L 7 R 142/16

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 48 R 556/13 (SG Lübeck)
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 142/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 18. Juli 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf eine Altersrente unter Berücksichtigung einer Ghetto-Beitragszeit von April 1944 bis Januar 1945 in B.

Die Klägerin ist am 1937 geboren. Sie ist jüdischen Glaubens und US-amerikanische Staatsangehörige.

Am 19. Oktober 2012 stellte sie bei der Beklagten einen Rentenantrag. Ausweislich ihrer Angaben in dem Antragsformular wurde sie in D in U geboren. Sie gab an, sie habe sich von April 1944 bis Januar 1945 im Ghetto B aufgehalten. Sie sei zwar die Jüngste in der Familie, aber körperlich weit entwickelt gewesen. Die Nationalsozialisten hätten sie auf der Straße aufgegriffen; sie habe deren Büros und Toiletten reinigen müssen. Der Judenrat habe sie in die Suppenküche gesteckt, auch dort habe sie hart arbeiten müssen. Sie habe große Töpfe mit Suppe und Bohnen schleppen und Suppe zu alten Leuten bringen müssen. Wenn sie zu spät aus der Küche gekommen sei, um die Büros der Nazis zu reinigen, sei sie mit dem Stock blutig geschlagen worden. Wenn auf der Straße Leichen gelegen hätten, habe sie helfen müssen, diese zu beseitigen. Bis heute habe sie von der harten Arbeit noch Schmerzen in den Knien und Schultern.

Im Rahmen ihrer Ermittlungen zog die Beklagte die Akte des Verwaltungsverfahrens nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) des Amtes für Wiedergutmachung Rheinland-Pfalz bei. Darin hatte die Klägerin 1978 angegeben, sie sei in V am C in R geboren. Dort habe sie bis 1941 mit ihrem Vater, ihrer Mutter und Schwester gelebt. Bei Kriegsausbruch und nach dem Einmarsch deutscher und r r Truppen seien die Juden in das Ghetto J bis Ende Oktober 1941 eingewiesen worden. Sie hätten den Judenstern tragen müssen. Im Oktober 1941 sei die Familie über den Da nach M in das Lager Ba gekommen. Während der Fahrt nach T sei ihr Vater erschossen worden. In Ba sei sie im April 1944 von der Roten Armee befreit worden und nach V zurückgekehrt. Bis 1946 sei sie dortgeblieben. Dann sei sie nach R ausgewandert.

In einem Urteil des Landgerichts Trier (5 O (WG) 419/76) vom 27. August 1980 über Entschädigungsansprüche der Klägerin ist ausgeführt, die Klägerin habe am 13. März 1967 eidesstattlich ausgesagt, sie sei im Zuge der einsetzenden russischen (sic) Verfolgungen während des 2. Weltkrieges mit ihrer Mutter im Jahr 1941 zunächst in das Ghetto J eingewiesen worden. Im Oktober 1941 sei sie nach M und später in das Lager Ba gekommen, wo sie im April 1944 von den Russen befreit worden sei.

Gegenüber der Claims Conference erklärte die Klägerin 2004, sie sei in D in U geboren und habe dort bis April 1944 im Ghetto gelebt. Von dort sei sie mit ihrer Mutter nach Da gekommen. Ihre Mutter habe sie im Lager versteckt. Als die Nazis sie gefunden hätten, sei sie mit dem Stock bestraft worden. Sie sei in den Wald geschickt worden, um Feuerholz zu holen und die Büros und Unterkünfte der Nazis zu heizen, auch bei Regen und Schnee bei bitterkaltem Wetter ohne vernünftige Kleidung und Schuhe. Ohne etwas zu essen zu bekommen sei sie durch die Kälte krank geworden. Sie habe in den Lagern W und Db gelebt.

Der Aufenthalt in den Lagern, die nicht benannt sind, und das Verstecken dort ist ferner Inhalt einer undatierten Erklärung der Mutter der Klägerin Ca.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Wartezeit für eine Altersrente sei nicht erfüllt. Die Zeit von April 1944 bis Januar 1945 könne nicht als Beschäftigungszeit im Ghetto anerkannt werden, da sie nicht glaubhaft gemacht sei. Die verschiedenen Angaben der Klägerin stimmten nicht überein. In den Verfahren nach dem BEG und gegenüber der Claims Conference habe diese angegeben, in der betreffenden Zeit im Ghetto D bzw. im Ghetto J gewesen zu sein.

Mit ihrem Widerspruch vom 18. Februar 2013 trug die Klägerin vor, ihre Familie habe 1941 eine andere Familie in J besucht. Während des Aufenthalts dort seien alle Juden in das Ghetto gekommen, unabhängig davon, dass sie selbst aus R stammten. Ihre Familie habe jedoch aus dem Ghetto entkommen können und sei nach Hause nach D gefahren, wo sie ebenfalls in ein Ghetto gekommen sei. Auch aus dem Ghetto seien sie entkommen und nach B gefahren. Dort habe es kein Ghetto, sondern nur einzelne Häuser gegeben, die mit einem gelben Stern gekennzeichnet gewesen seien. Da sie über ihr Alter hinaus entwickelt gewesen sei, habe der Judenrat sie in eine Suppenküche gesteckt. Sie habe Suppe an alte und kranke Juden ausliefern müssen. Eines Tages sei sie von den Nazis auf der Straße aufgegriffen worden. Sie habe Offiziersbüros und Toiletten reinigen und Leichen auf den Straßen beseitigen müssen. Für diese doppelte und dreifache Arbeit habe sie rund um die Uhr gearbeitet. Wenn die Nazis mit ihrer Arbeit nicht zufrieden gewesen seien oder sie zu spät aus der Küche gekommen sei, sei sie geschlagen worden. Die dreifache Arbeit habe 20 Jahre regulärer Arbeit entsprochen. Menschen von heute, die in ihren Büros säßen, könnten sich das nicht vorstellen, dadurch komme es zu den ablehnenden Entscheidungen. Der heutige Wohlstand sei auf ihrem Blut entstanden. Da sei mit dem Geld, Schmuck und Edelsteinen ihrer Familie, die sehr wohlhabend gewesen sei, aufgebaut worden. Es sei eine Schande, dass dies heute geleugnet werde. Alle Organisationen, die Wiedergutmachung betrieben, hätten ihrer Familie das Geld gestohlen. Sie verlange nur das, was ihrer Familie gehöre. Sie habe im Ghetto zehn Monate hart gearbeitet. Die Beklagte könne auch bei der Claims Conference bewirken, dass sie von dort eine monatliche Rente bekomme. Sie wolle nur das Geld zurück, dass die Nazis ihrem Vater und Großvater gestohlen hätten. Zeugen könnten bestätigen, dass sie in B gewesen sei.

Der Beklagten lagen weitere Unterlagen vor, nämlich eine Bestätigung dieses Vortrags der Klägerin von der Congregation Bais Sofer vom 9. Juni 2013. Ferner hatte die Klägerin in einem Antrag vom 16. Juli 2008 gegenüber dem Bundesamt für zentrale Dienste und Vermögensfragen (BADV) angegeben, sie habe von Mai 1944 bis Januar 1945 in B gelebt und für die Nazis Reinigungsarbeiten verrichtet und Holz zerkleinert. In einem Antrag gegenüber dem BADV aus dem Jahre 2012 hatte die Klägerin angegeben, von Oktober 1944 bis Januar 1945 im Ghetto in B gelebt und für die Nazis Zwangsarbeiten verrichtet zu haben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie trug zur Begründung der Entscheidung vor, die Klägerin habe im BEG-Verfahren angegeben, von Juni bis Oktober 1941 im Ghetto J und anschließend bis April 1944 in den Lagern M und Ba gewesen zu sein. Gegenüber der Claims Conference habe die Klägerin angegeben, im April 1944 in das Ghetto D und danach bis Ende April 1945 in W und Db gewesen zu sein. Gegenüber dem BADV habe sie angegeben, zu den Arbeiten von den Nazis gezwungen worden zu sein. Ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto B sei daher nicht glaubhaft.

Am 15. Oktober 2013 hat die Klägerin dagegen bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Sie hat die Vorgänge wie in ihrer Widerspruchsbegründung erneut geschildert und die Vorwürfe gegenüber der heutigen Sachbearbeitung erhoben.

Die Klägerin hat nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 16. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Berücksichtigung der Zeit von April 1944 bis Januar 1945 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach dem ZRBG eine Altersrente nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat schriftlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

Nach vorheriger Mitteilung über die beabsichtigte Verfahrensweise hat das Sozialgericht Lübeck die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. Juli 2016 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich die Klägerin in der Zeit von April 1944 bis Januar 1945 im Ghetto B aufgehalten habe. Hierzu hat das Gericht auf die Begründung der Beklagten im Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass selbst bei einem unterstellten Aufenthalt der Klägerin in B eine Anerkennung der Beschäftigungszeiten nach dem ZRBG als Beitragszeiten nicht möglich sei, denn unabhängig vom Ort eines möglichen Ghettos habe die Klägerin nach ihren eigenen Angaben die Beschäftigung nicht aus eigenem Willensentschluss ausgeübt. Eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss setze voraus, dass die Klägerin noch eine Dispositionsbefugnis in der Weise gehabt habe, dass sie ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder ihre Restfreiheit die Beschäftigung oder deren Ausführung hätte annehmen oder ablehnen können. Jedoch habe die Klägerin wiederholt erklärt, zur Arbeit durch die Soldaten des nationalsozialistischen Regimes gezwungen worden zu sein. Sie habe dabei die physische Gewalt, nämlich die Schläge geschildert. Dies alles lasse nicht erkennen, dass sie freiwillig gearbeitet habe, sondern es sei davon auszugehen, dass sie bis zur Erschöpfung habe arbeiten müssen und keine Wahl bestanden habe, dass sie die Arbeit zeitweise habe unterbrechen können.

Gegen den am 19. Juli 2016 abgesandten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. August 2016 beim Sozialgericht Lübeck Berufung eingelegt, die das Sozialgericht an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht weitergeleitet hat. Zur Begründung trägt sie den ihrer Auffassung nach richtigen Geschehensablauf vor: danach sei die Familie in V gewesen, um Verwandte zu besuchen. Während des dortigen Aufenthalts hätten die Nazis alle Juden in das Ghetto von V gebracht. Da sie selbst U gewesen seien, sei die Familie nach D zurückgeschickt worden, wo sie 1944 ins Ghetto gekommen sei. Im April 1944 sei die Familie nach B geflohen, wo die Juden in Häusern gelebt hätten, die mit dem gelben Stern gekennzeichnet gewesen seien. Sie selbst sei als junges Mädchen sehr groß gewesen und habe älter ausgesehen. Das jüdische Komitee habe sie gezwungen, in der Suppenküche zu arbeiten und alten oder kranken Menschen Suppe zu bringen. Eines Tages hätten die Nazis sie auf der Straße festgehalten und zu einem Büro gebracht. Sie habe dort die Toiletten reinigen müssen und sei mit einem Stock blutig geschlagen worden, wenn sie zu langsam gearbeitet habe. Dabei habe sie drei oder vier Zähne verloren. Die Klägerin beklagt erneut die ablehnende Haltung der heutigen deutschen Dienststellen und der dortigen Bediensteten und trägt vor, dass sie das Geld für eine ärztliche Behandlung dringend benötige.

Nach ihrem schriftlichen Vorbringen beantragt die Klägerin sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 18. Juli 2016 sowie den Bescheid vom 16. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund ihres Antrags vom 19. Oktober 2012 eine Altersrente unter Berücksichtigung der Zeit von April 1944 bis Januar 1945 als Ghetto-Beschäftigungszeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Entschädigungsakte und die Verfahrensakte verwiesen, die dem Senat vorlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht beim Sozialgericht Lübeck eingegangen. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist am 19. Juli 2016 abgesandt worden, die Berufung der Klägerin dagegen ging am 24. August 2016 beim Sozialgericht ein. Die gemäß § 153 Abs. 1 SGG entsprechend geltende Berufungsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG (BSG vom 30. Januar 2002 – B 5 RJ 10/01 R, SozR 3-1500 § 67 Nr. 21; BSG vom 24. April 1991 – 9a RV 9/90 – juris) von drei Monaten ist gewahrt. Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat die ablehnende Entscheidung der Beklagten zu Recht bestätigt. Denn die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Rentenanspruch unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten.

Nach § 35 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr erreicht und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Auf die allgemeine Wartezeit werden gemäß § 51 Abs. 1, Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten und mit Ersatzzeiten angerechnet. Beitragszeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge geleistet worden sind. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach den besonderen Vorschriften als gezahlt gelten.

§ 2 Abs. 1 Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) in der Fassung des Gesetzes vom 15. Juli 2014 (BGBl I, S. 952) bestimmt, dass für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten. Gemäß § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensschluss zu Stande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag.

Eine Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist jegliche Beschäftigung innerhalb und außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben. Beschäftigung in diesem Sinne meint jede nichtselbstständige Arbeit. Anhaltspunkte für das Bestehen einer solchen Arbeit sind eine von Weisungen eines anderen hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Inhalt oder Gestaltung abhängige Beschäftigung sowie eine gewisse funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens oder Weisungsgebers, wobei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich sind. Eine Beschäftigung ist nach der Rechtsprechung des BSG bereits entgeltlich im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b ZRBG, wenn für die geleistete Arbeit irgendeine Art der Entlohnung gezahlt wurde, ob in Geld, Naturalien oder in Gutscheinen, unabhängig von der Quantität, Qualität und dem Transferweg. Die Beschäftigung ist aus eigenem Willensentschluss im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a ZRBG zu Stande gekommen, wenn der Ghettobewohner hinsichtlich des Zustandekommens oder der Durchführung der Arbeit noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte (vgl. dazu insgesamt BSG, Urteile vom 2. Juni 2009 - B 13 R 139/08 RSozR 4-5075 § 1 Nr. 5 sowie B 13 R 81/08 R – juris; Urteile vom 3. Juni 2009 – B 5 R 26/08 RSozR 4-5075 § 1 Nr. 8 und B 5 R 66/08 R - juris).

Kann nach diesen Maßstäben eine Beschäftigung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, reicht es zur Feststellung der erheblichen Tatsachen gemäß § 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) aus, wenn die Tatsachen glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Gefordert ist insoweit mehr als die bloße Möglichkeit einer Tatsache, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende oder überwiegende Wahrscheinlichkeit. Es muss aber die "gute Möglichkeit" bestehen, dass sich die entscheidungserheblichen Tatsachen so zugetragen haben, wie sie von dem Betroffenen vorgetragen werden. Allein die bloße Möglichkeit eines solchen Geschehensablaufs, wie er vorgetragen wurde, reicht für eine Anerkennung nicht aus, sondern es muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Von verschiedenen möglichen Geschehensabläufen muss der vorgetragene relativ gesehen am wahrscheinlichsten erscheinen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 RSozR 4-5075 § 1 Nr. 3; Urteil vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 BSozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Es ist nicht wahrscheinlich in diesem vorgenannten Sinne, dass die Klägerin von April 1944 bis Januar 1945 im Ghetto B einer Beschäftigung nachgegangen ist, denn es spricht nicht mehr für diesen Geschehensablauf als für irgendeinen anderen Ablauf. Vielmehr hat die Klägerin mehrere unterschiedliche Sachverhaltsdarstellungen im Rentenverfahren und vor den Entschädigungsbehörden vorgetragen, sodass nicht erkennbar ist, welche Darstellung vorzugswürdig ist. Es ist nicht erkennbar, ob die Klägerin sich im Ghetto in B oder in einem anderen Ghetto aufgehalten hat. Dabei ist der Ghettoaufenthalt ein den Rentenanspruch begründender Tatbestand, der im oben genannten Sinne wahrscheinlich sein muss.

Der Senat ist sich bereits nicht sicher, wo die Klägerin geboren worden ist. Im Rentenverfahren hat sie durchgehend ausgesagt, in D in U geboren zu sein. 1967 gab sie jedoch im Entschädigungsverfahren an, in V geboren zu sein, das damals in R gelegen habe. Die r Abstammung hat sie auch im Widerspruchsverfahren vorgetragen. Der Grenzverlauf zwischen U , R , Ma und der Ua wechselte jedoch im Verlauf des Krieges und der Nachkriegszeit. Der Senat geht nach dem weiteren Vortrag der Klägerin von dem Geburtsort D aus, weil die Klägerin diesen Ort mehrfach erwähnt hat, gebürtige U ist und die u Sprache ihre Muttersprache ist. Die Frage des Geburtsorts ist jedoch für die weitere Entscheidung nicht erheblich; daher hat der Senat von weiteren Ermittlungen hierzu abgesehen.

Wesentlich für einen Rentenanspruch ist jedoch der Aufenthalt im Ghetto B , der nach dem Vortrag in den verschiedenen Verfahren nicht geklärt werden konnte und in dem die Beschäftigung stattfand. Allerdings hat die Klägerin im Verlauf des Rentenverfahrens stets den Aufenthalt im Ghetto B erwähnt. Zu ihrem Antrag vom 19. Oktober 2012 hat sie vorgetragen, sich von April 1944 bis Januar 1945 in B im Ghetto in den Sternenhäusern aufgehalten zu haben. Es ist bekannt, dass in B einzelne Häuser für den zwingenden Aufenthalt der Juden bestimmt waren, die mit einem Stern gekennzeichnet sein mussten (Gutman u.a., Enzyclopädie des Holocaust, S. 535). Der Vortrag der Klägerin deckt sich somit mit den historisch gesicherten Erkenntnissen. Auch im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin geschildert, ihre Familie sei in J zu Besuch gewesen, als dort die jüdische Bevölkerung in einem Ghetto zusammengefasst worden sei; die Familie sei jedoch aus dem dortigen Ghetto heraus und nach D entkommen und von dort nach B gefahren. Der Aufenthalt in B findet ferner in dem Vortrag der Klägerin gegenüber der Congregation Bais Sofern aus dem Jahre 2013 sowie in dem Antrag gegenüber dem BADV aus dem Jahre 2012 Erwähnung. Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren ähnelt dem des Widerspruchsverfahrens mit Ausnahme der Tatsache, dass die Familie der Klägerin nicht in J , sondern in V zu Besuch war. Diese Abweichung im Vortrag hält der Senat jedoch wiederum nicht für erheblich, sondern dem langen Zeitablauf geschuldet.

Diesen Darstellungen der Klägerin steht ihr Vortrag im Entschädigungsverfahren entgegen. In ihrem Antrag 1967 hatte die Klägerin ebenfalls vorgetragen, bis Ende Oktober 1941 im Ghetto J gelebt zu haben. Von dort sei sie jedoch nach M in das Lager Ba gekommen. Bereits im April 1944 sei sie von der Roten Armee befreit worden und nach V zurückgekehrt, wo sie bis 1946 geblieben sei. Gegenüber der Claims Conference trug die Klägerin 2004 einen Aufenthalt in ihrem Heimatort D im Ghetto bis April 1944 vor, danach sei sie mit ihrer Mutter nach Da in verschiedene Lager gekommen. Auch das Landgericht Trier ging in seinem Urteil von 1980 davon aus, die Klägerin habe in den Ghettos beziehungsweise Lagern in J , M und Ba gelebt, ließ einen Aufenthalt in B aber unerwähnt.

Auf dieser Aktengrundlage kommt der Senat zu der Überzeugung, dass ein Aufenthalt der Klägerin im Ghetto B zwar möglich ist, dass jedoch dafür nicht mehr spricht als für eine andere Fallalternative, die ebenso möglich ist. Der Aufenthalt in B findet im gesamten Rentenverfahren Erwähnung, in den Entschädigungsverfahren dagegen nicht. Die Tatsache allein, dass die Klägerin den Aufenthalt im Ghetto in B dort nicht erwähnt hat, hält der Senat nicht für entscheidungserheblich, denn in jenen Verfahren kam es auf den Aufenthalt in einem Ghetto nicht maßgeblich an. Für entscheidend erachtet der Senat dagegen die Tatsache, dass der Vortrag der Klägerin in den Entschädigungsverfahren einen Aufenthalt in B nicht nur unerwähnt lässt, sondern dass die Darstellungen dort mit einem solchen Aufenthalt unvereinbar sind, indem die Klägerin für die identische Zeit andere Geschehensabläufe vorgetragen hat. Die Bedeutung dieser anderen Geschehensabläufe wird durch weitere Details verstärkt, sodass Ihnen ein größeres Gewicht zukommt. In ihrer Aussage 1967 hat die Klägerin ausgeführt, dass während der Fahrt nach M und in das Lager Ba ihr Vater ermordet worden sei. Dies muss ein besonders einschneidendes Ereignis mit bleibender Erinnerung für die Klägerin gewesen sein, das sich mit einem Aufenthalt in B nicht in Einklang bringen lässt. In ihrem Vortrag gegenüber der Claims Conference hat die Klägerin dargestellt, dass ihre Mutter sie in den Lagern versteckt gehalten habe, um sie vor den Nazis zu bewahren. Der Aufenthalt der Klägerin zusammen mit ihrer Mutter wird ferner gestützt durch deren in den Akten befindliche undatierte Erklärung. Der Senat muss diesen Ausführungen der Klägerin folglich zumindest ein ebenso großes Gewicht beigemessen wie ihre Aussage, sie sei in der Zeit von April 1944 bis Januar 1945 im Ghetto in B gewesen.

Selbst wenn man gemäß dem Vortrag der Klägerin im Rentenverfahren einen Aufenthalt in B als gegeben erachtet, steht einem Rentenanspruch der Klägerin des Weiteren entgegen, dass das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigung nicht glaubhaft im oben genannten Sinne dargetan ist. Zu ihrem Rentenantrag hat die Klägerin vorgetragen, der Judenrat habe sie in die Suppenküche gesteckt, wo sie habe arbeiten müssen. Die Nazis hätten sie auf der Straße aufgegriffen und sie habe deren Büros und Toiletten reinigen müssen. Eine Freiwilligkeit der Tätigkeit liegt damit auch unter den Bedingungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG nicht vor, denn diese Darstellung spiegelt nicht wieder, dass die Klägerin eine irgendwie geartete Restfreiheit hatte und die Arbeit in diesem Sinne aus eigenem Willensentschluss aufnehmen konnte. Auch im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, das jüdische Komitee habe sie zu der Arbeit in der Suppenküche und zur Suppenverteilung gezwungen und die Nationalsozialisten hätten sie mit dem Stock blutig geschlagen, wenn sie ihrer Arbeit nicht hinreichend oder pünktlich nachgekommen sei. Damit schildert die Klägerin die Voraussetzungen von Zwangsarbeit, nicht aber einer entgeltlichen Beschäftigung.

Der Senat weist mit Nachdruck darauf hin, dass er die Klägerin nicht als Lügnerin ansieht, die bewusst etwas Falsches vorträgt, um den Anspruch auf eine Altersrente zu erlangen. Vielmehr ist es durchaus nachvollziehbar, dass im Laufe der Jahrzehnte die Erinnerungsleistung nachlässt und die Zusammenhänge und Abläufe der früheren Jahre verwischen. Der Aufenthalt der Klägerin im Ghetto in B ist durchaus möglich, nicht aber wahrscheinlich im oben genannten Sinne. Denn es ist nicht erkennbar, dass angesichts der entgegenstehenden – teilweise wesentlich zeitnäheren – Ausführungen der Klägerin mehr für einen solchen Aufenthalt spricht als für einen anderen Geschehensablauf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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