hinsichtlich der Beweislast gilt nach der Rechtsprechung nur für den Zweckverfehlungseinwand (siehe hierzu unten).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
Sie ist zwar wohl blind im Sinne des BayBlindG. Der Beklagte hat jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild der Klägerin blindheitsbedingte Aufwendungen (in ihrer Situation) von vornherein ausschließt.
1. Bei der Klägerin lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. bereits die Entscheidungen vom 31.01.1995 - 1 RS 1/93 - und 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R; zuletzt Urteil vom 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung der Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt eindeutig aus den sämtlich nachvollziehbaren und aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, u.a. auch aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. D. und den ärztlichen Berichten von Prof. Dr. B., und ist auch zwischen den Beteiligten prinzipiell nicht streitig.
Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es in seiner neueren Rechtsprechung (Urteile vom 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) nicht mehr daran festgehalten. Vielmehr ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist" (BSG, a.a.O.). Der Senat fühlt sich an diese (neuere) Rechtsprechung des BSG gebunden (vgl. bereits das Urteil vom 19.12.2016 - L 15 BL 9/14), was im Übrigen nicht nur hinsichtlich der Blindheitsdefinition, sondern auch der Vorgaben zum Zweckverfehlungseinwand gilt (siehe im Einzelnen unten).
2. Blindheit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG liegt aufgrund der Darlegungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. D. sehr nahe, weil dieser nicht nur die Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein der Klägerin, sondern auch die Weiterleitung der Reize als "weitgehend aufgehoben" betrachtet. Hierauf kommt es - offensichtlich entgegen der Auffassung der Klägerseite (s.o.) - an, weil das Sehen und somit die Blindheit vom BSG verbindlich nun einmal im obigen Sinne definiert ist. Letztlich kann die Frage der Blindheit der Klägerin jedoch unbeantwortet bleiben.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht nämlich deshalb nicht, da der Beklagte erfolgreich den Einwand der Zweckverfehlung erhoben hat.
Wie das BSG in dem genannten Urteil vom 14.06.2018 dargelegt hat, stellt die in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG enthaltene Formulierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausgleichs blindheitsbedingter Mehraufwendungen keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Dennoch bleibe, so das BSG (a.a.O.), der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung, was sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz erschließe. So sehe das BayBlindG Regelungen zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen vor (Art. 4 Abs. 3 BayBlindG). Der Zweck des Blindengelds werde aber, so das BSG in der genannten Entscheidung, auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbilds des Betroffenen gar nicht erst ent- bzw. bestehen könne. Das BSG hat in der Entscheidung vom 14.06.2018 im Einzelnen Folgendes festgestellt:
"Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. Dies wird am ehesten auf generalisierte Leiden zutreffen können (zB dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma).
Das Gesetz geht in Art 1 Abs 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein "Mehraufwand" aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen [ ...]. Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S 1 zu A und 17/21510 S 1 zu A).
Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann."
Vorliegend hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin kann krankheitsbedingt durch keine Maßnahmen ausgeglichen werden.
Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Auswertung aller vorliegenden einschlägigen medizinischen und pflegerischen Unterlagen. Der Senat beruft sich hier vor allem auch auf die o.g. sachverständigen Feststellungen des beauftragten Facharztes Prof. Dr. D. und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. Vor allem die zahlreichen aussagekräftigen ärztlichen (und teilweise gleichzeitig psychologischen) Berichte des Therapiezentrums B-Stadt und auch die Angaben der Klägerseite selbst, auch wenn diese andere Schlussfolgerungen hieraus zieht, zeigen letztlich daneben ebenfalls deutlich, dass aufgrund des Gesundheitszustands der Klägerin ein Ausgleich des Mangels an Sehvermögen nicht möglich ist.
1. Maßgeblich sind die tatsächlichen bei der Klägerin bestehenden Verhältnisse (vgl. bereits die Urteile des Senats vom 12.11.2019 - L 15 BL 1/12 - und 26.11.2019 - L 15 BL 2/19). Auch wenn in dem o.g. Urteil des BSG von einer "näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder ..., welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen" die Rede ist, würde es nicht genügen, wenn der Beklagte ab-strakt alle insoweit einschlägigen Krankheitsbilder auflisten würde. Aus naheliegenden Gründen ist ein Verweis auf die jeweilige Diagnose nicht ausreichend, um dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats vom 17.07.2012 - L 15 BL 11/08, in dem im Einzelnen dargelegt worden ist, dass auch bei der Diagnose eines "vollständigen Apallischen Syndroms" die individuellen Verhältnisse mit Blick auf die der Feststellung immanenten diagnostischen Unsicherheit und der Begrenztheit medizinischer Erfahrungssätze im Einzelnen untersucht werden müssen); es sind die Voraussetzungen zu überprüfen, ob bei der konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen (so auch Braun, Die neuen Kriterien für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 3/2019, 94 (97)).
2. Mit dem BSG geht der Senat davon aus, dass der Begriff der blindheitsbedingten Mehraufwendungen weit auszulegen ist (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 12.11.2019, a.a.O.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den Darlegungen des BSG (s.o.) sowie aus den vom BSG genannten Motiven des Landesgesetzgebers (s.o.) (so auch Braun, a.a.O.). Hingegen bleibt geringfügiger, ggf. singulärer Mehraufwand, der (so gut wie) keine Kosten verursacht außer Betracht (Urteil des Senats vom 28.07.2020 - L 15 BL 2/17). Denn ein solcher "Aufwand" ist im Sinne von Art. 1 Abs. 1 BayBlindG ohne Bedeutung, weil es tatsächlich nichts auszugleichen gibt (vgl. zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses z.B. BeckOGK/ Bieresborn, 01.09.2019, SGG, § 54, Rn. 126) und weil das BayBlindG (nur) einen spürbaren Aufwand, der durch die betraglich nicht unerhebliche Dauerleistung auszugleichen ist, im Blick hat (Urteil des Senats vom 28.07.2020, a.a.O.).
3. Wie vom Senat ebenfalls bereits entschieden worden ist (Urteil vom 12.11.2019, a.a.O.), stellen entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 9/2019 Anm. 4) Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Der Senat kann der Argumentation (Dau, a.a.O.) nicht folgen, es sei zweifelhaft, ob es einen Fall mit einem anspruchsvernichtenden Zweckverfehlungseinwand im Freistaat Bayern jemals geben werden könne, weil das BayBlindG unter blindheitsbedingten Mehraufwendungen entsprechend den gesetzgeberischen Motiven in erster Linie Aufwendungen für die pflegerische Betreuung verstehe, Wachkomapatienten und zerebral schwerstgeschädigte Menschen jedoch in jedem Fall intensiver pflegerischer Betreuung bedürften, so dass sich der Leistungszweck des BayBlindG bei ihnen deshalb gar nicht verfehlen lasse. Denn zum einen lässt sich aus den Motiven des Gesetzgebers (vgl. Bayer. Landtag, Drs. 13/458, S. 5) eine Verengung auf die - wie auch immer verstandene - pflegerische Betreuung gar nicht ableiten. Zum anderen kann sich der Senat dieser formalen Argumentation auch nicht anschließen, da in den einschlägigen Fällen naheliegenderweise auf blindheitsspezifische Betreuung abzustellen ist. Anderenfalls würden übrigens die Vorgaben des BSG im Wesentlichen ins Leere laufen.
4. Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt nach der Entscheidung des BSG die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Dabei ist sie verpflichtet, soweit möglich den - wie oben dargelegt individuellen - Sachverhalt zu ermitteln, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass sie die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich einer negativen Tatsache trifft, eben hinsichtlich des Nichtvorhandenseins blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass zur Ermittlung daher neben den medizinischen/pflegerischen Unterlagen vor allem die Angaben der Personen heranzuziehen sind, die die Verhältnisse hinsichtlich des betroffenen blinden Menschen aufgrund der Sach- und Ortsnähe zutreffend beurteilen können. Die Antragsteller trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit.
Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz; so kann unnötiger Aufwand o.ä. keine Berücksichtigung finden.
Entscheidend nach der Rechtsprechung des BSG ist, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In der konkreten Situation des Betroffenen objektiv nicht möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand muss außer Betracht bleiben. Dies schließt es auch aus, Aufwendungen zu berücksichtigen, die lediglich in der Hoffnung getätigt werden, sie führten zu einer Besserung des Gesundheitszustands bzw. der Wahrnehmungsfähigkeit etc. des Betroffenen (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 28.07.2020 - L 15 BL 2/17).
5. Es wäre nicht ausreichend, wenn eine Zweckverfehlung des Blindengelds auf der einen oder das Vorliegen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf der anderen Seite aufgrund der schweren zerebralen Schäden der Klägerin, des Besuchs bestimmter Einrichtungen oder der Durchführung von Fördermaßnahmen ohne weitere Prüfung angenommen würde.
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aufgrund der vielmehr erforderlichen, im Einzelnen durchgeführten Prüfung der der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten durch den Senat ergibt sich, dass wegen den plausiblen medizinischen Unterlagen und den weiteren vorliegenden, o.g. Angaben davon auszugehen ist, dass es das (schwere) Krankheitsbild ausschließt, den Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (teilweise) auszugleichen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht fest, dass bei der Klägerin seit dem vorübergehenden Herz-Kreislaufstillstand (nach Bolusaspiration) eine schwere hypoxische Hirnschädigung mit Bewusstseinsstörung und Tetraspastik besteht. Wie der Beklagte (z.B. im Schriftsatz vom 14.04.2020) zutreffend und prägnant zusammengefasst hat, ist die Klägerin in jeder Hinsicht schwerst pflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig. Blindheitsspezifischer Aufwand ist nicht ersichtlich und konnte auch von der Klägerseite nicht dargelegt werden.
a. Im Verfahren ist von Klägerseite der Schwerpunkt der Argumentation auf die Möglichkeit der Klägerin zur Kommunikation mit ihrer Umwelt gelegt worden. Dies ist jedoch in dem erfolgten Ausmaß nicht gerechtfertigt, weil es bezüglich der Frage des Mehrbedarfs vor allem auf die tatsächlichen Aufwendungen ankommt und die Kommunikationsmöglichkeiten nur als ein (wenn auch wichtiger) Aspekt im Rahmen der der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten eine Rolle spielt.
Auch verkennt die Klägerseite die Voraussetzungen für den Zweckverfehlungseinwand. Sie nimmt rechtsirrig wohl an, der Zweckverfehlungseinwand könne nur dann erfolgreich sein, wenn bewiesen sei, dass "die Klägerin dauerhaft im Koma liegt, dauerhaft über keinerlei Bewusstsein verfügt und dauerhaft zu keinerlei Reaktionen fähig ist". Dem ist jedoch nicht so. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) gerade nicht diese Voraussetzungen aufgestellt, sondern nur dargelegt, dass in diesen Fällen auf jeden Fall der Zweckverfehlungseinwand durchgehen dürfte.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die Klägerin in einem Zustand entsprechend einem Syndrom reaktionsloser Wachheit bzw. phasenweise entsprechend einem Syndrom des minimalen Bewusstseins befindet. Im Einzelnen bestehen dabei nur rudimentäre Funktionen hinsichtlich der einzelnen Sinneswahrnehmungen, wobei der Senat zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass doch noch ein subklinisch erhaltenes Bewusstsein gegeben ist.
Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats ohne Weiteres aus dem Gutachten von Prof. Dr. D ... Das Gutachten des anerkannten Sachverständigen ist fundiert und plausibel. Der Senat macht sich die sachverständigen Feststellungen des neurologischen Sachverständigen nach eigener Prüfung zu eigen.
Er sieht keinen Anlass, die Feststellungen von Prof. Dr. D. anzuzweifeln.
Soweit dies durch den Ehemann der Klägerin erfolgt, weil es für Ärzte schwer sei, bei Menschen mit minimalem Bewusstseinszustand Reaktionen zu erkennen, Bewusstseinsinhalte zu aktivieren und Kommunikation aufzubauen, weil die heutige Wissenschaft bei der Diagnose und Behandlung von Menschen mit veränderten Bewusstseinszuständen "offensichtlich an ihre Grenzen" stoße und weil die Schulmedizin nicht den ganzheitlichen Menschen als Wesen mit Geist und Seele sehe, sondern ausschließlich das Körperlich-Funktionelle betrachte, ergibt sich daraus nichts anderes.
Der Senat teilt die Auffassung der Klägerseite betreffend die Grenzen der medizinischen Wissenschaft bei Diagnose und Therapie und bei sonstigen Erkenntnissen über die Gesundheitsaspekte betreffende Zusammenhänge, gerade eindrucksvoll bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ersichtlich. Dies entbindet ihn jedoch nicht davon, sich unter Heranziehung von einschlägigen medizinischen Erfahrungssätzen, wie es sie für die vorliegende Thematik durchaus gibt, eine Überzeugung etc. zu bilden, schon weil eine grundlegende Erkenntnisskepsis (auch) auf medizinischem Gebiet "das Ende jeglicher Rechtsprechungstätigkeit" bedeuten würde (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 50). Nach der Rechtsprechung des BSG sind Grundlage (auch für die gegenständlichen Beurteilungen auf dem Gebiet des Sozialen Entschädigungs- bzw. Blindengeldrechts) die Erkenntnisse der von Klägerseite kritisierten Schulmedizin (vgl. die Urteile des BSG vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R - und des Senats vom 02.07.2019 - L 15 VJ 8/17). Gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft, von dem auszugehen ist (a.a.O.). Für den Senat ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der beauftragte Sachverständige eine andere Grundlage herangezogen hätte. Er hat vielmehr diesen aktuellen Stand anschaulich dargestellt und ihn fehlerfrei auf den vorliegenden Fall angewandt. Er ist dabei nicht nur zu plausiblen Ergebnissen gekommen, sondern insbesondere auch zu solchen, die mit der gesamten übrigen Befundlage übereinstimmen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann zwar als aufopferungsvoller Betreuer und Pfleger der Ehefrau durchaus langjährige, vielfältige und intensive Erfahrung mit dem Zustand der Klägerin hat, jedoch im Hinblick auf seine theoretischen wissenschaftlichen Darstellungen als Laie argumentiert, auch wenn er sich - ersichtlich auch an den vorgelegten Veröffentlichungen - wohl in die Thematik eingearbeitet hat.
Zu weiteren Ermittlungen zum Gesundheitszustand im weiteren Sinne etc. der Klägerin bestand daher kein Anlass. Insbesondere ist es nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95; Urteil des erkennenden Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14).
Weitere Ermittlungen waren insbesondere auch nicht etwa deshalb veranlasst, weil der Ehemann der Klägerin dargelegt hat, dass entgegen den Feststellungen des Sachverständigen Schmerzreaktionen und insbesondere die entsprechenden Schreckreaktionen aufgrund täglicher Beobachtungen bei der Klägerin durchaus noch ersichtlich seien. Denn gerade die vom Ehemann der Klägerin hervorgehobenen Schreckreaktionen sind kein Beleg für eine Reizverarbeitung auf höherer Ebene. Wie der Senat unter Berücksichtigung der Literatur und gutachterlicher Darlegungen in früheren Verfahren längst entschieden hat, lassen sich z.B. mit sog. Startle-Reaktionen (im Sinne einer raschen, schützenden Reflexantwort der Muskulatur auf überraschende Reize) keine Anhaltspunkte für das Funktionieren eines Sinns finden; es kann eine "visuelle" Schreckreflexreaktion selbst bei blinden Personen ausgelöst werden (vgl. hierzu z.B. die Entscheidungen des Senats vom 01.08.2006 - L 15 BL 13/05, 17.07.2012 - L 15 BL 11/08 - und vom 27.03.2014 - L 15 BL 5/11). Startle-Reaktionen dürfen nicht als reizspezifische Antworten bzw. willkürliche motorische Reaktionen fehlgedeutet werden. Wahrnehmung umfasst nämlich alle Aktivitäten der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung, einschließlich der daran beteiligten kognitiven, motorischen und emotionalen Komponenten. Wahrnehmen findet nicht unabhängig von den anderen kognitiven Funktionssystemen (Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit etc.), sondern "im Konzert" mit diesen statt (vgl. näher Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MedSach 2015, 81 ff.).
Auch im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin (gegebenenfalls vereinzelt bzw. phasenweise) entsprechend der Kritik ihres Ehemanns am Gutachten und den vorgelegten Bescheinigungen noch zu nennenswerten auditiven und sensiblen Funktionen in der Lage ist, weil sich selbst bei der Annahme, dass dies zutreffend wäre, an dem Gesamtergebnis des Verfahrens nichts ändern würde. Denn der Senat ist davon überzeugt, dass selbst eine im beschriebenen Umfang zugestandene Funktionsfähigkeit auditiver und sensibler Sinnesmodalitäten der Klägerin nicht ausreichen würde, um einen blindheitsbedingten Mehrbedarf begründen zu können (siehe unten).
Vor allem aber sieht der Senat keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen, weil das Gutachten von Prof. Dr. D. plausibel ist.
Die von der Klägerseite vorgetragenen Beobachtungen und vorgelegten Bescheinigungen hinsichtlich des Zustands der Klägerin können an der Überzeugung des Senats nichts ändern.
Der Senat hat bereits Zweifel hinsichtlich der in den zahlreichen vorgelegten Bescheinigungen enthaltenen Beschreibungen des Zustands der Klägerin. Die - in Teilen beinahe wortgleichen - Bescheinigungen sind erkennbar von dem Bemühen getragen, der Klägerin im gegenständlichen Verfahren zum Erfolg zu verhelfen. Es fällt auf, dass sie nicht lediglich objektiv beschreiben, wie sich der Zustand der Klägerin darstellt, sondern unter Verwendung auch der einschlägigen Fachterminologie des BSG und des Senats Schlüsse ziehen, wie der Klägerin die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben etc. zu ermöglichen sei. So thematisiert der Zahnarzt der Klägerin in der oben genannten Stellungnahme nicht nur die mögliche Kommunikation mit der Klägerin, sondern nimmt - fachfremd - zu pflegerischen Aspekten, nämlich sogar dazu, was vom Pflegepersonal aus Zeitgründen bei der Klägerin nicht leistbar sei, Stellung. Hinzu kommt das vom Sachverständigen Prof. Dr. D. beschriebene und dem Senat aufgrund der zahlreichen gleich gelagerten Verfahren ebenfalls bereits bekannte Phänomen, dass auch lange in die Behandlung einbezogene Therapeuten gezielte Reaktionen und aktive Verhaltensweise der Betroffenen beschreiben, die ärztlicherseits und von nur kurzzeitig tätigen Therapeuten nicht gesehen werden.
Vor allem aber gilt Folgendes: Die von den Behandlern und vom Ehemann der Klägerin beschriebenen Reaktionen Letzterer lassen sich zwar durchaus auch mit dem Syndrom minimalen Bewusstseins vereinbaren; wie bereits dargelegt geht auch der Senat davon aus, dass zumindest teilweise noch ein subklinisch vorhandenes Bewusstsein gegeben ist. Daraus folgt aber nicht, dass sich die Klägerin in einem weniger ernsten bzw. einem solchen Zustand befinden würde, dass der Mangel (auch) ihres Sehvermögens durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden könnte.
Selbst die vom Ehemann im Einzelnen geschilderten Verhaltensweisen der Klägerin sind keine Belege dafür, dass die Klägerin entgegen der Auffassung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mehr als nur in ganz untergeordneten zeitlichen Umfang - der Ehemann der Klägerin spricht in seiner ausführlichen Darstellung vom 19.04.2020 selbst von einer vielleicht nur phasenweisen Möglichkeit - zu einer sinngebenden Kommunikation in der Lage wäre und Inhalte erfassen und verstehen könnte. Davon abgesehen, dass mitunter, würde man den Schilderungen und Schlussfolgerungen des Ehemanns der Klägerin in vollem Umfang folgen, sogar ein (vom klägerischen Vortrag ausgeschlossenes) Sehen der Klägerin nahe läge, wenn etwa dargestellt wird, dass die Klägerin ihren Ehemann und dessen Eltern "ausgehbereit vor der Wohnungstür" wahrgenommen habe, lassen die Beschreibungen nicht den Schluss zu, dass die Klägerin zu Inhaltserfassungen etc. in der Lage wäre. So ist aus Sicht des Senats etwa in keiner Weise auszuschließen, dass in dem betreffenden geschilderten Beispiel die Klägerin ihre Atmung deshalb zu einem sehr störenden Geräusch verändert hat, weil sie sich während der Vorstellung unwohl gefühlt hat - z.B. wegen der Lautstärke der (laut dem Ehemann "mit zu viel Klamauk dargebotenen") Revue - und nicht weil sie ihr Missfallen über die dramaturgische und sonstige künstlerische Gestaltung zum Ausdruck gebracht hat. Auch die anderen Schilderungen beinhalten keine überzeugenden Hinweise auf die Funktionsfähigkeit der Wahrnehmungsfunktionen einschließlich der Verarbeitung im Bewusstsein der Klägerin. Dass im Übrigen gerade Musik sich günstig auf das Wohlbefinden komatöser Patienten (oder ungeborener Kinder) auswirkt und von diesen - auf welcher Bewusstseinsebene auch immer - als wohltuend empfunden wird, ist offenkundig und ebenfalls kein Beleg dafür, dass die Klägerin im Sinne eines Verstehens zur Beurteilung der Musik etc. in der Lage wäre.
Selbstverständlich kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten doch umfangreicher sein könnten. Nach Überzeugung des Senats kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden. Soweit im Verfahren von der Klägerseite - wie vom Bevollmächtigten am 27.05.2020 - ausgeführt worden ist, dass nie gänzlich auszuschließen ist, dass nach außen reaktionslose Menschen auch Sinneseindrücke wahrnehmen können, teilt der Senat diese Auffassung. Diese entfernte Möglichkeit stellt jedoch nur einen Restzweifel im oben dargestellten Sinn dar, der nicht gewichtig ist hinsichtlich der Überzeugung des Senats, dass eine sinngebende Kommunikation mit der Klägerin nicht möglich ist und dass diese Inhalte etc. im herkömmlichen Sinn nicht erfassen kann. Dem entspricht im Übrigen auch die überaus vorsichtige Formulierung des Ehemanns der Klägerin bzw. die von diesem zitierte Überzeugung des behandelnden Arztes Prof. Dr. B., "immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen", dass im nach außen scheinbar reaktionslosen Körper ein sich bewusster Mensch mit Geist, Seele, Empfindungen und Gefühlen stecke.
b. Entscheidend ist schließlich vor allem, dass keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen gegeben sind.
Es besteht keine Nachweispflicht des Betroffenen, welche blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Einzelnen entstanden sind. Dies folgt aus Sicht des Senats aufgrund der vom BSG vorgenommenen Beweislastverteilung, an die er sich ebenfalls gebunden fühlt.
Vorliegend ist jedoch zur Überzeugung des Senats, die dieser nach dem eben Dargelegten und insbesondere aufgrund der plausiblen und fundierten medizinischen Befunde gewonnen hat, ausgeschlossen, dass ein möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand bei der Klägerin im Hinblick auf ihr schweres Behinderungsbild besteht, da die Klägerin keine Mehraufwendungen haben kann, "die aufgrund der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, entstehen, so dass entweder die Tätigkeiten von Anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch Andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen" (vgl. Braun, a.a.O., S. 97, mit Verweis auf Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 239). Insbesondere die "klassischen" Assistenzleistungen (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 12.11.2019 - L 15 BL 1/12) kommen nicht in Betracht, darüber hinaus jedoch auch keine weiteren Maßnahmen des Ausgleichs mangelnden bzw. aufgehobenen Sehvermögens (vgl. Demmel, a.a.O.).
Der gesamte sich aus den Unterlagen ergebende und sehr naheliegende im Hinblick auf die unzweifelhaft schwere Pflegebedürftigkeit bestehende Aufwand stellt allgemeinen Pflegeaufwand (pflegerische Leistungen) dar, der durch das sehr schwere Krankheitsbild der Klägerin verursacht worden ist. Dieses hat die Störung ihres Sehvermögens bei weitem überlagert. Zusätzliche quantifizierbare Erschwernisse durch Letztere haben nicht bestanden.
Auch die Klägerseite vermochte letztlich keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen darzulegen, was aufgrund der Beweislastverteilung (siehe oben) nicht von entscheidender Bedeutung, jedoch logische Konsequenz der schwersten Behinderung der Klägerin ist und die Auffassung des Senats unterstreicht.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite genügen nämlich das vom Ehemann der Klägerin angeführte Vorlesen, die Schilderung der Umgebung der Klägerin, das Telefonieren und der Besuch von Konzerten nicht, um das Entstehen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen annehmen zu können, wie nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26.11.2019 - L 15 BL 2/19) auch die Möglichkeit nicht ausreicht, dass eine externe Vorlesekraft tätig wird, die finanziellen Aufwand erzeugt.
Dies wäre mit den Vorgaben des BSG im Urteil vom 14.06.2018 nicht vereinbar. So sind der Einsatz entsprechender Geräte, Utensilien etc. oder einer Vorlesekraft (z.B. auch zur Entlastung von Betreuungspersonen) zur direkten Betreuung des Betroffenen hinsichtlich jeder Behinderung und Erkrankung denkbar; somit könnte der Einwand der Zweckverfehlung nie erhoben werden. Zum anderen handelt es sich hinsichtlich des Telefons, gegebenenfalls weiterer Geräte (z.B. einer speziellen Uhr) sowie der Abgabe von genaueren Informationen über die Umgebung der Klägerin (Umgebungsbeschreibung) im vorliegenden Fall gerade nicht um blindheitsbedingten Mehrbedarf, weil der Betrieb bzw. die Leistungen auch allgemein im Falle ernsthaft erkrankter bzw. anderweitig behinderter Menschen sinnvoll und gegebenenfalls notwendig ist. Dass im Falle schwer kranker oder verletzter, jedenfalls in der Bewegungsmöglichkeit extrem eingeschränkter Menschen - zu denken wäre etwa an Patienten, bei denen die Sehfähigkeit gegeben ist, die jedoch "außer der weißen Decke des Krankenzimmers" nichts sehen können - eine Umgebungsbeschreibung dringend erforderlich ist, um diese aus ihrer "Isolation" zu befreien und an der Umwelt (wenigstens minimal) "teilhaben" zu lassen, liegt nahe.
Soweit es um inhaltliche Informationen geht, wäre die Vermittlung dieser Informationen etc. durch Ton bei der Klägerin ohnehin nicht wegen der Sehbehinderung, sondern wegen der allgemeinen behinderungsbedingten Leseunfähigkeit erforderlich. Die Abgabe von Informationen spielt hier aber wohl ohnehin wegen der geistigen Behinderung bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung (s.o.) keine Rolle.
Soweit es um die Herstellung von Beruhigung etc. der Klägerin geht - also um das Hören von Stimmen bzw. Musik ohne "inhaltliche Informationen" -, reicht dies auch unter Berücksichtigung mangelnden Sehvermögens nicht aus. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. die Urteile vom 27.11.2013 - L 15 BL 4/12 - und 28.07.2020 - L 15 BL 2/17), stellen Maßnahmen nur des psychischen Beistands o.ä. keinen blindheitsbedingten Aufwand dar, da insoweit keine (auch weit verstandenen) Betreuungsleistungen betroffen sind. Gleiches gilt auch für die Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeitsangst im weiteren Sinne. Schließlich gleicht auch die Herstellung von Nähe etc. keine blindheitsspezifischen Nachteile aus (vgl. die therapeutisch empfohlene Ansprache bewusstloser Menschen) (so auch die Senatsurteile vom 26.11.2019 - L 15 BL 2/19 - und 28.07.2020 - L 15 BL 2/17).
Die genannten Maßnahmen (ferner eine sicherlich anzunehmende allgemeine zeitintensive Beschäftigung) sind, was sich als offensichtlich darstellt, vielmehr der allgemeinen Problematik der schwersten Beeinträchtigung der Klägerin, nicht jedoch einer Blindheit geschuldet.
Zusätzliche abschätzbare, auch nur ansatzweise quantifizierbare und den Senat sachlich überzeugende Erschwernisse durch die Sehstörung der Klägerin kommen nicht hinzu und konnten denn auch von der Klägerseite nicht benannt werden. Dass die Klägerin mit Blick auf ihr Sehvermögen nicht in der Lage sein dürfte, "zum Zeitvertreib" Bilder, Filme o.ä. anzusehen, um dabei "unterhalten" zu werden, wäre übrigens nicht von Relevanz, da dies wegen der wie oben dargelegt nicht möglichen Inhaltserfassung keine Rolle spielen würde.
Die Berufung des Beklagten hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen die o.g. Verwaltungsentscheidungen des Beklagten ist abzuweisen.
B. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Berufung der Klägerin ohne Erfolg bleiben musste. Sie ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Die 1977 geborene Klägerin war entsprechend den medizinischen Unterlagen eine "gesunde Frau ohne Vorerkrankungen." Sie nahm am 05.05.2016 ein Schinkenbrot zu sich und verschluckte sich dabei. Die 13 Minuten später eintreffenden Rettungsassistenten entfernten einen Bolus und führten für ca. 30 Minuten eine Herz-Lungen-Wiederbelebung primär erfolgreich durch. Seitdem leidet die Klägerin an einer massiven hypoxischen Hirnschädigung neben weiteren Gesundheitsstörungen.
Am 01.07.2016 beantragte die Klägerin über ihren Ehmann (Betreuer) beim Beklagten Blindengeld. Der Beklagte wertete daraufhin medizinischen Unterlagen aus, wie den Entlassungsbericht der H.-Klinik K-Stadt vom 29.06.2016, aus dem die Diagnose einer hypoxischen Hirnschädigung bei Zustand nach Cardio-pulmoraler Reanimation wegen Bolusgeschehen, Fremdkörperaspiration, akute respiratorische Insuffizienz, Versorgung Thracheostoma, entgleiste diabetische Stoffwechsellage, Pneumonie durch Staphylococcus aureus und symptomatische Epilepsie hervorgehen - die Klägerin sei komatös, nicht kontaktierbar -, und den Bericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 06.10.2016. Der konsiliarisch dazu gebetene Augenarzt Dr. S. könne, so dieser Bericht, den Visus der Klägerin nicht beurteilen, ebenso sei aufgrund der bestehenden Diagnosen das Gesichtsfeld der Klägerin nicht prüfbar. Aufgrund der Schwere der Erkrankung sei insgesamt von einer kortikalen Blindheit auszugehen.
Nach Hinzuziehung des Neuroradiologen Dr. B. ging Dr. L. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 08.02.2017 davon aus, dass wegen der schweren generellen zerebralen hypoxischen Schädigung ein klinischer Blindheitsnachweis nicht möglich sei. Im Augenbereich sei morphologisch keine schwerwiegende Schädigung nachzuweisen. Mit Blick auf das Bild eines diffusen Hirnödems zeige sich keine irreversible schwere Schädigung der Sehstrukturen, womit der einmalig negative Nachweis der VEP noch nicht als sicherer Nachweis einer Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung gewertet werden könne.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 02.03.2017 den Blindengeldantrag ab. Ein Blindheitsnachweis sei nicht möglich gewesen. Der Beklagte wies auf dem Grundsatz der objektiven Beweislast hin.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihren Ehemann mit Schreiben vom 14.03.2017 Widerspruch, der damit begründet wurde, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Betroffene im Zustand des Wachkomas eindeutig blind seien. U.a. sei nicht entscheidend, was die Ursache der Sehstörung sei. Auch zerebrale Schäden seien zu berücksichtigen.
Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte den ärztlichen Aufnahme- und Abschlussbericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 13.07.2016/17.10.2016 bei. Nach internationalen Diagnosekriterien befinde sich die Klägerin im Wachkoma. Sie sei nicht kontaktfähig. Auf Lärm sei eine ca. zweiminutige Weckreaktion reproduzierbar. Eine seitengerechte Flucht auf Aversion sei im Gesicht reproduzierbar, darüber hinaus gebe es aber keine instruierbaren Verhaltensanteile. Die Bewusstseinslage entspreche am ehesten einem Syndrom reaktionsloser Wachheit. Die Orientierung sei nicht beurteilbar. Es bestünden spontane horizontale Bulbusbewegungen ohne aktive visuelle Explorationsfähigkeit. Eine visuelle Schreckreaktion bestehe eben so wenig wie eine aktive Fixation oder ein Spiegeltracking. Auf ein lautes Geräusch sei eine Schreckreaktion auslösbar. Die Reaktion auf taktile Reize sei unspezifisch. Eine Ausrichtung der Aufmerksamkeit gelinge nicht. Im Rahmen eines durchgeführten Motor Imagery habe die Klägerin keine Aufgaben befolgen können, welche ein höheres Bewusstseinsniveau erfordern würden.
Im Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 10.11.2016 wurde Pflegestufe 2 festgestellt. Mit Bescheid vom 03.03.2017 wurden wegen Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, zerebralbedingter Lähmung, Schluckstörungen, Luftröhrendauerkanüle, unwillkürlichen Harnabgangs, Funktionsverlusts des Afterschließmuskels ein Einzel-GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, B, H und RF vom Beklagten festgestellt.
Mit Widerspruchbescheid vom 19.04.2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Sehen seien die optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im visuellen Bewusstsein des Menschen zu verstehen. Das BSG habe die Notwendigkeit des Blindheitsnachweises bekräftigt und Beweiserleichterungen ausdrücklich verneint. Eine mitwirkungsabhängige Prüfung der Sehschärfe könne bei der Klägerin nicht erfolgen. Auch der Nachweis, dass bei der Klägerin die zentralen Sehstrukturen im Rahmen der schweren generellen Hirnschädigung schwerst geschädigt oder zerstört seien, sei nicht gegeben. Blindheit oder eine andere Blindheit gleichzuachtende Sehstörung sei nicht festgestellt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.05.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten darauf hingewiesen, im Zustand eines Wachkomas mit zerebraler Schädigung zu sein. Diesseits werde das Urteil des BSG vom 11.08.2015 anders gelesen als vom Beklagten. Das BSG weiche gerade vom Vorliegen eines notwendigen Vollbeweises in vergleichbaren Fällen wie dem der Klägerin ab. Dass die Diagnostik spezifischer Sehstörungen insbesondere bei zerebral Geschädigten beschränkt sei, gehe nach Auffassung des BSG gerade nicht zu deren Lasten. Ein hinreichend sachlicher Grund für das Erfordernis einer genauen Lokalisierung der Sehstörung werde vom BSG nicht gefordert. Entscheidend sei vielmehr, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung Sehen fehle. Die Definition des Sehens im Widerspruchsbescheid greife nach den Feststellungen des BSG im vorliegenden Fall nicht. Demnach reiche nach Verständnis der Klägerseite die Feststellung aus, dass eine zerebrale Schädigung vorliege, aus der die Blindheit abzuleiten sei.
Im Schriftsatz vom 20.07.2017 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die fehlende Mitwirkungsmöglichkeit des Betroffenen zu dessen Lasten gehe. Wenn wie bei der Klägerin das Sehvermögen klinisch nicht untersucht werden könne und eine schwere Schädigung oder Zerstörung peripherer und/oder zerebraler Sehstrukturen nicht nachgewiesen sei, könne die Frage der Blindheit nicht beantwortet werden. Es gebe bei der Klägerin keinen Anhaltspunkt dafür, dass die optische Reizaufnahme gestört sei.
Das SG hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. H. vom 26.02.2018 eingeholt. Darin ist festgestellt worden, dass die Klägerin die Beschwerden nicht äußern könne, da sie unter dem Syndrom der reaktionslosen Wachheit leide und nicht gezielt auf Ansprache reagiere. U.a. ist in dem mitübersandten ärztlichen Abschlussbericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 03.08.2017 geschildert, dass die Klägerin bei Aufnahme und Entlassung wach gewesen sei. Es hätten spontane Bulbusbewegungen ohne erkennbare aktive visuelle Explorationsfähigkeit bestanden. Eine erkennbare Blickfixation oder Blickfolgereaktion seien nicht auslösbar gewesen. Eine Schreckreaktion auf auditive Reize sei auslösbar, eine Orientierungsreaktion nicht beobachtbar. Die Reaktion auf taktile Reize sei unspezifisch. Willkürmotorik sei nicht beobachtet bzw. lediglich vereinzelt leichte Bewegungen des rechten Arms, jedoch nicht auf Aufforderung reproduzierbar und nicht funktionell einsetzbar. In dem Bericht des Therapiezentrum B-Stadt vom 06.12.2016 ist festgehalten worden, dass sich keine Hinweise für ein wiedererlangtes Minimalbewusstsein ergeben hätten, auch wenn sich geringfügige Verbesserungen gegenüber der Voruntersuchung ergeben hätten.
Im Schriftsatz vom 23.01.2019 ist der Beklagte im Hinblick auf die Ausführungen im Urteil des BSG vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) vom Vorliegen einer Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung bei der Klägerin ausgegangen. Allerdings sei in den ärztlichen Befunden das Syndrom einer reaktionslosen Wachheit nach hypoxischer Hirnschädigung beschrieben. Bei diesem Krankheitsbild sei es nicht vorstellbar, so der Beklagte, dass der Mangel an Sehvermögen durch bestimmte Maßnahmen (Assistenzleistungen wie z.B. Vorlesen bzw. Verfassen von Post, Hilfsmittel wie Lesegeräte, spezielle EDV, Blindenlangstock etc. Blindenführhund u.s.w.) ausgeglichen bzw. gemindert werden könne. Es werde daher Seitens des Beklagten der anspruchsvernichtende Einwand der Zweckverfehlung geltend gemacht.
Im Schriftsatz vom 05.04.2019 ist der Bevollmächtigte letzterer Auffassung entgegengetreten und hat diesbezüglich auf die Stellungnahmen des Therapiezentrums B-Stadt vom 24.09.2018 bzw. der logopädischen Praxis F. vom 18.03.2019 verwiesen. Es sei davon auszugehen, dass Menschen im Wachkoma bei vollem Bewusstsein sein könnten.
Zudem hat der Bevollmächtigte eine Stellungnahme des Ehemanns der Klägerin vom 20.03.2019 übersandt, in dem dieser darauf hingewiesen hat, dass das Verständnis des Beklagten nicht den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft und auch nicht seinen persönlichen Erfahrungen entspreche. Der Ehemann hat als spezielle durch die Blindheit entstandenen Mehraufwendungen das Vorlesen von Post, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie das Führen von Telefonaten, um bekannte Stimmen von Verwandten und Freunden hören zu können, und die Unterstützung beim Besuch von kulturellen Veranstaltungen genannt.
Im zur Verfügung gestellten Bericht des Therapiezentrum B-Stadt vom 24.09.2018 ist erneut das Syndrom der reaktionslosen Wachheit diagnostiziert worden. Trotz intensiver neurorehabilitativer Therapie habe sich der neurologische Zustand der Klägerin zwar stabilisiert, sichere Hinweise auf eine Kontaktfähigkeit hätten sich im Jahr 2016 aber nicht ergeben. Im HD-EGG habe sich im Vergleich zur Voruntersuchung 2016 nun erstmals ein positives Motor-Imagery als Hinweis darauf ergeben, dass die Klägerin möglicherweise verbale Aufforderungen verstehen und umsetzen könne. Basierend auf dem EEG-Befund wäre es vorstellbar, wenn auch hiermit nicht bewiesen, so der Bericht, dass die Klägerin nicht mehr im Syndrom reaktionsloser Wachheit, sondern im Syndrom des minimalen Bewusstseins sei.
In dem Bericht der Logopädin F. vom 18.03.2019 ist bestätigt worden, dass Kommunikation bei der Klägerin trotz des schweren Leid- und Störungsbildes über Gestik, Augenbewegung und Mimik, aber auch bei Ansprache möglich sei. Die Klägerin reagiere eindeutig auf ihre, der Logopädin, Stimme und könne Anweisungen nach einigen Sekunden gut umsetzen. Die Klägerin habe im Verlauf der Therapie immer mehr Reaktion auf Ansprache gezeigt. Eine Kontaktfähigkeit sei demnach gegeben. Sie zeige mit ihrem Gesichtsausdruck, ob es ihr gut gehe, oder mit Weinen oder Zusammenziehen der Gesichtsmuskulatur, ob sie Schmerzen habe. Dies alles seien eindeutige Anzeichen für ein Bewusstsein und Hörverstehen.
Am 28.05.2019 hat der Beklagte die Auffassung vertreten, dass aus den vom Bevollmächtigten übersandten Unterlagen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen entnommen werden könnten, mit denen speziell der Mangel an Sehvermögen ausgeglichen werden könne.
Mit Schreiben vom 24.07.2019 hat der Bevollmächtigte u.a. darauf hingewiesen, dass das Blindengeld mit vielen anderen Sozialleistungen verrechnet werde. Der nicht verrechenbare Bereich sei gerade der Anteil, der dem blindheitsbedingten Mehraufwand der betreffenden Person entsprechen solle.
Nach einem positiven EEG-Befund vom September 2018 habe der Ehemann der Klägerin die Kostenübernahme für ein Kommunikationsgerät mit Augensteuerung beantragt; mit dem Gerät und einer speziellen Software sei es möglich, mittels Kontrolle und Fixieren der Pupillen am Bildschirm in spielerischer Form Reaktionen auszulösen. Ziel sei es, im Verlauf der Therapie über einfache Symbole eine Interaktion mit der Umwelt zu ermöglichen. Allerdings sei festzustellen, dass der Klägerin ein gezieltes bzw. sicheres Fixieren nur äußerst schwer möglich sei. Im Rahmen der Testung habe lediglich festgestellt werden können, dass die Klägerin - mehr oder weniger kontrolliert, möglicherweise aber auch zufällig - den Bildschirm fixieren könne. Die Anwendung und die tägliche Übung erforderten einen erheblichen Zeitaufwand und eine Assistenz, was auch den blindheitsbedingten Mehraufwand ausmache.
In dem ebenfalls beigefügten Attest des Pflegedienstes der Klägerin zum Thema Kontakt- Wahrnehmungsfähigkeit von der Pflegeleitung Frau E. vom 25.07.2019 (Eingang beim SG) ist die Überzeugung betont worden, dass die Klägerin über ihr Gehör sehr gut wahrnehme und verbale Äußerungen verstehe. Eine verwertbare Kontaktfähigkeit sei mittels Lidschluss sowie über die ausgeprägte Gesichtsmimik der Klägerin gegeben. So gebe sie beispielsweise eindeutige Ja-Nein-Antworten auf Fragestellungen im pflegerischen Alltag oder sie lächele, wenn jemand etwas Lustiges sage. Wenn der Klägerin etwas nicht gefalle oder wenn sie Schmerzen habe, kommuniziere die Klägerin dies ebenso. Weiter sei sie in der Lage, einfache verbale Aufforderungen zu befolgen wie z.B. das Öffnen des Mundes zur Mundpflege. Da die Verarbeitung visueller Reize nicht möglich sei, müsse dieser Nachteil vom Pflegedienst im pflegerischen Alltag über eine extrem langsame und sehr zeitaufwendige Kommunikation ausgeglichen werden. Um es der Klägerin zu ermöglich, sich trotz mangelnder Verarbeitung der Seheindrücke mit der Umgebung vertraut zu machen, Kontakt mit ihrer Umwelt, Freunden, Verwandten und Angehörigen zu pflegen, sowie am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzunehmen sei aus Sicht des Pflegedienstes eine spezielle Assistenz unbedingt notwendig, die der Pflegedienst jedoch nicht leisten könne. Eine solche auf Menschen mit Hirnschädigung spezialisierte Assistenz könne die Nachteile durch den Mangel an Sehvermögen bei der sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe ausgleichen. Momentan werde diese Aufgabe durch den Ehemann der Klägerin übernommen.
Mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 30.07.2019 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 02.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2017 verpflichtet, der Klägerin Blindengeld ab 01.09.2018 zu gewähren.
In den Urteilsgründen hat das SG dargelegt, dass die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG sei. Entscheidend sei allein, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehle, was hier der Fall sei. Dass Blindheit vorliege, sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Ein Anspruch der Klägerin sei erst ab September 2018 gegeben, da für die Zeit zuvor der Beklagte zu Recht den Einwand der Zweckverfehlung geltend gemacht habe. Bei der Klägerin bestehe durch das Wachkoma ein sehr komplexes Krankheitsbild. Ein nachgewiesener Zustand dauerhafter Bewusstlosigkeit sei aber nur bis September 2018 anzunehmen. U.a. hat das SG hervorgehoben, dass die Klägerin 2016 und 2017 im Rahmen der Untersuchung im Therapiezentrum B-Stadt nicht auf die Aufforderungen der Bewegungsvorstellung reagiert habe, vielmehr habe unzweifelhaft ein Syndrom reaktionsloser Wachheit bestanden. Bei der Untersuchung im September 2018 habe sich das Bild dann aber anderes dargestellt. Aufgaben zur Bewegungsvorstellung habe die Klägerin mit einer Trefferquote von 70% befolgen können, sodass sich im Vergleich zu sämtlichen Voruntersuchungen nunmehr erstmal ein positives Motor-Imagery gezeigt habe (siehe oben). Zusammenfassend verbleibe es zwar bei der klinischen Einschätzung einer reaktionslosen Wachheit, möglicherweise bestehe jedoch ein minimales Bewusstsein. Nachdem der Beklagte für den Einwand der Zweckverfehlung beweispflichtig sei, so das SG, seien nach der Ansicht der erkennenden Kammer diese Zweifel am weiteren Vorliegen eines gänzlich apallischen Syndrom maßgeblich, sodass der Einwand nicht mehr überzeugend geführt werden könne. Ergänzt werde dies um den logopädischen Bericht vom 28.03.2019 (Frau F.). Gerade mit der logopädischen Behandlung zeige sich, dass bei der Klägerin kein Zustand mehr vorliege, der einer gänzlichen Bewusstlosigkeit gleichkomme. Vielmehr sei die Klägerin förderungsfähig, sodass der Zweck der Gewährung von Blindengeld nicht verfehlt werde. Diese Förderungsfähigkeit werden auch gerade auch durch die klägerischen Angaben im Hinblick auf das angeschaffte Kommunikationsgerät, logopädische Behandlungen und Telefonate mit Freunden und Verwandten gestützt. Diese Aufwendungen seien, so dass SG, nicht rein dem Wachkoma geschuldet, sondern auch der fehlenden Sehfähigkeit, weshalb sie beachtlich seien.
Eine frühere Gewährung komme jedoch nicht in Betracht. Dass tatsächlich blindheitsbedingte Mehraufwendungen anfallen würden, könne vorliegend erst ab der Untersuchung im September 2018 nachvollzogen werden, da es zuvor keine ärztlich befundete Reaktion der Klägerin auf Reize gegeben habe.
Am 05.08.2019 hat der Beklagte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt, die zunächst damit begründet worden ist, dass unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 14.06.2018 ab September 2018 bereits keine der Blindheit nach dem BayBlindG entsprechende gleichschwere Störung des Sehvermögens angenommen werden könne. Anders als bei dem im Urteil des BSG berücksichtigten Sachverhalt sei vorliegend bei der Klägerin gerade nicht nachgewiesen, dass diese seit September 2018 Sinneseindrücke kognitiv überhaupt nicht mehr verarbeiten könne. Aus dem Bericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 24.09.2018 (s.o.) ergebe sich, dass bei der Klägerin nunmehr erstmals Hinweise für eine bewusste Verarbeitung vorliegen würden. Dies ergebe sich auch aus dem Bericht der Logopädin F. und daraus, dass ein durch die Krankenkasse bezahltes Kommunikationsgerät mit Augensteuerung angeschafft worden sei. Ein Fixieren von Gegenständen setze, so der Beklagte, gewisse visuelle und geistige Fähigkeiten, also eine kognitive Verarbeitung voraus. Dass vom Verlust einer solchen nicht ohne weiteres ausgegangen werde könne, ergebe sich auch aus dem Bericht der Pflegeleitung. Eine Beweislastumkehr habe das BSG mit der Entscheidung gerade nicht ausgesprochen.
Zudem hat der Beklagte erneut den Einwand der Zweckverfehlung erhoben. Soweit das SG das Kommunikationsgerät mit Augensteuerung als speziell blindheitsbedingten Mehraufwand betrachte, sei darauf hinzuweisen, dass einerseits schon kein Mehraufwand erfolge, da es bereits durch die Krankenkasse finanziert werde und andererseits, dass dieses Hilfsmittel bereits gegen das Vorliegen von Blindheit spreche. Auch das vom SG genannte Führen von Telefonaten und die Behandlung durch eine Logopädin stelle nach der Rechtsauffassung der Beklagten keinen spezifisch blindheitsbedingen Mehraufwand dar. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit ein Mangel an Sehvermögen durch das Führen von Telefonaten und die Behandlung bei der Logopädin ausgeglichen werden könne, um eine selbstbestimmte Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu erreichen.
Am 13.08.2019 hat auch die Klägerin gegen das Urteil Berufung eingelegt und beantragt, dieses dahingehend abzuändern, dass der Klägerin Blindengeld in gesetzlicher Höhe bereits seit Antragstellung zu gewähren sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten weiche das BSG gerade von dem Vorliegen eines notwendigen Vollbeweises in vergleichbaren Fällen wie hier ab. Das BSG habe festgestellt, dass die Diagnostik spezifischer Sehstörungen insbesondere bei zerebral geschädigten Personen beschränkt sei. Dies gehe nach Auffassung des BSG gerade nicht zu deren Lasten. Auch die alte Rechtsprechung, dass die Einschränkung sonstiger Sinnesorgane einem entsprechenden Blindengeldanspruch entgegenstehe, sei ausdrücklich aufgegeben wurde. Schließlich hat der Bevollmächtigte auch auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz hingewiesen. Wenn im Urteil des SG auf die HD-EEG-Untersuchungen vom September 2018 als Entscheidungskriterium abgestellt werde, sei festzustellen, dass diese Untersuchungen im Umkehrschluss nicht beweisen würden, dass zu vorherigen Zeitpunkten Bewusstsein und Reaktionen nicht vorhanden gewesen seien. Solche EEG-Untersuchungen seien lediglich Momentaufnahmen, die mehr oder weniger zufällig die Situation dokumentierten, wie sie sich im Zeitfenster von ca. einer halben Stunde während des EEG darstellen würden. Im Übrigen sei festzustellen, dass die intensiven Zuwendungen zur Klägerin im Zeitraum Juni 2016 bis September 2018 zu einer signifikanten Verbesserung ihres Zustands geführt hätten. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen hat der Bevollmächtigte auf einen Bericht verwiesen, der von ca. 40% Fehldiagnosen bei Wachkomapatienten spreche.
Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 30.09.2019 die Auffassung vertreten, dass mit Blick auf die Berichte des Therapiezentrums B-Stadt (vom 24.09.2018), der Logopädin und der Pflegeleitung gerade nicht nachgewiesen sei, dass die Klägerin seit September 2018 Sinneseindrücke kognitiv überhaupt nicht mehr verarbeiten könne.
Mit Schreiben vom 05.12.2019 hat der Bevollmächtigte einen aktuellen Befundbericht von Prof. Dr. B., Therapiezentrum B-Stadt, vorgelegt, aus dem Blindheit im Sinne des BayBlindG eindeutig und zweifelsfrei hervorgehe. In dem Bericht bzgl. der HD-EEG-Untersuchung/Bewusstseinsdiagnostik ist u.a. festgehalten worden, dass es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, konsistent auf die Aufforderungen zu reagieren. Im EEG sei also kein Anzeichen für das Befolgen von Aufforderungen zu entdecken. Es habe aber, so Prof. Dr. B. und der Psychologe R., gezeigt werden können, dass die Klägerin ihr Umfeld auditiv wahrnehmen könne. Die Analyse des neuronalen Netzwerks ordne die Klägerin am ehesten den Patienten zu, die ein Minimalbewusstsein hätten. In der klinischen Verhaltensbeobachtung zeige sich die Klägerin allerdings im Syndrom reaktionsloser Wachheit.
Aus dem ärztlichen Bericht vom 04.12.2019 gehen die Angaben des Ehemannes der Klägerin hervor, dass der Zustand der Klägerin im vergangenen Jahr im Wesentlichen stabil geblieben sei. Immer wieder komme es zu situationsadäquater Veränderung der Mimik. Der neurologische Untersuchungsbefund habe eine wache, aber nicht fixierende Patientin gezeigt. Es bestünden horizontal schwimmende Bulbusbewegungen. Ein Optokinetischer Nystagmus (OKN) sei nicht feststellbar. Es bestehe eine spastischen Tetraplegie und es zeigten sich unerschöpfliche Kloni im Bereich aller Extremitäten. Das EEG reflektiere weiterhin eine schwere diffuse Gehirnschädigung in Folge der Hypoxie, diesmal erneut ohne Nachweis epileptischer Aktivität. Aufgrund des HD-EEG sei davon auszugehen, dass die Klägerin zumindest bei minimalem Bewusstsein sei. Hinsichtlich der Ableitung visuell evozierter Potentiale (VEP) mittels Blitzlichtbrille ist in dem Bericht festgestellt worden, dass beidseits keine reproduzierbaren kortikalen Reizantworten ableitbar seien. Der Befund spreche für eine schwere Beeinträchtigung der Sehbahn und in der Zusammenschau mit Anamnese und klinischem Befund für eine vollständige beidseitige kortikale Blindheit.
Im Schriftsatz vom 16.12.2019 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass es immer noch fraglich sei, ob die Klägerin seit September 2018 Sinneseindrücke kognitiv verarbeiten könne oder nicht. Aus den Berichten des Therapiezentrums B-Stadt vom 04.12.2019 ergebe sich nunmehr, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin wohl wieder deutlich schlechter darstelle. Der Beklagte halte jedenfalls seinen Zweckverfehlungseinwand aufrecht.
Im Erörterungstermin vom 24.01.2020 sind Sachverhalt und Rechtslage ausführlich besprochen worden.
Im Nachgang hierzu hat der Bevollmächtigte einen beispielhaften Tagesablauf der Klägerin zum Nachweis ihrer blindheitsbedingten Mehraufwendungen übersandt. Die Aufstellung kommt zu einer durchschnittlichen Summe pro Tag blindheitsbedingten Mehraufwands von 180 Minuten, was einem monatlichen Aufwand von 1.350,00 Euro entspreche (Stundensatz von 15,00 Euro).
Im Auftrag des Gerichts hat sodann Prof. Dr. D. am 23.03.2020 ein neurologisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage erstellt. Angesichts des von Prof. Dr. B. erstellten Berichts, der die Klägerin über mehrere Jahre hinweg in ihrem Gesundheitszustand verfolgen habe könne, sodass damit eine Längsschnittbeobachtung vorliege, und angesichts der aktuellen Risikokonstellation aufgrund der Covid-19-Pandemie erscheine eine eigene klinische Untersuchung entbehrlich bzw. nicht sinnvoll.
Im dem Gutachten hat Prof. Dr. D. darauf hingewiesen, dass sich aus den Schilderungen des Ehemannes der Klägerin, es komme immer wieder zur situationsadäquaten Veränderungen der Mimik etc., nicht ergebe, ob diese Kommunikationsversuche zu irgendeiner gezielten Reaktion oder sogar Mitarbeit bei den Dingen des täglichen Lebens wie Waschen, Ankleiden und Transfer vom Bett in den Rollstuhl führen würden. Hierzu sei, so der Gutachter, zu bemerken, dass jedem in die Behandlung schwerst hirngeschädigter Menschen involvierten Arzt das Phänomen bestens bekannt sei, wonach von den Angehörigen - häufig auch von langzeitig einbezogenen Therapeuten - gezielte Reaktionen und aktive Verhaltensweisen der Betroffenen beschrieben würden, die ärztlicherseits und von den in den Kliniken tätigen Therapeuten nicht gesehen würden. Es bleibe in diesen Fällen dann letztlich unklar, ob es in der dauerhaften Beschäftigung mit den Betroffenen tatsächlich gelinge, bei diesen auf niedrigem Niveau Bewusstseinsinhalte zu aktivieren oder ob es sich hierbei um ein nur allzu verständliches Wunschdenken handle. Im Falle der Klägerin könne kein Zweifel bestehen, dass es sich um eine schwerst hirngeschädigte Patientin handle. Dies schließe es nicht aus, dass inselintakte Hirnzellen vorliegen würden, bedingt durch die etwas unterschiedliche Vulnerabilität der Hirnstruktur gegen ein Aussetzen der Sauerstoffversorgung. Im Folgenden hat der Sachverständige erläutert, dass die Differenzierung bzgl. der heute so bezeichneten reaktionslosen Wachheit (UWS) bzw. - bei Nachweis einer bewussten Hirnaktivität - des Syndroms des minimalen Bewusstseins (MCS) primär anhand klinischer Kriterien erfolge, wobei üblicherweise die revidierte Coma Recovery Scale (CRS-R) Anwendung finde. Die klinische Beurteilung der Klägerin mit Hilfe der CRS-R über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren hinweg und zuletzt auch dreieinhalb Jahre nach dem Schädigungsereignis habe letztlich unveränderte Werte ergeben, die damit als gesichert lediglich die Diagnose eines persistierenden Syndroms reaktionsloser Wachheit zulassen würden, wie sich das auch in den jeweiligen Befunden des Therapiezentrums B-Stadt ausdrücke. Weiter ist der Sachverständige ergänzend auf die zwei elektrophysiologischen Untersuchungen eingegangen.
Nachdem augenärztlicherseits ein intakter Sehapparat beschrieben worden sei und nachdem gemäß allen klinischen Erfahrungen die Augen gegenüber hypoxischen Zuständen wesentlich unempfindlicher seien als das Gehirn, habe er, Prof. Dr. D., angesichts der nicht ableitbaren VEP und des fehlenden OKN keinen vernünftigen Zweifel daran, dass bei der Klägerin aufgrund der bestehenden Hirnschädigung sowohl die Weiterleitung der vom Sehapparat aufgenommen optischen Reize als auch die Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein der Klägerin weitgehend aufgehoben seien. Aufgrund des Herz-Kreislauf-Stillstandes handle es sich - im Gegensatz zu lokalen Schäden z.B. im Rahmen einer Hirnblutung - um eine diffuse Schädigung aller Hirnstrukturen, sodass im vorliegendem Fall davon auszugehen sei, dass sowohl die Leitungsbahn im Gehirn von den Augen über die verschiedenen Strukturen hinweg bis zur okzipital gelegenen Sehrinde als auch die im Okzipitallappen gelegene Sehrinde selbst, die der Verarbeitung der visuellen Information diene, irreversibel geschädigt seien.
Soweit den Unterlagen zu entnehmen, bestehe letztlich seit Abschluss der Akutversorgung nach den klinischen Kriterien der hierfür maßgeblichen CRS-S ein unveränderter Befund im Sinne eines Syndroms reaktionsloser Wachheit. In der ersten Zeit sei noch eine Schreckreaktion auf laute akustische Reize beschrieben, die zuletzt nicht mehr dokumentiert sei. Allerdings habe sich zumindest bei der jüngsten Ableitung ereigniskorrelierter auditiver Potentiale ein gewisser Hinweis darauf ergeben, dass auditive Signale in gewissem Umfang verarbeitet würden, was dann für ein subklinisch erhaltenes Bewusstsein im Sinne eines minimalen Bewusstseins (MCS) sprechen könne. Prof. Dr. D. hat anhand der vorliegenden ärztlichen Befunddokumentationen folgendes Bild bei der Klägerin festgestellt:
- Geruchssinn/Geschmack: nicht prüfbar
- Auditive Funktionen: Schreckreaktion inkonstant erhalten
- Visuelle Funktion: ausgefallen
- Motorische Funktion: keine reproduzierbaren Willkürbewegungen dokumentiert, lediglich motorische Phänomene im Rahmen der Tetraspastik auf spinalem Niveau
- Sensible Funktion: keine Reaktion auf Schmerzreize
- Kommunikation: ärztlicherseits keine Kontaktaufnahme möglich
Was die Frage nach den verbliebenen Fähigkeiten angehe, bestünden, so der Sachverständige, Unterschiede zwischen der ärztlichen Einschätzung und der Schilderung des Ehemannes bzw. der betreuenden Logopädin. Demnach seien ärztlicherseits - mit Ausnahme inkonstanter Hinweise auf funktionell allerdings nicht bedeutsame minimale Hirnfunktionen - keine verbliebenen Fähigkeiten dokumentiert. Ob die vom Ehemann beschriebene Kommunikation mit der Klägerin eine ausschließlich einseitige darstelle, bleibe unklar, und die von der Logopädin beschriebene motorische Reaktion auf Aufforderungen habe bei den Untersuchungen im Therapiezentrum B-Stadt nicht reproduziert werden können. Soweit es sich hierbei um Mundbewegungen handle, bleibe unklar, inwieweit es sich um ein bewusstes Öffnen des Mundes oder um orale Reflexe handle, die nicht über das Großhirn getriggert würden, sog. primitive Reflexe.
Das Vorliegen einer reaktionslosen Wachheit stehe nach den klinischen Kriterien fest, das Vorliegen eines minimalen Bewusstseins von funktioneller Relevanz sei nach den vorliegenden Befunden möglich, jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender und auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen.
Für eine Begutachtung auf einem anderen Fachgebiet sehe er, der Sachverständige, keine Begründung, das vorliegende Behinderungsbild betreffe das neurologische Fachgebiet.
Im Schriftsatz vom 14.04.2020 hat der Beklagte dargelegt, dass aufgrund des Sachverständigengutachtens nun feststehe, dass die Klägerin seit 2016 durchgehend keinerlei Sinneseindrücke kognitiv verarbeitet haben könne. Damit liege ein mit dem BSG-Urteil vom 14.06.2018 vergleichbarer Sachverhalt vor. Der Beklagte halte damit seinen Einwand der Zweckverfehlung aufrecht, da sich die gesundheitliche Situation der Klägerin nunmehr durchgehend so darstelle, wie sie auch das SG für den Zeitraum bis August 2018 seiner Entscheidung zugrunde gelegt und den Einwand der Zweckverfehlung als begründet angesehen habe. Die vom Bevollmächtigen im Schreiben vom 07.02.2020 beschriebenen Tätigkeiten stellten allesamt keinen blindheitsbedingten Mehraufwand dar. Entsprechend der Rechtsprechung des erkennenden Senats stellten Aufwendungen für allgemeine pflegerische Betreuung keine blindheitsbedingte Mehraufwendungen dar. Das schwierige Krankheitsbild der Klägerin schließe es aus, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (auch nur teilweise) ausgeglichen werden könne.
Mit Schriftsatz vom 27.05.2020 hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass es einen Beweis dafür, dass die Klägerin als Mensch mit der Diagnose Syndrom reaktionsloser Wachheit keinerlei Sinneseindrücke verarbeiten könne, nicht gebe. Es sei unbestritten, dass komatöse und nach außen vollkommen reaktionslose Menschen sehr wohl auch Sinneseindrücke wahrnehmen und verarbeiten könnten. Deshalb habe das BSG festgelegt, dass es auf entsprechende Reaktionen gerade nicht ankomme. Kein Neurologe - auch nicht der Gutachter - könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestätigen, dass die Klägerin dauerhaft über keinerlei Bewusstsein verfüge und dauerhaft zu keinerlei Reaktionen fähig sei und auch dauerhaft keinerlei Sinneseindrücke verarbeiten könne. In der neurologischen Rehabilitation gelte seit Jahrzehnten grundsätzlich die Annahme, dass jeder Mensch im Koma über Bewusstsein verfüge und zu Reaktionen fähig sei, weil das Gegenteil regelmäßig nicht beweisbar sei. Auch der Arztbrief von Prof. Dr. B. gehe davon aus, dass aus einem negativen EEG nicht auf fehlendes Bewusstsein geschlossen werden könne.
Im Übrigen seien mehrere Zeugen dafür benannt worden, dass die Klägerin Reaktionen zeigen sowie Sinneseindrücke wahrnehmen und verarbeiten könne. Der Bevollmächtigte hat auch eine Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes Dr. L. vom 08.05.2020 beigefügt, in dem dieser u.a. bestätigt hat, festgestellt zu haben, mit der Klägerin sogar kommunizieren zu können. Auf seine Erklärungen hin sei die Mundöffnung größer geworden. Er, der Zahnarzt, sei davon überzeugt, dass die Klägerin seine verbale Ansprache höre und deren Inhalte verstehe und dass sie über nonverbale Signale wie Mimik, Speichel, Herzfrequenz, Atmung etc. reagiere und damit auch kommuniziere. Zusammenfassend sei zu bestätigen, dass die Klägerin über ihr Gehör auditiv gut wahrnehmen könne. Sie könne sich mittels nonverbaler Kommunikation äußern und auf verbal kommunizierte Anweisungen reagieren. Es stehe zweifelsfrei fest, dass die Klägerin Sinneseindrücke wahrnehmen und kognitiv verarbeiten könne.
Schließlich sei die Behauptung des Beklagten, so der Bevollmächtigte, dass die dargestellten Mehraufwendungen allgemeine pflegerische Betreuung darstellen würden, falsch, weil die geschilderten Assistenzleistungen pflegerisch gerade nicht notwendig seien und vom Pflegepersonal auch nicht erbracht und abgerechnet würden.
Am 28.05.2020 hat der Bevollmächtigte eine sehr ausführliche Stellungnahme des Ehemanns der Klägerin übermittelt. Darin hat dieser zunächst darauf hingewiesen, dass Prof. Dr. D. die Blindheit der Klägerin bestätigt habe. Hingegen liefere das Gutachten keinen Beweis, der den Einwand der Zweckverfehlung rechtfertigen würde. Im Folgenden ist der Ehemann der Klägerin auf einzelne Aussagen im Gutachten eingegangen. Dabei hat er u.a. hervorgehoben, dass es sich bei der Klägerin nicht um Kommunikationsversuche, sondern um echte Kommunikation handle, weil der Mensch nämlich nicht nicht kommunizieren könne. Eine verbale Ansprache bzw. Information der Klägerin seien jedenfalls sinnvoll und keinesfalls zweckverfehlend. Die Erfassung der Reaktionen der Klägerin darauf erfolge mittels empathischer und sehr aufmerksamer Wahrnehmung der von ihr nonverbal gesendeten Kommunikationssignale. Der Ehemann der Klägerin hat im Folgenden zahlreiche Kommunikationssignale, die die Klägerin verwende, beschrieben; bei dieser Kommunikation gehe es zunächst darum, dem im Bewusstsein veränderten blinden Menschen Informationen und Orientierung zu geben. Mit den Kommunikationssignalen könne die Klägerin z.B. erklären, wenn das aktuell gebotene "Unterhaltungsprogramm" für sie passe. Eine konkrete Mitarbeit der Klägerin erfolge auch im Pflegealltag und während der Therapie. So helfe die Klägerin z.B. über die gezielte Veränderung ihres Muskeltonus bei den Übungen mit etc. Weiter hat der Ehemann auf die Sichtweise der Schulmedizin aufmerksam gemacht, die es für Ärzte schwer mache, bei den betroffenen Patienten Reaktionen zu erkennen, Bewusstseinsinhalte zu aktivieren und Kommunikation aufzubauen. Auch im Koma werde im Übrigen nonverbal und unbewusst kommuniziert.
Schließlich hat der Ehemann hervorgehoben, dass es sich nicht um Wunschdenken handle, wenn von unterschiedlichen und emotional unbeteiligten Personen ähnliche Wahrnehmungen geschildert würden. Im Fall der Klägerin seien es mindestens 15 Fachpflegekräfte, drei Therapeuten, die Alltagsbetreuung, ein Zahnarzt, Verwandte sowie diverse Freunde und Bekannte - insgesamt über 30 Personen.
Anders als Prof. Dr. D. annehme, seien die Schreckreaktionen, die auditive Funktion, nicht nur inkonstant, sondern seit der Frührehabilitation bis heute reproduzierbar vorhanden. Bereits im Bericht des Therapiezentrums B-Stadt vom 05.12.2016 sei die entsprechende Messung im HD-EEG positiv gewesen (p 300-Antwort).
Der Ehemann hat schließlich auch auf die erfolgte Verschreibung eines antidepressiv wirksamen Medikaments für die Klägerin hingewiesen.
Die Aussage des Sachverständigen, dass keine Reaktion auf Schmerzreize feststellbar sei, sei unzutreffend. Es bestehe eine eindeutige Schmerzsymptomatik.
Wenn Prof. Dr. D. beschreibe, dass die von der Logopädin beschriebene motorische Reaktion ärztlicherseits nicht reproduziert habe werden können, sei dies damit zu erklären, dass die Reaktion auf die Aufforderung zum Öffnen des Mundes bei der Klägerin nur von Personen ausgelöst werden könne, zu der die Klägerin über einen langen Zeitraum ein großes Vertrauensverhältnis (wie langjährig tätige Pflegekräfte) aufgebaut habe.
Die im vorgelegten Tagesablauf beschriebene Kommunikation sei nicht "nur einseitig", da die Klägerin über diverse Signale nonverbal kommuniziere. Zu beachten sei, dass Ärzte Diagnosen auf Basis von Momentaufnahmen stellen würden und nicht die Zeit für die erforderliche Vertrautheit hätten. Die heutige Wissenschaft stoße bei der Diagnose und Behandlung von Menschen mit veränderten Bewusstseinszuständen "offensichtlich an ihre Grenzen - Ärzte müssen zugeben, dass sie vieles leider (noch) nicht wissen."
Auf die vorangegangene Anfrage des Gerichts hat der Ehemann mitgeteilt, dass Konzert- und Theaterbesuche mit der Klägerin mehrmals im Monat stattfinden würden. Was die konkrete Anfrage betreffe, sei seine Antwort ganz klar: Er gehe selbstverständlich davon aus, dass die Klägerin die Inhalte auditiv wahrnehmen und zumindest phasenweise auch verstehen und somit erfassen könne. Zudem würden verschiedene Ausflüge mit der Klägerin stattfinden wie Rollstuhlwanderungen, Schifffahrten, Besuche von Parks, Weihnachtsmärkten etc. und Ausflüge in die Berge. Gleiches gelte für Urlaube. Abschließend hat der Ehemann der Klägerin noch zahlreiche Fotos beigefügt hinsichtlich der erfolgten Unternehmungen
Mit Schriftsatz vom 01.10.2020 hat der Bevollmächtigte weitere Bescheinigungen von Behandlern der Klägerin vorgelegt, aus denen abzuleiten sei, so der Bevollmächtigte, dass der Zweckverfehlungseinwand vorliegend mehr als verfehlt sei. Es würde durchgehend bestätigt, dass die Klägerin auf verschiedenste Reize reagiere und auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten in der Lage sei, ihren Willen bzw. Unwillen zur Kenntnis zu bringen. Sinnesleistungen könnten nach den Bescheinigungen wahrgenommen und sowohl aktiv als auch passiv durch die Klägerin genutzt werden. In der beigefügten Bescheinigung ("Zeugenaussage") des Physiotherapeuten A. vom 23.09.2020 ist u.a. bestätigt worden, dass die Klägerin durch Speichelfluss, Mimik, Spannungszustände, Herzfrequenz und Atmung auf Ansprache reagiere. Wenn die Klägerin Bewegungsaufträge erhalte, könne sie die Bewegung nicht selbst ausführen, sie könne die Bewegung jedoch locker zulassen oder durch erhöhte Spannung gegenarbeiten. Die Klägerin zeige auch eine deutlich unterschiedliche Tagesverfassung. U.a. sei auf Erzählungen, die Stimmlage und Lautstärke eine entsprechende Reaktion der Klägerin festzustellen. Diese könne über ihr Gehör auditiv gut wahrnehmen sowie verbal kommunizierte Inhalte erfassen und verstehen. Sie könne sich mittels neuer verbaler Kommunikationssignale äußern und auf verbal kommunizierte Anweisungen reagieren. Es stehe aus seiner, des Physiotherapeuten, Sicht zweifelsfrei fest, dass die Klägerin Sinneseindrücke wahrnehmen und kognitiv verarbeiten könne. Keinesfalls befinde sie sich in einem Zustand des dauerhaften Komas oder einer dauerhaften Bewusst- und Reaktionslosigkeit. Eine Assistenz bezüglich verbaler Erläuterungen und der Beschreibung ihrer Umgebung sei für sie extrem wichtig.
Die behandelnde Ergotherapeutin S. hat in ihrer Stellungnahme ("Zeugenaussage"), eingegangen beim Senat am 02.10.2020, u.a. bestätigt, dass für die Klägerin mittlerweile das Abspielen einer bestimmten Musik nicht mehr notwendig sei, um die Therapeutin wiederzuerkennen. Wenn die Klägerin körperliche Schmerzen habe, signalisiere sie dies durch Verkrampfen der Arme, vermehrten Speichelfluss oder durch veränderte Gesichtsmimik. Fordere man die Klägerin auf, Bewegungen zu wiederholen, könne es sein, dass sie diese ausführen könne; leider sei solch eine Situation nicht konstant abrufbar. Die Klägerin nehme sie, die Therapeutin, wahrscheinlich wahr und eine Art Wiedererkennung sei möglich. Über welchen Sinneskanal dies geschehe, sei leider nicht zu sagen.
Die Alltagsbetreuerin S. hat am 05.06.2020 die alltagsbegleitenden Angebote für die Klägerin beschrieben und dabei bestätigt, dass zwar kein Blickkontakt erkennbar, jedoch nonverbale Kommunikation möglich sei. Die Klägerin antworte auf Ja-Nein-Fragen mit Augenzwinkern oder einem tiefen Atemzug. Sie lehne Angebote z.B. durch Speichelfluss und Tränen ab und könne Wohlwollen z.B. durch einen zufriedenen Gesichtsausdruck signalisieren. Die Klägerin könne sich längere Zeit konzentrieren und scheine bewusst und aufmerksam das Geschehen rundum wahrzunehmen.
In der Stellungnahme vom 30.09.2020 haben die Pflegedienstleitung und die Leitung der Wohngemeinschaft der Einrichtung der Klägerin diese Schilderungen ergänzt. Da die Klägerin visuell nicht oder nur sehr eingeschränkt wahrnehme, sei verbale Ansprache für sie das allerwichtigste. Der Klägerin würden daher Geschichten und Anekdoten erzählt, es würden aus Büchern und Zeitschriften vorgelesen, Fotos und gebastelte Blumencollagen erläutert und gemeinsam mit ihr Musik und Geräusche gehört. Es erfolge eine Teilhabe in der Gemeinschaft der Bewohner. Ganz wichtig für die Klägerin seien auch Aktivitäten außerhalb der Wohngemeinschaft wie Spaziergänge, Ausflüge und Konzertbesuche. Dass die geschilderten Aufwendungen ihren Zweck nicht verfehlen würden, sei insbesondere während der Beschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie gespürt worden. Während dieser Zeit sei die Klägerin extrem angespannt gewesen etc. Die Pflegekräfte seien davon überzeugt, dass die Klägerin über ihr Gehör auditiv gut wahrnehmen sowie verbal kommunizierte Inhalte erfassen und verstehen könne. Eine Assistenz bezüglich verbaler Erläuterungen und der Beschreibung ihrer Umgebung sei für sie extrem wichtig.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2019 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2017 zu verurteilen, der Klägerin ab 01.07.2016 Blindengeld zu gewähren,
und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen
sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Hingegen bleibt die Berufung der Klägerin ohne Erfolg; sie ist zwar zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind oder hochgradig sehbehindert im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (bereits) ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht.
Das SG hat einen Anspruch der Klägerin ab 01.09.2018 zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
A. Die zulässige (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 02.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14 - und vom 20.12.2018 - L 15 BL 6/17) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.).
Dies gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat und was auch durch sonstige Argumentationslinien, wie sie etwa in den Schriftsätzen des Bevollmächtigten enthalten sind, vorliegend nicht änderbar ist, weil sich der Senat an die Rechtsprechung des BSG gebunden fühlt.
Eine andere Situation hinsichtlich der Beweislast gilt nach der Rechtsprechung nur für den Zweckverfehlungseinwand (siehe hierzu unten).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
Sie ist zwar wohl blind im Sinne des BayBlindG. Der Beklagte hat jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild der Klägerin blindheitsbedingte Aufwendungen (in ihrer Situation) von vornherein ausschließt.
1. Bei der Klägerin lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. bereits die Entscheidungen vom 31.01.1995 - 1 RS 1/93 - und 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R; zuletzt Urteil vom 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung der Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt eindeutig aus den sämtlich nachvollziehbaren und aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, u.a. auch aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. D. und den ärztlichen Berichten von Prof. Dr. B., und ist auch zwischen den Beteiligten prinzipiell nicht streitig.
Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es in seiner neueren Rechtsprechung (Urteile vom 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) nicht mehr daran festgehalten. Vielmehr ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist" (BSG, a.a.O.). Der Senat fühlt sich an diese (neuere) Rechtsprechung des BSG gebunden (vgl. bereits das Urteil vom 19.12.2016 - L 15 BL 9/14), was im Übrigen nicht nur hinsichtlich der Blindheitsdefinition, sondern auch der Vorgaben zum Zweckverfehlungseinwand gilt (siehe im Einzelnen unten).
2. Blindheit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG liegt aufgrund der Darlegungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. D. sehr nahe, weil dieser nicht nur die Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein der Klägerin, sondern auch die Weiterleitung der Reize als "weitgehend aufgehoben" betrachtet. Hierauf kommt es - offensichtlich entgegen der Auffassung der Klägerseite (s.o.) - an, weil das Sehen und somit die Blindheit vom BSG verbindlich nun einmal im obigen Sinne definiert ist. Letztlich kann die Frage der Blindheit der Klägerin jedoch unbeantwortet bleiben.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht nämlich deshalb nicht, da der Beklagte erfolgreich den Einwand der Zweckverfehlung erhoben hat.
Wie das BSG in dem genannten Urteil vom 14.06.2018 dargelegt hat, stellt die in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG enthaltene Formulierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausgleichs blindheitsbedingter Mehraufwendungen keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Dennoch bleibe, so das BSG (a.a.O.), der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung, was sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz erschließe. So sehe das BayBlindG Regelungen zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen vor (Art. 4 Abs. 3 BayBlindG). Der Zweck des Blindengelds werde aber, so das BSG in der genannten Entscheidung, auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbilds des Betroffenen gar nicht erst ent- bzw. bestehen könne. Das BSG hat in der Entscheidung vom 14.06.2018 im Einzelnen Folgendes festgestellt:
"Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. Dies wird am ehesten auf generalisierte Leiden zutreffen können (zB dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma).
Das Gesetz geht in Art 1 Abs 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein "Mehraufwand" aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen [ ...]. Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S 1 zu A und 17/21510 S 1 zu A).
Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann."
Vorliegend hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin kann krankheitsbedingt durch keine Maßnahmen ausgeglichen werden.
Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Auswertung aller vorliegenden einschlägigen medizinischen und pflegerischen Unterlagen. Der Senat beruft sich hier vor allem auch auf die o.g. sachverständigen Feststellungen des beauftragten Facharztes Prof. Dr. D. und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. Vor allem die zahlreichen aussagekräftigen ärztlichen (und teilweise gleichzeitig psychologischen) Berichte des Therapiezentrums B-Stadt und auch die Angaben der Klägerseite selbst, auch wenn diese andere Schlussfolgerungen hieraus zieht, zeigen letztlich daneben ebenfalls deutlich, dass aufgrund des Gesundheitszustands der Klägerin ein Ausgleich des Mangels an Sehvermögen nicht möglich ist.
1. Maßgeblich sind die tatsächlichen bei der Klägerin bestehenden Verhältnisse (vgl. bereits die Urteile des Senats vom 12.11.2019 - L 15 BL 1/12 - und 26.11.2019 - L 15 BL 2/19). Auch wenn in dem o.g. Urteil des BSG von einer "näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder ..., welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen" die Rede ist, würde es nicht genügen, wenn der Beklagte ab-strakt alle insoweit einschlägigen Krankheitsbilder auflisten würde. Aus naheliegenden Gründen ist ein Verweis auf die jeweilige Diagnose nicht ausreichend, um dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats vom 17.07.2012 - L 15 BL 11/08, in dem im Einzelnen dargelegt worden ist, dass auch bei der Diagnose eines "vollständigen Apallischen Syndroms" die individuellen Verhältnisse mit Blick auf die der Feststellung immanenten diagnostischen Unsicherheit und der Begrenztheit medizinischer Erfahrungssätze im Einzelnen untersucht werden müssen); es sind die Voraussetzungen zu überprüfen, ob bei der konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen (so auch Braun, Die neuen Kriterien für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 3/2019, 94 (97)).
2. Mit dem BSG geht der Senat davon aus, dass der Begriff der blindheitsbedingten Mehraufwendungen weit auszulegen ist (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 12.11.2019, a.a.O.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den Darlegungen des BSG (s.o.) sowie aus den vom BSG genannten Motiven des Landesgesetzgebers (s.o.) (so auch Braun, a.a.O.). Hingegen bleibt geringfügiger, ggf. singulärer Mehraufwand, der (so gut wie) keine Kosten verursacht außer Betracht (Urteil des Senats vom 28.07.2020 - L 15 BL 2/17). Denn ein solcher "Aufwand" ist im Sinne von Art. 1 Abs. 1 BayBlindG ohne Bedeutung, weil es tatsächlich nichts auszugleichen gibt (vgl. zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses z.B. BeckOGK/ Bieresborn, 01.09.2019, SGG, § 54, Rn. 126) und weil das BayBlindG (nur) einen spürbaren Aufwand, der durch die betraglich nicht unerhebliche Dauerleistung auszugleichen ist, im Blick hat (Urteil des Senats vom 28.07.2020, a.a.O.).
3. Wie vom Senat ebenfalls bereits entschieden worden ist (Urteil vom 12.11.2019, a.a.O.), stellen entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 9/2019 Anm. 4) Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Der Senat kann der Argumentation (Dau, a.a.O.) nicht folgen, es sei zweifelhaft, ob es einen Fall mit einem anspruchsvernichtenden Zweckverfehlungseinwand im Freistaat Bayern jemals geben werden könne, weil das BayBlindG unter blindheitsbedingten Mehraufwendungen entsprechend den gesetzgeberischen Motiven in erster Linie Aufwendungen für die pflegerische Betreuung verstehe, Wachkomapatienten und zerebral schwerstgeschädigte Menschen jedoch in jedem Fall intensiver pflegerischer Betreuung bedürften, so dass sich der Leistungszweck des BayBlindG bei ihnen deshalb gar nicht verfehlen lasse. Denn zum einen lässt sich aus den Motiven des Gesetzgebers (vgl. Bayer. Landtag, Drs. 13/458, S. 5) eine Verengung auf die - wie auch immer verstandene - pflegerische Betreuung gar nicht ableiten. Zum anderen kann sich der Senat dieser formalen Argumentation auch nicht anschließen, da in den einschlägigen Fällen naheliegenderweise auf blindheitsspezifische Betreuung abzustellen ist. Anderenfalls würden übrigens die Vorgaben des BSG im Wesentlichen ins Leere laufen.
4. Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt nach der Entscheidung des BSG die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Dabei ist sie verpflichtet, soweit möglich den - wie oben dargelegt individuellen - Sachverhalt zu ermitteln, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass sie die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich einer negativen Tatsache trifft, eben hinsichtlich des Nichtvorhandenseins blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass zur Ermittlung daher neben den medizinischen/pflegerischen Unterlagen vor allem die Angaben der Personen heranzuziehen sind, die die Verhältnisse hinsichtlich des betroffenen blinden Menschen aufgrund der Sach- und Ortsnähe zutreffend beurteilen können. Die Antragsteller trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit.
Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz; so kann unnötiger Aufwand o.ä. keine Berücksichtigung finden.
Entscheidend nach der Rechtsprechung des BSG ist, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In der konkreten Situation des Betroffenen objektiv nicht möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand muss außer Betracht bleiben. Dies schließt es auch aus, Aufwendungen zu berücksichtigen, die lediglich in der Hoffnung getätigt werden, sie führten zu einer Besserung des Gesundheitszustands bzw. der Wahrnehmungsfähigkeit etc. des Betroffenen (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 28.07.2020 - L 15 BL 2/17).
5. Es wäre nicht ausreichend, wenn eine Zweckverfehlung des Blindengelds auf der einen oder das Vorliegen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf der anderen Seite aufgrund der schweren zerebralen Schäden der Klägerin, des Besuchs bestimmter Einrichtungen oder der Durchführung von Fördermaßnahmen ohne weitere Prüfung angenommen würde.
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aufgrund der vielmehr erforderlichen, im Einzelnen durchgeführten Prüfung der der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten durch den Senat ergibt sich, dass wegen den plausiblen medizinischen Unterlagen und den weiteren vorliegenden, o.g. Angaben davon auszugehen ist, dass es das (schwere) Krankheitsbild ausschließt, den Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (teilweise) auszugleichen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht fest, dass bei der Klägerin seit dem vorübergehenden Herz-Kreislaufstillstand (nach Bolusaspiration) eine schwere hypoxische Hirnschädigung mit Bewusstseinsstörung und Tetraspastik besteht. Wie der Beklagte (z.B. im Schriftsatz vom 14.04.2020) zutreffend und prägnant zusammengefasst hat, ist die Klägerin in jeder Hinsicht schwerst pflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig. Blindheitsspezifischer Aufwand ist nicht ersichtlich und konnte auch von der Klägerseite nicht dargelegt werden.
a. Im Verfahren ist von Klägerseite der Schwerpunkt der Argumentation auf die Möglichkeit der Klägerin zur Kommunikation mit ihrer Umwelt gelegt worden. Dies ist jedoch in dem erfolgten Ausmaß nicht gerechtfertigt, weil es bezüglich der Frage des Mehrbedarfs vor allem auf die tatsächlichen Aufwendungen ankommt und die Kommunikationsmöglichkeiten nur als ein (wenn auch wichtiger) Aspekt im Rahmen der der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten eine Rolle spielt.
Auch verkennt die Klägerseite die Voraussetzungen für den Zweckverfehlungseinwand. Sie nimmt rechtsirrig wohl an, der Zweckverfehlungseinwand könne nur dann erfolgreich sein, wenn bewiesen sei, dass "die Klägerin dauerhaft im Koma liegt, dauerhaft über keinerlei Bewusstsein verfügt und dauerhaft zu keinerlei Reaktionen fähig ist". Dem ist jedoch nicht so. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) gerade nicht diese Voraussetzungen aufgestellt, sondern nur dargelegt, dass in diesen Fällen auf jeden Fall der Zweckverfehlungseinwand durchgehen dürfte.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die Klägerin in einem Zustand entsprechend einem Syndrom reaktionsloser Wachheit bzw. phasenweise entsprechend einem Syndrom des minimalen Bewusstseins befindet. Im Einzelnen bestehen dabei nur rudimentäre Funktionen hinsichtlich der einzelnen Sinneswahrnehmungen, wobei der Senat zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass doch noch ein subklinisch erhaltenes Bewusstsein gegeben ist.
Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats ohne Weiteres aus dem Gutachten von Prof. Dr. D ... Das Gutachten des anerkannten Sachverständigen ist fundiert und plausibel. Der Senat macht sich die sachverständigen Feststellungen des neurologischen Sachverständigen nach eigener Prüfung zu eigen.
Er sieht keinen Anlass, die Feststellungen von Prof. Dr. D. anzuzweifeln.
Soweit dies durch den Ehemann der Klägerin erfolgt, weil es für Ärzte schwer sei, bei Menschen mit minimalem Bewusstseinszustand Reaktionen zu erkennen, Bewusstseinsinhalte zu aktivieren und Kommunikation aufzubauen, weil die heutige Wissenschaft bei der Diagnose und Behandlung von Menschen mit veränderten Bewusstseinszuständen "offensichtlich an ihre Grenzen" stoße und weil die Schulmedizin nicht den ganzheitlichen Menschen als Wesen mit Geist und Seele sehe, sondern ausschließlich das Körperlich-Funktionelle betrachte, ergibt sich daraus nichts anderes.
Der Senat teilt die Auffassung der Klägerseite betreffend die Grenzen der medizinischen Wissenschaft bei Diagnose und Therapie und bei sonstigen Erkenntnissen über die Gesundheitsaspekte betreffende Zusammenhänge, gerade eindrucksvoll bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ersichtlich. Dies entbindet ihn jedoch nicht davon, sich unter Heranziehung von einschlägigen medizinischen Erfahrungssätzen, wie es sie für die vorliegende Thematik durchaus gibt, eine Überzeugung etc. zu bilden, schon weil eine grundlegende Erkenntnisskepsis (auch) auf medizinischem Gebiet "das Ende jeglicher Rechtsprechungstätigkeit" bedeuten würde (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 50). Nach der Rechtsprechung des BSG sind Grundlage (auch für die gegenständlichen Beurteilungen auf dem Gebiet des Sozialen Entschädigungs- bzw. Blindengeldrechts) die Erkenntnisse der von Klägerseite kritisierten Schulmedizin (vgl. die Urteile des BSG vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R - und des Senats vom 02.07.2019 - L 15 VJ 8/17). Gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft, von dem auszugehen ist (a.a.O.). Für den Senat ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der beauftragte Sachverständige eine andere Grundlage herangezogen hätte. Er hat vielmehr diesen aktuellen Stand anschaulich dargestellt und ihn fehlerfrei auf den vorliegenden Fall angewandt. Er ist dabei nicht nur zu plausiblen Ergebnissen gekommen, sondern insbesondere auch zu solchen, die mit der gesamten übrigen Befundlage übereinstimmen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann zwar als aufopferungsvoller Betreuer und Pfleger der Ehefrau durchaus langjährige, vielfältige und intensive Erfahrung mit dem Zustand der Klägerin hat, jedoch im Hinblick auf seine theoretischen wissenschaftlichen Darstellungen als Laie argumentiert, auch wenn er sich - ersichtlich auch an den vorgelegten Veröffentlichungen - wohl in die Thematik eingearbeitet hat.
Zu weiteren Ermittlungen zum Gesundheitszustand im weiteren Sinne etc. der Klägerin bestand daher kein Anlass. Insbesondere ist es nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95; Urteil des erkennenden Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14).
Weitere Ermittlungen waren insbesondere auch nicht etwa deshalb veranlasst, weil der Ehemann der Klägerin dargelegt hat, dass entgegen den Feststellungen des Sachverständigen Schmerzreaktionen und insbesondere die entsprechenden Schreckreaktionen aufgrund täglicher Beobachtungen bei der Klägerin durchaus noch ersichtlich seien. Denn gerade die vom Ehemann der Klägerin hervorgehobenen Schreckreaktionen sind kein Beleg für eine Reizverarbeitung auf höherer Ebene. Wie der Senat unter Berücksichtigung der Literatur und gutachterlicher Darlegungen in früheren Verfahren längst entschieden hat, lassen sich z.B. mit sog. Startle-Reaktionen (im Sinne einer raschen, schützenden Reflexantwort der Muskulatur auf überraschende Reize) keine Anhaltspunkte für das Funktionieren eines Sinns finden; es kann eine "visuelle" Schreckreflexreaktion selbst bei blinden Personen ausgelöst werden (vgl. hierzu z.B. die Entscheidungen des Senats vom 01.08.2006 - L 15 BL 13/05, 17.07.2012 - L 15 BL 11/08 - und vom 27.03.2014 - L 15 BL 5/11). Startle-Reaktionen dürfen nicht als reizspezifische Antworten bzw. willkürliche motorische Reaktionen fehlgedeutet werden. Wahrnehmung umfasst nämlich alle Aktivitäten der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung, einschließlich der daran beteiligten kognitiven, motorischen und emotionalen Komponenten. Wahrnehmen findet nicht unabhängig von den anderen kognitiven Funktionssystemen (Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit etc.), sondern "im Konzert" mit diesen statt (vgl. näher Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MedSach 2015, 81 ff.).
Auch im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin (gegebenenfalls vereinzelt bzw. phasenweise) entsprechend der Kritik ihres Ehemanns am Gutachten und den vorgelegten Bescheinigungen noch zu nennenswerten auditiven und sensiblen Funktionen in der Lage ist, weil sich selbst bei der Annahme, dass dies zutreffend wäre, an dem Gesamtergebnis des Verfahrens nichts ändern würde. Denn der Senat ist davon überzeugt, dass selbst eine im beschriebenen Umfang zugestandene Funktionsfähigkeit auditiver und sensibler Sinnesmodalitäten der Klägerin nicht ausreichen würde, um einen blindheitsbedingten Mehrbedarf begründen zu können (siehe unten).
Vor allem aber sieht der Senat keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen, weil das Gutachten von Prof. Dr. D. plausibel ist.
Die von der Klägerseite vorgetragenen Beobachtungen und vorgelegten Bescheinigungen hinsichtlich des Zustands der Klägerin können an der Überzeugung des Senats nichts ändern.
Der Senat hat bereits Zweifel hinsichtlich der in den zahlreichen vorgelegten Bescheinigungen enthaltenen Beschreibungen des Zustands der Klägerin. Die - in Teilen beinahe wortgleichen - Bescheinigungen sind erkennbar von dem Bemühen getragen, der Klägerin im gegenständlichen Verfahren zum Erfolg zu verhelfen. Es fällt auf, dass sie nicht lediglich objektiv beschreiben, wie sich der Zustand der Klägerin darstellt, sondern unter Verwendung auch der einschlägigen Fachterminologie des BSG und des Senats Schlüsse ziehen, wie der Klägerin die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben etc. zu ermöglichen sei. So thematisiert der Zahnarzt der Klägerin in der oben genannten Stellungnahme nicht nur die mögliche Kommunikation mit der Klägerin, sondern nimmt - fachfremd - zu pflegerischen Aspekten, nämlich sogar dazu, was vom Pflegepersonal aus Zeitgründen bei der Klägerin nicht leistbar sei, Stellung. Hinzu kommt das vom Sachverständigen Prof. Dr. D. beschriebene und dem Senat aufgrund der zahlreichen gleich gelagerten Verfahren ebenfalls bereits bekannte Phänomen, dass auch lange in die Behandlung einbezogene Therapeuten gezielte Reaktionen und aktive Verhaltensweise der Betroffenen beschreiben, die ärztlicherseits und von nur kurzzeitig tätigen Therapeuten nicht gesehen werden.
Vor allem aber gilt Folgendes: Die von den Behandlern und vom Ehemann der Klägerin beschriebenen Reaktionen Letzterer lassen sich zwar durchaus auch mit dem Syndrom minimalen Bewusstseins vereinbaren; wie bereits dargelegt geht auch der Senat davon aus, dass zumindest teilweise noch ein subklinisch vorhandenes Bewusstsein gegeben ist. Daraus folgt aber nicht, dass sich die Klägerin in einem weniger ernsten bzw. einem solchen Zustand befinden würde, dass der Mangel (auch) ihres Sehvermögens durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden könnte.
Selbst die vom Ehemann im Einzelnen geschilderten Verhaltensweisen der Klägerin sind keine Belege dafür, dass die Klägerin entgegen der Auffassung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mehr als nur in ganz untergeordneten zeitlichen Umfang - der Ehemann der Klägerin spricht in seiner ausführlichen Darstellung vom 19.04.2020 selbst von einer vielleicht nur phasenweisen Möglichkeit - zu einer sinngebenden Kommunikation in der Lage wäre und Inhalte erfassen und verstehen könnte. Davon abgesehen, dass mitunter, würde man den Schilderungen und Schlussfolgerungen des Ehemanns der Klägerin in vollem Umfang folgen, sogar ein (vom klägerischen Vortrag ausgeschlossenes) Sehen der Klägerin nahe läge, wenn etwa dargestellt wird, dass die Klägerin ihren Ehemann und dessen Eltern "ausgehbereit vor der Wohnungstür" wahrgenommen habe, lassen die Beschreibungen nicht den Schluss zu, dass die Klägerin zu Inhaltserfassungen etc. in der Lage wäre. So ist aus Sicht des Senats etwa in keiner Weise auszuschließen, dass in dem betreffenden geschilderten Beispiel die Klägerin ihre Atmung deshalb zu einem sehr störenden Geräusch verändert hat, weil sie sich während der Vorstellung unwohl gefühlt hat - z.B. wegen der Lautstärke der (laut dem Ehemann "mit zu viel Klamauk dargebotenen") Revue - und nicht weil sie ihr Missfallen über die dramaturgische und sonstige künstlerische Gestaltung zum Ausdruck gebracht hat. Auch die anderen Schilderungen beinhalten keine überzeugenden Hinweise auf die Funktionsfähigkeit der Wahrnehmungsfunktionen einschließlich der Verarbeitung im Bewusstsein der Klägerin. Dass im Übrigen gerade Musik sich günstig auf das Wohlbefinden komatöser Patienten (oder ungeborener Kinder) auswirkt und von diesen - auf welcher Bewusstseinsebene auch immer - als wohltuend empfunden wird, ist offenkundig und ebenfalls kein Beleg dafür, dass die Klägerin im Sinne eines Verstehens zur Beurteilung der Musik etc. in der Lage wäre.
Selbstverständlich kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten doch umfangreicher sein könnten. Nach Überzeugung des Senats kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden. Soweit im Verfahren von der Klägerseite - wie vom Bevollmächtigten am 27.05.2020 - ausgeführt worden ist, dass nie gänzlich auszuschließen ist, dass nach außen reaktionslose Menschen auch Sinneseindrücke wahrnehmen können, teilt der Senat diese Auffassung. Diese entfernte Möglichkeit stellt jedoch nur einen Restzweifel im oben dargestellten Sinn dar, der nicht gewichtig ist hinsichtlich der Überzeugung des Senats, dass eine sinngebende Kommunikation mit der Klägerin nicht möglich ist und dass diese Inhalte etc. im herkömmlichen Sinn nicht erfassen kann. Dem entspricht im Übrigen auch die überaus vorsichtige Formulierung des Ehemanns der Klägerin bzw. die von diesem zitierte Überzeugung des behandelnden Arztes Prof. Dr. B., "immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen", dass im nach außen scheinbar reaktionslosen Körper ein sich bewusster Mensch mit Geist, Seele, Empfindungen und Gefühlen stecke.
b. Entscheidend ist schließlich vor allem, dass keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen gegeben sind.
Es besteht keine Nachweispflicht des Betroffenen, welche blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Einzelnen entstanden sind. Dies folgt aus Sicht des Senats aufgrund der vom BSG vorgenommenen Beweislastverteilung, an die er sich ebenfalls gebunden fühlt.
Vorliegend ist jedoch zur Überzeugung des Senats, die dieser nach dem eben Dargelegten und insbesondere aufgrund der plausiblen und fundierten medizinischen Befunde gewonnen hat, ausgeschlossen, dass ein möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand bei der Klägerin im Hinblick auf ihr schweres Behinderungsbild besteht, da die Klägerin keine Mehraufwendungen haben kann, "die aufgrund der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, entstehen, so dass entweder die Tätigkeiten von Anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch Andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen" (vgl. Braun, a.a.O., S. 97, mit Verweis auf Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 239). Insbesondere die "klassischen" Assistenzleistungen (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 12.11.2019 - L 15 BL 1/12) kommen nicht in Betracht, darüber hinaus jedoch auch keine weiteren Maßnahmen des Ausgleichs mangelnden bzw. aufgehobenen Sehvermögens (vgl. Demmel, a.a.O.).
Der gesamte sich aus den Unterlagen ergebende und sehr naheliegende im Hinblick auf die unzweifelhaft schwere Pflegebedürftigkeit bestehende Aufwand stellt allgemeinen Pflegeaufwand (pflegerische Leistungen) dar, der durch das sehr schwere Krankheitsbild der Klägerin verursacht worden ist. Dieses hat die Störung ihres Sehvermögens bei weitem überlagert. Zusätzliche quantifizierbare Erschwernisse durch Letztere haben nicht bestanden.
Auch die Klägerseite vermochte letztlich keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen darzulegen, was aufgrund der Beweislastverteilung (siehe oben) nicht von entscheidender Bedeutung, jedoch logische Konsequenz der schwersten Behinderung der Klägerin ist und die Auffassung des Senats unterstreicht.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite genügen nämlich das vom Ehemann der Klägerin angeführte Vorlesen, die Schilderung der Umgebung der Klägerin, das Telefonieren und der Besuch von Konzerten nicht, um das Entstehen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen annehmen zu können, wie nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26.11.2019 - L 15 BL 2/19) auch die Möglichkeit nicht ausreicht, dass eine externe Vorlesekraft tätig wird, die finanziellen Aufwand erzeugt.
Dies wäre mit den Vorgaben des BSG im Urteil vom 14.06.2018 nicht vereinbar. So sind der Einsatz entsprechender Geräte, Utensilien etc. oder einer Vorlesekraft (z.B. auch zur Entlastung von Betreuungspersonen) zur direkten Betreuung des Betroffenen hinsichtlich jeder Behinderung und Erkrankung denkbar; somit könnte der Einwand der Zweckverfehlung nie erhoben werden. Zum anderen handelt es sich hinsichtlich des Telefons, gegebenenfalls weiterer Geräte (z.B. einer speziellen Uhr) sowie der Abgabe von genaueren Informationen über die Umgebung der Klägerin (Umgebungsbeschreibung) im vorliegenden Fall gerade nicht um blindheitsbedingten Mehrbedarf, weil der Betrieb bzw. die Leistungen auch allgemein im Falle ernsthaft erkrankter bzw. anderweitig behinderter Menschen sinnvoll und gegebenenfalls notwendig ist. Dass im Falle schwer kranker oder verletzter, jedenfalls in der Bewegungsmöglichkeit extrem eingeschränkter Menschen - zu denken wäre etwa an Patienten, bei denen die Sehfähigkeit gegeben ist, die jedoch "außer der weißen Decke des Krankenzimmers" nichts sehen können - eine Umgebungsbeschreibung dringend erforderlich ist, um diese aus ihrer "Isolation" zu befreien und an der Umwelt (wenigstens minimal) "teilhaben" zu lassen, liegt nahe.
Soweit es um inhaltliche Informationen geht, wäre die Vermittlung dieser Informationen etc. durch Ton bei der Klägerin ohnehin nicht wegen der Sehbehinderung, sondern wegen der allgemeinen behinderungsbedingten Leseunfähigkeit erforderlich. Die Abgabe von Informationen spielt hier aber wohl ohnehin wegen der geistigen Behinderung bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung (s.o.) keine Rolle.
Soweit es um die Herstellung von Beruhigung etc. der Klägerin geht - also um das Hören von Stimmen bzw. Musik ohne "inhaltliche Informationen" -, reicht dies auch unter Berücksichtigung mangelnden Sehvermögens nicht aus. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. die Urteile vom 27.11.2013 - L 15 BL 4/12 - und 28.07.2020 - L 15 BL 2/17), stellen Maßnahmen nur des psychischen Beistands o.ä. keinen blindheitsbedingten Aufwand dar, da insoweit keine (auch weit verstandenen) Betreuungsleistungen betroffen sind. Gleiches gilt auch für die Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeitsangst im weiteren Sinne. Schließlich gleicht auch die Herstellung von Nähe etc. keine blindheitsspezifischen Nachteile aus (vgl. die therapeutisch empfohlene Ansprache bewusstloser Menschen) (so auch die Senatsurteile vom 26.11.2019 - L 15 BL 2/19 - und 28.07.2020 - L 15 BL 2/17).
Die genannten Maßnahmen (ferner eine sicherlich anzunehmende allgemeine zeitintensive Beschäftigung) sind, was sich als offensichtlich darstellt, vielmehr der allgemeinen Problematik der schwersten Beeinträchtigung der Klägerin, nicht jedoch einer Blindheit geschuldet.
Zusätzliche abschätzbare, auch nur ansatzweise quantifizierbare und den Senat sachlich überzeugende Erschwernisse durch die Sehstörung der Klägerin kommen nicht hinzu und konnten denn auch von der Klägerseite nicht benannt werden. Dass die Klägerin mit Blick auf ihr Sehvermögen nicht in der Lage sein dürfte, "zum Zeitvertreib" Bilder, Filme o.ä. anzusehen, um dabei "unterhalten" zu werden, wäre übrigens nicht von Relevanz, da dies wegen der wie oben dargelegt nicht möglichen Inhaltserfassung keine Rolle spielen würde.
Die Berufung des Beklagten hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen die o.g. Verwaltungsentscheidungen des Beklagten ist abzuweisen.
B. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Berufung der Klägerin ohne Erfolg bleiben musste. Sie ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
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