L 12 AL 2094/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 1325/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2094/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 23.05.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750,00 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache hat die Beschwerde aber keinen Erfolg. Das SG hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Das mit der Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (weiter-) verfolgte Begehren hat der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung vom 20.06.2019 dahingehend präzisiert, er beantrage die bei der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) entstandenen Lücken vom 01.12.2018 bis 09.01.2019 und vom 18.03.2019 bis 01.05.2019 zu schließen. Gegenstand der Überprüfung im Beschwerdeverfahren sind deshalb der Bescheid vom 18.03.2019 mit dem die Antragsgegnerin die Aufhebung der Bewilligung von Alg (Bewilligungsbescheid vom 08.03.2019 [Bewilligung von Alg ab 10.01.2019; Anspruchsdauer: 360 Kalendertage; Leistungsbetrag täglich: 19,30 EUR]) mit Wirkung ab 18.03.2019 verfügt hat, der den Anspruch des Antragstellers auf Alg bis 17.03.2019 endgültig festsetzenden Bescheid vom 11.04.2019, der Änderungsbescheid vom 28.05.2019 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019) sowie der den Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 18.03.2019 ablehnenden Bescheid vom 28.05.2019 (ebenfalls in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019).

Der dem Antragsteller Alg ab 02.05.2019 bewilligende Bescheid vom 14.06.2019 ist, ebenso wie nachfolgende, ihm für spätere Zeiträume Alg bewilligende Bescheide, nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Das Begehren, ihm höheres Alg für spätere Zeiträume zu gewähren kann auch nicht im Wege der Antragserweiterung geltend gemacht werden, denn eine solche ist weder sachdienlich, noch hat die Beklagte einem geänderten Antrag zugestimmt (vgl. § 99 SGG).

Der Sachdienlichkeit einer Antragsänderung steht entgegen, dass das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg für eine Entscheidung instanziell nicht zuständig ist. Eine Erweiterung des Gegenstandes des einstweiligen Rechtsschutzes entbindet das Gericht nicht von der Verpflichtung, die Zulässigkeit des erweiterten Antrages zu prüfen. Daher müssen für einen solchen Antrag sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen; hierzu gehört auch die instanzielle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.11.2013, L 16 AS 717/13 B ER, juris m.w.N.). An dieser fehlt es vorliegend, denn nicht das LSG Baden-Württemberg, sondern das SG ist für eine Klage gegen den erst nach Erlass der hier angegriffenen Entscheidung des SG bekannt gegebenen Bescheid vom 14.06.2019 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2019) zuständiges Gericht der Hauptsache (beim SG anhängig unter dem Az. S 15 AL 1922/19); diesen Streitgegenstand betreffend ist deshalb auch für einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes das SG erstinstanzlich zuständig.

Soweit sich der Antragsteller gegen die mit Bescheid vom 18.03.2019 verfügte Aufhebung der Bewilligung von Alg ab 18.03.2019 wendet, ist prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs § 86b Abs. 1 SGG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag (1.) in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, (2.) in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, (3.) in den Fällen des § 86a Abs. 3 SGG die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 2 SGG).

Bei der von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18.03.2019 verfügten Aufhebung der Bewilligung von Alg wegen Schulbesuchs ab 18.03.2019 handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG, der eine laufende Geldleistung entzieht oder herabsetzt und der mit Widerspruch und einer nachfolgenden Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Wird ein solcher Verwaltungsakt mit dem Widerspruch angegriffen, hat dieser keine aufschiebende Wirkung. Die von Gesetzes wegen entfallene aufschiebende Wirkung kann indes angeordnet werden (vgl. § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG), wenn der Hauptsacherechtsbehelf offensichtlich begründet ist. Auch wenn wegen § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG im Regelfall der durch den Verwaltungsakt Betroffene das Vollzugsrisiko zu tragen hat, besteht in einem derartigen Fall grundsätzlich kein öffentliches Interesse am Sofortvollzug eines aller Voraussicht nach aufzuhebenden Verwaltungsaktes. Dies gilt (vgl. § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG) auch bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, wenn also der Erfolg lediglich wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Abzulehnen ist hingegen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich keinen Erfolg hat. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind das vom Gesetzgeber generell angenommene Sofortvollzugsinteresse und das individuelle Suspensivinteresse gegeneinander abzuwägen. Überwiegt das Suspensivinteresse, was in entsprechender Anwendung von § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG auch der Fall ist, wenn der Sofortvollzug für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Übersteigt das Suspensivinteresse das öffentliche Vollzugsinteresse nicht, hat es bei der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes zu verbleiben (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.06.2006, L 13 AS 2298/06 ER-B, juris m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die begehrte Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schon deshalb nicht vor, weil der Antragsteller den Bescheid vom 18.03.2019 nicht mit dem Widerspruch angegriffen hat. Soweit er sich später mit seinem gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.04.2019 erhobenen Widerspruch zumindest sinngemäß auch gegen die mit Bescheid vom 18.03.2019 verfügte Aufhebung der Bewilligung von Alg gewandt hat, war der erst am 02.05.2019 bei der Antragsgegnerin eingegangene Widerspruch, wie das SG zu Recht entschieden hat, jedenfalls verfristet. Nachdem der Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.03.2019 damit bestandskräftig geworden und ein Hauptsacheverfahren diesbezüglich auch nicht anhängig ist, besteht für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit kein Raum.

Soweit sich der Antragsteller mit seinem im vorläufigen Rechtsschutz gestellten Antrag gegen den seinen Anspruch auf Alg endgültig festsetzenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.04.2019, gegen den Änderungsbescheid vom 28.05.2019 sowie den seinen Zugunstenantrag ablehnenden Bescheid vom 28.05.2019 wendet und in diesem Zusammenhang die Bewilligung von Alg für die Zeiträume vom 01.12.2018 bis 09.01.2019 sowie vom 18.03.2019 bis 01.05.2019 begehrt, richtet sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG. Nach Satz 1 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 25.07.1996, 1 BvR 638/96; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02; BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, alle in juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 22.11.2011, L 12 AS 5199/11 ER-B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005, L 7 AS 2875/05 ER-B, juris).

Dabei müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02; BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03, beide in juris), wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt, und dessen Bedeutung insbesondere im Hinblick auf Fragen des Grundrechtsschutzes zu orientieren. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nicht vor; der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob der Antragsteller, wie vom SG angenommen, darüber hinaus auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Die Zeiträume vom 01.12.2018 bis 09.01.2019 und vom 18.03.2019 bis 01.05.2019, für die der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Alg begehrt, liegen beide vor der Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes beim SG am 03.05.2019. Da der Antragsteller einen Nachholbedarf weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht hat, fehlt es schon an der einen Anordnungsgrund begründenden Eilbedürftigkeit. Die begehrte Regelungsanordnung ist in einem solchen Fall zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht nötig; der Antragsteller konnte bzw. kann sein Begehren ohne Weiteres im Rahmen der in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel geltend machen; die Klage gegen die Bescheide vom 28.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019 ist beim SG unter dem Az. S 15 AL 1851/19 anhängig.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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