L 31 AS 1871/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 183 AS 763/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 1871/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Frage, wann ein Nebenkostenguthaben zugeflossen ist, ist keine Rechtsfrage, sondern eine durch Beweiswürdigung zu entscheidende Tatsachenfrage.
2. Die rechtlichen Grundlagen dieser Bewertung sind geklärt. Im Grundsatz bereite Mittel stehen zur Bedarfsdeckung nur dann nicht zur Verfügung, wenn sie aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden können (BSG vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R).
3. Zahlt das Jobcenter die Miete direkt an den Vermieter, erscheint die Annahme des Zuflusses mit der Gutschrift auf dem Vermieterkonto besonders geeignet, den Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II in die Praxis umzusetzen.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin zu 1 sind nicht zu erstatten. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2 und 3 auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Begehrt wird die Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, mit dem der Beklagte einen Betrag von 43,59 Euro zurückfordert. Streitig ist dabei, ob ein Guthaben aus einer Nebenkostenabrechnung auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu Recht im Monat Februar 2016 angerechnet worden ist.

Die Klägerin zu 1 ist die alleinerziehende Mutter der 2000 geborenen Klägerin zu 2 und des 1998 geborenen Klägers zu 3. Sie leben gemeinsam unter der im Rubrum genannten Adresse. Die Bruttowarmmiete für die Wohnung betrug 547,76 Euro (Grundmiete 266 Euro, Heizkostenvorauszahlung 135,02 Euro, Betriebskostenvorauszahlung 146,74 Euro) und wurde direkt vom Beklagten an die Vermieterin überwiesen.

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 1. Dezember 2015 gewährte der Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom selben Tage den Klägern Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016. Für den Monat Februar 2016 bewilligte der Beklagte insgesamt 1.464,06 Euro und berücksichtigte dabei Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Mietkosten (547,80 Euro).

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 erhielt die Klägerin zu 1 von ihrer Vermieterin eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2014. Danach stand ihr ein Guthaben in Höhe von 174,35 Euro zu. U.a. heißt es in dem Schreiben: "Guthaben werden nur ausgezahlt, wenn Ihr Mietkonto keinen Rückstand aufweist, andernfalls erklären wir hiermit vorsorglich die Aufrechnung. Sofern Sie Leistungen vom JobCenter o.ä. erhalten, ist zusätzlich die Vorlage einer Freigabe des entsprechenden Amtes notwendig Zur Überweisung von Guthaben benötigen wir Ihre aktuelle Kontoverbindung Für den Fall, dass die Miete von einer Behörde geleistet wird, ist die Abrechnung bitte unverzüglich dort vorzulegen." Darüber hinaus war dem Schreiben ein Zahlungsplan für die zu zahlenden Mieten für die Monate Januar, Februar und März 2016 beigefügt, wobei für die Februarmiete wegen zunächst beabsichtigter Verrechnung des Guthabens einmalig ein Betrag nur von 373,71 Euro (547,76 Euro abzüglich 174,35 Euro) ausgewiesen wird ("Anlage 4").

Nach Aufforderungen des Beklagten (Schreiben vom 2. und 24. Mai 2016), der die Miete durchgehend in Höhe von 547,80 Euro an die Vermieterin überwiesen hatte, legte ihm die Klägerin zu 1 die Betriebs- und Heizkostenabrechnung im Mai 2016 vor sowie - zum Nachweis über den Erhalt des Guthabens aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung - einen Mietkontoauszug (Kontostand 1. Juni 2016), der für den 31. Januar 2016 einen (Saldo-)Betrag von 174,35 Euro auf der Habenseite des Kontos ohne (auch spätere) Verrechnung mit Mietzahlungen ausweist.

Nach Anhörung hob der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 13. September 2016 den Bewilligungsbescheid vom 1. Dezember 2015 für die Zeit vom 1. bis 29. Februar 2016 gegenüber den Klägerinnen zu 1 und 2 sowie dem Kläger zu 3 jeweils in Höhe von 43,59 Euro auf, eine Aufhebung gegenüber einem dritten Kind erfolgte nicht. Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2016 zurück. Die Gutschrift in Höhe von 174,35 Euro sei am 31. Januar 2016 auf das Mietkonto erfolgt. Leistungsrechtlich sei das Guthaben daher im Monat Februar 2016 zu berücksichtigen. Es komme nicht darauf, ob das Guthaben tatsächlich oder später ausgezahlt worden sei. Da nur die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zuständen, hätten die Kläger wissen können, dass Leistungen in der bewilligten Höhe nicht zugestanden haben.

Am 18. Januar 2017 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung ist im Wesentlichen vorgetragen worden, dass sich das Guthaben in Höhe von 174,35 Euro im Mietkonto der Kläger nicht auf die laufende Miete ausgewirkt habe. Es sei auch noch Monate nach der Anrechnung "mitgeführt" worden. Es sei weiterhin, wie aus dem Mietkonto ersichtlich, auch der volle Mietanteil geflossen. Auf eine "Gutschrift" im Mietkonto könne als maßgeblichen Anrechnungszeitpunkt nicht abgestellt werden, da es sich hier um einen internen Vorgang ohne Außenwirkung handele. Übersandt worden ist ein Auszug aus dem Mietkonto mit Buchungsdatum vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016. Das Guthaben soll der Klägerin zu 1 am 31. Juli 2016 noch in Höhe von 160,63 Euro ausgezahlt worden sein.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass das Guthaben den Klägern auf ihrem Mietkonto bereits im Januar 2016 zur Verfügung gestanden habe und deshalb bedarfsmindernd im Folgemonat der Gutschrift zu berücksichtigen gewesen sei. Unbeachtlich sei, dass die Klägerin das Guthaben nicht vom Mietkonto abgezogen hätte. Die Kläger hätten auch aufgrund der Abrechnung vom 11. Dezember 2015 Kenntnis von der Erlangung des Guthabens gehabt. Wenn schon bei einer Aufrechnung oder Verrechnung die Schuldbefreiung oder Verringerung von Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit einen in Geld ausdrückbaren Wert besitze (so BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 4 AS 193/11 R), dann gelte dies erst Recht für das Entstehen einer Forderung mit Auszahlungsanspruch. Es habe auch keiner weiteren Handlung des Vermieters bedurft, um die Forderung entstehen zu lassen.

Durch Urteil des SG vom 17. September 2019 sind die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 13. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016 aufgehoben worden. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem in der Betriebskostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 ausgewiesenen Guthaben um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 22 Abs. 3 SGB II handele. Allerdings sei dieses Einkommen bereits im Dezember 2015 zugeflossen. Ausweislich der Betriebskostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 hätten die Kläger bereits im Dezember 2015 mit einer Rückerstattung rechnen können. Die tatsächliche Buchung des Guthabens auf dem Bankkonto der Klägerin zu 1 sei für die Annahme einer "Gutschrift" im Sinne von § 22 Abs. 3 SGB II nicht notwendig. Entscheidend sei vielmehr, wann dem Hilfebedürftigen die Mittel aus der Gutschrift oder der Rückzahlung konkret zur Verfügung gestanden hätten. Eine Betriebskostenabrechnung könne daher dann als anrechnungsfähiges Einkommen bewertet werden, wenn der begünstigte Mieter die "tatsächliche Verfügungsgewalt" über das Guthaben besitze und diesen Vermögensvorteil ohne Weiteres hätte realisieren können. Dies bedeutet, dass die Gutschrift dem Mieter als "bereites Mittel" zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen müsse (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, veröffentlicht in juris). Hiervon sei im Dezember 2015 auszugehen. Der Anspruch des Mieters auf Rückerstattung zu viel bezahlter Betriebskosten werde grundsätzlich mit der Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung fällig (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2012, XII ZR 44/11, Rdnr. 12, veröffentlicht in juris; BGH, Urteil vom 9. März 2005, VIII ZR 57/04, Rdnr. 16, veröffentlicht in juris). Der Mieter könne also die Auszahlung des Guthabens sofort nach Zugang der Abrechnung verlangen. Hier sei der Zugang der Abrechnung vom 11. Dezember 2015 im Dezember 2015 erfolgt, so dass das Guthaben auch in diesem Monat fällig geworden sei. Aus dem Mietvertrag ergäbe sich keine abweichende Vereinbarung. In diesem Monat hätte die Klägerin mit Angabe ihrer aktuellen Kontoverbindung das Guthaben realisieren können. Eine Freigabe des Beklagten, wie in der Betriebskostenabrechnung des Vermieters ausgeführt, sei nicht erforderlich. Denn beim Rückerstattungsanspruch handele es sich um einen Anspruch des Mieters, nicht des Beklagten, der keine rechtlichen Beziehungen zum Vermieter eingegangen sei. Bei der "Einpflegung" des Guthabens in Höhe von 174,35 Euro erstmals am 31. Januar 2016 in das Mietkonto handele es sich nicht um eine "Gutschrift" im Sinne § 22 Abs. 3 SGB II. Die Gutschrift auf dem Mietkonto stelle aber einen rein internen Vorgang dar, den der Vermieter ohne Außenwirkung vornehme. Da der Vorgang ohne Kenntnis des Mieters erfolge, versetze er den Mieter – anders als die Nebenkostenabrechnung – auch nicht in die Lage, sich die Verfügungsmöglichkeit über das Guthaben im Sinne bereiter Mittel zu verschaffen. Die Einspeisung des Guthabens in das Mietkonto habe entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht zu einer Schuldbefreiung oder Veränderung von Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit geführt.

Das SG hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Frage, ob die Gutschrift auf dem Mieterkonto eine Gutschrift im Sinne von § 22 Abs. 3 SGB II darstelle, stelle sich in zahlreichen beim SG anhängigen Klageverfahren und sei bislang höchstrichterlich nicht geklärt.

Gegen die dem Beklagten am 23. September 2019 zugestellte Entscheidung hat dieser am 10. Oktober 2019 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Streitig sei der Zeitpunkt der Anrechnung eines Betriebskostenguthabens im Rahmen des § 22 Abs. 3 SGB II, wobei mehrere Zeitpunkte in Frage kämen, nämlich Zugang der Abrechnung beim Mieter, Gutschrift auf dem Mietkonto, Gutschrift auf dem Bankkonto des Mieters, Barauszahlung an den Mieter, Fälligkeitszeitpunkt des (nächsten) Mietzinses bei Verrechnung. Fraglich sei also, wann ein Betriebskostenguthaben einem Mieter tatsächlich als bereites Mittel zur Verfügung stehe bzw. wann der wirtschaftliche Vorteil im Sinne des Zuflussprinzips eingetreten sei. Der Beklagte begehre daher aufgrund der erheblichen Praxisrelevanz in jedem Fall eine Klärung dieser Rechtsfrage.

Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Berufung betreffend die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 wegen des Hinweises des Senats auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a Bürgerliches Gesetzbuch –BGB-) zurückgenommen hatte, hat er noch beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin zu 1 hält die Entscheidung des SG für zutreffend und hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte (Behelfsakte Bl. 792 bis 1025, Kundennr. ). Diese haben im Termin vorgelegen haben und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die durch Zulassung des SG - an die der Senat gebunden ist (§ 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG), obwohl die Frage nach dem Zufluss des Nebenkostenguthabens keine Rechtsfrage, sondern eine durch Beweiswürdigung zu entscheidende Tatsachenfrage ist (s.u.) - statthafte und im Übrigen auch rechtzeitig erhobene Berufung ist begründet. Streitgegenstand ist nach der teilweisen Rücknahme der Berufung des Beklagten (§ 156 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 SGG) im Berufungsverfahren noch der Bescheid vom 13. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016, soweit die ursprüngliche Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für die Klägerin zu 1 (Bescheid vom 1. Dezember 2015) in Höhe von 43,59 Euro aufgehoben und die Rückerstattung dieses Betrages von der Klägerin zu 1 verfügt worden ist.

Das SG hat zu Unrecht diesen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Er ist vielmehr rechtmäßig, da der Beklagte zu Recht das in der Betriebskostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 ausgewiesene Guthaben in Höhe von 174,35 Euro – hier anteilig in Höhe von 43,49 Euro - auf die Kosten der Unterkunft und Heizung im Monat Februar 2016 anrechnen durfte.

Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide beurteilt sich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 40 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bewilligungsbescheid vom 1. Dezember 2015 für die Klägerin zu 1, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 X soll der Verwaltungsakt ebenso mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wegen § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend.

Zur Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, sind die objektiven Umstände zum Zeitpunkt der Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II und die Umstände im Zeitpunkt der Neufeststellung zu vergleichen. Hierbei geht der Senat – wie das SG – davon aus, dass die Klägerin zu 1 durch das in der Nebenkostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 festgestellte Guthaben ihre Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II teilweise in Höhe von 43,59 Euro decken konnte. Das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung ist hierbei aufgrund der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II allerdings nicht bereits, wie das SG meint, im Januar 2016, sondern erst im Februar 2016 zu berücksichtigen.

Nach dieser Vorschrift (in der hier gültigen Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, BGBl I S. 850) mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, was hier der Fall ist, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer Betracht.

Das in einer Heiz- und Betriebskostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 ausgewiesene Guthaben ist, wie das SG zu recht festgestellt hat, grundsätzlich als Einkommen im Sinne § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. der Sonderregelung des § 22 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen, wenn es nach Antragstellung entsteht. Insoweit stellt § 22 Abs. 3 SGB II eine die allgemeinen Vorschriften über die Einkommensanrechnung (§§ 11 ff. SGB II) verdrängende Sonderregelung dar, einschließlich zu der Frage, nach welchem Modus und demnach in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnende Rückzahlungen und Guthaben sich mindernd auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung auswirken (vgl. BSG, Urteile vom 12. Dezember 2013, B 14 AS 83/12 R, und vom 22. März 2012, B 4 AS 139/11 R, veröffentlicht in juris). Hintergrund der Spezialregelung des § 22 Abs. 3 SGB II ist, dass Einkommen im Sinne der §§ 11 ff. SGB II primär auf die Regelleistungen angerechnet wird, das heißt auf den Teil der Grundsicherungsleistung, der aus Bundesmitteln finanziert wird (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Dadurch, dass Betriebskostengutschriften bzw. Betriebskostenrückzahlungen nach dieser Norm den Unterkunftsbedarf mindern, ändern sie die finanziellen Aufwendungen der Kommune nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Um bei einer zeitnahen Vorlage der Betriebskostenabrechnung Verwaltungsaufwand zu vermeiden, werden Betriebskostengutschriften nach der Spezialregelung des § 22 Abs. 3 SGB II nicht im Zufluss- bzw. Gutschriftenmonat angerechnet, sondern erst ab dem Folgemonat.

Vorliegend ist das Nebenkostenguthaben der Klägerin zu 1 mit dem Zugang der Nebenkostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 bei der Klägerin im Mietverhältnis mit der Vermieterin entstanden und fällig geworden, aber erst mit der "Haben-Buchung" im Mietkonto im Januar 2016 verfügbar geworden, so dass es der Beklagte zu Recht im Folgemonat (Februar 2016) gemäß § 22 Abs. 3 SGBII anrechnen durfte.

Zunächst ist festzustellen, dass das Entstehen und die Fälligkeit einer Forderung der Klägerin zu 1 gegen ihre Vermieterin in Höhe des Abrechnungsguthaben mit Zugang der Nebenkostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 selbst noch nicht die Voraussetzung einer "Gutschrift" im Sinne des § 22 Abs. 3 SGB II erfüllt. Denn eine solche besteht nämlich in der schriftlichen Fixierung und Eintragung eines Guthabens (positiven Saldos) als eines bestehenden Anspruchs der Klägerin zu 1 gegen die Vermieterin (vgl. ebenso zum Begriff der "Gutschrift" in der wortgleichen Vorgängerregelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. September 2009, L 6 AS 11/09, Rdnr. 25, veröffentlicht in juris). Dies ist erst mit der Haben-Buchung des Rückzahlungsbetrages (Saldo von 174, 35 Euro) im Mietkonto am 31. Januar 2016 erfolgt. Mit dieser Buchung im Mietkonto, das im Übrigen weder im Januar oder Februar 2016 eine Aufrechnung mit ausstehenden Forderungen der Vermieterin noch eine um den Guthabenbetrag verminderte Mietzahlung ausweist, hat die Vermieterin auch dokumentiert, dass nach Ablauf der gesetzlichen Frist des § 286 Abs. 3 BGB, wonach offene Forderungen aus der Nebenkostenabrechnung innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Abrechnung beglichen werden müssen, der Rückzahlungsbetrag nunmehr zur Verfügung ihrer Mieterin, der Klägerin zu 1, steht, es also nur noch einer Handlung der Mieterin bedarf, um die das Guthaben zu realisieren. Damit ist auch nach Maßgabe des im Grundsicherungsrecht geltenden Bedarfsdeckungsprinzips ein den tatsächlichen Bedarf der Klägerin zu 1 teilweise deckender Einkommenszufluss am 31. Januar 2016 erfolgt. Durch die Nebenkostenabrechnung selbst war der tatsächliche Bedarf der Klägerin zu 1 für Unterkunft und Heizung für den Monat Dezember 2015 hingegen nicht gemindert worden, weil es eben noch an der Dokumentation des Vermieterwillens fehlte, den Betrag, der vom Abrechnungsempfänger selbst noch nicht geprüft werden konnte, auch vor dem Hintergrund möglicher Widersprüche gegen die Abrechnung, tatsächlich freizugeben. Darauf kann unter Geltung des Bedarfsdeckungsprinzips aber nicht verzichtet werden.

Selbst wenn die Erfassung des Rückzahlungsanspruchs der Klägerin zu 1 als "Haben-Buchung" im Mietkonto aus sozialrechtlicher Sicht noch keine rein tatsächliche Verfügungsmöglichkeit darstellen sollte, weil die Klägerin zu 1 jedenfalls unmittelbar darauf nicht zugreifen oder frei verfügen konnte, wie es z.B. bei einer Buchung auf ihrem Bankkonto der Fall gewesen wäre (so Berlit in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, Rdnr. 174 m.w.N), steht dies hier einer Anrechnung des Guthabens im Februar 2015 nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, Rdnr. 22, veröffentlicht in juris), die auch das SG seinem Urteil zugrunde gelegt hat, stehen dem Hilfeempfänger bereite Mittel zur Bedarfsdeckung nur dann nicht zur Verfügung, wenn sie aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden können. Hier hätte das Guthaben durch die Klägerin zu 1, ggf. unter Mithilfe des Beklagten, dem sie die Nebenkostenabrechnung aber erst im Mai 2016 vorgelegt hat, auch unter Berücksichtigung eines Anspruchs der Klägerin auf Belegeinsicht (§ 259 Abs. 1 BGB) und der jedenfalls nach der Nebenkostenabrechnung zu realisierenden Freigabeerklärung des Beklagten, im Januar 2016 und nicht schon im Dezember 2015 realisiert werden können. Dieser Zeitpunkt ist auch faktisch wegen der kurzen Frist zwischen dem Zugang der Nebenkostenabrechnung vom 11. Dezember 2015 und den Weihnachtsfeiertagen realistisch. Die Klägerin zu 1 hätte der Vermieterin noch ihre Kontonummer mitteilen müssen, woraufhin die Überweisung der Vermieterin zu erfolgen hätte. Dies entspricht auch dem in der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung typisierten Ablauf, der eine möglichst zeitnahe Abwicklung voraussetzt. Damit wird auch verhindert, dass – im Extremfall – durch eine "Mitführung" des Abrechnungsguthabens im Mietkonto bis nach Beendigung des Leistungsbezugs eine Anrechnung möglicherweise gänzlich unterbleibt.

Eine automatische Überweisung des Guthabens schon im Monat Dezember 2015 und damit eine tatsächliche Verfügungsgewalt war hier ausgeschlossen, weil die Klägerin zu 1 die Miete nicht selbst als Teilnehmer im SEPA-Lastschrift-Einzugsverfahren zahlte, sondern der Beklagte (vgl. zu dieser "automatischen Überweisung" S. 3 3. Abschnitt der Nebenkostenabrechnung vom 11. Dezember 2015).

Zahlt der Beklagte wie im vorliegenden Fall die Miete direkt an die Vermieterin erscheint die Annahme des Zuflusses mit der Gutschrift auf dem Vermieterkonto und eine Auszahlungssperre an den Hilfeempfänger i.S. der vom Vermieter geforderten Freigabeerklärung besonders geeignet, den Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II in der Praxis auch umzusetzen. Zum einen kann so am einfachsten sichergestellt werden, dass das Guthaben tatsächlich nach dem Monat der Rückzahlung (Gutschrift) die Aufwendungen für die Miete mindert, was die Vermieterin hier offenbar zunächst auch beabsichtigte. Zum anderen wird so die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verwaltungsvereinfachung, nämlich nicht im Monat des Zuflusses anzurechnen, sondern im folgenden Monat, besonders praxisnah umgesetzt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vermieterin und der Beklagte insoweit -und sei es unter Mithilfe der Leistungsempfängers- sinnvoll kommunizieren. Diese Zusammenhänge im Dreiecksverhältnis bei Zahlung der Miete direkt an den Vermieter hat das Sozialgericht nicht ausreichend gewürdigt, wenn es –für sich genommen richtig- darauf hinweist, das Guthaben folge allein aus den Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfänger und Vermieter.

Auch die rechtliche Bewertung der im Schreiben der Betriebs- und Heizkostenabrechnung 2014 vom 11. Dezember 2015 aufgenommenen Klausel, wonach "Guthaben" nur ausgezahlt werden, wenn das Mietkonto keinen Rückstand aufweist, andernfalls vorsorglich die Aufrechnung erklärt werde, führt zu keinem anderen Ergebnis als dem Zufluss im Januar 2016. Denn einerseits widerspricht diese Klausel hier dem als "Anlage 4" dem Schreiben beigefügten (nicht umgesetzten) Zahlungsplan, der eine Aufrechnung des Guthabens mit der Februarmiete voraussetzt, also gerade keine Aufrechnung mit "Rückständen"; andererseits hätte eine von der Vermieterin in der Nebenkostenabrechnung erklärte Aufrechnung mit Mietschulden nach § 388 BGB nicht das Erlöschen der Forderung der Klägerin zu 1 nach § 389 BGB zur Folge gehabt. Eine solche Erklärung ist unwirksam, da das Nebenkostenguthaben der Klägerin zu 1 dem Aufrechnungsverbot aus § 394 Satz 1 BGB unterlegen hat. Soweit eine Forderung unpfändbar ist, findet eine Aufrechnung gegen die Forderung gemäß § 394 Satz 1 BGB nämlich nicht statt. Eine Betriebs- und Heizkostenerstattung der Vermieterin, die als Einkommen auf den Bedarf eines Grundsicherungsleistungsempfängers - wie im vorliegenden Fall – angerechnet würde, unterliegt nicht der Pfändung und Zwangsvollstreckung (BSG, Urteil vom 16.10.2012, B 14 AS 188/11 R; BGH, Urteil vom 20. Juni 2013, IX ZR 310/12, veröffentlicht unter juris). Wäre in diesem Fall die Pfändung zulässig, würde sie, so der BGH, zu Lasten öffentlicher Mittel erfolgen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminimum sichern sollen. Selbst wenn die Vermieterin hier wegen Rückständen auf dem Mieterkonto die Aufrechnung erklärt hätte, wäre es der Klägerin im Rahmen der Selbsthilfeobliegenheit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II oder unter Mithilfe des Jobcenters zuzumuten gewesen, auf die Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Aufrechnung hinzuwirken.

Soweit nach dem Inhalt des Schreibens der Betriebs- und Heizkostenabrechnung 2014 vom 11. Dezember 2015 für die Überweisung des Guthabens die "Freigabe" des Beklagten als weitere Voraussetzung beschrieben wird, mag dahinstehen, ob eine solche Klausel, überhaupt wirksam sein kann, was das SG in seinem Urteil verneint. Aus sozialrechtlicher Sicht wäre gegen eine solche Klausel wenig einzuwenden, da sie in besonderer Weise geeignet wäre, die Durchsetzung des Regelungsprogramms des § 22 Abs. 3 SGB II in der Praxis zu gewährleisten. Ein Verschweigen der Abrechnung durch den Leistungsbezieher gegenüber dem Beklagten bei gleichzeitigem Auszahlungsverlangen an den Vermieter, also eine Umgehung der gesetzlichen Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II, wäre dann so gut wie ausgeschlossen. Im Hinblick auf die tatsächliche Verfügungsgewalt der Klägerin zu 1. spricht nichts dafür, dass der Beklagte bei rechtzeitiger Vorlage der Nebenkostenabrechnung durch die Klägerin zu 1, die hier gerade nicht erfolgt ist, im Januar 2016 eine solche "Freigabe" nicht erteilt hätte.

Auf eine angebliche Auszahlung des Guthabens im Juli 2016, die durch die "Soll-Buchung" von 160,63 Euro im Mietkonto jedenfalls nicht nachgewiesen ist, kommt es nicht an, da hier ein früherer Zeitpunkt einer Gutschrift im Sinne des § 22 Abs. 3 SGB II feststeht.

Der Zufluss der Gutschrift aus der Nebenkostenabrechnung hat demnach im Februar 2016 zu einer wesentlichen Änderung geführt, weil dieser als Einkommen zu berücksichtigen war, welcher zur Minderung des Leistungsanspruchs geführt hat. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 sind demnach für den Monat Februar 2016 erfüllt. Die wegen der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zu beachtende Jahresfrist hinsichtlich der Einarbeitung der Änderung ist durch den Beklagten eingehalten. Die Gutschrift der Nebenkostenabrechnung war ihm erstmals im Mai 2016 bekanntgeworden. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wurde innerhalb eines Jahres am 13. September 2016 erlassen.

Da die Voraussetzungen für eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung für den Monat Februar 2016 vorliegen, war der Beklagte auch berechtigt, den Überzahlungsbetrag in Höhe von anteilig 43,59 Euro gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Da dieser sich durch die Berufungsrücknahmen im Hinblick auf die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 nur teilweise erledigt hat, hatte ein gesonderter Kostenbeschluss nicht zu ergehen, über diese Kosten war im Urteil zu entscheiden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 193 Rn. 2d).

Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Dass es sich bei einem Guthaben aus einer Nebenkostenabrechnung um grundsätzlich zu berücksichtigendes Einkommen handelt, das anrechenbar ist, wenn es zugeflossen ist, ist rechtlich geklärt. Weiter ist geklärt, dass bereite Mittel –bei vermeintlich fehlender Verfügungsgewalt- nur dann nicht zur Verfügung stehen, wenn das Guthaben aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden kann (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R). Die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen jeweils erfüllt sind, ist eine rein tatsächliche Frage, die sich an den Umständen des Einzelfalls orientiert. Deshalb kann im Einzelfall der Zugang der Abrechnung beim Mieter ebenso der entscheidungserhebliche Zeitpunkt für die Anrechnung eines Betriebskostenguthabens sein, wie eine Gutschrift auf dem Mietkonto, eine Gutschrift auf dem Bankkonto des Mieters, eine Barauszahlung an den Mieter oder der Fälligkeitszeitpunkt des (nächsten) Mietzinses bei Verrechnung.
Rechtskraft
Aus
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