Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 1472/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 747/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.01.2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Krankengeld über den 23.10.2017 hinaus.
Der am 13.10.1961 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sein Beschäftigungsverhältnis endete zum 07.09.2017, die Mitgliedschaft bei der Beklagten wurde aufgrund des Krankengeldbezuges seit dem 07.07.2017 (kalendertägliche Höhe: 74,21 EUR brutto; 65,21 EUR netto) zunächst fortgeführt.
Am 29.05.2017 stellte der Internistische Hausarzt Dr. I. die Arbeitsunfähigkeit des Klägers erstmals ab dem 26.05.2017 und in der Folge jeweils nahtlos bis zum 23.10.2017, einem Montag, fest. Die weitere Feststellung von Arbeitsunfähigkeit erfolgte erst am Mittwoch, den 25.10.2017.
Mit Bescheid vom 30.10.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 24.10.2017 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert sei und über den 23.10.2017 hinaus kein Krankengeld mehr gezahlt werden könne. Spätestens am nächsten Werktag nach Ablauf der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sei eine rechtzeitige Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Bis zum 23.10.2017 sei der Kläger arbeitsunfähig gewesen, die erneute Feststellung sei jedoch erst am 25.10.2017 — und damit verspätet — erfolgt. Einem nachgehenden Anspruch auf Krankengeld längstens für einen Monat stehe der vorrangige Anspruch des Klägers auf Familienversicherung entgegen.
Hiergegen erhob der Kläger am 08.11.2017 Widerspruch. Zwar sei die Arbeitsunfähigkeit am 24.10.2017 nicht festgestellt worden, jedoch sei dies nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unbeachtlich, denn er habe alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan, um seinen Anspruch auf Krankengeld zu wahren.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte Dr. I. mit Schreiben vom 03.01.2018 mit, dass der Kläger seit längerem in seiner ambulanten Behandlung stehe. Im Juni 2017 sei er am Knie operiert worden. Er sei seither kontinuierlich arbeitsunfähig und sei auch am 24.10.2017 arbeitsunfähig gewesen. Der Kläger sei am 25.10.2017 in die Sprechstunde gekommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2018 als unbegründet zurück. Ein vom BSG beschriebener Ausnahmefall zur lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit liege nicht vor. Der Kläger habe am 24.10.2017 keinen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm die Beschwerden geschildert, um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen.
Der Kläger hat am 07.05.2018 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er zunächst sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. In dem Zeitraum vom 24.10.2017 sei er fast jeden Tag mit vielen Ärzten und Medikamenten beschäftigt gewesen. Er sei nicht in der Lage gewesen, viel zu laufen, zu stehen oder Auto zu fahren. Er sei am 24.10.2017 bei Dr. I. gewesen und habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwei Tage später abgeholt. Außerdem ist er der Ansicht, dass die Neuregelung des § 46 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch das Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz — TSVG) vom 06.05.2019 auch im vorliegenden Fall gelten müsse.
Die Beklagte hat geltend gemacht, dass ein Ausnahmefall nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG nicht vorliege. Sie hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Hinsichtlich der Neufassung der Vorschrift durch das TSVG habe das Bayerische Landessozialgericht in seinem Urteil vom 21.05.2019 (Az L 5 KR 511/18) ausgeführt, aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe sich, dass mit der Neufassung des § 46 SGB V keine Klarstellung beabsichtigt sei, sondern eine Neuregelung für die Zukunft, damit die Härten der Lückenfälle künftig - ab Inkrafttreten des TSVG am 11.05.2019 - wegfielen.
Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.01.2020 abgewiesen. Der Kläger könne über den 23.10.2017 hinaus kein Krankengeld beanspruchen, da er nach diesem Tag nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei. Der Kläger sei nur bis 23.10.2017 mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen, am 25.10.2017, dem Tag der Ausstellung der Folgebescheinigung, hingegen nicht mehr. Die erhalten gebliebene Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Beschäftigten habe mit Ablauf des 23.10.2017 geendet. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Eine Anwendung des ab dem 11.05.2019 geltenden § 46 Satz 3 SGB V auf den vorliegenden Fall sei ausgeschlossen.
Gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 03.02.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 03.03.2020 eingelegte Berufung. Der Kläger verweist erneut auf die Änderung des § 46 SGB V durch das TSVG vom 06.05.2019, die auch für ihn Anwendung finden müsse, weil es sich nicht um eine Neuregelung, sondern um eine Klarstellung handele. Außerdem sei er am 24.10.2017 arbeitsunfähig und fast den gesamten Tag damit beschäftigt gewesen, verschiedene Ärzte aufzusuchen und Medikamente einzunehmen. Erschwerend komme hinzu, dass er aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht mehr in der Lage gewesen sei, mehr als ein paar Schritte zu gehen, und auch nicht in der Lage gewesen sei, Auto zu fahren.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Heilbronn vom 29.01.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 23.10.2017 hinaus Krankengeld bis zum Erreichen der gesetzlichen Höchstanspruchsdauer in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufungsbegründung enthalte keine neuen Gesichtspunkte, es sei bereits umfassend dargelegt worden, aus welchen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 10.06.2020, der Kläger mit Schriftsatz vom 27.08.2020 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 SGG), allerdings nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den 23.10.2017 hinaus. Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krankengeld sind die §§ 44 ff SGB V. Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 SGB V in der ab 23.07.2015 geltenden Fassung). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krankengeld die vorherige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit voraus. Dem Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (ständige Rechtsprechung, BSG 02.07.2020, B 3 KR 42/19 B, juris Rn 15 mwN; BSG 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 4, Rn 14 mwN).
Die Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs, also nicht nur die Arbeitsunfähigkeit, sondern auch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, müssen bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeitsfeststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG 26.09.2019, B 3 KR 1/19 R, juris Rn 16; BSG 25.10.2018, B 3 KR 23/17 R, SozR 4-2500 § 49 Nr 8, Rn 12 mwN). Zudem muss der Versicherte die Arbeitsunfähigkeit und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).
Für den 24.10.2017 besteht mangels vorheriger ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch auf Krankengeld. Dr. I. hat zunächst die Arbeitsunfähigkeit bis 23.10.2017 festgestellt. Unstreitig ist die nächste ärztliche Feststellung erst wieder am 25.10.2017 erfolgt.
Zum Zeitpunkt der erneuten ärztlichen Feststellung am 25.10.2017 war der Kläger jedoch nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert, sodass auch ab diesem Tag kein Anspruch auf Krankengeld besteht.
Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krankengeld bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter" Anspruch auf Krankengeld hat. Die Mitgliedschaft des Klägers als Beschäftigter (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) blieb über den Bezug von Krankengeld nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V nur bis zum 23.10.2017 (Montag) erhalten. Will ein Versicherter seine Mitgliedschaft als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus durch einen Anspruch auf Krankengeld aufrechterhalten, muss er seine Arbeitsunfähigkeit für jeden Krankengeldbewilligungsabschnitt erneut rechtzeitig ärztlich feststellen lassen (vgl BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 6). Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat die Arbeitsunfähigkeit erst am 25.10.2017 (Mittwoch) erneut ärztlich feststellen lassen. Die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld endete daher mit Ablauf des 23.10.2017. Der Kläger war anschließend familienversichert. Die Familienversicherung vermittelt jedoch keinen Anspruch auf Krankengeld (§ 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V). Der Kläger konnte daher ab der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ab dem 25.10.2017 kein Krankengeld mehr erhalten.
Wie das SG zutreffend dargestellt hat, ist auch kein Sachverhalt gegeben, bei dem die im Hinblick auf einen nahtlosen Krankengeldanspruch verspätete Arbeitsunfähigkeitsfeststellung ausnahmsweise unschädlich ist. Das BSG erkennt insoweit eine Ausnahme an, wenn die rechtzeitige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wegen einer bestehenden Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit nicht erfolgt ist (ständige Rechtsprechung, vgl nur BSG 25.10.2018, B 3 KR 23/17 R, SozR 4-2500 § 49 Nr 8, Rn 22; BSG 05.12.2019, B 3 KR 5/19 R, juris Rn 20). Diese Ausnahme ist nicht erfüllt. Der Kläger hat zuletzt vorgetragen, am 24.10.2017 ua mit Arztbesuchen beschäftigt gewesen zu sein. Dies widerlegt bereits seinen eigenen Vortrag, gesundheitlich nicht in der Lage gewesen zu sein, seinen Hausarzt aufzusuchen.
Nicht einschlägig im Hinblick auf einen Ausnahmegrund ist die vom BSG mit Urteil vom 11.05.2017 (B 3 KR 22/15 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 8, Rn 34) entwickelte und in seinem Urteil vom 26.03.2020 (B 3 KR 9/19 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 10, Rn 20 ff) fortentwickelte und konkretisierte Rechtsprechung im Hinblick auf eine Lücke in den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen bei medizinischen Fehlbeurteilungen durch den behandelnden Arzt und bei nichtmedizinischen Fehlern eines Arztes im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung. Einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt steht gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (BSG 26.03.2020, B 3 KR 9/19 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 10, Rn 20).
Der Kläger hat zwar zunächst erstinstanzlich vorgetragen, am 24.10.2017 bei Dr. I. gewesen zu sein, der ihm die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geschrieben habe, die er – der Kläger – zwei Tage später abgeholt habe. Diese Angaben stehen jedoch in Widerspruch zu den Ausführungen von Dr. I., der mit Schreiben vom 03.01.2018 angegeben hat, der Kläger sei am 25.10.2017 vorstellig gewesen. Der Kläger hat seinen Vortrag im Berufungsverfahren auch nicht mehr aufrechterhalten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Fehlbeurteilung durch den Arzt oder die Krankenkasse vorliegt.
Auch mit der Änderung des § 46 Satz 3 SGB V lässt sich kein Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit ab dem 24.10.2017 begründen. § 46 Satz 3 SGB V in der ab dem 06.05.2019 geltenden Fassung sieht vor, dass für Versicherte, deren Mitgliedschaft nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, der Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen bleibt, wenn die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag im Sinne von § 46 Satz 2 SGB V, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Art 1 Nr 22 TSVG vom 06.05.2019 (BGBl I 646), mit dem die Regelung in § 46 SGB V geändert wurde, trat erst am 11.05.2019 in Kraft und findet auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung. Die Neuregelung ist nach Auffassung des Senats jedenfalls auf solche Fälle nicht anzuwenden, in denen - wie hier - das Ende der zuletzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (hier: 23.10.2017) länger als einen Monat vor dem Inkrafttreten der Neuregelung (hier: 11.05.2019) zurückliegt. Die Wirkung des neuen § 46 Satz 3 SGB V kann nur solchen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zukommen, die nach dem Inkrafttreten der Neuregelung ausgestellt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Krankengeld über den 23.10.2017 hinaus.
Der am 13.10.1961 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sein Beschäftigungsverhältnis endete zum 07.09.2017, die Mitgliedschaft bei der Beklagten wurde aufgrund des Krankengeldbezuges seit dem 07.07.2017 (kalendertägliche Höhe: 74,21 EUR brutto; 65,21 EUR netto) zunächst fortgeführt.
Am 29.05.2017 stellte der Internistische Hausarzt Dr. I. die Arbeitsunfähigkeit des Klägers erstmals ab dem 26.05.2017 und in der Folge jeweils nahtlos bis zum 23.10.2017, einem Montag, fest. Die weitere Feststellung von Arbeitsunfähigkeit erfolgte erst am Mittwoch, den 25.10.2017.
Mit Bescheid vom 30.10.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 24.10.2017 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert sei und über den 23.10.2017 hinaus kein Krankengeld mehr gezahlt werden könne. Spätestens am nächsten Werktag nach Ablauf der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sei eine rechtzeitige Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Bis zum 23.10.2017 sei der Kläger arbeitsunfähig gewesen, die erneute Feststellung sei jedoch erst am 25.10.2017 — und damit verspätet — erfolgt. Einem nachgehenden Anspruch auf Krankengeld längstens für einen Monat stehe der vorrangige Anspruch des Klägers auf Familienversicherung entgegen.
Hiergegen erhob der Kläger am 08.11.2017 Widerspruch. Zwar sei die Arbeitsunfähigkeit am 24.10.2017 nicht festgestellt worden, jedoch sei dies nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unbeachtlich, denn er habe alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan, um seinen Anspruch auf Krankengeld zu wahren.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte Dr. I. mit Schreiben vom 03.01.2018 mit, dass der Kläger seit längerem in seiner ambulanten Behandlung stehe. Im Juni 2017 sei er am Knie operiert worden. Er sei seither kontinuierlich arbeitsunfähig und sei auch am 24.10.2017 arbeitsunfähig gewesen. Der Kläger sei am 25.10.2017 in die Sprechstunde gekommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2018 als unbegründet zurück. Ein vom BSG beschriebener Ausnahmefall zur lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit liege nicht vor. Der Kläger habe am 24.10.2017 keinen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm die Beschwerden geschildert, um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen.
Der Kläger hat am 07.05.2018 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er zunächst sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. In dem Zeitraum vom 24.10.2017 sei er fast jeden Tag mit vielen Ärzten und Medikamenten beschäftigt gewesen. Er sei nicht in der Lage gewesen, viel zu laufen, zu stehen oder Auto zu fahren. Er sei am 24.10.2017 bei Dr. I. gewesen und habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwei Tage später abgeholt. Außerdem ist er der Ansicht, dass die Neuregelung des § 46 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch das Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz — TSVG) vom 06.05.2019 auch im vorliegenden Fall gelten müsse.
Die Beklagte hat geltend gemacht, dass ein Ausnahmefall nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG nicht vorliege. Sie hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Hinsichtlich der Neufassung der Vorschrift durch das TSVG habe das Bayerische Landessozialgericht in seinem Urteil vom 21.05.2019 (Az L 5 KR 511/18) ausgeführt, aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe sich, dass mit der Neufassung des § 46 SGB V keine Klarstellung beabsichtigt sei, sondern eine Neuregelung für die Zukunft, damit die Härten der Lückenfälle künftig - ab Inkrafttreten des TSVG am 11.05.2019 - wegfielen.
Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.01.2020 abgewiesen. Der Kläger könne über den 23.10.2017 hinaus kein Krankengeld beanspruchen, da er nach diesem Tag nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei. Der Kläger sei nur bis 23.10.2017 mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen, am 25.10.2017, dem Tag der Ausstellung der Folgebescheinigung, hingegen nicht mehr. Die erhalten gebliebene Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Beschäftigten habe mit Ablauf des 23.10.2017 geendet. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Eine Anwendung des ab dem 11.05.2019 geltenden § 46 Satz 3 SGB V auf den vorliegenden Fall sei ausgeschlossen.
Gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 03.02.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 03.03.2020 eingelegte Berufung. Der Kläger verweist erneut auf die Änderung des § 46 SGB V durch das TSVG vom 06.05.2019, die auch für ihn Anwendung finden müsse, weil es sich nicht um eine Neuregelung, sondern um eine Klarstellung handele. Außerdem sei er am 24.10.2017 arbeitsunfähig und fast den gesamten Tag damit beschäftigt gewesen, verschiedene Ärzte aufzusuchen und Medikamente einzunehmen. Erschwerend komme hinzu, dass er aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht mehr in der Lage gewesen sei, mehr als ein paar Schritte zu gehen, und auch nicht in der Lage gewesen sei, Auto zu fahren.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Heilbronn vom 29.01.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 23.10.2017 hinaus Krankengeld bis zum Erreichen der gesetzlichen Höchstanspruchsdauer in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufungsbegründung enthalte keine neuen Gesichtspunkte, es sei bereits umfassend dargelegt worden, aus welchen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 10.06.2020, der Kläger mit Schriftsatz vom 27.08.2020 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 SGG), allerdings nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den 23.10.2017 hinaus. Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krankengeld sind die §§ 44 ff SGB V. Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 SGB V in der ab 23.07.2015 geltenden Fassung). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krankengeld die vorherige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit voraus. Dem Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (ständige Rechtsprechung, BSG 02.07.2020, B 3 KR 42/19 B, juris Rn 15 mwN; BSG 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 4, Rn 14 mwN).
Die Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs, also nicht nur die Arbeitsunfähigkeit, sondern auch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, müssen bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeitsfeststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG 26.09.2019, B 3 KR 1/19 R, juris Rn 16; BSG 25.10.2018, B 3 KR 23/17 R, SozR 4-2500 § 49 Nr 8, Rn 12 mwN). Zudem muss der Versicherte die Arbeitsunfähigkeit und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).
Für den 24.10.2017 besteht mangels vorheriger ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch auf Krankengeld. Dr. I. hat zunächst die Arbeitsunfähigkeit bis 23.10.2017 festgestellt. Unstreitig ist die nächste ärztliche Feststellung erst wieder am 25.10.2017 erfolgt.
Zum Zeitpunkt der erneuten ärztlichen Feststellung am 25.10.2017 war der Kläger jedoch nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert, sodass auch ab diesem Tag kein Anspruch auf Krankengeld besteht.
Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krankengeld bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter" Anspruch auf Krankengeld hat. Die Mitgliedschaft des Klägers als Beschäftigter (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) blieb über den Bezug von Krankengeld nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V nur bis zum 23.10.2017 (Montag) erhalten. Will ein Versicherter seine Mitgliedschaft als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus durch einen Anspruch auf Krankengeld aufrechterhalten, muss er seine Arbeitsunfähigkeit für jeden Krankengeldbewilligungsabschnitt erneut rechtzeitig ärztlich feststellen lassen (vgl BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 6). Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat die Arbeitsunfähigkeit erst am 25.10.2017 (Mittwoch) erneut ärztlich feststellen lassen. Die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld endete daher mit Ablauf des 23.10.2017. Der Kläger war anschließend familienversichert. Die Familienversicherung vermittelt jedoch keinen Anspruch auf Krankengeld (§ 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V). Der Kläger konnte daher ab der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ab dem 25.10.2017 kein Krankengeld mehr erhalten.
Wie das SG zutreffend dargestellt hat, ist auch kein Sachverhalt gegeben, bei dem die im Hinblick auf einen nahtlosen Krankengeldanspruch verspätete Arbeitsunfähigkeitsfeststellung ausnahmsweise unschädlich ist. Das BSG erkennt insoweit eine Ausnahme an, wenn die rechtzeitige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wegen einer bestehenden Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit nicht erfolgt ist (ständige Rechtsprechung, vgl nur BSG 25.10.2018, B 3 KR 23/17 R, SozR 4-2500 § 49 Nr 8, Rn 22; BSG 05.12.2019, B 3 KR 5/19 R, juris Rn 20). Diese Ausnahme ist nicht erfüllt. Der Kläger hat zuletzt vorgetragen, am 24.10.2017 ua mit Arztbesuchen beschäftigt gewesen zu sein. Dies widerlegt bereits seinen eigenen Vortrag, gesundheitlich nicht in der Lage gewesen zu sein, seinen Hausarzt aufzusuchen.
Nicht einschlägig im Hinblick auf einen Ausnahmegrund ist die vom BSG mit Urteil vom 11.05.2017 (B 3 KR 22/15 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 8, Rn 34) entwickelte und in seinem Urteil vom 26.03.2020 (B 3 KR 9/19 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 10, Rn 20 ff) fortentwickelte und konkretisierte Rechtsprechung im Hinblick auf eine Lücke in den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen bei medizinischen Fehlbeurteilungen durch den behandelnden Arzt und bei nichtmedizinischen Fehlern eines Arztes im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung. Einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt steht gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (BSG 26.03.2020, B 3 KR 9/19 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 10, Rn 20).
Der Kläger hat zwar zunächst erstinstanzlich vorgetragen, am 24.10.2017 bei Dr. I. gewesen zu sein, der ihm die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geschrieben habe, die er – der Kläger – zwei Tage später abgeholt habe. Diese Angaben stehen jedoch in Widerspruch zu den Ausführungen von Dr. I., der mit Schreiben vom 03.01.2018 angegeben hat, der Kläger sei am 25.10.2017 vorstellig gewesen. Der Kläger hat seinen Vortrag im Berufungsverfahren auch nicht mehr aufrechterhalten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Fehlbeurteilung durch den Arzt oder die Krankenkasse vorliegt.
Auch mit der Änderung des § 46 Satz 3 SGB V lässt sich kein Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit ab dem 24.10.2017 begründen. § 46 Satz 3 SGB V in der ab dem 06.05.2019 geltenden Fassung sieht vor, dass für Versicherte, deren Mitgliedschaft nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, der Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen bleibt, wenn die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag im Sinne von § 46 Satz 2 SGB V, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Art 1 Nr 22 TSVG vom 06.05.2019 (BGBl I 646), mit dem die Regelung in § 46 SGB V geändert wurde, trat erst am 11.05.2019 in Kraft und findet auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung. Die Neuregelung ist nach Auffassung des Senats jedenfalls auf solche Fälle nicht anzuwenden, in denen - wie hier - das Ende der zuletzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (hier: 23.10.2017) länger als einen Monat vor dem Inkrafttreten der Neuregelung (hier: 11.05.2019) zurückliegt. Die Wirkung des neuen § 46 Satz 3 SGB V kann nur solchen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zukommen, die nach dem Inkrafttreten der Neuregelung ausgestellt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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