Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 SB 443/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 SB 33/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.12.2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Beweiserhebung mit Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht Düsseldorf vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1969 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung der Merkzeichen G und B.
Sie beantragte mit Änderungsantrag vom 28.09.2017 bei der Beklagten die Zuerkennung der Merkzeichen G und B. Zuletzt war im Oktober 2016 für sie ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 festgestellt worden. Nach Einholung von Befundberichten gab der versorgungsärztliche Dienst der Beklagten hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen am 11.01.2018 folgende Stellungnahme ab:
1. Seelische Störung, posttraumatische Belastungsstörung Einzel-GdB 50,
2. Wirbelsäulenschaden, Bandscheibenschaden Einzel-GdB 20,
3. Bluthochdruck Einzel-GdB 10,
4. Reflux, Magen- und Speiseröhrenschleimhautentzündungen Einzel-GdB 10,
5. Ohrgeräusche, Hörstörung Einzel-GdB 10,
6. Allergisches Asthma bronchiale. Einzel-GdB 10.
Mit Bescheid vom 25.01.2018 stellte die Beklagte dem versorgungsärztlichen Vorschlag entsprechend der Klägerin gegenüber einen Gesamtgrad der Behinderung von 60 fest und lehnte gleichzeitig die Zuerkennung der beantragten Merkzeichen ab. Den dagegen am 16.02.2018 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie durch den Tinnitus und die Ohrgeräusche eine Störung der Orientierungsfähigkeit habe. Erschwerend kämen die Ängste aufgrund der Dissoziationsstörung hinzu, so dass sie ohne Begleitung das Haus nicht verlassen könne. Die Familie sei berufstätig und könne sie nicht begleiten. Es sei zunehmend schwierig, da sie viele Therapien und Arzttermine nicht wahrnehmen könne. Die Bezirksregierung N wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2018 zurück.
Die Klägerin hat am 21.03.2018 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Mit Beschluss vom 19.12.2018 hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachtens des Dr. L.
Dieser hat ausgeführt:
"Jetziges Beschwerdebild: Die Gutachtenpatientin gab an, dass sie dissoziierte, sie wisse nicht, in solchen Situationen, wo sie dann sei und wer sie sei. Sie spüre dies nicht immer, merke es zumeist, wenn sie abgedriftet sei. Diese Dissoziationen würden plötzlich Auftreten oder auch im Rahmen eines Gedankenflusses. Z.B. würden diese Symptome auftreten, wenn ihr jemand zu nahe komme. So sei sie schon knapp vor einer Straßenbahn angetroffen worden. Manchmal dauere so ein Zustand bis zu 5 Minuten, aber auch schon mehrere Stunden lang bis ein ganzes Wochenende. Sie wisse dann nicht mehr, was alles geschehen sei. Sie könne sich dann auch nicht erinnern, wisse einfach vieles von dem, was möglicherweise passiert sei, nicht mehr. Wenn sie in einem Geschäft einkaufen gehe, entwickele sie in Menschenansammlungen Panikgefühle. Diese Symptome würden nicht jeden Tag in gleicher Stärke auftreten, aber an manchen Tagen könne sie es nicht aushalten. Auch habe sie Angstzustände beim Verlassen des Hauses (es handele sich um ein Einfamilienhaus). Allein, wenn sie sie das Tor aufschließen müsse, dabei handele es sich aber um eine ruhige Straße mit nur wenigen Menschen. Den Müll könne Sie wegbringen, weil dieser auf ihrem Gelände vorhanden sei. Angstzustände bekomme sie auch, wenn sie alleine in öffentlichen Verkehrsmitteln sei oder in neuer, ungewohnter Umgebung oder wenn fremde, unbekannte Personen ihr zu nah kommen würden. Z.B. an der Kasse in einem Geschäft oder in Warteräumen oder beim Schwimmen. Sie brauche dadurch ständig Begleitung, um sich sicherer zu fühlen. Da nicht jeder aus ihrem Bekannten- oder Freundeskreis ein Auto besitze, zahle sie natürlich für die Begleitung auch immer Fahrgeld mit. Ihr Mann sei als Schichtarbeiter in 3 Schichten tätig und könne im Grunde sie nur selten begleiten. Ihr Sohn studiere noch, wohne auch nicht mehr zu Hause, sondern in einem Studentenzimmer in der Universität. Bedingt durch ihren chronischen Tinnitus nach einem Hörsturz, der auch psychisch bedingt war, Vorfall in Trauma-Klinik in Bad I, leide sie in Stresssituationen unter Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Dies alles würde es ihr gerade nicht erleichtern am sozialen Umfeld teilzunehmen. Oft müsse sie Termine mit Freunden oder Bekannten absagen. Sie könne überhaupt nicht alleine Bahnfahren. Ohne Begleitung wäre sie auch nicht zur Untersuchung gekommen. Wenn sie jemand begleiten würde, sei es wichtig, dass Sie denjenigen, auch kenne, Dieser ihr sozusagen vertraut wäre. Schwimmen würde sie gehen, weil sie etwas für ihren Rücken tun müsse. Im Weiteren gab die Patientin an, dass sie sich in der Vergangenheit durch eine Mitpatientin sehr an ihre Mutter erinnert fühlte. Schließlich hatte sie einen Hörsturz entwickelt und leide seitdem an einem Tinnitus des rechten Ohres.
Zur Krankenvorgeschichte gab die Patientin an, dass im Grunde alles 2013 begonnen habe. Sie habe gemerkt, dass irgendetwas nicht richtig stimmen würde. So sollte der Stiefvater durch die Patientin gepflegt werden. Im Verlauf habe die Patientin festgestellt, dass sie immer weniger Kraft gehabt habe. Im April 2013 hatte sich ein älterer Mann neben sie gestellt und ihr etwas ins Ohr geflüstert. Sie wisse gar nicht mehr den Inhalt. Danach habe es bei ihr angefangen. Der erste Auslöser sei der Sohn gewesen, da dieser betrunken nach Hause kam, das habe sie allzu sehr an ihre Mutter erinnert, die Alkoholikerin war. Es sei so gewesen, als wenn diese plötzlich vor ihr gestanden habe. Der 2. Auslöser wäre der Schwiegervater gewesen als dieser verstarb.
Im Laufe der Zeit seien alle möglichen Symptome aufgetreten. Schließlich habe sie im Pkw Angstzustände entwickelt. Laut der Therapeutin hätte sie dann dissoziative Zustände entwickelt, die früher für sie eine Art Schutz gewesen seien, aber später nicht mehr.
Biografische Daten. Ihre Mutter habe vermehrt Alkohol getrunken, dadurch sei sie sehr aggressiv gewesen, verbal wie auch psychisch, allerdings vor allem nur bei ihr, nicht bei den Geschwistern. Letztendlich wurde die Patientin für alles Mögliche verantwortlich gemacht. Auch habe die Mutter zu ihr gesagt: "Wärst du doch damals verstorben." Wahrscheinlich hätte man sie vertauscht. Auch sei sie mit dem Gürtel, mit dem Kleiderbügel geschlagen worden, wurde von der Mutter nachts aus dem Haus geworfen, die im Übermaß Alkohol getrunken hätte. Durch den Vater gab es sexuellen Missbrauch, welcher dann im Alter von 7 Jahren aufgehört habe, nachdem die Patientin aus der Kinder-Jugend-Psychiatrie damals herausgekommen war. Schließlich habe die Mutter die Patientin an die Bekannten weitergereicht. Die Patientin sei schließlich im Alter von 13 Jahren in ein Heim gekommen, dort sei sie l1/2 Jahre gewesen im Grunde war es für sie die beste Zeit. Dann habe ihre Mutter sie aber wieder dort rausgeholt. Die Patientin sei dann von Fremden missbraucht worden. Die Mutter habe irgendwann "die Schnauze voll gehabt" und habe die Patientin in ein Jugendheim in der Pfalz geschickt. Dort hätten sich aber die Leute menschenfreundlich und aufmerksam verhalten. Im Weiteren berichtete die Gutachtenpatientin von einem Autounfall, den die Mutter unter Alkoholeinfluss verursacht habe. Ihr 11 Jahre alter Bruder lag infolge des Unfallgeschehens damals verletzt im Graben, während die Mutter dabei saß und aufgrund ihres Alkoholkonsums lallte. Der ältere Bruder der Patientin sei sehr schwierig und sei im Grunde genau wie der Vater ein "Arschloch".
Zum Tinnitus gab die Patientin an, dass dieser auftrete, wenn die Patientin in Stress gerate, sie habe dann Schwindel. Dieser Tinnitus sei bisher durch das Schwerbehindertenamt nicht berücksichtigt worden. Die Patientin gab an, dass sie als Kind schon Kontakte gepflegt habe, sie hatte auch gute Kontakte. Darüber hinaus habe sie nur wenige Kontakte gepflegt. Während der Schulzeit seien die anderen Mitschüler nicht besonders nett zu ihr gewesen. Bzgl. ihrer Lebenssituation gab sie an, dass sie sich in ihrem eigenen Bereich sicher fühlen würde. Sie mache den Haushalt und habe schließlich die Möglichkeit, sich die einzelnen Abläufe in Ruhe einzuteilen. Sobald sie aber draußen sei, wäre das Leben für sie mehr als anstrengend.
Privat würde sie gern lesen, basteln und häkeln. Dies mache sie vor allem dann, wenn sie sich einigermaßen gut konzentrieren könne. Sie habe auch eine Katze, welche ihr einfach guttue.
(Die Patientin trägt während der Untersuchung einen Stein mit sich herum, auf dem ein Engel gezeichnet ist. Sie gab an, dass das ständige Drehen des Steins sie beruhigen würde. Sie halte sich im Grunde an diesem Stein fest. Dies habe sie mit ihrer Psychotherapeutin ausprobiert. Das Miteinander mit ihrem Ehemann verlaufe gut. Dieser sei verständnisvoll und könne gut auf sie eingehen.
Bzgl. der Tinnitus-Behandlung sei es schwierig. Den Hörsturz habe sie 2016 gehabt damals im Klinikaufenthalt in Bad I. Im Grunde würden Tinnitusbeschwerden nach 3 Monaten, wenn sie nicht weggegangen seien, chronisch. Vorläufig sei kein Klinikaufenthalt geplant.
Körperlicher Befund:
54 Jahre alte Patientin, in adipösem EZ und gutem AZ. Die Patientin ist 175 cm groß. Gewicht 106 kg. Blutdruck 150/100 mm/Hg. Puls 87/min. Die Patientin sieht altersentsprechend aus. Die Haut ist blass. Die sichtbaren Schleimhäute sind gut durchblutet. Es finden sich keine Ödeme, keine Exantheme, keine vergrößerten Lymphknoten. Kein Ikterus, keine Ruhedyspnoe. Der Schädel ist normal konfiguriert, das Gesicht ist symmetrisch. Augen, Nasen und Ohren sind äußerlich unauffällig. Das Gebiß ist saniert, die Zunge ist feucht und nicht belegt. Am Hals sind keine tastbare Struma o- der andere Lymphdrüsenvergrößerungen palpabel. Die Schilddrüse ist schluckverschieblich. Carotispulse sind beide tastbar. Eine obere Einflußstauung besteht nicht. Der Brustkorb ist symmetrisch geformt. Über beiden Lungenabschnitten findet sich ein vesikuläres Atemgeräusch. Keine RG s. Seitengleiche Beatmung. Am Herzen finden sich keine path. Geräusche. Die Herztöne sind rein und schlagen leise. Das Abdomen ist weich, Resistenzen sind nicht tastbar. Die Darmtätigkeit ist auskultatorisch rege. Leber und Milz sind nicht vergrößert. Die Bruchpforten sind geschlossen. Die Wirbelsäule ist nicht klopfempfindlich. Die Extremitäten sind uneingeschränkt beweglich.
Neurologischer Befund:
Kopf: Bei normaler Konfiguration nach allen Seiten frei beweglich, keine Klopfempfindlichkeit über der Kalotte.
Hirnnervenaustrittspunkte: Frei
Fazialisinnervation: Funktionsfähig
Mimik: Normal
Augen: Die Lidspalten sind seitengleich. Augenmuskelparesen stellen sich nicht dar. Kein Nystagmus. Pupillen sind rund und mittelweit. Seitengleiche Reaktion auf Licht und Konvergenz.
Augenhintergrund: Keine Stauungspapille, keine Papillenablassung und keine Blutung. Das Gesichtsfeld ist bei grober Prüfung intakt.
Cornealreflexe: Seitengleich auslösbar.
Trigeminus: Motorisch und sensibel intakt.
Gehör: Beeinträchtigungen finden sich nicht.
Geruch und Geschmack: Kein Hinweis für eine Störung.
Gaumensegel: Das Gaumensegel wird beim Anlauten seitengleich gehoben.
Schluckakt: Verläuft normal.
Hypoglossus: Zunge wird gerade hervorgestreckt und ist ohne Einschränkung gut beweglich.
Obere Extremitäten: Tonus bds. normal. Die Muskulatur ist gut ausgeprägt. Keine Atrophiezeichen. Die Motilität ist nicht gestört. Insbesondere besteht kein Tremor. Die grobe Kraft ist bds. erhalten. Die MER sind seiten- gleich schwach bis mittellebhaft auslösbar. Der Trömner ist bds. o.B. FNV und FFV sind sicher. Eudiadochokinese.
Hautmuskelreflexe: Die Bauchhautreflexe sind seitengleich nur schwach auslösbar.
Untere Extremitäten: Tonus und Trophik beider Beine sind gut ausgeprägt. Die PSR sind seitengleich schwach bis mittellebhaft auslösbar. Die ASR sind seitengleich nur schwach auslösbar. Das Vibrationsempfinden beträgt bimalleolär 6/8. Die path. Babinskizeichen sind bds. negativ. Zehen- und Fersengang sind sicher durch- führbar. Seiltänzer- und Blindgang sind sicher. KHV bds. ist sicher. Lasègue ist negativ. Romberg ist negativ. Die Prüfung der Sensibilität für Wärme-, Kälte-, Spitz- und Stumpfempfindung ist insgesamt ohne pathologischen Befund.
Psychischer Befund.
Die Gutachtenpatientin erschien in Begleitung pünktlich in geordnetem und gepflegtem Zustand zum Untersuchungstermin. Sie war wach und allseits orientiert. Es fanden sich keine schwerwiegenden kognitiven oder mnestischen Störungen. Der formale Gedankengang war soweit logisch und geordnet aufgebaut. Inhaltlich fanden sich keine Hlinweise auf Psychosezeichen i.S. von Wahnerlebnissen, Ich- Erlebnissstörungen oder Sinnestäuschungen. Der Antrieb war etwas vermindert. Im Affekt war die Patientin eher vermindert schwingungsfähig, es zeigte sich aber auch eine gewisse Labilität und verstärkte Anspannung. Das Stimmungsbild wirkte eher depressiv. Im Verhalten war die Gutachtenpatientin soweit freundlich und kooperativ. Anamnestisch fanden sich Hinweise auf erhebliche Dissoziationen mit unterschiedlichen Phasenlängen. Die von der Patientin geschilderten und auch im Verlauf nachvollziehbaren Angstzustände in Sinne von Panikattacken und sozialphobischen Auslösern konnte ebenfalls gut nachvollzogen werden.
Psychologische Testungen.
BDI: Beck sches Depressionsinventar Das BDI ist eine Mischform von Fremd- und Selbstbeurteilungsverfahren, wobei der Fragebogen im Dialog zwischen Psychiater und Patient beantwortet werden kann.
Das Depressionsinventar von Beck besteht aus 21 depressionstypischen Symptomen, die in jeweils vier bis fünf Aussagen unterteilt sind, welche verschieden starke Depressionsintensitäten anzeigen sollen.
Durch Addition der Punkte eines jeden Items erhält man die Gesamtpunktzahl. Die Höchstzahl ist 62. Für die Depressionsausprägungen werden folgende Durchschnittswerte angeben: Keine Depression (10,9 Punkte), Milde Depression (18,8 Punkte), Mäßige Depression (25,4 Punkte) und Schwere Depression (30,0 Punkte). Ergebnis:
Der Gutachtenpatient erreichte einen Summenwert von 36. Dieser Wert spricht für eine ausgeprägte depressive Symptomatik von Krankheitswert.
State-Trait- Angstinventar (STAI)
Das State-Trait-Angstinventar besteht aus 2 voneinander unabhängigen Selbstbeschreibungsskalen. Die eine wird zur Erfassung der Zustandsangst (State-Angst) und die andere zur Erfassung von Angst als Eigenschaft (Trait-Angst) verwendet. Beide Skalen bestehen aus je 20 Fragestellungen.
In der Anleitung zur State-Angstskala (Form X 1; Items 1-20) wird der Proband gebeten, zu beschreiben, wie er sich jetzt, d.h. in diesem Moment, fühlt. Die State-Angst ist definiert als ein emotionaler Zustand, der gekennzeichnet ist durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen sowie durch eine erhöhte Aktivität des Autonomen Nervensystems.
Die Anleitung zur Trait-Angstskala (Form X 2; Items 21-40) fordert auf, zu beschreiben, wie man sich im Allgemeinen fühlt. Angst als Eigenschaft bezieht sich auf relativ stabile interindividuelle Differenzen in der Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Angst zu reagieren.
Ergebnis:
Im STAI erzielt Fr. Sch. einen Rohwert von 59. Nach der Transformation auf die T-Skala (Mittelwert = 50, Standardabweichung = +/-10) ergibt dieser Rohwert einen T-Wert von 71.
In Bezug auf die Stanineskala von 1 bis 9 bei einem durchschnittlichen Normbereich von 4 bis 6 ergibt der Rohwert einen Staninewert von 9.
Dieses deutlich überdurchschnittliche Ergebnis spricht für eine erhöhte Ängstlichkeit bzw. Angst als Eigenschaft der Testperson. In diesem Sinne besitzt Fr. Sch. eine überdurchschnittliche Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren.
III. Zusammenfassung und Beurteilung.
Die Gutachtenpatientin wuchs in einem Familienklima auf, was zum einen vom übermäßigen Alkoholkonsum der Mutter geprägt gewesen war, die sich unter diesem Einfluss sehr aggressiv verhalten habe, sowohl verbal wie auch psychisch, so wurde sie erheblich verbal entwertet. Darüber hinaus gab es bis zum 7. Lebensjahr sexuellen Missbrauch durch den Vater. Später wurde die Patientin als Lustobjekt von ihrer Mutter an Bekannte weitergereicht bis sie schließlich im Alter von 13 Jahren in ein Heim kam, wo sie erstmalig in ihrem Leben anderthalb ruhigere und freundliche Jahre verbrachte. Danach lebte die Patientin kurzfristig wieder bei der Mutter, wurde darüber hinaus ein weiteres Mal sexuell von einem Fremden missbraucht und landete dann in einem Jugendheim, wo sie aber auf ein menschenfreundliches Klima stieß. Trotz der unglücklichen Kindheits- und Jugendentwicklung bemühte sich die Patientin um Kontakte zu anderen Kindern, wobei Mitschüler ihr gegenüber eher ausgrenzend gewesen seien. Nach der Klasse 10 arbeitete sie als Büfett-Kraft in einem Hotel, machte von 82-84 eine Ausbildung zur Fachgehilfin im Gastgewerbe, welche sie erfolgreich abschloss, arbeitete bis 87 als Hotelgehilfin, dann infolge von 87- 89 im Wachdienst der Kunstsammlung. Es folgten Tätigkeiten in Discountern und bei J. Letztendlich erhalte sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung, einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung seit 2013 Erwerbsunfähigkeitsrente.
Die Gutachtenpatientin, die seit 1986 durchgehend verheiratet ist und Mutter eines 25-jährigen Sohnes ist, klagte in der Untersuchungssituation über Dissoziationszustände, dass sie die Orientierung für sich selbst verliere, diese Zustände 5 min aber auch tagelang anhalten könnten. Sie habe danach häufig keine Erinnerung an solche Situationen, wisse nicht was geschehen sei.
Darüber hinaus beschrieb sie Panikgefühle in Menschenansammlungen in unterschiedlicher Ausprägung. Auch das Verlassen des Hauses verursache bei ihr Angstzustände. Darüber hinaus habe sie Angstzustände beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel und in ungewohnten Umgebungen, vor allem aber auch, wenn Fremde, unbekannte Personen ihr zu nah kommen würden. Dies kann natürlich auch in Geschäften an der Kasse passieren. Darüber hinaus klagte sie über Schwindelgefühle und Gleichgewichtsstörungen, einem Z.n. Tinnitus. Auch müsse sie häufig geplante Termine mit Freunden und Bekannten aufgrund ihrer immer wieder unverhofft auftretenden Symptome absagen. Letztendlich hätte die Symptomatik massiv 2013 begonnen, nachdem sie ihren Stiefvater versucht habe zu pflegen, aber immer weniger Kraft dabei erlebte und letztendlich sich durch ein Ereignis getriggert fühlte, nachdem ein älterer Mann im Jahr 2013 sich neben sie gestellt und ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte. Hierdurch bedingt sei sie erheblich verunsichert gewesen und zusätzlich dadurch, nachdem ihr Sohn einmal betrunken nach Hause kam, wodurch sie sich allzu sehr an das Verhalten ihrer Mutter während ihrer Kindheit erinnert fühlte.
Die körperlich-neurologische Untersuchung ergab aus psychiatrischer Sicht keine weiteren pathologischen Befunde von Bedeutung.
Im psychischen Befund war der Antrieb war etwas vermindert. Im Affekt war die Patientin vermindert schwingungsfähig, es zeigte sich aber auch eine Labilität und verstärkte Anspannung. Das Stimmungsbild wirkte depressiv. Anamnestisch fanden sich Hinweise auf erhebliche Dissoziationen mit unterschiedlichen Phasenlängen. Die von der Patientin geschilderten und auch im Verlauf nachvollziehbaren Angstzustände in Sinne von Panikattacken und sozialphobischen Auslösern konnte ebenfalls gut nachvollzogen werden.
Die psychologische Testung mithilfe eines BDI zeigt auf das Vorliegen einer ausgeprägten depressiven Symptomatik hin.
Die psychologische Testung mithilfe des STAI zeigte bei der Patientin eine überdurchschnittliche Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren.
Diagnose. Posttraumatische Belastungsstörung mit psychischen Folgen. Dissoziative Störung. Rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode. Essstörung.
Diskussion. Die Untersuchung zeigt eine Patientin mit einer ausgeprägten Traumafolgestörung, als komplexe traumatische Belastungsstörung. Diese Krankheit beruht auf nahezu durchweg erlebten Traumatisierungen in ihrer Kindheit und Jugend durch psychische Misshandlung durch ihre Mutter, was zu erheblichen Entwertungserleben führte sowie auch emotionale Verwahrlosung und zusätzlich sexuellen Missbrauch während Kindheit und Jugend, wobei die Mutter statt ihr Kind zu schützen dieses an verschiedene Männer (sexuellem Mißbrauch) selbst vermittelt hat und die Patientin durchweg schutzlos aufwuchs. Lediglich ein kurzfristiger Aufenthalt in einem Fleim für den Zeitraum von IV2 Jahren bot ihr eine umgrenzte Auszeit von den erlebten Misshandlungen und Missbrauch. Für einen größeren Zeitraum konnte die Patientin ein Großteil ihrer traumatisierten Erlebnisse relativ verdrängen, jedoch traten nach Triggerung entsprechende Symptome, die zweifelsohne als Folge der schweren Traumatisierung zu werten sind, ab 2011 zunehmend auf. Symptomatisch fanden sich und findet sich eine ängstlichdepressive Symptomatik eine schwer ausgeprägte Dissoziationsstörung, zusätzlich atypische Essstörung.
Diese Krankheitsentwicklung und vorliegende Symptomatik wurde bisher eingehend behandelt und ist gut dokumentiert durch den Aufenthalt in der Rheinklinik Bad I, durch die traumaspezifische Behandlung bei Frau Dr. M und zusätzlich psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung bei Frau Dr. L1.
Bzgl. der aktuellen Fragestellung sind vor allem die Dissoziationsstörungen hervorzuheben, die unberechenbar und teils auch gehäuft auftreten und maßgeblich in den normalen Tagesablauf pathologisch eingreifen, in dem die Patientin von einem auf den anderen Moment in einen dissoziativen Zustand verfällt, indem sie sich nicht mehr kontrolliert verhalten kann. Nach Beendigung eines solchen Zustands ist sie häufig nicht klar orientiert, muss sich erst zurechtfinden und hat keine Erinnerung über den Zeitraum des dissoziativen Geschehens. Hinzu kommt die wechselhafte Ausprägung dieser Zustände, auch was den Zeitablauf betrifft, in dem die Patientin einen solchen Zustand entweder nur relativ kurz, wenige Minuten oder Stunden hat oder bis zu mehreren Tagen anhaltend. Das größere Problem ist die Unberechenbarkeit dieser Zustände und der Länge zeitlich gesehen. Hieraus ergibt sich eindeutig die Notwendigkeit einer Begleitung, die die durch die Dissoziation entstandenen Defizite auffangen kann und somit für eine Sicherheit jeweils in diesen Situationen sorgen kann. Vor dem Hintergrund dieses Krankheitsbildes ist somit eine das Merkzeichen B uneingeschränkt gerechtfertigt.
Es wurde von Seiten der Beklagten darauf hingewiesen, dass es Phasen gebe, in denen die Patientin doch in der Lage sei, sich entsprechend alleine außer Haus fortzubewegen. Das ist richtig, die Unberechenbarkeit des Auftretens solcher dissoziativen Zustände ist in diesem Fall aber der entscheidende Faktor bei der Frage nach dem Merkzeichen B.
Bzgl. des Merkzeichens G besteht jedoch keine entsprechende Gehbehinderung.
Bzgl. der Antwort muss im Weiteren differenziert werden, dass die Orientierungsstörung im Rahmen dissoziativer Zustände erheblich leidet, leiden kann und die Patientin in solchen Situationen auch nicht unbedingt den realistischen Kontakt zu dem direkten Geschehen um sich herum hat. Das unregelmäßige Auftreten solcher Dissoziationszustände, siehe unter Abschnitt Diskussion, ist der maßgebliche beeinträchtigende Anteil im Alltag. Diese Unberechenbarkeit macht die Begleitung notwendig um größere Not von der Patientin fernzuhalten, da Gefahr für sich selbst als auch für den öffentlichen Straßenverkehr etc. hieraus bestehen kann."
Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung zur Begründung ihrer Klage ergänzend ausgeführt, dass sie fast täglich unter dissoziativen Anfällen leide. Diese dauerten zum Teil Minuten, zum Teil auch eine halbe Stunde und maximal bis zu 2-3 Tagen. Sie habe einmal versucht, mit dem Bus zu einer Freundin zu gelangen, und habe dies jedoch nicht geschafft. Sie sei, obwohl sie wisse, wo die Freundin wohne, zwei Haltestellen zu früh ausgestiegen und habe dann dort von der Freundin abgeholt werden müssen. Sie fahre auch nicht mehr Auto, seit sie nach einer Therapiestunde einen Unfall verursacht habe, bei dem es Gott sei Dank nur zu Blechschaden gekommen sei. Einmal sei sie fast vor eine Straßenbahn gelaufen, als ein Trigger sie "erwischt" habe. Sie laufe dann einfach weg. Im Rahmen dieser Anfälle dissoziiere sie, d. h. sie wisse dann nicht mehr, wer und wo sie sei. Sie habe Angstzustände beim Verlassen des Hauses und wenn ihr Menschen zu nahe kommen. Sie brauche ständig Begleitung, um sich sicher zu fühlen. Sie könne überhaupt nicht alleine Bahn fahren.
Die Beklagte hat vorgebracht, dass es sich bei den dissoziativen Zuständen der Klägerin nur um vorübergehende Zustände von begrenzter Zeitdauer handele, und ihr Krankheitsbild in keiner Weise mit Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit einhergehe. Ein besonderer Einzelfall gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. f der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV), bei dem auch bei einem GdB unter 80 das Merkzeichen G infrage komme, sei daher nicht zu prüfen. Auch könne keine Gleichsetzung der funktionellen Auswirkungen der dissoziativen Zustände mit hirnorganischen Anfällen erfolgen gemäß Buchst. e, da eine Gefahr von Stürzen und Selbstverletzungen, wie beim epileptischen Anfall, nicht vorliege. Selbst wenn die Häufigkeit der dissoziativen Zustände der Anzahl der epileptischen Anfälle entsprechen würde, wäre nur ein deutlich geringerer GdB anzunehmen wegen erheblich weniger schwerwiegender Auswirkungen als beim epileptischen Anfall. So sei für die psychische Erkrankung bei der Klägerin auch nur ein GdB von 50 angenommen worden. Ein GdB von mindestens 70, der auch bei analoger Anwendung gemäß Buchst e gefordert werden müsse, liege hier nicht vor.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 18.12.2019 als begründet stattgegeben und dazu ausgeführt:
"Die zulässige Klage hat Erfolg.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Dauerverwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines solchen Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche liegt hier vor.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen G und B für die Zeit ab Antragstellung.
Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt nach Satz 2 vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Gemäß § 151 Abs. 5 SGB IX gelten, solange noch keine Rechtsverordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen worden ist, weiterhin die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G erfüllt. Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. b Satz 1 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R m. w.N.) Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. b Satz 3 VersMedV sind bei geistig behinderten Menschen - der zuvor aufgeführten Gruppe der Seh- und Hörbehinderten - entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Nach S. 4 ist unter diesen Umständen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei einer geistigen Behinderung mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Nach S. 5 kommt bei einem GdB unter 80 eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten ein Einzelfällen in Betracht.
Selbst wenn man bei Orientierungsstörungen infolge von geistiger Behinderung grundsätzlich nur ab einem Behinderungsgrad von wenigstens 70 eine Merkzeichenrelevanz bejaht (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.), können psychische Störungen, die sich speziell auf das Gehvermögens auswirken, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen, auch wenn sie Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen nicht gleichzusetzen sind (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.). Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat über die in den Regelbeispielen genannten Fallgruppen hinaus auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falls aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist, da Teil D Nr. 1 VersMedV keine abschließende Listung der in Betracht kommenden Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen enthält, sondern etwa auch psychische Behinderungen erfasst (vergleiche BSG, a. a. O.). Es handelt sich insoweit lediglich um Regelbeispiele, und der umfassende Behindertenbegriff des § 2 Absatz 1 S. 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen, so dass die erwähnten Behinderungen den nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen (vgl. BSG, a. a. O.). Derzeit sind die Voraussetzungen des Merkzeichens G auch nicht insoweit eingeschränkt, als für Fälle psychischer Gehbehinderungen ein Einzel-GdB von 70 verlangt werden müsste (vgl. BSG, a. a. O.).
Es kommt also allein darauf an, ob die psychische Erkrankung der Klägerin gleich schwere Auswirkungen auf das Gehvermögen und die zumutbare Wegstrecke hat wie die in Teil D Nummer 1 Buchst. d bis f beispielhaft aufgeführten Personenkreise.
Dabei kommt es - wie bereits ausgeführt - entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten darauf, ob eine Bewegungseinschränkung dauerhaft vorliegt, nicht an.
Für die Klägerin ist hinsichtlich der Psyche ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt worden. Die aus der psychischen Erkrankung der Klägerin resultierenden Beeinträchtigungen für das Gehvermögen sind jedoch in ihren Auswirkungen vergleichbar mit hirnorganischen Anfällen, die in Teil D Nummer 1 VersMedV formuliert und berücksichtigt sind. Zwar leidet die Klägerin nicht unter hirnorganischen Anfällen im engeren Sinne. Vergleichbar hirnorganischen Anfällen liegt bei der Klägerin jedoch ein Krankheitsgeschehen vor, das sie durch unvorhersehbare Trigger von einer Minute auf die andere in die Situation versetzt, dass sie nicht mehr Herr ihres Handelns ist und insbesondere ungesteuert wegläuft. Die damit insbesondere für sie selbst eintretenden Gefahren sind mit den im Rahmen eines hirnorganischen Anfalls auftretenden Gefahren zwar nicht von den medizinischen Vorgängen, aber von den tatsächlichen Auswirkungen auf die Bewertung des Gehvermögens nach Auffassung der Kammer vergleichbar.
Bei hirnorganischen Anfällen gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. d VersMedV ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Diese Voraussetzungen liegen hier im Rahmen der Analogbewertung vor. Die Anfälle, die die Klägerin glaubhaft schildert, treten überwiegend am Tage auf. Epileptische Anfälle, die in mittlerer Häufigkeit auftreten, d. h. generalisierte große und complex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen und kleine und einfache fokale Anfälle mit Pausen von Tagen, werden mit einem Einzel-GdB von 60-80 bewertet gemäß Teil B Nummer 3.2. Von solchen mindestens mittlerer Häufigkeit ist bei der Klägerin auszugehen, eher sogar an der Grenze zu häufigen Anfällen, die mit einem GdB von 90-100 bewertet werden.
Dies entspricht im Ergebnis auch den Ausführungen des Sachverständigen. Die Ausführungen des Sachverständigen lassen nur den Schluss zu, dass die Klägerin im Hinblick auf die bei ihr vorliegende Dissoziationsstörung in ihrer Gehfähigkeit gestört ist. Der Gutachter stellt in seiner Zusammenfassung fest, dass vor allem die Dissoziationsstörungen, die unberechenbar und teils auch gehäuft auftreten würden, maßgeblich in den normalen Tagesablauf eingreifen, und die Klägerin von einem auf den anderen Moment in einen dissoziativen Zustand verfalle, in dem sie sich nicht mehr kontrolliert verhalten könne. Nach Beendigung der jeweiligen Anfälle sei sie oft nicht klar orientiert. Der Sachverständige bejaht dementsprechend auch eine sich daraus ergebende eindeutige Notwendigkeit einer Begleitung und bejaht die Voraussetzung für das Merkzeichen B uneingeschränkt. Er verneint zwar eine entsprechende Gehbehinderung bezüglich des Merkzeichens G. In dem Zusammenhang ist jedoch anzumerken, dass sich die seinerzeit erlassene Beweisanordnung im Hinblick auf die Zuerkennung des Merkzeichens G nur auf die im Regelfall bei Bejahung des Merkzeichens G vorliegenden Voraussetzungen orthopädischer oder internistischer Leiden beschränkt. Fragestellungen zu den weiteren regelbeispielhaft genannten Voraussetzungen, wie Störungen der Orientierungsfähigkeit oder infolge geistiger Behinderung oder der Frage etwaiger anderer ebenso sich auf das Gehvermögen auswirkender Funktionsstörungen waren in der Beweisanordnung nicht enthalten.
Infolge der bei der Klägerin vorliegenden Dissoziationsstörung und dem Umstand, dass es jederzeit durch entsprechende Trigger bei der Klägerin zu nicht vorhersehbaren und gefährlichen Reaktionen unter Verkennung vorliegender Gefährdungen kommen kann, wie z. B. bei plötzlichen Fluchttendenzen unter anderem auch mit unbedachtem Überqueren der Fahrbahn, war daher das Merkzeichen G zu bejahen (vgl. ähnlich und ebenfalls das Merkzeichen G bejahend: Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2015, L 13 SB 82
).
Die Klägerin hat auch Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens B. Nach § 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Dies ist bei der Klägerin der Fall. Da die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nach Auffassung der Kammer vorliegen, ist damit auch die Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens B gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. c zu bejahen. Denn gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. c ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung unter anderem anzunehmen bei geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Dies gilt auch bei der hier vorgenommenen Analogbewertung und entspricht im Ergebnis - wie bereits im Zusammenhang mit dem Merkzeichen G ausgeführt - den Feststellungen des Sachverständigen."
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten, die ihr erstinstanzliches Vorbringen in vollem Umfang aufrecht hält.
Das erkennende Gericht hat die Klägerin am 03.07.2020 persönlich angehört. Die Klägerin hat Folgendes vorgetragen:
"Mir ist die Entscheidung über die Merkzeichen wichtig, weil ich nicht mehr Autofahren kann. Ich habe zwar den Führerschein noch, ich fahre aber nicht mehr Auto. Ich hatte einmal einen Unfall wo das Auto dann hinterher Schrott war. Ich fahre seit 2 Jahren nicht mehr Auto. Unser Auto ist auf meinen Mann zugelassen. Mein Mann fährt mich auch zu Therapien oder sonst überall hin, je nachdem wie es möglich ist."
Auf Befragen des Berichterstatters, wer als Zeuge für Ereignisse mit Dissoziieren oder Bewusstlosigkeit bzw. beinahe-Bewusstlosigkeit in Frage komme, hat die Klägerin erklärt:
"Sicherlich mein Mann. Ferner mein Sohn, ferner eine andere Freundin, die des Öfteren dabei war. Es handelt sich um Frau M1 O, wohnhaft in E, Straße und Hausnummer reiche ich nach. "Es ist auch bei Ärzten und in Kliniken passiert. Ich habe die Unterlagen ja alle eingereicht."
Auf Fragen des Berichterstatters wie oft derartige Ereignisse vorkämen, hat die Klägerin erklärt:
"Manchmal ist es selten, manchmal auch oft. Manchmal passiert es auch zuhause, so dass ich dort alles Mögliche kaputt mache und hinterher nicht mehr weiß was ich getan habe. Ich könnte auf keinen Fall alleine mit dem Bus, z.B. wie heute zum Gericht kommen."
Auf Nachfrage des Berichterstatters was die Klägerin mit "oft" im Gegensatz zu "selten" meine, hat die Klägerin erklärt:
"Es ist schon mehrmals die Woche passiert."
Auf Nachfrage des Berichterstatters wie derartige Ereignisse aussähen, hat die Klägerin erklärt:
"Es ist z.B. so gewesen, als ich zur Apotheke ging meine Beine versagten und ich nicht mehr Laufen konnte.Es ist so, wenn mich etwas anstößt, wenn mir jemand zu nahe komme oder ich mich bedrängt fühle, dann reagiert mein Körper so. Ich erstarre dann entweder oder laufe weg. Die Dauer ist unterschiedlich. Manchmal 2 Minuten manchmal auch 5 Minuten als es bei der Apotheke passiert ist, ist der Apotheker herausgekommen und hat mir geholfen. Er kennt den Medikamentencocktail den ich nehme. Wenn ich weglaufe, dann ist es so, dass ich kopflos meist nach Hause laufe, z.B. war ich im Geschäft und habe dann beim Bezahlen erlebt, dass mir jemand zu nahe kam, habe dann an der Kasse alles dagelassen, einschließlich der Handtasche und bin nach Hause gelaufen."
Die Nachfrage des Berichterstatters, ob die Klägerin bei solchen Ereignissen bewusstlos werde, hat die Klägerin verneinend beantwortet.
Auf Nachfrage des Berichterstatters, ob die Klägerin dabei zu Boden falle, hat die Klägerin erklärt:
"Das ist vielleicht ein- oder zweimal passiert."
Auf Nachfrage, ob sie sich verletzt habe und in Behandlung gewesen sei als dies geschehen sei, hat die Klägerin erklärt:
"Verletzt habe ich mich schon, in Behandlung war ich nicht. Letztens bin ich gefallen. Ich habe hier zwei blaue Flecken." Die Klägerin hat dabei ihren Unterarm gezeigt, wobei für den Berichterstatter keine blauen Flecken erkennbar waren.
Auf Nachfrage des Berichterstatters wie es zu solchen Ereignissen komme, hat die Klägerin nochmals erklärt:
"Das hängt mit einem äußeren Reiz zusammen, wenn mir z.B. jemand zu nahe kommt. Das hängt wiederum mit meiner Kindheit zusammen."
Auf Nachfrage des Berichterstatters ob es zu den von der Klägerin geschilderten Ereignissen in der Kindheit behördliche oder strafrechtliche Feststellungen gebe, hat die Klägerin erklärt:
"Nein, das ist nicht der Fall."
Auf weitere Nachfrage, wie die Behandlung der Klägerin aussehe, hat die Klägerin erklärt:
"Ich bin weiterhin in therapeutischer Behandlung. Eigentlich müsste es alle 14 Tage sein. Ich habe aber nicht immer jemanden, der mich fahren kann. So dass es manchmal auch nur alle 3 Wochen stattfindet. Es handelt sich um eine tiefenpsychologische Therapie."
Nach Hinweis des Berichterstatters, dass nach den bisherigen Schilderungen der Klägerin keine spezifischen straßenverkehrsrechtlichen Gefahren ersichtlich seien, hat die Klägerin erklärt:
"Ich bin auch schon einmal vor die Straßenbahn gelaufen. Da hat mich Gott sei Dank jemand zurückgezogen. Den betreffenden Menschen kann ich allerdings nicht als Zeugen benennen. Es wurde auch kein Unfallprotokoll aufgenommen."
Die Beteiligten sind vom Berichterstatter darauf hingewiesen worden, dass das erkennende Gericht angesichts bekannt gewordener Umstände über systematische Vortäuschung insbesondere psychischer Krankheitsbeschwerden zu Zwecken der Erlangung von Sozialleistungen die Anforderungen an die Überprüfung von medizinischen Gutachten deutlich verschärft hat, um einem sonst möglichen Sozialbetrug einen wirksamen Riegel vorzuschieben,
vgl. Frigelj in: DIE WELT vom 20.4.2017, abrufbar unter:
https://www.welt.de
wobei dies insbesondere das Erfordernis an die Behörden und erstinstanzlichen Gerichte beinhalte, die nicht-juristischen entscheidungserheblichen Tatsachen vor der Beauftragung eines Gutachtens selbst zu ermitteln und ferner das Erfordernis an die Gutachten, die darin getroffenen Aussagen durch objektivierte Befunde zu belegen.
Die Beteiligten beantragen übereinstimmend,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.12.2019 aufzuheben und die Sache zur erneuten Beweiserhebung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt. Im Anschluss an die Verkündung des Urteils haben beide Beteiligte auf Rechtsmittel verzichtet. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung, über die der Berichterstatter gemäß §§ 155 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im Einverständnis der Beteiligten als Einzelrichter entscheiden konnte, ist im Sinne einer Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an die erste Instanz zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und wenn das LSG wegen aufwändiger Ermittlungen an einer Entscheidung in der Sache gehindert ist. Die angefochtene Entscheidung des SG beruht hier auf solchen wesentlichen Verfahrensfehlern (hierzu unter I.). Die Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG ist sachgerecht, denn das erkennende Gericht kann ohne die Erhebung weiterer Tatsachen in der Sache nicht selbst entscheiden. Eine Durchführung der erforderlichen aufwändigen Beweisaufnahme in der ersten Instanz ist unter Würdigung der Schutzinteressen der Beteiligten zweckmäßig und angemessen (hierzu unter II).
I. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 2 Nr. 2 SGG, ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (zu den Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG siehe Urteile des Landessozialgerichts (LSG) NRW vom 20.02.2002 - L 10 SB 141/01 -, vom 22.01.2003 - L 10 SB 111/02 -, vom 19.03.2008 - L 8 R 264/07 - sowie vom 27.11.2008 - L 2 KN 165/08 -). Hier hat das SG den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit seiner Amtsermittlungspflicht gemäß §§ 103 und 106 SGG nicht genügt.
Das angefochtene Urteil verstößt gegen die zwingende Verfahrensvorschrift des § 103 SGG, weil sich das SG - auch ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung - zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Der in § 103 SGG normierte Untersuchungsgrundsatz ist verletzt, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen. Hierbei ist von sämtlichen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen.
Das SG konnte hier angesichts der in Frage stehenden Beweislage nicht ohne weitere Ermittlungen über den geltend gemachten Anspruch entscheiden. Auch genügt die Beweiswürdigung des SG nicht den grundlegenden rechtlichen Anforderungen.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des SG ist dabei allerdings zutreffend:
Nach § 2 SGB IX in seiner aktuellen Fassung sind Menschen mit Behinderungen nämlich Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Abs. 1 Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Abs. 1 Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (Abs. 2 Satz 1).
Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden festgestellt, § 152 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 SGB IX. Die weitere Präzisierung ergibt sich aus der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl. I S. 2412) sowie insbesondere den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) gemäß der Anlage zu § 2 der VersMedV.
Die Bemessung des Gesamt-GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. nur BSG, Urteil v. 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R, Rn. 30 m.w.N. aus der Rspr.). In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche Gesamt-GdB zu bilden (BSG, Urteil v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R, juris Rn. 18 m.w.N.). Außerdem sind nach Teil A Nr. 3b VMG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der Tabelle der VMG feste GdB-Werte angegeben sind (BSG, Urteil v. 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R, Rn. 25).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen - d. h. vor allem die medizinische Diagnosen - müssen dabei für das Schwerbehindertenrecht im sogenannten Vollbeweis fälschungssicher erhoben werden und auf Dauer (d. h. mehr als sechs Monate) vorliegen. Hierfür ist ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich (BSG vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55; Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R, juris Rn 26). Diese volle Überzeugung wird nur dann als gegeben angesehen, wenn eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG vom 27.04.1972 - 2 RU 147/71,; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.).
Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. b Satz 1 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R m. w.N.) Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. f Satz 3 VersMedV sind bei geistig behinderten Menschen - der zuvor aufgeführten Gruppe der Seh- und Hörbehinderten - entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Nach S. 4 ist unter diesen Umständen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei einer geistigen Behinderung mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Nach S. 5 kommt bei einem GdB unter 80 eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten ein Einzelfällen in Betracht.
Selbst wenn man bei Orientierungsstörungen infolge von geistiger Behinderung grundsätzlich nur ab einem Behinderungsgrad von wenigstens 70 eine Merkzeichenrelevanz bejaht (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.), können psychische Störungen, die sich speziell auf das Gehvermögen auswirken, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen, auch wenn sie Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen nicht gleichzusetzen sind (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.). Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat über die in den Regelbeispielen genannten Fallgruppen hinaus auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falls aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist, da Teil D Nr. 1 VersMedV keine abschließende Listung der in Betracht kommenden Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen enthält, sondern etwa auch psychische Behinderungen erfasst (vergleiche BSG, a. a. O.). Es handelt sich insoweit lediglich um Regelbeispiele, und der umfassende Behindertenbegriff des § 2 Absatz 1 S. 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen, so dass die erwähnten Behinderungen den nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen (vgl. BSG, a. a. O.). Derzeit sind die Voraussetzungen des Merkzeichens G auch nicht insoweit eingeschränkt, als für Fälle psychischer Gehbehinderungen ein Einzel-GdB von 70 verlangt werden müsste (vgl. BSG, a. a. O.).
Es kommt also allein darauf an, ob eine psychische Erkrankung der Klägerin gleich schwere Auswirkungen auf das Gehvermögen und die zumutbare Wegstrecke hat wie die in Teil D Nummer 1 Buchst. d bis f der VersMedV beispielhaft aufgeführten Personenkreise.
Bei hirnorganischen Anfällen gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. d VersMedV ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten.
Nach § 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind.
Gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. b ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung unter anderem anzunehmen bei geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.
2. Die Beweiserhebung und Beweiswürdigung des SG weisen entscheidungserhebliche Mängel auf, die den gesetzlichen Anforderungen an die Sicherheit medizinischer Feststellungen nicht genügen, die vor dem aktuellen Hintergrund systematischer Täuschungsskandale nochmals hervorzuheben sind:
Für die Beweisaufnahme ist zwischen Anknüpfungstatsachen, also Umständen, die nicht in das Fachgebiet des Sachverständigenbeweises fallen, und den Tatsachen zu unterscheiden, die ein Sachverständiger ermitteln soll. Die Anknüpfungstatsachen muss das Gericht vorgeben. Das betrifft insbesondere die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen oder Beteiligtenvorbringen.
Bei der wissenschaftlichen Feststellung der in sein Fachgebiet fallenden Tatsachen durch medizinische Sachverständige geht es um objektive Messdaten. Subjektive Beschwerdeangaben reichen für einen Vollbeweis nicht aus. Bei der Überprüfung subjektiver Beschwerde-Angaben ist - schon aus Rechtsgründen - immer von der sog. "Nullhypothese" auszugehen. Das heißt alle subjektiven Angaben einer vor Gericht gehörten Auskunftsperson sind solange als unwahr anzusehen, bis ein denkgesetzlich zwingender Nachweis für ihre Richtigkeit vorliegt. Inhaltliche Beschwerdeschilderungen eines Menschen beweisen daher für sich genommen lediglich, dass der betreffende sie (aus-) sprechen kann. Es geht für die Gutachten vielmehr um die wissenschaftliche Prüfung des geschilderten Beschwerdeinhalts.
Dazu hat der Sachverständige dazu Stellung zu nehmen, ob und aufgrund welcher objektivierbaren Fakten die von dem betreffenden Menschen geklagten Funktionsbeeinträchtigungen zur subjektiven Gewissheit des Gutachters im geklagten Umfang auch tatsächlich bestehen. Diese Abklärung erfordert eine eingehende Konsistenzprüfung durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage. Niemals genügt allein die Beschwerdeschilderung eines Probanden, um hieraus eine Diagnose abzuleiten. Entscheidend ist nur der vom Sachverständigen erhobene wissenschaftlich messbare Befund.
Bei der Beurteilung sind folgende zwei Leitfragen zur Berücksichtigung zugrunde zu legen:
1. Sind die beklagten Erkrankungen und Funktionsstörungen ohne vernünftige Zweifel nachweisbar (Konsistenzprüfung) und 2. sind die Schilderungen von Krankheiten und Funktionsstörungen auch alternativ erklärbar (Alternativprüfung).
Bei der Alternativprüfung muss dazu Stellung genommen werden, ob eine willentliche Steuerung der geklagten Beschwerden und Beeinträchtigung in Betracht kommt. Hierbei geht es um (Selbst-) Täuschungsphänomene, Aggravation, Simulation und / oder Verdeutlichungstendenzen.
Simulation ist das bewusste und ausschließliche Vortäuschen einer krankhaften Störung zu bestimmten, klar erkennbaren Zwecken.
Aggravation ist die bewusste, verschlimmernde bzw. überhöhende Darstellung einer krankhaften Störung zu erkennbaren Zwecken.
Dissimulation beschreibt in der Medizin das absichtliche Herunterspielen bzw. das Verbergen von Krankheitsanzeichen um für gesund gehalten zu werden.
Verdeutlichungstendenzen sind dem gegenüber legitime Bemühungen einer Probandin / eines Probanden, der Gutachterin oder dem Gutachter das Krankheitsempfinden klarzumachen.
Aspekte, die bei diesem Prozess in die Abwägung einbezogen werden müssen, sind insbesondere:
1. Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem Verhalten des Betroffenen in der Untersuchung und subjektiver Beschwerdeschilderung. 2. Die subjektiv geschilderte Intensität der Beschwerden steht im Missverhältnis zur Vagheit der Schilderung der einzelnen Symptome. 3. Angaben zum Krankheitsverlauf sind wenig oder gar nicht präzisierbar. 4. Das Ausmaß der geschilderten Beschwerden steht nicht in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe. 5. Ungeachtet der Angabe schwerer subjektiver Beeinträchtigungen erweist sich die Alltagsbewältigung des Betroffenen als weitgehend intakt. 6. Die Angaben des Probanden weichen erheblich von fremdanamnestischen Informationen und der Aktenlage ab.
Gerade die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine besonders täuschungsanfällige Diagnose. Sie muss daher vor Gericht besonders kritisch überprüft werden. Auch die Weltgesundheitsorganisation geht mittlerweile von einer Hyperinflation des Traumabegriffs aus, weshalb die Diagnosekriterien in der ICD 11 sehr viel strenger gefasst werden, als das bislang der Fall war (siehe hierzu Maercker: Traumafolgestörungen, 5. Auflage, 2019, Seite 5). Das beruht auch darauf, dass fingierte Traumafolgestörungen in der Begutachtung seit 2002 immer mehr Bedeutung erhalten haben und sich auch die aktuellere psychotraumatologische Fachliteratur mit diesem Phänomen beschäftigt. So schreiben Sack et al. in "Komplexe Traumafolgestörungen", Seite 120: "Der Opferstatus des Traumatisierten verspricht Anerkennung, Zuwendung und gelegentlich sogar materielle Entschädigung." Ausdrücklich weisen die Autoren darauf hin, dass Hinweise, die eine vorgetäuschte posttraumatische Belastungsstörung vermuten lassen, u.a. eine besondere Schwere und Dramatik der geschilderten Symptomatik umfassen sowie vage und unspezifische Angaben und Antworten, inkonsistente Beschwerdeschilderungen, widersprüchliche Veränderungen und Symptomwechsel, fehlende Schuldgefühle oder Selbstanklagen sowie die Weigerung des Patienten, Vorbefunde einzuholen zu lassen. Dabei kann eine fingierte Traumafolgestörung - wie einer der bekanntesten Traumaforscher, Prof Sachsse, in "Trauma und Justiz", 2007 dargestellt hat - für den Betroffenen ein "sinnstiftendes Narrativ" sein, mit dem soziale oder persönliche Problemlagen vermeintlich gelöst werden können (vgl. ferner: Frommberger, Angenendt, Berger: Die posttraumatische Belastungsstörung — eine diagnostische und therapeutische Herausforderung, Deutsches Ärzteblatt 2014 Seiten 59 ff und Dreßling, Meyer-Lindenberg: Simulation bei posttraumantischer Belastungsstörung, Versicherungsmedizin 2008, Seite 8 ff).
Gefordert ist im Ergebnis immer eine eingehende sozialmedizinische Epikrise: Sie ist eine zusammenfassende und kritische Interpretation der Krankengeschichte und der veranlassten Therapie. Diese sozialmedizinische Epikrise muss alle wichtigen Angaben zur Vorgeschichte und Beschwerdeschilderung, zum Verlauf, zu den erhobenen Befunden und zu den endgültig festgestellten Krankheiten bzw. Diagnosen sowie zu den möglichen Differentialdiagnosen, zur empfohlenen Therapie und/oder Medikation, zur Heilung oder Linderung der Krankheit sowie auch zur Prognose enthalten. Sozialmedizinisch muss der Mensch, der aus Leib und Seele besteht, dabei unter Mitberücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit in Längsschnittbetrachtung von Biographie und Lebenssituation betrachtet werden.
Zur wissenschaftlichen Redlichkeit jedes Gutachtens gehört aber auch, die jeweiligen Messgenauigkeiten der verwandten Messmethoden sowie ihren jeweiligen Messfehler offenzulegen. Das bedeutet, dass zu jeder angewandten Methode anhand der dazu wissenschaftlich veröffentlichten Daten anzugeben ist, in wie vielen Fällen falsch positive bzw. falsch negative Ergebnisse gemessen werden.
Bei allen Begutachtungen, bei denen es um eine retrospektive Analyse geht, hat der Sachverständige zu bedenken, dass nicht der Befund zum Untersuchungszeitpunkt ausschlaggebend ist. Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, aufgrund aller erreichbaren Informationen retrospektiv eine möglichst sichere Diagnose für den zu beurteilenden Zeitraum zu stellen. Bei allen Begutachtungen, die prognostische Überlegungen beinhalten, muss anhand der zum Untersuchungszeitpunkt erhobenen Befunde umgekehrt eine möglichst sichere Prognose für die Zukunft erstellt werden.
Bei der abschließenden sozialmedizinischen Beantwortung der Beweisfragen ist ferner auf die Frage einzugehen, ob alternativ zu medizinischen Ursachen auch andere, z. B. im sozialen Bereich oder in der Beziehungswelt liegende Ursachen für die geklagten Beschwerden in Frage kommen. Darüber hinaus ist abzuklären, ob Erkrankungen vorliegen, welche noch behandelbar sind und ggf. durch welche Therapien und / oder therapeutischen Maßnahmen und / oder Hilfsmittel sowie ob bzw. mit welchem genauen Ergebnis. D. h. es ist immer auch zu prüfen, ob die von der gesetzlichen Krankenversicherung für die betroffenen Leiden vorgesehenen Behandlungsmöglichkeiten und/oder Hilfsmittel innerhalb von sechs Monaten bei motivierter Mitwirkung eines betroffenen Patienten zu einer Heilung oder Linderung des betreffenden Leidens führen können. Für den Fall, dass sich eine solche Heilung oder Linderung allgemein nicht sicher ausschließen lässt, liegt - unabhängig von der Motivation des konkret untersuchten Klägers - ein sogenanntes Behandlungsleiden vor, das für die Feststellung eines sozialmedizinischen Dauerzustandes grundsätzlich außer Betracht bleiben muss. Nur dann also, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Zustand des Betroffenen auch bei optimaler Therapie unveränderbar ist, darf er als Dauerzustand bewertet werden.
Es ist schließlich darzulegen, ob bzw. inwieweit die getroffenen Aussagen auch dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffen, falls den Eigenangaben des Betroffenen nicht gefolgt werden kann. Denn auch insoweit ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit allein Sache des erkennenden Gerichts. Dem gegenüber ist es Aufgabe von sachverständigen Gutachtern, sich allein auf evidenzbasierte, d. h. wissenschaftliche vor Gericht anerkannte Messergebnisse zu stützen.
Sofern keine sichere Diagnose gestellt und/oder die Beweisfragen des Gerichts nicht sicher beantwortet werden können, ist darzulegen, ob sich die gestellte Beweisfrage des Gerichts anhand ergänzender weiterreichender Untersuchungsverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beantworten lässt, z. B. durch stationäre Beobachtung. Sollte dies nach dem heutigen Stand der medizinischen Erkenntnisse schlechthin unmöglich sein, so ist auch dies unter der genauen Angabe der Gründe darzulegen.
Diesen grundlegenden Anforderungen an ein Sachverständigengutachten genügt das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. L nicht. Schon bezüglich der Voraussetzungen der von ihm gestellten PTBS-Diagnose fehlt es an einer juristisch belastbaren Feststellung der Grundvoraussetzungen, d.h. einer Gewalttat, die geeignet ist, eine PTBS hervorzurufen (sog. A-Kriterium). Die von der Klägerin angegebene Vergewaltigung und der sexuelle Missbrauch kommen nämlich grundsätzlich als Ursache einer PTBS in Betracht. Das SG hat diese Umstände jedoch nicht als Anknüpfungstatsache für die weitere Beweiserhebung bindend vorgegeben. Nur dann aber hätte Dr. L diese Schilderung überhaupt berücksichtigen dürfen. Er selber konnte und durfte hierzu als Arzt gar nichts feststellen, weil es um einen nicht-medizinischen Sachverhalt geht. Dr. L hat auch nicht - was medizinisch und rechtlich zulässig für Fragestellungen des Schwerbhindertenrechts wäre, bei denen es wie hier allein um die finale Feststellung von kranheitsbedingten Teilhabeeinschränkungen geht - im Sinne einer Wahlfeststellung offen gelassen, auf welcher Diagnose die von ihm angenommenen Krankheitseinschränkungen beruhen (wobei freilich alle in Betracht kommenden nicht-medizinischen Umstände hierfür sicher auszuschließen sein müssten). Vielmehr hat er sich auf die Diagnose einer PTBS festgelegt, und das SG ist ihm hierin gefolgt. Diese Diagnose aber setzt definitionsgemäß als sog. A-Kriterium die vorangegangene objektiv lebensbedrohliche oder gleichwertige traumatisierende Belastung voraus. Diese muss daher dann auch für das Schwerbehindertenrecht sicher festgestellt werden.
Das SG wird also für diese zwingend erforderliche Feststellung zunächst hierzu umfangreich ermitteln müssen, insbesondere durch Zeugenvernehmungen, Beiziehung der alten Akten über die Heimunterbringung der Klägerin und aller seit dieser Zeit vorhandenen medizinischen Unterlagen, Akten und Dokumenten. Nur wenn sich danach der von der Klägerin behauptete Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, kann er Grundlage einer PTBS-Diagnose sein. Im Schwerbehindertenrecht gibt es insoweit - anders als im Recht der Opferentschädigung - keine Beweiserleichterung bei schuldloser Beweisnot.
Im Gutachten des Dr. L fehlen aber auch bei Feststellbarkeit des A-Kriteriums objektivierte Daten zu den weiteren Kriterien einer PTBS. Das gilt insbesondere zum sogenannten B-Kriterium des Wiedererlebens der erlittenen Traumatisierung durch klinische Feststellungen. Ferner gilt das zum C-Kriterium des Vermeidungsverhaltens (auch insofern finden sich im Gutachten keine Befunde, die einen Rückschluss auf ein Vermeidungsverhalten erlauben und auch das SG hat dazu nichts ermittelt, z.B. durch Befragung des Ehemannes als Zeugen). Die vom Gutachter Dr. L verwendeten psychologischen Testungen reichen dazu nicht aus, denn es handelt sich dabei letzten Endes nur um Selbstauskünfte und Eigenangaben der Klägerin, die nicht objektiv überprüfbar sind.
Auch zum D-Kriterium der Übererregbarkeit gibt es bislang nur die Eigenangaben der Klägerin. Es fehlen insoweit in medizinischer Hinsicht sowohl für die Vergangenheit Beweise für die von der Klägerin angegebenen Vorfälle von Dissoziieren und Desorientierung im Straßenverkehr. Auch hierzu müssen Zeugen gehört werden, insbesondere die von der Klägerin genannte Freundin wie auch ihr Apotheker sowie die Ärzte und Kliniken, die solche Vorfälle nach Angabe der Klägerin klinisch beobachtet haben.
Schließlich fehlt zu den für die Entscheidungsfindung wesentlichen Ohrgeräuschen und Höreinschränkungen, die die Klägerin angegeben hat, bislang an einer fachärztliche Überprüfung durch ein Hals-Nasen-Ohrenärztliches Gutachten anhand objektiver Messdaten und Verfahren.
Das SG wird also zunächst die oben genannten Akten und Vorbefunde beizuziehen haben, d.h. einschließlich der Rentenakten der Klägerin und eines vollständigen Verzeichnisses ihrer zuständigen Krankenkasse/n über alle ihr gewährten medizinischen Leistungen. Sodann wird das SG zur Frage der Traumatisierung der Klägerin und zur Frage von der Klägerin ggf. im Straßenverkehr erlittener gefährdender Vorfälle durch Zeugenvernehmungen zu ermitteln haben, d.h. insbesondere wann, wo und wie genau die Klägerin in der Vergangenheit im Straßenverkehr ggf. Vorfälle von Desorientierung erlebte und welche Auswirkungen diese Vorfälle hatten. Erst im Anschluss hieran lässt sich medizinisch klären, welche objektivierbaren Tatsachen es unter Umständen sicher machen, dass und wie oft sich solche Vorfälle im Straßenverkehr in Zukunft wiederholen, ob sie damit einem der in der VersMedV genannten Regelbeispiel gleichen und ob deswegen die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B gegeben sind.
II. Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann auch vom erkennenden Gericht nicht ohne weitere Beweiserhebung in der Sache entschieden werden. Es handelt sich um umfangreiche Ermittlungen, die entsprechend dem auch für die Auslegung des § 159 SGG heranzuziehenden Rechtsgedanken des § 130 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie als auch des Erhalts beider Tatsacheninstanzen die Aufhebung und Zurückverweisung an das SG gebieten (so auch LSG NRW im Urteil L 8 R 264/07 a. a. O.). Andernfalls bestünde nicht zuletzt die Gefahr, dass die Sozialgerichte zu schlichten Durchlaufstationen degradiert werden.
III. Das erkennende Gericht macht von dem ihm in § 159 SGG eingeräumten Ermessen unter Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer baldigen Sachentscheidung und dem oben genannten Grundsatz der Prozessökonomie einerseits sowie dem Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits im entschiedenen Sinne Gebrauch. Es überwiegen die Schutzinteressen der (mit der Zurückverweisung einverstandenen) Beteiligten an einem ordnungsgemäßen Verfahren.
IV.
Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Das Urteil ist kraft Rechtsmittelverzicht beider Beteiligter unmittelbar rechtskräftig.
Tatbestand:
Die 1969 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung der Merkzeichen G und B.
Sie beantragte mit Änderungsantrag vom 28.09.2017 bei der Beklagten die Zuerkennung der Merkzeichen G und B. Zuletzt war im Oktober 2016 für sie ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 festgestellt worden. Nach Einholung von Befundberichten gab der versorgungsärztliche Dienst der Beklagten hinsichtlich der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen am 11.01.2018 folgende Stellungnahme ab:
1. Seelische Störung, posttraumatische Belastungsstörung Einzel-GdB 50,
2. Wirbelsäulenschaden, Bandscheibenschaden Einzel-GdB 20,
3. Bluthochdruck Einzel-GdB 10,
4. Reflux, Magen- und Speiseröhrenschleimhautentzündungen Einzel-GdB 10,
5. Ohrgeräusche, Hörstörung Einzel-GdB 10,
6. Allergisches Asthma bronchiale. Einzel-GdB 10.
Mit Bescheid vom 25.01.2018 stellte die Beklagte dem versorgungsärztlichen Vorschlag entsprechend der Klägerin gegenüber einen Gesamtgrad der Behinderung von 60 fest und lehnte gleichzeitig die Zuerkennung der beantragten Merkzeichen ab. Den dagegen am 16.02.2018 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie durch den Tinnitus und die Ohrgeräusche eine Störung der Orientierungsfähigkeit habe. Erschwerend kämen die Ängste aufgrund der Dissoziationsstörung hinzu, so dass sie ohne Begleitung das Haus nicht verlassen könne. Die Familie sei berufstätig und könne sie nicht begleiten. Es sei zunehmend schwierig, da sie viele Therapien und Arzttermine nicht wahrnehmen könne. Die Bezirksregierung N wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2018 zurück.
Die Klägerin hat am 21.03.2018 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Mit Beschluss vom 19.12.2018 hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachtens des Dr. L.
Dieser hat ausgeführt:
"Jetziges Beschwerdebild: Die Gutachtenpatientin gab an, dass sie dissoziierte, sie wisse nicht, in solchen Situationen, wo sie dann sei und wer sie sei. Sie spüre dies nicht immer, merke es zumeist, wenn sie abgedriftet sei. Diese Dissoziationen würden plötzlich Auftreten oder auch im Rahmen eines Gedankenflusses. Z.B. würden diese Symptome auftreten, wenn ihr jemand zu nahe komme. So sei sie schon knapp vor einer Straßenbahn angetroffen worden. Manchmal dauere so ein Zustand bis zu 5 Minuten, aber auch schon mehrere Stunden lang bis ein ganzes Wochenende. Sie wisse dann nicht mehr, was alles geschehen sei. Sie könne sich dann auch nicht erinnern, wisse einfach vieles von dem, was möglicherweise passiert sei, nicht mehr. Wenn sie in einem Geschäft einkaufen gehe, entwickele sie in Menschenansammlungen Panikgefühle. Diese Symptome würden nicht jeden Tag in gleicher Stärke auftreten, aber an manchen Tagen könne sie es nicht aushalten. Auch habe sie Angstzustände beim Verlassen des Hauses (es handele sich um ein Einfamilienhaus). Allein, wenn sie sie das Tor aufschließen müsse, dabei handele es sich aber um eine ruhige Straße mit nur wenigen Menschen. Den Müll könne Sie wegbringen, weil dieser auf ihrem Gelände vorhanden sei. Angstzustände bekomme sie auch, wenn sie alleine in öffentlichen Verkehrsmitteln sei oder in neuer, ungewohnter Umgebung oder wenn fremde, unbekannte Personen ihr zu nah kommen würden. Z.B. an der Kasse in einem Geschäft oder in Warteräumen oder beim Schwimmen. Sie brauche dadurch ständig Begleitung, um sich sicherer zu fühlen. Da nicht jeder aus ihrem Bekannten- oder Freundeskreis ein Auto besitze, zahle sie natürlich für die Begleitung auch immer Fahrgeld mit. Ihr Mann sei als Schichtarbeiter in 3 Schichten tätig und könne im Grunde sie nur selten begleiten. Ihr Sohn studiere noch, wohne auch nicht mehr zu Hause, sondern in einem Studentenzimmer in der Universität. Bedingt durch ihren chronischen Tinnitus nach einem Hörsturz, der auch psychisch bedingt war, Vorfall in Trauma-Klinik in Bad I, leide sie in Stresssituationen unter Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Dies alles würde es ihr gerade nicht erleichtern am sozialen Umfeld teilzunehmen. Oft müsse sie Termine mit Freunden oder Bekannten absagen. Sie könne überhaupt nicht alleine Bahnfahren. Ohne Begleitung wäre sie auch nicht zur Untersuchung gekommen. Wenn sie jemand begleiten würde, sei es wichtig, dass Sie denjenigen, auch kenne, Dieser ihr sozusagen vertraut wäre. Schwimmen würde sie gehen, weil sie etwas für ihren Rücken tun müsse. Im Weiteren gab die Patientin an, dass sie sich in der Vergangenheit durch eine Mitpatientin sehr an ihre Mutter erinnert fühlte. Schließlich hatte sie einen Hörsturz entwickelt und leide seitdem an einem Tinnitus des rechten Ohres.
Zur Krankenvorgeschichte gab die Patientin an, dass im Grunde alles 2013 begonnen habe. Sie habe gemerkt, dass irgendetwas nicht richtig stimmen würde. So sollte der Stiefvater durch die Patientin gepflegt werden. Im Verlauf habe die Patientin festgestellt, dass sie immer weniger Kraft gehabt habe. Im April 2013 hatte sich ein älterer Mann neben sie gestellt und ihr etwas ins Ohr geflüstert. Sie wisse gar nicht mehr den Inhalt. Danach habe es bei ihr angefangen. Der erste Auslöser sei der Sohn gewesen, da dieser betrunken nach Hause kam, das habe sie allzu sehr an ihre Mutter erinnert, die Alkoholikerin war. Es sei so gewesen, als wenn diese plötzlich vor ihr gestanden habe. Der 2. Auslöser wäre der Schwiegervater gewesen als dieser verstarb.
Im Laufe der Zeit seien alle möglichen Symptome aufgetreten. Schließlich habe sie im Pkw Angstzustände entwickelt. Laut der Therapeutin hätte sie dann dissoziative Zustände entwickelt, die früher für sie eine Art Schutz gewesen seien, aber später nicht mehr.
Biografische Daten. Ihre Mutter habe vermehrt Alkohol getrunken, dadurch sei sie sehr aggressiv gewesen, verbal wie auch psychisch, allerdings vor allem nur bei ihr, nicht bei den Geschwistern. Letztendlich wurde die Patientin für alles Mögliche verantwortlich gemacht. Auch habe die Mutter zu ihr gesagt: "Wärst du doch damals verstorben." Wahrscheinlich hätte man sie vertauscht. Auch sei sie mit dem Gürtel, mit dem Kleiderbügel geschlagen worden, wurde von der Mutter nachts aus dem Haus geworfen, die im Übermaß Alkohol getrunken hätte. Durch den Vater gab es sexuellen Missbrauch, welcher dann im Alter von 7 Jahren aufgehört habe, nachdem die Patientin aus der Kinder-Jugend-Psychiatrie damals herausgekommen war. Schließlich habe die Mutter die Patientin an die Bekannten weitergereicht. Die Patientin sei schließlich im Alter von 13 Jahren in ein Heim gekommen, dort sei sie l1/2 Jahre gewesen im Grunde war es für sie die beste Zeit. Dann habe ihre Mutter sie aber wieder dort rausgeholt. Die Patientin sei dann von Fremden missbraucht worden. Die Mutter habe irgendwann "die Schnauze voll gehabt" und habe die Patientin in ein Jugendheim in der Pfalz geschickt. Dort hätten sich aber die Leute menschenfreundlich und aufmerksam verhalten. Im Weiteren berichtete die Gutachtenpatientin von einem Autounfall, den die Mutter unter Alkoholeinfluss verursacht habe. Ihr 11 Jahre alter Bruder lag infolge des Unfallgeschehens damals verletzt im Graben, während die Mutter dabei saß und aufgrund ihres Alkoholkonsums lallte. Der ältere Bruder der Patientin sei sehr schwierig und sei im Grunde genau wie der Vater ein "Arschloch".
Zum Tinnitus gab die Patientin an, dass dieser auftrete, wenn die Patientin in Stress gerate, sie habe dann Schwindel. Dieser Tinnitus sei bisher durch das Schwerbehindertenamt nicht berücksichtigt worden. Die Patientin gab an, dass sie als Kind schon Kontakte gepflegt habe, sie hatte auch gute Kontakte. Darüber hinaus habe sie nur wenige Kontakte gepflegt. Während der Schulzeit seien die anderen Mitschüler nicht besonders nett zu ihr gewesen. Bzgl. ihrer Lebenssituation gab sie an, dass sie sich in ihrem eigenen Bereich sicher fühlen würde. Sie mache den Haushalt und habe schließlich die Möglichkeit, sich die einzelnen Abläufe in Ruhe einzuteilen. Sobald sie aber draußen sei, wäre das Leben für sie mehr als anstrengend.
Privat würde sie gern lesen, basteln und häkeln. Dies mache sie vor allem dann, wenn sie sich einigermaßen gut konzentrieren könne. Sie habe auch eine Katze, welche ihr einfach guttue.
(Die Patientin trägt während der Untersuchung einen Stein mit sich herum, auf dem ein Engel gezeichnet ist. Sie gab an, dass das ständige Drehen des Steins sie beruhigen würde. Sie halte sich im Grunde an diesem Stein fest. Dies habe sie mit ihrer Psychotherapeutin ausprobiert. Das Miteinander mit ihrem Ehemann verlaufe gut. Dieser sei verständnisvoll und könne gut auf sie eingehen.
Bzgl. der Tinnitus-Behandlung sei es schwierig. Den Hörsturz habe sie 2016 gehabt damals im Klinikaufenthalt in Bad I. Im Grunde würden Tinnitusbeschwerden nach 3 Monaten, wenn sie nicht weggegangen seien, chronisch. Vorläufig sei kein Klinikaufenthalt geplant.
Körperlicher Befund:
54 Jahre alte Patientin, in adipösem EZ und gutem AZ. Die Patientin ist 175 cm groß. Gewicht 106 kg. Blutdruck 150/100 mm/Hg. Puls 87/min. Die Patientin sieht altersentsprechend aus. Die Haut ist blass. Die sichtbaren Schleimhäute sind gut durchblutet. Es finden sich keine Ödeme, keine Exantheme, keine vergrößerten Lymphknoten. Kein Ikterus, keine Ruhedyspnoe. Der Schädel ist normal konfiguriert, das Gesicht ist symmetrisch. Augen, Nasen und Ohren sind äußerlich unauffällig. Das Gebiß ist saniert, die Zunge ist feucht und nicht belegt. Am Hals sind keine tastbare Struma o- der andere Lymphdrüsenvergrößerungen palpabel. Die Schilddrüse ist schluckverschieblich. Carotispulse sind beide tastbar. Eine obere Einflußstauung besteht nicht. Der Brustkorb ist symmetrisch geformt. Über beiden Lungenabschnitten findet sich ein vesikuläres Atemgeräusch. Keine RG s. Seitengleiche Beatmung. Am Herzen finden sich keine path. Geräusche. Die Herztöne sind rein und schlagen leise. Das Abdomen ist weich, Resistenzen sind nicht tastbar. Die Darmtätigkeit ist auskultatorisch rege. Leber und Milz sind nicht vergrößert. Die Bruchpforten sind geschlossen. Die Wirbelsäule ist nicht klopfempfindlich. Die Extremitäten sind uneingeschränkt beweglich.
Neurologischer Befund:
Kopf: Bei normaler Konfiguration nach allen Seiten frei beweglich, keine Klopfempfindlichkeit über der Kalotte.
Hirnnervenaustrittspunkte: Frei
Fazialisinnervation: Funktionsfähig
Mimik: Normal
Augen: Die Lidspalten sind seitengleich. Augenmuskelparesen stellen sich nicht dar. Kein Nystagmus. Pupillen sind rund und mittelweit. Seitengleiche Reaktion auf Licht und Konvergenz.
Augenhintergrund: Keine Stauungspapille, keine Papillenablassung und keine Blutung. Das Gesichtsfeld ist bei grober Prüfung intakt.
Cornealreflexe: Seitengleich auslösbar.
Trigeminus: Motorisch und sensibel intakt.
Gehör: Beeinträchtigungen finden sich nicht.
Geruch und Geschmack: Kein Hinweis für eine Störung.
Gaumensegel: Das Gaumensegel wird beim Anlauten seitengleich gehoben.
Schluckakt: Verläuft normal.
Hypoglossus: Zunge wird gerade hervorgestreckt und ist ohne Einschränkung gut beweglich.
Obere Extremitäten: Tonus bds. normal. Die Muskulatur ist gut ausgeprägt. Keine Atrophiezeichen. Die Motilität ist nicht gestört. Insbesondere besteht kein Tremor. Die grobe Kraft ist bds. erhalten. Die MER sind seiten- gleich schwach bis mittellebhaft auslösbar. Der Trömner ist bds. o.B. FNV und FFV sind sicher. Eudiadochokinese.
Hautmuskelreflexe: Die Bauchhautreflexe sind seitengleich nur schwach auslösbar.
Untere Extremitäten: Tonus und Trophik beider Beine sind gut ausgeprägt. Die PSR sind seitengleich schwach bis mittellebhaft auslösbar. Die ASR sind seitengleich nur schwach auslösbar. Das Vibrationsempfinden beträgt bimalleolär 6/8. Die path. Babinskizeichen sind bds. negativ. Zehen- und Fersengang sind sicher durch- führbar. Seiltänzer- und Blindgang sind sicher. KHV bds. ist sicher. Lasègue ist negativ. Romberg ist negativ. Die Prüfung der Sensibilität für Wärme-, Kälte-, Spitz- und Stumpfempfindung ist insgesamt ohne pathologischen Befund.
Psychischer Befund.
Die Gutachtenpatientin erschien in Begleitung pünktlich in geordnetem und gepflegtem Zustand zum Untersuchungstermin. Sie war wach und allseits orientiert. Es fanden sich keine schwerwiegenden kognitiven oder mnestischen Störungen. Der formale Gedankengang war soweit logisch und geordnet aufgebaut. Inhaltlich fanden sich keine Hlinweise auf Psychosezeichen i.S. von Wahnerlebnissen, Ich- Erlebnissstörungen oder Sinnestäuschungen. Der Antrieb war etwas vermindert. Im Affekt war die Patientin eher vermindert schwingungsfähig, es zeigte sich aber auch eine gewisse Labilität und verstärkte Anspannung. Das Stimmungsbild wirkte eher depressiv. Im Verhalten war die Gutachtenpatientin soweit freundlich und kooperativ. Anamnestisch fanden sich Hinweise auf erhebliche Dissoziationen mit unterschiedlichen Phasenlängen. Die von der Patientin geschilderten und auch im Verlauf nachvollziehbaren Angstzustände in Sinne von Panikattacken und sozialphobischen Auslösern konnte ebenfalls gut nachvollzogen werden.
Psychologische Testungen.
BDI: Beck sches Depressionsinventar Das BDI ist eine Mischform von Fremd- und Selbstbeurteilungsverfahren, wobei der Fragebogen im Dialog zwischen Psychiater und Patient beantwortet werden kann.
Das Depressionsinventar von Beck besteht aus 21 depressionstypischen Symptomen, die in jeweils vier bis fünf Aussagen unterteilt sind, welche verschieden starke Depressionsintensitäten anzeigen sollen.
Durch Addition der Punkte eines jeden Items erhält man die Gesamtpunktzahl. Die Höchstzahl ist 62. Für die Depressionsausprägungen werden folgende Durchschnittswerte angeben: Keine Depression (10,9 Punkte), Milde Depression (18,8 Punkte), Mäßige Depression (25,4 Punkte) und Schwere Depression (30,0 Punkte). Ergebnis:
Der Gutachtenpatient erreichte einen Summenwert von 36. Dieser Wert spricht für eine ausgeprägte depressive Symptomatik von Krankheitswert.
State-Trait- Angstinventar (STAI)
Das State-Trait-Angstinventar besteht aus 2 voneinander unabhängigen Selbstbeschreibungsskalen. Die eine wird zur Erfassung der Zustandsangst (State-Angst) und die andere zur Erfassung von Angst als Eigenschaft (Trait-Angst) verwendet. Beide Skalen bestehen aus je 20 Fragestellungen.
In der Anleitung zur State-Angstskala (Form X 1; Items 1-20) wird der Proband gebeten, zu beschreiben, wie er sich jetzt, d.h. in diesem Moment, fühlt. Die State-Angst ist definiert als ein emotionaler Zustand, der gekennzeichnet ist durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen sowie durch eine erhöhte Aktivität des Autonomen Nervensystems.
Die Anleitung zur Trait-Angstskala (Form X 2; Items 21-40) fordert auf, zu beschreiben, wie man sich im Allgemeinen fühlt. Angst als Eigenschaft bezieht sich auf relativ stabile interindividuelle Differenzen in der Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Angst zu reagieren.
Ergebnis:
Im STAI erzielt Fr. Sch. einen Rohwert von 59. Nach der Transformation auf die T-Skala (Mittelwert = 50, Standardabweichung = +/-10) ergibt dieser Rohwert einen T-Wert von 71.
In Bezug auf die Stanineskala von 1 bis 9 bei einem durchschnittlichen Normbereich von 4 bis 6 ergibt der Rohwert einen Staninewert von 9.
Dieses deutlich überdurchschnittliche Ergebnis spricht für eine erhöhte Ängstlichkeit bzw. Angst als Eigenschaft der Testperson. In diesem Sinne besitzt Fr. Sch. eine überdurchschnittliche Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren.
III. Zusammenfassung und Beurteilung.
Die Gutachtenpatientin wuchs in einem Familienklima auf, was zum einen vom übermäßigen Alkoholkonsum der Mutter geprägt gewesen war, die sich unter diesem Einfluss sehr aggressiv verhalten habe, sowohl verbal wie auch psychisch, so wurde sie erheblich verbal entwertet. Darüber hinaus gab es bis zum 7. Lebensjahr sexuellen Missbrauch durch den Vater. Später wurde die Patientin als Lustobjekt von ihrer Mutter an Bekannte weitergereicht bis sie schließlich im Alter von 13 Jahren in ein Heim kam, wo sie erstmalig in ihrem Leben anderthalb ruhigere und freundliche Jahre verbrachte. Danach lebte die Patientin kurzfristig wieder bei der Mutter, wurde darüber hinaus ein weiteres Mal sexuell von einem Fremden missbraucht und landete dann in einem Jugendheim, wo sie aber auf ein menschenfreundliches Klima stieß. Trotz der unglücklichen Kindheits- und Jugendentwicklung bemühte sich die Patientin um Kontakte zu anderen Kindern, wobei Mitschüler ihr gegenüber eher ausgrenzend gewesen seien. Nach der Klasse 10 arbeitete sie als Büfett-Kraft in einem Hotel, machte von 82-84 eine Ausbildung zur Fachgehilfin im Gastgewerbe, welche sie erfolgreich abschloss, arbeitete bis 87 als Hotelgehilfin, dann infolge von 87- 89 im Wachdienst der Kunstsammlung. Es folgten Tätigkeiten in Discountern und bei J. Letztendlich erhalte sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung, einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung seit 2013 Erwerbsunfähigkeitsrente.
Die Gutachtenpatientin, die seit 1986 durchgehend verheiratet ist und Mutter eines 25-jährigen Sohnes ist, klagte in der Untersuchungssituation über Dissoziationszustände, dass sie die Orientierung für sich selbst verliere, diese Zustände 5 min aber auch tagelang anhalten könnten. Sie habe danach häufig keine Erinnerung an solche Situationen, wisse nicht was geschehen sei.
Darüber hinaus beschrieb sie Panikgefühle in Menschenansammlungen in unterschiedlicher Ausprägung. Auch das Verlassen des Hauses verursache bei ihr Angstzustände. Darüber hinaus habe sie Angstzustände beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel und in ungewohnten Umgebungen, vor allem aber auch, wenn Fremde, unbekannte Personen ihr zu nah kommen würden. Dies kann natürlich auch in Geschäften an der Kasse passieren. Darüber hinaus klagte sie über Schwindelgefühle und Gleichgewichtsstörungen, einem Z.n. Tinnitus. Auch müsse sie häufig geplante Termine mit Freunden und Bekannten aufgrund ihrer immer wieder unverhofft auftretenden Symptome absagen. Letztendlich hätte die Symptomatik massiv 2013 begonnen, nachdem sie ihren Stiefvater versucht habe zu pflegen, aber immer weniger Kraft dabei erlebte und letztendlich sich durch ein Ereignis getriggert fühlte, nachdem ein älterer Mann im Jahr 2013 sich neben sie gestellt und ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte. Hierdurch bedingt sei sie erheblich verunsichert gewesen und zusätzlich dadurch, nachdem ihr Sohn einmal betrunken nach Hause kam, wodurch sie sich allzu sehr an das Verhalten ihrer Mutter während ihrer Kindheit erinnert fühlte.
Die körperlich-neurologische Untersuchung ergab aus psychiatrischer Sicht keine weiteren pathologischen Befunde von Bedeutung.
Im psychischen Befund war der Antrieb war etwas vermindert. Im Affekt war die Patientin vermindert schwingungsfähig, es zeigte sich aber auch eine Labilität und verstärkte Anspannung. Das Stimmungsbild wirkte depressiv. Anamnestisch fanden sich Hinweise auf erhebliche Dissoziationen mit unterschiedlichen Phasenlängen. Die von der Patientin geschilderten und auch im Verlauf nachvollziehbaren Angstzustände in Sinne von Panikattacken und sozialphobischen Auslösern konnte ebenfalls gut nachvollzogen werden.
Die psychologische Testung mithilfe eines BDI zeigt auf das Vorliegen einer ausgeprägten depressiven Symptomatik hin.
Die psychologische Testung mithilfe des STAI zeigte bei der Patientin eine überdurchschnittliche Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren.
Diagnose. Posttraumatische Belastungsstörung mit psychischen Folgen. Dissoziative Störung. Rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode. Essstörung.
Diskussion. Die Untersuchung zeigt eine Patientin mit einer ausgeprägten Traumafolgestörung, als komplexe traumatische Belastungsstörung. Diese Krankheit beruht auf nahezu durchweg erlebten Traumatisierungen in ihrer Kindheit und Jugend durch psychische Misshandlung durch ihre Mutter, was zu erheblichen Entwertungserleben führte sowie auch emotionale Verwahrlosung und zusätzlich sexuellen Missbrauch während Kindheit und Jugend, wobei die Mutter statt ihr Kind zu schützen dieses an verschiedene Männer (sexuellem Mißbrauch) selbst vermittelt hat und die Patientin durchweg schutzlos aufwuchs. Lediglich ein kurzfristiger Aufenthalt in einem Fleim für den Zeitraum von IV2 Jahren bot ihr eine umgrenzte Auszeit von den erlebten Misshandlungen und Missbrauch. Für einen größeren Zeitraum konnte die Patientin ein Großteil ihrer traumatisierten Erlebnisse relativ verdrängen, jedoch traten nach Triggerung entsprechende Symptome, die zweifelsohne als Folge der schweren Traumatisierung zu werten sind, ab 2011 zunehmend auf. Symptomatisch fanden sich und findet sich eine ängstlichdepressive Symptomatik eine schwer ausgeprägte Dissoziationsstörung, zusätzlich atypische Essstörung.
Diese Krankheitsentwicklung und vorliegende Symptomatik wurde bisher eingehend behandelt und ist gut dokumentiert durch den Aufenthalt in der Rheinklinik Bad I, durch die traumaspezifische Behandlung bei Frau Dr. M und zusätzlich psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung bei Frau Dr. L1.
Bzgl. der aktuellen Fragestellung sind vor allem die Dissoziationsstörungen hervorzuheben, die unberechenbar und teils auch gehäuft auftreten und maßgeblich in den normalen Tagesablauf pathologisch eingreifen, in dem die Patientin von einem auf den anderen Moment in einen dissoziativen Zustand verfällt, indem sie sich nicht mehr kontrolliert verhalten kann. Nach Beendigung eines solchen Zustands ist sie häufig nicht klar orientiert, muss sich erst zurechtfinden und hat keine Erinnerung über den Zeitraum des dissoziativen Geschehens. Hinzu kommt die wechselhafte Ausprägung dieser Zustände, auch was den Zeitablauf betrifft, in dem die Patientin einen solchen Zustand entweder nur relativ kurz, wenige Minuten oder Stunden hat oder bis zu mehreren Tagen anhaltend. Das größere Problem ist die Unberechenbarkeit dieser Zustände und der Länge zeitlich gesehen. Hieraus ergibt sich eindeutig die Notwendigkeit einer Begleitung, die die durch die Dissoziation entstandenen Defizite auffangen kann und somit für eine Sicherheit jeweils in diesen Situationen sorgen kann. Vor dem Hintergrund dieses Krankheitsbildes ist somit eine das Merkzeichen B uneingeschränkt gerechtfertigt.
Es wurde von Seiten der Beklagten darauf hingewiesen, dass es Phasen gebe, in denen die Patientin doch in der Lage sei, sich entsprechend alleine außer Haus fortzubewegen. Das ist richtig, die Unberechenbarkeit des Auftretens solcher dissoziativen Zustände ist in diesem Fall aber der entscheidende Faktor bei der Frage nach dem Merkzeichen B.
Bzgl. des Merkzeichens G besteht jedoch keine entsprechende Gehbehinderung.
Bzgl. der Antwort muss im Weiteren differenziert werden, dass die Orientierungsstörung im Rahmen dissoziativer Zustände erheblich leidet, leiden kann und die Patientin in solchen Situationen auch nicht unbedingt den realistischen Kontakt zu dem direkten Geschehen um sich herum hat. Das unregelmäßige Auftreten solcher Dissoziationszustände, siehe unter Abschnitt Diskussion, ist der maßgebliche beeinträchtigende Anteil im Alltag. Diese Unberechenbarkeit macht die Begleitung notwendig um größere Not von der Patientin fernzuhalten, da Gefahr für sich selbst als auch für den öffentlichen Straßenverkehr etc. hieraus bestehen kann."
Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung zur Begründung ihrer Klage ergänzend ausgeführt, dass sie fast täglich unter dissoziativen Anfällen leide. Diese dauerten zum Teil Minuten, zum Teil auch eine halbe Stunde und maximal bis zu 2-3 Tagen. Sie habe einmal versucht, mit dem Bus zu einer Freundin zu gelangen, und habe dies jedoch nicht geschafft. Sie sei, obwohl sie wisse, wo die Freundin wohne, zwei Haltestellen zu früh ausgestiegen und habe dann dort von der Freundin abgeholt werden müssen. Sie fahre auch nicht mehr Auto, seit sie nach einer Therapiestunde einen Unfall verursacht habe, bei dem es Gott sei Dank nur zu Blechschaden gekommen sei. Einmal sei sie fast vor eine Straßenbahn gelaufen, als ein Trigger sie "erwischt" habe. Sie laufe dann einfach weg. Im Rahmen dieser Anfälle dissoziiere sie, d. h. sie wisse dann nicht mehr, wer und wo sie sei. Sie habe Angstzustände beim Verlassen des Hauses und wenn ihr Menschen zu nahe kommen. Sie brauche ständig Begleitung, um sich sicher zu fühlen. Sie könne überhaupt nicht alleine Bahn fahren.
Die Beklagte hat vorgebracht, dass es sich bei den dissoziativen Zuständen der Klägerin nur um vorübergehende Zustände von begrenzter Zeitdauer handele, und ihr Krankheitsbild in keiner Weise mit Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit einhergehe. Ein besonderer Einzelfall gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. f der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV), bei dem auch bei einem GdB unter 80 das Merkzeichen G infrage komme, sei daher nicht zu prüfen. Auch könne keine Gleichsetzung der funktionellen Auswirkungen der dissoziativen Zustände mit hirnorganischen Anfällen erfolgen gemäß Buchst. e, da eine Gefahr von Stürzen und Selbstverletzungen, wie beim epileptischen Anfall, nicht vorliege. Selbst wenn die Häufigkeit der dissoziativen Zustände der Anzahl der epileptischen Anfälle entsprechen würde, wäre nur ein deutlich geringerer GdB anzunehmen wegen erheblich weniger schwerwiegender Auswirkungen als beim epileptischen Anfall. So sei für die psychische Erkrankung bei der Klägerin auch nur ein GdB von 50 angenommen worden. Ein GdB von mindestens 70, der auch bei analoger Anwendung gemäß Buchst e gefordert werden müsse, liege hier nicht vor.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 18.12.2019 als begründet stattgegeben und dazu ausgeführt:
"Die zulässige Klage hat Erfolg.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Dauerverwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines solchen Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche liegt hier vor.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen G und B für die Zeit ab Antragstellung.
Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt nach Satz 2 vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Gemäß § 151 Abs. 5 SGB IX gelten, solange noch keine Rechtsverordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen worden ist, weiterhin die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G erfüllt. Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. b Satz 1 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R m. w.N.) Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. b Satz 3 VersMedV sind bei geistig behinderten Menschen - der zuvor aufgeführten Gruppe der Seh- und Hörbehinderten - entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Nach S. 4 ist unter diesen Umständen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei einer geistigen Behinderung mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Nach S. 5 kommt bei einem GdB unter 80 eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten ein Einzelfällen in Betracht.
Selbst wenn man bei Orientierungsstörungen infolge von geistiger Behinderung grundsätzlich nur ab einem Behinderungsgrad von wenigstens 70 eine Merkzeichenrelevanz bejaht (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.), können psychische Störungen, die sich speziell auf das Gehvermögens auswirken, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen, auch wenn sie Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen nicht gleichzusetzen sind (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.). Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat über die in den Regelbeispielen genannten Fallgruppen hinaus auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falls aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist, da Teil D Nr. 1 VersMedV keine abschließende Listung der in Betracht kommenden Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen enthält, sondern etwa auch psychische Behinderungen erfasst (vergleiche BSG, a. a. O.). Es handelt sich insoweit lediglich um Regelbeispiele, und der umfassende Behindertenbegriff des § 2 Absatz 1 S. 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen, so dass die erwähnten Behinderungen den nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen (vgl. BSG, a. a. O.). Derzeit sind die Voraussetzungen des Merkzeichens G auch nicht insoweit eingeschränkt, als für Fälle psychischer Gehbehinderungen ein Einzel-GdB von 70 verlangt werden müsste (vgl. BSG, a. a. O.).
Es kommt also allein darauf an, ob die psychische Erkrankung der Klägerin gleich schwere Auswirkungen auf das Gehvermögen und die zumutbare Wegstrecke hat wie die in Teil D Nummer 1 Buchst. d bis f beispielhaft aufgeführten Personenkreise.
Dabei kommt es - wie bereits ausgeführt - entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten darauf, ob eine Bewegungseinschränkung dauerhaft vorliegt, nicht an.
Für die Klägerin ist hinsichtlich der Psyche ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt worden. Die aus der psychischen Erkrankung der Klägerin resultierenden Beeinträchtigungen für das Gehvermögen sind jedoch in ihren Auswirkungen vergleichbar mit hirnorganischen Anfällen, die in Teil D Nummer 1 VersMedV formuliert und berücksichtigt sind. Zwar leidet die Klägerin nicht unter hirnorganischen Anfällen im engeren Sinne. Vergleichbar hirnorganischen Anfällen liegt bei der Klägerin jedoch ein Krankheitsgeschehen vor, das sie durch unvorhersehbare Trigger von einer Minute auf die andere in die Situation versetzt, dass sie nicht mehr Herr ihres Handelns ist und insbesondere ungesteuert wegläuft. Die damit insbesondere für sie selbst eintretenden Gefahren sind mit den im Rahmen eines hirnorganischen Anfalls auftretenden Gefahren zwar nicht von den medizinischen Vorgängen, aber von den tatsächlichen Auswirkungen auf die Bewertung des Gehvermögens nach Auffassung der Kammer vergleichbar.
Bei hirnorganischen Anfällen gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. d VersMedV ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Diese Voraussetzungen liegen hier im Rahmen der Analogbewertung vor. Die Anfälle, die die Klägerin glaubhaft schildert, treten überwiegend am Tage auf. Epileptische Anfälle, die in mittlerer Häufigkeit auftreten, d. h. generalisierte große und complex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen und kleine und einfache fokale Anfälle mit Pausen von Tagen, werden mit einem Einzel-GdB von 60-80 bewertet gemäß Teil B Nummer 3.2. Von solchen mindestens mittlerer Häufigkeit ist bei der Klägerin auszugehen, eher sogar an der Grenze zu häufigen Anfällen, die mit einem GdB von 90-100 bewertet werden.
Dies entspricht im Ergebnis auch den Ausführungen des Sachverständigen. Die Ausführungen des Sachverständigen lassen nur den Schluss zu, dass die Klägerin im Hinblick auf die bei ihr vorliegende Dissoziationsstörung in ihrer Gehfähigkeit gestört ist. Der Gutachter stellt in seiner Zusammenfassung fest, dass vor allem die Dissoziationsstörungen, die unberechenbar und teils auch gehäuft auftreten würden, maßgeblich in den normalen Tagesablauf eingreifen, und die Klägerin von einem auf den anderen Moment in einen dissoziativen Zustand verfalle, in dem sie sich nicht mehr kontrolliert verhalten könne. Nach Beendigung der jeweiligen Anfälle sei sie oft nicht klar orientiert. Der Sachverständige bejaht dementsprechend auch eine sich daraus ergebende eindeutige Notwendigkeit einer Begleitung und bejaht die Voraussetzung für das Merkzeichen B uneingeschränkt. Er verneint zwar eine entsprechende Gehbehinderung bezüglich des Merkzeichens G. In dem Zusammenhang ist jedoch anzumerken, dass sich die seinerzeit erlassene Beweisanordnung im Hinblick auf die Zuerkennung des Merkzeichens G nur auf die im Regelfall bei Bejahung des Merkzeichens G vorliegenden Voraussetzungen orthopädischer oder internistischer Leiden beschränkt. Fragestellungen zu den weiteren regelbeispielhaft genannten Voraussetzungen, wie Störungen der Orientierungsfähigkeit oder infolge geistiger Behinderung oder der Frage etwaiger anderer ebenso sich auf das Gehvermögen auswirkender Funktionsstörungen waren in der Beweisanordnung nicht enthalten.
Infolge der bei der Klägerin vorliegenden Dissoziationsstörung und dem Umstand, dass es jederzeit durch entsprechende Trigger bei der Klägerin zu nicht vorhersehbaren und gefährlichen Reaktionen unter Verkennung vorliegender Gefährdungen kommen kann, wie z. B. bei plötzlichen Fluchttendenzen unter anderem auch mit unbedachtem Überqueren der Fahrbahn, war daher das Merkzeichen G zu bejahen (vgl. ähnlich und ebenfalls das Merkzeichen G bejahend: Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2015, L 13 SB 82
).
Die Klägerin hat auch Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens B. Nach § 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Dies ist bei der Klägerin der Fall. Da die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nach Auffassung der Kammer vorliegen, ist damit auch die Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens B gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. c zu bejahen. Denn gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. c ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung unter anderem anzunehmen bei geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Dies gilt auch bei der hier vorgenommenen Analogbewertung und entspricht im Ergebnis - wie bereits im Zusammenhang mit dem Merkzeichen G ausgeführt - den Feststellungen des Sachverständigen."
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten, die ihr erstinstanzliches Vorbringen in vollem Umfang aufrecht hält.
Das erkennende Gericht hat die Klägerin am 03.07.2020 persönlich angehört. Die Klägerin hat Folgendes vorgetragen:
"Mir ist die Entscheidung über die Merkzeichen wichtig, weil ich nicht mehr Autofahren kann. Ich habe zwar den Führerschein noch, ich fahre aber nicht mehr Auto. Ich hatte einmal einen Unfall wo das Auto dann hinterher Schrott war. Ich fahre seit 2 Jahren nicht mehr Auto. Unser Auto ist auf meinen Mann zugelassen. Mein Mann fährt mich auch zu Therapien oder sonst überall hin, je nachdem wie es möglich ist."
Auf Befragen des Berichterstatters, wer als Zeuge für Ereignisse mit Dissoziieren oder Bewusstlosigkeit bzw. beinahe-Bewusstlosigkeit in Frage komme, hat die Klägerin erklärt:
"Sicherlich mein Mann. Ferner mein Sohn, ferner eine andere Freundin, die des Öfteren dabei war. Es handelt sich um Frau M1 O, wohnhaft in E, Straße und Hausnummer reiche ich nach. "Es ist auch bei Ärzten und in Kliniken passiert. Ich habe die Unterlagen ja alle eingereicht."
Auf Fragen des Berichterstatters wie oft derartige Ereignisse vorkämen, hat die Klägerin erklärt:
"Manchmal ist es selten, manchmal auch oft. Manchmal passiert es auch zuhause, so dass ich dort alles Mögliche kaputt mache und hinterher nicht mehr weiß was ich getan habe. Ich könnte auf keinen Fall alleine mit dem Bus, z.B. wie heute zum Gericht kommen."
Auf Nachfrage des Berichterstatters was die Klägerin mit "oft" im Gegensatz zu "selten" meine, hat die Klägerin erklärt:
"Es ist schon mehrmals die Woche passiert."
Auf Nachfrage des Berichterstatters wie derartige Ereignisse aussähen, hat die Klägerin erklärt:
"Es ist z.B. so gewesen, als ich zur Apotheke ging meine Beine versagten und ich nicht mehr Laufen konnte.Es ist so, wenn mich etwas anstößt, wenn mir jemand zu nahe komme oder ich mich bedrängt fühle, dann reagiert mein Körper so. Ich erstarre dann entweder oder laufe weg. Die Dauer ist unterschiedlich. Manchmal 2 Minuten manchmal auch 5 Minuten als es bei der Apotheke passiert ist, ist der Apotheker herausgekommen und hat mir geholfen. Er kennt den Medikamentencocktail den ich nehme. Wenn ich weglaufe, dann ist es so, dass ich kopflos meist nach Hause laufe, z.B. war ich im Geschäft und habe dann beim Bezahlen erlebt, dass mir jemand zu nahe kam, habe dann an der Kasse alles dagelassen, einschließlich der Handtasche und bin nach Hause gelaufen."
Die Nachfrage des Berichterstatters, ob die Klägerin bei solchen Ereignissen bewusstlos werde, hat die Klägerin verneinend beantwortet.
Auf Nachfrage des Berichterstatters, ob die Klägerin dabei zu Boden falle, hat die Klägerin erklärt:
"Das ist vielleicht ein- oder zweimal passiert."
Auf Nachfrage, ob sie sich verletzt habe und in Behandlung gewesen sei als dies geschehen sei, hat die Klägerin erklärt:
"Verletzt habe ich mich schon, in Behandlung war ich nicht. Letztens bin ich gefallen. Ich habe hier zwei blaue Flecken." Die Klägerin hat dabei ihren Unterarm gezeigt, wobei für den Berichterstatter keine blauen Flecken erkennbar waren.
Auf Nachfrage des Berichterstatters wie es zu solchen Ereignissen komme, hat die Klägerin nochmals erklärt:
"Das hängt mit einem äußeren Reiz zusammen, wenn mir z.B. jemand zu nahe kommt. Das hängt wiederum mit meiner Kindheit zusammen."
Auf Nachfrage des Berichterstatters ob es zu den von der Klägerin geschilderten Ereignissen in der Kindheit behördliche oder strafrechtliche Feststellungen gebe, hat die Klägerin erklärt:
"Nein, das ist nicht der Fall."
Auf weitere Nachfrage, wie die Behandlung der Klägerin aussehe, hat die Klägerin erklärt:
"Ich bin weiterhin in therapeutischer Behandlung. Eigentlich müsste es alle 14 Tage sein. Ich habe aber nicht immer jemanden, der mich fahren kann. So dass es manchmal auch nur alle 3 Wochen stattfindet. Es handelt sich um eine tiefenpsychologische Therapie."
Nach Hinweis des Berichterstatters, dass nach den bisherigen Schilderungen der Klägerin keine spezifischen straßenverkehrsrechtlichen Gefahren ersichtlich seien, hat die Klägerin erklärt:
"Ich bin auch schon einmal vor die Straßenbahn gelaufen. Da hat mich Gott sei Dank jemand zurückgezogen. Den betreffenden Menschen kann ich allerdings nicht als Zeugen benennen. Es wurde auch kein Unfallprotokoll aufgenommen."
Die Beteiligten sind vom Berichterstatter darauf hingewiesen worden, dass das erkennende Gericht angesichts bekannt gewordener Umstände über systematische Vortäuschung insbesondere psychischer Krankheitsbeschwerden zu Zwecken der Erlangung von Sozialleistungen die Anforderungen an die Überprüfung von medizinischen Gutachten deutlich verschärft hat, um einem sonst möglichen Sozialbetrug einen wirksamen Riegel vorzuschieben,
vgl. Frigelj in: DIE WELT vom 20.4.2017, abrufbar unter:
https://www.welt.de
wobei dies insbesondere das Erfordernis an die Behörden und erstinstanzlichen Gerichte beinhalte, die nicht-juristischen entscheidungserheblichen Tatsachen vor der Beauftragung eines Gutachtens selbst zu ermitteln und ferner das Erfordernis an die Gutachten, die darin getroffenen Aussagen durch objektivierte Befunde zu belegen.
Die Beteiligten beantragen übereinstimmend,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.12.2019 aufzuheben und die Sache zur erneuten Beweiserhebung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt. Im Anschluss an die Verkündung des Urteils haben beide Beteiligte auf Rechtsmittel verzichtet. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung, über die der Berichterstatter gemäß §§ 155 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im Einverständnis der Beteiligten als Einzelrichter entscheiden konnte, ist im Sinne einer Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an die erste Instanz zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und wenn das LSG wegen aufwändiger Ermittlungen an einer Entscheidung in der Sache gehindert ist. Die angefochtene Entscheidung des SG beruht hier auf solchen wesentlichen Verfahrensfehlern (hierzu unter I.). Die Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG ist sachgerecht, denn das erkennende Gericht kann ohne die Erhebung weiterer Tatsachen in der Sache nicht selbst entscheiden. Eine Durchführung der erforderlichen aufwändigen Beweisaufnahme in der ersten Instanz ist unter Würdigung der Schutzinteressen der Beteiligten zweckmäßig und angemessen (hierzu unter II).
I. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 2 Nr. 2 SGG, ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (zu den Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG siehe Urteile des Landessozialgerichts (LSG) NRW vom 20.02.2002 - L 10 SB 141/01 -, vom 22.01.2003 - L 10 SB 111/02 -, vom 19.03.2008 - L 8 R 264/07 - sowie vom 27.11.2008 - L 2 KN 165/08 -). Hier hat das SG den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit seiner Amtsermittlungspflicht gemäß §§ 103 und 106 SGG nicht genügt.
Das angefochtene Urteil verstößt gegen die zwingende Verfahrensvorschrift des § 103 SGG, weil sich das SG - auch ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung - zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Der in § 103 SGG normierte Untersuchungsgrundsatz ist verletzt, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen. Hierbei ist von sämtlichen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen.
Das SG konnte hier angesichts der in Frage stehenden Beweislage nicht ohne weitere Ermittlungen über den geltend gemachten Anspruch entscheiden. Auch genügt die Beweiswürdigung des SG nicht den grundlegenden rechtlichen Anforderungen.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des SG ist dabei allerdings zutreffend:
Nach § 2 SGB IX in seiner aktuellen Fassung sind Menschen mit Behinderungen nämlich Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Abs. 1 Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Abs. 1 Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (Abs. 2 Satz 1).
Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden festgestellt, § 152 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 SGB IX. Die weitere Präzisierung ergibt sich aus der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl. I S. 2412) sowie insbesondere den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) gemäß der Anlage zu § 2 der VersMedV.
Die Bemessung des Gesamt-GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. nur BSG, Urteil v. 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R, Rn. 30 m.w.N. aus der Rspr.). In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche Gesamt-GdB zu bilden (BSG, Urteil v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R, juris Rn. 18 m.w.N.). Außerdem sind nach Teil A Nr. 3b VMG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der Tabelle der VMG feste GdB-Werte angegeben sind (BSG, Urteil v. 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R, Rn. 25).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen - d. h. vor allem die medizinische Diagnosen - müssen dabei für das Schwerbehindertenrecht im sogenannten Vollbeweis fälschungssicher erhoben werden und auf Dauer (d. h. mehr als sechs Monate) vorliegen. Hierfür ist ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich (BSG vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55; Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R, juris Rn 26). Diese volle Überzeugung wird nur dann als gegeben angesehen, wenn eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG vom 27.04.1972 - 2 RU 147/71,; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.).
Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. b Satz 1 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015, B 9 SB 1/14 R m. w.N.) Gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. f Satz 3 VersMedV sind bei geistig behinderten Menschen - der zuvor aufgeführten Gruppe der Seh- und Hörbehinderten - entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Nach S. 4 ist unter diesen Umständen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei einer geistigen Behinderung mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Nach S. 5 kommt bei einem GdB unter 80 eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten ein Einzelfällen in Betracht.
Selbst wenn man bei Orientierungsstörungen infolge von geistiger Behinderung grundsätzlich nur ab einem Behinderungsgrad von wenigstens 70 eine Merkzeichenrelevanz bejaht (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.), können psychische Störungen, die sich speziell auf das Gehvermögen auswirken, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen, auch wenn sie Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen nicht gleichzusetzen sind (vergleiche BSG, Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.). Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat über die in den Regelbeispielen genannten Fallgruppen hinaus auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falls aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist, da Teil D Nr. 1 VersMedV keine abschließende Listung der in Betracht kommenden Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen enthält, sondern etwa auch psychische Behinderungen erfasst (vergleiche BSG, a. a. O.). Es handelt sich insoweit lediglich um Regelbeispiele, und der umfassende Behindertenbegriff des § 2 Absatz 1 S. 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen, so dass die erwähnten Behinderungen den nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen (vgl. BSG, a. a. O.). Derzeit sind die Voraussetzungen des Merkzeichens G auch nicht insoweit eingeschränkt, als für Fälle psychischer Gehbehinderungen ein Einzel-GdB von 70 verlangt werden müsste (vgl. BSG, a. a. O.).
Es kommt also allein darauf an, ob eine psychische Erkrankung der Klägerin gleich schwere Auswirkungen auf das Gehvermögen und die zumutbare Wegstrecke hat wie die in Teil D Nummer 1 Buchst. d bis f der VersMedV beispielhaft aufgeführten Personenkreise.
Bei hirnorganischen Anfällen gemäß Teil D Nummer 1 Buchst. d VersMedV ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten.
Nach § 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind.
Gemäß Teil D Nummer 2 Buchst. b ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung unter anderem anzunehmen bei geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.
2. Die Beweiserhebung und Beweiswürdigung des SG weisen entscheidungserhebliche Mängel auf, die den gesetzlichen Anforderungen an die Sicherheit medizinischer Feststellungen nicht genügen, die vor dem aktuellen Hintergrund systematischer Täuschungsskandale nochmals hervorzuheben sind:
Für die Beweisaufnahme ist zwischen Anknüpfungstatsachen, also Umständen, die nicht in das Fachgebiet des Sachverständigenbeweises fallen, und den Tatsachen zu unterscheiden, die ein Sachverständiger ermitteln soll. Die Anknüpfungstatsachen muss das Gericht vorgeben. Das betrifft insbesondere die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen oder Beteiligtenvorbringen.
Bei der wissenschaftlichen Feststellung der in sein Fachgebiet fallenden Tatsachen durch medizinische Sachverständige geht es um objektive Messdaten. Subjektive Beschwerdeangaben reichen für einen Vollbeweis nicht aus. Bei der Überprüfung subjektiver Beschwerde-Angaben ist - schon aus Rechtsgründen - immer von der sog. "Nullhypothese" auszugehen. Das heißt alle subjektiven Angaben einer vor Gericht gehörten Auskunftsperson sind solange als unwahr anzusehen, bis ein denkgesetzlich zwingender Nachweis für ihre Richtigkeit vorliegt. Inhaltliche Beschwerdeschilderungen eines Menschen beweisen daher für sich genommen lediglich, dass der betreffende sie (aus-) sprechen kann. Es geht für die Gutachten vielmehr um die wissenschaftliche Prüfung des geschilderten Beschwerdeinhalts.
Dazu hat der Sachverständige dazu Stellung zu nehmen, ob und aufgrund welcher objektivierbaren Fakten die von dem betreffenden Menschen geklagten Funktionsbeeinträchtigungen zur subjektiven Gewissheit des Gutachters im geklagten Umfang auch tatsächlich bestehen. Diese Abklärung erfordert eine eingehende Konsistenzprüfung durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage. Niemals genügt allein die Beschwerdeschilderung eines Probanden, um hieraus eine Diagnose abzuleiten. Entscheidend ist nur der vom Sachverständigen erhobene wissenschaftlich messbare Befund.
Bei der Beurteilung sind folgende zwei Leitfragen zur Berücksichtigung zugrunde zu legen:
1. Sind die beklagten Erkrankungen und Funktionsstörungen ohne vernünftige Zweifel nachweisbar (Konsistenzprüfung) und 2. sind die Schilderungen von Krankheiten und Funktionsstörungen auch alternativ erklärbar (Alternativprüfung).
Bei der Alternativprüfung muss dazu Stellung genommen werden, ob eine willentliche Steuerung der geklagten Beschwerden und Beeinträchtigung in Betracht kommt. Hierbei geht es um (Selbst-) Täuschungsphänomene, Aggravation, Simulation und / oder Verdeutlichungstendenzen.
Simulation ist das bewusste und ausschließliche Vortäuschen einer krankhaften Störung zu bestimmten, klar erkennbaren Zwecken.
Aggravation ist die bewusste, verschlimmernde bzw. überhöhende Darstellung einer krankhaften Störung zu erkennbaren Zwecken.
Dissimulation beschreibt in der Medizin das absichtliche Herunterspielen bzw. das Verbergen von Krankheitsanzeichen um für gesund gehalten zu werden.
Verdeutlichungstendenzen sind dem gegenüber legitime Bemühungen einer Probandin / eines Probanden, der Gutachterin oder dem Gutachter das Krankheitsempfinden klarzumachen.
Aspekte, die bei diesem Prozess in die Abwägung einbezogen werden müssen, sind insbesondere:
1. Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem Verhalten des Betroffenen in der Untersuchung und subjektiver Beschwerdeschilderung. 2. Die subjektiv geschilderte Intensität der Beschwerden steht im Missverhältnis zur Vagheit der Schilderung der einzelnen Symptome. 3. Angaben zum Krankheitsverlauf sind wenig oder gar nicht präzisierbar. 4. Das Ausmaß der geschilderten Beschwerden steht nicht in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe. 5. Ungeachtet der Angabe schwerer subjektiver Beeinträchtigungen erweist sich die Alltagsbewältigung des Betroffenen als weitgehend intakt. 6. Die Angaben des Probanden weichen erheblich von fremdanamnestischen Informationen und der Aktenlage ab.
Gerade die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine besonders täuschungsanfällige Diagnose. Sie muss daher vor Gericht besonders kritisch überprüft werden. Auch die Weltgesundheitsorganisation geht mittlerweile von einer Hyperinflation des Traumabegriffs aus, weshalb die Diagnosekriterien in der ICD 11 sehr viel strenger gefasst werden, als das bislang der Fall war (siehe hierzu Maercker: Traumafolgestörungen, 5. Auflage, 2019, Seite 5). Das beruht auch darauf, dass fingierte Traumafolgestörungen in der Begutachtung seit 2002 immer mehr Bedeutung erhalten haben und sich auch die aktuellere psychotraumatologische Fachliteratur mit diesem Phänomen beschäftigt. So schreiben Sack et al. in "Komplexe Traumafolgestörungen", Seite 120: "Der Opferstatus des Traumatisierten verspricht Anerkennung, Zuwendung und gelegentlich sogar materielle Entschädigung." Ausdrücklich weisen die Autoren darauf hin, dass Hinweise, die eine vorgetäuschte posttraumatische Belastungsstörung vermuten lassen, u.a. eine besondere Schwere und Dramatik der geschilderten Symptomatik umfassen sowie vage und unspezifische Angaben und Antworten, inkonsistente Beschwerdeschilderungen, widersprüchliche Veränderungen und Symptomwechsel, fehlende Schuldgefühle oder Selbstanklagen sowie die Weigerung des Patienten, Vorbefunde einzuholen zu lassen. Dabei kann eine fingierte Traumafolgestörung - wie einer der bekanntesten Traumaforscher, Prof Sachsse, in "Trauma und Justiz", 2007 dargestellt hat - für den Betroffenen ein "sinnstiftendes Narrativ" sein, mit dem soziale oder persönliche Problemlagen vermeintlich gelöst werden können (vgl. ferner: Frommberger, Angenendt, Berger: Die posttraumatische Belastungsstörung — eine diagnostische und therapeutische Herausforderung, Deutsches Ärzteblatt 2014 Seiten 59 ff und Dreßling, Meyer-Lindenberg: Simulation bei posttraumantischer Belastungsstörung, Versicherungsmedizin 2008, Seite 8 ff).
Gefordert ist im Ergebnis immer eine eingehende sozialmedizinische Epikrise: Sie ist eine zusammenfassende und kritische Interpretation der Krankengeschichte und der veranlassten Therapie. Diese sozialmedizinische Epikrise muss alle wichtigen Angaben zur Vorgeschichte und Beschwerdeschilderung, zum Verlauf, zu den erhobenen Befunden und zu den endgültig festgestellten Krankheiten bzw. Diagnosen sowie zu den möglichen Differentialdiagnosen, zur empfohlenen Therapie und/oder Medikation, zur Heilung oder Linderung der Krankheit sowie auch zur Prognose enthalten. Sozialmedizinisch muss der Mensch, der aus Leib und Seele besteht, dabei unter Mitberücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit in Längsschnittbetrachtung von Biographie und Lebenssituation betrachtet werden.
Zur wissenschaftlichen Redlichkeit jedes Gutachtens gehört aber auch, die jeweiligen Messgenauigkeiten der verwandten Messmethoden sowie ihren jeweiligen Messfehler offenzulegen. Das bedeutet, dass zu jeder angewandten Methode anhand der dazu wissenschaftlich veröffentlichten Daten anzugeben ist, in wie vielen Fällen falsch positive bzw. falsch negative Ergebnisse gemessen werden.
Bei allen Begutachtungen, bei denen es um eine retrospektive Analyse geht, hat der Sachverständige zu bedenken, dass nicht der Befund zum Untersuchungszeitpunkt ausschlaggebend ist. Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, aufgrund aller erreichbaren Informationen retrospektiv eine möglichst sichere Diagnose für den zu beurteilenden Zeitraum zu stellen. Bei allen Begutachtungen, die prognostische Überlegungen beinhalten, muss anhand der zum Untersuchungszeitpunkt erhobenen Befunde umgekehrt eine möglichst sichere Prognose für die Zukunft erstellt werden.
Bei der abschließenden sozialmedizinischen Beantwortung der Beweisfragen ist ferner auf die Frage einzugehen, ob alternativ zu medizinischen Ursachen auch andere, z. B. im sozialen Bereich oder in der Beziehungswelt liegende Ursachen für die geklagten Beschwerden in Frage kommen. Darüber hinaus ist abzuklären, ob Erkrankungen vorliegen, welche noch behandelbar sind und ggf. durch welche Therapien und / oder therapeutischen Maßnahmen und / oder Hilfsmittel sowie ob bzw. mit welchem genauen Ergebnis. D. h. es ist immer auch zu prüfen, ob die von der gesetzlichen Krankenversicherung für die betroffenen Leiden vorgesehenen Behandlungsmöglichkeiten und/oder Hilfsmittel innerhalb von sechs Monaten bei motivierter Mitwirkung eines betroffenen Patienten zu einer Heilung oder Linderung des betreffenden Leidens führen können. Für den Fall, dass sich eine solche Heilung oder Linderung allgemein nicht sicher ausschließen lässt, liegt - unabhängig von der Motivation des konkret untersuchten Klägers - ein sogenanntes Behandlungsleiden vor, das für die Feststellung eines sozialmedizinischen Dauerzustandes grundsätzlich außer Betracht bleiben muss. Nur dann also, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Zustand des Betroffenen auch bei optimaler Therapie unveränderbar ist, darf er als Dauerzustand bewertet werden.
Es ist schließlich darzulegen, ob bzw. inwieweit die getroffenen Aussagen auch dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffen, falls den Eigenangaben des Betroffenen nicht gefolgt werden kann. Denn auch insoweit ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit allein Sache des erkennenden Gerichts. Dem gegenüber ist es Aufgabe von sachverständigen Gutachtern, sich allein auf evidenzbasierte, d. h. wissenschaftliche vor Gericht anerkannte Messergebnisse zu stützen.
Sofern keine sichere Diagnose gestellt und/oder die Beweisfragen des Gerichts nicht sicher beantwortet werden können, ist darzulegen, ob sich die gestellte Beweisfrage des Gerichts anhand ergänzender weiterreichender Untersuchungsverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beantworten lässt, z. B. durch stationäre Beobachtung. Sollte dies nach dem heutigen Stand der medizinischen Erkenntnisse schlechthin unmöglich sein, so ist auch dies unter der genauen Angabe der Gründe darzulegen.
Diesen grundlegenden Anforderungen an ein Sachverständigengutachten genügt das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. L nicht. Schon bezüglich der Voraussetzungen der von ihm gestellten PTBS-Diagnose fehlt es an einer juristisch belastbaren Feststellung der Grundvoraussetzungen, d.h. einer Gewalttat, die geeignet ist, eine PTBS hervorzurufen (sog. A-Kriterium). Die von der Klägerin angegebene Vergewaltigung und der sexuelle Missbrauch kommen nämlich grundsätzlich als Ursache einer PTBS in Betracht. Das SG hat diese Umstände jedoch nicht als Anknüpfungstatsache für die weitere Beweiserhebung bindend vorgegeben. Nur dann aber hätte Dr. L diese Schilderung überhaupt berücksichtigen dürfen. Er selber konnte und durfte hierzu als Arzt gar nichts feststellen, weil es um einen nicht-medizinischen Sachverhalt geht. Dr. L hat auch nicht - was medizinisch und rechtlich zulässig für Fragestellungen des Schwerbhindertenrechts wäre, bei denen es wie hier allein um die finale Feststellung von kranheitsbedingten Teilhabeeinschränkungen geht - im Sinne einer Wahlfeststellung offen gelassen, auf welcher Diagnose die von ihm angenommenen Krankheitseinschränkungen beruhen (wobei freilich alle in Betracht kommenden nicht-medizinischen Umstände hierfür sicher auszuschließen sein müssten). Vielmehr hat er sich auf die Diagnose einer PTBS festgelegt, und das SG ist ihm hierin gefolgt. Diese Diagnose aber setzt definitionsgemäß als sog. A-Kriterium die vorangegangene objektiv lebensbedrohliche oder gleichwertige traumatisierende Belastung voraus. Diese muss daher dann auch für das Schwerbehindertenrecht sicher festgestellt werden.
Das SG wird also für diese zwingend erforderliche Feststellung zunächst hierzu umfangreich ermitteln müssen, insbesondere durch Zeugenvernehmungen, Beiziehung der alten Akten über die Heimunterbringung der Klägerin und aller seit dieser Zeit vorhandenen medizinischen Unterlagen, Akten und Dokumenten. Nur wenn sich danach der von der Klägerin behauptete Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, kann er Grundlage einer PTBS-Diagnose sein. Im Schwerbehindertenrecht gibt es insoweit - anders als im Recht der Opferentschädigung - keine Beweiserleichterung bei schuldloser Beweisnot.
Im Gutachten des Dr. L fehlen aber auch bei Feststellbarkeit des A-Kriteriums objektivierte Daten zu den weiteren Kriterien einer PTBS. Das gilt insbesondere zum sogenannten B-Kriterium des Wiedererlebens der erlittenen Traumatisierung durch klinische Feststellungen. Ferner gilt das zum C-Kriterium des Vermeidungsverhaltens (auch insofern finden sich im Gutachten keine Befunde, die einen Rückschluss auf ein Vermeidungsverhalten erlauben und auch das SG hat dazu nichts ermittelt, z.B. durch Befragung des Ehemannes als Zeugen). Die vom Gutachter Dr. L verwendeten psychologischen Testungen reichen dazu nicht aus, denn es handelt sich dabei letzten Endes nur um Selbstauskünfte und Eigenangaben der Klägerin, die nicht objektiv überprüfbar sind.
Auch zum D-Kriterium der Übererregbarkeit gibt es bislang nur die Eigenangaben der Klägerin. Es fehlen insoweit in medizinischer Hinsicht sowohl für die Vergangenheit Beweise für die von der Klägerin angegebenen Vorfälle von Dissoziieren und Desorientierung im Straßenverkehr. Auch hierzu müssen Zeugen gehört werden, insbesondere die von der Klägerin genannte Freundin wie auch ihr Apotheker sowie die Ärzte und Kliniken, die solche Vorfälle nach Angabe der Klägerin klinisch beobachtet haben.
Schließlich fehlt zu den für die Entscheidungsfindung wesentlichen Ohrgeräuschen und Höreinschränkungen, die die Klägerin angegeben hat, bislang an einer fachärztliche Überprüfung durch ein Hals-Nasen-Ohrenärztliches Gutachten anhand objektiver Messdaten und Verfahren.
Das SG wird also zunächst die oben genannten Akten und Vorbefunde beizuziehen haben, d.h. einschließlich der Rentenakten der Klägerin und eines vollständigen Verzeichnisses ihrer zuständigen Krankenkasse/n über alle ihr gewährten medizinischen Leistungen. Sodann wird das SG zur Frage der Traumatisierung der Klägerin und zur Frage von der Klägerin ggf. im Straßenverkehr erlittener gefährdender Vorfälle durch Zeugenvernehmungen zu ermitteln haben, d.h. insbesondere wann, wo und wie genau die Klägerin in der Vergangenheit im Straßenverkehr ggf. Vorfälle von Desorientierung erlebte und welche Auswirkungen diese Vorfälle hatten. Erst im Anschluss hieran lässt sich medizinisch klären, welche objektivierbaren Tatsachen es unter Umständen sicher machen, dass und wie oft sich solche Vorfälle im Straßenverkehr in Zukunft wiederholen, ob sie damit einem der in der VersMedV genannten Regelbeispiel gleichen und ob deswegen die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B gegeben sind.
II. Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann auch vom erkennenden Gericht nicht ohne weitere Beweiserhebung in der Sache entschieden werden. Es handelt sich um umfangreiche Ermittlungen, die entsprechend dem auch für die Auslegung des § 159 SGG heranzuziehenden Rechtsgedanken des § 130 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie als auch des Erhalts beider Tatsacheninstanzen die Aufhebung und Zurückverweisung an das SG gebieten (so auch LSG NRW im Urteil L 8 R 264/07 a. a. O.). Andernfalls bestünde nicht zuletzt die Gefahr, dass die Sozialgerichte zu schlichten Durchlaufstationen degradiert werden.
III. Das erkennende Gericht macht von dem ihm in § 159 SGG eingeräumten Ermessen unter Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer baldigen Sachentscheidung und dem oben genannten Grundsatz der Prozessökonomie einerseits sowie dem Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits im entschiedenen Sinne Gebrauch. Es überwiegen die Schutzinteressen der (mit der Zurückverweisung einverstandenen) Beteiligten an einem ordnungsgemäßen Verfahren.
IV.
Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Das Urteil ist kraft Rechtsmittelverzicht beider Beteiligter unmittelbar rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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