L 11 BA 247/20 RG

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 BA 4036/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 BA 247/20 RG
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 09.01.2020 zum Aktenzeichen L 11 BA 4091/19 ER-B wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Der Antragsteller wendet sich mit der am 17.01.2020 erhobenen Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 09.01.2020 (Az L 11 BA 4091/19 ER-B), mit dem der Senat auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 30.10.2019 aufgehoben und den Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gegen den aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheid der Antragsgegnerin abgelehnt hat. Mit diesem Bescheid forderte die Antragsgegnerin Beiträge zur Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung für die Gesellschafter-Geschäftsführerin S. nach.

In der am 20.01.2020 eingegangen Begründung seiner Anhörungsrüge führt der Antragsteller aus, der Senat habe folgende Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Beschlusses unter II. nicht erörtert:

Demgegenüber steht, losgelöst von dem Umstand der Befreiung des § 181 BGB, entsprechende Regelung in zwei Darlehensverträgen, die in der Anlage in Kopie beigefügt werden. / Aus § 5 des Darlehensvertrages ergibt sich das Vetorecht der Darlehensgeberin, welches ein Zustimmungsrecht bei Investitionen, Aufnahme von Krediten, Personalentscheidungen, schlicht und ergreifend also eigentlich, wenn man die 9 Ziffern sich dort betrachtet, bei jeder Entscheidung der Gesellschaft gibt und somit ein Mitspracherecht.

Das Veto tauche nicht ein einziges Mal in dem Beschluss auf. Demgemäß habe sich der Senat mit dieser Fragestellung überhaupt nicht auseinandergesetzt. Der Antragsteller führt ferner unter Hinweis auf die Darlehensverträge aus, aus welchen Gründen diese seiner Ansicht nach dazu führen, dass die Geschäftsführerin S. maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft gehabt habe. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liege außerdem darin, dass der Senat keinen richterlichen Hinweis im Rahmen des § 139 ZPO erteilt habe, sich dahingehend zu äußern wie die tatsächlichen Verhältnisse bei dem Anstellungsverhältnis gewesen seien. Die umfangreichen Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 11.12.2019 seien nur zur Kenntnis übersandt worden, eine Stellungnahme sei freigestellt worden. Wäre klar gewesen, dass hier eine materiell-rechtliche Betrachtung im Beschwerdeverfahren erfolgen würde, dann hätte genau die Stellungnahme, die nun im Rahmen der Anhörungsrüge abgegeben werde, abgegeben werden können. Es wäre zu einer anderen Entscheidung gekommen. Insoweit handele es sich um eine überraschende Entscheidung. Es sei davon auszugehen gewesen, dass durch die Übersendung des Schriftsatzes der Antragsgegnerin der Senat mit dem Sozialgericht gehen würde. Das Sozialgericht habe sich aber zur Sache selbst in materiell-rechtlicher Hinsicht der Frage der Versicherungspflicht nicht geäußert, sondern die Problematik über § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) geregelt. Überraschende Entscheidungen stellten einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör dar. Das der Randnummer 39 der Entscheidung des BSG vom 29.06.2016, B 12 R 5/14 R entnommene Zitat des Senats sei nur zitiert worden, weil man den Darlehensvertrag nicht zur Kenntnis genommen habe. Es sei ausgeführt worden, dass dem der Berechnung zugrundeliegenden Gehalt auch steuer- und sozialversicherungsfreie Zuschüsse zur Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung enthalten waren, nicht den Unterlagen und Verträgen entnehmen lässt. Hätte man mal nachgefragt, dann wäre das anders ausgegangen. Hätte man die betroffenen Sozialversicherungsträger und die Gesellschafter beigeladen, hätte man erkannt, dass sie keinerlei Weisungen unterworfen gewesen seien, weil keine solchen ausgesprochen worden seien. Schließlich führt die Antragstellerin noch aus, welche Argumente aus ihrer Sicht gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen.

Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf die Akten zum hiesigen Verfahren als auch zum Verfahren L 11 BA 4091/19 ER-B Bezug genommen.

II.

Die Anhörungsrüge bleibt ohne Erfolg.

Die Anhörungsrüge ist nach § 178a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, da sich die Antragstellerin innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der angeblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 178a Abs 2 Satz 1 SGG) schriftlich (§ 178a Abs 2 Satz 4 SGG) gegen den Beschluss des Senats vom 09.01.2020 gewandt hat. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gemäß § 177 SGG nicht gegeben ist (§ 178a Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Die Antragstellerin hat zudem die angegriffene Entscheidung bezeichnet und geltend gemacht, dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs vorliege und diese Verletzung entscheidungserheblich sei (§ 178a Abs 2 Satz 6 SGG).

Die Anhörungsrüge ist jedoch unbegründet. Der Senat hat mit seiner Entscheidung vom 09.01.2020 den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

Die Rüge der Antragstellerin, der Senat habe sich mit den Darlehensverträgen bzw umfangreich gewährten Darlehen nicht befasst, begründet keine Gehörsverletzung. Allein die fehlende Erwähnung in dem Beschluss rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Senat die Argumente der Antragstellerin nicht zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hat. Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG 04.09.2008, 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07, BVerfGK 14, 238, 241 f = WM 2008, 2084 = juris Rn 13; BVerfG 20.02.2008, 1 BvR 2722/06, juris Rn 11; BSG 07.01.2016, B 9 V 4/15 C, juris Rn 8). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG 20.02.2008, 1 BvR 2722/06, juris Rn 11; BSG 07.01.2016, B 9 V 4/15 C, juris Rn 8).

Aber selbst wenn man eine Verletzung des rechtlichen Gehörs unterstellt, bleibt die Anhörungsrüge ohne Erfolg, denn hierdurch ergäbe sich keine andere Entscheidung in der Sache. Läge eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor, wäre weitere Voraussetzung für den Erfolg der Anhörungsrüge, dass die angegriffene Entscheidung auf dem Verstoß gegen Art 103 Abs 1 GG beruht. Von einem Beruhen kann dann ausgegangen werden, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass das Gericht ohne die Verletzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Auflage 2017, SGG § 178a Rn 5b).

Die Entscheidung beruht jedenfalls nicht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs. Der Senat hat in dem Beschluss vom 09.01.2020 ausgeführt:

Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist.

Der Senat weist klarstellend ausdrücklich darauf hin, dass die Darlehensverträge hieran nichts ändern. Auch unter deren (Mit-)Berücksichtigung resultiert keine umfassende Sperrminorität. Es ergibt sich hieraus keine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht (vgl hierzu auch BSG 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216-224 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24 = juris Rn 26).

Der Einwand der Überraschungsentscheidung greift ebenfalls nicht durch. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll ua verhindern, dass Beteiligte durch eine Entscheidung eines Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Auf neue bisher nicht berücksichtigte Tatsachen, rechtliche Aspekte oder neue Beweismittel muss das Gericht die Beteiligten so rechtzeitig hinweisen, dass diese Gelegenheit zur Stellungnahme haben (BSG 04.07.2013, B 2 U 79/13 B, SozR 4-1500 § 62 Nr 15 = juris Rn 5). Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs jedoch nicht vor. Die der Beschwerde der Antragsgegnerin stattgebenden Entscheidung zugrundliegenden Argumente insbesondere auch im Hinblick auf die angestellten materiell-rechtlichen Erwägungen waren im Wesentlichen bekannt. Die Argumente sind im Laufe des gesamten Verfahrens ausgetauscht worden. Sämtliche Umstände waren bekannt. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gesichtspunkte vorab mit den Beteiligten zu erörtern (BSG 04.07.2013, B 2 U 79/13 B, SozR 4-1500 § 62 Nr 15 = juris Rn 5). Auch gibt es keinen Grundsatz, dass eine Übersendung eines Schriftsatzes zur bloßen Kenntnisnahme und freigestellter Stellungnahme bereits bedeutet, dass sich das Gericht dem nicht anschließen möchte. Auch musste der Senat keine weiteren Ermittlungen anstellen. Wie in dem Beschluss vom 09.01.2020 dargelegt, erfolgt eine Aussetzung der Vollziehung ua, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Hierfür ist es erforderlich, dass ein Obsiegen des Antragstellers wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Bereits an diesem Maßstab wird deutlich, dass eine vollständige Aufklärung der Verhältnisse im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erforderlich ist.

Im Übrigen macht die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen den eigenen Rechtsstandpunkt geltend. Hierzu ist die Anhörungsrüge jedoch nicht eröffnet (Bayerisches LSG 22.08.2017, L 5 P 3/17 RG, juris Rn 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Antragstellerin hat insbesondere die Gerichtskosten iHv 60 EUR nach Nr 7400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz (GKG) zu tragen.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 178a Abs 4 Satz 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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