Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SF 2069/20 RH
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SF 3593/20 RH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die (Versorgungs-)behörde ist nicht verpflichtet, vor Stellung eines Ersuchens um richterliche Vernehmung eines Zeugen im Verwaltungsverfahren an das Sozialgericht über die mehrfache Bitte um eine schriftliche Aussage hinaus den zur Auskunft verpflichteten Arzt zu einem Vernehmungstermin bei der Behörde zu laden, um ihn auf diese Weise zu einer Aussage zu veranlassen.
Der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 22.10.2020, mit dem der Antrag des Antragstellers vom 23.07.2020 auf Vernehmung der Fachärztin für Dermatologie A. M. C.-S. als Zeugin abgelehnt worden ist, wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Heilbronn zurückverwiesen.
Gründe:
1. Das Land Baden-Württemberg/Landkreis Heilbronn, dort Sozial- und Versorgungsamt (Ast.) hat am 27.07.2020 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn den Antrag gestellt, in der Schwerbehindertensache der Frau I. H., geboren am ...1958, K.-straße, 7XXXX H., die behandelnde Ärztin Frau C.-S., Fachärztin für Dermatologie, tätig in L., als Zeugin zu vernehmen.
Der Ast. hat das SG um Rechtshilfe ersucht, weil die behandelnde Fachärztin trotz mehrfacher Aufforderung und Erinnerung sowie trotz Hinweis auf ihre gesetzliche Pflicht zur Auskunftserteilung nach §§ 21, 100 SGB X, der Bitte um Übermittlung eines Befundscheins seit November 2019 nicht nachgekommen ist. Der Ast. hat das SG ersucht, die Zeugin gemäß § 22 SGB X in einem Termin gerichtlich zu vernehmen. Er hat den Gegenstand der Vernehmung im Ersuchen auch im Einzelnen bezeichnet. Das SG hat bei dem Antragsteller nachgefragt, ob die Zeugin zur mündlichen Vernehmung in der Behörde geladen worden sei. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass dies nicht geschehen sei. Diese Praxis beruhe auf "einer Vereinbarung" mit dem SG Heilbronn, wonach auf eine vorherige Ladung zur Vernehmung nicht bestanden werde. Das SG hat dem Ast. Nach Rücksprache im Hause mitgeteilt, dass die vorgetragene "Vereinbarung" wohl keine Bindung des jeweiligen Vorsitzenden zur Folge hätte. Eine Vereinbarung des vorgetragenen Inhalts habe auch nicht ermittelt werden können.
Mit Beschluss vom 22.10.2020 hat das SG den Antrag auf richterliche Vernehmung der behandelnden Fachärztin als Zeugin abgelehnt. Bevor die Behörde die Hilfe des Gerichts bei Vernehmung von Zeugen in Anspruch nehme, habe diese zunächst alle ihr möglichen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Dazu gehöre auch, dass ein Zeuge oder Sachverständiger vor der Stellung eines Rechtshilfeantrags nach § 22 SGB X "zur mündlichen Vernehmung in die Behörde ordnungsgemäß geladen" werde. Die bloße Nichterstattung einer schriftlichen Äußerung sei nicht ausreichend (unter Hinweis auf: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2003 – L 6 SB 552/03 B – juris).
Gegen den am 23.10.2020 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss hat der Ast. am 09.11.2020 beim SG Beschwerde eingelegt.
Er beantragt, den Beschluss des SG aufzuheben und das SG zu verpflichten, dem Vernehmungsersuchen des Ast. (auch Beschwerdeführer) nachzukommen. Der Ast. habe die fragliche Ärztin vor der Stellung des Vernehmungsersuchens insgesamt fünfmal um Erstellung und Übersendung eines Befundscheins ersucht (mit Aufzählung der Daten). Nachdem die Ärztin auf keines der Schreiben reagiert habe, sei das Vernehmungsersuchen erforderlich, um den Sachverhalt aufzuklären. Die vorherige Ladung der Ärztin zur Vernehmung vor der Behörde sei nach Auffassung des Ast. nicht zwingend erforderlich (unter Hinweis auf: Hessisches LSG, Beschluss vom 13.07.2004 – L 4 B 61/04 SG – Breithaupt 2004, 986; KassKomm/Mutschler, Stand Juli 2020, § 22 SGB X Rdnr. 3).
2. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Ast. ist zulässig und in der Sache auch begründet.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann eine Behörde je nach dem gegebenen Rechtsweg das für den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Zeugen oder des Sachverständigen zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht um Vernehmung ersuchen, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger in Fällen des § 21 Abs. 3 SGB X ohne Vorliegen eines der in §§ 376, 383 bis 385 und 408 der Zivilprozessordnung (ZPO) bezeichneten Gründe die Aussage oder die Erstattung eines Gutachtens verweigert. Nach§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB X hat die Behörde im Ersuchen den Gegenstand der Vernehmung darzulegen sowie Namen und Anschrift der Beteiligten anzugeben. § 21 Abs. 3 Satz 4 SGB X sieht für den Fall einer solchen Heranziehung als Zeuge oder Sachverständiger vor, dass die in Dienstgenommene Person auf Antrag in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetzes (JVEG) eine Entschädigung oder Vergütung erhält.
Der Ast. hat sein Rechtshilfeersuchen formell korrekt beim SG gestellt. Er hat Name und Anschrift der Beteiligten und der Zeugin genannt. Die behandelnde Ärztin ist zur Aussage auch durch Rechtsvorschrift verpflichtet (§ 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Die Aussagepflicht für behandelnde Ärzte ergibt sich aus § 100 SGB X, denn danach ist der Arzt oder Angehörige eines anderen Heilberufs verpflichtet, dem Leistungsträger im Einzelfall auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit es für die Durchführung der Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich und gesetzlich zugelassen ist oder der Betroffene im Einzelfall eingewilligt hat.
Das SG meint nun, die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 iVm § 21 Abs. 3 SGB X seien nicht erfüllt, weil der Ast. die Zeugin nicht zu einem Termin geladen habe, um sie mündlich zu vernehmen. Das SG stützt sich dabei auf das Tatbestandsmerkmal der "Aussage" in § 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X und leitet daraus das Erfordernis ab, einen Zeugen zu einer mündlichen Vernehmung bei der Behörde (ordnungsgemäß) zu laden.
Dieser Auslegung der maßgeblichen Vorschriften folgt der Senat nicht. Nach § 21 Abs. 1 SGB X erhebt die Behörde die erforderlichen Beweise nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei hat die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X) auch Einfluss auf die Art und Weise der Beweiserhebung (Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X § 21 Rn 4). Es gilt der Grundsatz des Freibeweises (H. Lang in LPK-SGB X § 21 Rn. 2; KassKomm/Mutschler, SGB X § 21 Rn. 2; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 26 Rn. 9). Regelbeispielhaft nennt § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X die Möglichkeit, Zeugen zu "vernehmen" oder von Zeugen deren schriftliche oder elektronische Äußerung einzuholen.
§ 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X knüpft dagegen lediglich an die Pflicht zur "Aussage" an. Damit bezieht sich die Vorschrift nicht nur auf die Vernehmung in einem mündlichen Termin, sondern meint auch die Einholung einer schriftlichen oder elektronischen Äußerung des Zeugen. Das ergibt sich bei systematischer Auslegung des § 21 SGB X. Denn die Regelung des Abs. 3 Satz 1 steht in Zusammenhang mit der Pflicht der Behörde zur Erhebung der erforderlichen Beweismittel im Wege des Freibeweises (Abs. 1 Satz 1). Wenn aber in Abs. 1 Satz 2 bestimmt wird, dass die Behörde Zeugen und Sachverständige vernehmen oder alternativ von ihnen eine schriftliche oder elektronische Äußerung einholen kann, ist auch § 22 Abs. 1 Satz 1 iVm § 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X dahin zu verstehen, dass die Verweigerung einer Aussage sowohl im Rahmen einer mündlichen Vernehmung als auch auf die Bitte um schriftliche Äußerung oder auf Anforderung einer elektronischen Äußerung denkbar ist, wenn dieser Aufforderung keine Folge geleistet wird (so im Ergebnis auch Hessisches LSG, Beschluss vom 13. Juli 2004 – L 4 B 64/04 SB – juris; KassKomm/Mutschler § 22 SGB X Rdnr. 3).
Eine Behörde hat auch gar nicht die rechtliche Möglichkeit, dass sie einen Zeugen "zur mündlichen Vernehmung ordnungsgemäß laden kann" (so die Formulierung des LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2003 – L 6 SB 552/03 B), weil das SGB X sie nicht zu einer förmlichen Ladung oder gar zu deren Durchsetzung mit Ordnungsmitteln ermächtigt. Nach seinem Sinn und Zweck soll § 22 SGB X den Behörden, die eine Zeugenaussage ggf. nicht mit einer förmlichen Ladung oder Zwangsmitteln durchsetzen können, im Falle der Weigerung des Zeugen, Auskunft zu erteilen, die Rechtshilfe der Gerichte zur Verfügung stellen.
Zudem erscheint die Aufforderung zur schriftlichen Äußerung gegenüber einem aussagepflichteten Arzt das mildere Mittel der Indienstnahme im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens gegenüber der Vernehmung in einem Termin zu sein.
Schließlich ist zu beachten, dass das Verwaltungsverfahren wegen Feststellung des Grades der Behinderung im Sinne des § 9 Satz 2 SGB X einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen ist. Dieses Beschleunigungsinteresse der Verfahrensbeteiligten ist bei der Prüfung der Frage, welche Bemühungen eine Behörde vor Stellung eines Rechtshilfeersuchens unternehmen muss, um einen aussagepflichtigen Arzt zu der Aussage zu veranlassen, ebenfalls zu berücksichtigen.
Im Ergebnis hat der Senat die ablehnende Entscheidung des SG aufzuheben und das Verfahren dorthin zur Durchführung des Rechtshilfeersuchens zurückzuverweisen.
Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen, da für Leistungen der Gerichte im Rahmen der Rechtshilfe weder im SGG noch im GKG eine Gebührenpflicht vorgesehen ist.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Heilbronn zurückverwiesen.
Gründe:
1. Das Land Baden-Württemberg/Landkreis Heilbronn, dort Sozial- und Versorgungsamt (Ast.) hat am 27.07.2020 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn den Antrag gestellt, in der Schwerbehindertensache der Frau I. H., geboren am ...1958, K.-straße, 7XXXX H., die behandelnde Ärztin Frau C.-S., Fachärztin für Dermatologie, tätig in L., als Zeugin zu vernehmen.
Der Ast. hat das SG um Rechtshilfe ersucht, weil die behandelnde Fachärztin trotz mehrfacher Aufforderung und Erinnerung sowie trotz Hinweis auf ihre gesetzliche Pflicht zur Auskunftserteilung nach §§ 21, 100 SGB X, der Bitte um Übermittlung eines Befundscheins seit November 2019 nicht nachgekommen ist. Der Ast. hat das SG ersucht, die Zeugin gemäß § 22 SGB X in einem Termin gerichtlich zu vernehmen. Er hat den Gegenstand der Vernehmung im Ersuchen auch im Einzelnen bezeichnet. Das SG hat bei dem Antragsteller nachgefragt, ob die Zeugin zur mündlichen Vernehmung in der Behörde geladen worden sei. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass dies nicht geschehen sei. Diese Praxis beruhe auf "einer Vereinbarung" mit dem SG Heilbronn, wonach auf eine vorherige Ladung zur Vernehmung nicht bestanden werde. Das SG hat dem Ast. Nach Rücksprache im Hause mitgeteilt, dass die vorgetragene "Vereinbarung" wohl keine Bindung des jeweiligen Vorsitzenden zur Folge hätte. Eine Vereinbarung des vorgetragenen Inhalts habe auch nicht ermittelt werden können.
Mit Beschluss vom 22.10.2020 hat das SG den Antrag auf richterliche Vernehmung der behandelnden Fachärztin als Zeugin abgelehnt. Bevor die Behörde die Hilfe des Gerichts bei Vernehmung von Zeugen in Anspruch nehme, habe diese zunächst alle ihr möglichen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Dazu gehöre auch, dass ein Zeuge oder Sachverständiger vor der Stellung eines Rechtshilfeantrags nach § 22 SGB X "zur mündlichen Vernehmung in die Behörde ordnungsgemäß geladen" werde. Die bloße Nichterstattung einer schriftlichen Äußerung sei nicht ausreichend (unter Hinweis auf: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2003 – L 6 SB 552/03 B – juris).
Gegen den am 23.10.2020 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss hat der Ast. am 09.11.2020 beim SG Beschwerde eingelegt.
Er beantragt, den Beschluss des SG aufzuheben und das SG zu verpflichten, dem Vernehmungsersuchen des Ast. (auch Beschwerdeführer) nachzukommen. Der Ast. habe die fragliche Ärztin vor der Stellung des Vernehmungsersuchens insgesamt fünfmal um Erstellung und Übersendung eines Befundscheins ersucht (mit Aufzählung der Daten). Nachdem die Ärztin auf keines der Schreiben reagiert habe, sei das Vernehmungsersuchen erforderlich, um den Sachverhalt aufzuklären. Die vorherige Ladung der Ärztin zur Vernehmung vor der Behörde sei nach Auffassung des Ast. nicht zwingend erforderlich (unter Hinweis auf: Hessisches LSG, Beschluss vom 13.07.2004 – L 4 B 61/04 SG – Breithaupt 2004, 986; KassKomm/Mutschler, Stand Juli 2020, § 22 SGB X Rdnr. 3).
2. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Ast. ist zulässig und in der Sache auch begründet.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann eine Behörde je nach dem gegebenen Rechtsweg das für den Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Zeugen oder des Sachverständigen zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht um Vernehmung ersuchen, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger in Fällen des § 21 Abs. 3 SGB X ohne Vorliegen eines der in §§ 376, 383 bis 385 und 408 der Zivilprozessordnung (ZPO) bezeichneten Gründe die Aussage oder die Erstattung eines Gutachtens verweigert. Nach§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB X hat die Behörde im Ersuchen den Gegenstand der Vernehmung darzulegen sowie Namen und Anschrift der Beteiligten anzugeben. § 21 Abs. 3 Satz 4 SGB X sieht für den Fall einer solchen Heranziehung als Zeuge oder Sachverständiger vor, dass die in Dienstgenommene Person auf Antrag in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetzes (JVEG) eine Entschädigung oder Vergütung erhält.
Der Ast. hat sein Rechtshilfeersuchen formell korrekt beim SG gestellt. Er hat Name und Anschrift der Beteiligten und der Zeugin genannt. Die behandelnde Ärztin ist zur Aussage auch durch Rechtsvorschrift verpflichtet (§ 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Die Aussagepflicht für behandelnde Ärzte ergibt sich aus § 100 SGB X, denn danach ist der Arzt oder Angehörige eines anderen Heilberufs verpflichtet, dem Leistungsträger im Einzelfall auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit es für die Durchführung der Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich und gesetzlich zugelassen ist oder der Betroffene im Einzelfall eingewilligt hat.
Das SG meint nun, die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 iVm § 21 Abs. 3 SGB X seien nicht erfüllt, weil der Ast. die Zeugin nicht zu einem Termin geladen habe, um sie mündlich zu vernehmen. Das SG stützt sich dabei auf das Tatbestandsmerkmal der "Aussage" in § 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X und leitet daraus das Erfordernis ab, einen Zeugen zu einer mündlichen Vernehmung bei der Behörde (ordnungsgemäß) zu laden.
Dieser Auslegung der maßgeblichen Vorschriften folgt der Senat nicht. Nach § 21 Abs. 1 SGB X erhebt die Behörde die erforderlichen Beweise nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei hat die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X) auch Einfluss auf die Art und Weise der Beweiserhebung (Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X § 21 Rn 4). Es gilt der Grundsatz des Freibeweises (H. Lang in LPK-SGB X § 21 Rn. 2; KassKomm/Mutschler, SGB X § 21 Rn. 2; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 26 Rn. 9). Regelbeispielhaft nennt § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X die Möglichkeit, Zeugen zu "vernehmen" oder von Zeugen deren schriftliche oder elektronische Äußerung einzuholen.
§ 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X knüpft dagegen lediglich an die Pflicht zur "Aussage" an. Damit bezieht sich die Vorschrift nicht nur auf die Vernehmung in einem mündlichen Termin, sondern meint auch die Einholung einer schriftlichen oder elektronischen Äußerung des Zeugen. Das ergibt sich bei systematischer Auslegung des § 21 SGB X. Denn die Regelung des Abs. 3 Satz 1 steht in Zusammenhang mit der Pflicht der Behörde zur Erhebung der erforderlichen Beweismittel im Wege des Freibeweises (Abs. 1 Satz 1). Wenn aber in Abs. 1 Satz 2 bestimmt wird, dass die Behörde Zeugen und Sachverständige vernehmen oder alternativ von ihnen eine schriftliche oder elektronische Äußerung einholen kann, ist auch § 22 Abs. 1 Satz 1 iVm § 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X dahin zu verstehen, dass die Verweigerung einer Aussage sowohl im Rahmen einer mündlichen Vernehmung als auch auf die Bitte um schriftliche Äußerung oder auf Anforderung einer elektronischen Äußerung denkbar ist, wenn dieser Aufforderung keine Folge geleistet wird (so im Ergebnis auch Hessisches LSG, Beschluss vom 13. Juli 2004 – L 4 B 64/04 SB – juris; KassKomm/Mutschler § 22 SGB X Rdnr. 3).
Eine Behörde hat auch gar nicht die rechtliche Möglichkeit, dass sie einen Zeugen "zur mündlichen Vernehmung ordnungsgemäß laden kann" (so die Formulierung des LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2003 – L 6 SB 552/03 B), weil das SGB X sie nicht zu einer förmlichen Ladung oder gar zu deren Durchsetzung mit Ordnungsmitteln ermächtigt. Nach seinem Sinn und Zweck soll § 22 SGB X den Behörden, die eine Zeugenaussage ggf. nicht mit einer förmlichen Ladung oder Zwangsmitteln durchsetzen können, im Falle der Weigerung des Zeugen, Auskunft zu erteilen, die Rechtshilfe der Gerichte zur Verfügung stellen.
Zudem erscheint die Aufforderung zur schriftlichen Äußerung gegenüber einem aussagepflichteten Arzt das mildere Mittel der Indienstnahme im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens gegenüber der Vernehmung in einem Termin zu sein.
Schließlich ist zu beachten, dass das Verwaltungsverfahren wegen Feststellung des Grades der Behinderung im Sinne des § 9 Satz 2 SGB X einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen ist. Dieses Beschleunigungsinteresse der Verfahrensbeteiligten ist bei der Prüfung der Frage, welche Bemühungen eine Behörde vor Stellung eines Rechtshilfeersuchens unternehmen muss, um einen aussagepflichtigen Arzt zu der Aussage zu veranlassen, ebenfalls zu berücksichtigen.
Im Ergebnis hat der Senat die ablehnende Entscheidung des SG aufzuheben und das Verfahren dorthin zur Durchführung des Rechtshilfeersuchens zurückzuverweisen.
Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen, da für Leistungen der Gerichte im Rahmen der Rechtshilfe weder im SGG noch im GKG eine Gebührenpflicht vorgesehen ist.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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