L 1 KR 179/20

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 404/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 179/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Krankenkassen dürfen gegenüber dem Krankengeldanspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche Arzt-Patienten-Kontakt sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen und die auch den Krankenkassen zuzurechnen sind.
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. Mai 2020 wird aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 12. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2018 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 19. März 2018 bis zum 13. August 2018 zu gewähren.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 19. März 2018 bis zum 13. August 2018 Krankengeld gewähren muss.

Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 6. März 2018 bescheinigte der Allgemeinmediziner Dr. D. eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aufgrund der ICD-10 Diagnose F 48.0 (Neurasthenie) für die Zeit vom 6. März 2018 bis zum Sonntag, 18. März 2018.

Die Klägerin telefonierte am Montag, 19. März 2018 mit der Praxis Dr. D. Aus organisatorischen Gründen konnte ihr erst am Mittwoch, 21. März 2020 ein Termin gegeben werden. Mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 21. März 2018 bescheinigte Dr. D. eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aufgrund der ICD-10 Diagnose F 48.0 (Neurasthenie) für die Zeit vom 6. März 2018 bis zum 1. April 2018.

Mit Bescheid vom 12. April 2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 7. März 2018 bis zum 18. März 2018 Krankengeld und teilte mit, dass mit dem Ende des Krankengeldanspruchs auch die beitragsfreie Versicherung ende. Die Arbeitsunfähigkeit sei nicht spätestens am Folgetag bescheinigt worden. Die Klägerin widersprach dem Bescheid am 17. April 2018, da sie durchgängig arbeitsunfähig gewesen sei. Sie legte ein Attest von Dr. D. vom 12. April 2018 bei, der dies bestätigte. Sie habe keinen Einfluss auf die Terminvergabe gehabt. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nachdem bei der Klägerin Arbeitsunfähigkeit nach ärztlicher Bescheinigung vom 6. bis zum 18. März 2018 attestiert worden war, hätte sie sich spätestens am 19. März 2018 in ärztliche Behandlung begeben müssen, um ihre Arbeitsunfähigkeit bescheinigen zu lassen. Die Klägerin habe ihre Mitwirkungsobliegenheit verletzt. Dazu gehöre das aktive Herbeiführen eines Arzt-Patienten-Kontakts. Nicht ausreichend sei es, mit der Arztpraxis für einen späteren Zeitpunkt vereinbarte persönliche Vorstellung abzuwarten. Mit dem Ende des Krankengeldanspruchs endete am 18. März 2018 auch die weiterführende Versicherung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Zum Zeitpunkt der erneuten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 21. März 2018 habe keine Versicherung mit Krankengeldberechtigung bestanden, so dass daraus kein erneuter Krankengeldanspruch entstehe.

Dagegen hat die Klägerin am 12. Juli 2018 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Klagebegründung hat sie vorgetragen, sie habe Dr. D. am 19. März 2018 telefonisch mit der Bitte um eine Terminvergabe unter Hinweis auf das Auslaufen der Arbeitsunfähigkeit am 18. März 2018 kontaktiert. Dieser habe ihr mitgeteilt, dass erst am 21. März 2018 ein Termin frei sei und es unerheblich wäre, dass er erst am 21. März 2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstelle, da diese rückwirken könne. Auf diese Aussage habe sie vertraut. Die Klägerin hat durchgehende AU-Bescheinigungen von Dr. D. für die Zeit vom 13. August 2018 vorgelegt; auf Blatt 28 ff. der Gerichtsakte wird Bezug genommen. Weiter hat die Klägerin Atteste von Dr. D. vom 10. Juli 2018 und 12. Juli 2019 vorgelegt, in denen dieser mitteilte, dass die Klägerin in der Praxis angerufen, er mit ihr persönlich gesprochen habe und aus organisatorischen Gründen der Praxis eine frühere Attestierung der Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, für die Beendigung der Krankengeldzahlung hätten medizinische Aspekte nicht im Vordergrund gestanden. Es handle sich ausschließlich um die Folge aus der Verletzung der Obliegenheitspflicht. Ein Arzt-Patienten-Kontakt habe nicht stattgefunden. Der Klägerin sei es durchaus auch zumutbar gewesen, sich frühzeitig vor Ende des Arbeitsunfähigkeitsabschnitts um einen Folgetermin in der Arztpraxis zu kümmern. Zudem sei fraglich, ob der telefonische Kontakt tatsächlich zwischen dem Arzt selber und der Klägerin stattgefunden habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass Versicherte nach § 44 Abs. 1 S. 1 des Fünften Buch Sozialgesetzbuches (SGB V) Anspruch auf Krankengeld haben, wenn – abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung – Krankheit sie arbeitsunfähig mache. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen könnten, bestimme sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliege. An die Stelle des Versicherungsverhältnisses trete bei einem nachgehenden Anspruch die hieraus erwachsende Berechtigung.

Der Anspruch entstehe gemäß § 46 S. 1 SGB V bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Der Anspruch auf Krankengeld bleibe gemäß Satz 2 jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt werde, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolge; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. Die Anspruchsvoraussetzungen – also auch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit – müssten bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeit-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 46 Rn. 18; vgl. zudem BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az: B 1 KR 25/14 R, Rn. 12 m. w. Nachw.). Hier habe Dr. D. am 6. bis zum 18. März 2018 Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Die nächste Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt sei dann erst am 21. März 2018 erfolgt und mithin nicht an dem den 18. März 2018 folgenden Werktag (vgl. § 46 S. 2 SGB V) am 19. März 2018. Zwar habe Dr. D. eine Arbeitsunfähigkeit auch vom 19. März 2018 bis 20. März 2018 bzw. eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit seit dem 6. März 2018 (vgl. Attest vom 12. April 2018) bescheinigt. Die Feststellung dieser Arbeitsunfähigkeit seien aber erst am 21. März 2018 und nicht am 19. März 2018 getroffen worden.

Es liege hier kein Ausnahmefall vor, wie er nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anerkannt sei (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, Az: B 3 KR 22/15 R, juris Rn. 20), denn die Klägerin habe Dr. D. oder einen anderen Arzt am 19. März 2018 nicht persönlich aufgesucht, sondern lediglich telefonisch Kontakt aufgenommen. Sie habe damit nicht alles ihr Zumutbare getan und die Arztpraxis aufgesucht. Das Aufsuchen der Praxis wäre ihr angesichts der von Dr. D. festgestellten Erkrankung (Neurasthenie) auch möglich gewesen. Hinsichtlich dieser Erkrankung führe der ICD-10-GM aus: "Im Erscheinungsbild zeigen sich beträchtliche kulturelle Unterschiede. Zwei Hauptformen überschneiden sich beträchtlich. Bei einer Form ist das Hauptcharakteristikum die Klage über vermehrte Müdigkeit nach geistigen Anstrengungen, häufig verbunden mit abnehmender Arbeitsleistung oder Effektivität bei der Bewältigung täglicher Aufgaben. Die geistige Ermüdbarkeit wird typischerweise als unangenehmes Eindringen ablenkender Assoziationen oder Erinnerungen beschrieben, als Konzentrationsschwäche und allgemein ineffektives Denken. Bei der anderen Form liegt das Schwergewicht auf Gefühlen körperlicher Schwäche und Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung, begleitet von muskulären und anderen Schmerzen und der Unfähigkeit, sich zu entspannen. Bei beiden Formen finden sich eine ganze Reihe von anderen unangenehmen körperlichen Empfindungen wie Schwindelgefühl, Spannungskopfschmerz und allgemeine Unsicherheit. Sorge über abnehmendes geistiges und körperliches Wohlbefinden, Reizbarkeit, Freudlosigkeit, Depression und Angst sind häufig. Der Schlaf ist oft in der ersten und mittleren Phase gestört, es kann aber auch Hypersomnie im Vordergrund stehen." Das Gericht sei daher aufgrund der dargestellten Funktionsbeeinträchtigungen überzeugt, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, die Praxis von Dr. D. oder einen anderen Arzt aufzusuchen.

Nur ergänzend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass aus den Erklärungen des Arztes kein direkter telefonischer Kontakt zwischen der Klägerin und Dr. D. am 19. März 2018 nachweisbar sei. Nur dann wäre die Möglichkeit gegeben gewesen, dass der Patient dem Arzt seine Situation am Telefon schilderte und dieser sie bewerten und dann rückwirkend Arbeitsunfähigkeit bescheinigen habe können.

Eine anderweitige ärztliche Feststellung, die die "Lücke" habe schließen können, sei nicht ersichtlich. Eine Handlungsunfähigkeit (bspw. Bergunfall, Ohnmacht, schwere Depression) oder Geschäftsunfähigkeit (bspw. Geisteserkrankung), die von dem Erfordernis einer ärztlichen Feststellung am 19. März 2018 habe absehen lassen können, liege nicht vor.

Die Mitgliedschaft der Klägerin als versicherungspflichtig Beschäftigter mit Krankengeldanspruch habe daher am 18. März 2018 geendet (vgl. §§ 19 Abs. 1, 190 Abs. 2 iVm. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V; vgl. im Übrigen die Ausführungen bei Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 44 Rn. 24). Bei einer freiwilligen Versicherung bestehe kein Krankengeldanspruch (Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 02/16, § 44 SGB V, Rn. 41-42.). Es bestehe auch kein nachgehender Leistungsanspruch. Der Krankengeldanspruch der Klägerin sei auch nicht unter Zugrundelegung von § 46 Satz 3 SGB V in der erst ab dem 11. Mai 2019 geltenden Fassung zu beurteilen, da die Neuregelung aufgrund einer fehlenden gesetzlich angeordneten Rückwirkung keine Anwendung fände.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 26. Mai 2020 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt am 24. Juni 2020 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt.

Die Klägerin vertritt die Rechtsauffassung, dass sie alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan habe, um rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. anspruchserhaltenden zeitlichen Grenzen eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Dazu sei ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt nicht erforderlich gewesen; ausreichend sei vielmehr das von ihr geführte Telefonat mit der Arztpraxis am Montag, 19. März 2018. Dabei beruft sich die Klägerin auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 26. März 2020, B 3 KR 10/19 R).

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. Mai 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 12. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2018 aufzuheben und ihr Krankengeld in gesetzlicher Höhe in dem Zeitraum vom 19. März 2018 bis zum 13. August 2018 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht ihre Rechtsauffassung durch das erstinstanzliche Urteil bestätigt und hält unter Bezugnahme auf das o.g. Urteil des BSG vom 26. März 2020 eine persönliche Untersuchung des Versicherten durch einen Arzt für erforderlich. Die Klägerin hätte sich daher bereits zu einem früheren Zeitpunkt um einen rechtzeitigen ärztlichen Vorstellungstermin bemühen können und nicht erst am letztmöglichen Tag zum Zwecke der Terminvereinbarung Kontakt mit der Arztpraxis aufnehmen sollen. Damit habe sie das Risiko bewusst in Kauf genommen, keinen rechtzeitigen Termin mehr zu erhalten.

Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 19. August 2020 die Berufung dem Berichterstatter übertragen.

Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 24. September 2020 persönlich angehört. Dazu wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter des Senats konnte gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern über die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. Mai 2020 entscheiden, da ihm mit Beschluss vom 19. August 2020 der Rechtsstreit übertragen wurde, § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2020 zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld in gesetzlicher Höhe vom 19. März 2018 bis zum 13. August 2018.

Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen des von der Klägerin geltend gemachten Krankengeldanspruchs wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die insoweit zutreffenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts Darmstadt liegen alle Voraussetzungen für einen Krankengeldanspruch im streitigen Zeitraum vor.

Für den Anspruch der Klägerin auf Krankengeld ist erforderlich, dass am 19. März 2018 Versicherungsschutz - mit Blick auf § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V - fortbestand. Dies erforderte nach § 46 S. 2 SGB V in der bis 10. Mai 2019 geltenden Fassung (§ 46 SGB V a.F.), dass die Arbeitsunfähigkeit spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende, d.h. vorliegend am Montag, den 19. März 2018 ärztlich festgestellt wurde. Im Falle der Klägerin erfolgte jedoch keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung spätestens am 19. März 2018, sondern erst am 21. März 2018. Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere Krankengeldgewährung nötigen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung unterbrach damit wegen der nicht eingreifenden Wirkung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V an sich mangels aufrechterhaltener Pflichtmitgliedschaft der Klägerin mit Wirkung für die Zukunft den Krankenversicherungsschutz mit Krankengeldanspruch über den 18. März 2018 hinaus. Denn rechtlich hat grundsätzlich der Versicherte im Sinne einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung erfolgt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R). Hierauf weist das Sozialgericht auch zu Recht hin.

Von diesen grundsätzlichen Erfordernissen hat das Bundessozialgericht enge Ausnahmen anerkannt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R; Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R; zuletzt - zur Meldung nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V - Urteil vom 8. August 2019, B 3 KR 6/18 R) und unter Fortentwicklung und Teilaufgabe früherer Rechtsprechung entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen nicht nur bei medizinischen Fehlbeurteilungen (BSG Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R), sondern auch bei nichtmedizinischen Fehlern eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung für den Versicherten unschädlich ist, wenn sie der betroffenen Krankenkasse zuzurechnen ist (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R). Nach dieser Rechtsprechung steht dem Krankengeldanspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung nicht entgegen, wenn

1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um a. die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und b. dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeld-Anspruch erfolgt ist, 2. er an der Wahrung der Krankengeld-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (z.B. eine irrtümlich nicht erstellte AU-Bescheinigung), und 3. er - zusätzlich - seine Rechte bei der KK unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Versicherte so zu behandeln, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der AU erhalten.

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 26. März 2020 (B 3 KR 9/19 R) diese Rechtsprechung dahingehend fortentwickelt, dass es einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkassen zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (BSG, Urteil vom 26. März 2020, B 3 KR 9/19 R, Rn.22, juris). Nach Auffassung des Bundessozialgerichts ist dies insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen (Folge-) Arbeitsunfähigkeitsfeststellung in der Sphäre des Vertragsarztes und nicht in derjenigen des Versicherten liegen (BSG, a.a.O., Rn. 23, juris). Das BSG verweist hierzu beispielhaft auf den dem Urteil vom 26. März 2020 zugrundeliegenden Fall, in dem ein Vertragsarzt bzw. das von ihm angeleitete Praxispersonal einen rechtzeitig vereinbarten Termin in der Vorstellung verschoben hatte, dass ein späterer Termin für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich sei. Das Bundessozialgericht begründet die Gleichstellung eines - der Sphäre einer Krankenkasse zurechenbaren - unterbliebenen Arztkontaktes mit einem tatsächlichen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt damit, dass die Obliegenheiten des Versicherten auf das in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare beschränkt seien und führt hierzu unter Bezugnahme auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot und den Rechtsgedanken von Treu und Glauben wörtlich aus (BSG a.a.O., Rn.24-26, juris):

"Ein "Arzt-Hopping", das ohnehin grundsätzlich unerwünscht ist (vgl. § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB V), statt des nachvollziehbaren Wunsches, von dem mit der AU schon vertrauten (hier: Fach-) Arzt weiterbetreut zu werden, kann von ihm grundsätzlich nicht verlangt werden. Für Versicherte fallen zudem ihr soziales Schutzbedürfnis in der GKV zu ihrer finanziellen Absicherung im Krankheitsfall (siehe auch § 2 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 21 Abs. 1 Nr. 2g SGB I) und die Verhältnismäßigkeit von leistungsrechtlichen Folgen bei tatsächlichen Fristversäumnissen ins Gewicht (verfassungsrechtliches Übermaßverbot). Diese Erwägungen waren für den Senat schon wesentlich für die Erweiterung der Unschädlichkeit von Arztfehlern im nicht-medizinischen Bereich (BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 8, Rn.25 ff). Generalpräventive Erwägungen der Missbrauchsabwehr haben dagegen, vor allem in zweifelsfreien Folge-AU-Fällen, kein solch großes Gewicht, dass sie diese Schutzaspekte überlagern und verdrängen könnten. Für die vorstehende Auslegung des § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V a.F. und Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Senats spricht darüber hinaus, dass sich Versicherungsträger in ihrem Verwaltungshandeln auch am Rechtsgedanken von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) auszurichten haben, welcher auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts Anwendung findet (ständige Rechtsprechung, aus jüngerer Zeit z.B. BSG Urteil vom 1.7.2010, B 13 R 67/09 R , SozR 4-2400 § 24 Nr. 5 Rn.29 ff. mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen; ( ). Versicherungsträger aller Zweige dürfen sich daher z.B. nicht auf die Versäumung einer dem geltend gemachten Leistungsanspruch entgegenstehenden Ausschlussfrist berufen, wenn sie die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert haben (vgl. bereits BSG Urteil vom 17.11.1970, 1 RA 233/68, BSGE 32, 60, 62 = SozR Nr. 15 zu § 1286 a.F. RVO; ( )). Das folgt vor allem auch aus dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB. Diese Regelung bestimmt sinngemäß, dass dann, wenn der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil der Eintritt gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird, diese Bedingung (gleichwohl) als eingetreten gilt. § 162 Abs. 1 BGB liegt damit der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand - auch kein Träger öffentlicher Verwaltung - aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten, das er (oder ein seiner Sphäre zuzurechnender Dritter) einer ihm rechtlich verbundenen Person gegenüber gezeigt hat, einen Vorteil ziehen darf (vgl. nur Bork in Staudinger, BGB, § 162 Rn.2, 4, 15, Stand 2015; ferner z.B. BVerwG Urteil vom 28.10.1983, 8 C 39/82, BVerwGE 68, 156, 159, Buchholz 448.0 § 13a WehrPflG Nr. 15). Dem Rechtsgedanken der Regelung kommt auch im Bereich der Leistungsverwaltung des Sozialrechts Bedeutung zu, insbesondere im Zusammenhang mit der Versäumung von (Ausschluss-) Fristen, die von einem Leistungsberechtigten einzuhalten sind (vgl. bereits BSGE 32, 60, 62 = SozR Nr. 15 zu § 1286 a.F. RVO; ferner BGH NVwZ 1985, 938, 939 = LM Nr. 36 zu § 190a BEG 1956, juris Rn14). Über den der Bestimmung zugrundeliegenden Rechtsgedanken wird dann fingiert, dass die Einhaltung der Ausschlussfrist durch den Begünstigten gewahrt ist (so BGH, ebenda, unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 15.7.1959, V C 80.57 - BVerwGE 9, 89, 92 und BVerwG Urteil vom 24.6.1966 - VI C 72.63DVBl. 1966, 857, auf BSGE 32, 60, 62 = SozR Nr. 15 zu § 1286 a.F. RVO und BSG Urteil vom 17.5.1973 - 12 RJ 354/72 - SozR Nr. 9 zu § 1252 RVO = DVBl. 1973, 793 sowie auf BFH Urteil vom 22.4.1966 - VI 264/65 - BFHE 86, 148, 151)."

Der Senat schließt sich dieser Fortentwicklung der Rechtsprechung des BSG aus eigener Überzeugung an. In diesem Sinne dürfen auch Krankenkassen gegenüber dem Krankengeldanspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche Arzt-Patienten-Kontakt sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen und die auch den Krankenkassen zuzurechnen sind.

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Ausführungen hat die Klägerin einen Anspruch auf Krankengeld vom 19. März 2018 bis zum 13. August 2018.

Aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. März 2018 war die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum Sonntag, 18. März 2018 festgestellt. Entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 46 S. 2 SGB V a.F. blieb die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin über den 18. März 2018 hinaus grundsätzlich nur bestehen, wenn eine erneute Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Arzt-Patienten Kontakts spätestens am nächsten Werktag, d.h. am Montag, den 19. März 2018 erfolgt wäre. Dieser Arzt-Patienten-Kontakt am 19. März 2018 zwischen der Klägerin und ihrem Hausarzt Dr. D. bzw. einem anderen Arzt kam jedoch vorliegend nicht zustande.

Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin aber rechtzeitig am Montag, den 19. März 2018 bereits morgens telefonisch versucht, einen Termin zur Fortschreibung der Arbeitsunfähigkeit für den 19. März 2018 zu vereinbaren. Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin, die in Übereinstimmung mit den Attesten von Dr. D. vom 10. Juli 2018 und 12. Juli 2019 stehen, hat sie sogar persönlich mit dem Arzt gesprochen und bekam in diesem Telefonat die Auskunft, dass sie nicht bereits am Tag des Telefonanrufs, sondern erst am 21. März 2018 für einen Termin in die Praxis kommen könne.

Der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, dass sie sich erst am Montag, den 19. März 2018, d.h. am letzten Tag der anspruchserhaltenden Frist um einen Arzttermin zur Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit bemüht habe und damit gerade nicht "rechtzeitig" tätig geworden sei. Nach Auffassung des Senats darf sich ein Versicherter auch am letzten Tag des anspruchserhaltenden Zeitraums an die Praxis des behandelnden Arztes wenden, um einen Arzttermin für den gleichen Tag zu vereinbaren (so auch: Knispel, jurisPR-SozR 17/2020 Anm. 3). Einem Versicherter ist es selbstverständlich gestattet, seine weitere Genesung über ein Wochenende abzuwarten und erst montags zu entscheiden, ob er sich arbeitsfähig fühlt oder zur Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit einen Arzt aufsucht. Eine Verpflichtung, "auf Vorrat" einen Arzttermin im anspruchserhaltenden Zeitraum zu vereinbaren, besteht nicht. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben bereits morgens früh in der Praxis angerufen hat, ist sie "rechtzeitig" tätig geworden. Ein persönliches Vorsprechen in der Praxis zur Terminvereinbarung ist unter diesen Umständen nicht erforderlich und der Klägerin aufgrund der damals bestehenden Krankheitssymptome auch nicht zumutbar. Die Klägerin hat auch nicht "auf den letzten Drücker" abends kurz vor Sprechstundenende in der Praxis ihres Hausarztes angerufen (vgl. Knispel, a.a.O.). Der Klägerin war es zudem nicht zumutbar, andere Ärzte oder gar den ärztlichen Notdienst anzurufen oder aufzusuchen, um dort einen Termin zur Fortschreibung der Arbeitsunfähigkeit am 19. März 2018 zu erhalten. Ein "Arzt-Hopping" ist unerwünscht (§ 76 Abs. 3 S. 1 SGB V) und kann vor der Klägerin nicht verlangt werden (vgl. BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R, Rn.24, juris).

Nach Auffassung des Senats hat die Klägerin unter Berücksichtigung der Gesamtumstände damit alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan, um rechtzeitig in den anspruchserhaltenden zeitlichen Grenzen eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen. Das Nichtzustandekommen eines persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts in der Praxis am Montag, den 19. März 2018 ist nicht ihr, sondern vielmehr der Sphäre des Vertragsarztes und schließlich auch der Krankenkasse zuzurechnen.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die missverständliche Fassung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 5 Abs. 3 AU-Richtlinie) den Vertragsärzten ausdrücklich eine zeitlich begrenzte Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erlaubt. Entsprechend hervorgerufene bzw. aufrechterhaltene Fehlvorstellungen bei Vertragsärzten über deshalb auch vermeintlich den Versicherten in ihrem Verhältnis zu deren Krankenkassen unschädliche leistungsrechtliche Folgen rückwirkender Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen sind den Krankenkassen als maßgebliche Akteure im Gemeinsamen Bundesausschuss und Anspruchsgegner der Krankengeldansprüche Versicherter zuzurechnen (vgl. BSG a.a.O. Rn.28, juris unter Verweis auf BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R). Ein insoweit schuldhaften Verhalten des Vertragsarztes ist - entgegen Auffassung der Beklagten - nicht zu verlangen.

Die durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. März 2020 (B 3 KR 9/19 R) fortentwickelte Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats auch nicht auf die Fälle beschränkt, in welchen der Arzt oder das Praxispersonal einen bereits vereinbarten Termin in noch anspruchserhaltender Zeit aus terminlichen oder sonstigen Gründen absagt und einen neuen Termin nach Ende der anspruchserhaltenden Zeit vereinbart. Das Bundessozialgericht spricht insoweit von "insbesondere" bzw. "typischerweise" (BSG, a.a.O. Rn. 23, juris). Diese Formulierungen machen deutlich, dass auch andere Fallkonstellationen geben kann, in welchen der Krankenkasse ein (fehlerhaftes) Arztverhalten den Krankenkassen zuzurechnen ist.

Die Klägerin war auch über den 18. März 2018 hinaus tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt und hat entsprechend durchgehende AU-Bescheinigungen bis zum 13. August 2018 vorgelegt. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen bestehen auch seitens des Senats keine Anhaltspunkte dafür, dass vor dem 13. August 2018 Arbeitsfähigkeit eingetreten ist. Die Berufung war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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