Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
57
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 57 KR 725/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2016 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Ansprüchen der S2 AG wegen Behandlung vom 7.7. bis 11.7.2015 freizustellen. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst trägt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Kosten für eine Notfallbehandlung der Klägerin im Ausland.
Die Klägerin ist a. Staatsangehörige und lebt in Deutschland von Leistungen der Grundsicherung gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölf (XII), die sie von der Beigeladenen erhält. Sie ist kein Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Kosten für Krankenbehandlungen werden von der Beklagten übernommen, die sich die jeweils entstehenden Kosten von der Beigeladenen erstatten lässt. Zum Nachweis dieser Kostenübernahme und zur Vorlage bei Ärzten hat die Klägerin von der Beklagten eine Krankenkassenkarte im Scheckkartenformat mit ihrem Namen erhalten. Auf der Rückseite hat die Klägerin unter den Worten "Europäische Krankenversicherungskarte" im dafür vorgesehenen Feld unterschrieben. Die weiteren Felder für die Identifikationsmerkmale des jeweiligen Kartenträgers sowie das Ablaufdatum sind – bis auf die Kartennummer – nicht ausgefüllt bzw. ausgeixt. Die auf der Rückseite befindlichen Daten der Klägerin übermittelte die Beklagte damals an den Hersteller der Krankenkassenkarte, damit dieser die Karte und das Begleitschreiben an die Klägerin übersenden würde. Eine Kopie des an die Klägerin versandten Schreibens existiert nicht. Das von der Beklagten vorgelegte Muster eines Begleitschreibens in diesen Fällen lautet wie folgt:
"Sehr geehrte XX, beigefügt erhalten Sie Ihre elektronische Gesundheitskarte (eGK). Bitte überprüfen Sie die Angaben auf der Karte und unterschreiben Sie auf der Rückseite. Sollten die Daten nicht korrekt oder die Karte beschädigt sein, informieren Sie bitte unser HEK-Team Direkt. Sie erhalten dann umgehend Ersatz. Aufgrund des Versicherungsverhältnisses besteht kein Anspruch auf Ausstellung einer Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC). Daher sind die Felder auf der Rückseite der eGK als ungültig gekennzeichnet. Die Hinweise zur "Europäischen Krankenversicherungskarte" auf der Rückseite dieses Schreibens gelten daher nicht. Weitere Informationen zur eGK finden Sie auf der Rückseite dieses Schreibens."
In den Hinweisen zur Nutzung zur Europäischen Krankenversicherungskarte wird ausgeführt, dass diese berechtigt, Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie u.a. der S. in Anspruch zu nehmen. Ergänzend wird dort empfohlen, eine private Auslandsreise-Krankenversicherung abzuschließen.
Im Sommer 2015 besuchte die Klägerin für einige Wochen ihr Enkelkind in der S ... Dort wurde sie wegen eines akuten Myokardinfarkts, d.h. eines Herzanfalls, bei bekannter koronarer Herzkrankheit vom 7.7. bis 11.7.2015 im S1 Spital stationär aufgenommen und behandelt. Die S2 AG stellte der Klägerin dafür einen Betrag von 36.362,40 Schweizer Franken (31.970,48 Euro) in Rechnung (Rechnungsnummer 20304523) und übersandte ihr einen Rückforderungsbeleg vom 15.12.2015. Beides faxte die Klägerin am 21.12.2015 an die Beklagte, ohne die Rechnung zu begleichen.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme am 28.12.2015 ab und erläuterte, dass die Klägerin als Sozialhilfeempfängerin den gesetzlich Krankenversicherten in Art und Umfang der Leistungen zwar grundsätzlich gleichgestellt sei, doch beziehe sich dieser Anspruch nur auf alle im Inland zur Verfügung gestellten Leistungen.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin vom 15.1.2016 lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2016 die Kostenerstattung weiter ab. Sie begründete dies mit dem Ruhen des Leistungsanspruchs der Beklagten gegenüber der über § 264 SGB V versicherten Klägerin während ihres Auslandsaufenthalts und verwies auch auf die Fachanweisung zu § 264 Abs. 2 SGB V.
Erst danach beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten durch die Beigeladene. Diese lehnte die Kostenübernahme ab.
Am 30.3.2016 hat die Klägerin einen Eilantrag gestellt und Klage erhoben.
Die Klägerin trägt vor, sie habe nicht erkannt, dass sie nur einen Anspruch auf Leistungen innerhalb Deutschlands habe, weil auf der Rückseite ihrer Krankenkassenkarte "Europäische Krankenversicherungskarte" stehe. Sollte die Klägerin ihre Versichertenkarte seinerzeit mit einem Schreiben erhalten habe, in dem auch darauf hingewiesen worden sei, dass ein Anspruch auf Leistungen nur innerhalb Deutschlands bestehe, habe sie dies nicht verstanden. Vor ihrem Flug in die S. sei sie bzw. sei ihr Sohn zu einer Geschäftsstelle der Beklagten gegangen, um sich im Ausland versichern zu lassen. Die dortige Mitarbeiterin habe ihr mitgeteilt, dass die Krankenversicherung der Klägerin im Ausland bzw. in der S. gültig sei und man diese Information der Rückseite der Krankenkassenkarte entnehmen könne.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin von Ansprüchen der S2 AG wegen der Behandlung der Klägerin vom 07.07. bis 11.07.2015 freizustellen. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte lehnt die Kostenerstattung für die Behandlung weiter ab. Die Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/04) sei nicht anwendbar. § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V seien nicht anwendbar, weil die Klägerin keine Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Unabhängig davon könne eine Krankenhausbehandlung nach § 13 Abs. 5 SGB V ohnehin nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden, was hier nicht erfolgt sei. Außerdem habe die Beklagte die Klägerin ausreichend informiert, dass sie im Ausland nicht versichert war. Das ergebe sich schon aus dem mit der elektronischen Gesundheitskarte übersandten Begleitschreiben. Danach bestehe "aufgrund des Versicherungsverhältnisses kein Anspruch auf Ausstellung einer Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC)", wobei sich aus den ebenfalls übersandten Hinweisen zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte ergebe, dass (nur) die Europäische Krankenversicherungskarte berechtigte, Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt u.a. in der S. in Anspruch zu nehmen.
Das Gericht hat den zuständigen Sozialhilfeträger der Klägerin zum Rechtsstreit beigeladen. Auch die Beigeladene lehnt eine Leistungspflicht ab. Sie erfülle ihre Pflicht bereits über die Kostenübernahme der durch die Beklagten gedeckten Bedarfe im Bereich der Krankenbehandlung gemäß § 264 Abs. 7 SGB V. Sie meint, dass eine Leistung, die nicht gemäß § 264 SGB V von der Beklagten übernommen werden muss, auch nicht von der Beigeladenen zu erbringen sei. Auch schlössen sich die Leistungsgewährung gemäß § 48 Satz 2 SGB XII und eine Leistungsgewährung nach § 48 Satz 1 SGB XII aus. Außerdem habe die Beigeladene erst durch das Gerichtsverfahren und jedenfalls nicht vor dem Krankenhausaufenthalt der Klägerin von ihrem Auslandsaufenthalt erfahren. Hilfsweise bestehe aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII, die nach dem Territorialitätsprinzip nur zur Deckung von Bedarfen im Inland gewährt werde, kein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beigeladenen gemäß § 48 Satz 1 SGB XII wegen eines etwaigen Bedarfs aus der Erstattung der Kosten für die Krankenbehandlung, weil die Klägerin im Rahmen der Selbsthilfe eine Auslandskrankenversicherung hätte abschließen können. Durch die fehlenden Angaben auf der Rückseite ihrer Krankenversicherungskarte und dem Begleitschreiben hätte sie auch laienhaft erkennen können, dass sie gegebenenfalls im Ausland keinen Krankenversicherungsschutz habe. Zudem seien Ansprüche gegen den Sozialhilfeträger in der S. vorrangig.
Außer der Gerichtsakte im hiesigen Hauptsacheverfahren (S 57 KR 725/16) haben dem Gericht die Gerichtsakte des Eilverfahrens S 37 KR 570/16 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen vorgelegen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die auf Aufhebung des Bescheides vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2016 gerichtete Anfechtungsklage ist mit der Leistungsklage auf Freistellung von Ansprüchen der S2 AG wegen Behandlung vom 7.7. bis 11.7.2015 kombinierbar (vgl. §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG).
In der Sache hat die Klage Erfolg. Der Bescheid vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. 4.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch, gegenüber der Beklagten von Ansprüchen der S2 AG wegen der Behandlung der Klägerin vom 7. 7. bis 11. 7.2015 freigestellt zu werden.
Die Klägerin kann ihren Anspruch auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Das Bundesssozialgericht hat das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zur "Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht” entwickelt (BSG 11. Senat vom 18.8.1983, 11 RA 60/82, Juris Rn. 18). Unter den Voraussetzungen des Herstellungsanspruchs kann der Betroffene vom Leistungsträger verlangen, so gestellt zu werden, wie es bei fehlerfreier Beratung der Fall gewesen wäre (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 103. Ergänzungslieferung, März 2019, § 14 SGB I, Rn. 80; Vorb. Vor §§ 38 bis 47, Rn. 120 ff.). Der Klägerin ist ein Nachteil bzw. Schaden daraus erwachsen, weil sie nicht ausreichend darüber aufgeklärt worden ist, dass die Kosten für ihre Krankenbehandlungen im Ausland nach der geltenden Rechtslage nicht von der Beklagten übernommen werden.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift nur im Falle einer Regelungslücke (vgl. Greiner in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, SGB I, § 14 Rn. 12). Vorrangige Ansprüche gegen den Schweizerischen Sozialhilfeträger sind nicht ersichtlich, insbesondere weil die Klägerin sich dort nur kurzzeitig aufgehalten hat. Eine gesetzliche Grundlage für eine Übernahme, Erstattung oder Freihaltung von Kosten der Klägerin für einen Krankenhausaufenthalt im Ausland ist weder gegenüber der Beklagten noch der Beigeladenen gegeben.
Gegenüber der Beklagten kommt allein ein Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreihaltung aus § 13 SGB V in Betracht, der hier aber nicht einschlägig ist. Die Klägerin ist kein Mitglied der GKV und damit keine Versicherte im Sinne des § 13 SGB V. Soweit nach § 264 SGB V "Quasi-Versicherte" wie die Klägerin nach der gesetzgeberischen Intention den Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) leistungsrechtlich gleichgestellt werden und das für alle Versicherten der GKV geltende Maß der Versorgung anzuwenden ist (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 141), ist der Anspruch dennoch auf Krankenbehandlungen im Inland beschränkt. Trotz Übernahme der Krankenbehandlung durch die Krankenkasse soll die Leistung materiell eine Leistung nach § 48 SGB XII bleiben (vgl. Groth in BeckOK, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 52. Auflage, Stand 1.3.2019, SGB V, § 264 Rn. 50). Die Kosten der Krankenbehandlungen von Quasiversicherten können bzw. müssen gemäß § 264 SGB V nur übernommen werden, "sofern der Krankenkasse Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall ( ) gewährleistet wird". Der Leistungsanspruch ist damit begrenzt auf den Umfang der Kostenerstattung durch den Sozialhilfeträger. Die Beigeladene als zuständiger Sozialhilfeträger muss für die Krankenbehandlung der Klägerin im Ausland indes keine Leistungen erbringen und entsprechend auch keine Kosten erstatten (dazu sogleich).
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beigeladene. § 48 SGB XII ist nicht einschlägig. Gemäß § 48 Satz 2 SGB XII gehen den Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII die Regelungen zur Krankenbehandlung nach § 264 SGB V vor. Soweit im Rahmen des § 264 SGB V ein nach außen scheinender Versicherungsschutz durch die gesetzliche Krankenversicherung besteht, ist der Hilfeempfänger hierauf zu verweisen (vgl. Siebel-Huffmann in BeckOK Sozialreicht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 52. Auflage, Stand 1.9.2018, § 48 SGB XII, Rn. 2). Ansprüche nach § 48 Satz 1 SGB XII sind grundsätzlich ausgeschlossen, wenn eine Kostenübernahme aus § 264 SGB V in Betracht kommt. So liegt es auch hier, denn die Krankenbehandlungen werden von der Beklagten gemäß § 264 SGB V übernommen. Auch bei erweiterter Auslegung des § 48 SGB XII wäre eine Kostenübernahme der Beigeladene wegen der Behandlung der Klägerin in der S. wegen des über § 30 Abs. 1 SGB (Erstes Buch) I im SGB XII geltenden Territorialitätsprinzips ausgeschlossen. Die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen des Territorialitätsprinzips sind hier nicht einschlägig. Zudem hatte die Beigeladene zum Zeitpunkt der Leistungsinanspruchnahme weder Kenntnis von dem Auslandsaufenthalt noch vom Notfall, so dass ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger wegen des sogenannten "Kenntnis-Grundsatzes", wonach der Sozialhilfeträger vor dem Hilfefall Kenntnis haben muss, ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.12.1992, 5 C 32/89, Juris Rn. 11 m.w.N.). Ebenso wirkt der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" in diesem Sinne (vgl. Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 25 Rn. 8). Im Übrigen wäre eine Leistung durch die Beklagte möglicherweise wegen des Vorrangs der Selbsthilfe (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) ausgeschlossen, denn die Klägerin hätte vor dem Auslandsaufenthalt eine private Auslandskrankenversicherung abschließen können.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus über- oder zwischenstaatlichem Recht, insbesondere nicht aus VO 883/2004, die nicht anwendbar ist. Art. 3 Abs. 5 VO 883/04 schließt Leistungen sozialer oder medizinischer Fürsorge aus. Die hier einschlägigen Leistungen aus § 48 SGB XII und § 264 SGB V sind den Fürsorgeleistungen zuzuordnen, da sie in Abhängigkeit von einer individuell zu prüfenden Bedürftigkeit zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz gewährt werden, ohne dass es auf Vorleistungen der Berechtigten wie Beschäftigungs- oder Beitragszeiten ankommt (vgl. Utz, BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 52. Auflage, Stand: 1.3.2019, VO 883/2004, Art. 3 Rn. 42 f.).
Die Klägerin hat einen Nachteil oder Schaden erlitten, der Voraussetzung für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.2.1972, 3 RK 56/70, Juris Rn. 11). Durch die Inanspruchnahme der Notfallbehandlung in der S. ist die Klägerin verpflichtet, die Rechnung der S2 AG über 36.362,40 Franken zu begleichen. Die Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung ist als Schaden zu bewerten, auch wenn die Klägerin wegen ihrer Vermögenslosigkeit und ihres Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII kaum in der Lage sein wird, die Zahlung jemals auch in Raten zu begleichen. Nach der überzeugenden Auffassung des Bundesgerichtshofs liegt dennoch ein Schaden im Rechtssinne vor (vgl. BGH, Urteil vom 29.6.1972, II ZR 123/71, Juris Rn. 7): "Jede neue Verbindlichkeit erhöht die Summe der Passiven des Schuldners und führt zu einer Differenz zwischen der früheren und der späteren Vermögenslage. Dieser rechnerische Schaden "beschwert" den Schuldner auch dann, wenn für ihn keine Aussicht besteht, dass er jemals den Gläubiger aus eigener Kraft befriedigen kann."
Die Beklagte hat die Klägerin nicht ausreichend beraten und insbesondere nicht darüber aufgeklärt, dass sie Kosten für Behandlungen im Ausland in keinem Fall übernimmt. Damit hat ein Sozialleistungsträger es unterlassen, etwas zu tun, was er hätte tun müssen. Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin das Hinweisschreiben der Beklagten erhalten habe. Ohne das Hinweisschreiben wäre die Beklagte ihrer Beratungspflicht in jedem Fall nicht nachgekommen. Selbst wenn die Klägerin das Schreiben erhalten hat, hätte die Beklagte eine Beratungspflicht verletzt. Zwar kann sich ein Sozialleistungsträger zur Erfüllung einer allgemeinen Beratungspflicht der Übermittlung von Merkblättern oder allgemeinen Hinweisen bedienen (vgl. BSG, Urteil vom 17.8.2000, B 13 RJ 87/98 R, Juris Rn. 41). Die von der Beklagten gewählte Formulierung im Begleitschreiben samt Hinweisen und die Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte sind aber nicht eindeutig. Unabhängig von einem möglicherweise mit dem Sohn der Klägerin geführten Gespräch über den Krankenversicherungsschutz der Klägerin bei einer Reise in die S. hat die Beklagte die Klägerin bereits bei Übersendung der elektronischen Gesundheitskarte nicht darüber aufgeklärt, dass sie Kosten für Behandlungen im Ausland in keinem Fall übernimmt. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin ein entsprechend dem vorgelegten Muster formuliertes Begleitschreiben erhalten hat, wäre der Aufklärungspflicht der Beklagten nicht genüge getan. Danach besteht kein Anspruch auf Ausstellung einer Europäischen Krankenversicherungskarte, wobei die Europäische Krankenversicherungskarte laut den erläuternden Hinweisen berechtigt, Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt in der S. in Anspruch zu nehmen. Daraus ergibt sich indes nicht, dass die Klägerin keinerlei Anspruch auf Kostenübernahme für Behandlungen im Ausland hat. Zudem ist die Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte der Klägerin mit "Europäische Krankenversicherungskarte" überschrieben und das darunter liegende Unterschriftenfeld von der Klägerin ausgefüllt. Soweit sich in den weiteren Feldern Kreuze befinden, so ist es ohne den Vergleich eines verständigen Mitglieds mit einer korrekt ausgefüllten Kartenrückseite insbesondere aus Laiensicht nicht zu erkennen, dass damit im Ausland keine Leistungen in Anspruch genommen werden können. Die an alle Versicherten gerichtete Empfehlung der Beklagten, ergänzend eine private Auslandsreise-Krankenversicherung abzuschließen, reicht zur Erfüllung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflicht nicht aus. Dies gilt insbesondere, weil die Empfehlung in dem Teil der Hinweise abgedruckt ist, die laut Begleitschreiben für die Klägerin nicht gilt.
Die Beklagte war verpflichtet, die Klägerin eindeutig zu beraten bzw. darüber aufzuklären, dass Kosten für Leistungen im Ausland nicht übernommen würden. Es bestand eine Pflicht, die bezweckt hatte, gerade den Nachteil, der sich im konkreten Fall verwirklicht hat, zu verhindern (Schutzzweckzusammenhang). Bei Übersendung der Krankenkassenkarte musste die Beklagte auf den begrenzten Anwendungsbereich eindeutig hinweisen, um die Klägerin vor einer Situation wie der vorliegenden zu schützen.
Die unterlassene Beratung bzw. Aufklärung hat zu dem entstandenen Schaden geführt. Das Tun bzw. Unterlassen der Behörde muss ursächlich für den Schadenseintritt gewesen sein. Hätte die Beklagte die Klägerin vollumfänglich und eindeutig aufgeklärt, ist davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Verhalten danach ausgerichtet hätte.
Die Beklagte kann den für die Klägerin entstandenen Schaden wiedergutmachen. Es ist der vom Gesetz vorgesehene rechtmäßige Zustand herzustellen, wie er bestünde, wenn die Beklagte sich ordnungsgemäß verhalten hätte. Durch die Freistellung von den Kosten aus der Behandlung in der S. würde die Klägerin insoweit entlastet, dass der Schaden durch die fehlende bzw. falsche Beratung nachträglich ausgeglichen würde. Weil sie die selbstbeschaffte Leistung noch nicht bezahlt hat, kann sie an Stelle der Kostenerstattung die Freistellung von der gegenüber dem Leistungserbringer bestehenden Verbindlichkeit verlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Kosten für eine Notfallbehandlung der Klägerin im Ausland.
Die Klägerin ist a. Staatsangehörige und lebt in Deutschland von Leistungen der Grundsicherung gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölf (XII), die sie von der Beigeladenen erhält. Sie ist kein Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Kosten für Krankenbehandlungen werden von der Beklagten übernommen, die sich die jeweils entstehenden Kosten von der Beigeladenen erstatten lässt. Zum Nachweis dieser Kostenübernahme und zur Vorlage bei Ärzten hat die Klägerin von der Beklagten eine Krankenkassenkarte im Scheckkartenformat mit ihrem Namen erhalten. Auf der Rückseite hat die Klägerin unter den Worten "Europäische Krankenversicherungskarte" im dafür vorgesehenen Feld unterschrieben. Die weiteren Felder für die Identifikationsmerkmale des jeweiligen Kartenträgers sowie das Ablaufdatum sind – bis auf die Kartennummer – nicht ausgefüllt bzw. ausgeixt. Die auf der Rückseite befindlichen Daten der Klägerin übermittelte die Beklagte damals an den Hersteller der Krankenkassenkarte, damit dieser die Karte und das Begleitschreiben an die Klägerin übersenden würde. Eine Kopie des an die Klägerin versandten Schreibens existiert nicht. Das von der Beklagten vorgelegte Muster eines Begleitschreibens in diesen Fällen lautet wie folgt:
"Sehr geehrte XX, beigefügt erhalten Sie Ihre elektronische Gesundheitskarte (eGK). Bitte überprüfen Sie die Angaben auf der Karte und unterschreiben Sie auf der Rückseite. Sollten die Daten nicht korrekt oder die Karte beschädigt sein, informieren Sie bitte unser HEK-Team Direkt. Sie erhalten dann umgehend Ersatz. Aufgrund des Versicherungsverhältnisses besteht kein Anspruch auf Ausstellung einer Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC). Daher sind die Felder auf der Rückseite der eGK als ungültig gekennzeichnet. Die Hinweise zur "Europäischen Krankenversicherungskarte" auf der Rückseite dieses Schreibens gelten daher nicht. Weitere Informationen zur eGK finden Sie auf der Rückseite dieses Schreibens."
In den Hinweisen zur Nutzung zur Europäischen Krankenversicherungskarte wird ausgeführt, dass diese berechtigt, Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie u.a. der S. in Anspruch zu nehmen. Ergänzend wird dort empfohlen, eine private Auslandsreise-Krankenversicherung abzuschließen.
Im Sommer 2015 besuchte die Klägerin für einige Wochen ihr Enkelkind in der S ... Dort wurde sie wegen eines akuten Myokardinfarkts, d.h. eines Herzanfalls, bei bekannter koronarer Herzkrankheit vom 7.7. bis 11.7.2015 im S1 Spital stationär aufgenommen und behandelt. Die S2 AG stellte der Klägerin dafür einen Betrag von 36.362,40 Schweizer Franken (31.970,48 Euro) in Rechnung (Rechnungsnummer 20304523) und übersandte ihr einen Rückforderungsbeleg vom 15.12.2015. Beides faxte die Klägerin am 21.12.2015 an die Beklagte, ohne die Rechnung zu begleichen.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme am 28.12.2015 ab und erläuterte, dass die Klägerin als Sozialhilfeempfängerin den gesetzlich Krankenversicherten in Art und Umfang der Leistungen zwar grundsätzlich gleichgestellt sei, doch beziehe sich dieser Anspruch nur auf alle im Inland zur Verfügung gestellten Leistungen.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin vom 15.1.2016 lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2016 die Kostenerstattung weiter ab. Sie begründete dies mit dem Ruhen des Leistungsanspruchs der Beklagten gegenüber der über § 264 SGB V versicherten Klägerin während ihres Auslandsaufenthalts und verwies auch auf die Fachanweisung zu § 264 Abs. 2 SGB V.
Erst danach beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten durch die Beigeladene. Diese lehnte die Kostenübernahme ab.
Am 30.3.2016 hat die Klägerin einen Eilantrag gestellt und Klage erhoben.
Die Klägerin trägt vor, sie habe nicht erkannt, dass sie nur einen Anspruch auf Leistungen innerhalb Deutschlands habe, weil auf der Rückseite ihrer Krankenkassenkarte "Europäische Krankenversicherungskarte" stehe. Sollte die Klägerin ihre Versichertenkarte seinerzeit mit einem Schreiben erhalten habe, in dem auch darauf hingewiesen worden sei, dass ein Anspruch auf Leistungen nur innerhalb Deutschlands bestehe, habe sie dies nicht verstanden. Vor ihrem Flug in die S. sei sie bzw. sei ihr Sohn zu einer Geschäftsstelle der Beklagten gegangen, um sich im Ausland versichern zu lassen. Die dortige Mitarbeiterin habe ihr mitgeteilt, dass die Krankenversicherung der Klägerin im Ausland bzw. in der S. gültig sei und man diese Information der Rückseite der Krankenkassenkarte entnehmen könne.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin von Ansprüchen der S2 AG wegen der Behandlung der Klägerin vom 07.07. bis 11.07.2015 freizustellen. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte lehnt die Kostenerstattung für die Behandlung weiter ab. Die Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/04) sei nicht anwendbar. § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V seien nicht anwendbar, weil die Klägerin keine Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Unabhängig davon könne eine Krankenhausbehandlung nach § 13 Abs. 5 SGB V ohnehin nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden, was hier nicht erfolgt sei. Außerdem habe die Beklagte die Klägerin ausreichend informiert, dass sie im Ausland nicht versichert war. Das ergebe sich schon aus dem mit der elektronischen Gesundheitskarte übersandten Begleitschreiben. Danach bestehe "aufgrund des Versicherungsverhältnisses kein Anspruch auf Ausstellung einer Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC)", wobei sich aus den ebenfalls übersandten Hinweisen zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte ergebe, dass (nur) die Europäische Krankenversicherungskarte berechtigte, Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt u.a. in der S. in Anspruch zu nehmen.
Das Gericht hat den zuständigen Sozialhilfeträger der Klägerin zum Rechtsstreit beigeladen. Auch die Beigeladene lehnt eine Leistungspflicht ab. Sie erfülle ihre Pflicht bereits über die Kostenübernahme der durch die Beklagten gedeckten Bedarfe im Bereich der Krankenbehandlung gemäß § 264 Abs. 7 SGB V. Sie meint, dass eine Leistung, die nicht gemäß § 264 SGB V von der Beklagten übernommen werden muss, auch nicht von der Beigeladenen zu erbringen sei. Auch schlössen sich die Leistungsgewährung gemäß § 48 Satz 2 SGB XII und eine Leistungsgewährung nach § 48 Satz 1 SGB XII aus. Außerdem habe die Beigeladene erst durch das Gerichtsverfahren und jedenfalls nicht vor dem Krankenhausaufenthalt der Klägerin von ihrem Auslandsaufenthalt erfahren. Hilfsweise bestehe aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII, die nach dem Territorialitätsprinzip nur zur Deckung von Bedarfen im Inland gewährt werde, kein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beigeladenen gemäß § 48 Satz 1 SGB XII wegen eines etwaigen Bedarfs aus der Erstattung der Kosten für die Krankenbehandlung, weil die Klägerin im Rahmen der Selbsthilfe eine Auslandskrankenversicherung hätte abschließen können. Durch die fehlenden Angaben auf der Rückseite ihrer Krankenversicherungskarte und dem Begleitschreiben hätte sie auch laienhaft erkennen können, dass sie gegebenenfalls im Ausland keinen Krankenversicherungsschutz habe. Zudem seien Ansprüche gegen den Sozialhilfeträger in der S. vorrangig.
Außer der Gerichtsakte im hiesigen Hauptsacheverfahren (S 57 KR 725/16) haben dem Gericht die Gerichtsakte des Eilverfahrens S 37 KR 570/16 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen vorgelegen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die auf Aufhebung des Bescheides vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2016 gerichtete Anfechtungsklage ist mit der Leistungsklage auf Freistellung von Ansprüchen der S2 AG wegen Behandlung vom 7.7. bis 11.7.2015 kombinierbar (vgl. §§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG).
In der Sache hat die Klage Erfolg. Der Bescheid vom 28.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. 4.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch, gegenüber der Beklagten von Ansprüchen der S2 AG wegen der Behandlung der Klägerin vom 7. 7. bis 11. 7.2015 freigestellt zu werden.
Die Klägerin kann ihren Anspruch auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Das Bundesssozialgericht hat das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zur "Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht” entwickelt (BSG 11. Senat vom 18.8.1983, 11 RA 60/82, Juris Rn. 18). Unter den Voraussetzungen des Herstellungsanspruchs kann der Betroffene vom Leistungsträger verlangen, so gestellt zu werden, wie es bei fehlerfreier Beratung der Fall gewesen wäre (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 103. Ergänzungslieferung, März 2019, § 14 SGB I, Rn. 80; Vorb. Vor §§ 38 bis 47, Rn. 120 ff.). Der Klägerin ist ein Nachteil bzw. Schaden daraus erwachsen, weil sie nicht ausreichend darüber aufgeklärt worden ist, dass die Kosten für ihre Krankenbehandlungen im Ausland nach der geltenden Rechtslage nicht von der Beklagten übernommen werden.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift nur im Falle einer Regelungslücke (vgl. Greiner in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, SGB I, § 14 Rn. 12). Vorrangige Ansprüche gegen den Schweizerischen Sozialhilfeträger sind nicht ersichtlich, insbesondere weil die Klägerin sich dort nur kurzzeitig aufgehalten hat. Eine gesetzliche Grundlage für eine Übernahme, Erstattung oder Freihaltung von Kosten der Klägerin für einen Krankenhausaufenthalt im Ausland ist weder gegenüber der Beklagten noch der Beigeladenen gegeben.
Gegenüber der Beklagten kommt allein ein Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreihaltung aus § 13 SGB V in Betracht, der hier aber nicht einschlägig ist. Die Klägerin ist kein Mitglied der GKV und damit keine Versicherte im Sinne des § 13 SGB V. Soweit nach § 264 SGB V "Quasi-Versicherte" wie die Klägerin nach der gesetzgeberischen Intention den Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) leistungsrechtlich gleichgestellt werden und das für alle Versicherten der GKV geltende Maß der Versorgung anzuwenden ist (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 141), ist der Anspruch dennoch auf Krankenbehandlungen im Inland beschränkt. Trotz Übernahme der Krankenbehandlung durch die Krankenkasse soll die Leistung materiell eine Leistung nach § 48 SGB XII bleiben (vgl. Groth in BeckOK, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 52. Auflage, Stand 1.3.2019, SGB V, § 264 Rn. 50). Die Kosten der Krankenbehandlungen von Quasiversicherten können bzw. müssen gemäß § 264 SGB V nur übernommen werden, "sofern der Krankenkasse Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall ( ) gewährleistet wird". Der Leistungsanspruch ist damit begrenzt auf den Umfang der Kostenerstattung durch den Sozialhilfeträger. Die Beigeladene als zuständiger Sozialhilfeträger muss für die Krankenbehandlung der Klägerin im Ausland indes keine Leistungen erbringen und entsprechend auch keine Kosten erstatten (dazu sogleich).
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beigeladene. § 48 SGB XII ist nicht einschlägig. Gemäß § 48 Satz 2 SGB XII gehen den Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach § 48 Satz 1 SGB XII die Regelungen zur Krankenbehandlung nach § 264 SGB V vor. Soweit im Rahmen des § 264 SGB V ein nach außen scheinender Versicherungsschutz durch die gesetzliche Krankenversicherung besteht, ist der Hilfeempfänger hierauf zu verweisen (vgl. Siebel-Huffmann in BeckOK Sozialreicht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 52. Auflage, Stand 1.9.2018, § 48 SGB XII, Rn. 2). Ansprüche nach § 48 Satz 1 SGB XII sind grundsätzlich ausgeschlossen, wenn eine Kostenübernahme aus § 264 SGB V in Betracht kommt. So liegt es auch hier, denn die Krankenbehandlungen werden von der Beklagten gemäß § 264 SGB V übernommen. Auch bei erweiterter Auslegung des § 48 SGB XII wäre eine Kostenübernahme der Beigeladene wegen der Behandlung der Klägerin in der S. wegen des über § 30 Abs. 1 SGB (Erstes Buch) I im SGB XII geltenden Territorialitätsprinzips ausgeschlossen. Die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen des Territorialitätsprinzips sind hier nicht einschlägig. Zudem hatte die Beigeladene zum Zeitpunkt der Leistungsinanspruchnahme weder Kenntnis von dem Auslandsaufenthalt noch vom Notfall, so dass ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger wegen des sogenannten "Kenntnis-Grundsatzes", wonach der Sozialhilfeträger vor dem Hilfefall Kenntnis haben muss, ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.12.1992, 5 C 32/89, Juris Rn. 11 m.w.N.). Ebenso wirkt der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" in diesem Sinne (vgl. Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Auflage 2018, § 25 Rn. 8). Im Übrigen wäre eine Leistung durch die Beklagte möglicherweise wegen des Vorrangs der Selbsthilfe (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) ausgeschlossen, denn die Klägerin hätte vor dem Auslandsaufenthalt eine private Auslandskrankenversicherung abschließen können.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus über- oder zwischenstaatlichem Recht, insbesondere nicht aus VO 883/2004, die nicht anwendbar ist. Art. 3 Abs. 5 VO 883/04 schließt Leistungen sozialer oder medizinischer Fürsorge aus. Die hier einschlägigen Leistungen aus § 48 SGB XII und § 264 SGB V sind den Fürsorgeleistungen zuzuordnen, da sie in Abhängigkeit von einer individuell zu prüfenden Bedürftigkeit zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz gewährt werden, ohne dass es auf Vorleistungen der Berechtigten wie Beschäftigungs- oder Beitragszeiten ankommt (vgl. Utz, BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 52. Auflage, Stand: 1.3.2019, VO 883/2004, Art. 3 Rn. 42 f.).
Die Klägerin hat einen Nachteil oder Schaden erlitten, der Voraussetzung für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.2.1972, 3 RK 56/70, Juris Rn. 11). Durch die Inanspruchnahme der Notfallbehandlung in der S. ist die Klägerin verpflichtet, die Rechnung der S2 AG über 36.362,40 Franken zu begleichen. Die Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung ist als Schaden zu bewerten, auch wenn die Klägerin wegen ihrer Vermögenslosigkeit und ihres Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII kaum in der Lage sein wird, die Zahlung jemals auch in Raten zu begleichen. Nach der überzeugenden Auffassung des Bundesgerichtshofs liegt dennoch ein Schaden im Rechtssinne vor (vgl. BGH, Urteil vom 29.6.1972, II ZR 123/71, Juris Rn. 7): "Jede neue Verbindlichkeit erhöht die Summe der Passiven des Schuldners und führt zu einer Differenz zwischen der früheren und der späteren Vermögenslage. Dieser rechnerische Schaden "beschwert" den Schuldner auch dann, wenn für ihn keine Aussicht besteht, dass er jemals den Gläubiger aus eigener Kraft befriedigen kann."
Die Beklagte hat die Klägerin nicht ausreichend beraten und insbesondere nicht darüber aufgeklärt, dass sie Kosten für Behandlungen im Ausland in keinem Fall übernimmt. Damit hat ein Sozialleistungsträger es unterlassen, etwas zu tun, was er hätte tun müssen. Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin das Hinweisschreiben der Beklagten erhalten habe. Ohne das Hinweisschreiben wäre die Beklagte ihrer Beratungspflicht in jedem Fall nicht nachgekommen. Selbst wenn die Klägerin das Schreiben erhalten hat, hätte die Beklagte eine Beratungspflicht verletzt. Zwar kann sich ein Sozialleistungsträger zur Erfüllung einer allgemeinen Beratungspflicht der Übermittlung von Merkblättern oder allgemeinen Hinweisen bedienen (vgl. BSG, Urteil vom 17.8.2000, B 13 RJ 87/98 R, Juris Rn. 41). Die von der Beklagten gewählte Formulierung im Begleitschreiben samt Hinweisen und die Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte sind aber nicht eindeutig. Unabhängig von einem möglicherweise mit dem Sohn der Klägerin geführten Gespräch über den Krankenversicherungsschutz der Klägerin bei einer Reise in die S. hat die Beklagte die Klägerin bereits bei Übersendung der elektronischen Gesundheitskarte nicht darüber aufgeklärt, dass sie Kosten für Behandlungen im Ausland in keinem Fall übernimmt. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Klägerin ein entsprechend dem vorgelegten Muster formuliertes Begleitschreiben erhalten hat, wäre der Aufklärungspflicht der Beklagten nicht genüge getan. Danach besteht kein Anspruch auf Ausstellung einer Europäischen Krankenversicherungskarte, wobei die Europäische Krankenversicherungskarte laut den erläuternden Hinweisen berechtigt, Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt in der S. in Anspruch zu nehmen. Daraus ergibt sich indes nicht, dass die Klägerin keinerlei Anspruch auf Kostenübernahme für Behandlungen im Ausland hat. Zudem ist die Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte der Klägerin mit "Europäische Krankenversicherungskarte" überschrieben und das darunter liegende Unterschriftenfeld von der Klägerin ausgefüllt. Soweit sich in den weiteren Feldern Kreuze befinden, so ist es ohne den Vergleich eines verständigen Mitglieds mit einer korrekt ausgefüllten Kartenrückseite insbesondere aus Laiensicht nicht zu erkennen, dass damit im Ausland keine Leistungen in Anspruch genommen werden können. Die an alle Versicherten gerichtete Empfehlung der Beklagten, ergänzend eine private Auslandsreise-Krankenversicherung abzuschließen, reicht zur Erfüllung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflicht nicht aus. Dies gilt insbesondere, weil die Empfehlung in dem Teil der Hinweise abgedruckt ist, die laut Begleitschreiben für die Klägerin nicht gilt.
Die Beklagte war verpflichtet, die Klägerin eindeutig zu beraten bzw. darüber aufzuklären, dass Kosten für Leistungen im Ausland nicht übernommen würden. Es bestand eine Pflicht, die bezweckt hatte, gerade den Nachteil, der sich im konkreten Fall verwirklicht hat, zu verhindern (Schutzzweckzusammenhang). Bei Übersendung der Krankenkassenkarte musste die Beklagte auf den begrenzten Anwendungsbereich eindeutig hinweisen, um die Klägerin vor einer Situation wie der vorliegenden zu schützen.
Die unterlassene Beratung bzw. Aufklärung hat zu dem entstandenen Schaden geführt. Das Tun bzw. Unterlassen der Behörde muss ursächlich für den Schadenseintritt gewesen sein. Hätte die Beklagte die Klägerin vollumfänglich und eindeutig aufgeklärt, ist davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Verhalten danach ausgerichtet hätte.
Die Beklagte kann den für die Klägerin entstandenen Schaden wiedergutmachen. Es ist der vom Gesetz vorgesehene rechtmäßige Zustand herzustellen, wie er bestünde, wenn die Beklagte sich ordnungsgemäß verhalten hätte. Durch die Freistellung von den Kosten aus der Behandlung in der S. würde die Klägerin insoweit entlastet, dass der Schaden durch die fehlende bzw. falsche Beratung nachträglich ausgeglichen würde. Weil sie die selbstbeschaffte Leistung noch nicht bezahlt hat, kann sie an Stelle der Kostenerstattung die Freistellung von der gegenüber dem Leistungserbringer bestehenden Verbindlichkeit verlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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