Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 8 AL 65/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 111/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Gestaltungsmöglichkeiten des Verzichts auf Ansprüche auf Sozialleistungen und der Dispositionsbefugnis bezüglich der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld stehen selbständig nebeneinander.
2. Die Bereitschaft, sich den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stellen zu wollen, ist eine Begebenheiten tatsächlicher Art, die nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erklärt werden kann.
2. Die Bereitschaft, sich den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stellen zu wollen, ist eine Begebenheiten tatsächlicher Art, die nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erklärt werden kann.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 2. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, ihm für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
Am 31. Juli 2014 sprach der Kläger bei der Beklagten persönlich vor und teilte mit, dass sein Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt worden sei. Die Arbeitslosmeldung wurde zum 1. September 2014 erfasst. Dem Kläger wurden die Antragsunterlagen ausgehändigt.
Mit Schreiben vom 12. September 2014 teilte der Kläger der Beklagten mit: "Hiermit verzichte ich, A ... auf Arbeitslosengeld I ab dem 01.09.14 – 17.10.14 ".
Am 14. Oktober 2014 meldete sich der Kläger erneut persönlich arbeitssuchend und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 18. Oktober 2014. Er gab zugleich an, am 18. November 2014 wieder eine Beschäftigung aufzunehmen.
Am 30. Oktober 2014 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor und erklärte, die Verzichtserklärung vom 12. September 2014 zurücknehmen zu wollen. Mit handschriftlichem Schreiben vom gleichen Tage teilte er mit: "Hiermit möchte ich, A ... geboren am ...1989 meine Verzichtserklärung vom 12.09.14 ab dem 01.09.14 aufheben, da ich - über 25 Jahre bin und selbst Krankenkassenbeiträge zahlen müsste - keine Nebenbeschäftigung ausübe, mit der ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann."
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages vom 17,25 Eur bei einer Anspruchsdauer von 300 Kalendertagen für den Zeitraum vom 18. Oktober 2014 bis 17. November 2014.
Mit Bescheid vom 8. Januar 2015 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum des Verzichts ab. Der Kläger habe erklärt, dass der Arbeitslosengeldanspruch nicht am 1. September 2014 sondern erst am 18. Oktober 2014 entstehen solle. Damit habe er von seinem Dispositionsrecht nach § 137 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) Gebrauch gemacht. Da am 12. September 2014 über den Anspruch auf Arbeitslosengeld noch nicht entschieden gewesen sei, entfalte die Erklärung Wirkung. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld sei, dem Willen des Klägers entsprechend, am 18. Oktober 2014 entstanden. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2014 habe er die Erklärung dahin abgeändert, dass der Anspruch nunmehr doch ab 1. September 2014 entstehen solle. Die Erklärung sei aber unwirksam. Soweit über den Anspruch auf Arbeitslosengeld einmal disponiert worden sei, könne, ausgehend vom Tag der geänderten Erklärung, nur mit Wirkung für die Zukunft nach § 137 Abs. 2 SGB III eine geänderte Disposition erfolgen. Für die Vergangenheit könne eine Disposition nicht geändert werden.
Den Widerspruch des Klägers vom 14. Januar 2015 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2015 zurück.
Die Klage vom 9. Februar 2015 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2019 abgewiesen. Dem Kläger stehe für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu, da er die Disposition über den Beginn des Anspruchs nicht mit Wirkung für die Vergangenheit sondern gem. § 137 Abs. 2 SGB III nur mit Wirkung für die Zukunft habe ändern können. Auch habe der Kläger im Streitzeitraum den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden, da diese in dem Zeitraum davon habe ausgehen müssen, dass er nicht habe vermittelt werden wollen.
Mit seiner gegen den ihm am 13. Juli 2019 zugestellten Gerichtsbescheid gerichteten Berufung vom 13. August 2019 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Es gehe ihm um die Anwendung des Dispositionsrechts für einen vergangenen Zeitraum. Er könne bis zur Entscheidung über den Anspruch bestimmen, zu welchem Zeitpunkt Arbeitslosengeld bewilligt werden solle. Die Bewilligung sei am 8. Dezember 2014 erfolgt. Nach § 137 Abs. 2 SGB III könne über den Anspruch nur mit Wirkung für die Zukunft eine geänderte Disposition erfolgen, über den bereits disponiert worden sei. Zuvor habe jedoch noch keine Arbeitslosigkeit vorgelegen. Demzufolge könne auch noch nicht disponiert worden sein.
Der Kläger beantragt, sachgerecht gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 2. Juli 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 16. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, dass sich der Kläger ihren Vermittlungsbemühungen nicht ausdrücklich zur Verfügung gestellt habe. Vielmehr sei er mit den Vorbereitungen für einen Umzug beschäftigt gewesen, was sich aus Vermerken über persönliche Kontakte vom 2. Oktober 2014 und 9. Oktober 2014 ergebe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2015 sind rechtmäßig. Ihm steht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld im Zeitraum 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 nicht zu.
In Bezug auf die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 lässt der Senat offen, ob der Kläger damit auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für den bezeichneten Zeitraum verzichtet hat oder in der Erklärung die Ausübung des ihm zustehenden Dispositionsrechts zu sehen ist. Denn dem Kläger steht in beiden Varianten der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Nach Maßgabe von § 136 Abs. 1 Nr. 1, §§ 137 ff. SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Nach § 46 Abs. 1 Halbsatz 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch schriftliche Erklärungen gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden. Der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden (vgl. § 46 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB I). Daneben kann nach § 137 Abs. 2 SGB III bis zur Entscheidung über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld die antragstellende Person bestimmen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll.
Beide Gestaltungsmöglichkeiten stehen selbstständig nebeneinander, sind aber unterschiedlich in ihren rechtlichen Auswirkungen. Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 SGB I ist die vollständige oder teilweise Aufgabe eines Anspruches (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Mai 1988 –10 RKg 3/87 – BSGE 63, 167 ff. = SozR 1500 § 54 Nr. 85 = juris Rdnr. 28; BSG, Urteil vom 25. Juli 1995 –10 RKg 9/94 – BSGE 76, 203 ff. = SozR 3-5870 § 10 Nr. 7 = juris, jeweils Leitsatz). Der betroffene Anspruch muss also mit allen seinen Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere dem Stammrecht, bestehen. Besteht, wie beim Arbeitslosengeld, der Anspruch für eine bestimmte Anspruchsdauer (hier: 300 Kalendertage), verringert sich die Anspruchsdauer um den Zeitraum des Verzichts. Demgegenüber hat die Dispositionsbefugnis nach § 137 Abs. 2 SGB III zur Folge, dass der Anspruch gerade nicht oder später entsteht (vgl. Öndül, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [2. Aufl., 2019], § 137 Rdnr. 30). Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen einschließlich des Stammrechts wird damit ausgeschlossen oder in die Zukunft verschoben. Wird bestimmt, dass der Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, entsteht er ab diesem gewählten Zeitpunkt für die volle Anspruchsdauer (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III [Stand: Erg.-Lfg. Stand 04/18], § 137 Rdnr. 66).
Die Beklagte und das Sozialgericht haben die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 nicht als Verzicht sondern als Ausübung des Dispositionsrechts gewertet. Ob diese Auslegung gegen den Wortlaut der Erklärung möglich ist, erscheint zweifelhaft, zumal der Kläger auch später, nicht etwa nur in seiner "Aufhebung" der Verzichtserklärung, an dem Begriff des Verzichts festgehalten hat.
Ob es sich um einen Verzicht oder eine Disposition gehandelt hat, kann indes offen bleiben, weil sich im konkreten Fall keine Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens ergeben. Sowohl als Verzicht nach § 46 SGB I als auch als Disposition nach § 137 Abs. 2 SGB III führt die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014.
Zwar kann ein Verzicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes jederzeit widerrufen werden, jedoch (nur) mit Wirkung für die Zukunft (vgl. § 46 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB I). Aus der Perspektive der Erklärung des Klägers vom 30. Oktober 2014, mit der er von seinem Verzicht abrückte, ist der streitbefangene Zeitraum aber Vergangenheit.
Im Ergebnis ergibt sich nichts anderes, wenn die Erklärungen vom 12. September 2014 als Disposition im Sinne von § 137 Abs. 2 SGB III angesehen wird. Die Vorschrift bezweckt, dass die Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen und damit die Entstehung des Stammrechts je nach Erklärung ausgeschlossen oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann. Wäre die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 eine solche Disposition, würde das Stammrecht auf Arbeitslosengeld erst ab dem 18. Oktober 2014 bestanden haben.
Auch aus der Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit kann der Kläger nichts für den von ihm geltend gemachten Anspruch herleiten. Nach Nummer 137.2 Abs. 1 der Fachlichen Weisungen zu § 137 SGB III (veröffentlicht auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit unter https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-iii-137 ba015144.pdf) sollen Arbeitslose bis zum Zugang des Bewilligungsbescheides auch mehrfach bestimmen können, dass das Stammrecht später entstehen soll, oder die Erklärung widerrufen können. Auch danach ist – auch wenn dies nicht ausdrücklich im Weisungstext enthalten ist – ein Widerruf der Dispositionserklärung nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Dies folgt daraus, dass der Arbeitslose mit seiner Erklärung, der Anspruch auf Arbeitslosengeld solle zu einem späteren Zeitpunkt entstehen, zugleich regelmäßig zum Ausdruck bringt, dass er sich bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht dem Regime des SGB III unterwerfen will. Denn es ist im Regelfall nicht ersichtlich, weshalb ein Arbeitsloser einerseits auf die finanziellen Leistungen des Arbeitslosengeldes verzichten sollte, andererseits aber Vermittlungsangebote (vgl. § 35 SGB III) wünschen sollte oder eine Eingliederungsvereinbarung (vgl. § 37 Abs. 2 SGB III) abschließen möchte, was später nach Maßgabe von § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III im Falle einer Pflichtverletzung zu einer Sanktion in der Form der Einstellung der Arbeitsvermittlung führen kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Erklärung des Klägers im Schreiben vom 12. September anders zu verstehen sein könnte, bestehen nicht. Wenn aber ein Arbeitsloser zum Ausdruck bringt, sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Regelungen des SGB III unterstellen zu wollen, fehlt es jedenfalls an seiner subjektiven Verfügbarkeit und an seiner persönlichen Arbeitslosmeldung. Beides sind Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, § 137 Nr. 2 SGB III). Die Bereitschaft, sich den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stellen zu wollen, kann ebenso wenig mit Wirkung für die Vergangenheit erklärt werden wie die persönliche Arbeitslosmeldung, da es sich bei beidem um Begebenheiten tatsächlicher Art handelt.
Führt nach alldem die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 sowohl als Verzicht als auch als Ausübung des Dispositionsrechts verstanden zu einem Wegfall des Zahlungsanspruchs für den Zeitraum 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014, ist der Berufung der Erfolg zu versagen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. §160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, ihm für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
Am 31. Juli 2014 sprach der Kläger bei der Beklagten persönlich vor und teilte mit, dass sein Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt worden sei. Die Arbeitslosmeldung wurde zum 1. September 2014 erfasst. Dem Kläger wurden die Antragsunterlagen ausgehändigt.
Mit Schreiben vom 12. September 2014 teilte der Kläger der Beklagten mit: "Hiermit verzichte ich, A ... auf Arbeitslosengeld I ab dem 01.09.14 – 17.10.14 ".
Am 14. Oktober 2014 meldete sich der Kläger erneut persönlich arbeitssuchend und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 18. Oktober 2014. Er gab zugleich an, am 18. November 2014 wieder eine Beschäftigung aufzunehmen.
Am 30. Oktober 2014 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor und erklärte, die Verzichtserklärung vom 12. September 2014 zurücknehmen zu wollen. Mit handschriftlichem Schreiben vom gleichen Tage teilte er mit: "Hiermit möchte ich, A ... geboren am ...1989 meine Verzichtserklärung vom 12.09.14 ab dem 01.09.14 aufheben, da ich - über 25 Jahre bin und selbst Krankenkassenbeiträge zahlen müsste - keine Nebenbeschäftigung ausübe, mit der ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann."
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages vom 17,25 Eur bei einer Anspruchsdauer von 300 Kalendertagen für den Zeitraum vom 18. Oktober 2014 bis 17. November 2014.
Mit Bescheid vom 8. Januar 2015 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum des Verzichts ab. Der Kläger habe erklärt, dass der Arbeitslosengeldanspruch nicht am 1. September 2014 sondern erst am 18. Oktober 2014 entstehen solle. Damit habe er von seinem Dispositionsrecht nach § 137 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) Gebrauch gemacht. Da am 12. September 2014 über den Anspruch auf Arbeitslosengeld noch nicht entschieden gewesen sei, entfalte die Erklärung Wirkung. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld sei, dem Willen des Klägers entsprechend, am 18. Oktober 2014 entstanden. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2014 habe er die Erklärung dahin abgeändert, dass der Anspruch nunmehr doch ab 1. September 2014 entstehen solle. Die Erklärung sei aber unwirksam. Soweit über den Anspruch auf Arbeitslosengeld einmal disponiert worden sei, könne, ausgehend vom Tag der geänderten Erklärung, nur mit Wirkung für die Zukunft nach § 137 Abs. 2 SGB III eine geänderte Disposition erfolgen. Für die Vergangenheit könne eine Disposition nicht geändert werden.
Den Widerspruch des Klägers vom 14. Januar 2015 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2015 zurück.
Die Klage vom 9. Februar 2015 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2019 abgewiesen. Dem Kläger stehe für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu, da er die Disposition über den Beginn des Anspruchs nicht mit Wirkung für die Vergangenheit sondern gem. § 137 Abs. 2 SGB III nur mit Wirkung für die Zukunft habe ändern können. Auch habe der Kläger im Streitzeitraum den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden, da diese in dem Zeitraum davon habe ausgehen müssen, dass er nicht habe vermittelt werden wollen.
Mit seiner gegen den ihm am 13. Juli 2019 zugestellten Gerichtsbescheid gerichteten Berufung vom 13. August 2019 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Es gehe ihm um die Anwendung des Dispositionsrechts für einen vergangenen Zeitraum. Er könne bis zur Entscheidung über den Anspruch bestimmen, zu welchem Zeitpunkt Arbeitslosengeld bewilligt werden solle. Die Bewilligung sei am 8. Dezember 2014 erfolgt. Nach § 137 Abs. 2 SGB III könne über den Anspruch nur mit Wirkung für die Zukunft eine geänderte Disposition erfolgen, über den bereits disponiert worden sei. Zuvor habe jedoch noch keine Arbeitslosigkeit vorgelegen. Demzufolge könne auch noch nicht disponiert worden sein.
Der Kläger beantragt, sachgerecht gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 2. Juli 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 16. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, dass sich der Kläger ihren Vermittlungsbemühungen nicht ausdrücklich zur Verfügung gestellt habe. Vielmehr sei er mit den Vorbereitungen für einen Umzug beschäftigt gewesen, was sich aus Vermerken über persönliche Kontakte vom 2. Oktober 2014 und 9. Oktober 2014 ergebe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2015 sind rechtmäßig. Ihm steht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld im Zeitraum 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014 nicht zu.
In Bezug auf die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 lässt der Senat offen, ob der Kläger damit auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für den bezeichneten Zeitraum verzichtet hat oder in der Erklärung die Ausübung des ihm zustehenden Dispositionsrechts zu sehen ist. Denn dem Kläger steht in beiden Varianten der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Nach Maßgabe von § 136 Abs. 1 Nr. 1, §§ 137 ff. SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Nach § 46 Abs. 1 Halbsatz 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch schriftliche Erklärungen gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden. Der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden (vgl. § 46 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB I). Daneben kann nach § 137 Abs. 2 SGB III bis zur Entscheidung über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld die antragstellende Person bestimmen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll.
Beide Gestaltungsmöglichkeiten stehen selbstständig nebeneinander, sind aber unterschiedlich in ihren rechtlichen Auswirkungen. Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 SGB I ist die vollständige oder teilweise Aufgabe eines Anspruches (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Mai 1988 –10 RKg 3/87 – BSGE 63, 167 ff. = SozR 1500 § 54 Nr. 85 = juris Rdnr. 28; BSG, Urteil vom 25. Juli 1995 –10 RKg 9/94 – BSGE 76, 203 ff. = SozR 3-5870 § 10 Nr. 7 = juris, jeweils Leitsatz). Der betroffene Anspruch muss also mit allen seinen Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere dem Stammrecht, bestehen. Besteht, wie beim Arbeitslosengeld, der Anspruch für eine bestimmte Anspruchsdauer (hier: 300 Kalendertage), verringert sich die Anspruchsdauer um den Zeitraum des Verzichts. Demgegenüber hat die Dispositionsbefugnis nach § 137 Abs. 2 SGB III zur Folge, dass der Anspruch gerade nicht oder später entsteht (vgl. Öndül, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [2. Aufl., 2019], § 137 Rdnr. 30). Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen einschließlich des Stammrechts wird damit ausgeschlossen oder in die Zukunft verschoben. Wird bestimmt, dass der Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, entsteht er ab diesem gewählten Zeitpunkt für die volle Anspruchsdauer (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III [Stand: Erg.-Lfg. Stand 04/18], § 137 Rdnr. 66).
Die Beklagte und das Sozialgericht haben die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 nicht als Verzicht sondern als Ausübung des Dispositionsrechts gewertet. Ob diese Auslegung gegen den Wortlaut der Erklärung möglich ist, erscheint zweifelhaft, zumal der Kläger auch später, nicht etwa nur in seiner "Aufhebung" der Verzichtserklärung, an dem Begriff des Verzichts festgehalten hat.
Ob es sich um einen Verzicht oder eine Disposition gehandelt hat, kann indes offen bleiben, weil sich im konkreten Fall keine Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens ergeben. Sowohl als Verzicht nach § 46 SGB I als auch als Disposition nach § 137 Abs. 2 SGB III führt die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014.
Zwar kann ein Verzicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes jederzeit widerrufen werden, jedoch (nur) mit Wirkung für die Zukunft (vgl. § 46 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB I). Aus der Perspektive der Erklärung des Klägers vom 30. Oktober 2014, mit der er von seinem Verzicht abrückte, ist der streitbefangene Zeitraum aber Vergangenheit.
Im Ergebnis ergibt sich nichts anderes, wenn die Erklärungen vom 12. September 2014 als Disposition im Sinne von § 137 Abs. 2 SGB III angesehen wird. Die Vorschrift bezweckt, dass die Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen und damit die Entstehung des Stammrechts je nach Erklärung ausgeschlossen oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann. Wäre die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 eine solche Disposition, würde das Stammrecht auf Arbeitslosengeld erst ab dem 18. Oktober 2014 bestanden haben.
Auch aus der Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit kann der Kläger nichts für den von ihm geltend gemachten Anspruch herleiten. Nach Nummer 137.2 Abs. 1 der Fachlichen Weisungen zu § 137 SGB III (veröffentlicht auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit unter https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-iii-137 ba015144.pdf) sollen Arbeitslose bis zum Zugang des Bewilligungsbescheides auch mehrfach bestimmen können, dass das Stammrecht später entstehen soll, oder die Erklärung widerrufen können. Auch danach ist – auch wenn dies nicht ausdrücklich im Weisungstext enthalten ist – ein Widerruf der Dispositionserklärung nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Dies folgt daraus, dass der Arbeitslose mit seiner Erklärung, der Anspruch auf Arbeitslosengeld solle zu einem späteren Zeitpunkt entstehen, zugleich regelmäßig zum Ausdruck bringt, dass er sich bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht dem Regime des SGB III unterwerfen will. Denn es ist im Regelfall nicht ersichtlich, weshalb ein Arbeitsloser einerseits auf die finanziellen Leistungen des Arbeitslosengeldes verzichten sollte, andererseits aber Vermittlungsangebote (vgl. § 35 SGB III) wünschen sollte oder eine Eingliederungsvereinbarung (vgl. § 37 Abs. 2 SGB III) abschließen möchte, was später nach Maßgabe von § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III im Falle einer Pflichtverletzung zu einer Sanktion in der Form der Einstellung der Arbeitsvermittlung führen kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Erklärung des Klägers im Schreiben vom 12. September anders zu verstehen sein könnte, bestehen nicht. Wenn aber ein Arbeitsloser zum Ausdruck bringt, sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Regelungen des SGB III unterstellen zu wollen, fehlt es jedenfalls an seiner subjektiven Verfügbarkeit und an seiner persönlichen Arbeitslosmeldung. Beides sind Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, § 137 Nr. 2 SGB III). Die Bereitschaft, sich den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stellen zu wollen, kann ebenso wenig mit Wirkung für die Vergangenheit erklärt werden wie die persönliche Arbeitslosmeldung, da es sich bei beidem um Begebenheiten tatsächlicher Art handelt.
Führt nach alldem die Erklärung des Klägers vom 12. September 2014 sowohl als Verzicht als auch als Ausübung des Dispositionsrechts verstanden zu einem Wegfall des Zahlungsanspruchs für den Zeitraum 1. September 2014 bis zum 17. Oktober 2014, ist der Berufung der Erfolg zu versagen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. §160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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