S 18 KR 1202/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
18
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 18 KR 1202/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.05.2011 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 13.09.2011 verurteilt, den Kläger mit dem Bewegungstrainer "I." zu versorgen. 2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Bewegungstrainer. Der im Jahr 2004 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Im Alter von vier Monaten wurde bei ihm das Aicardi-Goutières-Syndrom diagnostiziert. Dabei handelt es sich um eine neurodegenerative Erkrankung, die zur einer schweren allgemeinen Entwicklungsverzögerung führt und mit einer erheblich eingeschränkten Lebenserwartung verbunden ist. Die Krankheit ist ausgesprochen selten. Weltweit wurden bisher lediglich ca. 200 Fälle beschrieben. Infolge der Krankheit kann der Kläger nicht selbständig sitzen, gehen oder stehen. Zudem treten wiederholt unklare Schmerzzustände auf, die von Fieberanfällen, epileptischen Anfällen (Blitz-Nick-Salaam-Anfällen) und Apnoeanfällen begleitet werden und zwischen drei Tagen bis drei Wochen andauern. In der Vergangenheit wurde der Kläger von der Beklagten unter anderem mit einem Stehtrainer, einem Therapiestuhl, einem speziellen Autositz und einem Rollstuhl versorgt. Anfang des Jahres 2011 wurde dem Kläger von seinem behandelnden Arzt der "Bewegungstrainer ‚I. nach erfolgreicher sechswöchiger Erprobung" verordnet. Hierbei handelt es sich um ein motorisiertes Gerät, in dem Menschen mit Behinderung unterstützte Bewegungen in einer aufrechten Position durchführen können. Die Erprobung erfolgte im Frühjahr 2011 und wurde von der Physiotherapeutin des Klägers begleitet und dokumentiert. Diese bewertete das Training mit dem Gerät als für den Kläger "sehr positiv". Daraufhin beantragte die Herstellerfirma des Bewegungstrainers am 31.03.2011 für den Kläger unter Vorlage eines Kostenvoranschlages über 20.544,00 EUR die Kostenübernahme für die Beschaffung des Gerätes. Die Beklagte beauftragte zunächst den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Prüfung der medizinischen Notwendigkeit des Bewegungstrainers. In seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 18.05.2011 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Angesichts des Preises des Gerätes sei für die Bestätigung der medizinischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Hilfsmittels zu fordern, dass der therapeutische Nutzen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin nachgewiesen sei. Ein derartiger Nachweis liege bisher jedoch nicht vor. Auch aus den Angaben zur Erprobung lasse sich kein signifikanter Vorteil gegenüber der bisherigen Behandlung ableiten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme mit Bescheid vom 20.05.2011 ab. Bei der Erkrankung des Klägers sei zweifellos eine intensive und langdauernde physikalische Therapie erforderlich, um eine Einsteifung von Gelenken zu vermeiden bzw. hinauszuzögern. Hierfür sei Krankengymnastik erforderlich, die durch Hilfsmittel wie den Stehständer und Therapiestuhl ergänzt werden könne. Die Versorgung mit dem Bewegungstrainer "I." gehe jedoch über das Maß des medizinisch Notwendigen hinaus. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger, vertreten durch seine Mutter, mit Schreiben vom 26.05.2011 Widerspruch ein. Mit der Benutzung des Bewegungstrainers werde im Rahmen seiner Möglichkeiten das menschliche Grundbedürfnis nach Bewegung befriedigt. Der vorhandene Stehständer werde vom Kläger trotz nachhaltigen Trainings nicht länger als 5 bis 10 Minuten toleriert. Er reagiere auf ihn mit einer Abwehrreaktion, die weitere unerwünschte Folgen, wie etwa rückwärtsgewandte Überstreckungen und dadurch verursachte andere gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehe. Zur Unterstützung seines Vorbringens legte der Kläger zudem eine befürwortende Stellungnahme seines behandelnden Arztes Dr. T. vor. Darin führte der Arzt aus, dass sich dem Kläger durch die Möglichkeit von Stehen und Gehen eine neue Umgebung und damit neue Möglichkeiten der geistigen und körperlichen Entwicklung erschließe. Perspektivisch ergebe sich dadurch die Hoffnung auf mehr Selbständigkeit des Klägers im Alltag. Zudem sei zu erwarten, dass durch die Aufrichtung des Kindes die bisher andauernd bestehenden Probleme, wie Schluckstörungen, anhaltende Bauchschmerzen und gastroösophagealer Reflux erheblich reduziert würden. Die Beklagte beauftragte daraufhin den MDK mit der erneuten Begutachtung des Falles. In seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 16.08.2011 kam dieser wiederum zu dem Ergebnis, dass der beantragte Bewegungstrainer medizinisch nicht notwendig sei. Zur Begründung wiederholt er die zuvor vorgebrachten Argumente. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2011 zurück. Am 13.10.2011 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, der Bewegungstrainer sei erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung sicherzustellen und um seine Behinderung auszugleichen. Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kostenübernahme für die Versorgung mit einem Bewegungstrainer "I." gemäß Kostenvoranschlag der E. GmbH zu erklären. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Krankenbehandlung und nicht der Behinderungsausgleich stehe im Vordergrund. Dies ergebe sich aus der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Dr. T ... Im Rahmen der Krankenbehandlung fehle es für eine Kostenübernahmepflicht allerdings an wissenschaftlichen fundierten Nachweisen der Wirksamkeit. Das Gericht hat Befundberichte des Kinderarztes T., des Orthopäden R. und des Neuropädiaters P. eingeholt. Das Gericht hat zudem Beweis erhoben durch Sachverständigengutachten des Kinderorthopäden Dr. R1. Darin kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass sich das Fortschreiten der Krankheit nach dem heutigen Kenntnisstand nicht aufhalten lasse. Daher stehe eine symptomatische Therapie hinsichtlich der auftretenden Anfälle und der Bewegungsstörung im Vordergrund, bestehend aus einer adäquaten Frühförderung, Physiotherapie, Logopädie und Hilfsmittelversorgung. Grundlegende wissenschaftliche Studien bzgl. der Therapie eines Aicardi-Goutières-Syndroms mit einem motorisierten Gehtrainer existierten nicht und seien aufgrund der Seltenheit der Krankheit auch nicht zu erwarten. Der Bewegungstrainer "I." sei geeignet, die beim Kläger festgestellten Behinderungen auszugleichen oder weiteren drohenden Behinderungen vorzubeugen. Zudem seien mit der Nutzung des Bewegungstrainers weitere Vorteile verbunden. Der Kläger erfahre durch das Gehen mit Eigengewichtsbelastung eine nicht gekannte Bewegungsfreiheit und habe durch die Steuerung des Bewegungstrainers mit der Fernbedienung erstmals einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung verstanden. Zudem sei er hierdurch in der Lage, selbst Einfluss auf die Therapie zu nehmen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte der Kammer und die in der Sitzungsniederschrift genannten Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2011 ist rechtswidrig, so dass der Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert ist. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Versorgung mit dem Bewegungstrainer "I.". I. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Nach § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. 1. Das von der Klägerin begehrte Hilfsmittel ist nicht gemäß § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Ein Ausschluss von Bewegungstrainern aus der Hilfsmittelversorgung folgt auch nicht daraus, dass diese Geräte nach der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Versorgung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie) nicht aufgeführt sind. Das Hilfsmittelverzeichnis stellt hinsichtlich der möglichen Hilfsmittel nur eine unverbindliche Auslegungshilfe dar (vgl. BSG Urteil vom 29.09.1997, 8 R Kn 27/96, juris). 2. Der Bewegungstrainer ist erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Ob das Hilfsmittel zugleich auch dazu dient, den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern kann daher dahinstehen. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. SGB V besteht ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Der Bewegungstrainer dient vorliegend dem Behinderungsausgleich. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen (BSG, Urteil vom 17.01.1996 – 3 RK 38/94, juris; BSG, Urteil vom 19.04.2007 – B 3 KR 9/06 R, juris). Die Regelung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die lediglich die direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen und damit den mittelbaren Behinderungsausgleich bezwecken. In diesem Fall hat die Krankenversicherung nur für den Basisausgleich einzustehen. Es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die an Gesundheit, Organfunktion und Behandlungserfolg orientierte medizinische Rehabilitation (BSG, Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/10, juris). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG dienen Hilfsmittel, die auf den mittelbaren Behinderungsausgleich abzielen, nur dann der medizinischen Rehabilitation, wenn der Zweck des Hilfsmitteleinsatzes der Befriedigung körperlicher Grundfunktionen und in diesem Sinne einem Grundbedürfnis dient (BSG, Urteil vom 06.08.1998 – B 3 KR 3/97 R, juris; Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/19, juris). Dies ist der Fall, wenn das Hilfsmittel die Auswirkungen einer Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.2010 – B 3 KR 5/09 R, juris). Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.2004 – B 3 KR 19/03 R, BSGE 93, 176-182; BSG, Urteil vom 26.03.2003 B 3 KR 23/02 R, BSGE 91,60-65). Bei dem Bewegungstrainer handelt es sich um ein derartiges Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich. Das Gerät ermöglicht dem Kläger die Befriedigung des Grundbedürfnisses des Gehens sowie nach der Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums. Der Kläger ist aufgrund seiner schweren Behinderung nicht in der Lage zu gehen und sich selbst fortzubewegen. Auch der streitgegenständliche Bewegungstrainer erlaubt es dem Kläger lediglich, den Bewegungsablauf des Gehens nachzuvollziehen, ohne dass damit ein Fortkommen verbunden wäre. Nach Auffassung der Kammer ist das Grundbedürfnis des Gehens bzw. der Erschließung eines körperlichen Freiraums jedoch nicht ausschließlich im Sinne von Fortbewegung zu verstehen. Insbesondere bei Kindern umfasst es auch die Möglichkeit zur ausreichenden Bewegung. Denn die Zuordnung bestimmter Betätigungen zu den Grundbedürfnissen hängt unter anderem auch von Lebensalter des Betroffenen ab. Kinder unterliegen einem ausgeprägten natürlichen Bewegungsdrang und haben insoweit ein besonderes Bedürfnis nach körperlichem Freiraum. Es ist zudem allgemein bekannt, dass Bewegung im Rahmen der kindlichen Entwicklung von großer Bedeutung ist. Gerade bei Kindern erfolgt die Bewegung oftmals nicht zielgerichtet zur Fortbewegung, sondern sie dient unter anderem zum Erlernen neuer Bewegungsabläufe und Fertigkeiten. Beschränkte man das Grundbedürfnis des Gehens und der Erschließung eines körperlichen Freiraums auf die Möglichkeit zur Fortbewegung, bliebe die wichtige Rolle, die die Körpererfahrung und die Körperwahrnehmung in der kindlichen Entwicklung spielt, unberücksichtigt. Dass Kinder und Jugendliche in der Entwicklungsphase besondere Grundbedürfnisse haben, denen entsprechend Rechnung zu tragen ist, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung bestätigt. So hat das BSG im Zusammenhang mit der Hilfsmittelversorgung von Jugendlichen ausdrücklich festgestellt, dass sich die Notwendigkeit der Versorgung nicht nur aus der rein quantitativen Erweiterung des Bewegungsradius, sondern auch aus dem Gesichtspunkt der Integration des behinderten Jugendlichen in das Lebensumfeld nichtbehinderter Gleichaltriger ergeben könne (BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 3/02 R, juris). Mit dem Aspekt der Integration ist aber nicht nur das Grundbedürfnis nach körperlichem, sondern zugleich auch nach einem geistigen Freiraum angesprochen. Dass die Nutzung des Bewegungstrainers dem Kläger Bewegungsfreiheit vermittelt und mit der Erschließung eines geistigen Freiraums verbunden ist, bestätigt der vom Gericht bestellte Sachverständige, dessen überzeugenden Ausführungen das Gericht insoweit folgt. So stellt der Sachverständige fest: "Gehen bzw. ein physiologischer Gangablauf war J. bisher nicht bekannt. Durch die Therapie mit dem "I." bekommt J. die Möglichkeit, eine für ihn neue Bewegungsfreiheit auch unter körpereigener Gewichtsbelastung kennenzulernen. Durch die verbesserte Kopfkontrolle und Aufmerksamkeit bekommt J. die Möglichkeit, in dieser Position in "seinen Grenzen" an seiner Umwelt teilzunehmen und seinen Mitmenschen "auf Augenhöhe" zu begegnen. Laut seiner Mutter hat J. im Rahmen der I.-Testphase erstmalig den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung begriffen, indem er die Therapie selbst über die Fernbedienung beeinflussen konnte und eine unmittelbare Veränderung wahrnahm." (Bl. 177 d. A.). Von besonderem Gewicht ist aus Sicht der Kammer dabei die Tatsache, dass das Hilfsmittel es dem Kläger ermöglicht, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten selbstbestimmt zu bewegen. So ergibt sich aus der von der behandelnden Physiotherapeutin angefertigten Dokumentation der Testphase des "I.s", dass der Kläger mithilfe der Fernbedienung vermochte, etwa durch die Regulierung der Geschwindigkeit oder Betätigung des "Sitzen-Knopfs", seinen Bewegungsablauf selbst zu steuern. Auch die Mutter des Klägers hat im Termin zur mündlichen Verhandlung anschaulich geschildert auf welche Weise es dem Kläger bereits in der Testphase des Gerätes gelungen ist, sich willkürlich zu bewegen und damit Einfluss auf seine Bewegungen zu nehmen. Das streitgegenständliche Hilfsmittel dient dem Kläger daher im Rahmen seiner Möglichkeiten erheblich zur Förderung seiner Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit den in §§ 1, 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX beschriebenen Rehabilitationszielen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 5/03, juris). Dass der Bewegungstrainer dem Kläger keine umfassende Integration in das Lebensumfeld Nichtbehinderter im Sinne eines nahezu vollständigen Gleichziehens ermöglicht, ist unerheblich. Die Frage, inwieweit ein Ausgleich der Behinderung erfolgen kann, ist stets anhand der individuellen Möglichkeiten des Betroffenen zu beurteilen (in diesem Sinne BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09, juris; aber auch BSG, Urteil vom 16.09.2004 – B 3 KR 19/03 R, BSGE 93, 176-182). Zudem ist der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich lediglich auf eine möglichst weitgehende Eingliederung ausgerichtet. Er setzt nicht voraus, dass das Hilfsmittel hierzu unverzichtbar ist. Es reicht deshalb aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich gefördert wird (BSG, Urteil vom 10.11.2005 – B 3 KR 31/04, juris; BSG, Urteil vom 23.07.2002 B 3 KR 3/02 R, juris). Dies ist vorliegend der Fall. Angesichts der schwerwiegenden Einschränkungen, denen der Kläger unterliegt, vermittelt ihm der Bewegungstrainer ein erhebliches Maß an Eigenständigkeit und Bewegungsfreiheit und ermöglicht ihm die Erschließung eines körperlichen und geistigen Freiraums, in einer sonst nicht denkbaren Form. 3. Schließlich ist die begehrte Hilfsmittelversorgung auch ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich und überschreitet nicht das Maß des Notwendigen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Zwar ist der Kläger bereits mit Hilfsmitteln, wie etwa dem Rollstuhl und einem Stehgerät versorgt. Insbesondere das Stehgerät stellt jedoch keine Alternative zu dem streitgegenständlichen Hilfsmittel dar. Abgesehen davon, dass der Kläger nach Angaben seiner Eltern aus diesem Gerät zwischenzeitlich herausgewachsen ist und es von ihm nie akzeptiert wurde, ermöglicht es lediglich eine Aufrichtung des Klägers. Es bietet ihm keine dem Bewegungstrainer vergleichbare Bewegungsmöglichkeiten. Unter Beachtung der Behinderung des Klägers und seiner Lebenssituation steht auch kein weniger aufwändiges Hilfsmittel zur Verfügung. Anhaltspunkte dafür, dass eine preiswertere - aber ebenso geeignete - Alternative hätte gewählt werden können, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen worden. Angesichts des erheblichen Nutzens, den der Bewegungstrainer für den Kläger in vielfacher Hinsicht hat, stehen die Kosten für das Gerät, die sich nach dem zuletzt vorgelegten Kostenvoranschlag auf 14.933,00 EUR für den Kauf bzw. 3.355,60 EUR für eine sechsmonatige Miete belaufen, hierzu nicht außer Verhältnis. Der Bewegungstrainer ist zudem nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Rechtskraft
Aus
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