Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 181/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 26/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob und von welchem Zeitpunkt an die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen L.S. aufgrund der Folgen der anerkannten Berufskrankheit (BK) nach der Ziffer 4103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ("Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura") Anspruch auf Gewährung einer Rente mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H. hat.
Die Klägerin ist die Ehefrau des am 27. Mai 2016 verstorbenen L.S. (Versicherter). Der am xxxxx 1938 geborene Versicherte war während seiner Berufstätigkeit (1960 – 1996) als Maschinenschlosser bei den H. AG von 1960 bis 1987 asbestfaserhaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen. Am 17. Mai 2011 stellte der Radiologe Dr. G. nach einer Computertomographie des Thorax beim Versicherten eine geringgradige Asbestose mit nur vereinzelten pleuralen Plaques fest, ohne Nachweis einer asbestassoziierten Lungenfibrose, unauffälligem Bronchialsystem und bei geringen unspezifischen narbigen Veränderungen der Lungenspitze. Am 10. September 2015 wurde der Versicherte in der Lungenpraxis Professor H1 wegen eines echokardiographisch aufgefallenen persistierenden Pleuraergusses rechts untersucht. Prof. Dr. H1 kam danach zu dem Ergebnis, dass ein rechtsseitiger Pleuraerguss mit geschätzt wenigen 100 ml Flüssigkeit und nur teilweiser Kammerung vorliege. Die Pleurapunktat-Untersuchung zeige ein eindeutiges Exsudat mit gemischtzelliger, jedoch nicht eitriger Entzündung. Die Ätiologie bleibe unklar, ein malignes Geschehen sei aufgrund der langzeitigen Persistenz des Ergusses ohne wesentlichen Progress sehr unwahrscheinlich.
Während der stationären Behandlung vom 19. – 29. Februar 2016 im A. Krankenhaus H2 wurde bei dem Versicherten ein histologisch gesichertes Pleuramesotheliom links (Mesotheliom A), ein unklarer Vorhalt dorsal der Milz sowie ein chronischer Pleuraerguss rechts festgestellt. Die Beklagte erkannte mit Schreiben vom 21./22. April 2016 an die behandelnden Ärzte des Versicherten das Pleuramesotheliom als BK nach der Ziffer 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ("Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards") an.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27. Oktober 2016 führte der Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S1 aus, dass sich Asbeststaubinhalationsfolgen zum ersten Mal im Rahmen der CT-Untersuchung am 17. Mai 2011 dokumentieren ließen. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der pleuralen Veränderungen sei davon auszugehen, dass diese nur computertomgraphisch sichtbar gewesen seien. Im dem G 1.2 Bogen aus dem Jahre 2011 seien keine Ergebnisse von Lungenfunktionsuntersuchungen festgehalten. Erst in dem G 1.2 Bogen vom 14. November 2014 werde von restriktiven Ventilationsstörung ausgegangen. Unter Berücksichtigung der Sollwerte nach EGKS (Referenzwerte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl) und der Sollwerte nach der "Global Lung Function Initiative 2012" sei nicht von einer Einschränkung auszugehen gewesen. Somit sei das Vorliegen einer restriktiven bzw. obstruktiven Ventilationsstörung nicht festzustellen gewesen.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 10. November 2016 bei dem Versicherten eine BK nach der Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung an und datierte den Tag des Versicherungsfalles auf den 17. Mai 2011. Im Rahmen der durchgeführten Lungenfunktionsprüfungen in den Jahren 2011 bis 2014 habe sich eine restriktive bzw. obstruktive Ventilationsstörung noch nicht feststellen lassen, so dass ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund der Asbestose nicht bestanden habe.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, woraufhin die Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme des Pneumologen Dr. D. einholte. In seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 25. April 2017 führte Dr. D. aus, dass 2011 offensichtlich keine suffiziente Lungenfunktionsprüfung habe durchgeführt werden können. 2014 habe die Vitalkapazität bei einem Bestwert von 3,29 l (84,5%) betragen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine signifikante Restriktion nicht feststellbar. Im September 2015 habe die Vitalkapazität bei dem Versicherten eine leicht abfallende Tendenz gezeigt (Vitalkapazität bei 77%). Im Februar 2016 sei das Pleuramesotheliom festgestellt worden, das die entsprechenden Funktionsstörungen verursacht habe. Am 12. April 2016 habe eine ausgeprägte Restriktion mit einem Vitalkapazitätswert von 2,18 l (= 56%) bestanden. Bis zur Feststellung des Pleuramesothelioms am 15. Februar 2016 habe auch keine Stütz-MdE bestanden, erst danach sei eine solche Stütz-MdE anzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt habe jedoch bereits eine Gesamt-MdE von 100% bestanden. Die Beklagte erließ am 29. Mai 2017 den Widerspruchsbescheid und führte aus, dass zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung am 17. Mai 2011 eine Einschränkung der Lungenfunktion in Form einer Einengung der Dehnungsfähigkeit der Lunge (Restriktion) nicht vorgelegen habe. Eine MdE in rentenberechtigendem Grade könne deshalb nicht festgestellt werden.
Die Klägerin hat am 6. Juli 2017 Klage erhoben und vorgetragen, dass mit Vorlage der CT-Untersuchung vom 15. Mai 2011 spätestens zu diesem Zeitpunkt eine rentenberechtigende MdE vorgelegen habe. Im Computertomogramm seien Pleuraverdickungen mit streifiger Zeichnungsvermehrung der angrenzenden Lunge im Bereich der Lungenspitzen festgestellt worden. Beweisend dafür sei auch, dass bei dem Versicherten eine schwere Luftnot bestanden habe, die sich auch durch den Einsatz eines Herzschrittmachers nicht habe bessern lassen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat insbesondere auf die Feststellungen von Dr. D. verwiesen, der keine Einschränkung der Lungenfunktion bei den Lungenfunktionsuntersuchungen habe feststellen können.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S. vom 9. Dezember 2018. Dieser hat ausgeführt, dass sich bei dem Versicherten sowohl in einem Röntgenbild aus dem Jahre 2008, als auch im CT 2011 klassische asbestassoziierte Pleuraveränderungen gefunden hätten, aber kein Nachweis einer Lungenfibrose. Dies sei auch durch die Obduktion bestätigt. Während die Lungenfibrose mit einer funktionell eingeschränkten Atembreite einhergehe, wirkten sich die asbestassoziierten kleinen Pleuraveränderungen kaum auf die Lungenfunktion aus. Im Falle des Versicherten hätten die Pleuraplaques aufgrund der geringen Ausdehnung keine negative funktionelle Wirkung auf die Lungenfunktion gehabt.
Mit Urteil vom 16. Juli 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Bei dem verstorbenen Versicherten sei am 17. Mai 2011 durch eine entsprechende Computertomographie eine geringgradig ausgeprägte Asbestose festgestellt worden, welche die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigender MdE, d.h. um wenigstens 20 v.H. gemindert habe. Zu Recht hätten sowohl der im Verwaltungsverfahren angehörte Gutachter Dr. S1 als auch der im Gerichtsverfahren bestellte Sachverständige Dr. S. ausgeführt, dass aufgrund der Ergebnisse der Lungenfunktionsprüfungen seit 2011 bis zum 16. Februar 2016 keine Einschränkung der Lungenfunktion im Rahmen einer restriktiven oder obstruktiven Ventilationsstörung vorgelegen habe und auch eine die Lungenkapazität einschränkende Lungenfibrose medizinisch nicht habe nachgewiesen werden können. Auch der Lungenfacharzt Dr. D. habe in seiner Stellungnahme vom 25. April 2017 darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Vitalkapazität (VC max.) des Versicherten im Jahre 2014 mit einem Wert von 84,5 % eine signifikante Restriktion nicht festgestellt werden konnte. Diese Auffassung stehe auch in Übereinstimmung mit der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, wonach von einer rentenberechtigenden MdE im Rahmen der BK 4103 erst bei einem Wert der Vitalkapazität (IVC) unter 80% sowie bei einer CIstat von unter 70% ausgegangen werden könne. Aufgrund der bis zum September 2015 als noch im Normbereich anzusehenden Vitalkapazität ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Bewertung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. Aus diesen Gründen sei auch die hilfsweise beantragte Feststellung einer MdE von 10 v.H. im Rahmen eines möglichen Stützrententatbestandes (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) nicht möglich. Insbesondere fehle es vor dem 15. Februar 2016 an einem weiteren MdE-Versicherungsfall, der eine Rente nach einer MdE von 10 v.H. stützen würde. Auch der Antrag auf Feststellung, dass der Versicherungsfall der BK 4103 früher vorgelegen haben müsste, sei nicht begründet, da er medizinisch nicht nachgewiesen worden sei.
Die Klägerin hat gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 24. Juli 2020 zugestellte Urteil am 24. August 2020 Berufung eingelegt. Die Beklagte unterschätze den vorliegenden Fall. Dass eine MdE von 20 v.H. für eine BK 4103 vor dem 17. Mai 2011 feststellbar sei, ergebe sich aus dem weiteren Verlauf.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juli 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des versicherten L.S. aufgrund der anerkannten Berufskrankheit nach der Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v.H., hilfsweise eine Stützrente aufgrund eines Versicherungsfalles vor dem 17. Mai 2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils. Nach den Stellungnahmen von Dr. S1 vom 17. Oktober 2016 und Dr. D. vom 25. April 2017 hätten Asbeststaubinhalationsfolgen erstmals im Rahmen einer CT-Untersuchung am 17. Mai 2011 festgestellt werden können. Der Versicherungsfall sei deshalb erst ab diesem Datum anzunehmen, für eine Vorverlegung bestehe kein Anhalt. Eine rentenberechtigende MdE habe bei den Lungenfunktionsprüfungen bis zum 15. Februar 2016 nicht festgestellt werden können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung über die Berufung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG )). Außer der Gerichtsakte haben die den Versicherten betreffenden Verwaltungsakten vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Auf den Inhalt dieser Akten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente mit einer rentenberechtigenden MdE oder einer Stützrente aufgrund der bei dem verstorbenen Versicherten L.S. anerkannten BK 4103 unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungsfalls vor dem 17. Mai 2011 hat.
1. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Wenn, wie vorliegend, kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, werden Renten an Versicherte nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass der Versicherungsfall vor dem 15. Februar 2016 eintrat. Wann der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten eintritt, richtet sich nach § 9 Abs. 5 SGB VII. Hiernach ist auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden MdE abzustellen. Da der Versicherte bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und nicht mehr arbeitstätig war, kann eine Arbeitsunfähigkeit bzw. deren Beginn nicht bestimmt werden. Abzustellen ist vielmehr auf den Beginn der Behandlungsbedürftigkeit bzw. der rentenberechtigenden MdE. Vor dem 16. Februar 2016, an dem wegen der festgestellten BK 4105 bei dem Versicherten eine MdE von 100 v.H. bestand, waren die asbestassoziierten Pleuraveränderungen (BK 4103) nicht behandlungsbedürftig und die MdE war bis zu diesem Zeitpunkt auf 0 festzusetzen. Das ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. S., der zu dem Ergebnis gelangte, bei dem Versicherten hätten die Pleuraplaques keine negative funktionelle Wirkung auf die Lungenfunktion gehabt. Zwar hätten sich sowohl in dem Röntgenbild aus dem Jahr 2008 als auch dem CT aus 2011 klassische asbestassoziierte Pleuraveränderungen gefunden, jedoch kein Nachweis einer Lungenfibrose. Auch die spätere Obduktion habe diesen Befund bestätigt. Die kleinen Pleuraveränderungen hätten sich kaum auf die Lungenfunktion ausgewirkt.
Der Senat folgt diesen nachvollziehbaren und überzeugend begründeten Feststellungen. Sie decken sich auch mit den Ergebnissen der sachverständigen Feststellungen des Pneumologen Dr. D. und Dr. S1, die ebenfalls bei dem Versicherten wesentliche Funktionsstörungen aufgrund einer BK 4103 nicht erkennen konnten.
2. Dafür, dass die BK 4103 bereits vor 2011 mit einer rentenberechtigenden MdE vorgelegten hat, finden sich keine medizinischen Hinweise. Darauf hat bereits der Lungenarzt Dr. S1 in seiner Stellungnahme vom 27. Oktober 2016 hingewiesen. Bei den nachgehenden Untersuchungen in der Praxis von Dr. H1 (2008) hätten sich in der Lungenfunktion keine Einschränkungen gezeigt. Erst bei Untersuchungen im Jahr 2014 hätte sich der Verdacht einer restriktiven Ventilationsstörung ergeben. Die anschließenden Lungenfunktionsuntersuchungen am 14. November 2014 hätten dies aber nicht bestätigt. Unter Berücksichtigung der Sollwerte nach EGKS und der "Global Lung Function Initiative 2012" sei bei der von dem Versicherten bei der Spirometrie erreichten Vitalkapazität nicht von einer Einschränkung auszugehen gewesen. Das Sozialgericht hat die Klage deshalb auch insoweit zu Recht abgewiesen, sodass die Berufung insgesamt keinen Erfolg hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen der Klägerin.
4. Gründe, die Berufung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob und von welchem Zeitpunkt an die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen L.S. aufgrund der Folgen der anerkannten Berufskrankheit (BK) nach der Ziffer 4103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ("Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura") Anspruch auf Gewährung einer Rente mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H. hat.
Die Klägerin ist die Ehefrau des am 27. Mai 2016 verstorbenen L.S. (Versicherter). Der am xxxxx 1938 geborene Versicherte war während seiner Berufstätigkeit (1960 – 1996) als Maschinenschlosser bei den H. AG von 1960 bis 1987 asbestfaserhaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen. Am 17. Mai 2011 stellte der Radiologe Dr. G. nach einer Computertomographie des Thorax beim Versicherten eine geringgradige Asbestose mit nur vereinzelten pleuralen Plaques fest, ohne Nachweis einer asbestassoziierten Lungenfibrose, unauffälligem Bronchialsystem und bei geringen unspezifischen narbigen Veränderungen der Lungenspitze. Am 10. September 2015 wurde der Versicherte in der Lungenpraxis Professor H1 wegen eines echokardiographisch aufgefallenen persistierenden Pleuraergusses rechts untersucht. Prof. Dr. H1 kam danach zu dem Ergebnis, dass ein rechtsseitiger Pleuraerguss mit geschätzt wenigen 100 ml Flüssigkeit und nur teilweiser Kammerung vorliege. Die Pleurapunktat-Untersuchung zeige ein eindeutiges Exsudat mit gemischtzelliger, jedoch nicht eitriger Entzündung. Die Ätiologie bleibe unklar, ein malignes Geschehen sei aufgrund der langzeitigen Persistenz des Ergusses ohne wesentlichen Progress sehr unwahrscheinlich.
Während der stationären Behandlung vom 19. – 29. Februar 2016 im A. Krankenhaus H2 wurde bei dem Versicherten ein histologisch gesichertes Pleuramesotheliom links (Mesotheliom A), ein unklarer Vorhalt dorsal der Milz sowie ein chronischer Pleuraerguss rechts festgestellt. Die Beklagte erkannte mit Schreiben vom 21./22. April 2016 an die behandelnden Ärzte des Versicherten das Pleuramesotheliom als BK nach der Ziffer 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ("Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards") an.
In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27. Oktober 2016 führte der Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S1 aus, dass sich Asbeststaubinhalationsfolgen zum ersten Mal im Rahmen der CT-Untersuchung am 17. Mai 2011 dokumentieren ließen. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der pleuralen Veränderungen sei davon auszugehen, dass diese nur computertomgraphisch sichtbar gewesen seien. Im dem G 1.2 Bogen aus dem Jahre 2011 seien keine Ergebnisse von Lungenfunktionsuntersuchungen festgehalten. Erst in dem G 1.2 Bogen vom 14. November 2014 werde von restriktiven Ventilationsstörung ausgegangen. Unter Berücksichtigung der Sollwerte nach EGKS (Referenzwerte der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl) und der Sollwerte nach der "Global Lung Function Initiative 2012" sei nicht von einer Einschränkung auszugehen gewesen. Somit sei das Vorliegen einer restriktiven bzw. obstruktiven Ventilationsstörung nicht festzustellen gewesen.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 10. November 2016 bei dem Versicherten eine BK nach der Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung an und datierte den Tag des Versicherungsfalles auf den 17. Mai 2011. Im Rahmen der durchgeführten Lungenfunktionsprüfungen in den Jahren 2011 bis 2014 habe sich eine restriktive bzw. obstruktive Ventilationsstörung noch nicht feststellen lassen, so dass ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund der Asbestose nicht bestanden habe.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, woraufhin die Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme des Pneumologen Dr. D. einholte. In seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 25. April 2017 führte Dr. D. aus, dass 2011 offensichtlich keine suffiziente Lungenfunktionsprüfung habe durchgeführt werden können. 2014 habe die Vitalkapazität bei einem Bestwert von 3,29 l (84,5%) betragen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine signifikante Restriktion nicht feststellbar. Im September 2015 habe die Vitalkapazität bei dem Versicherten eine leicht abfallende Tendenz gezeigt (Vitalkapazität bei 77%). Im Februar 2016 sei das Pleuramesotheliom festgestellt worden, das die entsprechenden Funktionsstörungen verursacht habe. Am 12. April 2016 habe eine ausgeprägte Restriktion mit einem Vitalkapazitätswert von 2,18 l (= 56%) bestanden. Bis zur Feststellung des Pleuramesothelioms am 15. Februar 2016 habe auch keine Stütz-MdE bestanden, erst danach sei eine solche Stütz-MdE anzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt habe jedoch bereits eine Gesamt-MdE von 100% bestanden. Die Beklagte erließ am 29. Mai 2017 den Widerspruchsbescheid und führte aus, dass zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung am 17. Mai 2011 eine Einschränkung der Lungenfunktion in Form einer Einengung der Dehnungsfähigkeit der Lunge (Restriktion) nicht vorgelegen habe. Eine MdE in rentenberechtigendem Grade könne deshalb nicht festgestellt werden.
Die Klägerin hat am 6. Juli 2017 Klage erhoben und vorgetragen, dass mit Vorlage der CT-Untersuchung vom 15. Mai 2011 spätestens zu diesem Zeitpunkt eine rentenberechtigende MdE vorgelegen habe. Im Computertomogramm seien Pleuraverdickungen mit streifiger Zeichnungsvermehrung der angrenzenden Lunge im Bereich der Lungenspitzen festgestellt worden. Beweisend dafür sei auch, dass bei dem Versicherten eine schwere Luftnot bestanden habe, die sich auch durch den Einsatz eines Herzschrittmachers nicht habe bessern lassen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat insbesondere auf die Feststellungen von Dr. D. verwiesen, der keine Einschränkung der Lungenfunktion bei den Lungenfunktionsuntersuchungen habe feststellen können.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S. vom 9. Dezember 2018. Dieser hat ausgeführt, dass sich bei dem Versicherten sowohl in einem Röntgenbild aus dem Jahre 2008, als auch im CT 2011 klassische asbestassoziierte Pleuraveränderungen gefunden hätten, aber kein Nachweis einer Lungenfibrose. Dies sei auch durch die Obduktion bestätigt. Während die Lungenfibrose mit einer funktionell eingeschränkten Atembreite einhergehe, wirkten sich die asbestassoziierten kleinen Pleuraveränderungen kaum auf die Lungenfunktion aus. Im Falle des Versicherten hätten die Pleuraplaques aufgrund der geringen Ausdehnung keine negative funktionelle Wirkung auf die Lungenfunktion gehabt.
Mit Urteil vom 16. Juli 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Bei dem verstorbenen Versicherten sei am 17. Mai 2011 durch eine entsprechende Computertomographie eine geringgradig ausgeprägte Asbestose festgestellt worden, welche die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigender MdE, d.h. um wenigstens 20 v.H. gemindert habe. Zu Recht hätten sowohl der im Verwaltungsverfahren angehörte Gutachter Dr. S1 als auch der im Gerichtsverfahren bestellte Sachverständige Dr. S. ausgeführt, dass aufgrund der Ergebnisse der Lungenfunktionsprüfungen seit 2011 bis zum 16. Februar 2016 keine Einschränkung der Lungenfunktion im Rahmen einer restriktiven oder obstruktiven Ventilationsstörung vorgelegen habe und auch eine die Lungenkapazität einschränkende Lungenfibrose medizinisch nicht habe nachgewiesen werden können. Auch der Lungenfacharzt Dr. D. habe in seiner Stellungnahme vom 25. April 2017 darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Vitalkapazität (VC max.) des Versicherten im Jahre 2014 mit einem Wert von 84,5 % eine signifikante Restriktion nicht festgestellt werden konnte. Diese Auffassung stehe auch in Übereinstimmung mit der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, wonach von einer rentenberechtigenden MdE im Rahmen der BK 4103 erst bei einem Wert der Vitalkapazität (IVC) unter 80% sowie bei einer CIstat von unter 70% ausgegangen werden könne. Aufgrund der bis zum September 2015 als noch im Normbereich anzusehenden Vitalkapazität ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Bewertung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. Aus diesen Gründen sei auch die hilfsweise beantragte Feststellung einer MdE von 10 v.H. im Rahmen eines möglichen Stützrententatbestandes (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) nicht möglich. Insbesondere fehle es vor dem 15. Februar 2016 an einem weiteren MdE-Versicherungsfall, der eine Rente nach einer MdE von 10 v.H. stützen würde. Auch der Antrag auf Feststellung, dass der Versicherungsfall der BK 4103 früher vorgelegen haben müsste, sei nicht begründet, da er medizinisch nicht nachgewiesen worden sei.
Die Klägerin hat gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 24. Juli 2020 zugestellte Urteil am 24. August 2020 Berufung eingelegt. Die Beklagte unterschätze den vorliegenden Fall. Dass eine MdE von 20 v.H. für eine BK 4103 vor dem 17. Mai 2011 feststellbar sei, ergebe sich aus dem weiteren Verlauf.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juli 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Mai 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des versicherten L.S. aufgrund der anerkannten Berufskrankheit nach der Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v.H., hilfsweise eine Stützrente aufgrund eines Versicherungsfalles vor dem 17. Mai 2011 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils. Nach den Stellungnahmen von Dr. S1 vom 17. Oktober 2016 und Dr. D. vom 25. April 2017 hätten Asbeststaubinhalationsfolgen erstmals im Rahmen einer CT-Untersuchung am 17. Mai 2011 festgestellt werden können. Der Versicherungsfall sei deshalb erst ab diesem Datum anzunehmen, für eine Vorverlegung bestehe kein Anhalt. Eine rentenberechtigende MdE habe bei den Lungenfunktionsprüfungen bis zum 15. Februar 2016 nicht festgestellt werden können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung über die Berufung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG )). Außer der Gerichtsakte haben die den Versicherten betreffenden Verwaltungsakten vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Auf den Inhalt dieser Akten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente mit einer rentenberechtigenden MdE oder einer Stützrente aufgrund der bei dem verstorbenen Versicherten L.S. anerkannten BK 4103 unter Berücksichtigung eines früheren Versicherungsfalls vor dem 17. Mai 2011 hat.
1. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Wenn, wie vorliegend, kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, werden Renten an Versicherte nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass der Versicherungsfall vor dem 15. Februar 2016 eintrat. Wann der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten eintritt, richtet sich nach § 9 Abs. 5 SGB VII. Hiernach ist auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden MdE abzustellen. Da der Versicherte bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und nicht mehr arbeitstätig war, kann eine Arbeitsunfähigkeit bzw. deren Beginn nicht bestimmt werden. Abzustellen ist vielmehr auf den Beginn der Behandlungsbedürftigkeit bzw. der rentenberechtigenden MdE. Vor dem 16. Februar 2016, an dem wegen der festgestellten BK 4105 bei dem Versicherten eine MdE von 100 v.H. bestand, waren die asbestassoziierten Pleuraveränderungen (BK 4103) nicht behandlungsbedürftig und die MdE war bis zu diesem Zeitpunkt auf 0 festzusetzen. Das ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. S., der zu dem Ergebnis gelangte, bei dem Versicherten hätten die Pleuraplaques keine negative funktionelle Wirkung auf die Lungenfunktion gehabt. Zwar hätten sich sowohl in dem Röntgenbild aus dem Jahr 2008 als auch dem CT aus 2011 klassische asbestassoziierte Pleuraveränderungen gefunden, jedoch kein Nachweis einer Lungenfibrose. Auch die spätere Obduktion habe diesen Befund bestätigt. Die kleinen Pleuraveränderungen hätten sich kaum auf die Lungenfunktion ausgewirkt.
Der Senat folgt diesen nachvollziehbaren und überzeugend begründeten Feststellungen. Sie decken sich auch mit den Ergebnissen der sachverständigen Feststellungen des Pneumologen Dr. D. und Dr. S1, die ebenfalls bei dem Versicherten wesentliche Funktionsstörungen aufgrund einer BK 4103 nicht erkennen konnten.
2. Dafür, dass die BK 4103 bereits vor 2011 mit einer rentenberechtigenden MdE vorgelegten hat, finden sich keine medizinischen Hinweise. Darauf hat bereits der Lungenarzt Dr. S1 in seiner Stellungnahme vom 27. Oktober 2016 hingewiesen. Bei den nachgehenden Untersuchungen in der Praxis von Dr. H1 (2008) hätten sich in der Lungenfunktion keine Einschränkungen gezeigt. Erst bei Untersuchungen im Jahr 2014 hätte sich der Verdacht einer restriktiven Ventilationsstörung ergeben. Die anschließenden Lungenfunktionsuntersuchungen am 14. November 2014 hätten dies aber nicht bestätigt. Unter Berücksichtigung der Sollwerte nach EGKS und der "Global Lung Function Initiative 2012" sei bei der von dem Versicherten bei der Spirometrie erreichten Vitalkapazität nicht von einer Einschränkung auszugehen gewesen. Das Sozialgericht hat die Klage deshalb auch insoweit zu Recht abgewiesen, sodass die Berufung insgesamt keinen Erfolg hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen der Klägerin.
4. Gründe, die Berufung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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