L 1 R 110/18

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 6 R 459/15
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 110/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass Unterbrechungen in der Beitragsentrichtung (zB. durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, unbezahlten Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten, Arbeitslosigkeit usw.) nicht eingetreten sind. Allein aufgrund der Angaben des Versicherten können in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegte Versicherungszeiten nicht als nachgewiesene Beitragszeiten zu 6/6 angerechnet werden.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 15. Mai 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist (nur noch) eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) in Höhe von 6/6 anstelle von bisher 5/6 für die Beschäftigungen des Klägers in der Zeit vom 16. September 1966 bis zum 1. Februar 1971 und vom 17. November 1977 bis zum 13. August 1990.

Der Kläger wurde 1949 im Gebiet der ehemaligen UdSSR geboren. Vom 16. September 1966 bis zum 1. Februar 1971 war er in der R Bauxitgrube und vom 17. November 1977 bis zum 13. August 1990 beim Weißrussischen staatlichen Konzern für Erdöl und Chemie Offene AG "B " tätig. Zum 2. September 1990 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist anerkannter Spätaussiedler und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.

Am 16. Februar 2000 erließ die Beklagte einen Vormerkungsbescheid über rentenrechtliche Zeiten des Klägers. Gleichzeitig erstellte sie eine (unverbindliche) Rentenauskunft, aus der u.a. hervorging, dass die Beschäftigungszeiten des Klägers in der ehemaligen UdSSR nach dem FRG bewertet würden. Die Berücksichtigung erfolge jedoch nur zu 5/6, da die Zeiten lediglich glaubhaft gemacht und nicht nachgewiesen worden seien. Nachdem die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Vormerkungsbescheid mit Bescheid vom 14. September 2000 zurückwies, erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Kiel (S 4 KN 35/00). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2002 verpflichtete sich die Beklagte, u.a. weitere rentenrechtliche Zeiten des Klägers zu überprüfen. Zudem wies sie u.a. darauf hin, dass nur solche Zeiten der Beschäftigung voll anerkannt werden könnten, die auch voll nachgewiesen worden seien. In den Arbeitsbüchern aus der UdSSR werde immer nur der Beginn und das Ende des Arbeitsverhältnisses bescheinigt, nicht ergebe sich aus diesen Arbeitsbüchern, ob der Versicherte in der Zwischenzeit arbeitsunfähig krank gewesen sei oder aus anderen Gründen das Arbeitsverhältnis unterbrochen gewesen sei. Erst wenn Nachweise der früheren Arbeitgeber vorlägen, dass das Arbeitsverhältnis in bestimmten Zeiten durch Arbeitsunfähigkeitszeiten oder eben gar nicht durch Arbeitsunfähigkeitszeiten unterbrochen worden sei, könne eventuell eine Vollanerkennung infrage kommen. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Am 7. Mai 2004 erließ die Beklagte in Ausführung des Vergleichs vom 17. Juli 2002 einen weiteren Vormerkungsbescheid über rentenrechtliche Zeiten. Auch dieser Bescheid enthielt eine (unverbindliche) Rentenauskunft.

Am 22. Juli 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 1. Oktober 2014. Mit dem Rentenantrag reichte er u.a. Arbeitsbescheinigungen seiner ehemaligen Arbeitgeber ein. Ausweislich der Übersetzungen aus der russischen Sprache war der Kläger vom 16. September 1966 bis zum 1. Februar 1971 bei der R -Bauxitgrube und vom 17. November 1977 bis zum 13. August 1990 beim Weißrussischen staatlichen Konzern für Erdöl und Chemie Offene AG "B " ununterbrochen beschäftigt (siehe Bl. 38 und 40 der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 30. September 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Oktober 2014 eine Regelaltersrente. Ausweislich der Anlage 10 des Rentenbescheids erfolgte die Anrechnung der FRG-Zeiten in den streitigen Zeiträumen lediglich zu 5/6. Die zu 5/6 angerechneten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten könnten nicht voll berücksichtigt werden, weil sie nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht worden seien.

Mit Schreiben vom 9. Oktober 2014 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Rentenbescheid, mit dem er sich u.a. gegen die nicht vollständige Berücksichtigung der FRG-Zeiten in den streitigen Zeiträumen wandte. Er habe Bestätigungen über die ununterbrochenen Arbeitsverhältnisse eingereicht. Eine Berücksichtigung zu lediglich 5/6 komme mithin nicht in Betracht.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2015 erfolgte eine Rentenanpassung zum 1. Juli 2015. Auch hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 14. Juli 2015 Widerspruch. Er könne den neuen Rentenbetrag nicht nachvollziehen.

Mit Bescheid vom 13. Juli 2015 stellte die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers ab 1. Oktober 2014 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG – Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 29/11 R – juris) neu fest und half dem ersten Widerspruch des Klägers insoweit teilweise ab. In Bezug auf die streitigen FRG-Zeiten blieb es bei der 5/6-Belegung. Der Bescheid wurde nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Rentenanpassung (Bescheid vom 30. Juni 2015) zurück. Zum 1. Juli eines Jahres würden die Renten angepasst. Der aktuelle Rentenwert habe sich zum 1. Juli 2015 von 28,61 EUR auf 29,21 EUR erhöht. Dem entspreche der angefochtene Anpassungsbescheid.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch nach Erlass des Rentenbescheids vom 13. Juli 2015 zurück. Bezüglich der 5/6-Anrechnung führte die Beklagte aus, dass die eingereichten Arbeitsbescheinigungen nicht geeignet seien, die Zeiten zu 6/6 anzurechnen. § 22 Abs. 3 FRG bestimme, dass bei nicht nachgewiesenen (= glaubhaft gemachten) Beitrags- oder Beschäftigungszeiten die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel zu kürzen seien. Bei nachgewiesenen Beitrags- oder Beschäftigungszeiten seien dagegen die Entgeltpunkte im ursprünglichen Umfang anzurechnen. Zeiten seien unter Hinweis auf die BSG-Rechtsprechung nur nachgewiesen und zu 6/6 anrechenbar, wenn zur Überzeugung des Versichertenträgers feststehe, dass Anrechnungszeittatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit usw.) nicht eingetreten seien, nicht jedoch schon dann, wenn nur Anfang und Ende der jeweiligen Zeiten feststünden. Der Nachweis der fehlenden Unterbrechung entfalle auch dann nicht, wenn Unterbrechungen in dem Beweismittel (z.B. Arbeitsbuch) üblicherweise nicht aufgeführt würden und einem Versicherten im Übrigen keine sonstigen amtlichen Unterlagen zur Verfügung stünden. Die in Arbeitsbescheinigungen, Arbeitszeugnissen, Arbeitsbüchern und anderen Unterlagen bestätigten Beitrags- und Beschäftigungszeiten seien grundsätzlich nur als glaubhaft gemachte Zeiten im Sinne von § 22 Abs. 3 FRG anzusehen und daher nur zu 5/6 anzurechnen. Auch wenn in Arbeitgeberbescheinigungen, Arbeitszeugnissen, Arbeitsbüchern u.ä. Unterlagen der Beginn und das Ende der Beschäftigung genau angegeben seien, so berechtige dies nicht zu der Annahme, dass während dieser Zeit eine Beschäftigung ununterbrochen ausgeübt worden sei. Die Vermutung spreche vielmehr dafür, dass dazwischen Anrechnungszeiten, wie Zeiten der Krankheit und Arbeitslosigkeit, lägen, die nicht besonders angegeben seien.

Mit am 2. August 2015 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben hat der Kläger sinngemäß Klage gegen die Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 23. Juli 2015 erhoben. Die Beklagte hat die Klage an das zuständige Sozialgericht Lübeck weitergeleitet. Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile nur noch die nicht vollständige Berücksichtigung der FRG-Zeiten streitig. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, dass die Beklagte ihm die Zeiten auf 5/6 kürze, ohne irgendwelche Beweise zu haben. Sie stütze sich lediglich auf die Vermutung, dass er in dieser Zeit eventuell krank oder arbeitslos gewesen sei. Entsprechend den Empfehlungen im Rahmen des vor dem Sozialgericht Kiel geführten Verfahrens habe er mit dem Rentenantrag Nachweise über seine ununterbrochene Beschäftigung eingereicht. Trotzdem weigere sich die Beklagte, die Zeiten vollständig zu berücksichtigen.

Die Beklagte hat sich in Bezug auf die 5/6-Kürzung im Wesentlichen auf den Inhalt der streitigen Bescheide bezogen.

Mit Urteil vom 15. Mai 2018 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 30. September 2014 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juni 2015 in der Fassung des Bescheids vom 13. Juli 2015 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Juli 2015 verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Oktober 2014 eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung der in den beiden Arbeitsbescheinigungen genannten Zeiten (vom 16. September 1966 bis zum 1. Februar 1971 einerseits und vom 17. November 1977 bis zum 13. August 1990 andererseits) zu einem Anteil von jeweils 6/6 statt nur zu 5/6 zu bewilligen. Die Beklagte habe die streitbefangenen Zeiten nicht in Anwendung des § 22 Abs. 3 FRG auf 5/6 kürzen dürfen. Die Kammer schließe sich nach eigener Prüfung den überzeugenden vom LSG Niedersachen-Bremen mit Urteil vom 3. Juni 2015 – L 2 R 227/13 – juris aufgestellten Maßstäben an. Vorliegend stünden zur Überzeugungsbildung zum einen die vom Kläger bereits im Verwaltungsverfahren eingereichten Arbeitsbescheinigungen zur Verfügung, zum anderen die persönliche Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Der Kläger weise zu Recht darauf hin, dass die Verwendung der Formulierung "ununterbrochen beschäftigt" in beiden Bescheinigungen ein nicht unerhebliches Indiz dafür sei, dass er dort auch – abgesehen von nach den dargestellten Maßstäben des LSG Niedersachen-Bremen hier irrelevanten Urlaubszeiten oder nur kurzen, jeweils weniger als einen Monat dauernden krankheitsbedingten Unterbrechungen – durchgängig tätig gewesen sei und insoweit für ihn durchgängig Pflichtbeiträge nach sowjetischem Recht geleistet worden seien. Der Kläger habe eine besondere berufliche Belastbarkeit zur Überzeugung der Kammer aufgezeigt. Er habe überzeugend darauf hingewiesen, dass sein aus der zweiten Bescheinigung (den Zeitraum von 1977 bis 1990 betreffend) ersichtlicher beruflicher Aufstieg vom Steiger bis schließlich stellvertretenden Leiter der Gewinnungsabteilung Nummer 4 der Grube und stellvertretenden Chefingenieur der Grube für die 2. Kaliumsohle der Grube wohl äußerst unwahrscheinlich gewesen wäre, wenn er nicht besonderen Fleiß und besondere Belastbarkeit an den Tag gelegt hätte. Damit seien längere Fehl- bzw. Ausfallzeiten nach Ansicht der Kammer nicht vereinbar. Auch in den vorliegenden Arbeitsbüchern seien – wie wohl auch im Fall des LSG Niedersachen-Bremen – Tag genau der Beginn und das Ende der jeweiligen Beschäftigung ausgewiesen. Wie das LSG Niedersachen-Bremen gehe auch die Kammer davon aus, dass Zeiten einer zwischenzeitlichen Arbeitslosigkeit oder sonstigen Unterbrechung der Beschäftigung des Klägers – hätten sie bestanden – in den hier streitigen Bescheinigungen aufgenommen worden wären.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 18. Juni 2018 zugestellte Urteil am 18. Juli 2018 Berufung vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass der Nachweis einer Beitragszeit nur erbracht sei, wenn aus den Unterlagen ersichtlich sei, in welchem Umfang Fehlzeiten vorhanden gewesen seien oder dass sie nicht vorgelegen hätten. Enthielten die Unterlagen, wie im Falle des Klägers, lediglich Angaben über Beginn und Ende einer Beschäftigung, ohne zweifelsfrei erkennen zu lassen, ob und in welchem Umfang die Beschäftigung und damit die Beitragszahlung durch Fehlzeiten unterbrochen sei, stellten sie lediglich ein Mittel der Glaubhaftmachung dar. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Heranziehung der Regelungen des § 26 Satz 2 FRG durch das Sozialgericht sei nicht passend. Diese Regelung zu den kurzfristigen Krankheitstagen könne nicht zu den Bestimmungen des § 22 Abs. 3 FRG gleichgesetzt werden, sondern untermauere vielmehr die Tatsache, dass Beitragszeiten nur nachgewiesen und zu 6/6 anrechenbar seien, wenn keine Ausfalltatbestände (wie z.B. Krankheit) und somit Unterbrechungen der Beitragszahlungen vorlägen. Das Sozialgericht missachte zudem die verschiedenen Beweisstufen des Fremdrentenrechts. Eidesstattliche Versicherungen stellten nach § 4 Abs. 3 FRG ausdrücklich (nur) ein Mittel der Glaubhaftmachung dar. Daraus folge, dass dem eigenen Vortrag des Klägers im Rahmen der gerichtlichen Überzeugungsbildung kein höherer Beweiswert im Sinne eines Vollbeweises beigemessen werden dürfe. Zudem dürfe auch das wirtschaftliche Interesse des Klägers am Ausgang des Verfahrens nicht verkannt werden. Auch könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass die strittigen Zeiträume bis zu mehr als 50 Jahre zurücklägen. Im vorliegend Fall seien auch andere Geschehensablaufe denkbar. Selbst bei ansonsten gesunden Personen könne es aufgrund von Verletzungen bzw. Unfällen zu entsprechenden Fehlzeiten kommen. Außerdem befasse sich das Sozialgericht nur mit krankheitsbedingten Fehlzeiten. Andere Fehlzeiten (z.B. unbezahlter Urlaub oder Freistellung zu Fortbildungszwecken) seien denkbar und könnten nicht pauschal ausgeschlossen werden. Die Argumentation des Sozialgerichts, dass aufgrund der hohen beruflichen Belastbarkeit des Klägers längere Fehl- und Ausfallzeiten nicht vereinbar seien, sei eine Unterstellung und stütze die Annahme, dass andere Fehlzeiten bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt worden seien. Nach dem Gesamtergebnis aller Ermittlungen könne es durchaus als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden, dass keine größeren Fehlzeiten vorgelegen hätten. Dies stelle aber nach den Beweisstufen des Fremdrentenrechts nur eine Glaubhaftmachung dar. Der Nachweis sei nicht erbracht, weil Fehlzeiten nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 15. Mai 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Weitere Dokumente zu den streitigen Beitrags- und Beschäftigungszeiten in der ehemaligen UdSSR lägen ihm nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Rentenbewilligungsbescheid vom 30. September 2014 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juni 2015 sowie des Rentenbescheids vom 13. Juli 2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Juli 2015 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Oktober 2014 eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung der Beitrags- und Beschäftigungszeiten vom 16. Sep-tember 1966 bis zum 1. Februar 1971 und vom 17. November 1977 bis zum 13. August 1990 zu einem Anteil von jeweils 6/6 statt nur zu 5/6 zu bewilligen. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung der streitigen Zeiten zu 6/6.

Der Kläger gehört als russlanddeutscher Spätaussiedler zu dem in § 1 a) FRG genannten Personenkreis.

Nach § 15 Abs. 1 FRG werden Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger (§ 15 Abs. 2 FRG) der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt worden sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt. Vorliegend ist unzweifelhaft, dass der Kläger in den streitigen Zeiträumen vom 6. Sep-tember 1966 bis zum 1. Februar 1971 und vom 17. November 1977 bis zum 13. August 1990 Beitragszeiten bei einem nicht deutschen Träger in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegt hat. Dementsprechend hat die Beklagte dem Kläger eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung dieser Zeiten gewährt.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG genügt für die Feststellung der Beitragszeiten, dass sie glaubhaft gemacht werden. Allerdings werden gemäß § 22 Abs. 3 FRG für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte (EP) um 1/6 gekürzt, sodass bei einer Glaubhaftmachung lediglich 5/6 in Ansatz gebracht werden.

Wie sich aus § 22 Abs. 3 FRG ergibt, kommt es – um eine Besserstellung gegenüber den in Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden – bei Beitragszeiten nach § 15 FRG somit darauf an, ob jeweils im Einzelfall eine höhere Beitragsdichte als 5/6 nachgewiesen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass Beitragszeiten im Sinne des § 15 FRG dann als nachgewiesen i.S.d. § 22 Abs. 3 FRG anzusehen sind, wenn und soweit für den Versicherten in seinem Heimatland eine gesetzliche Sozialversicherung als Pflichtversicherung bestand und die entsprechenden Beiträge ohne Rücksicht auf Zeiten der Arbeitsunterbrechung einzelner Mitglieder durchgehend entrichtet wurden (BSG, Urteil vom 19. November 2009 – B 13 R 145/08 R, juris Rn. 21 m.w.N.), wie dies z.B. in der Sowjetunion für (bezahlte) Urlaubszeiten, nicht aber für Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder bei sonstigen Arbeitsunterbrechungen der Fall war (vgl. nur BSG, Urteil vom 21. April 1982 – 4 RJ 33/81, juris Rn. 10; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. Juni 2015 – L 2 R 227/13, juris Rn. 29). Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben. Es darf also kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1957 – 4 RJ 186/56, juris; Urteil vom 17. März 1964 – 11/1 RA 216/62, juris; Urteil vom 9. November 1982 - 11 RA 64/81, juris Rn. 12). Zwar lässt es die aus Gründen der Abmilderung von Beweisnotständen geschaffene Bestimmung des § 4 Abs. 1 FRG für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügen, dass sie glaubhaft gemacht sind. Bei bloßer Glaubhaftmachung ist eine Vollanrechnung der Beitragszeiten im Herkunftsgebiet indessen nicht möglich. Die in § 22 Abs. 3 FRG vorgesehene Kürzung der ermittelten Entgeltpunkte auf 5/6 für lediglich glaubhaft gemachte Beitrags- oder Beschäftigungszeiten beruht auf der Erfahrungstatsache, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet (nur) diesem Umfang entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 1974 – 4 RJ 241/73, juris Rdnr. 25; Urteil vom 5. Februar 1976 – 11 RA 48/75, juris Rn. 14; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2016 – L 7 R 2582/15, juris Rn. 23 m.w.N.). Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vermeiden, muss daher eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden.

Nachgewiesen sind Beitragszeiten in diesem Sinne nicht schon dann, wenn lediglich Anfang und Ende des jeweiligen Zeitraums einer beitragspflichtigen Beschäftigung genau bekannt sind; denn aus dem Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit ergibt sich nicht zwingend, dass während dieser Zeit auch ununterbrochen Beiträge entrichtet worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 12. November 1970 – 5 RKn 10/68, juris Rn. 21). Vielmehr muss darüber hinaus zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass Unterbrechungen in der Beitragsentrichtung (z.B. durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, unbezahlten Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten, Arbeitslosigkeit usw.) nicht eingetreten sind, mithin im Einzelfall eine den Anteil von 5/6 übersteigende höhere Beitragsdichte erreicht worden ist. Den dem Rentenversicherungsträger vorgelegten Arbeitsbescheinigungen und sonstigen Unterlagen müssen mithin die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 1974 – 4 RJ 241/73, juris Rn. 25; Urteil vom 24. Juli 1980 – 5 RJ 38/79, juris Rn. 27; LSG Saarland, Urteil vom 26. April 2018 – L 1 R 94/16, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2016 – L 7 R 2582/15, juris; LSG Bayern, Urteil vom 8. Februar 2017 – L 13 R 899/13, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2019 – L 7 R 4280/17, juris).

Ausgehend von diesen Maßstäben vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass für den Kläger hinsichtlich der vorliegend streitbefangenen Zeiten in der ehemaligen Sowjetunion ununterbrochen Beiträge entrichtet worden sind. Mithin hat die Beklagte die von ihr anerkannten Beitragszeiten zu Recht nur als glaubhaft gemacht gewertet. Nach den aktenkundigen Unterlagen steht lediglich fest, dass der Kläger in der ehemaligen Sowjetunion zu bestimmten Zeiten ununterbrochen in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden bzw. gearbeitet hat und dass er während dieser Zeiten grundsätzlich der Beitragspflicht zur dortigen Rentenversicherung unterfallen ist. Weitere Unterlagen in Bezug auf die damaligen Beschäftigungsverhältnisse und die Beitragsentrichtung liegen nicht mehr vor. Von einer lückenlosen tatsächlichen Beitragsentrichtung während der streitigen Zeiten kann somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgegangen werden.

Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus der Regelung des § 26 Satz 2 FRG (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. Juni 2015 – L 2 R 227/13, juris Rn. 32 f.).

§ 26 FRG bestimmt, dass bei Anwendung des § 22 Abs. 1 FRG die Entgeltpunkte nur anteilmäßig berücksichtigt werden, wenn Beitrags- und Beschäftigungszeiten nur für einen Teil eines Kalenderjahres angerechnet werden (§ 26 S. 1 FRG). Dabei zählen Kalendermonate, die zum Teil mit Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) belegt sind, als Zeiten mit vollwertigen Beiträgen (§ 26 Satz 2 FRG).

Diese aufeinander Bezug nehmenden Regelungen ("dabei") beanspruchen schon nach ihrem Wortlaut nur bei der Anwendung des § 22 Abs. 1 FRG Gültigkeit und nicht im Rahmen des § 22 Abs. 3 FRG. § 22 Abs. 3 FRG findet Anwendung, wenn – wie hier – unklar ist, ob, wann und in welchem Umfang Fehlzeiten vorliegen. Dann kommt es zu einer pauschalierten Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6. Steht hingegen im Sinne eines Nachweises fest – was vorliegend gerade nicht der Fall ist -, dass Kalendermonate zum Teil mit Beitrags- oder Beschäftigungszeiten und zum Teil mit Anrechnungszeiten im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI belegt sind (Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Zeiten der Rehabilitation), zählen diese nach § 26 Satz 2 FRG als Kalendermonate mit "vollwertigen Beiträgen" (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 8. Februar 2017 – L 13 R 899/13, juris Rn. 55).

Zudem gibt es auch noch andere Unterbrechungstatbestände, die von § 26 FRG von vornherein nicht erfasst werden. Zu denken ist hier an Zeiten der unbezahlten Freistellung vom Dienst und Zeiten der Arbeitslosigkeit (LSG Bayern, a.a.O., juris Rn. 56). Selbst wenn letztere in der ehemaligen Sowjetunion keine Bedeutung erlangt haben sollten, sind jedenfalls erstere, wie auch die Beklagte vorträgt, nicht zur völligen Überzeugung des Senats ausgeschlossen.

Schließlich ergibt sich auch aus den eigenen Aussagen des Versicherten kein Nachweis im Sinne des § 22 Abs. 3 FRG. Soweit das Sozialgericht sich hierbei den vom LSG Niedersachen-Bremen (Urteil vom 3. Juni 2015 – L 2 R 227/13, juris Rn. 23 ff.) aufgestellten Maßstäben anschließt, folgt der Senat dem nicht.

Das LSG Niedersachsen-Bremen bezieht sich zu Unrecht auf das Urteil des BSG vom 5. Mai 2009 – B 13 R 55/08, juris. In diesem Urteil hat das BSG sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Bedeutung die Angaben eines hinterbliebenen Ehegatten zu den Motiven für die Schließung einer Ehe haben, die weniger als ein Jahr gedauert hat, um die in § 46 Abs. 2 a SGB VI normierte Vermutung einer sog. Versorgungsehe zu widerlegen. Das BSG hat dort betont, dass derartige Angaben des Hinterbliebenen neben den objektiv nach außen tretenden Umständen in die Gesamtwürdigung mit einzubeziehen sind. Entgegen der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen folgt daraus aber kein allgemeiner Rechtssatz, der auch im Fremdrentenrecht anzuwenden wäre, dahingehend, dass im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls namentlich auch als glaubhaft einzuschätzende Angaben des Versicherten die maßgebliche Grundlage für richterliche Feststellungen bilden können (so auch LSG Bayern, a.a.O., Rn. 61 ff.). Da die relevanten Tatbestände bereits oftmals Jahrzehnte zurückliegen, ist nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage bloße Angaben von Versicherten, es hätten keine Unterbrechungen insbesondere aufgrund von Krankheit vorgelegen, als Nachweis für eine durchgehende Beitragsentrichtung erachtet werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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