S 4 SF 33/20 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 SF 33/20 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Auch wenn sich ein sozialgerichtliches Eilrechtsschutzverfahrens durch kontradiktorischen Beschluss erledigt, ermäßigt sich die Pauschgebühr auf die Hälfte (entgegen HSLG, Beschl. v. 10. Oktober 2019 – L 2 SF 45/19 E).
Das Pauschgebührenverzeichnis gegenüber der Erinnerungsführerin vom 5. Oktober 2020 wird dahingehend abgeändert, dass die Pauschgebühr unter Nr. 10 für das Verfahren des SG Fulda S 10 AL 54/20 ER auf 75,00 EUR festgesetzt wird.

Der Erinnerungsgegner hat der Erinnerungsführerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Pauschgebühr, die von der Erinnerungsführerin für das vor dem SG Fulda unter dem Aktenzeichen S 10 AL 54/20 ER geführte Verfahren (im Folgenden nur: Ausgangsverfahren) zu entrichten ist. In diesem Ausgangsverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dieses Rechtsschutzbegehren wies der zuständige Kammervorsitzende mit Beschluss vom 1. September 2020 zurück. In der Folge wurde im Rahmen der Pauschgebührenfestsetzung gemäß § 189 Abs. 1 SGG für das Ausgangsverfahren eine Pauschgebühr von 150 EUR (vgl. § 184 Abs. 2 SGG) festgesetzt und der Erinnerungsgegnerin als Bestandteil des Gebührenverzeichnisses vom 5. Oktober 2020 am Folgetag zugestellt.

Hiergegen wendet sich die Erinnerungsführerin mit ihrer Erinnerung vom 13. Oktober 2020, die am selben Tag bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen ist. Zur Begründung führt sie aus, dass für diese Verfahren lediglich 75 EUR als Pauschgebühr hätten festgesetzt werden dürfen.

Die Erinnerungsführerin beantragt sinngemäß,
das Pauschgebührenverzeichnis vom 5. Oktober 2020 dahingehend zu berichtigen, dass für das Ausgangsverfahren lediglich eine Pauschgebühr von 75 EUR festgesetzt wird.

Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass eine Reduzierung der Pauschgebühr von 150 EUR auf lediglich 75 EUR vorliegend nicht in Betracht komme, weil das Gericht im Ausgangsverfahren eine streitige Entscheidung habe treffen müssen. Nach § 186 S. 1 SGG ermäßige sich zwar die Pauschgebühr auf die Hälfte, wenn eine Sache nicht durch Urteil erledigt werde; insoweit dürfe aber nicht auf den Wortlaut abgestellt werden, sondern darauf, ob eine kontradiktorische Entscheidung ergangen sei.

Eine Ermäßigung der Gebühr finde letztlich auch bei einem Gerichtsbescheid und auch bei einem Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG nicht statt. Denn die bei diesen Entscheidungen anfallende Mühewaltung des Gerichts sei mit derjenigen vergleichbar, die für ein Urteil erforderlich sei. Folglich sei eine volle Pauschgebühr festzusetzen. Im Übrigen verweist der Erinnerungsgegner auf die Ausführungen des HLSG in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2019 (L 2 SF 45/19 E).

II.

Die gem. §189 Abs. 2 SGG zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene Erinnerung ist begründet. Für das Ausgangsverfahren wurden zu Unrecht 150 EUR als Pauschgebühr festzusetzen.

Gemäß § 184 Abs. 1, 2 SGG hat eine nicht kostenprivilegierte Beteiligte wie die Erinnerungsführerin für jedes Verfahren vor den Sozialgerichten, soweit nicht ein Fall des § 197a SGG vorliegt, eine Pauschgebühr zu entrichten, die vor dem erstinstanzlichen Sozialgericht 150 EUR beträgt. Die Gebühr ermäßigt sich gemäß § 186 S. 1 SGG "auf die Hälfte", wenn "eine Sache nicht durch Urteil erledigt" wird.

Vorliegend wurde die "Sache", also das Ausgangsverfahren, nicht durch "Urteil" erledigt, sondern durch einen "Beschluss". Damit ist der Tatbestand des § 186 S. 1 SGG erfüllt, so dass sich die Gebühr von 150 EUR auf die Hälfte, also 75 EUR reduziert. Somit durfte nur diese hälftige Gebühr gegenüber der Erinnerungsführerin festgesetzt werden.

Dieses Ergebnis kann nicht durch die Argumentation des Erinnerungsgegners infrage gestellt werden. Zusammengefasst vertritt er die Auffassung, dass es im Hinblick auf die Gebührenreduzierung nicht auf die Entscheidungsform ankommen könne, sondern auf die für die Erledigung des jeweiligen Verfahrens entstandenen Mühen des Gerichts. Seien diese einem Urteil gleichzusetzen, wie es bei einem kontradiktorischen Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der Fall sei, scheide eine Gebührenreduzierung aus.

Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil, wie der Erinnerungsgegner selbst einräumt, dass der Wortlaut des § 186 S. 1 SGG dem entgegensteht. Eine Auslegung gegen den ausdrücklichen Wortlaut einer Norm ist aufgrund der Gesetzesbindung sowohl der exekutiven Gerichtsverwaltung wie auch der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) unzulässig. Es ist für die Kammer auch schlicht ausgeschlossen, dass der Prozessrechtsgesetzgeber bei der Verwendung des Begriffs "Urteil" falsche Vorstellungen über die Bedeutung dieses Wortes gehabt haben könnte. Es dürfte unter formaler Betrachtungsweise kaum einen anderen prozessrechtlichen Begriff geben, der so eindeutig bestimmt ist wie der des gerichtlichen Urteils. Verwendet der Prozessrechtsgesetzgeber einen solchen unzweideutigen Begriff, verbietet es die Gesetzesbindung von vornherein anzunehmen, er habe es nicht so (genau) gemeint.

Insofern überzeugen auch die Ausführungen des 2. Senats des HLSG im vom Erinnerungsgegner zitierten Beschluss vom 10. Oktober 2019 (L 2 SF 45/19 E) nicht. Hier formuliert der Senat (juris Rn. 14): Bei der Anwendung von § 186 S. 1 SGG könne "nicht allein auf den Wortlaut abgestellt werden", denn dieser sei "im zu entscheidenden Kontext unergiebig, erwähnen die kostenrechtlichen Vorschriften doch keinerlei verfahrensbeendende Beschlüsse". Allerdings findet sich ein Paragraf zuvor, nämlich bei der Bestimmung der Fälligkeit der Pauschgebühr in § 185 SGG, eine sehr feine Differenzierungen nach möglichen Erledigungsarten von Verfahren, bei denen ausdrücklich der Begriff "Beschluss" Erwähnung findet. Verfahrensbeendende Beschlüsse sind also sehr wohl ausdrücklich Regelungsgegenstand des sozialgerichtlichen Kostenrechts. Dies gilt umso mehr, als der Begriff "Beschluss" erst 1958, also vier Jahre nach Inkrafttreten des SGG, in § 185 SGG eingefügt worden ist. Hätte es dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, die Gebührenreduzierung bei jeder kontradiktorischen Entscheidung auszuschließen, wäre doch selbst verständlich zu erwarten gewesen, dass dies auch im nachfolgenden Paragraphen entsprechend richtiggestellt wird. Dies ist aber (bis heute) gerade nicht passiert.

Auch darüber hinaus bestehen keine Zweifel daran, dass die Gebührenreduzierung auf die Hälfte dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Halbierung von Gerichtsgebühren für kontradiktorische Eilrechtsschutzentscheidungen ist das Prinzip des deutschen Gerichtskostenrechts in nahezu allen Verfahren vor deutschen Gerichten (in Zivilverfahren gem. Nr. 1410 KV GKG: 1,5 Gebühr statt 3,0 beim Urteil; vor dem VG: gem. Nr. 5210 KV GKG 1,5 Gebühr statt 3,0 beim Urteil; vor dem FG: gem. Nr. 6210 KV GKG 2,0 Gebühr statt 4,0 für ein Urteil; und natürlich auch vor dem SG, wenn ausnahmsweise das GKG Anwendung findet: gem. Nr. 7210 KV GKG 1,5 Gebühr statt 3,0 beim Urteil). Warum dies gerade bei kostenprivilegierten Eilrechtsschutzverfahren anders sein soll, erschließt sich in keiner Weise. Insofern ist die Feststellung des HLSG im Beschluss vom 10. Oktober 2019 (L 2 SF 45/19 E, juris Rn. 15) völlig zutreffend: Die Regelung in § 186 S. 1 SGG läuft "– da das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht anders als durch Beschluss entscheiden kann – auf eine generelle Halbierung der Pauschgebühr in Eilverfahren hinaus". Doch entgegen der obergerichtlichen Auffassung entspricht dies exakt dem Willen des Gesetzgebers, wie er ihn hier und im gesamten Prozesskostenrecht, wie dargelegt, an zahlreichen Stellen zum Ausdruck gebracht und zum Prinzip erklärt hat.

Soweit demgegenüber vorgebracht wird, mit der Gebührenreduzierung solle nach den Gesetzesmotiven "die Bereitschaft der gebührenpflichtigen Leistungsträger" gefördert werden, "eine aussichtslose Rechtsverfolgung aufzugeben, und auf diese Weise die Gerichte entlasten (BT-Drs. I/4357, S. 33), ist dies natürlich zutreffend. Aber nach dem Wortlaut eben nur bei Urteilsverfahren, denn im einstweiligen Rechtsschutz gilt – wie dargelegt – der generelle Halbierungsgrundsatz.

Die Kammer verkennt nicht, dass der Ausschluss der Gebührenreduzierung einer auch andernorts anzutreffenden Auffassung der Obergerichte (etwa BayLSG, Beschl. v. 7. Mai 2019 – L 12 SF 152/19 E –; ThürLSG, Beschl. v. 9. November 2018 – L 1 SF 1194/18 E), insbesondere aber weithin der – durchweg richtergetragenen – Kommentarliteratur entspricht (s. ebenso Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 186 Rn. 2; Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 186 [Stand: März 2020] Rn. 18 f.; Groß, in: Berchtold [Hrsg.], SGG, 6. Auflage 2021, § 186 Rn. 4; Schmidt, in: Fichte/Jüttner [Hrsg.], SGG, 2. Auflage 2014, § 186 Rn. 2; zutreffend anders allerdings [nur] Krauß, in: Roos/Wahrendorf [Gesamthrsg.], beck-online.GROSSKOMMENTAR zum SGG, § 186 [Stand: September 2019] Rn. 16). Dies ändert aber nichts daran, dass sich all diese Auffassungen über den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes sowie den Willen des Kostenrechtsgesetzgebers hinwegsetzen müssen, um zu ihrem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Daher kann sich die Kammer dem nicht anschließen.

Die wie auch bei Erinnerungen gem. § 197 Abs. 2 SGG notwendige Kostenentscheidung (vgl. SG Fulda, Beschl. v. 10. Februar 2010 – S 3 SF 22/09 E – juris Rn. 68 ff.) folgt aus § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 189 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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