S 6 KR 155/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 155/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 09.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die mit Rechnung vom 02.09.2013 ausgewiesenen Kosten für die Impfung mit dendritischen Zellen in Höhe von 4.964,40 EUR zu übernehmen.

2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine Impfung mit dendritischen Zellen. Der Kläger, geboren 1969, ist bei der Beklagten krankenversichert. Im Februar 2011 wurde bei dem Kläger ein malignes Melanom (Clark Level III C) am Bauch festgestellt. Dieses wurde im Hautzentrum Marburg operiert und im Universitätsklinikum Heidelberg nochmals nachoperiert. Von Juni 2011-Dezember 2012 wurde der Kläger im Rahmen einer adjuvanten Immuntherapie mit Interferon alpha II b behandelt. Im August 2012 zeigte sich ein Lymphknotenrezidiv unter dem Arm, das ebenfalls operativ entfernt wurde. Im März 2013 wurden 29 Lymphknoten an der Universitätsklink Marburg entfernt. Von diesen waren 7 befallen. Den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für eine Immuntherapie mit dendritischen Zellen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.07.2013 ab. Sie berief sich dabei auf ein Gutachten des MDK vom 02.07.2013. Der MDK hatte festgestellt, dass es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung handele, für die eine medikamentöse Therapiealternative, die das Risiko für eine erneute regionäre- oder Fernmetastasierung reduziere, nicht zur Verfügung stünde. Alternativ sei jedoch eine engmaschige Nachsorge und die Option der regionalen Verfahren verfügbar. Im Rahmen der Literaturrecherche habe man keine wissenschaftliche Literatur identifizieren können, die den Nutzen einer dendritischen Zelltherapie für die adjuvante Situation bei malignem Melanom untersucht hätte. Es handele sich um eine experimentelle Therapie, die nur im Rahmen von klinischen Studien erfolgen solle. Dies entspreche auch der Empfehlung der Deutschen Krebsgesellschaft. Der Kläger legte gegen den ablehnenden Bescheid Widerspruch ein und begann auf eigene Kosten die beantragte Therapie. Er legte im Verwaltungsverfahren eine Rechnung vom 02.09.2013 über die 1. Impfung über 4.964,40EUR vor. Nach erneuter Befassung des MDK – ohne neue Erkenntnisse – wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2013 zurück, wobei sie zur Begründung im Wesentlichen auf die fehlende wissenschaftliche Datenlage verwies. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 04.12.2013, die der Kläger zudem mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verband. Das Gericht hat den ER-Antrag mit Beschluss vom 14.01.2014 abgelehnt.

Im Klageverfahren trägt der Kläger vor, dass die Immuntherapie, die von der Oberärztin Dr. C. vom Universitätsklinikum Erlangen befürwortet werde, die bestmögliche Therapie sei und die längsten Überlebenschancen biete. Durch das Universitätsklinikum Erlangen sei eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen, beladen mit synthetisch hergestellter RNA, geplant. Bei dieser Behandlungsmethode finde kein patienteneigenes Tumormaterial Verwendung. Bezüglich dieser Therapie bestehe keine negative Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses. Die Voraussetzungen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 lägen allesamt vor. Es sei mit den Grundrechten aus Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz nicht vereinbar, einem gesetzlich Krankenversicherten für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung zu stellen, von der Leistung einer ihm gewählten ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Ein weiteres Zuwarten, wie es die Beklagte empfehle, sei als ethisch schon sehr bedenklich anzusehen. Im Gegensatz zur Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 27.08.2012 sei vorliegend gerade keine Mischbehandlung beantragt, sondern eine reine Vakzinationstherapie mit dendritischen Zellen. Insofern seien die Sachverhalte nicht vergleichbar.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 09.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die mit Rechnung vom 02.09.2013 ausgewiesene Impfung mit dendritischen Zellen in Höhe von 4.964,40 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich im Wesentlichen auf die Gutachten des MDK und auf den experimentellen Charakter der Therapie.

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger insgesamt 9 Impfungen am Universitätsklinikum in Erlangen im Zeitraum von August 2013 bis März 2015 erhalten. In dieser Zeit war er rezidivfrei. Im September 2015 ist es zu einem Rückfall gekommen, der aktuell mittels einer Kombinationschemotherapie behandelt wird.

Das Gericht hat im Klageverfahren von Amts wegen ein Gutachten bei Prof. Dr. D. eingeholt. Der Sachverständige hat bestätigt, dass über die Interferon-Therapie, die beim Kläger bereits ausgeschöpft war, hinaus, keine wirksamen adjuvanten Therapien zur Verfügung stünden. Die Situation des Klägers sei als Hochrisikokonstellation einzustufen. Die Vakzinationstherapie befinde sich zwar in einer schnellen Entwicklung, sei allerdings als experimentell zu betrachten. Es lägen nur eingeschränkte klinische Erfahrungen vor. Die vorliegenden Erfahrungen würden belegen, dass es relativ sicher gelinge, die gewünschten immunologischen Effekte mit der Impfung mit dendritischen Zellen zu erzielen. Wenngleich die Patientenkollektive oft zu klein seien, um Vergleiche ziehen zu können und auch methodische Unterschiede dies nicht erlaubten, so sei doch klar, dass zumindest ein Teil selbst im fortgeschrittenen Stadium von dieser Therapie profitieren könne. Einzelne Patienten hätten mehr als 5 Jahre überlebt. Nur 3 klinisch vergleichende Studien der Phase III seien bislang publiziert worden. Nur eine davon habe eine geringgradige Überlebenszeitverlängerung gezeigt. Der Sachverständige hat empfohlen, die Impfung mit dendritischen Zellen ausschließlich im Rahmen von klinisch-kontrollierten Studien durchzuführen, bis ein Effektivitätsnachweis in prospektiv-kontrollierten Studien vorliege.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakte zum Eilverfahren zum Az. S 6 KR 156/13 ER sowie auf die Prozessakten verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 09.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführte Vakzinationstherapie mit dendritischen Zellen in Höhe von 4.964,40EUR. Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Die Vorschrift bestimmt, dass die Krankenkasse, die eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung die entstandenen Kosten zu erstatten hat, soweit die Leistung notwendig war. Die Vorschrift sieht in Ergänzung des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ausnahmsweise Kostenerstattung vor, wenn der Versicherte sich eine Leistung auf eigene Kosten selbst beschaffen musste, weil sie von der Krankenkasse als Sachleistung wegen eines Mangels im Versorgungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. etwa BSG, Urt. v. 02.11.2007, - B 1 KR 14/07 R -; Urt. v. 14.12.2006, - B 1 KR 8/06 R -). Der hier allein in Betracht kommende Erstattungstatbestand des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V setzt die rechtswidrige Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und grundsätzlich auch einen Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Leistungsbeschaffung durch den Versicherten voraus. Die rechtswidrige Ablehnung der Leistung scheidet für solche (selbst beschaffte) Leistungen von vornherein aus, die von den Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung nicht zu erbringen sind. Der Kostenerstattungsanspruch gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB V reicht nämlich nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch.

Rechtsgrundlage des dem Kostenerstattungsanspruch zugrunde liegenden Leistungsanspruchs auf Gewährung ärztlicher Behandlung ist vorliegend § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB V) auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung bzw. Arzneimittelversorgung unterliegt den für alle Leistungsansprüche (§ 11 SGB V) geltenden allgemeinen Maßgaben der §§ 2, 12 SGB V. Gem. § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Gem. § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Versicherten erhalten die ihnen danach zustehenden Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V nichts anderes vorsieht.

Bei der Behandlung mit dendritischen Zellen handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V. Insoweit ist das dort geregelte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG, Urt. v. 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -) zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse grundsätzlich nur erbracht werden und gehören auch dann nur zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen (vgl. BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -), wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. An die Entscheidungen des Bundesausschusses sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R - m.w.N.). Ohne befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht. Die Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst "Methoden", also Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden (BSG, Urt. v. 19.10.2004, - B 1 KR 27/02 R -); dazu können ggf. auch über die bloße Verabreichung von Arzneimitteln hinausgehende Pharmakotherapien zählen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann jedoch ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V statuierten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt und des Fehlens einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde und damit ein "Systemversagen" vorliegt. Dann ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien nämlich rechtswidrig unterblieben, weshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (näher BSGE 81, 54 sowie BSG, Urt. v. 04.04.2006, - B 1 KR 12/05 R -). Auch bei Krankheiten, die wegen ihrer Seltenheit praktisch nicht systematisch erforschbar sind, muss die Behandlung aus dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht schon mangels entsprechender Empfehlung des Bundesausschusses ausscheiden (vgl. dazu BSGE 93,236). Nach der Rechtsprechung des BVerfG können sich (ansonsten nicht bestehende) Leistungsansprüche darüber hinaus auch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ergeben. In seinem Beschluss vom 06.12.2005 (- B 1 BvR 347/98 -) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar erklärt, einen gesetzlichen Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die zu einem solchen Ergebnis führende Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts sei in der extremen Situation krankheitsbedingter Lebensgefahr (im vom BVerfG entschiedenen Fall durch die Duchenne`sche Muskeldystrophie) verfassungswidrig. Das Bundessozialgericht hat diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und näher konkretisiert. Danach - so etwa BSG Urt. v. 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -; Urt. v. 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R - verstößt die Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt (1.) eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Krankheit - BSG, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/07 KR R -; Übersicht bei BSG, Urt. v. 05.05.2009, - B 1 KR 15/08 R -) vor. Für diese Krankheit steht (2.) eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Beim Versicherten besteht (3.) hinsichtlich der ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. In der seit 01.01.2012 geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG entwickelten Rechtgrundsätze zu grundrechtsfundierten Leistungsansprüchen in das SGB V aufgenommen. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende, insbesondere also eine in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (noch) nicht entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt. Für Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind die Maßgaben der genannten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG heranzuziehen (LSG Baden Würtemberg, Urteil vom 14.03.2012, - L 5 KR 5406/11 -). Davon ausgehend steht dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die am Universitätsklinikum Erlangen durchgeführte Behandlung mit dendritischen Zellen zu. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V sind erfüllt. Der Kläger hat sich die Behandlung seiner Krebserkrankung mit dendritischen Zellen in Erlangen ohne Missachtung des in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V vorgesehenen Beschaffungswegs selbst beschafft. Die Beklagte hat die Gewährung der beantragten Behandlung mit dendritischen Zellen auch zu Unrecht abgelehnt. Die Beklagte hätte dem Kläger die in Rede stehende Behandlung nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs als Sachleistung gewähren müssen. Der Kläger hatte Anspruch auf die Behandlung seiner Krebserkrankung mit dendritischen Zellen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Bei der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode i. S. d § 135 Abs. 1 SGB V; für diese ärztliche Leistung ist eine Leistungsposition im EBM nicht vorhanden. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses existiert nicht. Anhaltspunkte für ein so genanntes Systemversagen oder einen Seltenheitsfall liegen nicht vor. Der Leistungsanspruch ergibt sich jedoch nach Maßgabe der vom BVerfG (Beschl. v. 06.12.2005, - 1 BvR 347/98 -) vorgenommenen grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (jetzt: § 2 Abs. 1a SGB V). Die in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger leidet (unstreitig) an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, für die nach Ausschöpfung der Interferontherapie eine weitere alternative Behandlungsmöglichkeit nicht zur Verfügung steht. Damit ist vorliegend letztendlich ausschlaggebend, ob für die - konkrete - Erkrankung des Klägers mit dendritischen Zellen eine durch Indizien gestützte, nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, was im Falle des Klägers zu bejahen ist. Da für die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungskatalogs die Grundrechte des jeweiligen Versicherten und die diesem bei Verweigerung der Leistung im Einzelfall drohenden Grundrechtseingriffe bzw. Grundrechtsverletzungen maßgeblich sind, findet eine vom Einzelfall gelöste abstrakte Betrachtung, etwa im Sinne einer abstrakten wissenschaftlich-medizinischen Methodendiskussion, nicht statt. Hinsichtlich der beim Kläger angewandten Behandlung mit dendritischen Zellen besteht eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Der Anspruch des Versicherten auf Gewährung ärztlicher Behandlung (§§ 27, 28 SGB V) als Sachleistung im Wege der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs (bzw. jetzt nach Maßgabe des § 2 Abs. 1a SGB V) erfordert nach der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG nicht, dass die begehrte Behandlungsmethode bereits als Standard etabliert ist und dass ihre Wirksamkeit durch größere kontrollierte oder belastbare Studien (bereits) bewiesen ist oder dass sie Eingang in die klinische Routine gefunden hat. Ein grundrechtsfundierter (bzw. in § 2 Abs. 1a SGB V verankerter) Leitungsanspruch ist auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil die zuständige medizinische Fachgesellschaft - hier die Deutsche Krebsgesellschaft - die in Rede stehende Behandlungsmethode nicht als Therapie empfiehlt (a.A. LSG Hessen, Beschluss vom 28.03.2013 – L 8 KR 68/13 ZVW). Empfehlungen dieser Art haben tatsächliches Gewicht, jedoch keine den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nahekommende Ausschlusswirkung. Davon abgesehen hat die Deutsche Krebsgesellschaft die Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen in ihrer Stellungnahme vom 03.11.2011 zur Therapie von Tumorpatienten mit onkologischen Viren auch nicht allgemein abgelehnt, sondern darauf verwiesen, dass hinsichtlich der onkologischen Virentherapie - die der Krebsbehandlung mit dendritischen Zellen entspricht - bei in der Regel sehr guter Verträglichkeit in einzelnen Fällen eine gute Wirksamkeit dokumentiert worden ist. Bedenken werden vor allem in Hinblick auf (derzeit nicht) auszuschließende negative Auswirkungen geäußert. Die Deutsche Krebsgesellschaft empfiehlt die in Rede stehende Behandlung - immerhin - im Rahmen klinischer Studien. Ungeachtet des negativen Tenors sind der genannten Empfehlung damit - worauf alleine es für die Gewährung eines grundrechtsfundierten Leistungsanspruchs ankommt - (sogar) Indizien für eine nicht ganz fern liegende positive Wirkung der dendritischen Zellbehandlung zu entnehmen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2014 – L 11 KR 5016/12). Der gerichtliche Sachverständige Prof. D. hat zudem dargelegt, dass es sich im Falle des Klägers um eine Hochrisikokonstellation handele, für die im Einzelfall insofern keine überspannten Anforderungen an die Therapieprognose zu stellen sind. Die vorliegenden Erfahrungen belegen, dass es relativ sicher gelingt, die gewünschten immunologischen Effekte mit der Impfung mit dendritischen Zellen zu erzielen. Wenngleich die Patientenkollektive oft zu klein sind, um Vergleiche ziehen zu können und auch methodische Unterschiede dies nicht erlauben, so ist doch klar, dass zumindest ein Teil selbst im fortgeschrittenen Stadium von dieser Therapie profitieren kann. Diese Feststellungen reichen zur Überzeugung der Kammer aus, um Indizien für einen positiven Krankheitsverlauf durch die Behandlung zu begründen. Dass es sich bei diesen Studien in der großen Mehrheit um Phase-I/II-Studien mit kleinen Patientenkollektiven handelt, ist unerheblich. Im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs kommt es nicht auf einen - möglichst weitgehenden - Wirksamkeitsnachweis, sondern nur darauf an, ob eine nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf auf (bloße) Indizien gestützt werden kann. Außerdem liegen (immerhin) 2 randomisierte Phase-III-Studien zur Behandlung des Prostatakarzinoms mit dendritischen Zellen vor. Der indiziellen Wirkung dieser Studienergebnisse wird man nicht ohne Weiteres die Unterschiede der Tumorentitäten entgegenhalten dürfen (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2014 – L 11 KR 5016/12).

Die übrigen Voraussetzungen des vom Kläger verfolgten Erstattungsbegehrens sind erfüllt. Der Kläger hat die Behandlungskosten nach Maßgabe der Rechnung gezahlt und den Zahlungsanspruch erfüllt. Bedenken hinsichtlich der Höhe der Kosten sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.

Nach alledem musste die Klage Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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