L 12 AS 354/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 627/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 354/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29.01.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines internetfähigen Computers.

Die am 2004 geborene Klägerin besucht derzeit die 9. Klasse des Gymnasiums K.-schule vom H. G. (staatlich anerkannte katholische Schule in freier Trägerschaft) in B.-B ... Sie bezieht in der Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und vier jüngeren Geschwistern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Ihr Vater lebt unter der Woche in H. und bezieht Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Die Mutter bezieht für die Kinder Kindergeld, für die Klägerin in Höhe von 192,00 EUR im Jahr 2017 und in Höhe von 194,00 EUR im Jahr 2018. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 21.21.2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Bedarfsgemeinschaft Leistungen in Höhe von insgesamt 1.497,24 EUR für die Monate Februar bis Dezember 2017 und 1.8427,24 EUR für Januar 2018; auf die Klägerin entfielen – bei Anrechnung des Kindergeldes – Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 135,04 EUR sowie Regelleistungen in Höhe von 99,00 EUR für Februar bis Dezember 2017 und 97,00 EUR für Januar 2018.

Mit Schreiben vom 05.12.2017 beantragte die Mutter der Klägerin die Übernahme der Kosten für einen Computer. Die Klägerin brauche einen internetfähigen Computer für die Erstellung von Hausaufgaben, Referaten und Präsentationen.

Mit Bescheid vom 11.12.2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Anschaffung eines Computers sei durch den Regelbedarf abgedeckt.

Hiergegen erhob die Mutter der Klägerin für ihre Tochter am 09.01.2018 Widerspruch. Unter Verweis auf eine Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Cottbus (Urteil vom 13.10.2016, S 42 AS 1914/13, juris) führte sie an, der Computer werde für die ganze Schulzeit benötigt. Das Jobcenter müsse deshalb für einen unabweisbaren laufenden nicht nur einmaligen besonderen Bedarf aufkommen, was bei einem Computer der Fall sei. Der Bedarf hierfür könne nicht aus dem Regelbedarf gedeckt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Bei den Anschaffungskosten für einen Computer handele es sich zweifelsfrei um einen Bedarf, der von der Regelleistung umfasst sei. Der Bedarf sei allerdings nicht unabweisbar, da – nach dem Ergebnis einer Nachfrage bei der Schule – die Klägerin Schulcomputer nutzen könne. Auch ein Darlehen gemäß § 24 Abs. 1 SGB II oder Leistungen nach § 24 Abs. 3 SGB II kämen nicht in Betracht.

Am 21.02.2018 hat die Klägerin Klage zum SG Karlsruhe erhoben. Als Begründung hat sie angeführt, dass es zu wenig Schulcomputer gebe und die Nutzungszeiten eingeschränkt seien, so dass die zu erledigenden Aufgaben zum Beispiel nicht am Wochenende erledigt werden könnten. Interne Vorgänge würden den Schülern per E-Mail zugestellt. Hausaufgaben seien häufig mit Hilfe eines Computers zu verrichten. Der Beklagte könne die Klägerin nicht auf die Nutzung von Computern in der Stadtbibliothek verweisen, da hier lange Wartezeiten bestünden.

Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 29.01.2019 die Klage abgewiesen. Der PC sei grundsätzlich vom Regelbedarf umfasst. Leistungen zur Anschaffung eines Computers für schulische Zwecke zusätzlich zum Regelbedarf stünden der Klägerin weder als Mehrbedarf gem. § 21 Abs. 6 SGB II noch als Leistung für Wohnungserstausstattung (§ 24 Abs. 3 SGB II) zu. Ein Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II sei bei Leistungsberechtigten nur anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestünde. Es handle sich bei der Anschaffung eines Computers aber um keinen laufenden Bedarf, da ein laufender Bedarf nur vorliege, wenn er innerhalb eines Bewilligungszeitraums voraussichtlich nicht nur einmalig auftrete. Eine analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II käme nicht in Betracht, da der Gesetzesgeber für die Schließung von Deckungslücken im Bereich einmaliger, nicht dauerhafter oder laufender Bedarfe ausdrücklich eine Lösung vorgesehen habe: die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 SGB II. Auch eine zuschussweise Leistungsgewährung über § 24 Abs. 3 SGB II käme nicht in Betracht, denn bei einem Computer handle es sich nicht um ein Gerät, das zur Wohnungserstausstattung gehöre.

Gegen das Urteil hat die Klägerin am 30.01.2019 die vom SG Karlsruhe zugelassene Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Es sei in der Rechtsprechung umstritten, ob es sich bei den Kosten für die Anschaffung eines Computers um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II handle. Das SG Gotha (Urteil vom 17.08.2018, S 26 AS 3971/17, juris) und das SG Cottbus (a.a.O.) hätten das Vorliegen eines laufenden Bedarfes mit der Begründung bejaht, die Bedarfslage sei dauerhaft, auch wenn es sich um eine einmalige Anschaffung handele. Mit dem Argument, dass es letztendlich nicht darauf ankommen könne, ob ein Gerät durch laufende Ratenzahlung finanziert werde und dann zum laufenden Bedarf gehöre, oder durch eine einmalige Zahlung erfolge, habe sich das SG nicht auseinandergesetzt. Mittlerweile habe sie sich von ihrem Onkel Geld geliehen und einen Computer im Wert von 369,90 EUR erworben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29.01.2019 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 01.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2018 zu verurteilen, ihr für die Anschaffung eines internetfähigen Computers 369,90 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren.

Wegen der Einzelheiten im Sach- und Streitstand sowie im Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung gem. § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist aufgrund der Zulassung durch das SG zulässig, aber unbegründet. Darüber konnte der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 01.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2018, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, der Klägerin auf ihren Antrag vom 05.12.2017 weitere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (zur Anschaffung eines Computers in Höhe von 369,90 EUR) zu gewähren. Zwar stellt der Streit um einen Anspruch auf Mehrbedarf keinen eigenständigen und von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. Knickrehm/Hahn in Eicher/Luik SGB II, 4. Aufl. 2017, § 21 Rn. 12 unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG]). Jedoch kann der Antrag vom 05.12.2017 als Antrag auf Überprüfung und Änderung des bestandskräftigen Bewilligungsbescheids vom 21.12.2016 ausgelegt werden, den der Beklagte mit Bescheid vom 01.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2018 abgelehnt und so eine erneute Sachprüfung im Klage- und Widerspruchsverfahren eröffnet hatte (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 33/17 R, juris). Die Klägerin begehrt folglich im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG die Gewährung ergänzender Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nunmehr durch Erstattung des Kaufpreises für einen Computer in Höhe von 369,90 EUR. Der angefochtene Bescheid erweist sich jedoch als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die begehrte Leistung.

Die am 17.06.2004 geborene Klägerin ist als Person, die das 15 Lebensjahr vollendet hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist, dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte ihr und den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 21.12.2016 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wobei er die Regelleistung sowie die Kosten der Unterkunft zutreffend berechnet hat.

Als Anspruchsgrundlage für die als Mehrbedarf geltend gemachten Kosten für einen PC kommt nach verfassungskonformer Auslegung allenfalls § 21 SGB II in Betracht, in der Fassung, die das SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Gesetz zur Stärkung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen vom 23.12.2016 (BGBl I 3224) erhalten hat, denn in Rechtsstreitigkeiten über abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip; vgl. BSG, Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 13/18 R, juris). Gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit ein im Einzelfall unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist gemäß § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Diese Rechtsgrundlage kann in der Sondersituation Schulbedarf unmittelbare Anwendung finden, ohne dass es einer Analogie bedarf, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht (BSG, a.a.O.).

Für eine Anwendung in Baden-Württemberg, wo nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Verfassung des Landes Baden-Württemberg Lernmittel an Schulen unentgeltlich sind, besteht jedoch kein solcher unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Lernmittelfreiheit, findet ihre einfach-gesetzliche Grundlage in § 94 Schulgesetz Baden-Württemberg (SchulG). § 94 SchulG bestimmt u.a., dass in den öffentlichen Gymnasien der Schulträger den Schülern alle notwendigen Lernmittel mit Ausnahme von Gegenständen geringen Wertes leihweise zu überlassen hat, sofern die Lernmittel nicht von den Erziehungsberechtigten oder den Schülern selbst beschafft werden; ausnahmsweise werden sie zum Verbrauch überlassen, wenn Art oder Zweckbestimmung des Lernmittels eine Leihe ausschließen. Gegenstände, die auch außerhalb des Unterrichts gebräuchlich sind, gelten nicht als Lernmittel. Dabei umfasst die Lernmittelfreiheit nicht nur Schulbücher, sondern grundsätzlich alle Lernmittel (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.2001, 9 S 331/00, juris).

Die Schule der Klägerin verfügt nach Angaben der Schulleiterin über mehrere Computer, zu denen die Klägerin nach Aussage der Schulleiterin auch Zugang hat. Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin den begehrten Computer auch außerhalb der Schule zur Verfügung haben sollte, wie die Schulleiterin in ihrer ergänzenden Stellungnahme ausführt, würde dies nicht zu einem laufenden unabweisbaren Bedarf führen, da die Klägerin auf eigenen Wunsch eine Schule in freier Trägerschaft besucht, für die die Lernmittelfreiheit nach § 94 SchulG nicht gilt. Durch den Wechsel auf eine Regelschule könnte die Klägerin somit ihren Bedarf an Schulbildung anderweitig decken (vgl. § 2 SGB II).

Der Besuch einer Regelschule wäre der Klägerin auch zumutbar. Mit der Einrichtung der öffentlichen Regelschulen kommt der Staat seinem Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nach, der u.a. darin besteht, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet und den verschiedenen Begabungsrichtungen Raum zur Entfaltung lässt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteile vom 06.12.1972, 1 BvR 230/70, 1 BvR 95/71, juris). Die Lernmittelfreiheit für öffentliche Schulen ist ebenso wie die Einrichtung der öffentlichen Regelschulen auch eine Konkretisierung des Sozialstaatsgebots des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Sie stellt in Verbindung mit der Schulpflicht eine Leistung der staatlichen Daseinsvorsorge dar, die jedermann ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage zu Gute kommen soll und den Personenkreis einschließt, dem nach dem SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren ist. Für einen Rechtsanspruch gegen den Träger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Übernahme der Kosten, die allein auf den Besuch einer privaten Schule zurückzuführen sind, ist daher grundsätzlich kein Raum mehr (Bayerisches LSG, Urteil vom 25.03.2015, L 11 AS 238/13, juris). Die gesetzgeberische Gewährleistung der Lernmittelfreiheit an öffentlichen Regelschulen in Baden-Württemberg wirkt im Verhältnis zu den Vorschriften über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Sonderregelung, die in aller Regel einen anzuerkennenden Bedarf für die Übernahme von weiteren Kosten im Rahmen des notwendigen Lebensunterhalts nicht entstehen lässt (vgl. zum BSHG mit weitergehenden Ausführungen, dass hierdurch auch verfassungsmäßige Elternrechte nicht verletzt werden: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.08.1992, 5 C 70/88, juris). Ein Bedarf der Klägerin erschiene allenfalls denkbar, soweit die Beschulung in einer öffentlichen Regelschule nicht möglich gewesen wäre. Hierzu ist jedoch nichts vorgetragen und auch dem Senat liegen keine Erkenntnisse vor, die eine andere Beurteilung des Bildungsbedarfes zuließe.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 SGG bestehen nicht.

Rechtskraft
Aus
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