Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 355/19 ZVW
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 verurteilt, den GdB des Klägers ab dem 24.02.2017 mit 40 zu bewerten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu 1/3.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig. Der Beklagte stellte bei dem 0000 geborenen Kläger mit Bescheid vom 12.05.2015 aufgrund einer psychischen Erkrankung und einer schlafbezogenen Atemstörung einen GdB von 30 fest. Ein seinerzeit hiergegen geführtes Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht Aachen (S 16 SB 1169/15) blieb für den Kläger ohne Erfolg. Am 24.02.2017 stellte der Kläger einen Änderungsantrag beim Beklagten auf Feststellung eines höheren GdB. Zur Begründung seines Antrags legte der Kläger u.a. Arztberichte des Orthopäden L. sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vor. Der Beklagte holte daraufhin von Herrn L. und dem Allgemeinmediziner P. Befundberichte ein und wertete diese – zusammen mit weiteren vorliegenden Arztberichten – durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung die psychische Erkrankung des Klä-gers sei weiterhin mit einem GdB von 30 und die schlafbezogene Atemstörung weiterhin mit einem GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt seien messbare Verschlechterungen nicht objektiviert. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20.06.2017 die Feststellung eines höheren GdB ab. Der hiergegen von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegte Widerspruch wurde nicht begründet, woraufhin die Bezirksregierung Münster ihn mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2017 als unbegründet zurückwies. Am 07.08.2017 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Antrag des Klägers unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Sozialgerichts Aachen zu bescheiden. Der Beklagte habe verkannt, dass sich der Gesundheitszustand insbesondere auf psychischem Gebiet verschlechtert habe. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Allgemeinmediziners P. und des Neurologen und Psychiaters Dr. B. sowie durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Chirurgie – Sozialmedizin Dr. L.-S., welches diese nach Untersuchung des Klägers am 08.03.2018, gegenüber dem Gericht am 10.04.2018 erstattet hat. Der Beklagte hat die Einschätzung der Gutachterin zur Bildung der einzelnen GdB und des Gesamt-GdB kritisch hinterfragt. Der Kammervorsitzende hat sodann unter dem 08.06.2018 den Beteiligten einen begründeten Vergleich in Beschlussform zukommen lassen, wonach der Beklagte sich kostenpflichtig verpflichten sollte, den GdB des Klägers ab Antragstellung mit 40 zu bewerten. Den entsprechenden Vorschlag hat der Beklagte – nach entsprechender Stellungnahme durch seinen ärztlichen Berater Dr. N. – befürwortet. Der Kläger hat sinngemäß erklärt, der Vergleichsvorschlag überzeuge ihn nicht. Im Rahmen der am 04.09.2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat der für den Kläger erschienene Prozessbevollmächtigte erklärt, er habe die ausdrückliche Weisung, den Vergleichsvorschlag weiterhin nicht anzunehmen. Der Kammervorsitzende hat vor diesem Hintergrund darauf hingewiesen, dass der bisherige Klageantrag unzureichend sei, da dieser nur auf Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtet gewesen sei. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger ab Antragstellung einen GdB von 50 anzuerkennen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mit Urteil vom 04.09.2018 hat das erkennende Gericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 verurteilt, den GdB des Klägers ab dem 24.02.2017 mit 40 zu bewerten. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Der Beklagte ist zur Tragung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu 1/3 verurteilt worden. Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Berufung eingelegt. Er hat sich dagegen gewandt, dass das Gericht von der Einschätzung der Sachverständigen Dr. L.-S-, die einen GdB von 50 in Vorschlag gebracht hatte, in seinem Urteil abgewichen ist. Beim Landessozialgericht ist die Sache auf den Einzelrichter übertragen worden, der sodann am 18.02.2019 einen Erörterungstermin durchgeführt hat, in dem er sich die Zustimmung zur Entscheidung durch ihn als Einzelrichter von den Beteiligten hat gegeben lassen. Unmittelbar im Anschluss ist die Öffentlichkeit hergestellt worden und beide Beteiligte haben übereinstimmend beantragt, das Urteil vom 04.09.2018 aufzuheben und zur erneuten Beweiserhebung und Entscheidung an das Sozialgericht Aachen zurückzuverweisen. Nach Verkündung des entsprechenden Urteils haben beide Beteiligten sodann übereinstimmend auf Rechtsmittel verzichtet. Bei der Absetzung des Urteils ist daraufhin auf Tatbestand und Entscheidungsgründe verzichtet worden. Das erkennende Gericht hat im zurückverwiesenen Verfahren weitere Befundberichte der behandelnden Allgemeinmediziner (Dr. T./Dr. G.), der behandelnden Psychiaterin Frau T., des behandelnden Neurologen Dr. B. und des behandelnden Orthopäden L. eingeholt. Die Beteiligten hatte Gelegenheit hierzu Stellung zu nehmen. Schließlich hat die Kammer ein weiteres Gutachten, nämlich ein psychiatrisches Gutachten des Dr. U., eingeholt, welches dieser gegenüber dem Gericht nach Untersuchung des Klägers erstattet hat. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen persönliches Erscheinen aus Gründen des Infektionsschutzes nicht angeordnet war, der gleichwohl aber erschienen ist, beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 zu verurteilen, beim Kläger ab Antragstellung (24.02.2017) einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte, dem das Entsenden eines Bevollmächtiget ebenfalls aus Gründen des Infektionsschutzes freigestellt worden ist, hat schriftsätzlich beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als bei ihm ab Antragstellung ein GdB von 40 festzustellen war. Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 begehrt, war die Klage abzuweisen. Ein entsprechender GdB steht dem Kläger nicht zu.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt dabei dann vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX.
Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG – Beschluss vom 01.06.2017 – B 9 SB 20/17 B = juris; BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG – Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen.
Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 (a.F.) Bundesversor-gungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008, zuletzt geändert Artikel 26 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652), die wegen § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt (Versorgungsmedizinische Grundsätze), sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze). Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 – L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 – L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.
Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die bei dem Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht die Feststellung eines GdB von mehr als 40 rechtfertigen. Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter: 1. Funktionseinschränkungen an der Wirbelsäule im Sinne eines Lendenwirbelsäulensyndroms bei degenerativen Veränderungen 2. Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten 3. Rezidivierende depressive Störung , derzeit mittelgradig depressive Episode 4. Schlafapnoesyndrom 5. Bluthochdruck 6. Gicht 7. Rezidivierende Analfissuren 8. Hinweis auf verminderte Glukosetoleranz
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und im ursprünglichen bzw. zurückverwiesenen Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte, sowie der Gutachten der Frau Dr. L.-S. sowie insbesondere zuletzt des Dr. U. fest. Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen erfahrener gerichtlicher Sachverständigen, die unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat in wesentlichen Teilen keinen Anlass an der Richtigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben nach Auffassung der Kammer auch zuletzt auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben.
Auch die Zurückverweisung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter am Landessozialgericht führt insoweit zu keiner anderen Einschätzung, war diese doch offensichtlich rechtswidrig.
Die Anwendung von § 159 SGG setzt die Ausübung von Ermessen voraus (vgl. dazu etwa Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2014 – L 2 U 406/13 = juris Rn. 19; Adolf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. (Stand: 15.07.2017), § 159 SGG Rn. 26; Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 159 Rn. 10 f.; Jungeblut in: BeckOK, § 159 Rn. 11; Binder in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 159 Rn. 8; Sommer in: BeckOGK, § 159 Rn. 16.) Schon hierzu fehlen letztlich jedwede belastbaren Feststellungen durch den Einzelrichter am LSG. Die von diesem im Urteil niedergelegt Auffassung, aufgrund des Rechtmittelverzichts seien Tatbestand und Entscheidungsgründe "nicht geboten", ist ebenfalls erkennbar rechtsfehlerhaft. Ein solcher Verzicht scheidet im Falle einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufgrund der Bindungswirkung des § 159 Abs. 2 SGG aus, denn ansonsten ist – wie dieses Verfahren zeigt (dazu unten)– nicht klar, wieweit diese Bindungswirkung reicht (so zutreffend Thüringer LSG Urteil vom 09.03.2017 – L 1 U 1430/16 = juris Rn. 18; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 136 Rn. 9; Harks in: BeckOGK, § 136 Rn. 39).
Selbst wenn man die demgegenüber dürftige Begründung des zurückverweisenden Urteils durch den Einzelrichter am LSG im Rahmen der Sitzungsniederschrift als Anknüpfungspunkt für die Bindungswirkung des § 159 Abs. 2 SGG ausreichen lassen wollte, so trägt diese die Zurückverweisungsentscheidung nach § 159 Abs. 1 SGG nicht.
Auf die fehlende Erkennbarkeit der Ausübung von Ermessen wurde bereits hingewiesen. Darauf, dass sich die Kammer in ihrem – nach entsprechender mündlicher Verhandlung in voller ordnungsgemäßer Besetzung – ergangenen Urteil gerade nicht allein auf das, nach rechtsfehlerhafter (dazu unten) Auffassung des Einzelrichter am LSG offenbar unbrauchbare, Gutachten der Frau L.-S-, sondern zudem auf diverse Befundberichte behandelnder Ärzte sowie die hierzu zitierte einschlägige Rechtsprechung gestützt hat, wurde insoweit ebenfalls nicht eingegangen.
Daneben ist für die Kammer auch schon nicht im Ansatz zu erkennen, wovon der Einzelrichter am Landessozialgericht ausgeht, wenn er moniert, es fehle an einer "ordnungsgemäßen Übertragung der Erklärungen des Klägers in die deutsche Sprache. Welche Erklärungen er hier konkret meint, ist der Kammer völlig schleierhaft. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2018 war der Kläger noch nicht einmal anwesend, sondern wurde von seinem Prozessbevollmächtigten vertreten. Prozessuale Erklärungen hat der Kläger "in persona" jedenfalls nicht abgegeben.
Sollte damit gemeint sein, dass bei der Gutachterin Dr. L.-S. kein Dolmetscher zugegen war, weswegen das Gutachten nicht verwertbar sei, so erscheint diese Annahme schon vor dem Hintergrund, dass der Kläger auch selbst seine fachpsychiatrischen Therapie bei deutschsprachigen Behandlern ohne Zuhilfenahme eines Dolmetschers absolviert, die Gutachterin ihn offensichtlich verstanden hat und auch der Einzelrichter am Landessozialgericht offenkundig in der Lage war, den Kläger ohne Dolmetscher zu verstehen, als rechtsirrig (vgl. dazu etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2011 – L 11 R 4243/10 = juris). Etwas anderes wäre es gewesen, wenn erkennbar gewesen wäre, dass eine ordnungsgemäße Begutachtung durch die Gutachterin nicht möglich gewesen wä-re (dazu etwa BSG, Urteil vom 17.07.1996 – 5 RJ 70/95). Diese Annahme scheidet aber im Hinblick auf die detailliert und dezidiert getroffenen Feststellungen im Gutachten, auch im Bereich der Anamnese, aus.
Daneben lässt auch die Feststellung im Protokoll, das Gericht hätte seinerzeit die erforderliche Anknüpfungstatsachen, "nämlich insbesondere" die familiären Verhältnisse des Klägers durch Zeugenvernehmung ermitteln und den begutachtenden Ärzten vorgeben müssen, die Kammer letztlich ratlos zurück.
Wie bereits oben dargelegt ist wesentlicher Maßstab der Bewertung eines GdB das Vorliegen einer Beeinträchtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX. Eine solche Beeinträchtigung liegt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Diese Feststellung zu treffen ist tatrichterliche Aufgabe, wobei die Gerichte insoweit ärztliches Fachwissen heranzuziehen haben (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 30). Als Teil des ärztlichen Fachwissens ist, im Hinblick auf die erforderliche Beschreibung des Ge-sundheitszustands des Probanden, neben der Einholung von Befund- und Arztberichten auch Einholung eines – nach den anerkannten Maßstäbe der ärztlichen Kunst und Gutachtenerstellung gefertigtes – Gutachtens anzusehen (vgl. zu den anerkannten Grundsätzen der medizinischen Gutachtenerstellung exemplarisch etwa Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychischer Störungen, 3. Aufl. 2015; S. 1 ff.; Rom-pe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollom Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorga-ne, 5. Aufl., 2009, S. 297 f.; 626 ff.; zu Qualitätsanforderungen an ein medizinisches Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, vgl. auch Forster, Med-Sach 2020, 244 ff.). Hieran hat sich die Kammer durchweg orientiert als sie – neben den Befundberichten die lege artis erstellen Gutachten der Frau Dr. L.-S. und nunmehr auch des Dr. U. eingeholt hat.
Es ist im Schwerbehindertenrecht – anders als etwa bei Kausalitätsfragen im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts oder der Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung – eben nicht so, dass das Gericht dem Gutachter insoweit Vorgaben machen müsste, von welchen "Anknüpfungstatsachen" er auszugehen hat. Soweit der Einzelrichter am LSG dies offenbar anderes sieht, lässt sich dies – im Hinblick darauf, dass eine methodologisch an Normen, Rechtsprechung oder Literatur gegebene Begründung ausweislich der insoweit allein vorhandenen Sitzungsniederschrift nicht erfolgt ist – in der Herleitung und im Ergebnis nicht nachvollziehen.
Ganz unabhängig davon fragt sich die Kammer, was denn konkret damit gemeint sein soll, es müssten "insbesondere" die familiären Verhältnisse aufgeklärt werden. Die für die medizinische Beurteilung insoweit maßgeblichen Aspekte werden in der Anamnese (konkret: Familienanamnese) erhoben. Daneben unterbleibt eine nähere Erklärung des Adverbs "insbesondere" durch den Einzelrichter am LSG, was die Frage aufwirft, was denn möglicherweise nach Auffassung des Einzelrichters noch weitere angeblich vorzugebende Anknüpfungstatsachen sein könnten (Zeugenvernehmung auch von Freunden und/oder (ehemaligen) Arbeitskollegen?). Die Beeinträchtigungen und die Auswirkungen auch auf das Umfeld (familiär und sozial) des Probanden sind – und wurden im konkreten Fall – soweit es medizinisch von Bedeutung ist lege artis durch den Gutachter zu ermitteln und sind im Übrigen Gegenstand der richterlichen Bewertung bei der Höhe des GdB.
Genau dies hat die Kammer in ihrer vollständigen Besetzung bereits im Rahmen des ursprünglichen Urteils gemacht.
In der Absetzung des zurückverweisenden Urteils lag damit – im Hinblick auf den fehlenden Tatbestand und insbesondere die fehlenden Entscheidungsgründe – ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne einer absoluten Revisionsgrunds im Sinne des §§ 162, 202 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO vor (Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 136 Rn. 28; Bolay, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 136 Rn. 23).
Die Kammer hat gleichwohl – auch wenn sie die Zurückverweisung formell und materiell für rechtswidrig und die Art und Weise ihres Zustandekommens prozessual jedenfalls für bemerkenswert hält – insbesondere im Interesse des Klägers, auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes, weiter ermittelt.
Soweit der Kläger im Rahmen der Berufungsbegründung angegeben hatte, das Urteil überzeuge deswegen nicht, weil die Kammer von der Bewertung der Gutachterin abgewichen sei, verkennt diese Auffassung, dass der Gutachter – wie dargestellt – die medizinischen Grundlagen dem Gericht vermittelt, dass die Einschätzung des GdB indes eine genuin rechtliche und durch die Kammer vorzunehmende Entscheidung ist. Die Kammer hat sich seinerzeit den Zweifeln des ärztlichen Beraters der Beklagten hinsichtlich der – insoweit fachfremden – Beurteilung der psychischen Beeinträchtigungen des Klägers durch die Gutachterin Dr. L.-S. angeschlossen. Sie hat darauf verwiesen, dass die sei-nerzeit von der Gutachterin vorgenommene Bildung eines GdB für das Funktionssystem Psyche nicht überzeugte da sie schon– schon mangels entsprechender Begründung – nicht von den Vorgaben, wie sie in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen niedergelegt sind, gedeckt war. Diese Einschätzung hat sich nunmehr – nach Einholung des Gutachtens des Dr. U. – als im Ergebnis zutreffend erwiesen, fußte die Annahme von Frau Dr. L.-S. doch schon medizinisch auf falschen Annahmen.
Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 20 in Ansatz zu bringen.
Beim Kläger sind im gesamten maßgeblichen Zeitraum geringe Beeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule und mittelgradige Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule objektiviert. Die Gutachterin Dr. L.-S. ermittelte seinerzeit für das Vor-/Rückneigen der Halswirbelsäule die Werte 50°/0°/50°, für das Seitenneigen rechts links 35°/0°/50° und das Drehen rechts/links 60°/0°/60° (vgl. zu den Bewegungsausmaßen der Wirbelsäule allgemein Grifka/Krämer, Orthopädische Unfallchirurgie, 9. Aufl. 2013, S. 157 f.; Thomann/Schröter/Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 2009, S. 17). Die Beweglichkeit der HWS war mithin nur geringgradig eingeschränkt, was auch mit den radiologischen Feststellungen korrespondiert. Die paravertebrale Halsmuskulatur und die Schultergürtelmuskulatur waren weich, kräftig ausgebildet und nicht verspannt. Ein Anhalt für eine segmentale Blockierung fand sich in der Untersuchung nicht. Im Bereich des Rumpfes und der Lendenwirbelsäule fand sich ein Beckenschiefstand von 2 cm aufgrund der entsprechenden Verkürzung des linken Beins. Die Lendenwirbelsäulenmuskulatur war beiderseits ausreichend weich und kräftig ausgebildet. Beim Vorneigen, Seitwärtsneigen und beim Rotieren fand sich eine deutliche Fixierung des dorso-lumbalen Übergangs auf einer Strecke von ca. 10 cm. Die Gutachterin beschrieb einen Druckschmerz der linken IS-Fuge sowie diskret auch der rechten IS-Fuge. Der rechte Valleix`sche Druckpunkt war positiv. Beim Aufrichten wurden keine Klettergriffe zur Hilfe genommen. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 5 cm ermittelt, das Vor- und Rückneigen mit 110°/0°/20°, das Seitneigen rechts/links mit 30°/0°/25°, das Drehen im Sitzen mit 30°/0°/30°. Das Zeichen nach Ott wurde mit 30/31 cm, das nach Schober mit 10/14 cm ermittelt. Röntgenologisch fanden sich deutliche Texturstörungen an der Wirbelsäule. Insgesamt konnte die Gutachterin – auch unter Berücksichtigung der Beckenschiefstands und der festgestellten Druckschmerzhaftigkeit sowie der teilweisen Fixierung und dem bei 60° positiven Lasègue-Zeichen insoweit schon mittelgradige Funktionsstörungen objektivieren.
Im Rahmen der Begutachtung durch Herrn Dr. U. zeigten sich keine hiervon abweichenden wesentlichen Veränderungen. Es wurde letztlich eine Klopf- und Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule durch den Kläger angegeben. Anhaltspunkte für neurologische Ausfälle oder Beeinträchtigungen in diesem Bereich konnten nicht festgestellt werden. Diese Feststellungen durch die Gutachter korrespondieren auch mit denjenigen des behandelnden Orthopäden L ... Eine erneute orthopädische Begutachtung des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht erforderlich. Unter Berücksichtigung der objektivieren Beeinträchtigungen des Klägers kommt hier ein GdB von mehr als 20 für den gesamten hier in Rede stehenden Zeitraum nicht in Betracht.
Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten ist beim Kläger für den gesamten maßgeblichen Zeitpunkt ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
Die beim Kläger bestehende Beinverkürzung links von 2 cm bedingt – soweit die durch sie bedingten Beeinträchtigungen nicht bereits im Rahmen der Bewertung der Wirbel-säule ihre Berücksichtigung gefunden haben – für sich genommen gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze keinen GdB. Für die bestehenden X-Beinstellung und die beidseitige Fußfehlform kann allenfalls ein GdB von 10 in Ansatz gebracht werden. Soweit beim Kläger röntgenologisch ein Kniegelenksverschleiß festgestellt werden konnte, bedingt auch dieser keinesfalls einen GdB von mehr als 10. Eine maßgebliche Einschränkung der Beweglichkeit konnte durch den Gutachter Dr. U.– ebenso wie seinerzeit durch Dr. L.-S. – nicht festgestellt werden. Das Gangbild war unauffällig, der Zehen- und Hackengang konnte jeweils sicher vorgeführt werden. Die Muskeleigenreflexe waren auch im Bereich der unteren Extremitäten seitengleich – wenngleich schwach – auslösbar. Hiermit zeigte sich – auch unter Berücksichtigung der Feststellungen im Befundbericht des Herrn L. – auch insoweit keine wesentliche Veränderung zu den Feststellungen der Gutachterin Dr. L.-S. Seinerzeit war die Kniegelenksbeweglichkeit beidseits mit 0°/0°/150° als altersentsprechend normgerecht (vgl. zu den anatomisch normalen Bewegungsausmaßen, Schünke, Topgraphie und Funktion des Bewegungssystems, 2. Aufl. 2014, S. 62; Thomann/Schröter/Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 2009, S. 16). Insgesamt ist für das Funktionssystem der unteren Gliedmaße der GdB im gesamten maßgeblichen Zeitraum mit 10 zu bewerten, der voll erreicht ist. Weitere Beeinträchtigungen, die geeignet wären, den GdB für das Funktionssystem weiter zu erhöhen konnten nicht objektiviert werden. Auch insoweit war vor dem Hintergrund der durchgeführten Ermittlungen der Kammer die erneute Einholung eines orthopädischen Gutachtens nicht erforderlich.
Für die Beeinträchtigungen des Nervensystems und der Psyche ist gemäß Teil B Ziffer 3 insgesamt ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen.
Hierbei ist gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze die beim Kläger bestehende rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode zu berücksichtigen. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass beim Kläger seit Längerem der Aspekt eines "episodischen" Alkoholkonsums mit Trinken bis zur Trunkenheit im Raum stand und es deswegen nach Darstellung der Klägers auch zu interfamiliären Problemen gekommen ist, weswegen er sich Anfang 2018 diesbezüglich in stationäre Behandlung begeben habe. Mit dem Gutachter Dr. U. geht die Kammer aber jetzt davon aus, dass – im Hinblick auf Art und Häufigkeit des Trinkens – jedenfalls die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms nicht zu stellen ist. Die wesentlichen Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die beim Kläger durchaus – dies zeigen beide Gutachten deutlich – schon festzustellen sind, sind im Hinblick auf das beim Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch mögliche Aktivitäts- und Interaktionsniveau für den gesamten maßgeblichen Zeitraum, auch im Hinblick auf den Alkoholkonsum, mit einem GdB von 30 zu bewerten. Insoweit wird auf die Feststellungen im Rentengutachten vom 19.05.2017, die Darstellungen des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. B., die Darstellungen der Gutachterin Dr. L.-S. und nicht zuletzt auf diejenigen der Behandlerinnen Dr. Q. und T. sowie des Gutachters Dr. U. verweisen. Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger Art und Umfang des noch möglichen Aktivitäts- und Interaktionsniveau falsch darstellt (etwa im Sinne einer Simulation oder Dissimulation) sind unter Berücksichtigung der durchgeführten Ermittlungen nicht zu finden, weswegen auch weiterhin eine Vernehmung von Zeugen nicht erforderlich war. Die Annahme der Gutachterin Dr. L.-S., die in ihrem Gutachten einen eigenen GdB von 30 für ein Abhängigkeitssyndrom angenommen hatte, ist nach Auffassung der Kammer weiterhin nicht haltbar. Auch insoweit wird auf das überzeugende Gutachten des Dr. U. Bezug genommen.
Das beim Kläger bestehende Schlafapnoesyndrom ist gemäß Teil B Ziffer 8.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze allerhöchstens mit einem GdB von 10 in Ansatz zu bringen, wie vom Beklagten auch in der Vergangenheit bereits vorgenommen.
Hinsichtlich des bestehenden Bluthochdrucks sind Schädigungen an den Zielorganen bislang nicht objektiviert, so dass gemäß Teil B Ziffer 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze insoweit ein GdB nicht in Betracht kommt. Das Gleiche gilt gemäß Teil B Ziffer 15.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für die beim Kläger bestehende Gicht. Mit Ausnahme eines akuten Gichtanfalls Anfang Januar 2018 sind weitergehende Funktionsbeeinträchtigungen, die mit dieser Grunderkrankung einhergehen, bislang weiterhin nicht objektiviert. Das Gleiche gilt für die festgestellten Hinweise auf eine verminderte Glukosetoleranz. Ein manifester und auch therapierter Diabetes mellitus ist beim Kläger nicht nachgewiesen. Die beim Kläger bestehenden rezidivierenden Analfissuren bedingen – auch unter Berücksichtigung der hiermit verbundenen leichtgradigen Defäktionsbeschwerden - für sich gesehen ebenfalls keinen GdB.
Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die mindestens einen GdB von 10 rechtfertigen würden, sind nicht objektiviert.
Ausgehend von den objektivierten Beeinträchtigungen ist bei dem Kläger für den gesam-ten streitbefangenen Zeitraum nach § 152 Abs. 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.) in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 40 in Ansatz zu bringen. § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F.) schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorien-tierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall ist zunächst als führender GdB derjenige der Psyche zugrunde zu legen. Dieser GdB ist – wie oben ausführlich dargelegt – mit 30 zu bewerten. Dieser Wert ist unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen der Wirbelsäule – auf 40 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB durch andere Beeinträchtigungen kommt nicht in Betracht, weil diese lediglich einen GdB von höchstens 10 bedingen. Unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der Beeinträchtigungen sind sie nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen.
Die Annahme einer Schwerbehinderung scheidet unter Berücksichtigung aller Beeinträchtigungen und ihrer Beziehung untereinander aus. Insbesondere lassen sich die objektivierten Beeinträchtigungen des Klägers nicht gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Die Frage der Gesamt-GdB-Bildung ist keine medizinische sondern ist – auf Grundlage des eingeholten medizinischen Sachverstandes – durch die Kammer zu beantworten. Zu deren Überzeugung steht fest, dass sich die beim Kläger vorhandenen Beeinträchtigungen nicht mit einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthesen die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) oder aber dem Vorliegen mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten vergleichen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig. Der Beklagte stellte bei dem 0000 geborenen Kläger mit Bescheid vom 12.05.2015 aufgrund einer psychischen Erkrankung und einer schlafbezogenen Atemstörung einen GdB von 30 fest. Ein seinerzeit hiergegen geführtes Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht Aachen (S 16 SB 1169/15) blieb für den Kläger ohne Erfolg. Am 24.02.2017 stellte der Kläger einen Änderungsantrag beim Beklagten auf Feststellung eines höheren GdB. Zur Begründung seines Antrags legte der Kläger u.a. Arztberichte des Orthopäden L. sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vor. Der Beklagte holte daraufhin von Herrn L. und dem Allgemeinmediziner P. Befundberichte ein und wertete diese – zusammen mit weiteren vorliegenden Arztberichten – durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung die psychische Erkrankung des Klä-gers sei weiterhin mit einem GdB von 30 und die schlafbezogene Atemstörung weiterhin mit einem GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt seien messbare Verschlechterungen nicht objektiviert. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20.06.2017 die Feststellung eines höheren GdB ab. Der hiergegen von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegte Widerspruch wurde nicht begründet, woraufhin die Bezirksregierung Münster ihn mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2017 als unbegründet zurückwies. Am 07.08.2017 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Antrag des Klägers unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Sozialgerichts Aachen zu bescheiden. Der Beklagte habe verkannt, dass sich der Gesundheitszustand insbesondere auf psychischem Gebiet verschlechtert habe. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Allgemeinmediziners P. und des Neurologen und Psychiaters Dr. B. sowie durch Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Chirurgie – Sozialmedizin Dr. L.-S., welches diese nach Untersuchung des Klägers am 08.03.2018, gegenüber dem Gericht am 10.04.2018 erstattet hat. Der Beklagte hat die Einschätzung der Gutachterin zur Bildung der einzelnen GdB und des Gesamt-GdB kritisch hinterfragt. Der Kammervorsitzende hat sodann unter dem 08.06.2018 den Beteiligten einen begründeten Vergleich in Beschlussform zukommen lassen, wonach der Beklagte sich kostenpflichtig verpflichten sollte, den GdB des Klägers ab Antragstellung mit 40 zu bewerten. Den entsprechenden Vorschlag hat der Beklagte – nach entsprechender Stellungnahme durch seinen ärztlichen Berater Dr. N. – befürwortet. Der Kläger hat sinngemäß erklärt, der Vergleichsvorschlag überzeuge ihn nicht. Im Rahmen der am 04.09.2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat der für den Kläger erschienene Prozessbevollmächtigte erklärt, er habe die ausdrückliche Weisung, den Vergleichsvorschlag weiterhin nicht anzunehmen. Der Kammervorsitzende hat vor diesem Hintergrund darauf hingewiesen, dass der bisherige Klageantrag unzureichend sei, da dieser nur auf Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtet gewesen sei. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger ab Antragstellung einen GdB von 50 anzuerkennen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mit Urteil vom 04.09.2018 hat das erkennende Gericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 verurteilt, den GdB des Klägers ab dem 24.02.2017 mit 40 zu bewerten. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Der Beklagte ist zur Tragung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu 1/3 verurteilt worden. Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Berufung eingelegt. Er hat sich dagegen gewandt, dass das Gericht von der Einschätzung der Sachverständigen Dr. L.-S-, die einen GdB von 50 in Vorschlag gebracht hatte, in seinem Urteil abgewichen ist. Beim Landessozialgericht ist die Sache auf den Einzelrichter übertragen worden, der sodann am 18.02.2019 einen Erörterungstermin durchgeführt hat, in dem er sich die Zustimmung zur Entscheidung durch ihn als Einzelrichter von den Beteiligten hat gegeben lassen. Unmittelbar im Anschluss ist die Öffentlichkeit hergestellt worden und beide Beteiligte haben übereinstimmend beantragt, das Urteil vom 04.09.2018 aufzuheben und zur erneuten Beweiserhebung und Entscheidung an das Sozialgericht Aachen zurückzuverweisen. Nach Verkündung des entsprechenden Urteils haben beide Beteiligten sodann übereinstimmend auf Rechtsmittel verzichtet. Bei der Absetzung des Urteils ist daraufhin auf Tatbestand und Entscheidungsgründe verzichtet worden. Das erkennende Gericht hat im zurückverwiesenen Verfahren weitere Befundberichte der behandelnden Allgemeinmediziner (Dr. T./Dr. G.), der behandelnden Psychiaterin Frau T., des behandelnden Neurologen Dr. B. und des behandelnden Orthopäden L. eingeholt. Die Beteiligten hatte Gelegenheit hierzu Stellung zu nehmen. Schließlich hat die Kammer ein weiteres Gutachten, nämlich ein psychiatrisches Gutachten des Dr. U., eingeholt, welches dieser gegenüber dem Gericht nach Untersuchung des Klägers erstattet hat. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen persönliches Erscheinen aus Gründen des Infektionsschutzes nicht angeordnet war, der gleichwohl aber erschienen ist, beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2017 zu verurteilen, beim Kläger ab Antragstellung (24.02.2017) einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte, dem das Entsenden eines Bevollmächtiget ebenfalls aus Gründen des Infektionsschutzes freigestellt worden ist, hat schriftsätzlich beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als bei ihm ab Antragstellung ein GdB von 40 festzustellen war. Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 begehrt, war die Klage abzuweisen. Ein entsprechender GdB steht dem Kläger nicht zu.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt dabei dann vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX.
Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG – Beschluss vom 01.06.2017 – B 9 SB 20/17 B = juris; BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG – Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen.
Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 (a.F.) Bundesversor-gungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008, zuletzt geändert Artikel 26 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652), die wegen § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt (Versorgungsmedizinische Grundsätze), sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 – B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze). Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches LSG Urteil vom 18.06.2013 – L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67 ff.; Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2013 – L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.
Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die bei dem Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht die Feststellung eines GdB von mehr als 40 rechtfertigen. Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter: 1. Funktionseinschränkungen an der Wirbelsäule im Sinne eines Lendenwirbelsäulensyndroms bei degenerativen Veränderungen 2. Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten 3. Rezidivierende depressive Störung , derzeit mittelgradig depressive Episode 4. Schlafapnoesyndrom 5. Bluthochdruck 6. Gicht 7. Rezidivierende Analfissuren 8. Hinweis auf verminderte Glukosetoleranz
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und im ursprünglichen bzw. zurückverwiesenen Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte, sowie der Gutachten der Frau Dr. L.-S. sowie insbesondere zuletzt des Dr. U. fest. Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen erfahrener gerichtlicher Sachverständigen, die unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat in wesentlichen Teilen keinen Anlass an der Richtigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben nach Auffassung der Kammer auch zuletzt auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben.
Auch die Zurückverweisung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter am Landessozialgericht führt insoweit zu keiner anderen Einschätzung, war diese doch offensichtlich rechtswidrig.
Die Anwendung von § 159 SGG setzt die Ausübung von Ermessen voraus (vgl. dazu etwa Bayerisches LSG Urteil vom 05.02.2014 – L 2 U 406/13 = juris Rn. 19; Adolf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. (Stand: 15.07.2017), § 159 SGG Rn. 26; Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 159 Rn. 10 f.; Jungeblut in: BeckOK, § 159 Rn. 11; Binder in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 159 Rn. 8; Sommer in: BeckOGK, § 159 Rn. 16.) Schon hierzu fehlen letztlich jedwede belastbaren Feststellungen durch den Einzelrichter am LSG. Die von diesem im Urteil niedergelegt Auffassung, aufgrund des Rechtmittelverzichts seien Tatbestand und Entscheidungsgründe "nicht geboten", ist ebenfalls erkennbar rechtsfehlerhaft. Ein solcher Verzicht scheidet im Falle einer Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufgrund der Bindungswirkung des § 159 Abs. 2 SGG aus, denn ansonsten ist – wie dieses Verfahren zeigt (dazu unten)– nicht klar, wieweit diese Bindungswirkung reicht (so zutreffend Thüringer LSG Urteil vom 09.03.2017 – L 1 U 1430/16 = juris Rn. 18; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 136 Rn. 9; Harks in: BeckOGK, § 136 Rn. 39).
Selbst wenn man die demgegenüber dürftige Begründung des zurückverweisenden Urteils durch den Einzelrichter am LSG im Rahmen der Sitzungsniederschrift als Anknüpfungspunkt für die Bindungswirkung des § 159 Abs. 2 SGG ausreichen lassen wollte, so trägt diese die Zurückverweisungsentscheidung nach § 159 Abs. 1 SGG nicht.
Auf die fehlende Erkennbarkeit der Ausübung von Ermessen wurde bereits hingewiesen. Darauf, dass sich die Kammer in ihrem – nach entsprechender mündlicher Verhandlung in voller ordnungsgemäßer Besetzung – ergangenen Urteil gerade nicht allein auf das, nach rechtsfehlerhafter (dazu unten) Auffassung des Einzelrichter am LSG offenbar unbrauchbare, Gutachten der Frau L.-S-, sondern zudem auf diverse Befundberichte behandelnder Ärzte sowie die hierzu zitierte einschlägige Rechtsprechung gestützt hat, wurde insoweit ebenfalls nicht eingegangen.
Daneben ist für die Kammer auch schon nicht im Ansatz zu erkennen, wovon der Einzelrichter am Landessozialgericht ausgeht, wenn er moniert, es fehle an einer "ordnungsgemäßen Übertragung der Erklärungen des Klägers in die deutsche Sprache. Welche Erklärungen er hier konkret meint, ist der Kammer völlig schleierhaft. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2018 war der Kläger noch nicht einmal anwesend, sondern wurde von seinem Prozessbevollmächtigten vertreten. Prozessuale Erklärungen hat der Kläger "in persona" jedenfalls nicht abgegeben.
Sollte damit gemeint sein, dass bei der Gutachterin Dr. L.-S. kein Dolmetscher zugegen war, weswegen das Gutachten nicht verwertbar sei, so erscheint diese Annahme schon vor dem Hintergrund, dass der Kläger auch selbst seine fachpsychiatrischen Therapie bei deutschsprachigen Behandlern ohne Zuhilfenahme eines Dolmetschers absolviert, die Gutachterin ihn offensichtlich verstanden hat und auch der Einzelrichter am Landessozialgericht offenkundig in der Lage war, den Kläger ohne Dolmetscher zu verstehen, als rechtsirrig (vgl. dazu etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2011 – L 11 R 4243/10 = juris). Etwas anderes wäre es gewesen, wenn erkennbar gewesen wäre, dass eine ordnungsgemäße Begutachtung durch die Gutachterin nicht möglich gewesen wä-re (dazu etwa BSG, Urteil vom 17.07.1996 – 5 RJ 70/95). Diese Annahme scheidet aber im Hinblick auf die detailliert und dezidiert getroffenen Feststellungen im Gutachten, auch im Bereich der Anamnese, aus.
Daneben lässt auch die Feststellung im Protokoll, das Gericht hätte seinerzeit die erforderliche Anknüpfungstatsachen, "nämlich insbesondere" die familiären Verhältnisse des Klägers durch Zeugenvernehmung ermitteln und den begutachtenden Ärzten vorgeben müssen, die Kammer letztlich ratlos zurück.
Wie bereits oben dargelegt ist wesentlicher Maßstab der Bewertung eines GdB das Vorliegen einer Beeinträchtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX. Eine solche Beeinträchtigung liegt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Diese Feststellung zu treffen ist tatrichterliche Aufgabe, wobei die Gerichte insoweit ärztliches Fachwissen heranzuziehen haben (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 30). Als Teil des ärztlichen Fachwissens ist, im Hinblick auf die erforderliche Beschreibung des Ge-sundheitszustands des Probanden, neben der Einholung von Befund- und Arztberichten auch Einholung eines – nach den anerkannten Maßstäbe der ärztlichen Kunst und Gutachtenerstellung gefertigtes – Gutachtens anzusehen (vgl. zu den anerkannten Grundsätzen der medizinischen Gutachtenerstellung exemplarisch etwa Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychischer Störungen, 3. Aufl. 2015; S. 1 ff.; Rom-pe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollom Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorga-ne, 5. Aufl., 2009, S. 297 f.; 626 ff.; zu Qualitätsanforderungen an ein medizinisches Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, vgl. auch Forster, Med-Sach 2020, 244 ff.). Hieran hat sich die Kammer durchweg orientiert als sie – neben den Befundberichten die lege artis erstellen Gutachten der Frau Dr. L.-S. und nunmehr auch des Dr. U. eingeholt hat.
Es ist im Schwerbehindertenrecht – anders als etwa bei Kausalitätsfragen im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts oder der Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung – eben nicht so, dass das Gericht dem Gutachter insoweit Vorgaben machen müsste, von welchen "Anknüpfungstatsachen" er auszugehen hat. Soweit der Einzelrichter am LSG dies offenbar anderes sieht, lässt sich dies – im Hinblick darauf, dass eine methodologisch an Normen, Rechtsprechung oder Literatur gegebene Begründung ausweislich der insoweit allein vorhandenen Sitzungsniederschrift nicht erfolgt ist – in der Herleitung und im Ergebnis nicht nachvollziehen.
Ganz unabhängig davon fragt sich die Kammer, was denn konkret damit gemeint sein soll, es müssten "insbesondere" die familiären Verhältnisse aufgeklärt werden. Die für die medizinische Beurteilung insoweit maßgeblichen Aspekte werden in der Anamnese (konkret: Familienanamnese) erhoben. Daneben unterbleibt eine nähere Erklärung des Adverbs "insbesondere" durch den Einzelrichter am LSG, was die Frage aufwirft, was denn möglicherweise nach Auffassung des Einzelrichters noch weitere angeblich vorzugebende Anknüpfungstatsachen sein könnten (Zeugenvernehmung auch von Freunden und/oder (ehemaligen) Arbeitskollegen?). Die Beeinträchtigungen und die Auswirkungen auch auf das Umfeld (familiär und sozial) des Probanden sind – und wurden im konkreten Fall – soweit es medizinisch von Bedeutung ist lege artis durch den Gutachter zu ermitteln und sind im Übrigen Gegenstand der richterlichen Bewertung bei der Höhe des GdB.
Genau dies hat die Kammer in ihrer vollständigen Besetzung bereits im Rahmen des ursprünglichen Urteils gemacht.
In der Absetzung des zurückverweisenden Urteils lag damit – im Hinblick auf den fehlenden Tatbestand und insbesondere die fehlenden Entscheidungsgründe – ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne einer absoluten Revisionsgrunds im Sinne des §§ 162, 202 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO vor (Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 136 Rn. 28; Bolay, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 136 Rn. 23).
Die Kammer hat gleichwohl – auch wenn sie die Zurückverweisung formell und materiell für rechtswidrig und die Art und Weise ihres Zustandekommens prozessual jedenfalls für bemerkenswert hält – insbesondere im Interesse des Klägers, auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes, weiter ermittelt.
Soweit der Kläger im Rahmen der Berufungsbegründung angegeben hatte, das Urteil überzeuge deswegen nicht, weil die Kammer von der Bewertung der Gutachterin abgewichen sei, verkennt diese Auffassung, dass der Gutachter – wie dargestellt – die medizinischen Grundlagen dem Gericht vermittelt, dass die Einschätzung des GdB indes eine genuin rechtliche und durch die Kammer vorzunehmende Entscheidung ist. Die Kammer hat sich seinerzeit den Zweifeln des ärztlichen Beraters der Beklagten hinsichtlich der – insoweit fachfremden – Beurteilung der psychischen Beeinträchtigungen des Klägers durch die Gutachterin Dr. L.-S. angeschlossen. Sie hat darauf verwiesen, dass die sei-nerzeit von der Gutachterin vorgenommene Bildung eines GdB für das Funktionssystem Psyche nicht überzeugte da sie schon– schon mangels entsprechender Begründung – nicht von den Vorgaben, wie sie in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen niedergelegt sind, gedeckt war. Diese Einschätzung hat sich nunmehr – nach Einholung des Gutachtens des Dr. U. – als im Ergebnis zutreffend erwiesen, fußte die Annahme von Frau Dr. L.-S. doch schon medizinisch auf falschen Annahmen.
Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 20 in Ansatz zu bringen.
Beim Kläger sind im gesamten maßgeblichen Zeitraum geringe Beeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule und mittelgradige Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule objektiviert. Die Gutachterin Dr. L.-S. ermittelte seinerzeit für das Vor-/Rückneigen der Halswirbelsäule die Werte 50°/0°/50°, für das Seitenneigen rechts links 35°/0°/50° und das Drehen rechts/links 60°/0°/60° (vgl. zu den Bewegungsausmaßen der Wirbelsäule allgemein Grifka/Krämer, Orthopädische Unfallchirurgie, 9. Aufl. 2013, S. 157 f.; Thomann/Schröter/Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 2009, S. 17). Die Beweglichkeit der HWS war mithin nur geringgradig eingeschränkt, was auch mit den radiologischen Feststellungen korrespondiert. Die paravertebrale Halsmuskulatur und die Schultergürtelmuskulatur waren weich, kräftig ausgebildet und nicht verspannt. Ein Anhalt für eine segmentale Blockierung fand sich in der Untersuchung nicht. Im Bereich des Rumpfes und der Lendenwirbelsäule fand sich ein Beckenschiefstand von 2 cm aufgrund der entsprechenden Verkürzung des linken Beins. Die Lendenwirbelsäulenmuskulatur war beiderseits ausreichend weich und kräftig ausgebildet. Beim Vorneigen, Seitwärtsneigen und beim Rotieren fand sich eine deutliche Fixierung des dorso-lumbalen Übergangs auf einer Strecke von ca. 10 cm. Die Gutachterin beschrieb einen Druckschmerz der linken IS-Fuge sowie diskret auch der rechten IS-Fuge. Der rechte Valleix`sche Druckpunkt war positiv. Beim Aufrichten wurden keine Klettergriffe zur Hilfe genommen. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit 5 cm ermittelt, das Vor- und Rückneigen mit 110°/0°/20°, das Seitneigen rechts/links mit 30°/0°/25°, das Drehen im Sitzen mit 30°/0°/30°. Das Zeichen nach Ott wurde mit 30/31 cm, das nach Schober mit 10/14 cm ermittelt. Röntgenologisch fanden sich deutliche Texturstörungen an der Wirbelsäule. Insgesamt konnte die Gutachterin – auch unter Berücksichtigung der Beckenschiefstands und der festgestellten Druckschmerzhaftigkeit sowie der teilweisen Fixierung und dem bei 60° positiven Lasègue-Zeichen insoweit schon mittelgradige Funktionsstörungen objektivieren.
Im Rahmen der Begutachtung durch Herrn Dr. U. zeigten sich keine hiervon abweichenden wesentlichen Veränderungen. Es wurde letztlich eine Klopf- und Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule durch den Kläger angegeben. Anhaltspunkte für neurologische Ausfälle oder Beeinträchtigungen in diesem Bereich konnten nicht festgestellt werden. Diese Feststellungen durch die Gutachter korrespondieren auch mit denjenigen des behandelnden Orthopäden L ... Eine erneute orthopädische Begutachtung des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht erforderlich. Unter Berücksichtigung der objektivieren Beeinträchtigungen des Klägers kommt hier ein GdB von mehr als 20 für den gesamten hier in Rede stehenden Zeitraum nicht in Betracht.
Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten ist beim Kläger für den gesamten maßgeblichen Zeitpunkt ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen.
Die beim Kläger bestehende Beinverkürzung links von 2 cm bedingt – soweit die durch sie bedingten Beeinträchtigungen nicht bereits im Rahmen der Bewertung der Wirbel-säule ihre Berücksichtigung gefunden haben – für sich genommen gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze keinen GdB. Für die bestehenden X-Beinstellung und die beidseitige Fußfehlform kann allenfalls ein GdB von 10 in Ansatz gebracht werden. Soweit beim Kläger röntgenologisch ein Kniegelenksverschleiß festgestellt werden konnte, bedingt auch dieser keinesfalls einen GdB von mehr als 10. Eine maßgebliche Einschränkung der Beweglichkeit konnte durch den Gutachter Dr. U.– ebenso wie seinerzeit durch Dr. L.-S. – nicht festgestellt werden. Das Gangbild war unauffällig, der Zehen- und Hackengang konnte jeweils sicher vorgeführt werden. Die Muskeleigenreflexe waren auch im Bereich der unteren Extremitäten seitengleich – wenngleich schwach – auslösbar. Hiermit zeigte sich – auch unter Berücksichtigung der Feststellungen im Befundbericht des Herrn L. – auch insoweit keine wesentliche Veränderung zu den Feststellungen der Gutachterin Dr. L.-S. Seinerzeit war die Kniegelenksbeweglichkeit beidseits mit 0°/0°/150° als altersentsprechend normgerecht (vgl. zu den anatomisch normalen Bewegungsausmaßen, Schünke, Topgraphie und Funktion des Bewegungssystems, 2. Aufl. 2014, S. 62; Thomann/Schröter/Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 2009, S. 16). Insgesamt ist für das Funktionssystem der unteren Gliedmaße der GdB im gesamten maßgeblichen Zeitraum mit 10 zu bewerten, der voll erreicht ist. Weitere Beeinträchtigungen, die geeignet wären, den GdB für das Funktionssystem weiter zu erhöhen konnten nicht objektiviert werden. Auch insoweit war vor dem Hintergrund der durchgeführten Ermittlungen der Kammer die erneute Einholung eines orthopädischen Gutachtens nicht erforderlich.
Für die Beeinträchtigungen des Nervensystems und der Psyche ist gemäß Teil B Ziffer 3 insgesamt ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen.
Hierbei ist gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze die beim Kläger bestehende rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradige Episode zu berücksichtigen. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass beim Kläger seit Längerem der Aspekt eines "episodischen" Alkoholkonsums mit Trinken bis zur Trunkenheit im Raum stand und es deswegen nach Darstellung der Klägers auch zu interfamiliären Problemen gekommen ist, weswegen er sich Anfang 2018 diesbezüglich in stationäre Behandlung begeben habe. Mit dem Gutachter Dr. U. geht die Kammer aber jetzt davon aus, dass – im Hinblick auf Art und Häufigkeit des Trinkens – jedenfalls die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms nicht zu stellen ist. Die wesentlichen Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die beim Kläger durchaus – dies zeigen beide Gutachten deutlich – schon festzustellen sind, sind im Hinblick auf das beim Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch mögliche Aktivitäts- und Interaktionsniveau für den gesamten maßgeblichen Zeitraum, auch im Hinblick auf den Alkoholkonsum, mit einem GdB von 30 zu bewerten. Insoweit wird auf die Feststellungen im Rentengutachten vom 19.05.2017, die Darstellungen des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. B., die Darstellungen der Gutachterin Dr. L.-S. und nicht zuletzt auf diejenigen der Behandlerinnen Dr. Q. und T. sowie des Gutachters Dr. U. verweisen. Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger Art und Umfang des noch möglichen Aktivitäts- und Interaktionsniveau falsch darstellt (etwa im Sinne einer Simulation oder Dissimulation) sind unter Berücksichtigung der durchgeführten Ermittlungen nicht zu finden, weswegen auch weiterhin eine Vernehmung von Zeugen nicht erforderlich war. Die Annahme der Gutachterin Dr. L.-S., die in ihrem Gutachten einen eigenen GdB von 30 für ein Abhängigkeitssyndrom angenommen hatte, ist nach Auffassung der Kammer weiterhin nicht haltbar. Auch insoweit wird auf das überzeugende Gutachten des Dr. U. Bezug genommen.
Das beim Kläger bestehende Schlafapnoesyndrom ist gemäß Teil B Ziffer 8.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze allerhöchstens mit einem GdB von 10 in Ansatz zu bringen, wie vom Beklagten auch in der Vergangenheit bereits vorgenommen.
Hinsichtlich des bestehenden Bluthochdrucks sind Schädigungen an den Zielorganen bislang nicht objektiviert, so dass gemäß Teil B Ziffer 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze insoweit ein GdB nicht in Betracht kommt. Das Gleiche gilt gemäß Teil B Ziffer 15.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für die beim Kläger bestehende Gicht. Mit Ausnahme eines akuten Gichtanfalls Anfang Januar 2018 sind weitergehende Funktionsbeeinträchtigungen, die mit dieser Grunderkrankung einhergehen, bislang weiterhin nicht objektiviert. Das Gleiche gilt für die festgestellten Hinweise auf eine verminderte Glukosetoleranz. Ein manifester und auch therapierter Diabetes mellitus ist beim Kläger nicht nachgewiesen. Die beim Kläger bestehenden rezidivierenden Analfissuren bedingen – auch unter Berücksichtigung der hiermit verbundenen leichtgradigen Defäktionsbeschwerden - für sich gesehen ebenfalls keinen GdB.
Weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die mindestens einen GdB von 10 rechtfertigen würden, sind nicht objektiviert.
Ausgehend von den objektivierten Beeinträchtigungen ist bei dem Kläger für den gesam-ten streitbefangenen Zeitraum nach § 152 Abs. 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.) in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 40 in Ansatz zu bringen. § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F.) schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorien-tierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall ist zunächst als führender GdB derjenige der Psyche zugrunde zu legen. Dieser GdB ist – wie oben ausführlich dargelegt – mit 30 zu bewerten. Dieser Wert ist unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungen der Wirbelsäule – auf 40 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB durch andere Beeinträchtigungen kommt nicht in Betracht, weil diese lediglich einen GdB von höchstens 10 bedingen. Unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der Beeinträchtigungen sind sie nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen.
Die Annahme einer Schwerbehinderung scheidet unter Berücksichtigung aller Beeinträchtigungen und ihrer Beziehung untereinander aus. Insbesondere lassen sich die objektivierten Beeinträchtigungen des Klägers nicht gemäß Teil A Nr. 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Die Frage der Gesamt-GdB-Bildung ist keine medizinische sondern ist – auf Grundlage des eingeholten medizinischen Sachverstandes – durch die Kammer zu beantworten. Zu deren Überzeugung steht fest, dass sich die beim Kläger vorhandenen Beeinträchtigungen nicht mit einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthesen die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) oder aber dem Vorliegen mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten vergleichen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved