Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1145/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3835/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.10.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Die am.1966 geborene Klägerin war zuletzt bis März 2015 (siehe Reha-Entlassungsbericht Bl. 81 SG-Akte) als Paketsortiererin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem ist sie ohne Arbeit (Bl. 69 VA ÄT) und bezog bis Oktober 2016 Sozialleistungen. Der letzte Pflichtbeitrag wurde für Oktober 2016 entrichtet. Für die Folgezeit weist ihr Versicherungsverlauf freiwillige Beiträge bis Dezember 2018 und danach keine rentenrechtlichen Zeiten mehr aus. Hinsichtlich sämtlicher Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 27.07.2020 verwiesen (Bl. 151 ff. LSG-Akte).
Die Klägerin leidet in erster Linie an Erkrankungen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet sowie an einer Urticaria (Bl. 43 und 39 SG-Akte). Vom 20.05.2015 bis zum 02.06.2015 befand sie sich wegen Bandscheibenproblemen in stationärer Behandlung in der Klinik Bad B. , wo eine multimodale Schmerztherapie durchgeführt wurde (Bl. 17 ff. VA ÄT). Auf psychiatrischem Fachgebiet wurde hier eine rezidivierende depressive Störung und eine somatogene Schmerzstörung diagnostiziert und der Klägerin eine ambulante Psychotherapie empfohlen (Bl. 21 und 23 VA ÄT). Nach Beschwerdebesserung konnte die eingesetzte Schmerzmedikation im Verlauf reduziert und abgesetzt werden (Bl. 23 VA ÄT).
Vom 21.10.2015 bis zum 11.11.2015 befand sich die Klägerin in stationärer medizinischer Rehabilitation in der F. in der Abteilung Orthopädie (Bl. 80 ff. SG-Akte). Hier wurde neben einer Lumboischialgie links bei Bandscheibenvorfall auf Höhe L3/L4 und Bandscheibenprotrusionen auf Höhe L4/L5 und L5/S1 u.a. eine somatoforme Schmerzstörung, eine Omalgie beidseits mit Einschränkung der Beweglichkeit, eine Migräne sowie eine rezidivierende Gastritis und Adipositas diagnostiziert. Die Klägerin wurde mit einem nur noch unter dreistündigen Leistungsvermögen für eine Tätigkeit als Postangestellte, jedoch mit einem über sechsstündigen Leistungsvermögen für eine leichte Tätigkeit, überwiegend im Stehen, Sitzen und Gehen täglich entlassen, wobei sie keine Wirbelsäulenzwangshaltungen, kein Bücken, kein schweres Heben und Tragen, kein Knien, kein In-die-Hocke-Gehen, kein langes Gehen und Stehen sowie keine Überkopfarbeiten mehr ausüben könne.
Am 28.07.2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin durch den Internisten und Sozialmediziner Dr. L. begutachten (Bl. 67 ff. VA ÄT, Untersuchungstag 03.11.2016). Dieser diagnostizierte eine chronische Schmerzerkrankung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, wobei die Klägerin auf eine Therapie verzichte, (vorbefundlich) eine depressive Entwicklung, aktuell leichtgradig bei laufender ambulanter Psychotherapie und Verzicht auf medikamentöse Therapie, sowie eine hautärztlich (telefonisch) angegebene Nesselsucht bei aktuell unauffälligem Hautbefund (Bl. 73 VA ÄT). Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien der Klägerin sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Hierbei sollten qualitative Einschränkungen dahingehend beachtet werden, dass die Klägerin keine schweren und dauerhaft mittelschweren Tätigkeiten sowie Tätigkeiten mit erhöhten Belastungen des Bewegungsapparates insgesamt, insbesondere der Wirbelsäule und keine überdurchschnittlich psychischen Belastungen mehr ausüben könne.
Mit Bescheid vom 11.11.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mangels Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen ab und wies den erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017 zurück (Bl. 1 ff., 5 und 13 ff. Rechtsmittel-VA).
Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2017 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte und ihren Psychotherapeuten schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. hat mitgeteilt, dass die Klägerin an einer Fibromyalgie und einem algogenen Psychosyndrom leide und Hinweise auf eine Sinusitis bestünden. Die Leistungsfähigkeit sei durch ein Gutachten zu bewerten (Bl. 14 ff. SG-Akte). Der Facharzt für Allgemeinmedizin E. hat eine somatische Depression, eine Struma nodosa mit Hyperparathyreoidismus, eine Fibromyalgie, eine seronegative rheumatoide Polyarthritis sowie rezidivierende Lumbalgien mitgeteilt und die Leistungsfähigkeit der Klägerin für leichte Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden täglich eingeschätzt (Bl. 34 ff. SG-Akte). Der die Klägerin behandelnde Diplom-Psychologe und Psychologische Psychotherapeut M.-B. hat dem SG mitgeteilt, dass die Klägerin aktuell seit Februar 2012 wieder in seiner psychotherapeutischen Behandlung stehe. Er hat eine schwere rezidivierende depressive Störung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Fibromyalgie diagnostiziert. Die Klägerin sei nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig, wobei die Einschränkung der Leistungsfähigkeit durchgehend seit Frühjahr 2015 bestehe. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. hat eine schwere depressive Entwicklung sowie eine Schmerzstörung mitgeteilt und die Leistungsfähigkeit der Klägerin auf maximal drei Stunden täglich eingeschätzt (Bl. 76 ff. SG-Akte). Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie K. hat lediglich eine einmalige Behandlung der Klägerin im Juni 2017 mitgeteilt und einen Fersensporn links sowie den Verdacht auf einen Fersensporn rechts diagnostiziert. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin hat er nicht als eingeschränkt beschrieben.
Nach Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. L. (Bl. 94 SG-Akte) hat das SG ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. R. (Bl. 105 ff. SG-Akte) sowie ein orthopädisch-rheumatologisches Zusatzgutachten bei PD Dr. R. (Bl. 144 ff. SG-Akte) - Untersuchungstag jeweils 18.12.2017 - eingeholt. Dieser hat auf seinem Fachgebiet geringe bis mäßig nachweisbare Funktionseinschränkungen im Bereich von Hals und Schulter, geringe bis mäßig nachweisbare Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Rumpfwirbelsäule, Fußschmerzen der Fersen und Achillessehnen bei Ansatztendinose am Fersenbein mit radiologisch Sklerosierung und Tendinosis calcarea sowie geringem plantarem Fersensporn beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen, eine Fibromyalgie - DD myofasciales Schmerzsyndrom - mit geringer bis mäßiger Funktionseinschränkung der freien Kraftentfaltung der Muskulatur, Gonalgien rechts mehr als links ohne wesentliche degenerative Veränderungen und ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringe Arthrosen der Hüft- und Kreuzbein-Darmbeingelenke ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen beschrieben (exakte Diagnosen s. Bl. 198 ff. SG-Akte). Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von 6 bis 8 kg mit gelegentlichem Bücken und Knien, mit gelegentlichem Treppensteigen, Arbeiten im Freien - bei Nässe und Kälte mit Schutzkleidung -, grob- und feinmotorische Arbeiten mit beiden Händen, Arbeiten an Schalttafeln, Tastengeräten, Büromaschinen, Schreibmaschinen und Personalcomputern noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben, wobei die Tätigkeiten ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen und teilweise im Gehen verrichtet werden könnten (Bl. 200 SG-Akte). Aus orthopädisch-rheumatischer Sicht sei auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit nicht durch objektive Befunde zu begründen (Bl. 205 SG-Akte).
Prof. Dr. R. hat in seinem Gutachten eine leichte depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (in leichter Ausprägung, Bl. 133 SG-Akte) diagnostiziert (Bl. 139 SG-Akte) und die Leistungsfähigkeit der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt gesehen (Bl. 139 SG-Akte). Lediglich die qualitative Leistungsfähigkeit der Klägerin sei dahingehend eingeschränkt, dass sie keine Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, keine Tätigkeiten mit einem Heben und Tragen von Lasten über 8 kg mehr ausüben könne und die noch leidensgerechten Tätigkeiten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen unter Vermeidung von Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe und ohne Nachtschichten ausgeführt werden sollten (Bl. 139 f. SG-Akte).
Das SG hat die Klage u.a. gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. R. , das Zusatzgutachten des PD Dr. R. , den Entlassungsbericht der F. sowie das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. L. mit Urteil vom 09.10.2018 abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 26.10.2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und ausgeführt, dass Prof. Dr. R. bei einer zeitlichen Latenz von fünf Monaten zwischen Begutachtung und Gutachtenserstellung keinen persönlichen Eindruck von der Klägerin mehr im Kopf gehabt haben könne und seine Einschätzung auf einer Momentaufnahme beruhe und nicht den Längsschnitt der Erkrankung der Klägerin berücksichtige.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.10.2018 sowie den Bescheid vom 11.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.07.2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie den Inhalt des angefochtenen Urteils und hat mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung lediglich für den Eintritt eines Versicherungsfalles bis zum 30.11.2018 erfüllt seien (Bl. 20 LSG-Akte).
Nach Beiziehung von Behandlungsunterlagen des Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (u.a. Befundberichte vom 30.11.2017, 08.03.2018 und 12.03.2019, Bl. 27 ff. LSG-Akte) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt (Untersuchungstage 04.07. und 05.08.2019, Bl. 33 ff. LSG-Akte). Sie hat rezidivierende depressive Episoden mit Chronifizierungstendenzen bei zum Gutachtenszeitpunkt leichter depressiver Symptomatik, eine chronische somatoforme Schmerzstörung, Hinweise auf das Vorliegen einer neurotischen Fehlentwicklung mit histrionischen Persönlichkeitsanteilen, wobei Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne nicht erfüllt gewesen sind, einen umschriebenen Schmerz, ausgelöst durch degenerative LWS-Veränderungen mit Bandscheibenvorfall sowie Zeichen einer leichten Polyneuropathie (subjektiv ohne neuropathietypische Beschwerden) diagnostiziert (Bl. 69 f. LSG-Akte). Dr. H. hat ausgeführt, dass die qualitative Leistungsfähigkeit der Klägerin dahingegen eingeschränkt sei, dass sie nicht mehr in der Lage sei, schwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 8 kg zu bewältigen und sie keine Tätigkeiten mehr in monotoner Körperhaltung, mit Rückenbelastungen sowie Schicht- oder Nachtarbeit oder Tätigkeiten unter klimatisch ungünstigen Bedingungen, Zeitdruck oder erhöhter Stressbelastung sowie mit dem Erfordernis der Übernahme besonderer Verantwortung durchführen könne (Bl. 72 f. LSG-Akte), Erwerbsunfähigkeit jedoch (momentan noch) nicht vorliege (Bl. 73 LSG-Akte).
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt u.a. für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. B. eingeholt (Bl. 87 ff. LSG-Akte, Untersuchungstag 12.05.2020). Er hat u.a. eine schwere Konversionsneurose (Hysterie), eine mittelgradige depressive Episode bei sehr auffälligen Strukturmerkmalen, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, chronische Wirbelsäulenbeschwerden und chronische Gelenkbeschwerden bei bekannten degenerativen Veränderungen diagnostiziert (vollständige Diagnosen s. Bl. 113 LSG-Akte) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, irgendeine berufliche Tätigkeit auszuüben und auch die Wegefähigkeit nicht mehr vorhanden sei (Bl. 131 LSG-Akte). Die Leistungseinschränkung bestehe mindestens seit der Rentenantragstellung (Bl. 132 LSG-Akte).
Die Beklagte hat daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vorgelegt (Bl. 146 ff. LSG-Akte), in der er u.a. bemängelt hat, dass Prof. Dr. B. keine Konsistenzprüfung durchgeführt habe (Bl.147/RS LSG-Akte).
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen zumindest so lange weder voll noch teilweise erwerbsgemindert gewesen, wie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren. Ihr steht daher weder eine Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Voraussetzung für diesen Rentenanspruch ist nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI auch, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Zu Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen nach § 55 Abs. 2 SGB VI auch freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten (Nr. 1), oder (Nr. 2) Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten (dies betrifft insbesondere auch Pflichtbeiträge für Lohnersatzleistungen, vgl. § 3 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 3a SGB VI) oder Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat (Nr. 3). Dabei zählt ein nur zum Teil belegter Monat als voller Monat (§ 122 Abs. 1 SGB VI). Der Fünf-Jahres-Zeitraum endet gemäß § 26 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am Tag vor Eintritt der Erwerbsminderung, so dass vom Eintritt der Erwerbminderung zurückzurechnen ist.
Für die Klägerin wurden letztmals im Oktober 2016 Pflichtbeiträge entrichtet, so dass drei Jahre Pflichtbeiträge zuletzt in dem Fünfjahreszeitraum vom 30.11.2013 bis 29.11.2018 vorgelegen haben und somit die Erwerbsminderung der Klägerin spätestens am 30.11.2018 hätte eingetreten sein müssen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Die von der Klägerin von Dezember 2016 bis Dezember 2018 entrichteten freiwilligen Beiträge finden bei dieser Berechnung keine Berücksichtigung, da § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI nur diejenigen freiwilligen Beiträge den Pflichtbeiträgen gleichstellt, die nach besonderen Vorschriften als Pflichtbeiträge gelten, so z.B. nach § 205 Abs. 1 Satz 3 SGB VI und § 11 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Hingegen stehen "normale" freiwillige Beiträge, die nach § 7 SGB VI gezahlt wurden, den Pflichtbeiträgen i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI nicht gleich (Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 110. EL, Juli 2020, § 55 SGB VI Rdnr. 14; Flecks in jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013 - Stand 29.11.2019 -, § 55 SGB VI Rdnr. 31.1).
Bis zum 30.11.2018 hat bei der Klägerin jedoch keine Erwerbsminderung vorgelegen. Sowohl nach den vom SG eingeholten Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. und PD Dr. R. (Untersuchungsdatum jeweils der 18.12.2017) sowie dem vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten der Dr. H. (Untersuchungsdatum 04.07.2019 und 05.08.2019) und dem bereits im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten des Dr. L. (Untersuchungstag 03.11.2016) ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert gewesen. Diesen Einschätzungen schließt sich der Senat nach eigener Überzeugungsbildung an. Dagegen ist die Beurteilung von Prof. Dr. B. im Mai 2020 nicht überzeugend und datiert ohnehin nach dem letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
Dr. L. diagnostizierte eine chronische Schmerzerkrankung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, vorbefundlich eine depressive Entwicklung, aktuell leichtgradig bei laufender ambulanter Psychotherapie sowie eine hautärztlich angegebene Nesselsucht bei aktuell unauffälligem Hautbefund (Bl. 73 VA ÄT). Diese Diagnosen korrespondieren mit den von ihm erhobenen Befunden (Bl. 70 ff. VA ÄT) und seiner Leistungseinschätzung, wonach die Klägerin in der Lage gewesen ist, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden täglich und mehr unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (keine schweren und dauerhaft mittelschweren Tätigkeiten sowie solche mit erhöhten Belastungen des Bewegungsapparates insgesamt, insbesondere der Wirbelsäule, und überdurchschnittlich psychischen Belastungen) auszuüben.
Die Einschätzung des Dr. L. wird bestätigt durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. R. sowie das Zusatzgutachten des PD Dr. R ...
PD Dr. R. hat auf seinem Fachgebiet geringe bis mäßig nachweisbare Funktionseinschränkungen im Bereich von Hals und Schulter, geringe bis mäßig nachweisbare Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Rumpfwirbelsäule, Fußschmerzen der Fersen und Achillessehnen bei Ansatztendinose am Fersenbein mit radiologisch Sklerosierung und Tendinosis calcarea sowie geringem plantarem Fersensporn beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen, eine Fibromyalgie - DD myofasciales Schmerzsyndrom - mit geringer bis mäßiger Funktionseinschränkung der freien Kraftentfaltung der Muskulatur, Gonalgien rechts mehr als links ohne wesentliche degenerative Veränderungen und ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringe Arthrosen der Hüft- und Kreuzbein-Darmbeingelenke ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen beschrieben (exakte Diagnosen s. Bl. 198 ff. SG-Akte). Hinweise auf eine entzündliche rheumatische Gelenkerkrankung oder eine schwerwiegende Polyarthrose haben sich weder anhand der körperlichen Untersuchung, noch der Röntgenbefunde und auch nicht anhand der Laborbefunde ergeben (Bl. 197 SG-Akte). Insgesamt hat PD Dr. R. somit auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet keine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin festzustellen vermocht (Bl. 202 SG-Akte), sondern hat lediglich qualitative Leistungseinschränkungen beschrieben (Bl. 200 SG-Akte). Danach ist die Klägerin noch in der Lage gewesen, leichte Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von 6 bis 8 kg mit gelegentlichem Bücken und Knien, mit gelegentlichem Treppensteigen, Arbeiten im Freien - bei Nässe und Kälte mit Schutzkleidung -, grob- und feinmotorische Arbeiten mit beiden Händen, Arbeiten an Schalttafeln, Tastengeräten, Büromaschinen, Schreibmaschinen und Personalcomputern noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben, ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen und teilweise im Gehen (Bl. 200 SG-Akte).
Eine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin hat auch Prof. Dr. R. auf neurologisch-psychiatrischem und schmerzmedizinischem Fachgebiet nicht bestätigt. Er hat lediglich eine leichte depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (in leichter Ausprägung, Bl. 133 SG-Akte) diagnostiziert (Bl. 139 SG-Akte) und die Leistungsfähigkeit der Klägerin lediglich in qualitativer Hinsicht, nämlich dahingehend eingeschränkt beschrieben, als sie keine Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, keine Tätigkeiten mit einem Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, keine Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe und Nachtschichten mehr ausüben kann. Die noch leidensgerechten Tätigkeiten sind vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen durchzuführen (Bl. 139 f. SG-Akte).
Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung bemängelt hat, Prof. Dr. R. habe sein Gutachten erst fünf Monate nach der Begutachtung erstellt und somit keinen persönlichen Eindruck von der Klägerin mehr im Kopf gehabt, so verkennt sie zum einen, dass Gutachter üblicherweise über eine umfangreiche Dokumentation ihrer Exploration verfügen, zum anderen, dass auch diese Kritik nicht zu Befunden führt, die eine quantitative Leistungsminderung begründen könnten. Soweit sie außerdem bemängelt, die Einschätzung von Prof. Dr. R. beruhe auf einer Momentaufnahme und nicht auf einem Längsschnitt ihrer Erkrankung, verkennt sie abermals, dass auch diese Argumentation nicht zu gutachtlichen Befunden führt, die eine quantitative Leistungsminderung rechtfertigen und zudem auch Dr. H. im Sommer 2019 keine derartigen Befunde erhoben hat, weshalb keine Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, lediglich zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. R. sei es der Klägerin besser gegangen.
Die Leistungseinschätzungen der Sachverständigen PD Dr. R. und Prof. Dr. R. werden bestätigt durch das vom Senat von Amts wegen eingeholte neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten der Dr. H ... Sie hat die Klägerin im Juli und August 2019 - also bereits mehrere Monate nach dem letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung - untersucht und ebenfalls keine quantitative Leistungseinschränkung gesehen. Dr. H. hat rezidivierende depressive Episoden mit zum Gutachtenszeitpunkt leichter depressiver Symptomatik, eine somatoforme Schmerzstörung, Hinweise auf eine neurotische Fehlentwicklung mit histrionischen Persönlichkeitsanteilen, einen lumboischialgieformen Schmerz und Zeichen einer leichten Polyneuropathie, subjektiv jedoch ohne neuropathietypische Beschwerden, diagnostiziert (Bl. 69 f. LSG-Akte) und hieraus gleichfalls lediglich qualitative, nicht jedoch quantitative Leistungseinschränkungen abgeleitet. Dr. H. hat die Klägerin nicht mehr in der Lage gesehen, schwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, in monotoner Körperhaltung, mit Rückenbelastungen, mit Schicht- sowie Nachtarbeit, unter klimatisch ungünstigen Bedingungen sowie unter Zeitdruck oder erhöhter Stressbelastung zu bewältigen (Bl. 72 f. LSG-Akte).
Hieran vermag das auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG von Prof. Dr. B. anlässlich seiner Untersuchung im Mai 2020 erstellte Sachverständigengutachten nichts zu ändern, denn die von ihm mitgeteilte Einschränkung der zeitlichen Leistungsfähigkeit steht im Widerspruch zu den von ihm mehrfach beschriebenen massiven Aggravations- und Demonstrationstendenzen (Bl. 105, 108, 111 und 112 LSG-Akte), die sich auch in dem von ihm durchgeführten Beschwerdevalidierungstest bestätigt haben (Bl. 107 LSG-Akte). Das hat Dr. N. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme von Juni 2020 (Bl. 146 f. LSG-Akte) anschaulich herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund ist es für den Senat - ebenso wenig wie für Dr. N. - nachvollziehbar, wenn Prof. Dr. B. in seiner zusammenfassenden Leistungsbeurteilung, die "manifesten Fehlhaltungen" der Klägerin ihrem ihr selbst nicht "zugänglichen Bewusstsein" zuordnet und die Aggravations- und Simulationstendenzen diesen gegenüber als untergeordnet betrachtet (Bl. 129 LSG-Akte). Soweit er diese Einschätzung mit der Diagnose einer hysterischen Neurose zu begründen versucht (Bl. 124 f., 129 LSG-Akte), hat Dr. N. zu Recht darauf hingewiesen, dass die Aktenlage eine derartige Diagnose nicht stützt und auch nicht klar ist, wie eine aggravatorisch und/oder simulativ präsentierte Symptomatik zuverlässig von den Krankheitsentitäten einer dissoziativen Störung oder einer Persönlichkeitsvariante mit histrionischer Prägung zu trennen sein soll (Bl. 146/RS LSG-Akte). Die Leistungseinschätzung des Prof. Dr. B. ist daher nicht überzeugend.
Unabhängig von der Richtigkeit der Leistungseinschätzung des Prof. Dr. B. , haben zum Zeitpunkt seiner Begutachtung im Mai 2020 jedenfalls die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bereits seit mehr als 17 Monaten nicht mehr vorgelegen. Wie bereits ausgeführt, sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung letztmals bei Eintritt des Leistungsfalls am 30.11.2018 erfüllt gewesen. Soweit Prof. Dr. B. davon ausgegangen ist, dass die Erwerbsminderung der Klägerin mindestens bereits seit Rentenantragstellung im Juli 2016 bestehe (Bl. 132 LSG-Akte), so ist dies weder mit dem Gutachtensergebnis des Dr. L. von November 2016, den seitens der Klägerin gegenüber Dr. L. gemachten anamnestischen Angaben über die noch ausgeübten Tätigkeiten und Aktivitäten (kochen, spülen, putzen, Wäsche waschen, alleine einkaufen, Pkw fahren, vierwöchige Reise in die Türkei im August 2016, regelmäßiger telefonischer Kontakt zu fünf bis sechs Freundinnen, Bl. 69 VA ÄT), noch mit den im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens von Amts wegen eingeholten Gutachten von Prof. Dr. R. , PD Dr. R. und Dr. H. in Einklang zu bringen. Prof. Dr. B. hat auch keine Begründung für den von ihm angenommenen Zeitpunkt des angeblichen Eintritts der Leistungsminderung gebracht (s. Bl. 132 LSG-Akte).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den sachverständigen Zeugenauskünften der die Klägerin behandelnden Ärzte. Dr. W. hat in seiner Zeugenauskunft gegenüber dem SG ausdrücklich auf eine gutachterliche Untersuchung verwiesen (Bl. 15 SG-Akte). Soweit die behandelnden Ärzte E. (Bl. 34 SG-Akte) und Dr. H. (Bl. 76 SG-Akte) und der Diplom-Psychologe M.-B. (Bl. 57 ff. SG-Akte) die von ihnen behauptete Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit auf Konzentrationsschwächen, eine Einschränkung des Durchhaltevermögens und einer Denkverlangsamung zurückführen, so haben sich derartige Beeinträchtigungen weder im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. R. noch durch die Begutachtung von Dr. H. bestätigt und werden nicht einmal von Prof. Dr. B. beschrieben.
Der Verweis der Klägerin auf die Einschätzungen des behandelnden Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. und des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten M.-B. führen ebenso wenig zu einem anderen Ergebnis. Der Diplom-Psychologe und Psychologische Psychotherapeut M.-B. hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft gegenüber dem SG bereits keine klinischen Befunde mitgeteilt, sondern die Beschwerdeangaben der Klägerin wiederholt (s. Bl. 58 SG-Akte). Dr. H. hat dem SG zwar Befunde mitgeteilt (s. Bl. 76 SG-Akte), die auch auf eine depressive Entwicklung hindeuten (s. auch Stellungnahme Dr. L. , Bl. 94/RS SG-Akte). Diese Befunde haben sich jedoch weder im Rahmen der Begutachtung durch Dr. L. - dieser ist als Sozialmediziner entgegen der Auffassung der Klägerin auch in der Lage, einen orientierenden psychischen Befund zu erheben und diesen zu bewerten (s.o.) -, noch der durch Prof. Dr. R. und auch nicht der durch Dr. H. bestätigt. Dr. L. und Dr. H. haben daher zu Recht die von Dr. H. vorgenommene abweichende Leistungseinschätzung der Besonderheit der Arzt-Patienten-Beziehung zugerechnet (s. Bl. 94/RS SG-Akte, Bl. 75 LSG-Akte).
Auch die von Prof. Dr. B. angenommene Unfähigkeit der Klägerin, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 m innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen zu können (Bl. 131 f. LSG-Akte), führt nicht zu einem Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Denn einerseits hat außer Prof. Dr. B. keiner der Gutachter eine Einschränkung der Wegefähigkeit gesehen (Bl. 142 und 205 SG-Akte, Bl. 73 LSG-Akte). Andererseits haben die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. B. nicht mehr vorgelegen (hierzu s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Die am.1966 geborene Klägerin war zuletzt bis März 2015 (siehe Reha-Entlassungsbericht Bl. 81 SG-Akte) als Paketsortiererin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem ist sie ohne Arbeit (Bl. 69 VA ÄT) und bezog bis Oktober 2016 Sozialleistungen. Der letzte Pflichtbeitrag wurde für Oktober 2016 entrichtet. Für die Folgezeit weist ihr Versicherungsverlauf freiwillige Beiträge bis Dezember 2018 und danach keine rentenrechtlichen Zeiten mehr aus. Hinsichtlich sämtlicher Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 27.07.2020 verwiesen (Bl. 151 ff. LSG-Akte).
Die Klägerin leidet in erster Linie an Erkrankungen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet sowie an einer Urticaria (Bl. 43 und 39 SG-Akte). Vom 20.05.2015 bis zum 02.06.2015 befand sie sich wegen Bandscheibenproblemen in stationärer Behandlung in der Klinik Bad B. , wo eine multimodale Schmerztherapie durchgeführt wurde (Bl. 17 ff. VA ÄT). Auf psychiatrischem Fachgebiet wurde hier eine rezidivierende depressive Störung und eine somatogene Schmerzstörung diagnostiziert und der Klägerin eine ambulante Psychotherapie empfohlen (Bl. 21 und 23 VA ÄT). Nach Beschwerdebesserung konnte die eingesetzte Schmerzmedikation im Verlauf reduziert und abgesetzt werden (Bl. 23 VA ÄT).
Vom 21.10.2015 bis zum 11.11.2015 befand sich die Klägerin in stationärer medizinischer Rehabilitation in der F. in der Abteilung Orthopädie (Bl. 80 ff. SG-Akte). Hier wurde neben einer Lumboischialgie links bei Bandscheibenvorfall auf Höhe L3/L4 und Bandscheibenprotrusionen auf Höhe L4/L5 und L5/S1 u.a. eine somatoforme Schmerzstörung, eine Omalgie beidseits mit Einschränkung der Beweglichkeit, eine Migräne sowie eine rezidivierende Gastritis und Adipositas diagnostiziert. Die Klägerin wurde mit einem nur noch unter dreistündigen Leistungsvermögen für eine Tätigkeit als Postangestellte, jedoch mit einem über sechsstündigen Leistungsvermögen für eine leichte Tätigkeit, überwiegend im Stehen, Sitzen und Gehen täglich entlassen, wobei sie keine Wirbelsäulenzwangshaltungen, kein Bücken, kein schweres Heben und Tragen, kein Knien, kein In-die-Hocke-Gehen, kein langes Gehen und Stehen sowie keine Überkopfarbeiten mehr ausüben könne.
Am 28.07.2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin durch den Internisten und Sozialmediziner Dr. L. begutachten (Bl. 67 ff. VA ÄT, Untersuchungstag 03.11.2016). Dieser diagnostizierte eine chronische Schmerzerkrankung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, wobei die Klägerin auf eine Therapie verzichte, (vorbefundlich) eine depressive Entwicklung, aktuell leichtgradig bei laufender ambulanter Psychotherapie und Verzicht auf medikamentöse Therapie, sowie eine hautärztlich (telefonisch) angegebene Nesselsucht bei aktuell unauffälligem Hautbefund (Bl. 73 VA ÄT). Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien der Klägerin sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Hierbei sollten qualitative Einschränkungen dahingehend beachtet werden, dass die Klägerin keine schweren und dauerhaft mittelschweren Tätigkeiten sowie Tätigkeiten mit erhöhten Belastungen des Bewegungsapparates insgesamt, insbesondere der Wirbelsäule und keine überdurchschnittlich psychischen Belastungen mehr ausüben könne.
Mit Bescheid vom 11.11.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mangels Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen ab und wies den erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017 zurück (Bl. 1 ff., 5 und 13 ff. Rechtsmittel-VA).
Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2017 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat zunächst die die Klägerin behandelnden Ärzte und ihren Psychotherapeuten schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. hat mitgeteilt, dass die Klägerin an einer Fibromyalgie und einem algogenen Psychosyndrom leide und Hinweise auf eine Sinusitis bestünden. Die Leistungsfähigkeit sei durch ein Gutachten zu bewerten (Bl. 14 ff. SG-Akte). Der Facharzt für Allgemeinmedizin E. hat eine somatische Depression, eine Struma nodosa mit Hyperparathyreoidismus, eine Fibromyalgie, eine seronegative rheumatoide Polyarthritis sowie rezidivierende Lumbalgien mitgeteilt und die Leistungsfähigkeit der Klägerin für leichte Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden täglich eingeschätzt (Bl. 34 ff. SG-Akte). Der die Klägerin behandelnde Diplom-Psychologe und Psychologische Psychotherapeut M.-B. hat dem SG mitgeteilt, dass die Klägerin aktuell seit Februar 2012 wieder in seiner psychotherapeutischen Behandlung stehe. Er hat eine schwere rezidivierende depressive Störung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Fibromyalgie diagnostiziert. Die Klägerin sei nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig, wobei die Einschränkung der Leistungsfähigkeit durchgehend seit Frühjahr 2015 bestehe. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. hat eine schwere depressive Entwicklung sowie eine Schmerzstörung mitgeteilt und die Leistungsfähigkeit der Klägerin auf maximal drei Stunden täglich eingeschätzt (Bl. 76 ff. SG-Akte). Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie K. hat lediglich eine einmalige Behandlung der Klägerin im Juni 2017 mitgeteilt und einen Fersensporn links sowie den Verdacht auf einen Fersensporn rechts diagnostiziert. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin hat er nicht als eingeschränkt beschrieben.
Nach Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. L. (Bl. 94 SG-Akte) hat das SG ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. R. (Bl. 105 ff. SG-Akte) sowie ein orthopädisch-rheumatologisches Zusatzgutachten bei PD Dr. R. (Bl. 144 ff. SG-Akte) - Untersuchungstag jeweils 18.12.2017 - eingeholt. Dieser hat auf seinem Fachgebiet geringe bis mäßig nachweisbare Funktionseinschränkungen im Bereich von Hals und Schulter, geringe bis mäßig nachweisbare Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Rumpfwirbelsäule, Fußschmerzen der Fersen und Achillessehnen bei Ansatztendinose am Fersenbein mit radiologisch Sklerosierung und Tendinosis calcarea sowie geringem plantarem Fersensporn beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen, eine Fibromyalgie - DD myofasciales Schmerzsyndrom - mit geringer bis mäßiger Funktionseinschränkung der freien Kraftentfaltung der Muskulatur, Gonalgien rechts mehr als links ohne wesentliche degenerative Veränderungen und ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringe Arthrosen der Hüft- und Kreuzbein-Darmbeingelenke ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen beschrieben (exakte Diagnosen s. Bl. 198 ff. SG-Akte). Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von 6 bis 8 kg mit gelegentlichem Bücken und Knien, mit gelegentlichem Treppensteigen, Arbeiten im Freien - bei Nässe und Kälte mit Schutzkleidung -, grob- und feinmotorische Arbeiten mit beiden Händen, Arbeiten an Schalttafeln, Tastengeräten, Büromaschinen, Schreibmaschinen und Personalcomputern noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben, wobei die Tätigkeiten ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen und teilweise im Gehen verrichtet werden könnten (Bl. 200 SG-Akte). Aus orthopädisch-rheumatischer Sicht sei auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit nicht durch objektive Befunde zu begründen (Bl. 205 SG-Akte).
Prof. Dr. R. hat in seinem Gutachten eine leichte depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (in leichter Ausprägung, Bl. 133 SG-Akte) diagnostiziert (Bl. 139 SG-Akte) und die Leistungsfähigkeit der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in zeitlicher Hinsicht nicht eingeschränkt gesehen (Bl. 139 SG-Akte). Lediglich die qualitative Leistungsfähigkeit der Klägerin sei dahingehend eingeschränkt, dass sie keine Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, keine Tätigkeiten mit einem Heben und Tragen von Lasten über 8 kg mehr ausüben könne und die noch leidensgerechten Tätigkeiten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen unter Vermeidung von Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe und ohne Nachtschichten ausgeführt werden sollten (Bl. 139 f. SG-Akte).
Das SG hat die Klage u.a. gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. R. , das Zusatzgutachten des PD Dr. R. , den Entlassungsbericht der F. sowie das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. L. mit Urteil vom 09.10.2018 abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 26.10.2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und ausgeführt, dass Prof. Dr. R. bei einer zeitlichen Latenz von fünf Monaten zwischen Begutachtung und Gutachtenserstellung keinen persönlichen Eindruck von der Klägerin mehr im Kopf gehabt haben könne und seine Einschätzung auf einer Momentaufnahme beruhe und nicht den Längsschnitt der Erkrankung der Klägerin berücksichtige.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.10.2018 sowie den Bescheid vom 11.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.07.2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie den Inhalt des angefochtenen Urteils und hat mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung lediglich für den Eintritt eines Versicherungsfalles bis zum 30.11.2018 erfüllt seien (Bl. 20 LSG-Akte).
Nach Beiziehung von Behandlungsunterlagen des Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (u.a. Befundberichte vom 30.11.2017, 08.03.2018 und 12.03.2019, Bl. 27 ff. LSG-Akte) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt (Untersuchungstage 04.07. und 05.08.2019, Bl. 33 ff. LSG-Akte). Sie hat rezidivierende depressive Episoden mit Chronifizierungstendenzen bei zum Gutachtenszeitpunkt leichter depressiver Symptomatik, eine chronische somatoforme Schmerzstörung, Hinweise auf das Vorliegen einer neurotischen Fehlentwicklung mit histrionischen Persönlichkeitsanteilen, wobei Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne nicht erfüllt gewesen sind, einen umschriebenen Schmerz, ausgelöst durch degenerative LWS-Veränderungen mit Bandscheibenvorfall sowie Zeichen einer leichten Polyneuropathie (subjektiv ohne neuropathietypische Beschwerden) diagnostiziert (Bl. 69 f. LSG-Akte). Dr. H. hat ausgeführt, dass die qualitative Leistungsfähigkeit der Klägerin dahingegen eingeschränkt sei, dass sie nicht mehr in der Lage sei, schwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 8 kg zu bewältigen und sie keine Tätigkeiten mehr in monotoner Körperhaltung, mit Rückenbelastungen sowie Schicht- oder Nachtarbeit oder Tätigkeiten unter klimatisch ungünstigen Bedingungen, Zeitdruck oder erhöhter Stressbelastung sowie mit dem Erfordernis der Übernahme besonderer Verantwortung durchführen könne (Bl. 72 f. LSG-Akte), Erwerbsunfähigkeit jedoch (momentan noch) nicht vorliege (Bl. 73 LSG-Akte).
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt u.a. für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. B. eingeholt (Bl. 87 ff. LSG-Akte, Untersuchungstag 12.05.2020). Er hat u.a. eine schwere Konversionsneurose (Hysterie), eine mittelgradige depressive Episode bei sehr auffälligen Strukturmerkmalen, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, chronische Wirbelsäulenbeschwerden und chronische Gelenkbeschwerden bei bekannten degenerativen Veränderungen diagnostiziert (vollständige Diagnosen s. Bl. 113 LSG-Akte) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, irgendeine berufliche Tätigkeit auszuüben und auch die Wegefähigkeit nicht mehr vorhanden sei (Bl. 131 LSG-Akte). Die Leistungseinschränkung bestehe mindestens seit der Rentenantragstellung (Bl. 132 LSG-Akte).
Die Beklagte hat daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vorgelegt (Bl. 146 ff. LSG-Akte), in der er u.a. bemängelt hat, dass Prof. Dr. B. keine Konsistenzprüfung durchgeführt habe (Bl.147/RS LSG-Akte).
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen zumindest so lange weder voll noch teilweise erwerbsgemindert gewesen, wie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren. Ihr steht daher weder eine Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Voraussetzung für diesen Rentenanspruch ist nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI auch, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Zu Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen nach § 55 Abs. 2 SGB VI auch freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten (Nr. 1), oder (Nr. 2) Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten (dies betrifft insbesondere auch Pflichtbeiträge für Lohnersatzleistungen, vgl. § 3 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 3a SGB VI) oder Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat (Nr. 3). Dabei zählt ein nur zum Teil belegter Monat als voller Monat (§ 122 Abs. 1 SGB VI). Der Fünf-Jahres-Zeitraum endet gemäß § 26 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am Tag vor Eintritt der Erwerbsminderung, so dass vom Eintritt der Erwerbminderung zurückzurechnen ist.
Für die Klägerin wurden letztmals im Oktober 2016 Pflichtbeiträge entrichtet, so dass drei Jahre Pflichtbeiträge zuletzt in dem Fünfjahreszeitraum vom 30.11.2013 bis 29.11.2018 vorgelegen haben und somit die Erwerbsminderung der Klägerin spätestens am 30.11.2018 hätte eingetreten sein müssen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Die von der Klägerin von Dezember 2016 bis Dezember 2018 entrichteten freiwilligen Beiträge finden bei dieser Berechnung keine Berücksichtigung, da § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI nur diejenigen freiwilligen Beiträge den Pflichtbeiträgen gleichstellt, die nach besonderen Vorschriften als Pflichtbeiträge gelten, so z.B. nach § 205 Abs. 1 Satz 3 SGB VI und § 11 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Hingegen stehen "normale" freiwillige Beiträge, die nach § 7 SGB VI gezahlt wurden, den Pflichtbeiträgen i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI nicht gleich (Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 110. EL, Juli 2020, § 55 SGB VI Rdnr. 14; Flecks in jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013 - Stand 29.11.2019 -, § 55 SGB VI Rdnr. 31.1).
Bis zum 30.11.2018 hat bei der Klägerin jedoch keine Erwerbsminderung vorgelegen. Sowohl nach den vom SG eingeholten Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R. und PD Dr. R. (Untersuchungsdatum jeweils der 18.12.2017) sowie dem vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten der Dr. H. (Untersuchungsdatum 04.07.2019 und 05.08.2019) und dem bereits im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten des Dr. L. (Untersuchungstag 03.11.2016) ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert gewesen. Diesen Einschätzungen schließt sich der Senat nach eigener Überzeugungsbildung an. Dagegen ist die Beurteilung von Prof. Dr. B. im Mai 2020 nicht überzeugend und datiert ohnehin nach dem letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
Dr. L. diagnostizierte eine chronische Schmerzerkrankung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, vorbefundlich eine depressive Entwicklung, aktuell leichtgradig bei laufender ambulanter Psychotherapie sowie eine hautärztlich angegebene Nesselsucht bei aktuell unauffälligem Hautbefund (Bl. 73 VA ÄT). Diese Diagnosen korrespondieren mit den von ihm erhobenen Befunden (Bl. 70 ff. VA ÄT) und seiner Leistungseinschätzung, wonach die Klägerin in der Lage gewesen ist, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden täglich und mehr unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (keine schweren und dauerhaft mittelschweren Tätigkeiten sowie solche mit erhöhten Belastungen des Bewegungsapparates insgesamt, insbesondere der Wirbelsäule, und überdurchschnittlich psychischen Belastungen) auszuüben.
Die Einschätzung des Dr. L. wird bestätigt durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. R. sowie das Zusatzgutachten des PD Dr. R ...
PD Dr. R. hat auf seinem Fachgebiet geringe bis mäßig nachweisbare Funktionseinschränkungen im Bereich von Hals und Schulter, geringe bis mäßig nachweisbare Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Rumpfwirbelsäule, Fußschmerzen der Fersen und Achillessehnen bei Ansatztendinose am Fersenbein mit radiologisch Sklerosierung und Tendinosis calcarea sowie geringem plantarem Fersensporn beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen, eine Fibromyalgie - DD myofasciales Schmerzsyndrom - mit geringer bis mäßiger Funktionseinschränkung der freien Kraftentfaltung der Muskulatur, Gonalgien rechts mehr als links ohne wesentliche degenerative Veränderungen und ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringe Arthrosen der Hüft- und Kreuzbein-Darmbeingelenke ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen beschrieben (exakte Diagnosen s. Bl. 198 ff. SG-Akte). Hinweise auf eine entzündliche rheumatische Gelenkerkrankung oder eine schwerwiegende Polyarthrose haben sich weder anhand der körperlichen Untersuchung, noch der Röntgenbefunde und auch nicht anhand der Laborbefunde ergeben (Bl. 197 SG-Akte). Insgesamt hat PD Dr. R. somit auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet keine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin festzustellen vermocht (Bl. 202 SG-Akte), sondern hat lediglich qualitative Leistungseinschränkungen beschrieben (Bl. 200 SG-Akte). Danach ist die Klägerin noch in der Lage gewesen, leichte Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von 6 bis 8 kg mit gelegentlichem Bücken und Knien, mit gelegentlichem Treppensteigen, Arbeiten im Freien - bei Nässe und Kälte mit Schutzkleidung -, grob- und feinmotorische Arbeiten mit beiden Händen, Arbeiten an Schalttafeln, Tastengeräten, Büromaschinen, Schreibmaschinen und Personalcomputern noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben, ständig im Sitzen, überwiegend im Stehen und teilweise im Gehen (Bl. 200 SG-Akte).
Eine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin hat auch Prof. Dr. R. auf neurologisch-psychiatrischem und schmerzmedizinischem Fachgebiet nicht bestätigt. Er hat lediglich eine leichte depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (in leichter Ausprägung, Bl. 133 SG-Akte) diagnostiziert (Bl. 139 SG-Akte) und die Leistungsfähigkeit der Klägerin lediglich in qualitativer Hinsicht, nämlich dahingehend eingeschränkt beschrieben, als sie keine Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, keine Tätigkeiten mit einem Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, keine Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe und Nachtschichten mehr ausüben kann. Die noch leidensgerechten Tätigkeiten sind vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen durchzuführen (Bl. 139 f. SG-Akte).
Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung bemängelt hat, Prof. Dr. R. habe sein Gutachten erst fünf Monate nach der Begutachtung erstellt und somit keinen persönlichen Eindruck von der Klägerin mehr im Kopf gehabt, so verkennt sie zum einen, dass Gutachter üblicherweise über eine umfangreiche Dokumentation ihrer Exploration verfügen, zum anderen, dass auch diese Kritik nicht zu Befunden führt, die eine quantitative Leistungsminderung begründen könnten. Soweit sie außerdem bemängelt, die Einschätzung von Prof. Dr. R. beruhe auf einer Momentaufnahme und nicht auf einem Längsschnitt ihrer Erkrankung, verkennt sie abermals, dass auch diese Argumentation nicht zu gutachtlichen Befunden führt, die eine quantitative Leistungsminderung rechtfertigen und zudem auch Dr. H. im Sommer 2019 keine derartigen Befunde erhoben hat, weshalb keine Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, lediglich zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. R. sei es der Klägerin besser gegangen.
Die Leistungseinschätzungen der Sachverständigen PD Dr. R. und Prof. Dr. R. werden bestätigt durch das vom Senat von Amts wegen eingeholte neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten der Dr. H ... Sie hat die Klägerin im Juli und August 2019 - also bereits mehrere Monate nach dem letztmaligen Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung - untersucht und ebenfalls keine quantitative Leistungseinschränkung gesehen. Dr. H. hat rezidivierende depressive Episoden mit zum Gutachtenszeitpunkt leichter depressiver Symptomatik, eine somatoforme Schmerzstörung, Hinweise auf eine neurotische Fehlentwicklung mit histrionischen Persönlichkeitsanteilen, einen lumboischialgieformen Schmerz und Zeichen einer leichten Polyneuropathie, subjektiv jedoch ohne neuropathietypische Beschwerden, diagnostiziert (Bl. 69 f. LSG-Akte) und hieraus gleichfalls lediglich qualitative, nicht jedoch quantitative Leistungseinschränkungen abgeleitet. Dr. H. hat die Klägerin nicht mehr in der Lage gesehen, schwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 8 kg, in monotoner Körperhaltung, mit Rückenbelastungen, mit Schicht- sowie Nachtarbeit, unter klimatisch ungünstigen Bedingungen sowie unter Zeitdruck oder erhöhter Stressbelastung zu bewältigen (Bl. 72 f. LSG-Akte).
Hieran vermag das auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG von Prof. Dr. B. anlässlich seiner Untersuchung im Mai 2020 erstellte Sachverständigengutachten nichts zu ändern, denn die von ihm mitgeteilte Einschränkung der zeitlichen Leistungsfähigkeit steht im Widerspruch zu den von ihm mehrfach beschriebenen massiven Aggravations- und Demonstrationstendenzen (Bl. 105, 108, 111 und 112 LSG-Akte), die sich auch in dem von ihm durchgeführten Beschwerdevalidierungstest bestätigt haben (Bl. 107 LSG-Akte). Das hat Dr. N. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme von Juni 2020 (Bl. 146 f. LSG-Akte) anschaulich herausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund ist es für den Senat - ebenso wenig wie für Dr. N. - nachvollziehbar, wenn Prof. Dr. B. in seiner zusammenfassenden Leistungsbeurteilung, die "manifesten Fehlhaltungen" der Klägerin ihrem ihr selbst nicht "zugänglichen Bewusstsein" zuordnet und die Aggravations- und Simulationstendenzen diesen gegenüber als untergeordnet betrachtet (Bl. 129 LSG-Akte). Soweit er diese Einschätzung mit der Diagnose einer hysterischen Neurose zu begründen versucht (Bl. 124 f., 129 LSG-Akte), hat Dr. N. zu Recht darauf hingewiesen, dass die Aktenlage eine derartige Diagnose nicht stützt und auch nicht klar ist, wie eine aggravatorisch und/oder simulativ präsentierte Symptomatik zuverlässig von den Krankheitsentitäten einer dissoziativen Störung oder einer Persönlichkeitsvariante mit histrionischer Prägung zu trennen sein soll (Bl. 146/RS LSG-Akte). Die Leistungseinschätzung des Prof. Dr. B. ist daher nicht überzeugend.
Unabhängig von der Richtigkeit der Leistungseinschätzung des Prof. Dr. B. , haben zum Zeitpunkt seiner Begutachtung im Mai 2020 jedenfalls die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bereits seit mehr als 17 Monaten nicht mehr vorgelegen. Wie bereits ausgeführt, sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung letztmals bei Eintritt des Leistungsfalls am 30.11.2018 erfüllt gewesen. Soweit Prof. Dr. B. davon ausgegangen ist, dass die Erwerbsminderung der Klägerin mindestens bereits seit Rentenantragstellung im Juli 2016 bestehe (Bl. 132 LSG-Akte), so ist dies weder mit dem Gutachtensergebnis des Dr. L. von November 2016, den seitens der Klägerin gegenüber Dr. L. gemachten anamnestischen Angaben über die noch ausgeübten Tätigkeiten und Aktivitäten (kochen, spülen, putzen, Wäsche waschen, alleine einkaufen, Pkw fahren, vierwöchige Reise in die Türkei im August 2016, regelmäßiger telefonischer Kontakt zu fünf bis sechs Freundinnen, Bl. 69 VA ÄT), noch mit den im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens von Amts wegen eingeholten Gutachten von Prof. Dr. R. , PD Dr. R. und Dr. H. in Einklang zu bringen. Prof. Dr. B. hat auch keine Begründung für den von ihm angenommenen Zeitpunkt des angeblichen Eintritts der Leistungsminderung gebracht (s. Bl. 132 LSG-Akte).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den sachverständigen Zeugenauskünften der die Klägerin behandelnden Ärzte. Dr. W. hat in seiner Zeugenauskunft gegenüber dem SG ausdrücklich auf eine gutachterliche Untersuchung verwiesen (Bl. 15 SG-Akte). Soweit die behandelnden Ärzte E. (Bl. 34 SG-Akte) und Dr. H. (Bl. 76 SG-Akte) und der Diplom-Psychologe M.-B. (Bl. 57 ff. SG-Akte) die von ihnen behauptete Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit auf Konzentrationsschwächen, eine Einschränkung des Durchhaltevermögens und einer Denkverlangsamung zurückführen, so haben sich derartige Beeinträchtigungen weder im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. R. noch durch die Begutachtung von Dr. H. bestätigt und werden nicht einmal von Prof. Dr. B. beschrieben.
Der Verweis der Klägerin auf die Einschätzungen des behandelnden Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. und des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten M.-B. führen ebenso wenig zu einem anderen Ergebnis. Der Diplom-Psychologe und Psychologische Psychotherapeut M.-B. hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft gegenüber dem SG bereits keine klinischen Befunde mitgeteilt, sondern die Beschwerdeangaben der Klägerin wiederholt (s. Bl. 58 SG-Akte). Dr. H. hat dem SG zwar Befunde mitgeteilt (s. Bl. 76 SG-Akte), die auch auf eine depressive Entwicklung hindeuten (s. auch Stellungnahme Dr. L. , Bl. 94/RS SG-Akte). Diese Befunde haben sich jedoch weder im Rahmen der Begutachtung durch Dr. L. - dieser ist als Sozialmediziner entgegen der Auffassung der Klägerin auch in der Lage, einen orientierenden psychischen Befund zu erheben und diesen zu bewerten (s.o.) -, noch der durch Prof. Dr. R. und auch nicht der durch Dr. H. bestätigt. Dr. L. und Dr. H. haben daher zu Recht die von Dr. H. vorgenommene abweichende Leistungseinschätzung der Besonderheit der Arzt-Patienten-Beziehung zugerechnet (s. Bl. 94/RS SG-Akte, Bl. 75 LSG-Akte).
Auch die von Prof. Dr. B. angenommene Unfähigkeit der Klägerin, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 m innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen zu können (Bl. 131 f. LSG-Akte), führt nicht zu einem Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Denn einerseits hat außer Prof. Dr. B. keiner der Gutachter eine Einschränkung der Wegefähigkeit gesehen (Bl. 142 und 205 SG-Akte, Bl. 73 LSG-Akte). Andererseits haben die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. B. nicht mehr vorgelegen (hierzu s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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