S 39 KR 2203/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
39
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 39 KR 2203/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 758/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 05.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2019 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet für den Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V durchzuführen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob in der Zeit vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 eine studentische Versicherung hätte durchgeführt werden müssen. Der Kläger ist am 16.03.19xx geboren, war also zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums 2x Jahre alt. Der Kläger begann im Wintersemester 2010 ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens mit dem Ziel des Erwerbs eines Bachelors. Anschließend begann er im Sommersemester 2016 einen Masterstudiengang des Wirtschaftsingenieurwesens. Zu Beginn des Jahres 2018 war der Kläger über eine neben dem Studium ausgeübte Arbeitstätigkeit pflichtversichert. Nach Beendigung dieser Arbeitstätigkeit wurde der Versicherungsstatus durch die Beklagte geprüft und der Kläger als freiwillig Versicherter eingestuft. Im Rahmen dieser Prüfung legte der Kläger eine Studienbescheinigung der Universität D.-E. vor nach welcher der Kläger sich im Wintersemester 2018/19 im 17. Hochschulsemester und im 6. Fachsemester des Studiengangs Master of Science – Wirtschaftsingenieurwesen, Vert. Maschinenbau und Wirtschaft befinde. Mit Bescheid vom 05.02.2019 setzte die Beklagte die Beiträge zur freiwilligen Versicherung ab dem 01.08.2018 in Höhe der Mindestbeiträge fest. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, dass eine studentische Versicherung durchzuführen sei, da er erst im 6. Fachsemester sei. Sein Masterstudiengang entspreche inhaltlich in keiner Weise dem zuvor belegten Bachelorstudiengang. Es handele sich nach dem Hochschulrecht um zwei verschiedene Studiengänge. Der Bachelorstudiengang vermittle einen eigenen berufsqualifizierenden Abschluss und habe eine eigene Studienordnung. Es sei für beide Studiengänge eigene Zulassungskriterien und Regelstudienzeiten festgelegt. Durch die Hochschule würden die Fachsemester mit Beginn des Masterstudiengangs neu gezählt und die Zählung nicht fortgesetzt. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Universität D.-E. mit, dass es sich um einen konsekutiven Masterstudiengang handele. Die Beklagte erließ am 15.11.2019 einen zurückweisenden Widerspruchsbescheid mit der Begründung, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) Studierende bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters versicherungspflichtig seien, längstens jedoch bis zum 30. Lebensjahr. Die Begrenzung auf 14. Fachsemester beziehe sich auf einen Studiengang. Ein Studiengang sei als die Gesamtheit der Lerninhalte eines wissenschaftlichen Studienfachs an einer Hochschule zu sehen. Bei einem Bachelorstudiengang dem sich ein Masterstudiengang anschließe, seien die Fachsemester zusammenzurechnen sofern es sich um den gleichen Studiengang handele. Da der Kläger seit dem 01.10.2010 immatrikuliert sei, sei das 14. Fachsemester mit Ablauf des Sommersemesters 2017 erfüllt gewesen. Aufgrund einer Gesetzesänderung ist die Einschränkung der studentischen Krankenversicherung bezüglich der Fachsemesteranzahl zum 01.01.2020 entfallen, so dass seit dem 01.01.2020 durch die Beklagte erneut eine studentische Versicherung des Klägers durchgeführt wird. Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 11.12.2019 Klage erhoben. Ergänzend zum Vortrag im Widerspruchsverfahren trägt er vor, dass die Möglichkeit bestünde zum Masterstudiengang zugelassen zu werden ohne zuvor den Bachelor Wirtschaftsingenieurwesen abgeschlossen zu haben. Diese Studierenden müssten dann zusätzliche Fächer belegen. Daraus ergebe sich, dass es sich nicht um den gleichen Studiengang handele. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Inhalte nicht auf einander aufbauen würden, sondern teilweise die gleichen Inhalte unter anderen Veranstaltungsbezeichnungen gelehrt würden. Es handele sich insoweit nicht um eine Vertiefung. Zudem sei grundsätzlich die Fachsemesterstruktur von Bachelor- und Masterstudiengängen unterschiedlich, teilweise sei ein Ablauf 7+3 und teilweise 6+4 vorgesehen, so dass es nicht überzeugend sei, die Fachsemester zusammenzurechnen. Dies sei auch ein Grund für die nun erfolgte Reform der Regelung zur studentischen Krankenversicherung. Der Kläger ergänzt zudem, dass die Beitragsstruktur der freiwilligen Versicherung der wirtschaftlichen Situation von Studierenden nicht entspreche und unangemessen sei. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2019 zu verpflichten, in dem Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V durchzuführen. Die Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Inhalte des Widerspruchsbescheides. Ergänzend führt sie aus, dass die Hochschulen seit dem 01.01.2017 verpflichtet seien den gesetzlichen Krankenversicherungen die Einschreibung in einen konsekutiven Studiengang zu melden und auch die Überschreitung des 14. Fachsemesters. Neben der Bestätigung der Universität D.-E., dass ein konsekutiver Studiengang vorliege, ergebe sich dies auch aus den Schilderungen des Klägers zu der inhaltlichen Nähe der Lehrinhalte des Bachelor- und Master-Studiengangs. Die Zusammenrechnung der Fachsemester eines Bachelor- und eines nachfolgenden konsekutiven Master-Studiengangs entspreche dem Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V, der mit seiner zeitlichen Beschränkung sicherstellen solle, dass nur Personen von der Pflichtversicherung für Studierende profitierten, die tatsächlich ein zielgerichtetes Studium durchführen würden. Dies ergebe sich auch aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.06.2018 – B 12 KR 1/17 R und des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 07.02.2019 – S 72 KR 748/18 –. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt der vorgenannten Akten ist Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.

Entscheidungsgründe:

Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und zudem begründet. Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da der Bescheid der Beklagten vom 05.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2019 rechtwidrig ist. Im Zeitraum vom 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 war aufgrund des Studiums des Klägers eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V durchzuführen. Daher waren für diesen Zeitraum keine Beiträge zur freiwilligen Versicherung zu erheben und die entsprechenden Bescheide waren somit aufzuheben. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V in der Fassung vom 04.04.2017 (gültig bis zum 31.12.2019; im Folgenden: aF) sind Studierende, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, bis zum Abschluss des vierzehnten Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres pflichtversichert. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger Student einer staatlichen Hochschule ist und das dreißigste Lebensjahr noch nicht überschritten hat. Nach Überzeugung der Kammer hat der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten auch noch nicht das 14. Fachsemester überschritten, so dass die Voraussetzungen der Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF vorliegen. Der Kläger hat sich im Sommersemester 2016 in einen neuen Studiengang eingeschrieben, so dass er sich im streitgegenständlichen Zeitraum im 5. bis 8. Fachsemester befand. Die Universität D.-E. differenziert – wie Hochschulen generell – zwischen Hochschulsemestern und Fachsemestern. Ausweislich der Studienbescheinigung des Klägers waren seine Hochschul- und Fachsemester nicht identisch. Der Kläger hat sich im Sommersemester 2016 in einen neuen Studiengang eingeschrieben. Nach Überzeugung der Kammer kann es für die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF nicht darauf ankommen, in welchen konkreten Studiengang der Kläger zum streitgegenständlichen Zeitraum eingeschrieben war, sondern nur darauf wann er diesen Studiengang begonnen hatte (aA SG Berlin vom 07.02.2019 – S 72 KR 748/18 –). Die von der Beklagten angenommene Zusammenrechnung der Fachsemester zweier Studiengänge, wenn es sich bei dem zweiten Studiengang um einen konsekutiven Masterstudiengang handelt, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Dem Gesetzgeber war bei Erlass der Norm die sprachliche Differenzierung zwischen Hochschul- und Fachsemestern bekannt. Der Gesetzeswortlaut, der ausdrücklich auf Fachsemester Bezug nimmt, entspricht also dem Willen des Gesetzgebers eine Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF auch über eine längere Dauer als vierzehn Hochschulsemester zu ermöglichen. Eine Ausnahmeregelung nach der die Fachsemester zwei Studiengänge unter bestimmten Umständen zusammen zu rechnen seien, ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF nicht (aA SG Berlin vom 07.02.2019 – S 72 KR 748/18 –). Auch eine Ermächtigung entsprechende verbindliche untergesetzliche Verwaltungsregeln zu schaffen, enthält § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF nicht. Da der Gesetzgeber mit Einführung der Studiengänge mit dem Ziel einen Abschluss eines Bachelor- oder Mastergrades zu erwerben, den Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF nicht geändert hat, ist davon auszugehen, dass die von der Kammer vertretene Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF bis zur zu Beginn diesen Jahres in Kraft getretene Reform weiterhin dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Eine Ergänzung der Regelung hinsichtlich konsekutiver Studiengänge wäre möglich gewesen, wurde aber unterlassen. Wie die Beklagte zu Recht vorträgt, wird durch die – neben der Eigenschaft als Studierender – weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF bezweckt den Personenkreis, der von der günstigeren Versicherung profitiert, zu begrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1992 – 12 RK 40/91 –, BSGE 71, 150, juris Rn. 16). Damit soll auch der Tendenz, das Hochschulstudium zu verlängern, entgegengewirkt werden (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1992 – 12 RK 40/91 –, BSGE 71, 150, juris Rn. 17) und Missbräuche verhindert werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.06.2018 – B 12 KR 1/17 R –, Rn. 16). Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF sollte einkommenslose und nicht mehr familienversicherten Studierende in einem Zeitraum erfassen, in welchem ein Studium regelmäßig durchgeführt werden kann und typischerweise entweder erfolgreich abgeschlossen oder endgültig aufgegeben wird (vgl. BSG, Urteil vom 07.06.2018 – B 12 KR 1/17 R –, Rn. 17). Zu diesem Zweck ist jedoch keine Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF entgegen des Wortlauts notwendig, da der Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer unsachgemäßen Inanspruchnahme der studentischen Versicherung bereits durch die ebenfalls in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF normierte Altersgrenze gewährleistet ist (vgl. auch § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V in der Fassung ab dem 01.01.2020; BT-Drucks. 9/13397 S. 53). Somit ist durch die Einführung der Studiengänge mit dem Abschluss eines Bachelor- oder Mastergrades zwar eine längere Überschreitung der Regelstudienzeit im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF möglich geworden als bei Studiengängen, die dem Erwerb eines Diploms, Magistergrades oder eines Staatsexamens dienen. Eine zeitliche Begrenzung der Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF ist jedoch durch die Altersgrenze gewährleistet. Des Weiteren ist festzustellen, dass andernfalls bei einem Teil der konsekutiven Studiengänge eine kürzere Überschreitung der Regelstudienzeit möglich wäre, als dies bei einheitlichen Studiengängen der Fall ist. Denn nach § 19 Abs. 4 Hochschulrahmengesetz kann die Gesamtregelstudienzeit von konsekutiven Bachelor- und Masterstudiengängen fünf Jahre betragen, wohingegen bei Diplom- oder Masterstudiengängen, die Regelstudienzeit häufig nur 8 Fachsemester betrug. Es ist also nicht ersichtlich, dass die Änderung der Landschaft der Studiengänge zwingend eine engere Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF bedurfte, um den ursprünglichen begrenzenden Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF zu bewahren. Neben dem deutlichen Wortlaut wird die durch die Kammer vertretene Auffassung auch durch den Zweck der Rechtssicherheit und einheitlichen Rechtsanwendung nahegelegt. Weicht man von der eindeutigen Unterscheidung in Hochschulsemester und Fachsemester ab, führt dies aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Studiengänge und unterschiedlicher Kombinationen von Studiengängen zu Rechtsunsicherheiten (vgl. auch BT-Drucks. 19/13397 S. 53). Dies wurde in diesem Verfahren nicht zuletzt anhand der Diskussion aufgrund welcher Kriterien bei dem Masterstudiengang des Klägers zu bewerten sei, ob es sich um einen konsekutiven Studiengang handele, deutlich. Ebenfalls deutlich wird dies aus der Entscheidung des SG Berlin vom 07.02.2019 – S 72 KR 748/18 –, welche sich unter anderem auf das Berliner Hochschulgesetz stützt (Rn. 18), wohingegen die Beurteilung, in welchem Fachsemester sich der Kläger nach Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aF durch die Beklagte befand, einer Beurteilung anhand des Hochschulgesetztes NRW bedurft hätte. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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