S 12 KA 3/18 WA, S 12 KA 102 b. 104/15 u. S 12 KA

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 3/18 WA, S 12 KA 102 b. 104/15 u. S 12 KA
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Akupunkturleistungen nach Nr. 30790, 30791 EBM können als sog. freie Leistungen und damit außerhalb des Regelleistungsvolumens vergütet werden. Im Bereich der KV Hessen bestand in den Quartalen IV/10 bis II/11 keine Stützungsverpflichtung.
2. Der Umstand einer Neuniederlassung ist kein Grund, um von einer allgemeinen Quotierung abzusehen. Sie befreit nur von Restriktionen, die in Zusammenhang mit der Aufbauphase stehen.
3. Fehlt eine Regelung zu sog. Aufbaupraxen in einem Honorarverteilungsvertrag, so kann sie nicht durch einen Vorstandsbeschluss ersetzt werden (Festhalten an SG Marburg, Urt. v. 26.10.2016 - S 12 KA 59/15 - juris Rdnr. 34 ff.).
1. Unter Aufhebung des Honorarbescheids für das Quartal II/11 und der Bescheide vom 01.07.2011 und 11.01.2012, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012, wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin über ihren Honoraranspruch für das Quartal II/11 und ihre Anträge auf Erteilung einer Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina für die Quartale II/11 bis IV/11 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

2. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

3. Die Klägerin hat in den Verfahren zum Az.: S 12 KA 3/18 WA und S 12 KA 102/15, die Beklagte in den Verfahren zum Az.: S 12 KA 103/15 und S 12 KA 104/15 die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen. Im Verfahren zum Az.: S 12 KA 107/15 haben die Beteiligten jeweils die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen und hat die Beklagte der Klägerin die Hälfte der notwendigen Verfahrenskosten zu erstatten.

4. Der Streitwert wird für jedes Verfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Honorarbescheide für die Quartale IV/10 bis II/11 sowie eine Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina (RLV) für die Quartale II/11 bis IV/11.

Die Klägerin ist als Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin mit Praxissitz in A-Stadt seit 01.02.2008 mit vollem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit 01.07.2015 ist sie in einer Berufsausübungsgemeinschaft tätig.

Die Beklagte erhöhte mit Bescheid vom 31.01.2011 für das Quartal IV/10 die RLV-Fallzahl auf die aktuelle Fallzahl von 217. Für das (nicht streitbefangene) Quartal III/10 erhöhte sie den Fallwert für das qualifikationsgebundene Zusatzbudget (QZV) Akupunktur der Klägerin von 23,03 EUR auf 57,69 EUR. Eine Erhöhung für das Quartal IV/10 lehnte sie ab, weil die Leistungen nicht mehr im Rahmen eines QZV, sondern als freie Leistungen außerhalb des RLV honoriert würden. Mit Schreiben vom 21.02.2011 wies sie darauf hin, dass die Sonderregelung für das Quartal IV/10 bereits im Honorarbescheid berücksichtigt werde.

Die Beklagte setzte in den streitbefangenen Quartalen das Honorar der Klägerin durch Honorarbescheid bzw. das RLV durch gesonderten Bescheid wie folgt fest:

Quartal IV/10 I/11 II/11 III/11 IV/11
Honorarbescheid vom 05.05.2011 24.06.2011 04.10.2011 12.01.2012 02.04.2012
Widerspruch eingelegt am 22.06.2011 13.12.2011 15.02.2012 - -
Anzahl Praxen/Ärzte 14/14,5 14/14,5 14/14,5 15/15,5 15/15,5
Nettohonorar gesamt in EUR 21.994,42 22.042,33 16.743,52 21.096,09 22.669,85
Honoraranforderung 34.262,73 28.316,04 28.964,09 35.741,21 35.130,51
Bruttohonorar PK + EK in EUR 21.073,46 21.699,86 17.004,08 20.748,44 22.477,14
Fallzahl PK + EK 217 224 224 261 294
Honoraranteile PK + EK
Regelleistungsvolumen in EUR 8.629,17 14.327,59 7.751,02 8.584,96 8.783,27
Qualifikationsgebundene Zusatzvolumina 624,77 841,45 516,24 784,71 799,17
Quotiertes Regelleistungsvolumen/ QZV in EUR 453,40 0,00 751,02 1.051,17 1.216,00
Freie Leistungen 11.327,51 6.492,52 7.947,50 10.282,97 11.590,36
Übrige Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (MGV) 38,61 38,30 38,30 44,63 50,13
Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingen Gesamtvergütung (AMG) 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00

Regelleistungsvolumen
Obergrenze in EUR 8.593,02 18.135,63 7.458,05 8.602,90 8.740,07
Angefordert in EUR 14.306,45 15.081,67 14.351,60 16.960,30 18.857,72
Über-/Unterschreitung in EUR 5.713,43 - 3.053,96 6.893,55 8.357,40 10.117,65
Unter-/Überschreitung QZV in EUR - 419,75 - 2.314,95 - 594,12 - 328,12 - 250,67
Festsetzung RLV
RLV-relevante Fallzahl 194 190 202 215 217
RLV-Fallwert in EUR 38,58 36,60 36,84 40,15 39,46
Altersstrukturquote 1,0071 0,9970 1,0022 0,9966 1,0207
RLV in EUR 7.537,66 6.933,14 7.458,05 8.602,90 8.740,07

Akupunktur
Honoraranforderung 19.187,46 12.308,32 13.921,97 17.802,31 15.054,76
Honorar 11.327,51 6.492,52 7.947,50 10.282,97 11.590,36
Quote in % 59,036 52,749 57,086 57,762 76,988

Zur Begründung ihres Widerspruchs gegen den Honorarbescheid für das Quartal IV/10 trug die Klägerin vor, die Beklagte habe ihr mit Schreiben vom 31.01.2011 bestätigt, dass den von ihr erbrachten Akupunkturleistungen ein besonderer Versorgungsauftrag zugrunde liege und es sich deshalb um eine Praxisbesonderheit handele. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Quote nur noch 59,06 % gegenüber von 86,3 % im Quartal III/10, als Akupunktur noch im QZV vergütet worden sei, betrage. Das bedeute für sie Mindereinnahmen in Höhe von 6.000 EUR. Für die Quartale I/11 und II/11 wies die Klägerin ebf. auf die geringe Quote der Vergütung für Akupunkturleistungen hin. Für das Quartal II/11 trug sie weiter vor, als "Junge Praxis" dürfe sie bis zu 480 Fälle im RLV abrechnen, weshalb das RLV auf der Grundlage von 202 Fällen bei 224 abgerechneten Fällen zu berichtigen sei. Ihr Status als "Junge Praxis" dürfe durch die Vergütungsquote nicht umgangen werden. Das Honorar werde nicht ihrer Besonderheit als Akupunkturpraxis gerecht. Wegen der Quotierung fehle ihr auch die Kalkulationssicherheit.

Die Beklagte gab mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2012 dem Widerspruch bzgl. des Honorars für das Quartal IV/10 insoweit statt, als sie die RLV-Fallzahl um 270 Fälle auf 487 Fälle erhöhte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Abhilfe erfolge im Rahmen der Regelung zur sog. Jungen Praxis. Sie erläuterte die Regelungen zum "Ausgleichsindex 100". Weiterhin unterlägen die "freien" Leistungen der Quotierung nach dem AI 100. Gemäß Beschluss der Vertreterversammlung würden einzelne Leistungsbereiche nicht mehr, wie im Beschluss des Bewertungsausschusses vorgesehen, im Rahmen der RLV/QZV vergütet, sondern als "freie" Leistungen. Für diese Leistungen oder Leistungsbereiche werde auf Basis der Anforderung dieser Leistungen im Ausgangsquartal eine Rückstellung je relevanter Arztgruppe gebildet. Sofern der Rückstellungsbetrag von der gesamten Arztgruppe überschritten werde, erfolge eine quotierte Vergütung dieser Leistungen. Leistungen aufgrund des Ausgleichsindex maximus (AImax) hätten der Klägerin nicht gewährt werden können, da der praxisindividuelle Fallwert der Klägerin im Quartal II/10 über demjenigen des Vergleichsquartals II/08 liege. Die einzelnen Werte könnten der Anlage "Ausgleichsindex" des Honorarbescheids entnommen werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 31.05.2012 zum Az.: S 11 KA 244/12 die Klage erhoben. Die 11. Kammer hat mit Beschluss vom 23.10.2012 das Verfahren auf Antrag der Beteiligten zum Ruhen gebracht und am 21.11.2017 von Amts wegen unter dem Az.: S 11 KA 3/18 WA wiederaufgerufen. Die 12. Kammer hat aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans das Verfahren am 01.07.2020 übernommen.

Die Klägerin legte gegen den RLV-Zuweisungsbescheid für das Quartal I/11 mit Schreiben vom 28.12.2012 Widerspruch ein und stellte zugleich einen Antrag auf Gewährung der sog. junge Praxis-Regelung.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 28.03.2011 für das Quartal I/11 eine RLV-Fallzahl in Höhe der Fachgruppe (497). Die Erhöhung berücksichtigte sie bereits im Honorarbescheid, was zu einer RLV-Obergrenze von 18.135,63 EUR führte.

Die Klägerin stellte mit Datum vom 26.03.2011 für das Quartal II/11 und mit Datum vom 19.06.2011 für das Quartal III/11 einen Antrag auf Sonderregelung als "Junge Praxis" mit weit unter dem Durchschnitt liegender Fallzahl.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 01.07.2011 den Antrag auf Änderung des Regelleistungsvolumens bzw. der QZV für diese beiden Quartale II und III/11 ab. Zur Begründung verwies sie auf einen Vorstandsbeschluss vom 14.02.2011, wonach einer Sonderregelung stattzugeben sei, wenn Ärzte, die sich innerhalb von zwei Jahren vor dem Aufsatzquartal niedergelassen hätten und deren Fallzahl im Aufsatzquartal unterhalb der Fachgruppenfallzahlen liege. Würden beide Kriterien erfüllt, so sei die durchschnittliche Fallzahl der entsprechenden Fachgruppe zuzusprechen. Die Klägerin habe sich zum 01.02.2008 niedergelassen und erfülle somit nicht das Kriterium der Niederlassung innerhalb von zwei Jahren vor dem Aufsatzquartal.

Hiergegen legte die Klägerin unter Datum vom 26.07.2011 Widerspruch ein. Sie trug vor, es müsse ihr möglich sein, den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe in absehbarer Zeit von fünf Jahren erreichen zu können.

Die Klägerin beantragte mit Datum vom 26.09.2011 für das Quartal IV/11 eine Sonderregelung als "Junge Praxis" mit weit unter dem Durchschnitt liegender Fallzahl.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11.01.2012 den Antrag auf Änderung des Regelleistungsvolumens bzw. der QZV für das Quartal IV/11 mit gleichlautender Begründung wie zu den Vorquartalen ab.

Hiergegen legte die Klägerin unter Datum vom 12.01.2012 Widerspruch ein.

Die Beklagte verband die Verfahren bzgl. der Honorarbescheide für die Quartale I und II/11 und der Antragsbescheide für die Quartale II bis IV/11 und wies mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 25.04.2012 die Widersprüche als unbegründet zurück. Hinsichtlich des Status "Junge Praxis" für die Quartale II bis IV/11 hielt sie an ihrer Auffassung in den Ausgangsbescheiden fest. Zur Begründung führte sie ferner aus, für ein Anwachsen bis zum Fachgruppendurchschnitt seien keine Sonderregelungen vorgesehen. Eine Sonderregelung sei auch nicht erforderlich, da das geltende Vergütungssystem ein Anwachsen bis zum Fachgruppendurchschnitt bereits ermögliche. Sie erläuterte die Regelungen zum "Ausgleichsindex 100". Ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Vergütung liege nicht vor. Ein Anspruch auf eine höhere Vergütung in den Quartalen I und II/11 folge auch nicht unmittelbar aus Art. 12 GG. Zur Beurteilung sei auf die generelle Situation der betroffenen Arztgruppe und nicht auf die Ertragssituation der Praxis abzustellen.

Hiergegen hat die Klägerin am 31.05.2012 zum Az.: S 11 KA 245/12 die Klage erhoben. Die 11. Kammer hat mit Beschluss vom 04.06.2012 die Verfahren bzgl. der Quartale II bis IV/11 unter den Az.: S 11 KA 246 bis 248/12 abgetrennt. Sie hat alle Verfahren auf Antrag der Beteiligten zum Ruhen gebracht und am 19.03.2015 auf Antrag der Beklagten unter dem Az.: S 12 KA 102/15 (Quartal I/11), S 12 KA 107/15 (Quartal II/11), S 12 KA 103/15 (Quartal III/11) und S 12 KA 104/15 (Quartal IV/11) wiederaufgerufen. Die 12. Kammer hat aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans die Verfahren am 01.07.2020 übernommen.

Zur Begründung ihrer Klagen trägt die Klägerin vor, es sei unzulässig, im Rahmen des sog. Ausgleichsindex 100 eine volle Quotierung der Akupunkturleistungen vorzunehmen. Über den Ausgleichsindex maximus werde aufgrund eines Vergleichs des aktuellen Fallwerts mit dem Vergleichsfallwert aus dem Quartal IV/08 eine Fallwerterhöhung abgelehnt. Dieser Vergleich sei unzulässig. Eine neu gegründete Praxis sei für die Zeit des Aufbaus von der Wachstumsbegrenzung völlig frei zu stellen. Bei Ziehung der Parallele zum Status "Junge Praxis" werde deutlich, dass dies im Rahmen des Ausgleichsindex maximus gerade nicht umgesetzt werde und hier, obwohl der Status "Junge Praxis" anerkannt worden sei, dies ins völlige Gegenteil umgewandelt werde. Ihre Akupunkturleistungen seien voll umfänglich zu vergüten, da hier nicht nur in Bezug auf das RLV/QZV eine Fallzahlanpassung vorgenommen werden müsse, sondern dies auch für die extrabudgetären Leistungen der Akupunkturleistungen gelten müsse. Neben der Frage der Anerkennung des Status Junge Praxis werde durch die quotierte Vergütung der Akupunkturleistungen ihr Recht auf das rasche Anwachsen an den Fachgruppendurchschnitt negiert. Denn im Rahmen des sog. Ausgleichsindex 100 werde hier eine volle Quotierung der Akupunkturleistungen vorgenommen. Dies laufe jedoch der Rechtsprechung zum Status Junge Praxis völlig zugegen, so dass hier der sog. Ausgleichsindex 100 nicht zum Tragen kommen könne. Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Praxen in der Aufbauphase werde deutlich, dass für neugegründete Praxen insoweit Besonderheiten gelten würden, als ihnen in der Aufbauphase, die auf einen Zeitraum von drei bis vier oder sogar fünf Jahren bemessen werden müsse, die Steigerung auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein müsse. Daraus folge zwingend auch die Erhöhung der RLV-relevanten Fallzahl in den Quartalen II bis IV/11. Zwar habe das Bundessozialgericht zwischenzeitlich die Quotierung der Vorwegleistung als rechtmäßig angesehen, jedoch seien zur Höhe der Quotierungen bisher keine Ausführungen gemacht worden. Die vorgenommene Quotierung sei jedenfalls in ihrer Höhe nach unverhältnismäßig. Es fehle an einer Regelung, die eine Untergrenze festlege. Für Fachärzte für Humangenetik sei eine solche Stützung auf eine Quote von 60 % eingeführt worden. Dies hätte auch für andere Fachgruppen vorgenommen werden müssen. Es stelle sich die Frage, ob die Beklagte auf diesen Punktwertverfall hätte reagieren müssen. Nach der Rechtsprechung des BSG könne - neben weiteren Voraussetzungen - ein sich auf das Honorar einer Arztgruppe mindernd auswirkender dauerhafter Punktwertverfall von mehr als 15 % unter das sonstige Durchschnittsniveau eine Reaktionspflicht begründen. Mit ca. 43 % bis 50 % Anteil der Akupunkturleistungen an der Gesamthonoraranforderung sei ein wesentlicher Anteil der Honoraranforderung von der Quotierung der Vorwegleistungen betroffen. Im Ergebnis führe dies dazu, dass sie ihre Praxis kaum wirtschaftlich führen könne und keine Kalkulationssicherheit habe. Für die Darstellung der Auszahlungsquoten fehle es an der Darstellung des Honorars für MGV-Leistungen für beide Fachgruppen. Es müsse auch die Entwicklung der Versorgungsaufträge in den einzelnen Fachgruppen dargestellt werden.

Die Klägerin beantragt,
den Honorarbescheid für das Quartal IV/10 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012 und die Honorarbescheide für die Quartale I und II/11 und die Bescheide vom 01.07.2011 und 11.01.2012, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Akupunkturleistungen für die Quartale IV/10 bis II/11 unquotiert in voller Höhe zu vergüten und sie über ihren Antrag auf Erteilung einer Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina (RLV) für die Quartale II/11 bis IV/11 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
hilfsweise
sie auch über ihre Honoraransprüche für die Quartale IV/10 bis II/11 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchbescheid. Sie ist der Auffassung, die Freistellung von der Wachstumsbegrenzung beziehe sich nicht auf die Umsatzsteigerungen generell, sondern allein auf Fallzahlzuwachsregelungen. Sie habe der Klägerin im Quartal IV/10 den Status "Junge Praxis" anerkannt, womit sie den Fachgruppenfallwert erhalten habe. Der Status "Junge Praxis" beziehe sich lediglich auf den Bereich des RLV. Die Quotierung der Vorwegleistungen durch den Ausgleichsindex 100 (Al 100) sei davon zu trennen. Die im Rahmen des Vorwegabzugs vergüteten Akupunkturleistungen unterlägen nicht dem RLV und damit auch nicht den gleichen Mengenbegrenzungsregelungen. Sie seien daher auch schon aus ihrer Natur heraus nicht der Sonderregelung "Junge Praxis" zugänglich. Die Quotierung der Vorwegleistungen sei durch höchstrichterliche Rechtsprechung als rechtmäßig erachtet worden, solange dies nicht zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der RLV-Leistungen und zu einer Gefährdung der Versorgung mit freien Leistungen führe. Dies sei nicht ersichtlich. Maßgeblich für die Frage, ob ein dauerhafter Punktwertabfall von mehr als 15 % vorliege, sei das Honorar der Arztgruppe und nicht der einzelnen Ärzte einer Arztgruppe. Sie arbeite seit Einführung des Orientierungspunktwertes und des Euro-EBM nicht mehr mit Punktwerten als Rechengröße, weshalb sie Auszahlungsquoten statt Punktwerte in Relation setze. Im Vergleich der Fachgruppe der Klägerin mit denen aller Fachärzte mit RLV ergäben sich für die Quartale III/09 bis II/11 folgende Auszahlungsquoten: Quartal III/09 IV/09 I/10 II/10 Auszahlungsquote MGV FG Rehamediziner in % 76,3 72,6 79,6 79,2 Auszahlungsquote MGV Fachärzte mit RLV in % 75,8 75,6 83,0 81,6 Differenz der Auszahlungsquoten in % 0,6 -3,9 -4,1 -2,9

Quartal III/10 IV/10 I/11 II/11
Auszahlungsquote MGV FG Rehamediziner in % 63,5 84,2 83,5 86,9
Auszahlungsquote MGV Fachärzte mit RLV in % 82,4 79,2 81,4 85,0
Differenz der Auszahlungsquoten in % -22,9 6,3 2,7 2,2

Die Auszahlungsquoten der Fachgruppe der Klägerin habe sie berechnet, indem sie das Honorar für MGV-Leistungen (d. h. PK und EK, vor Abzug der Verwaltungskosten, des ÄBD-Beitrags und des EHV-Beitrags) aller Ärzte addiert und durch die Summe des entsprechend angeforderten Leistungsbedarfs dividiert habe. Entsprechend sei sie bei der Vergleichsgruppe verfahren. In den Quartalen IV/10 bis II/11 liege kein Punktwertabfall vor, es zeige sich vielmehr ein Plus zugunsten der Fachgruppe der Klägerin. Es habe keine Reaktionspflicht bestanden. Sie habe ferner den Anteil der Akupunkturleistungen der Fachgruppe der Klägerin in Relation zum gesamten Honoraranspruch dieser Fachgruppe ermittelt. Dies habe folgende prozentuale Anteile ergeben:
Quartal III/09 IV/09 I/10 II/10 Anteil der
Akupunktur am Gesamthonorar in % 25,2 18,7 16,9 17,2

Quartal III/10 IV/10 I/11 II/11
Anteil der Akupunktur am Gesamthonorar in % 12,2 12,4 9,3 10,3

Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 17.07.2013, Az.: B 6 KA 44/12 R, entschieden, dass der Anspruch einer unterdurchschnittlichen abrechnenden Praxis, binnen fünf Jahren den Fachgruppendurchschnitt erreichen zu können, allein durch eine Regelung, dass Fallzahlerhöhungen erst im Folgejahr zu einer höheren Bemessung des Regelleistungsvolumens führten, nicht rechtswidrig beeinträchtigt werde. In Hessen werde der Status "Junge Praxis" lediglich für drei Jahre insgesamt gewährt. Dies entspreche auch den Vorgaben des Bundessozialgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Ein Einverständnis der Beteiligten hierzu wird vom Gesetz nicht verlangt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 04.12.2020 angehört.

Die Klagen sind zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klagen sind z. T. auch begründet. Der Honorarbescheid für das Quartal II/11 und die Bescheide vom 01.07.2011 und 11.01.2012, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012, sind rechtswidrig und waren aufzuheben. Der Honorarbescheid für das Quartal IV/10 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2012 und der Honorarbescheid für das Quartal I/11 sind rechtmäßig und waren nicht aufzuheben. Die Beklagte hat die Klägerin über ihren Honoraranspruch für das Quartal II/11 und ihre Anträge auf Erteilung einer Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina für die Quartale II/11 bis IV/11 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen waren die Klagen abzuweisen.

Die Beteiligten streiten um die Honorarbescheide für die Quartale IV/10 bis II/11 und hierbei insb. um die Frage, in welchem Umfang eine Quotierung der Akupunkturleistungen als sog. freien Leistungen erfolgen darf. Insoweit waren die Klagen ohne Erfolg. Die Beteiligten streiten ferner um eine Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina (RLV) für die Quartale II/11 bis IV/11 und hierbei insb. um die Frage, in welchem Umfang der Status als sog. junge Praxis von Bedeutung ist. Die Klagen waren insoweit erfolgreich, als bisher eine Regelung für sog. junge Praxen in dem Honorarvertrag fehlt.

Die Quotierung der sog. freien Leistungen in den Quartalen IV/10 bis II/11 war nicht zu beanstanden.

Auf der Grundlage der Regelungen im SGB V und der Vorgaben des Bewertungsausschusses bzw. Erweiterten Bewertungsausschusses haben die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Verbände der Primärkassen sowie die Ersatzkassen einen Honorarvertrag vom 21.12.2009 für die Zeit ab 01.01.2010 geschlossen (veröffentlicht in info.doc Nr. 1, März 2010, Bekanntmachungen, S. 26 ff.), den sie mit der Ergänzungsvereinbarung zum Honorarvertrag 2010 vom 10.05.2010, der 1. Nachtragsvereinbarung zum Honorarvertrag 2010 vom 25.06.2010 und der 2. Nachtragsvereinbarung zum Honorarvertrag 2010 vom 13.09.2010 ergänzt bzw. geändert haben (im Folgenden: HVV 2010). Der HVV 2010 galt für das Quartal IV/10. Die Regelungen wurden weitgehend in einem neuen Honorarvertrag ab 01.01.2011 für das Jahr 2011 fortgeführt (im Folgenden: HVV 2011).

Mit der 2. Nachtragsvereinbarung wurde nach Abschnitt II Ziffer 5 folgende Ziffer 6 eingefügt (die bisherige Ziffer 6 wird dadurch zu Ziffer 7): "6. Abweichend vom Beschluss des Bewertungsausschusses vom 26. März 2010 werden die aus der Anlage 6 ersichtlichen Leistungen in der jeweiligen Arztgruppe entweder als sog. "freie Leistungen" oder als QZV vergütet. Für die Honorierung dieser freien Leistungen steht der für das Parallelquartal des Jahres 2008 ermittelte prozentuale Anteil am Leistungsbedarf der jeweiligen Fachgruppe – getrennt nach den jeweiligen Leistungen (z. B. Akupunktur und der Richtlinien-Psychotherapie) – multipliziert mit dem für die jeweilige Fachgruppe in Summe zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungsanteil der QZV’s zur Verfügung. Sofern dieses Honorarvolumen im Abrechnungsquartal überschritten wird, erfolgt eine für den jeweiligen Versorgungsbereich einheitliche Quotierung der Vergütung nach der Euro-Gebührenordnung dieser Leistungsbereiche. Unvorhergesehene Inanspruchnahmen, dringende Besuche- und Laborgrundpauschalen werden grundsätzlich im Rahmen des RLV vergütet. Leistungen innerhalb einer Fachgruppe mit weniger als 1.000,- EUR Gesamtumsatz im Quartal III/2010 werden abweichend davon im Rahmen des RLV vergütet, ein QZV wird insoweit nicht gebildet." Nach der Anlage 6 werden Akupunkturleistungen nach Nr. 30790, 30791 EBM als sog. freie Leistungen und damit außerhalb des Regelleistungsvolumens vergütet. Für die Quartale I und II/11 wurde die Quotierung der Akupunkturleistungen als sog. freie Leistungen u. a. für die Fachgruppe der Klägerin beibehalten (Ziff. II.1.2 Abs. 5, II.2.1 Abs. 1, II.3.1.4 und Anlage 3 HVV 2011).

Zur Stabilisierung im Bereich der Regelleistungsvolumina hat die Beklagte bereits ab dem Quartal III/09 eine Quotierung der sog. freien Leistungen eingeführt, die sie in Abschnitt II Ziff. 6 für das Quartal I/10 - unter Anpassung des Punktwerts (0,035048 EUR) zur Ermittlung des Leistungsbedarfs und mit dem Aufsatzquartal I/08 - fortgeführt hat. Mit Ziff. 5 der 1. Nachtragsvereinbarung zum HVV 2010 wurde diese Regelung entsprechend fortgeführt; nach Ziff. 6 wurden allerdings die Stützungsmodalitäten detaillierter gefasst (vgl. SG Marburg, Urt. v. 18.04.2012 - S 12 KA 780/10, S 12 KA 781/10 und S 12 KA 158/11 - juris Rdnr. 67). Diese sind vom Bundessozialgericht nicht beanstandet worden. Danach war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, Steuerungsmaßnahmen hinsichtlich der Leistungen, die außerhalb von Regelleistungsvolumina, aber innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vergütet wurden (Vorwegleistungen) zu ergreifen. Dazu durfte für diese Leistungen ein Honorarkontingent gebildet und eine Quotierung eingeführt werden. Die Bildung gesonderter Kontingente, insbesondere für überweisungsgebundene Leistungen, war nicht zwingend erforderlich. Für die ersten beiden Quartale war die Honorarverteilung insofern unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- und Erprobungsregelung gerechtfertigt (vgl. BSG, Urt. v. 30.11.2016 - B 6 KA 4/16 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 10, juris Rdnr. 15 ff.).

Mit der 2. Nachtragsvereinbarung zum HVV 2010 erfolgte zum Quartal IV/10 die Quotierung nach der bereits erwähnten und neu eingefügten Ziff. II.6 ("Anpassungsindex 100"), die ebf. für einzelne Leistungsbereiche ein Honorarkontingent zuweist. Dies ist gleichfalls nicht zu beanstanden (vgl. bereits SG Marburg, Gerichtsb. v. 18.10.2017 S 12 KA 4/17 WA - juris Rdnr. 30).

Soweit der Umfang der Quotierung weiterhin angegriffen wird, ist eine Stützungsverpflichtung der Beklagten nicht ersichtlich.

Ist die Zuweisung eines eigenen Honorarkontingents mit der Folge einer Quotierung der Leistungen nicht zu beanstanden, so besteht dann allerdings auch angesichts der Größe der Fachgruppe eine besondere Beobachtungs- und Reaktionspflicht der Kassenärztlichen Vereinigung.

Steuerungsmaßnahmen können im Ergebnis eine Veränderung der EBM-Bewertung herbeiführen. Eine solche Veränderung geht z. B. mit der Bildung von Honorartöpfen mit unterschiedlichen Punktwerten einher, die bisher von der Rechtsprechung als zulässig angesehen worden sind (vgl. BSG, Urt. v. 07.02.1996 - 6 RKa 68/94 - BSGE 77, 288 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 11, juris Rdnr. 18 ff.; BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 51/97 R - USK 99101, juris Rdnr. 14 m.w.N.). Folge einer arztgruppenbezogenen Honorarverteilung ist, dass dies zu unterschiedlichen Punktwerten für dieselbe Leistung bei verschiedenen Arztgruppen führen kann, was grundsätzlich hinzunehmen ist (vgl. BSG, Urt. v. 07.02.1996 - 6 RKa 61/94 - BSGE 77, 279 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 10, juris Rdnr. 22 m.w.N.). Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind gehalten, korrigierend einzugreifen, wenn bei festen Honorarkontingenten, die für verschiedene Leistungsbereiche gebildet werden, die Punktwerte einer Arztgruppe für eine längere Zeit um 15 % oder mehr hinter dem Punktwert für den größten Teil der sonstigen Leistungen zurückbleiben. Dies gilt aber nur, wenn die Ärzte dafür nicht verantwortlich sind, vielmehr z. B. eine Mengenausweitung auf Grund vermehrter Überweisungen durch andere Vertragsärzte vorliegt. Dabei darf die Kassenärztliche Vereinigung eine gewisse Zeit abwarten und beobachten und muss nur reagieren, wenn vom Umsatz her wesentliche Leistungsbereiche einer Arztgruppe betroffen sind (vgl. BSG, Urt. v. 28.01.2004 - B 6 KA 52/03 R - BSGE 92, 87 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 8, juris Rdnr. 47). Die Bildung von Teilbudgets löst eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der Kassenärztlichen Vereinigung dahin aus, dass sie Verteilungsregelungen, mit denen sie in Verfolgung bestimmter Ziele vom Grundsatz der gleichmäßigen Honorarverteilung abweicht, regelmäßig zu überprüfen hat. Sie hat sie zu ändern bzw. weiterzuentwickeln, wenn sich herausstellt, dass der Zweck der Regelung ganz oder teilweise nicht erreicht oder gar verfehlt wird, oder wenn die vorgenommene Einteilung in Teilbudgets dazu führt, dass der Punktwert in einzelnen Bereichen deutlich stärker abfällt als bei dem größten Teil der sonstigen Leistungen und als Grund dafür keine von den jeweiligen Leistungserbringern selbst verursachten Mengenausweitungen erkennbar sind. Eine Korrekturverpflichtung setzt weiter voraus, dass es sich um eine dauerhafte, also nicht nur um eine vorübergehende Entwicklung handelt. Außerdem muss ein vom Umsatz her wesentlicher Leistungsbereich einer Arztgruppe betroffen sein. Der Punktwertabfall muss erheblich sein; nicht jede Punktwertdifferenz zwischen verschiedenen Honorartöpfen gibt Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung. Die Kassenärztliche Vereinigung kann zudem berücksichtigen, dass auch bei von den Leistungserbringern nicht mit zu verantwortenden Mengenausweitungen typischerweise Rationalisierungseffekte entstehen, die einen gewissen Ausgleich für den Punktwertabfall darstellen können. Werden Honorartöpfe für Leistungen gebildet, die Ärzte nur auf Überweisung hin erbringen können und bei denen ihnen eine Mitverantwortung für eine Mengenausweitung und damit ein Punktwertabfall nicht zugerechnet werden kann, sieht der Senat im Regelfall Anlass zur Korrektur der Honorarverteilung, wenn der Punktwert der aus dem Honorartopf vergüteten Leistungen um 15 % oder mehr niedriger ist als der Punktwert für den größten Teil der sonstigen Leistungen (vgl. BSG, Urt. v. 09.09.1998 B 6 KA 55/97 R - BSGE 83, 1 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 26, juris Rdnr.17; BSG, Urt. v. 08.12.2010 - B 6 KA 42/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 61, juris Rdnr. 21 f., jeweils m. w. N.). Diese Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht dahingehend fortentwickelt, dass generell eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht gilt, die eine Verpflichtung zum Eingreifen begründet, wenn sich bei einer Arztgruppe ein honorarmindernd wirkender dauerhafter Punktwertabfall von mehr als 15 % unter das sonstige Durchschnittsniveau ergibt, von dem Punktwertabfall ein wesentlicher Leistungsbereich betroffen ist, die dem Punktwertabfall zugrunde liegende Mengenausweitung nicht von der Arztgruppe selbst zu verantworten ist und die Honorarrückgänge in dem wesentlichen Leistungsbereich nicht durch andere Effekte kompensiert werden (vgl. neben den bereits genannten Entscheidungen BSG, Urt. v. 29.08.2007 - B 6 KA 43/06 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 40, juris Rdnr. 20; BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 62/07 B - juris Rdnr. 10).

Wie lange Kassenärztliche Vereinigungen eine Entwicklung beobachten dürfen, ohne tätig zu werden, bzw. unter welchen Voraussetzungen und ab welchem Zeitpunkt genau eine Kassenärztliche Vereinigung auf eine bestimmte Honorarverteilungsentwicklung reagieren muss, ist angesichts der unvermeidlicherweise relativ unbestimmten Rechtsfolgen der Reaktions- bzw. Anpassungspflicht einer allgemein gültigen Feststellung nicht zugänglich (vgl. BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 62/07 B - juris Rdnr. 10). Soweit ein dauerhafter Punktwertabfall von mehr als 15 % unter das sonstige Durchschnittsniveau eine Reaktionspflicht begründet, setzt dies eine dauerhafte Entwicklung voraus. Dies kann im Regelfall frühestens nach Vorliegen von Daten aus mindestens zwei Quartalen angenommen werden. Eine Korrektur kann regelmäßig nur für die Zukunft gefordert werden (vgl. BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 6 KA 5/04 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 17, juris Rdnr. 32; BSG, Urt. v. 11.12.2013 - B 6 KA 6/13 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 29, juris Rdnr. 43; BSG, Urt. v. 23.03.2016 - B 6 KA 33/15 R - a.a.O. Rdnr. 26 m.w.N.). Generell kommt ein Eingreifen einer Reaktionspflicht frühestens dann in Betracht, wenn der Kassenärztlichen Vereinigung die entsprechenden Daten vorliegen (vgl. BSG, Urt. v. 20.10.2004 - B 6 KA 30/03 R - BSGE 93, 258 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 12, juris Rdnr. 34; BSG, Urt. v. 22.06.2005 - B 6 KA 5/04 R - a.a.O. Rdnr. 32).

Die Beklagte ist ihrer Beobachtungs- und Reaktionspflicht im Wesentlichen nachgekommen. Ein Vergleich der Vergütung der Leistungen der Fachgruppe der Klägerin mit denen aller Fachärzte mit Regelleistungsvolumen zeigt kein Absinken der Auszahlungsquote für die Leistungen der Fachgruppe der Klägerin. Die Kammer hält einen Vergleich dieser Vergütungskontingente für hinreichend aussagekräftig (vgl. Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB, 10/16, § 85 SGB V, Rdnr. 165b zum Vergleichsmaßstab). Die Beklagte hat die jeweiligen Auszahlungsquoten in der Weise berechnet, dass sie den Honoraranforderungen das jeweils zur Verfügung stehende Honorarkontingent gegenübergestellt hat. Insofern kann auch der Beklagten gefolgt werden, dass ein Vergleich bei den Auszahlungsquoten und nicht mehr Punktwerten ansetzen kann. Die Auszahlungsquoten wiederum sind ins Verhältnis zu setzten, um die Relation der Geringervergütung zu ermitteln (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 13.04.2018 - S 12 KA 95/15, S 12 KA 114-117 u. 121/15 - juris Rdnr. 71; Gerichtsb. v. 01.10.2019 S 12 KA 833/16, S 12 KA 31/17, S 12 KA 251/17 und S 12 KA 637/17 - juris Rdnr. 75; Gerichtsb. v. 01.10.2019 - S 12 KA 551/17 WA u. a. - juris Rdnr. 73; Gerichtsb. v. 17.06.2020 - S 12 KA 160/17 u. S 12 KA 343/17 -). Nach den Angaben der Beklagten für die strittigen Quartale, an deren Richtigkeit keine begründeten Zweifel bestehen, liegt bereits kein entsprechender Abfall der Auszahlungsquoten der Fachgruppe der Klägerin vor. Von daher bedurfte es auch keiner Einführung einer Quotenuntergrenze und war die Beklagte nicht zu einer Stützung verpflichtet.

Der Umstand einer Neuniederlassung ist kein Grund, um von einer allgemeinen Quotierung abzusehen. Sie befreit nur von Restriktionen, die in Zusammenhang mit der Aufbauphase stehen. Im Einzelnen wird auf die nachfolgenden Ausführungen zum RLV verwiesen.

Soweit die Klägerin möglicherweise von einem Honorarrückgang stärker betroffen ist, kommt es hierauf nicht an. Insofern trägt die Klägerin selbst vor, die Akupunkturleistungen machten einen wesentlichen Anteil ihrer Honoraranforderung aus, so dass die stärkere Einbuße auch der von ihr gewählten Spezialisierung geschuldet ist.

Die Klagen waren daher bzgl. der Quartale IV/10 und I/11 (Az.: S 12 KA 3/18 WA und S 12 KA 102/15) vollständig im Haupt- und Hilfsantrag abzuweisen. Bzgl. des Honorarbescheids für das Quartal II/11 war die Klage insoweit ebf. nicht erfolgreich und im Hauptantrag abzuweisen. Sachlich war sie insoweit auch im Hilfsantrag nicht erfolgreich. Die Verpflichtung zur Neubescheidung erfolgte allein aus den nachfolgenden Gründen.

Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Honorars für das Quartal II/11 und über ihre Anträge auf Erteilung einer Sonderregelung zu den Regelleistungsvolumina für die Quartale II/11 bis IV/11 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Regelleistungsvolumina und Qualitätsgebundenen Zusatzvolumina ist der ab 01.01.2009 gültige Honorarvertrag vom 13.12.2008 (im Folgenden: HVV). Auf der Grundlage der Beschlüsse des (Erweiterten) Bewertungsausschusses gemäß § 87b SGB V werden nach Abschnitt II.1.2 HVV 2011 arztbezogen Regelleistungsvolumina auch für die Arztgruppe der Klägerin ermittelt. Die Zuweisung der Regelleistungsvolumina erfolgt praxisbezogen (Abschn. II Ziff. 1.4.1 HVV 2011). Das Regelleistungsvolumen wird aus dem Produkt des KV-bezogenen arztgruppenspezifischen Fallwertes und der RLV-Fallzahl des Arztes gemäß Abschnitt II. Ziff. 2.6 im Vorjahresquartal gebildet (Abschn. II Ziff. 3.2.1 HVV 2011). Nach Abschn. II Ziff. 3.6 HVV 2011 "Regelleistungsvolumen bei Neuzulassung und Umwandlung der Kooperationsform" wird für Ärzte, die im Aufsatzzeitraum noch nicht niedergelassen waren, das arztgruppendurchschnittliche Regelleistungsvolumen für das jeweilige Quartal zugrunde gelegt. Soweit diese Ärzte eine Praxis übernommen haben, werden stattdessen die Fallzahlen des Vorgängers zugrunde gelegt, soweit dies die für den Vertragsarzt günstigere Regelung darstellt. Diese Regelung beruht auf dem Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 4 SGB V zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung in seiner 7. Sitzung am 27. und 28. August 2008. Nach Teil F Ziff. 3.5 "Regelleistungsvolumen bei Neuzulassung und Umwandlung der Kooperationsform" beschließen die Partner der Gesamtverträge für Neuzulassungen von Vertragsärzten und Umwandlung der Kooperationsform Anfangs- und Übergangsregelungen. Über das Verfahren der Umsetzung einigen sich die Partner der Gesamtverträge. Sofern nichts entsprechend anderes vereinbart wurde, gilt für Ärzte, die im Aufsatzzeitraum noch nicht niedergelassen waren (Neupraxen), das arztgruppendurchschnittliche Regelleistungsvolumen für das jeweilige Quartal.

Ausgehend von diesen Regelungen hat die Beklagte der Klägerin die Regelleistungsvolumina für die strittigen Quartale II bis IV/11 auf der Grundlage der Fallzahlen für das Vorjahresquartal festgesetzt. Allerdings handelt es sich bei der Klägerin um eine sog. Aufbaupraxis oder junge Praxis, da sie erstmals zum 01.02.2008 zugelassen wurde und es sich in den hier streitigen Abrechnungsquartalen II bis IV/11 um die 13. bis 15. Abrechnungsquartale handelt.

Sog. Anfängerpraxen, d. h. Praxen in der Aufbauphase, muss zumindest für einen begrenzten Zeitraum ein unbeschränktes Wachstum zugestanden werden. Während bei etablierten Praxen das über lange Jahre hinweg relativ konstante Umsatzniveau einen zuverlässigen Indikator des von dem einzelnen Vertragszahnarzt gewünschten oder maximal erreichbaren Ausmaßes seiner Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung darstellt, ist dieser Schluss bei kleinen Praxen jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zulässig. Er berücksichtigt insbesondere nicht hinreichend, dass zumindest in neu gegründeten Praxen in aller Regel zunächst relativ wenige Patienten behandelt werden und typischerweise erst nach einer längeren Aufbauphase ein durchschnittlicher und ggf. auch überdurchschnittlicher Umsatz erreichbar ist. Gerade bei Praxen in der Gründungsphase ist der im Bemessungszeitraum erreichte Umsatz vielfach keineswegs das Ergebnis einer bewussten Entscheidung des Praxisinhabers für einen bestimmten - von ihm angestrebten oder als unabänderlich hingenommenen - Umsatz seiner Praxis, sondern unvermeidliches Durchgangsstadium auf dem Weg zu einer gewünschten größeren Patientenzahl (vgl. BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 71/97 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 28 = BSGE 83, 52, juris Rdnr. 24). Die Wachstumsmöglichkeit bezieht sich insb. auf die Erhöhung der Zahl der von den Vertragsärzten behandelten Fälle bzw. Patienten (vgl. BSG, Urt. v. 28.01.2009 - B 6 KA 5/08 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 45, juris Rdnr. 27). Sie sind von Fallzahlzuwachsregelungen freizustellen (vgl. BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 50, juris Rdnr. 15). Der Zeitraum der Aufbauphase kann auf einen Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren bemessen werden, in dem ihnen die Steigerung ihres Honorars auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein muss (vgl. BSG, Urt. v. 28.03.2007 - B 6 KA 9/06 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 32, juris Rdnr. 16; BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 50, juris Rdnr. 15). Die Bemessung des Zeitraums der Aufbauphase erfolgt im HVV durch dessen Vertragspartner bzw. in der Satzung über die Honorarverteilung durch die KV (vgl. BSG, Urt. v. 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R - BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5, juris Rdnr. 30; BSG, Urt. v. 17.07.2013 - B 6 KA 44/12 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 2, juris Rdnr. 23; zusammenfassend LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 05.10.2016 - L 5 KA 773/13 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 30).

Insofern setzt Abschn. II Ziff. 3.6 HVV 2011 die Vorgaben des Erweiterten Bewertungsausschusses in Teil F Ziff. 3.5 nur unzureichend um. Abschn. II Ziff. 3.6 HVV 2011 trifft eine Regelung nur für das erste Niederlassungsjahr, da nur die fehlende Niederlassung im Vorjahresquartal als dem maßgeblichen Aufsatzquartal erfasst wird. Dies widerspricht dem aus dem Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) bzw. dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit folgenden Differenzierungsgebot für sog. junge Praxen (vgl. BSG, Urt. v. 17.07.2013 - B 6 KA 44/12 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 2, juris Rdnr. 21), die einer Aufbauphase von wenigsten drei Jahren unterliegen.

Die Beklagte wird daher mit ihren Vertragspartnern den HVV durch eine weitergehende Regelung zu den sog. Aufbaupraxen ergänzen müssen.

Fehlt eine Regelung in einem HVV, so kann sie nicht durch einen Vorstandsbeschluss ersetzt werden. Die fehlende Regelung kann auch angesichts der eindeutigen Vorgabe des Erweiterten Bewertungsausschusses nicht durch einen Vorstandsbeschluss ersetzt werden, da es sich nicht um eine Einzelfallentscheidung für einen atypischen Fall handelt. Die besondere Lage einer Aufbaupraxis stellt keine unvorhersehbare Besonderheit oder unspezifische Härte dar. Vielmehr handelt es sich um "typische", immer wieder auftretende Ausnahmefälle. Die für die Honorarverteilung wesentlichen Grundsätze müssen im HVV selbst geregelt werden und dürfen nicht dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung im Wege von Einzelfallentscheidungen überlassen bleiben. Andernfalls würde es zu einer dem Gesetz widersprechenden Kompetenzverlagerung zum Vorstand sowie zum Unterlaufen der Einbeziehung der Krankenkassen in die Honorarverteilung kommen. Dies gilt erst recht seit der ab dem Jahre 2004 vorgeschriebenen vertraglichen Vereinbarung des HVV zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen (vgl. BSG, Urt. v. 03.02.2010 B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 50, juris Rdnr. 26 f.; vgl. auch zur fehlenden Regelung nach Beendigung einer Gemeinschaftspraxis SG Marburg, Urt. v. 16.11.2011 - S 12 KA 919/10 - juris Rdnr. 47, ebenso die Berufungsentscheidung, LSG Hessen, Urteil v. 27.01.2016 - L 4 KA 23/14 - Umdruck S. 16).

Die Kammer hat ebenso bereits im Jahr 2016 entschieden (SG Marburg, Urt. v. 26.10.2016 - S 12 KA 59/15 - juris Rdnr. 34 ff.). Hieran hält die Kammer fest. Das gegen die Kammerentscheidung beim LSG Hessen unter dem Az.: L 4 KA 75/16 geführte Berufungsverfahren ruhte zunächst und wurde dann am 20.02.2019 durch Vergleich beendet. Die Beklagte hat aber in diesem Verfahren eine vergleichsweise Einigung abgelehnt.

Der Zeitraum für sog. junge Praxen ist nicht zwingend auf einen Fünfjahreszeitraum zu erstrecken. Im Ergebnis kann daher eine Regelung im HVV wie in dem Vorstandsbeschluss vom 14.02.2011 getroffen werden. Das Bundessozialgericht führt ausdrücklich aus, dass die genaue Bestimmung des Zeitraums des Aufbaus einer Praxis, bei der es sich um eine Erstzulassung - sog. Anfängerpraxis - oder um eine Neuzulassung nach vorheriger vertragsärztlicher Tätigkeit in einem anderen Planungsbereich handeln kann, der Regelung im Honorarverteilungsmaßstab der KV bzw. im HVV zwischen der KV und den Krankenkassen - vorbehalten ist (vgl. BSG, Urt. v. 17.07.2013 - B 6 KA 44/12 R - SozR 4-2500 § 87b Nr. 2, juris Rdnr. 23). Insofern bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Subdelegation des (Erweiterten) Bewertungsausschusses an die Gesamtvertragsparteien (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 15.05.2013 - S 11 KA 615/11 - juris Rdnr. 97; SG Marburg, Urt. v. 06.10.2010 - S 11 KA 189/10 - juris Rdnr. 116 ff.).

Von daher war den Klagen im tenorierten Umfang stattzugeben, waren sie im Übrigen aber abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht für das Verfahren zum Az.: S 12 KA 107/15 auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. In den übrigen Verfahren beruht die Kostenentscheidung auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).

Der Streitwert für eine Klage auf höheres Honorar ist pro Quartal auf den Regelstreitwert festzusetzen, soweit - was vorliegend der Fall ist - keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Abschätzung des wirtschaftlichen Werts des Begehrens ersichtlich sind (vgl. BSG, Beschl. v. 28.01.2009 - B 6 KA 66/07 B - juris). Dies ergab den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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