Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 4319/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 499/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.01.2019 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 05.04.2018 und 26.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018 (S 12 KR 4189/18) angeordnet. Die Antragsgegnerinnen erstatten die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtzügen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid über Beitragsforderungen für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 wegen Beendigung der Familienversicherung.
Die 1965 geborene Antragstellerin war bei der Antragsgegnerin zu 1) bis 30.06.2015 freiwillig krankenversichert; sie übte im Jahr 2015 eine selbstständige Tätigkeit nach eigenen Angaben im Umfang von ca 10 bis 15 Wochenstunden aus. Mit Schreiben vom 27.07.2015 bat der bei der Antragsgegnerin zu 1) krankenversicherte Ehemann der Antragstellerin um Prüfung, ob eine rückwirkende Familienversicherung möglich sei. Nach dem vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für 2013 vom 23.06.2015 erzielte die Antragstellerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 2.523 EUR (entsprechend 210,25 EUR monatlich). Mit Schreiben vom 31.07.2015 bestätigte die Antragsgegnerin zu 1) ihm: "Ab dem 01.07.2015 genießt Ihre Ehefrau E. den vollen Leistungsumfang Ihrer m.". Beigefügt war ein Informationsblatt zum Thema "Familienversicherung".
Im Rahmen der jährlichen Überprüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung teilte die Antragstellerin am 27.09.2016 mit, es habe sich gegenüber dem Vorjahr keine Änderung ergeben. Auf die nächste Anfrage legte sie mit Schreiben vom 29.10.2017 den Einkommenssteuerbescheid für 2015 vom 25.09.2017 vor, aus dem sich für sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 894 EUR (entsprechend monatlich 74,50 EUR) ergaben. Auf Anforderung der Antragsgegnerin zu 1) wurde sodann der Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 09.06.2016 vorgelegt, aus dem sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 5.792 EUR (entsprechend monatlich 482,67 EUR) ergaben.
Mit Anhörung vom 20.11.2017 teilte die Antragsgegnerin zu 1) mit, dass die Familienversicherung für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 zu beenden sei, da die Einkommensgrenzen der Familienversicherung von 415 EUR für 2016 bzw 425 EUR für 2017 überschritten seien.
Mit Bescheid vom 05.04.2018 setzte die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv insgesamt 171,40 EUR ab 01.07.2016 und iHv 177,51 EUR ab 01.01.2017 fest. Die Familienversicherung sei in der Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 wegen der Höhe des Einkommens nicht möglich, die Versicherung werde als kostenpflichtige Versicherung fortgeführt. Insgesamt betrage der Beitragsrückstand 2.625,99 EUR.
Mit weiterem Bescheid vom 26.04.2018 beendete die Antragsgegnerin zu 1) nochmals ausdrücklich die Familienversicherung für den Zeitraum 01.07.2016 bis 30.09.2017.
Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2018 zurück. Die Familienversicherung sei vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufzuheben, da die Antragstellerin ihrer Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei. Die Einkünfte des Einkommenssteuerbescheids 2014 seien vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 zu berücksichtigen; die Einkünfte aus dem Einkommenssteuerbescheid für 2015 vom 25.09.2017 seien ab dem 01.10.2017 zu berücksichtigen. Spätestens durch den im Juni 2016 erstellten Einkommenssteuerbescheid für 2014 habe die Antragstellerin Kenntnis haben müssen, dass die Einkommensgrenzen für die Familienversicherung überschritten worden seien. Dieser Einkommenssteuerbescheid sei erst im November 2017 vorgelegt worden, eine rechtzeitige Mitteilung sei nicht erfolgt. Bei der Antragstellerin entstehe auch keine unverhältnismäßige Härte; die Fortsetzung der Familienversicherung trotz fehlender Voraussetzungen widerspräche dem öffentlichen Interesse.
Am 17.12.2018 hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) auf Aufhebung des Bescheids vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018 erhoben (S 12 KR 4189/17) und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt.
Mit Beschluss vom 10.01.2019 hat das SG den Antrag abgelehnt. Der Antrag sei nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, denn Klagen gegen Beitragsbescheide hätten nach § 86a Abs 2 Nr 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. An der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018 bestünden keine ernsthaften Zweifel. Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Familienversicherung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X sei insbesondere auf das Formblatt der Antragsgegnerin zu 1) zu den "Angaben zur versicherungsrechtlichen Bewertung der selbstständigen Tätigkeit" hinzuweisen, welches die Antragstellerin am 27.07.2015 ausgefüllt und unterschrieben habe. Im letzten Absatz vor der Unterschrift werde ausgeführt: ".Über alle künftigen Veränderungen werde ich Sie unverzüglich informieren und geeignete Nachweise (zB Steuerbescheid) vorlegen." Den Einkommenssteuerbescheid für 2014, der am 09.06.2016 ausgestellt worden sei, habe die Antragstellerin jedoch nicht nach Erhalt, sondern erst auf Nachfrage im Jahr 2017 vorgelegt. Das im Einkommenssteuerbescheid für 2014 ausgewiesene Einkommen sei bis zum Erlass des Einkommenssteuerbescheids für 2015 zu berücksichtigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung komme dem Interesse der Antragstellerin an dem Aussetzungsinteresse kein höheres Gewicht zu als dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Bescheids.
Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 14.01.2019 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13.02.2019 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Der Beitragsbescheid sei formell und materiell rechtswidrig. Bei der Verletzung einer Mitteilungspflicht sei entscheidend, dass sich das Verschulden sowohl auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht beziehe wie auf das auslösende Ereignis. Selbst wenn die Antragstellerin Kenntnis von der Mitteilungspflicht gehabt hätte – was bestritten werde – bestehe kein Verschulden in Bezug auf das auslösende Ereignis. Im Jahr 2015 sei für die Antragstellerin deutlich geworden, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung ihre selbstständige Tätigkeit nicht in gewohntem Maß weiterführen könne, es sei zu einem erheblichen Rückgang der Einkünfte gekommen. Sie sei daher davon ausgegangen, dass sie die Voraussetzungen für eine Familienversicherung ab 01.07.2015 erfülle. Ihrer Mitteilungspflicht sei die Antragstellerin nachgekommen; sie habe 2016 bestätigt, dass sich keine Änderungen zum Vorjahr ergeben hätten. Die Antragsgegnerin habe daraufhin keine weiteren Unterlagen angefordert, wozu sie jedoch verpflichtet gewesen wäre. Dies dürfe sich nicht zum Nachteil der Antragstellerin auswirken.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.01.2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage (S 12 KR 4189/18) anzuordnen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Genehmigung der Familienversicherung ab 01.07.2015 sei als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung anzusehen. Die Verhältnisse hätten sich in der Folgezeit wesentlich geändert. Die Antragstellerin habe erhöhtes Einkommen gehabt, was zum Wegfall des Anspruchs geführt habe. Sie sei für die verspätete Neufeststellung verantwortlich, da sie ihren Einkommenssteuerbescheid für 2014 nicht rechtzeitig nach Erhalt zugesandt habe. Angesichts ihres grob fahrlässigen Verhaltens sei sie nicht schutzwürdig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte erster Instanz Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet. Das SG hat den Antrag zu Unrecht abgelehnt.
Das Passivrubrum war dahin zu berichtigen, dass nicht nur die Antragsgegnerin zu 1), sondern auch die Antragsgegnerin zu 2) Beteiligte des Rechtsstreits ist (§ 69 Nr 2 SGG). Denn die Antragstellerin hat sich sowohl im Antrags- als auch im Beschwerdeverfahren gegen die Beitragspflicht zur Kranken- und zur Pflegeversicherung gewandt; das SG hat auch über Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entschieden. Die Antragsgegnerin zu 1) hat zum Ausdruck gebracht, auch im Namen der Pflegekasse zu handeln (zur Zulässigkeit vgl § 46 Abs 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI)).
Maßgebend für das geltend gemachte Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist die Klage gegen den Bescheid vom 05.04.2018 und 26.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018. Mit diesem Bescheid sind die Beiträge für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 festgesetzt worden. Daneben wird die Beendigung der Familienversicherung mitgeteilt für diesen Zeitraum. Eine Entscheidung über das Bestehen der Familienversicherung mit Bescheid, die nach § 48 SGB X bei Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden müsste, liegt nicht vor. Denn das Schreiben der Antragsgegnerin zu 1) vom 31.07.2015 ("Ab dem 01.07.2015 genießt Ihre Ehefrau E. den vollen Leistungsumfang Ihrer m.") ist als bloßes Begrüßungsschreiben zu werten, welches keine Feststellung über das Bestehen einer Familienversicherung und damit keine Regelung beinhaltet. Da sich die Familienversicherung kraft Gesetzes ergibt, wenn die Voraussetzungen vorliegen, stellt zB ein Begrüßungsschreiben einer Krankenkasse (dazu BSG SozR 3-2200 § 306 Nr 2) oder eine Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V (BSG 27.06.2012, B 12 KR 11/10 R, SozR 4-2500 § 175 Nr 4) nach ständiger Rechtsprechung keine Regelung dar. Liegt kein die Familienversicherung feststellender Verwaltungsakt vor, sind die Vorschriften der §§ 45 ff SGB X nicht anwendbar. Die Familienversicherung endet dann kraft Gesetzes, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Ausführungen der Antragsgegnerin zu 1) zu § 48 SGB X gehen somit ins Leere. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, da die Voraussetzungen der Familienversicherung ohnehin weiter vorlagen und daher eine Beitragsfestsetzung bezogen auf eine freiwillige Mitgliedschaft nicht in Betracht kommt.
Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (st Rspr des Senats; vgl Beschlüsse vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B, und 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, veröffentlicht in juris). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Beschlüsse des Senats vom 03.08.2012, L 11 KR 2566/12 ER-B, juris; 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, juris; LSG Baden-Württemberg 20.03.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris).
Die Beklagte hat zu Unrecht rückwirkend für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 Beiträge aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft der Antragstellerin in der Krankenversicherung und Pflichtmitgliedschaft in der Pflegeversicherung festgesetzt, denn in diesem Zeitraum bestand die Familienversicherung weiter. Eine Überschreitung der Einkommensgrenzen liegt nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse nicht vor.
Nach § 10 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF vom 16.07.2015, BGBl I 1211) sind in der gesetzlichen Krankenversicherung auch versichert der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern, wenn diese Familienangehörigen 1. ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, 2. nicht nach § 5 Abs 1 Nr 1, 2, 2a, 3 bis 8, 11 oder 12 oder nicht freiwillig versichert sind, 3. nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach § 7 außer Betracht, 4. nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und 5. kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches überschreitet; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt; für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs 1 Nr 1, § 8a des Vierten Buches beträgt das zulässige Gesamteinkommen 450 EUR.
Die Antragstellerin erfüllt - rückblickend – auch seit 01.07.2016 noch alle Voraussetzungen dieser Vorschrift, denn sie verfügte nicht über Gesamteinkünfte von mehr als ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (§ 10 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V). Für 2016 beträgt dieser Grenzwert 415 EUR und für 2017 425 EUR.
Eine verbindliche Bestimmung des Gesamteinkommens enthält § 16 SGB IV (BSG 03.02.1994, 12 RK 5/92, SozR 3-2500 § 10 Nr 4). Danach ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen.
Im Einkommenssteuerrecht ist der Begriff der Summe der Einkünfte definiert: Nach § 2 Abs 1 S 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) unterliegen sieben verschiedene Einkunftsarten der Einkommenssteuer, darunter Einkünfte aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und Vermietung und Verpachtung (§ 2 Abs 1 S 1 EStG). Was als Einkünfte anzusehen ist, bestimmt § 2 Abs 2 EStG, nämlich bei drei Einkommensarten (Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit) der Gewinn, bei den übrigen der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs 2 Nr 2 EStG). Aus den Einkünften ergibt sich die Summe der Einkünfte, die nach § 2 Abs 3 EStG um den Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Absatz 3 EStG (bzgl Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft) vermindert, den Gesamtbetrag der Einkünfte ergibt. § 16 Abs 1 SGB IV wollte insoweit zur Verwaltungsvereinfachung den fest umrissenen einkommenssteuerrechtlichen Begriff der Einkünfte übernehmen (st Rspr; BSG 22.06.1979, 3 RK 8/79, SozR 2200 § 205 Nr 23).
Auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides 2014 steht fest, dass der Antragstellerin im Jahr 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 5.792 EUR vorlagen. Dies ergibt monatliche Einkünfte iHv 482,67 EUR. Die Einkünfte im Jahr 2014 können jedoch nicht einer Familienversicherung im Jahr 2016 entgegenstehen, wenn zu diesem Zeitpunkt schon bekannt ist, dass tatsächlich die Einkommensgrenzen nicht überschritten wurden. Bei der Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung handelt es sich um eine Statusentscheidung im Versicherungsrecht, bei der eine vorausschauende Betrachtungsweise erforderlich ist. Auf der Grundlage der vom BSG im Urteil vom 07.12.2000 (B 10 KR 3/99 R, SozR 3-2500 § 10 Nr 19) für geboten erachteten nachträglichen Anwendung einer vorausschauenden Betrachtungsweise war ab Mitte Juli 2015 wegen einer Erkrankung der Klägerin prognostisch zu erwarten, dass die (höheren) Einkünfte von 2014 nicht mehr erreicht werden würden. Dies wird bestätigt durch den Einkommenssteuerbescheid für 2015 mit (umgerechnet) monatlichen Einkünften von 74,50 EUR. Bislang gibt es keinerlei Anhaltspunkte, dass die Prognose zu korrigieren wäre; Anhaltspunkte dafür, dass höhere Einkünfte zu erwarten sind, sind nicht ersichtlich. Bestätigt wird dies auch durch den Einkommenssteuerbescheid für 2016 vom 19.07.2018, der Einkünfte der Antragstellerin aus Gewerbebetrieb iHv 2.158 EUR ausweist (entsprechend 179,83 EUR monatlich).
Auch soweit der Senat in ständiger Rechtsprechung darauf abstellt, dass es bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder aus Gewerbebetrieb auf eine vorausschauende Betrachtungsweise bei nicht ankommt und es ausreicht, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass das Gesamteinkommen die maßgebliche Grenze überschritten hat (Urteil vom 23.04.2015, L 11 KR 51/51; Urteil vom 14.10.2013, L 11 KR 1983/12; Urteil vom 14.02.2012, L 11 KR 4779/10), ergibt sich hier nichts anderes. Denn die Einkommenssteuerbescheide für 2015 und 2016 belegen, dass die Einkommensgrenzen der Familienversicherung eingehalten wurden. Für die Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen, dass es allein auf die Höhe der im letzten aktuellen Einkommenssteuerbescheid nachgewiesenen Einkünfte ankommt, gibt es keine Grundlage. Insbesondere können hier die Regelungen im Beitragsrecht nach § 240 SGB V (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) iVm den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler, welche die Höhe der Beiträge freiwillig Versicherter regeln, nicht für die Frage der Statusentscheidung im Rahmen des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V uneingeschränkt herangezogen werden. Davon abgesehen wird selbst im Beitragsrecht den Mitgliedern unter bestimmten Voraussetzungen (vgl § 6 Abs 3a Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) die Möglichkeit eingeräumt, den voraussichtlichen Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit abweichend vom letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid nachzuweisen, wenn die Beitragsbemessung aus dem Arbeitseinkommen auf der Grundlage des aktuellen Einkommensteuerbescheids eine unverhältnismäßige Belastung darstellt (vgl LSG Rheinland-Pfalz 15.09.2016, L 5 KR 52/16).
Da die Familienversicherung nach alledem auch im Zeitraum 01.07.2016 bis 30.09.2017 fortbestand, gibt es nach vorläufiger Prüfung keine Grundlage für die Anforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung gegenüber der Antragstellerin. Im Hinblick auf den voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens überwiegt das Interesse der Antragstellerin an einem Aufschub der Vollziehung das Interesse der Antragsgegnerinnen an der sofortigen Vollziehung des Beitragsbescheids. Es wird daher die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid über Beitragsforderungen für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 wegen Beendigung der Familienversicherung.
Die 1965 geborene Antragstellerin war bei der Antragsgegnerin zu 1) bis 30.06.2015 freiwillig krankenversichert; sie übte im Jahr 2015 eine selbstständige Tätigkeit nach eigenen Angaben im Umfang von ca 10 bis 15 Wochenstunden aus. Mit Schreiben vom 27.07.2015 bat der bei der Antragsgegnerin zu 1) krankenversicherte Ehemann der Antragstellerin um Prüfung, ob eine rückwirkende Familienversicherung möglich sei. Nach dem vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für 2013 vom 23.06.2015 erzielte die Antragstellerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 2.523 EUR (entsprechend 210,25 EUR monatlich). Mit Schreiben vom 31.07.2015 bestätigte die Antragsgegnerin zu 1) ihm: "Ab dem 01.07.2015 genießt Ihre Ehefrau E. den vollen Leistungsumfang Ihrer m.". Beigefügt war ein Informationsblatt zum Thema "Familienversicherung".
Im Rahmen der jährlichen Überprüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung teilte die Antragstellerin am 27.09.2016 mit, es habe sich gegenüber dem Vorjahr keine Änderung ergeben. Auf die nächste Anfrage legte sie mit Schreiben vom 29.10.2017 den Einkommenssteuerbescheid für 2015 vom 25.09.2017 vor, aus dem sich für sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 894 EUR (entsprechend monatlich 74,50 EUR) ergaben. Auf Anforderung der Antragsgegnerin zu 1) wurde sodann der Einkommenssteuerbescheid für 2014 vom 09.06.2016 vorgelegt, aus dem sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 5.792 EUR (entsprechend monatlich 482,67 EUR) ergaben.
Mit Anhörung vom 20.11.2017 teilte die Antragsgegnerin zu 1) mit, dass die Familienversicherung für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 zu beenden sei, da die Einkommensgrenzen der Familienversicherung von 415 EUR für 2016 bzw 425 EUR für 2017 überschritten seien.
Mit Bescheid vom 05.04.2018 setzte die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv insgesamt 171,40 EUR ab 01.07.2016 und iHv 177,51 EUR ab 01.01.2017 fest. Die Familienversicherung sei in der Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 wegen der Höhe des Einkommens nicht möglich, die Versicherung werde als kostenpflichtige Versicherung fortgeführt. Insgesamt betrage der Beitragsrückstand 2.625,99 EUR.
Mit weiterem Bescheid vom 26.04.2018 beendete die Antragsgegnerin zu 1) nochmals ausdrücklich die Familienversicherung für den Zeitraum 01.07.2016 bis 30.09.2017.
Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin zu 1) – auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) – mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2018 zurück. Die Familienversicherung sei vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufzuheben, da die Antragstellerin ihrer Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei. Die Einkünfte des Einkommenssteuerbescheids 2014 seien vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 zu berücksichtigen; die Einkünfte aus dem Einkommenssteuerbescheid für 2015 vom 25.09.2017 seien ab dem 01.10.2017 zu berücksichtigen. Spätestens durch den im Juni 2016 erstellten Einkommenssteuerbescheid für 2014 habe die Antragstellerin Kenntnis haben müssen, dass die Einkommensgrenzen für die Familienversicherung überschritten worden seien. Dieser Einkommenssteuerbescheid sei erst im November 2017 vorgelegt worden, eine rechtzeitige Mitteilung sei nicht erfolgt. Bei der Antragstellerin entstehe auch keine unverhältnismäßige Härte; die Fortsetzung der Familienversicherung trotz fehlender Voraussetzungen widerspräche dem öffentlichen Interesse.
Am 17.12.2018 hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) auf Aufhebung des Bescheids vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018 erhoben (S 12 KR 4189/17) und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt.
Mit Beschluss vom 10.01.2019 hat das SG den Antrag abgelehnt. Der Antrag sei nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, denn Klagen gegen Beitragsbescheide hätten nach § 86a Abs 2 Nr 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. An der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018 bestünden keine ernsthaften Zweifel. Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Familienversicherung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X sei insbesondere auf das Formblatt der Antragsgegnerin zu 1) zu den "Angaben zur versicherungsrechtlichen Bewertung der selbstständigen Tätigkeit" hinzuweisen, welches die Antragstellerin am 27.07.2015 ausgefüllt und unterschrieben habe. Im letzten Absatz vor der Unterschrift werde ausgeführt: ".Über alle künftigen Veränderungen werde ich Sie unverzüglich informieren und geeignete Nachweise (zB Steuerbescheid) vorlegen." Den Einkommenssteuerbescheid für 2014, der am 09.06.2016 ausgestellt worden sei, habe die Antragstellerin jedoch nicht nach Erhalt, sondern erst auf Nachfrage im Jahr 2017 vorgelegt. Das im Einkommenssteuerbescheid für 2014 ausgewiesene Einkommen sei bis zum Erlass des Einkommenssteuerbescheids für 2015 zu berücksichtigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung komme dem Interesse der Antragstellerin an dem Aussetzungsinteresse kein höheres Gewicht zu als dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Bescheids.
Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 14.01.2019 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13.02.2019 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Der Beitragsbescheid sei formell und materiell rechtswidrig. Bei der Verletzung einer Mitteilungspflicht sei entscheidend, dass sich das Verschulden sowohl auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht beziehe wie auf das auslösende Ereignis. Selbst wenn die Antragstellerin Kenntnis von der Mitteilungspflicht gehabt hätte – was bestritten werde – bestehe kein Verschulden in Bezug auf das auslösende Ereignis. Im Jahr 2015 sei für die Antragstellerin deutlich geworden, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung ihre selbstständige Tätigkeit nicht in gewohntem Maß weiterführen könne, es sei zu einem erheblichen Rückgang der Einkünfte gekommen. Sie sei daher davon ausgegangen, dass sie die Voraussetzungen für eine Familienversicherung ab 01.07.2015 erfülle. Ihrer Mitteilungspflicht sei die Antragstellerin nachgekommen; sie habe 2016 bestätigt, dass sich keine Änderungen zum Vorjahr ergeben hätten. Die Antragsgegnerin habe daraufhin keine weiteren Unterlagen angefordert, wozu sie jedoch verpflichtet gewesen wäre. Dies dürfe sich nicht zum Nachteil der Antragstellerin auswirken.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.01.2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage (S 12 KR 4189/18) anzuordnen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Genehmigung der Familienversicherung ab 01.07.2015 sei als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung anzusehen. Die Verhältnisse hätten sich in der Folgezeit wesentlich geändert. Die Antragstellerin habe erhöhtes Einkommen gehabt, was zum Wegfall des Anspruchs geführt habe. Sie sei für die verspätete Neufeststellung verantwortlich, da sie ihren Einkommenssteuerbescheid für 2014 nicht rechtzeitig nach Erhalt zugesandt habe. Angesichts ihres grob fahrlässigen Verhaltens sei sie nicht schutzwürdig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte erster Instanz Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet. Das SG hat den Antrag zu Unrecht abgelehnt.
Das Passivrubrum war dahin zu berichtigen, dass nicht nur die Antragsgegnerin zu 1), sondern auch die Antragsgegnerin zu 2) Beteiligte des Rechtsstreits ist (§ 69 Nr 2 SGG). Denn die Antragstellerin hat sich sowohl im Antrags- als auch im Beschwerdeverfahren gegen die Beitragspflicht zur Kranken- und zur Pflegeversicherung gewandt; das SG hat auch über Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entschieden. Die Antragsgegnerin zu 1) hat zum Ausdruck gebracht, auch im Namen der Pflegekasse zu handeln (zur Zulässigkeit vgl § 46 Abs 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI)).
Maßgebend für das geltend gemachte Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist die Klage gegen den Bescheid vom 05.04.2018 und 26.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2018. Mit diesem Bescheid sind die Beiträge für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 festgesetzt worden. Daneben wird die Beendigung der Familienversicherung mitgeteilt für diesen Zeitraum. Eine Entscheidung über das Bestehen der Familienversicherung mit Bescheid, die nach § 48 SGB X bei Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden müsste, liegt nicht vor. Denn das Schreiben der Antragsgegnerin zu 1) vom 31.07.2015 ("Ab dem 01.07.2015 genießt Ihre Ehefrau E. den vollen Leistungsumfang Ihrer m.") ist als bloßes Begrüßungsschreiben zu werten, welches keine Feststellung über das Bestehen einer Familienversicherung und damit keine Regelung beinhaltet. Da sich die Familienversicherung kraft Gesetzes ergibt, wenn die Voraussetzungen vorliegen, stellt zB ein Begrüßungsschreiben einer Krankenkasse (dazu BSG SozR 3-2200 § 306 Nr 2) oder eine Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V (BSG 27.06.2012, B 12 KR 11/10 R, SozR 4-2500 § 175 Nr 4) nach ständiger Rechtsprechung keine Regelung dar. Liegt kein die Familienversicherung feststellender Verwaltungsakt vor, sind die Vorschriften der §§ 45 ff SGB X nicht anwendbar. Die Familienversicherung endet dann kraft Gesetzes, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Ausführungen der Antragsgegnerin zu 1) zu § 48 SGB X gehen somit ins Leere. Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, da die Voraussetzungen der Familienversicherung ohnehin weiter vorlagen und daher eine Beitragsfestsetzung bezogen auf eine freiwillige Mitgliedschaft nicht in Betracht kommt.
Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (st Rspr des Senats; vgl Beschlüsse vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B, und 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, veröffentlicht in juris). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Beschlüsse des Senats vom 03.08.2012, L 11 KR 2566/12 ER-B, juris; 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, juris; LSG Baden-Württemberg 20.03.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris).
Die Beklagte hat zu Unrecht rückwirkend für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2017 Beiträge aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft der Antragstellerin in der Krankenversicherung und Pflichtmitgliedschaft in der Pflegeversicherung festgesetzt, denn in diesem Zeitraum bestand die Familienversicherung weiter. Eine Überschreitung der Einkommensgrenzen liegt nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse nicht vor.
Nach § 10 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF vom 16.07.2015, BGBl I 1211) sind in der gesetzlichen Krankenversicherung auch versichert der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern, wenn diese Familienangehörigen 1. ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, 2. nicht nach § 5 Abs 1 Nr 1, 2, 2a, 3 bis 8, 11 oder 12 oder nicht freiwillig versichert sind, 3. nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach § 7 außer Betracht, 4. nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und 5. kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches überschreitet; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt; für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs 1 Nr 1, § 8a des Vierten Buches beträgt das zulässige Gesamteinkommen 450 EUR.
Die Antragstellerin erfüllt - rückblickend – auch seit 01.07.2016 noch alle Voraussetzungen dieser Vorschrift, denn sie verfügte nicht über Gesamteinkünfte von mehr als ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (§ 10 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V). Für 2016 beträgt dieser Grenzwert 415 EUR und für 2017 425 EUR.
Eine verbindliche Bestimmung des Gesamteinkommens enthält § 16 SGB IV (BSG 03.02.1994, 12 RK 5/92, SozR 3-2500 § 10 Nr 4). Danach ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen.
Im Einkommenssteuerrecht ist der Begriff der Summe der Einkünfte definiert: Nach § 2 Abs 1 S 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) unterliegen sieben verschiedene Einkunftsarten der Einkommenssteuer, darunter Einkünfte aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und Vermietung und Verpachtung (§ 2 Abs 1 S 1 EStG). Was als Einkünfte anzusehen ist, bestimmt § 2 Abs 2 EStG, nämlich bei drei Einkommensarten (Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit) der Gewinn, bei den übrigen der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs 2 Nr 2 EStG). Aus den Einkünften ergibt sich die Summe der Einkünfte, die nach § 2 Abs 3 EStG um den Altersentlastungsbetrag, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und den Abzug nach § 13 Absatz 3 EStG (bzgl Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft) vermindert, den Gesamtbetrag der Einkünfte ergibt. § 16 Abs 1 SGB IV wollte insoweit zur Verwaltungsvereinfachung den fest umrissenen einkommenssteuerrechtlichen Begriff der Einkünfte übernehmen (st Rspr; BSG 22.06.1979, 3 RK 8/79, SozR 2200 § 205 Nr 23).
Auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides 2014 steht fest, dass der Antragstellerin im Jahr 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 5.792 EUR vorlagen. Dies ergibt monatliche Einkünfte iHv 482,67 EUR. Die Einkünfte im Jahr 2014 können jedoch nicht einer Familienversicherung im Jahr 2016 entgegenstehen, wenn zu diesem Zeitpunkt schon bekannt ist, dass tatsächlich die Einkommensgrenzen nicht überschritten wurden. Bei der Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung handelt es sich um eine Statusentscheidung im Versicherungsrecht, bei der eine vorausschauende Betrachtungsweise erforderlich ist. Auf der Grundlage der vom BSG im Urteil vom 07.12.2000 (B 10 KR 3/99 R, SozR 3-2500 § 10 Nr 19) für geboten erachteten nachträglichen Anwendung einer vorausschauenden Betrachtungsweise war ab Mitte Juli 2015 wegen einer Erkrankung der Klägerin prognostisch zu erwarten, dass die (höheren) Einkünfte von 2014 nicht mehr erreicht werden würden. Dies wird bestätigt durch den Einkommenssteuerbescheid für 2015 mit (umgerechnet) monatlichen Einkünften von 74,50 EUR. Bislang gibt es keinerlei Anhaltspunkte, dass die Prognose zu korrigieren wäre; Anhaltspunkte dafür, dass höhere Einkünfte zu erwarten sind, sind nicht ersichtlich. Bestätigt wird dies auch durch den Einkommenssteuerbescheid für 2016 vom 19.07.2018, der Einkünfte der Antragstellerin aus Gewerbebetrieb iHv 2.158 EUR ausweist (entsprechend 179,83 EUR monatlich).
Auch soweit der Senat in ständiger Rechtsprechung darauf abstellt, dass es bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder aus Gewerbebetrieb auf eine vorausschauende Betrachtungsweise bei nicht ankommt und es ausreicht, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass das Gesamteinkommen die maßgebliche Grenze überschritten hat (Urteil vom 23.04.2015, L 11 KR 51/51; Urteil vom 14.10.2013, L 11 KR 1983/12; Urteil vom 14.02.2012, L 11 KR 4779/10), ergibt sich hier nichts anderes. Denn die Einkommenssteuerbescheide für 2015 und 2016 belegen, dass die Einkommensgrenzen der Familienversicherung eingehalten wurden. Für die Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen, dass es allein auf die Höhe der im letzten aktuellen Einkommenssteuerbescheid nachgewiesenen Einkünfte ankommt, gibt es keine Grundlage. Insbesondere können hier die Regelungen im Beitragsrecht nach § 240 SGB V (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) iVm den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler, welche die Höhe der Beiträge freiwillig Versicherter regeln, nicht für die Frage der Statusentscheidung im Rahmen des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V uneingeschränkt herangezogen werden. Davon abgesehen wird selbst im Beitragsrecht den Mitgliedern unter bestimmten Voraussetzungen (vgl § 6 Abs 3a Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) die Möglichkeit eingeräumt, den voraussichtlichen Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit abweichend vom letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid nachzuweisen, wenn die Beitragsbemessung aus dem Arbeitseinkommen auf der Grundlage des aktuellen Einkommensteuerbescheids eine unverhältnismäßige Belastung darstellt (vgl LSG Rheinland-Pfalz 15.09.2016, L 5 KR 52/16).
Da die Familienversicherung nach alledem auch im Zeitraum 01.07.2016 bis 30.09.2017 fortbestand, gibt es nach vorläufiger Prüfung keine Grundlage für die Anforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung gegenüber der Antragstellerin. Im Hinblick auf den voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens überwiegt das Interesse der Antragstellerin an einem Aufschub der Vollziehung das Interesse der Antragsgegnerinnen an der sofortigen Vollziehung des Beitragsbescheids. Es wird daher die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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