L 10 U 421/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 5223/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 421/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.01.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung von Wirbelsäulenbeschwerden als Unfallfolge und wegen dieser Beschwerden höhere Verletztenrente.

Der am 1968 geborene Kläger, t. Staatsangehöriger, bezieht nach eigenen Angaben wegen einer paranoiden Schizophrenie (Erstdiagnose 1988) seit 1992 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (vgl. u.a. seine im Bericht der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Haus am M. , dokumentierten Angaben, Verwaltungsakten Akten-Id: 158/S. 2 ff.).

Am 13.06.2013 wurde er im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Fahrer auf der Autobahn in einen Verkehrsunfall verwickelt, als sein verkehrsbedingt zum Halten gekommener Pkw durch einen nachfolgenden Pkw mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 45 bis 50 km pro Stunde (Gutachten des Dipl.-Ing. Rössle, Bl. 26 ff. LSG-Akte) auf den vor ihm stehenden Pkw und dieser seinerseits auf das davorstehende Fahrzeug aufgeschoben wurde. Der Kläger wurde mit dem Rettungsdienst in die F. eingeliefert, wo er über Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) klagte. Die HWS war im mittleren Drittel druckschmerzhaft und es bestand eine leichte Hypästhesie über dem linken Daumenballen. Die Röntgenaufnahmen ergaben keine knöcherne Verletzung und der Kläger wurde mit der Diagnose "Distorsion HWS" mit angeratener Schonung entlassen. Eine nachfolgende neurologische Untersuchung beim Arzt für Neurologie Dr. B.-S. ergab keine krankhaften Befunde (Akten-Id: 14). In den folgenden Monaten stellte sich der Kläger wegen Schmerzen im Bereich der HWS mit Ausstrahlung in den linken Arm und Pelzigkeit des Unterarms und der Finger in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG Klinik) vor. Die dort im August 2013 veranlasste Kernspintomographie (= Magnetresonanztomographie - MRT -) der HWS ergab eine leichtgradig aktivierte Osteochondrose und zwei Bandscheibenprotrusionen (hinsichtlich sämtlicher Einzelheiten wird auf den Befundbericht Akten-Id: 60 Bezug genommen). Im September 2013 diagnostizierte der Leitende Oberarzt der Sektion Traumatologie an der BG Klinik Dr. S. einen Zustand nach HWS-Distorsion und subjektive Restbeschwerden der HWS, dokumentierte eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der HWS und einen leichten Muskelhartspann und verneinte das Vorliegen von Unfallfolgen auf unfallchirurgischem Fachgebiet (Akten-Id: 71). Er erachtete den Kläger von unfallchirurgischer Seite als arbeitsfähig (Akten-Id: 86).

Die Beklagte gewährte zunächst Verletztengeld. Mit Bescheid vom 08.11.2013 (Akten-Id: 88) lehnte sie die Gewährung von Entschädigungsleistungen auf Grund des Unfalles vom 13.06.2013 über den 11.08.2013 hinaus ab. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte im Hinblick auf psychische Beschwerden des Klägers u.a. zwei Gutachten ein, wonach beim Kläger durch den Unfall eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entstanden sei und - so das erste Gutachten des Arztes für Psychiatrie Dr. A. (Akten-Id: 174) - zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. führe. Nachdem die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 19.05.2015 (Akten-Id: 293) Verletztengeld bis 11.12.2014 bewilligt und im Übrigen den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 08.11.2013 zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom 03.07.2015, Akten-Id: 317) bewilligte sie mit Bescheid vom 10.06.2015 (Akten-Id: 295) wegen der PTBS und Fahrängsten Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 v.H. ab 12.12.2014. Der mit der Begründung, auch die Beschwerden seitens der HWS seien zu berücksichtigen, eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.08.2015, Akten-Id: 326).

Hiergegen hat der Kläger am 22.09.2015 beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben und auf Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm hingewiesen, die erst seit dem Arbeitsunfall bestünden.

Während des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 10.12.2015 ergangen (Akten-Id: 348), mit dem anstelle der bisherigen Rente als vorläufige Entschädigung eine Rente auf unbestimmte Zeit in gleicher Höhe wegen der PTBS und der Fahrängste (weiter)gewährt wurde.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie und Leitenden Oberarztes des M. Stuttgart Dr. D. eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Röntgenaufnahmen am Unfalltag sowie die Kernspintomographie vom August 2013 dokumentierten Verschleißerscheinungen und schlössen unfallbedingte krankhafte Befunde aus. Auf Grund dieser bildgebenden Verfahren könne allenfalls die leichteste Form einer HWS-Distorsion, nämlich Grad I nach Erdmann, abgelaufen sein. Die - von ihm aktuell dokumentierte - leichte Bewegungseinschränkung (endgradige Einschränkung der Links-Neig-Beweglichkeit der HWS) sei auf diese degenerativen Veränderungen zurückzuführen, eine MdE bestehe auf unfallchirurgischem Fachgebiet nicht.

Das Sozialgericht hat daraufhin und auf dieses Gutachten gestützt die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23.01.2017 abgewiesen. Es hat die Klage auf Anerkennung von Unfallfolgen für zulässig erachtet, weil jedenfalls durch den Bescheid vom 10.06.2015 die Unfallfolgen nochmals überprüft und weitere Unfallfolgen auf psychischem Fachgebiet anerkannt worden seien. Allerdings seien die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule nicht als Unfallfolge anzuerkennen, da nicht durch den Unfall verursacht. Dementsprechend habe der Kläger, da die psychischen Störungen zutreffend mit einer MdE um 30 v.H. bewertet seien, auch keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente.

Hiergegen hat der Kläger am 02.02.2017 Berufung eingelegt und u.a. das Gutachten von Dipl.-Ing. R. vorgelegt.

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.01.2017 aufzuheben sowie den Bescheid vom 10.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2015 und den Bescheid vom 10.12.2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule zusätzlich als Unfallfolge anzuerkennen und ihm auf Grund des Arbeitsunfalls vom 13.06.2013 eine Rente nach einer MdE um mindestens 40 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Die Fachärztin für Chirurgie S. von der F. hat u.a. mitgeteilt, den Kläger zuletzt im Juli 2013 behandelt zu haben. Der Arzt für Chirurgie/Orthopädie Dr. D. hat berichtet, beim Kläger habe eine endgradige schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der HWS und Sensibilitätsstörungen der Finger vorgelegen sowie unspezifische Nackenbeschwerden. Ab April 2015 sei eine Besserung eingetreten, es handle sich um einen protrahierten Behandlungsverlauf bei Zustand nach HWS-Distorsion. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S. hat seine Patientendokumentation übersandt.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 10.06.2015 über die Gewährung von Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 v.H. in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2015 sowie - vom Sozialgericht zutreffend erkannt - der Bescheid vom 10.12.2015 über die Gewährung der Rente auf unbestimmte Zeit in gleicher Höhe, der den Bescheid vom 10.06.2015 insoweit für die Zukunft ersetzt und daher nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (vgl. Urteil des Senats vom 20.10.2011, L 10 U 4346/08, juris), allerdings nur insoweit, als der Kläger die Gewährung höherer Verletztenrente begehrt. Soweit Rente nach einer MdE um 30 v.H. bewilligt wurde, ficht der Kläger die Bescheide - weil ihm insoweit günstig - nicht an.

Die auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente nach einer MdE um mindestens 40 v.H. gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG).

Dagegen ist die auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung von Wirbelsäulenbeschwerden als Unfallfolge gerichtete Verpflichtungsklage entgegen der - im Gerichtsbescheid nicht konkret und näher begründeten - Auffassung des Sozialgerichts unzulässig. Denn mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.06.2015 sowie dem Widerspruchsbescheid vom 28.08.2015 entschied die Beklagte allein über Verletztenrente. Eine Regelung i.S. des § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in Bezug auf Unfallfolgen enthalten diese Bescheide somit gerade nicht. Soweit in ihnen Gesundheitsstörungen - allerdings gerade nicht Wirbelsäulenbeschwerden - erwähnt sind, sind diese Ausführungen - was sowohl das Sozialgericht als auch der Kläger (Bl. 52 f. SG-Akte) nicht berücksichtigt haben - Teil der Begründung. Dies ergibt sich eindeutig aus der Trennung zwischen der Entscheidung über die Leistungsart (Rente als vorläufige Entschädigung), als Nr. 1 aufgeführt, der MdE, als Nr. 2 aufgeführt, Beginn, als Nr. 3 aufgeführt, und derzeitiger monatlicher Höhe und dem nachfolgenden Textteil, der mit "Unsere Entscheidung begründen wir wie folgt:" eingeführt wird und hinsichtlich der dort angeführten Gesundheitsstörungen den Hinweis enthält, dass diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Bemessung der MdE berücksichtigt worden seien bzw. welche unabhängig vom Arbeitsunfall vorlägen (die Schizophrenie). Nichts Anderes gilt für den Bescheid vom 10.12.2015, der inhaltsgleiche Formulierungen enthält. Soweit der Kläger im Klageverfahren (Bl. 53 SG-Akte) auf einen Passus im Widerspruchsbescheid vom 28.08.2015 verwiesen hat, befindet sich dieser Textteil ebenfalls in der Begründung. Der Verfügungssatz des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides beschränkt sich auf die Zurückweisung des Widerspruchs. Damit fehlt es in Bezug auf Unfallfolgen an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung. Der Kläger kann somit nicht geltend machen, in Bezug auf die Anerkennung bzw. Ablehnung von Unfallfolgen durch die streitgegenständlichen Bescheide in seinen Rechten verletzt zu sein. Damit ist die Anfechtungsklage insoweit mangels Klagebefugnis unzulässig (BSG, Urteil vom 17.12.2015, B 2 U 2/14 R, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris). Entsprechendes gilt für die Verpflichtungsklage. Voraussetzung ist auch hier, dass zunächst die Verwaltung mit der Sache befasst war und über das Begehren in den angefochtenen Bescheiden entschied (BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R; Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R; Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R). Andernfalls fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes in Form eines derartigen Verpflichtungsbegehrens. Die mangels anfechtbarer Verwaltungsentscheidung unzulässige Anfechtungsklage zieht gleichsam die Unzulässigkeit der Verpflichtungsklage nach sich (vgl. BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R).

Aber auch im Falle zulässiger Klage hätte der Kläger mit seinem Begehren keinen Erfolg und aus demselben Grund ist die zulässige Klage auf höhere Verletztenrente unbegründet. Denn seine Wirbelsäulenbeschwerden - genauer, und so von ihm auch gemeint: die HWS-Beschwerden - sind nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen und daher bei der Bemessung der MdE nicht zu berücksichtigen.

Allerdings folgt dies nicht aus einer entsprechenden bestandskräftigen Entscheidung der Beklagten. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung die Auffassung vertreten hat, die Anerkennung von Wirbelsäulenbeschwerden als Unfallfolgen sei durch den Bescheid vom 08.11.2013 bestandskräftig abgelehnt, trifft dies - vom Sozialgericht insoweit im Ergebnis zutreffend erkannt - nicht zu. Auch dieser Bescheid gliedert sich eindeutig in den Verfügungssatz - Ablehnung von Entschädigungsleistungen über den 11.08.2013 hinaus, was vom Kläger auf das zu diesem Zeitpunkt gezahlte Verletztengeld und die erhaltene Heilbehandlung bezogen werden musste, entsprechend den Ausführungen in der Begründung des Bescheides zur unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit als zentrale Elemente dieser Leistungsansprüche - und den nicht von der Bindungswirkung des Verfügungssatzes erfassten Begründungsteil ("Unsere Entscheidung begründen wir wie folgt:"). Nur in diesem Begründungsteil finden sich Ausführungen, ob und welche Gesundheitsstörungen auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sein sollen. Eine Regelung im Sinne des § 31 SGB X liegt darin nicht.

Im Übrigen hat das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend die Rechtsgrundlage für eine höhere Verletztenrente (§ 56 SGB VII) und die Grundsätze der Kausalitätsbeurteilung dargelegt sowie - gestützt auf das Gutachten von Dr. D. - zutreffend ausgeführt, dass die weiter bestehenden Beschwerden des Klägers nicht durch den Unfall, sondern degenerativ verursacht sind. Die bildgebenden Verfahren nach dem Unfall hätten keine unfallbedingten Veränderungen, sondern nur Verschleißerscheinungen gezeigt. Alle neurologischen Untersuchungen seien unauffällig gewesen, bei den regelmäßigen Untersuchungen in der BG-Klinik hätten nur leichtgradige Bewegungseinschränkungen bestanden, bei der Untersuchung durch Dr. D. nur eine leichte Einschränkung der Links-Neig-Beweglichkeit. Eine MdE auf unfallchirurgischem Fachgebiet ergebe sich nicht, sodass die MdE mit 30 v.H. richtig bemessen sei. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Die Ausführungen des Sozialgerichts ergänzend weist der Senat im Hinblick auf den Vortrag des Klägers im Klageverfahren darauf hin, dass es für die Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs nach der vom Sozialgericht dargelegten und angewandten Theorie der wesentlichen Bedingung nicht ausreicht, dass die angeschuldigten Beschwerden erst zeitlich nach dem Unfall auftraten. Denn der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn kann nicht rein zeitlich begründet werden, sondern muss sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Dem entsprechend kann im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die berufliche Verursachung der Erkrankung geschlossen werden (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 34/03 R). Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Unfallfolgen positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R). Insbesondere gibt es noch nicht einmal die Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, a.a.O.). Hier stehen aber derartige Alternativursachen im Sinne degenerativer Veränderungen sogar fest, die die Beschwerden des Klägers allein erklären (so Dr. D. in Beantwortung der Beweisfrage 3), während die HWS-Distorsion mit dem leichtesten Grad I (so Dr. D. u.a. in Beantwortung der Beweisfrage 1) hierfür - weder im Sinne einer Verursachung noch einer Verschlimmerung - nicht verantwortlich ist (so Dr. D. in Beantwortung der Beweisfrage 3).

Soweit der Kläger im Anschluss an Ausführungen von Dr. D. meint, es sei ein technisches Gutachten einzuholen auf Grund dessen auf eine mögliche Verletzungsgefahr zu schließen sei, trifft dies nicht zu. Diese zivilrechtliche Sicht ist der im Zivilrecht geltenden Adäquanztheorie geschuldet. Bei der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung kommt es grundsätzlich nicht darauf an, welche Verletzungsgefahr bestand, sondern darauf, welche Verletzung im Sinne eines Erstschadens entstand. Auch bei geringer Verletzungsgefahr kann durch unglückliche Umstände ein Gesundheitsschaden entstehen, ebenso kann bei erheblicher Verletzungsgefahr und glücklichen Umständen eine Verletzung ausbleiben. Entsprechend hat Dr. D. auch seine medizinische Beurteilung abgegeben, wonach - hiergegen hat der Kläger keine Einwände erhoben - allenfalls die leichteste Form einer HWS-Distorsion (Grad I nach Erdmann) ablief, da eine höhergradige Distorsion Verletzungsmuster erfordert, die durch die bildgebenden Verfahren - insbesondere das MRT vom 15.08.2013 (vgl. den Befundbericht Akten-Id: 60 VA und die Beurteilung von Dr. D.: keine unfallbedingten, sondern degenerative Veränderungen, Bl. 69 SG-Akte) - ausgeschlossen wurden (Bl. 70 SG-Akte). Deshalb bedarf es - anders als der Kläger meint - auch keiner ergänzenden Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen zu dem vom Kläger vorgelegten technischen Gutachten und auch keiner weiteren neurochirurgischen Begutachtung und MRT-Untersuchung. Soweit er vorträgt, er habe erheblichere Beschwerden als von Dr. D. dargestellt, auch Lähmungserscheinungen im linken Arm, geht dies insoweit an der Sache vorbei, als Dr. D. bereits den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Autounfall und diesen, wie auch immer ausgeprägten Beschwerden des Klägers seitens der HWS verneint hat. Im Übrigen hat Dr. D. derartige Lähmungserscheinungen gerade nicht dokumentiert, sondern - von einer leichten Streckhemmung in beiden Ellenbogengelenken sowie im linken Handgelenk abgesehen - regelhafte Befunde. So ist die Muskulatur im Bereich beider Schultergürtel, Ober- und Unterarme sowie im Bereich der Hände regelrecht und kräftig ausgeprägt gewesen, der Händedruck ist beidseits sehr kräftig, links nur diskret schwächer gewesen (der Kläger ist Rechtshänder) und sämtliche Greifarten sind beidseitig problemlos möglich gewesen, auch sonst haben keine auffälligen Befunde bestanden.

Aus der vom Senat durchgeführten Sachaufklärung ergeben sich keine für den Kläger günstigen Erkenntnisse. Die Fachärztin u.a. für Chirurgie S. hat für den streitigen Zeitraum des Bezugs der Verletztenrente (ab dem 12.12.2014) keine Angaben machen können. Dr. D. hat zwar von einem protrahierten Behandlungsverlauf "bei Zustand nach Arbeitsunfall" mit einer Besserung ab April 2015 berichtet, aber den aktuellen Zustand ebenso wenig angegeben wie Ausführungen zum ursächlichen Zusammenhang, insbesondere im Hinblick auf die beim Kläger bestehenden degenerativen Veränderungen, gemacht. Auch in der Auskunft von Dr. S. finden sich keine Hinweise für einen ursächlichen Zusammenhang der HWS-Beschwerden mit dem Autounfall. Aus seiner zur Verfügung gestellten Dokumentation ergibt sich vielmehr, dass der Kläger bereits vor dem Autounfall Beschwerden auch im Bereich der HWS (im November 2008 HWS-Syndrom, Bl. 103, 105, 108 LSG-Akte, mit eingeschränkter Beweglichkeit und Blockierungen; ebenfalls für diesen Zeitpunkt dokumentiert: öfter Taubheitsgefühle am rechten Oberarm) und im Bereich der linken Hand (Oktober 2010, Bl. 103 LSG-Akte, ohne Traumaereignis) hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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