L 7 SO 407/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 3 SO 3828/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 407/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Januar 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. Gegenstand des am 4. Dezember 2019 von dem Antragsteller beim Sozialgericht Heilbronn (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 3 SO 3928/19 ER) ist sein Begehren auf eine (vorläufige) Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII), nachdem der Antragsgegner den entsprechenden Antrag des Antragstellers vom 30. August 2018 durch Bescheid vom 17. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2019, freilich durch Klage vom 4. Dezember 2019 angefochten (anhängig beim SG unter dem Aktenzeichen S 3 SO 3843/19), abgelehnt hatte. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 10. Januar 2020 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Anordnungsvoraussetzungen für das einstweilige Rechtsschutzgesuch sind auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

a. Gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Nach § 41 Abs. 1 SGB XII ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach § 43 SGB XII bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind hinsichtlich des Einsatzes von Einkommen die §§ 82 bis 84 SGB XII und von Vermögen die §§ 90 und 91 SGB XII anzuwenden, soweit in den folgenden Absätzen nichts Abweichendes geregelt ist.

b. Der 1950 geborene Antragsteller dürfte dem Grunde nach zum Kreis der Leistungsberechtigten gehören, da er die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt hat. Jedoch hat er seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht.

Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gem. § 42 SGB XII u.a. die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII (Nr. 1), die zusätzlichen Bedarfe nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels (Nr. 2) und die Bedarfe für Unterkunft und Heizung bei Leistungsberechtigten außerhalb von Einrichtungen nach § 42a SGB XII (Nr. 4a). Danach dürfte als Bedarf des alleinstehenden Antragstellers zunächst der Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von monatlich 432,00 EUR (§ 28 SGB XII i.V. mit der entsprechenden Anlage; vgl. zur Verfassungsmäßigkeit Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 23. Juli 2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvL 1691/13 - BGBl. I 2014, 1581) anzusetzen sein. Weiterhin dürften monatliche Beiträge zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen sein (vgl. § 32 Abs. 4 SGB XII; vgl. ferner Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 5. September 2019 - B 8 SO 15/18 R - juris) bis zur Höhe des nach § 152 Abs. 4 Versicherungsaufsichtsgesetz ergebenden halbierten monatlichen Betrags für den Basistarif, deren aktuelle Höhe der Antragsteller nicht beziffert und die C. Krankenversicherung a.G. im August 2019 mit 309,04 EUR angegeben hat. Kosten für Unterkunft und Heizung kommen im Hinblick auf die von Antragsteller in seinem Eigentum stehende Wohnung Eisgasse 6 in 71282 H. in Betracht (Hausgeld monatlich 330,00 EUR zuzüglich Grundsteuer jährlich 119,85 EUR), wobei eine Aufteilung der Unterkunftskosten zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn M. zu prüfen wäre, mit dem der Antragsteller nach seinen Angaben seit den Weihnachtsferien 2019 wieder zusammenwohnt (vgl. Löcken in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 35 Rdnr. 71 ff.).

Dem Bedarf des Antragstellers steht zunächst sein monatliches Renteneinkommen in Höhe von 276,92 EUR (§ 82 SGB XII) gegenüber. Ob das dem Antragsteller zufließende Kindergeld gem. § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII seinem minderjährigen Sohn M. (geb. 2003) als Einkommen zuzurechnen ist oder dem Antragsteller, wird das SG ggf. im Hauptsachverfahren zu klären haben. Jedenfalls stellen sich die weiteren Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers als völlig ungeklärt dar. Zwar hat der Antragsteller behauptet, er beziehe kein weiteres Einkommen, jedoch hat er seine Angaben weder nachvollziehbar belegt noch glaubhaft gemacht (§ 294 ZPO). Zunächst kann den vom Antragsteller vorgelegten Kontoauszüge entnommen werden, dass er seitens der R, GmbH wiederholt Gutschriften erhalten hat (so z.B. am 25. November 2919 200,00 EUR, 3. Dezember 2019 200,00 EUR, 23. Dezember 2019 300,00 EUR, 30. Dezember 2019 100,00 EUR, 20. Januar 2020 200,00 EUR). Weiterhin bestehen Anhaltspunkte für wirtschaftliche Aktivitäten des Antragstellers. So ist er (Mehrheits-)Gesellschafter und Geschäftsführer der R, GmbH. Gegenstand dieser Gesellschaft ist Herstellung, Beratung, Vertrieb und Wartung von Logistik-Software (vgl. § 2 des Gesellschaftsvertrages vom 13. Oktober 2005), deren Wert der Antragsteller auf 50.000.000,00 EUR beziffert hat (Schreiben vom 7. März 2020). Nach seinen Angaben habe er insofern am 2. März 2020 von einem Kunden eine Zahlung erhalten, die er freilich nicht beziffert hat. Weiterhin hat der Antragsteller mit Schreiben vom 7. März 2020 vorgebracht, dass er eine Software-Entwicklung im Februar 2018 gegen eine Beteiligung (wohl als stiller Gesellschafter) an der X. GmbH mit "Jahresmindestauszahlung und Beschäftigungsgarantie" verkauft habe (Kaufpreis 500.000,00 EUR). Ausweislich des vom Antragsteller vorgelegten Schreibens der X. GmbH erhält der Antragsteller ab dem 31. Dezember 2019 zum Ende eines jeden Kalenderjahres als Vorschuss auf den späteren Betrag für eine Auseinandersetzung 25.000,00 EUR, wobei bestimmte Einnahmen der vom Antragsteller beherrschten R, GmbH aus einer Vereinbarung mit der SPAL A. s.r.l. anzurechnen sein dürften. Demnach müsste der vom Antragsteller beherrschten R, GmbH zum 31. Dezember 2019 ein nicht unerheblicher Betrag zugeflossen sein. Der Antragsteller macht nunmehr geltend, im Januar 2020 sei die Rückabwicklung der Vereinbarung mit der X. GmbH vereinbart worden, ohne dies zu belegen. Ebenso hat er - entgegen der richterlichen Verfügung vom 21. Februar 2020 - keine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für die Zeit ab 1. Januar 2019 für seine Firma (R, GmbH) vorgelegt. Dies war jedoch erforderlich, um nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben (§ 82 SGB XII i.V.m. § 4 der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII; vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Oktober 2017 - L 7 SO 2271/17 - juris Rdnr. 39 ff.) das Einkommen des Antragstellers aus seiner unstreitig ausgeübten selbständigen Tätigkeit zu berechnen und seine Hilfebedürftigkeit zu beurteilen. Aus der vorgelegten Bilanz für das Jahr 2018 ergibt sich, dass die R, GmbH seinerzeit Umsatzerlöse in Höhe von 14.609,22 EUR erzielt hat. Mangels konkreter Angaben sowie Unterlagen zu den erzielten Einnahmen und notwendigen Ausgaben im Jahr 2019 sowie den ersten Monaten des Jahres 2020 ist nicht ersichtlich, ob und ggf. in welcher Höhe der Antragsteller Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt.

Schließlich wirft auch die Vermögenssituation des Antragstellers Fragen auf. Zunächst ist nicht geklärt, ob die vom Antragsteller bewohnte Eigentumswohnung einen geschützten Vermögenswert i.S.d. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII oder verwertbares Vermögen darstellt (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 - B 8 SO 15/15 R - juris Rdnr. 22 ff.; Urteil vom 24. März 2015 - B 8 SO 12/14 R - juris Rdnr. 12 ff.), u.a. weil der Antragsteller das ihm nach Angaben des Antragsgegners seit Dezember 2019 vorliegende Verkehrswertgutachten der Gemeinde nicht offenlegt. Weiterhin sind die Umstände und die rechtliche Bewertung des Verkaufs des Pkw P. im November 2018 sowie der Verbrauch des daraus erzielten Verkaufserlöses in Höhe von 28.500,00 EUR noch näher zu ermitteln. Schließlich ist auch der Verkehrswert des Pkw XXX (XX-XX XXXX), den der Antragsteller dem Vermögen der R, GmbH zuordnen möchte, während der Antragsgegner diesen Vermögensgegenstand dem Vermögen des Antragstellers zuordnet, nicht abschließend geklärt.

Da der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die skizzierten Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit nicht ausgeräumt hat und ihn insofern eine Mitwirkungsobliegenheit trifft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 1 BvR 1825/16 - juris Rdnr. 5; Beschluss vom 6. August 2014 - 1 BvR 1453/12 - juris Rdnr. 12; Beschluss vom 1. Februar 2010 - 1 BvR 20/10 - juris Rdnr. 2), geht dies zu seinen Lasten. Mithin hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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